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ADB:Stobwasser, Johann Heinrich

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Artikel „Stobwasser, Johann Heinrich“ von Paul Zimmermann in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 36 (1893), S. 275–279, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Stobwasser,_Johann_Heinrich&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 14:57 Uhr UTC)
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Stobwasser: Johann Heinrich St., Lackwaarenfabrikant, wurde zu Lobenstein im sächsischen Voigtlande am 16. November 1740 geboren, † am 31. August 1829. Sein Vater Georg Sigismund St. (ursprünglicher Familienname Stowasser) war Glasermeister gewesen, hatte aber 1732 bei einem Brande Haus und Hof eingebüßt und betrieb seitdem einen kleinen Hausirhandel mit Kurzwaaren, während die Frau mit den Kindern für Tuchmacher um kärglichen Lohn Wolle spann. So wuchs St. in drückender Armuth auf, die für die Zeit seines Lebens eine gewisse Unsicherheit des Benehmens bei ihm zurückließ. Doch wurde er insbesondere von seiner Mutter, Christine Elisabeth geb. Fichte, einer wackeren und tüchtigen Frau († am 19. Mai 1792 im fast vollendeten 80. Jahre) zu streng religiösem Leben angehalten. Er zeigte gute Gaben des Geistes und des Herzens und zumal eine große Anlage zum Zeichnen und zum Coloriren. Da ihre Pflege jedoch die kümmerliche Lage der Familie nicht gestattete, so mußte er schon früh den Vater auf seinen weit ausgedehnten Wanderungen begleiten. Er kam so jung in die Welt und auf sein empfängliches Gemüth machten die fremden Städte, die er besuchte, Ansbach, Augsburg, München, Stuttgart, Mainz, Frankfurt a. M., vor allem aber das an Kunstschätzen reiche Nürnberg einen tiefen Eindruck. Sein einnehmendes Wesen verschaffte ihm unterwegs verschiedene Anerbietungen, die ihm die angenehmste Zukunft sicher gestellt hätten, aber er konnte sich nicht entschließen, die Eltern zu verlassen. In Ansbach versah sich der Vater für die fremden Märkte mit lackirten Waaren, deren Verfertigung damals noch ein Geheimniß war. Diese [276] erregten die Aufmerksamkeit des Sohnes im höchsten Grade und sein Sinnen und Trachten ging von da ab unablässig darauf, hinter jenes Geheimniß zu kommen. Lange Zeit war sein Streben ohne Erfolg; auch die Versuche, die er in Verbindung mit einem ehemaligen Ansbacher Apotheker Eberlein anstellte, der unter dem Vorgeben das Arcanum[WS 1] zu kennen, die geringe Baarschaft Stobwasser’s aufzehrte, führte zu keinem Ergebnisse. Wieder ging der Sohn mit dem Vater auf die Reise, von der er schwer erkrankt zurückkehrte. Kaum genesen nahm er mit erneutem Eifer die alten Versuche wieder auf und schließlich gelang es ihm einen Lack herzustellen, der in bezug auf Glanz und Haltbarkeit allen Wünschen und Anforderungen völlig entsprach. Jetzt galt es nach Art der lackirten japanischen Waaren die eigenen Erzeugnisse mit Figuren und Landschaften zu schmücken. Ohne Anleitung machte er sich an die Arbeit, aber seiner künstlerischen Beanlagung und seinem unermüdlichen Fleiße gelang es die Schwierigkeiten glücklich zu überwinden. Anfangs arbeitete er nach Vorbildern, dann aber auch nach eigener Erfindung. Er schuf verzierte Trinkbecher und Dosen, die guten Absatz fanden. Die Malerei gefiel dem Markgrafen von Baireuth so gut, daß er 1760 St. in seiner Malerakademie ausbilden lassen wollte, um ihn ganz für diese