ADB:Starhemberg, Georg Adam Fürst von
Grafen Konrad Sigmund St. und der Fürstin Leopoldine von Löwenstein in London geboren. Sein Taufpathe war König Georg I. Frühzeitig trat er in den Staatsdienst. Noch in jungen Jahren zum Reichshofrath ernannt, wurde er gleichzeitig in ganz besonderer Weise ausgezeichnet: nicht allein der Umstand, daß St. einem Geschlechte angehörte, welches um die habsburgischen Herrscher die größten Verdienste sich erworben hatte, sondern auch die nicht gewöhnliche Bildung, die er sich erworben, mochten für Kaiser Franz I. und Maria Theresia maßgebend gewesen sein, ihn neben fünf anderen Cavalieren als Kammerherrn in den Hofstaat des Kronprinzen Joseph aufzunehmen.
Starhemberg: Georg Adam St. wurde am 10. August 1724 als der fünfte Sohn des kaiserlichen Gesandten am Hofe von St. James,Einunddreißig Jahre alt, betrat St. die diplomatische Laufbahn und eröffnete dieselbe in Lissabon. Als König Joseph I. von Portugal dem Wiener Hofe Nachricht von dem am 31. Juli 1750 erfolgten Tode seines Vaters, Johann’s V., gab und ihm zugleich seine Thronbesteigung anzeigte, wurde St. nach Lissabon entsendet, um dem neuen Könige im Namen der Kaiserin und ihres Gemahls zu condoliren, beziehungsweise ihn zu seinem Regierungsantritte zu beglückwünschen. Da der portugiesische Hof noch keinen Vertreter in Wien besaß, wurde auch St. mit keinem ministeriellen Charakter ausgestattet, sondern ging lediglich in der Eigenschaft eines Kämmerers nach Lissabon ab. In den Gesellschaftskreisen der Hauptstadt, ja sogar am königlichen Hofe selbst wollte man die außerordentliche Sendung Starhemberg’s auch damit in Zusammenhang bringen, daß er beauftragt sei, im Namen der kaiserlichen Familie für den Kronprinzen Joseph um die Hand der drittgeborenen Infantin Maria Dorothea Francisca anzuhalten. Die verwitwete Königin Marianne, eine Tochter Leopold’s I., war es insbesondere, welche diesem Gerüchte Glauben schenkte und auch mit Freude eine solche Verbindung verwirklicht gesehen hätte. Sie und der ganze Hof kamen dem Grafen St. mit der größten Liebenswürdigkeit entgegen, welcher in Anbetracht der heiklen Angelegenheit nichts anderes thun konnte, als die Rolle des Unwissenden zu spielen. In der That bestand aber die weitere Aufgabe seiner Sendung darin, eine regere Handelsverbindung Triests mit Portugal zu vermitteln. Mit Eifer ging St. daran, den Wünschen seiner Regierung gerecht zu werden, was ihm auch nach jeder Richtung hin gelang. Doch konnte er nicht umhin, die Langsamkeit Pombal’s zu rügen und auch darüber zu klagen, daß er am Hofe von Lissabon dem Staate nicht so ersprießliche Dienste wie auf einem anderen Posten zu leisten im Stande wäre. Als er aufgefordert wurde, sich über die Zweckmäßigkeit zu äußern, einen bevollmächtigten Minister für Lissabon zu ernennen, sprach er sich mit der größten Offenheit dagegen aus. Er bemerkte, daß Portugal keinen großen Antheil an den Geschäften der übrigen Welt nehme und die am königlichen Hofe beglaubigten Minister fast gar keine Fühlung mit dem Könige und dessen