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ADB:Sickingen, Karl Heinrich Joseph Graf von

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Artikel „Sickingen, Karl Heinrich Joseph Reichsgraf von“ von Bernhard Lepsius in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 34 (1892), S. 158–160, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Sickingen,_Karl_Heinrich_Joseph_Graf_von&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 23:16 Uhr UTC)
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Sickingen: Karl Heinrich Joseph Reichsgraf v. S. ist in der Geschichte der Chemie als der Verfasser der wichtigsten Arbeiten bekannt, welche im 18. Jahrhundert über das Platin ausgeführt worden sind. Er war der erste, welcher die Schweißbarkeit dieses Metalls erkannte und dem es gelang, das Platin in Blechform auszuhämmern und es zu feinen Drähten auszuziehen. Karl v. S. stammt in directer Linie von dem Ritter Franz v. S. (s. o. S. 151) ab; er war der letzte Stammherr des älteren Astes der Linie S. zu S. Die Vorliebe zur Beschäftigung mit Edelmetallen in dieser Familie scheint auf jenen ritterlichen Ahnherrn zurückzuführen zu sein, denn Joh. Trithemius berichtet von ihm, als einem homini mysticarum rerum percupido, auf dessen Anregung ein Abenteurer zu einer Lehrerstelle in Kreuznach gelangt sei, ein magister Georgius Sabellicus, Faustus junior, in alchimia omnium qui fuerint unquam perfectissimus. Auch der Vater Karl Heinrich’s war der Alchemie ergeben: Karl Anton Johann Damian v. S. wurde am 16. Juli 1702 geboren, ward 1743 Oberamtmann zu Simmern, war k. k. Geheime Rath und erwarb am 3. März 1773 für sich und die ganze Familie S. die Reichsgrafenwürde. Die Mutter war eine Gräfin Maria Charlotte Maximiliane v. Seinsheim; sie vermählte sich 1733 mit Karl Anton und starb am 16. März 1747. Dieser lebte später in Mainz und sein Ende hat vermuthlich den Stoff zu jener Begebenheit in Schiller’s Räubern abgegeben, wo Franz Moor seinen Vater bei Wasser und Brod gefangen hält. Er verschwendete nämlich mit seiner Goldmacherei so große Summen, daß ihn die beiden Söhne, Karl Heinrich und [159] Wilhelm Friedrich (geb. am 7. September 1739, kurmainzischer Staatsminister; nach 1794 außerordentlicher k. k. Minister), um nicht ganz zu Grunde gerichtet zu werden, entführten und in einem Gewölbe der im Besitze der Familie befindlichen Sauerburg, im Sauerthal bei Lorch, gefangen hielten. Als der Kurfürst den Greis zu befreien befahl, fand man ihn nicht mehr. Wie die örtliche Tradition später bestätigte, soll er in einer Hütte am Fuße der Burg hinter eisernem Gitter verwahrt worden sein. Er starb um 1786.

v. S. wurde 1737 geboren; er war pfalzbairischer wirklicher Geheimrath, des Malteserordens Ehrenritter und Ritter des Ordens vom pfälzischen Löwen. In den Jahren 1780–91 wird er im pfalzbairischen Hofkalender als Sr. chfrstl. Durchlaucht zu Pfalzbaiern bevollmächtigter Minister am königl. französischen Hofe geführt. Er starb am 13. Juli 1791 in Wien. Von dort schreibt Georg Forster am 14. Aug. 1784 über ihn an Thomas Sömmering nach Mainz: Der Graf S. ist auch hier, er sieht aus wie ein alter Liebhaber in der französischen Comödie oder ich möchte sagen, wie ein Charlatan, das er aber nicht ist; oder wie ein Alchymist, der Mittel hat, auf sein exterieur was zu verwenden. Das letztere paßt, denn man versichert mich, er laborire. Ein gescheuter Kopf ist er aber. Er hat ein Stück Platinablech, das über einen Schuh ins Gevierte hält, es sieht wie Silber aus und ist völlig biegsam.“ Einige Jahre später, am 26. Januar 1788 schreibt Sömmering von Mainz an Forster nach Wilna: „Graf S. ist hier, ich finde doch, daß er viele schöne gründliche Kenntnisse in Physik und Chemie hat, und mich dünkt seine Conversation ganz angenehm.“