Kunst zu gewinnen. Doch er blieb bei seinem Vater, wenngleich sich die Verhältnisse in Lobenstein keineswegs glänzend für die Familie gestalteten. Es fehlte an Betriebscapital; ein Versuch, mit einem begüterten Nachbar das Geschäft gemeinsam zu betreiben, schlug gänzlich fehl und auch die Vertrauensseligkeit des Vaters hatte beträchtliche Einbußen zur Folge. Sie sehnten sich aus Lobenstein fort und sahen es wie einen Wink des Himmels an, als sie um das Ende des Jahres 1762 in der Zeitung eine Bekanntmachung des Herzogs von Braunschweig lasen, durch die Künstler jeder Art aufgefordert wurden, unter großen Begünstigungen in sein Land zu kommen. Auf eine im Mai 1763 gestellte Anfrage erfolgte von Braunschweig aus ein sehr allgemein gehaltener Bescheid, der die Familie aber doch sogleich bewog Haus und Hof zu verkaufen, ihre Habe aufzupacken und nach Braunschweig zu ziehen, wo sie am 3. August 1763 eintrafen. Die Familie bestand damals aus Joh. Heinr. St., Vater und Mutter, drei Schwestern und zwei Arbeitsleuten. Der Anfang in Braunschweig war nichts weniger als leicht noch ihren Erwartungen entsprechend. Denn um den guten Willen, Gewerbe und Handel zu heben und die Landeswohlfahrt zu fördern, wirksam zu bethätigen, fehlten der Regierung leider nur zu sehr die materiellen Mittel; es war gerade damals bei Beendigung des siebenjährigen Krieges eine bedenkliche Ebbe in den öffentlichen Cassen eingetreten. Ein dem Herzoge Karl I. überreichtes Probestück, eine schön verzierte Tischplatte, fand zwar dessen vollen Beifall, aber sonst blieb es zunächst bei allgemeinen Versprechungen. Ein im Februar 1764 eingereichtes Gesuch um Beihülfe wurde ruhig ad acta gelegt. Schon überlegte die Familie, ob sie in Berlin neue Unterhandlungen anknüpfen sollte, als im März d. J. eine von St. bei dem Geheimrath Schrader v. Schliestedt persönlich vorgebrachte Bitte eine kleine freie Wohnung erwirkte. Hier wurde nun die Fabrik eröffnet und Unterofficierstöcke u. A. hergestellt. Der Versuch, einem Soldaten des Leibregiments Gewehr und Patronentasche zu lackiren gefiel dem prachtliebenden Herzoge außerordentlich, so daß er diese Neuerung sogleich für das ganze Regiment einführte und für St. zu Michaelis[WS 2] eine größere Wohnung beim Hospitale am damaligen Wendengraben anweisen ließ. Als auch diese nicht mehr genügte – 1768 bestand das Arbeitspersonal mit der Familie aus 24 Personen – wurde ihm auf ein paar Jahre das Geld für eine von ihm zu miethende Wohnung gezahlt, am 4. November 1771 aber ein herrschaftliches Haus an der Echternstraße eingeräumt. Ein daneben stehendes Hirtenhaus wurde ihm am 4. Juni 1774 vom Herzoge [277] erb- und eigenthümlich geschenkt und im folgenden Jahre auch das andere Gebäude unter der Bedingung, daß die Fabrik darin fortgeführt würde. Da St. aber glaubte, daß diese Beschränkung dereinst seinen Erben bei dem von ihm geplanten Neubau eines Fabrikgebäudes von großem Nachtheile sein könnte, so erreichte er 1782 auf seine Bitte, daß auch das herrschaftliche Haus sein unbeschränktes Eigenthum werden sollte, wenn er die Fabrik noch 20 Jahre darin fortsetzen würde. Dennoch hat sich der Neubau noch längere Zeit verzögert; erst im J. 1787, wo St. das Bauholz von der Regierung geschenkt erhielt, scheint er in Angriff genommen zu sein. Diese ihm gewährten Vortheile, sowie eine wunderbare Anhänglichkeit an die Stadt Braunschweig, die ihm – so schien es seinem pietistischen