Familie bekämen, sondern ausschließlich mit dem Ministerium zu verhandeln hätten. Ueber die Regierung selbst äußerte er sich in keineswegs lobender Weise; so schrieb er am 26. December 1752 Folgendes nach Hause: „Täglich werden Neuigkeiten unternommen, aber keine einzige ausgeführt. Alle, auch die wichtigsten Geschäfte gerathen in das Stocken und werden auf die lange Bank geschoben. Carvalho lässet fast Niemand vor, und gibt er auch Jemand Audienz, so will er immer allein sprechen und wird nicht das Geringste ausgemacht.“ Und in der That ließ König Joseph seinem Premierminister vollkommen freies Spiel, nach Willkür und sogar recht despotisch zu walten. So war für einen strebsamen Diplomaten wie St. Lissabon nicht der Platz, auf welchem er seinem Vaterlande ersprießliche Dienste zu leisten vermochte. Er setzte es wirklich durch, daß er noch 1752 abberufen [472] und nach Madrid geschickt wurde, um hier den schwer erkrankten kaiserlichen Gesandten Grafen Esterhazy für einige Zeit zu vertreten. Im folgenden Jahre zum bevollmächtigten Minister nach Paris ernannt, trat er diesen neuen Posten am 8. Januar 1754 an. Hier kam seine diplomatische Bedeutung erst recht zur Geltung. Seinem gewandten Verfahren ist es ganz besonders zuzuschreiben, daß die von Seite des Fürsten Kaunitz schon lange angebahnte Annäherung Frankreichs und Oesterreichs auch wirklich zu Stande kam. In dieser Hinsicht ist der Abschluß des Versailler Vertrages als die folgenreichste That der Starhemberg’schen Staatskunst zu verzeichnen. In Anerkennung derselben wurde er am 26. September 1756 mit dem Charakter eines kaiserlichen Botschafters ausgezeichnet und im November 1765 in den erbländischen und den Reichsfürstenstand erhoben.
Inzwischen hatte sich im Schooße der Staatskanzlei so Manches ereignet, was auch mit Rücksicht auf die Stellung, welche St. dereinst einnehmen sollte, nicht unwesentlich war. Zwei tüchtige Mitarbeiter wurden Kaunitz durch den Tod entrissen, ein Umstand, welcher nicht wenig dazu beitrug, den schleppenden Gang, welchen die Geschäfte unter dem vielleicht allzu bedächtigen Staatskanzler nahmen, noch fühlbarer zu machen. Der Kaiser, welcher hingegen von jugendlichem Feuereifer beseelt war, sah sich durch die Langsamkeit, mit welcher Kaunitz selbst die wichtigsten Angelegenheiten behandelte, vielfach gehemmt und ermangelte nicht, sich hierüber oft bitter zu beklagen. Da tauchte der Gedanke auf, dem Fürsten Kaunitz eine jüngere und antreibende Kraft zuzugesellen. Kaunitz jedoch fühlte sich verletzt und reichte am 4. Juni 1766 sein Entlassungsgesuch ein. Nach langen Verhandlungen, welche auf beiden Seiten mit Lebhaftigkeit geführt wurden, einigte man sich dahin, daß Kaunitz noch einige Zeit, etwa zwei Jahre, die Leitung der Geschäfte fortführen sollte. St. aber wurde aus Paris abberufen und zum Staats- und Conferenzminister in inländischen Angelegenheiten ernannt; über den Gang der auswärtigen Geschäfte sollte er gleichzeitig fortlaufend in Kenntniß erhalten werden, um dereinst ihre Leitung übernehmen zu können.