Die Versuche über das Platin machte S. um das Jahr 1772 in Paris, 1778 wurden sie in der Akademie vorgelesen. Eine deutsche Uebersetzung der französischen Abhandlung durch Prof. Suckow erschien 1782 in Mannheim: „Versuche über die Platina, mit 2 Kupfern“, und Crell in Helmstedt, welcher mit S. in Briefwechsel stand, gab einen Auszug davon in seinen neuesten Entdeckungen in der Chemie, Bd. VI, S. 197, 1782.

Die Untersuchungen v. Sickingen’s tragen einen rein wissenschaftlichen Charakter, zeugen von guter Beobachtungsgabe und sind völlig frei von alchemistischen Gedanken. Sowohl in der erwähnten Abhandlung, wie auch in seinen Briefen, welche Crell mittheilt, sind eine Menge wichtiger und richtiger Beobachtungen über dieses durch sein hohes Gewicht, seine Schwerschmelzbarkeit und Unangreifbarkeit ausgezeichnete Metall. Obwohl es schon im 16. Jahrh. als ein neuer Stoff erkannt ward, wurden seine Eigenschaften erst in der Mitte des 18. durch den Engländer Watson, durch den Schweden Scheffer und namentlich durch Marggraf in Berlin näher studirt; aber erst die Entdeckung v. Sickingen’s, das bis dahin nur in unschmelzbaren Körnern vorhandene Metall in zusammenhangendes Blech und in Draht zu verwandeln, war von einer hervorragenden praktischen Bedeutung. Seine noch heute benutzte Methode bestand darin, den aus einer Platinlösung in Königswasser mit Salmiak erhaltenen gelben Niederschlag durch Glühen in fein vertheiltes Platin zu verwandeln und dieses mit dem Hammer zu dehnbarem Blech zusammenzuschweißen. Die Wichtigkeit dieser Erfindung erhellt aus der ausgebreiteten Anwendung, welche das kostbare Metall in der chemischen und physikalischen Wissenschaft und Technik seitdem gefunden hat. Vor hundert Jahren erregte Sickingen’s Platinblech „einen Schuh ins Geviert“ groß, berechtigtes Staunen und jetzt werden jährlich 7–8000 Kilogramm Erz nach seinem Verfahren zu Platinblech und -draht verarbeitet, einen Gesammtwerth darstellend von über sechs Millionen Mark! – So hat sich das ahnungsvolle Wort glänzend bestätigt, mit welchem Crell den Auszug der Abhandlung Sickingen’s beschließt: „Den aufrichtigsten und wärmsten Dank können dem [160] Herrn Verfasser seine chemischen Zeitgenossen, die Unsterblichkeit die Nachwelt nicht versagen.“

Kopp, Geschichte der Chemie, 1847, IV, 224; – ders., Die Alchemie in älterer und neuerer Zeit, 1886, II, 206. – Poggendorff’s biographisch-literarisches Handwörterbuch, II, 922 (die Daten bei Kopp und Poggendorff beziehen sich zum Theil fälschlich auf den Vater, statt auf den Sohn). – Hettner, Forsters Briefwechsel mit Sömmering, 1877, S. 111 u. 484. – v. Stramberg, Das Rheinufer, im Denckwürdigen und nützlichen Rheinischen Antiquarius, 1856, Abth. II, Bd. 5, S. 230. – Crell, Die neuesten Entdeckungen in der Chemie, 1782, II, 141 u. 197; 1783, VIII, 96.