Sinn – als Aufenthaltsort gleichsam durch höhere Schickung bestimmt war, hielten ihn auf immer in dieser Stadt fest und ließen ihn günstige Anträge ausschlagen, die von anderen Orten, wie aus Dresden durch den Grafen Lindenau, aus Kassel durch den Generaladjutanten v. Stirnberg, aus Berlin durch den Geh. Finanzrath Tarrach an ihn ergingen. Denn der Ruf seiner Fabrik und die Nachfrage nach deren Erzeugnissen war in stetigem Wachsen. Letztere bestanden in der Hauptsache aus Kaffee- und Präsentirbrettern, Tischplatten, Kästchen und Büchsen der verschiedensten Art, Schnupftabaksdosen, aus Pfeifenköpfen, die bis nach Rußland und der Türkei als „Braunschweigische Pfeifenköpfe“ ausgeführt wurden usw. Die meisten dieser Gegenstände waren aus Papiermaché, einzelne auch aus Blech, Holz oder dergleichen hergestellt. Sie wurden in besonderer Weise lackirt und dann mit mehr oder weniger kunstvoller Malerei versehen. Auf diese letzte Arbeit legte St. ganz besonderes Gewicht; sein Streben ging dahin, hier wirklich Kunstmäßiges zu stande zu bringen. Er legte zu dem Ende in seiner Fabrik eine Malerschule an und beschäftigte Künstler wie F. G. Weitsch, den Rafaelcopisten Joh. Christ. Bäse und den Isländer Hialtalin (s. A. D. B. XII, 383), denen man doch höhere als nur locale Bedeutung zuerkennen muß. Diese Arbeiten, insbesondere die sehr beliebten Dosen, die noch jetzt von Kunstliebhabern geschätzt und gesammelt werden und auch damals keineswegs billig (beste Stücke zu je 5–6 Louisdor) verkauft wurden, haben Stobwasser’s Namen bis heute lebendig erhalten und sichern ihm für immer einen Platz in der Geschichte des deutschen Kunstgewerbes. Mancherlei Anekdoten zeigen, mit welchem Stolze man daheim die Ueberlegenheit der Stobwasser’schen Erzeugnisse gegenüber den englischen empfand. Auch der Gunst des Hofes, vorzüglich der der Herzogin Philippine Charlotte, erfreute sich St. in vollem Maaße.

Mannichfacher Eintrag geschah St. durch die Errichtung ähnlicher Fabriken, die sogar ganz in seiner Nähe in Braunschweig (Stockmann) und Wolfenbüttel (Evers) entstanden, wenn diese auch inbetreff des Kunstwerths ihrer Erzeugnisse sich mit St. nicht im entferntesten messen konnten. Ein ausschließliches Privilegium hatte St. nicht erlangen können; es war ihm unterm 3. October 1769 nur zugestanden, daß Niemand ohne obrigkeitliche Genehmigung lackirte Waaren anfertigen und feil halten und daß nur nach Vorlegung eines genügenden Probestückes eine Concession ertheilt werden sollte. Noch gefährlicher war die Concurrenz außerhalb des Braunschweiger Landes, das ihm so wie so kein ausreichendes Absatzgebiet bot. Um ihr namentlich in Preußen zuvor zu kommen, entschloß sich die Familie in Berlin eine gleiche Fabrik wie in Braunschweig anzulegen. Dies geschah insbesondere auf Betreiben von Stobwasser’s Schwester Luise Dorothee, die sich am 19. Febr. 1767 mit Joh. Guérin, einem Musketier des Leibregiments, verheirathet hatte, der schon als solcher in der Fabrik gearbeitet hatte, dann aber ganz in sie eingetreten war. Man nennt ihn als Erfinder einer neuen Art von Tischplatten aus Karton. Da Joh. Heinr. St., [278] der die technische und künstlerische Leitung der Fabrik ganz allein in der Hand hatte und durch den Vater nur den Verkauf der Waaren besorgen ließ, unter keinen Umständen aus Braunschweig fortziehen wollte, so willigte er ein, daß die Guérins 1772 in Berlin eine neue Fabrik eröffneten.