Fürst Kaunitz entschloß sich jedoch gar bald, das Heft denn doch nicht aus der Hand zu geben, und so verblieb St. in seiner neuen Stellung bis zu dem am 20. Januar 1770 erfolgten Tode des kaiserlichen Ministers in den Niederlanden, Grafen Karl Cobenzl. St. konnte sich zwar des besonderen Wohlwollens Maria Theresiens, aber nicht einer ganz gleichen Gesinnung von Seite des Kaisers rühmen. Darum ist es nicht unwahrscheinlich, daß dieser die Gelegenheit, welche Cobenzl’s Tod ihm darbot, ergriff, um Starhemberg’s Entfernung von seinem bisherigen Posten bei der Kaiserin zu erwirken. Derselbe wurde nunmehr zum bevollmächtigten Minister in den Niederlanden ernannt. Welcher Art auch die Gründe gewesen sein mochten, welche diese Verfügung veranlaßten, das Eine läßt sich nicht bestreiten, daß die getroffene Wahl in jeder Beziehung eine glückliche war. In noch ausgezeichneterer Weise als sein Vorgänger war St. auf seinem neuen Posten thätig. Gleich jenem arbeitete er an den heilsamen Reformen, welche für das Wohl des Landes so nöthig waren und unterließ es dabei ebensowenig wie Cobenzl die gedeihlichen Bestrebungen auf dem Gebiete der Kunst und der Wissenschaften nach Kräften zu fördern. Weiter brachte St. der rührigen Thätigkeit, welche die belgischen Provinzen schon während des Krieges Englands mit seinen Colonien und den bourbonischen Mächten entfaltet hatten, um ihrem Handel die größtmöglichen Vortheile zu verschaffen, das lebhafteste Interesse entgegen. Er unterstützte nach jeder Richtung hin die Bestrebungen des Handelsausschusses in Brüssel, eine Handelsverbindung mit Nordamerika anzubahnen und hatte sich schon mit den Vorbereitungen einer solchen beschäftigt, bevor ihm Kaiser Joseph den Auftrag ertheilte, diese Angelegenheit [473] in Angriff zu nehmen. Den Bemühungen Starhemberg’s ist es in erster Linie zuzuschreiben, daß der niederländische Finanzrath Baron de Beelen-Bertholff im Frühjahr 1783 nach Amerika entsendet wurde, um, wenn auch noch nicht mit einem officiellen Charakter ausgestattet, die Interessen Oesterreichs dort zu vertreten. Erwies sich also St. mit Rücksicht auf die Vorzüge seines Vorgängers als ein überaus würdiger Nachfolger desselben, so war er es jedoch nicht hinsichtlich seiner Fehler. Denn die Regierung vernahm nichts mehr von all den Geldverlegenheiten, in denen Cobenzl sich fortwährend befunden hatte und brauchte sich nicht mehr mit Maßregeln zu beschäftigen, welche von Nöthen waren, ihren Minister in den Niederlanden aus einer für beide Theile gleich demüthigenden Lage zu befreien. Maria Theresia, welcher es nicht entging, wie sehr St. um die belgischen Provinzen sich verdient machte, welche mehr als alle anderen der Leitung eines nicht nur umsichtigen, sondern auch mit dem erforderlichen Tact begabten Staatsmannes bedurften, ließ keine Gelegenheit vorbeigehen, dem Fürsten St. ihr Wohlwollen zu bezeugen. Um so fühlbarer machte sich diesem die fortgesetzte Ungunst des Kaisers. So räumte Joseph II. im Herbste des Jahres 1771 dem commandirenden General Grafen Joseph d’Ayasasa eine so große Machtvollkommenheit ein, daß sie demselben sogar eine gewisse Unabhängigkeit von der Statthalterschaft verlieh. Es ist begreiflich, daß der Generalstatthalter der österreichischen Niederlande, Prinz Karl von Lothringen, welcher in erster Linie von dieser Maßregel getroffen war, lebhafte Beschwerde gegen eine solche erhob. St. hingegen deutete in ziemlich deutlicher Weise die Absicht an, sich von seinem Posten zurückzuziehen, was jedoch Maria Theresia vor allem anderen vermieden sehen wollte. In der That wurde die für d’Ayasasa erlassene Instruction durch einige Zeit außer Kraft gesetzt; bald aber schritt der Kaiser daran, sie wieder durchzuführen. Auf dieses hin bat St., seines Postens in den Niederlanden enthoben zu werden. Maria Theresia nahm jedoch sein Entlassungsgesuch nicht an und so verblieb St. in Brüssel bis zu seiner im J. 1783 erfolgten Abberufung. Gleichzeitig wurde ihm die Würde eines ersten Obersthofmeisters verliehen. Als Kaiser Joseph so krank darniederlag, daß er außer Stande war, sich persönlich an den Regierungsgeschäften zu betheiligen, wurde ein Conferenzrath eingesetzt und diesem die Leitung der wichtigsten Staatsangelegenheiten übertragen; neben Kaunitz, Lacy, Hatzfeld und Rosenberg erhielt auch St. Sitz und Stimme in demselben. Nach dem Tode Joseph’s bestätigte ihn Kaiser Leopold II. in der Würde eines Obersthofmeisters, welche er auch unter Kaiser Franz I. beibehielt. 1807 starb St. im Alter von 83 Jahren.