Am 25. April 1776 starb der alte St. und nun übernahm Joh. Heinr. St. die Fabrik in Braunschweig, die bis dahin immer noch den Namen des Vaters geführt hatte, selbständig; zur Besorgung des kaufmännischen Theiles wählte er sich einen geeigneten Gehülfen. Schon etwa anderthalb Jahre vorher hatte er ein eigenes Hauswesen gegründet, indem er sich am 3. November 1774 mit Sophie Elisabeth Gersting, der Tochter eines Hoftischlers in Hannover, verheirathet hatte. Von den acht Kindern, die diese ihrem Gatten schenkte, sind fünf in zarter Kindheit gestorben. Nur zwei Söhne und eine Tochter wuchsen heran. Sie wurden der Geistesrichtung des von aufrichtiger Frömmigkeit beseelten Vaters gemäß Erziehungsanstalten der Brüdergemeinde[WS 3] übergeben. Diese hatte St. im Winter auf 1768 in Berlin kennen gelernt und er bildete von da an den Mittelpunkt einer Gemeinde gleichgesinnter Freunde in Braunschweig, für deren Versammlungen er 1771 in seinem Hause einen Betsaal herrichten ließ. Die Kinder folgten dem Vorbilde des Vaters. Seine Tochter (Juliane Marie) Henriette (geboren am 24. Nov. 1778), die für das Erziehungsfach bestimmt wurde, vermählte sich mit Phil. Röntgen, der in Gnadenfeld in Oberschlesien im Geiste der Brüdergemeinde zwei Erziehungsanstalten gegründet hatte. Sein jüngerer Sohn, Joh. Heinr. Ludwig (geboren am 21. Juli 1785), wirkte längere Zeit als Missionar in Westindien und wurde dann als Prediger der Brüdergemeinde in Berlin angestellt. Auch der ältere Sohn, Christian Heinr. (Eustachius), der in das väterliche Geschäft eintrat, war von derselben Sinnesrichtung; er war die Seele der 1815 in Braunschweig ins Leben gerufenen Bibelgesellschaft, deren eigentliche Gründung in Stobwasser’s Hause geschah. Die von den Guérins in Berlin begründete Fabrik war stark in Verfall gerathen, so daß sich Frau Guérin wegen der Krankheit des Gatten um Hülfe nach Braunschweig wandte. Joh. Heinr. St. leistete diese und brachte es, nachdem der Versuch, mit dem Kunsthändler Bremer das Geschäft gemeinsam zu übernehmen, mißglückt war, durch seine und seines Sohnes unermüdliche Thätigkeit während eines vierjährigen Aufenthalts in Berlin dahin, daß auch diese Fabrik, der 1797 ein königliches Privileg ausgestellt war, in guten Zug kam. Im J. 1808 nahm St. seinen Sohn als Gesellschafter in sein Geschäft auf und zwei Jahre darauf übergab er ihm beide Fabriken für seine alleinige Rechnung. Der Verlust der Gattin († am 5. Juni 1809) hat ihn wohl hauptsächlich zu diesem Schritte bewogen. Trotz seines hohen Alters trat er am 4. Juni 1812 in eine zweite Ehe mit der Mutter seines Schwiegersohnes, der Wittwe des Geh. Commerzienraths Röntgen in Neuwied, Katharine Dorothee Scheurer, der Tochter des Predigers Emanuel Scheurer in Colmar. Auch diese zweite Gattin, die am 25. Mai 1825 im 76. Lebensjahre starb, hat er überlebt. Mit der größten Gottergebenheit hat er die Plagen des Alters – er verlor neben dem Sinne des Gehörs 1826 auch das Gesicht – ertragen und ruhig und gefaßt ist er am 31. August 1829 an den Folgen eines Schlagflusses gestorben. Sein Grab auf dem Michaeliskirchhofe zu Braunschweig hat sein Enkel G. St. 1882 mit seiner Broncebüste schmücken lassen. – Sein Sohn Chr. H. St. war schon 1818 mit seiner Familie nach Berlin übergesiedelt, wo seine in eine Actiengesellschaft umgewandelte Fabrik in gänzlich veränderter Form noch jetzt besteht; die Fabrik in Braunschweig kam 1832 in den Besitz der Firma Meyer und Wried und ging um das Jahr 1856 ganz ein.

C. H. Stobwasser, Die merkwürdigsten Begebenheiten aus der Lebensgeschichte [279] von Joh. Heinr. Stobwasser (Braunschw. 1830). – Ch. Scherer, Stobwasser u. seine Lackwaarenfabrik in Braunschweig, in d. Bayr. Gewerbe-Ztg. 1892, Nr. 20. – Beste, Gesch. d. Braunschw. Landeskirche. – Acten d. herzogl. Landeshauptarchivs in Wolfenbüttel. – Kirchenbücher in Braunschweig.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Arcanum, lat.: Geheimnis, geheimer Bestandteil einer Rezeptur
  2. Michaelis ist der 29. September.
  3. Die Herrnhuter Brüdergemeine war 1722 in der Oberlausitz entstanden.