ADB:Karl I. (Herzog von Braunschweig-Lüneburg-Wolfenbüttel)
Ferd. Albrecht II. und der Herzogin Antoinette Amalie, der Tochter des Herzogs Ludwig Rudolf [267] zu Braunschweig u. Lüneburg, wurde am 1. August 1713 zu Braunschweig geboren und noch an demselben Tage getauft. Er erhielt seinen Namen von zweien seiner Pathen, dem Kaiser Karl VI. und dem Könige Karl XII. von Schweden. Noch in späteren Jahren kam sein Vater nach dem söhnelosen Tode seines Vetters und Schwiegervaters, des Herzogs Ludwig Rudolf († am 1. März 1735), zu der Regierung des Herzogthums Braunschweig, doch nur für kurze Zeit, denn kaum nach 6 Monaten machte ein plötzlicher Tod (3. Septbr. 1735) seiner Herrschaft ein Ende. Dieselbe ging nun auf seinen Sohn, den Herzog K., über, den Erstgebornen von 8 Brüdern und 6 Schwestern. Derselbe hatte eine sorgfältige Erziehung genossen, sich auf Reisen weiter ausgebildet und war dann wie sein Vater in österreichische Kriegsdienste getreten. Hier hatte er die Würde eines Obersten-Feldwachtmeisters erlangt, als er plötzlich, ein 22jähriger Jüngling, unter äußerst schwierigen Verhältnissen zur Regierung seines Landes berufen wurde. Mit Ernst und Eifer griff er seine Aufgabe an; mit großem Geschick hat er sie, so weit es anging, gelöst. Daß ihm Vieles mißlang, daß vor Allem die Schuldenlast des Landes unter seiner Regierung eine fast unerträgliche wurde, lag zumeist in der Ungunst der Zeitumstände, der Schwierigkeit der Verhältnisse, welche umzugestalten nicht in seiner Macht stand. Er ist deshalb oft äußerst scharf beurtheilt; er ist in seinen Bestrebungen wie wol kaum ein zweiter Fürst seines Hauses verkannt worden. Denn wenn man die Verhältnisse unparteiisch erwägt, muß man bekennen, daß er einer der eifrigsten, wohlgesinntesten und einsichtigsten Herrscher gewesen, den seine Lande jemals gehabt haben. Das gilt vorzüglich für die ersten Jahrzehnte seiner Regierung, wo die Lasten des siebenjährigen Krieges die Geldnoth noch nicht auf den Gipfel getrieben hatten, wo K. mit jugendfrischem Schaffenseifer das Staatsruder führte. Die schlechte Finanzwirthschaft, die von Herzog Anton Ulrich begonnen, von August Wilhelm fortgesetzt war, hatte eine schwere Schuldenlast auf das Land gehäuft. Die Herzöge Ludwig Rudolf und Ferdinand Albrecht hatten zu kurze Zeit regiert, um eine wesentliche Aenderung herbeiführen zu können. Das Staatswesen war in allen seinen Theilen, dem Steuerwesen, Finanzwesen, Gerichtswesen, der Stellung der Militär- und Hofbeamten u. A. merkwürdig verwickelt. Der Versuch, alle diese Einrichtungen zeitgemäß umzugestalten, traf auf Schwierigkeiten vor Allem bei den Landständen, die meistens nur ihre Sonderinteressen verfolgten und zweckmäßigen Reformen fast stets Hindernisse in den Weg zu legen wußten. Es ist daher begreiflich, daß K. nur einmal das Plenum der Landschaft zu berufen sich veranlaßt sah. Der Hauptfehler für eine verständige Staatsverwaltung war, daß man niemals mit den Ständen einen ordentlichen Haushaltsanschlag aufstellte, daß diese vielmehr dem Fürsten überließen, alle im Interesse des Staates aufgewandten Kosten soweit sie nicht von der Landrenteikasse getragen wurden, aus dem Kammervermögen selbst zu bestreiten und, falls dieses nicht ausreichte, Schulden zu machen, die man dann erst wieder gegen weitere Zugeständnisse auf das Land übernahm. Der Fürst blieb auf diese Weise in der Ausübung der Staatsgewalt ohne strenge Controle, aber er war auch gezwungen stets mit Schulden zu wirthschaften. Ein solches Verfahren konnte, zumal wenn plötzlich, wie es im siebenjährigen Kriege geschah, ungeheure außergewöhnliche Ansprüche an den Fürsten herantraten, von den gefährlichsten Folgen sein. Auch die Vertheilung der Steuern war eine ungerechte; sie drückten besonders den Bürger und Bauern, während die privilegirten Stände fast ganz davon verschont blieben. Mit allen diesen und anderen aus dem Mittelalter unter gewissen Abänderungen überkommenen Institutionen gründlich aufzuräumen, war erst dem rücksichtslosen Durchgreifen der westfälischen Regierung möglich. K. suchte nun aber mit allen [268] Kräften den materiellen Wohlstand, die geistigen und sittlichen Interessen seiner Unterthanen zu heben und zu befördern. Eine lange Reihe wichtiger Verfügungen und segensreicher Einrichtungen legen davon beredtes Zeugniß ab. Und er hatte hier nicht nur den scharfen klaren Blick, stets die richtigen Leute für Ausführung seiner Pläne zu wählen, sondern überall war er selbst thätig mit stets unverdrossenem Eifer in allen Einzelnheiten der Staatsverwaltung mitzurathen und mitzuschaffen. Wer die Regierungsacten jener Zeit mustert, wird überall sein einsichtsvolles Eingreifen, seine eigene wohl überlegte und den Kern der Sache meist richtig erfassende Entscheidung verspüren und seinem landesväterlichen Walten volle Anerkennung nicht versagen. Als ersten Minister behielt er zuerst den wackern Hieronymus von Münchhausen, den treuen Diener seiner Vorgänger (s. d.) bei; ihm folgte 1740 von Cramm; 1754 trat H. L. Schrader (von Schliestedt) (s. d.) in das Staatsministerium ein, der hauptsächlichste verdienstvolle Berather des Fürsten in der äußern Politik wie der innern Landesverwaltung. Nach dessen Tode rückte in die erste Ministerstelle 1773 G. S. A. v. Praun (s. d.). Alle waren tüchtige, zuverlässige Männer, die das Beste des Landes vor Augen hatten. Das zeigt sich zunächst bei den innern Reformen des Landes. Hier wurde, um für die Grundsteuerkataster, die bislang auf mangelhafte Erbregister gegründet waren, eine sichere Grundlage zu gewinnen, eine allgemeine Landesvermessung vorgenommen, für welche F. J. Himly eine vorzügliche Instruction entwarf und hiernach wurden genaue Orts- und Feldbeschreibungen ausgearbeitet. Fast gar keinen Gewinn brachte ein äußerst wichtiger Bestandtheil des Domanialgutes, die bislang arg vernachlässigten Forsten. Hier entfaltete der Hofjägermeister Johann Georg von Langen (s. d.) eine äußerst segensreiche Thätigkeit, indem er eine geregelte Forstwirthschaft einführte, für ordentlichen Betrieb, guten Nachwuchs sorgte und dadurch für die Folge aus den Forsten reiche Erträge erzielte. Eine große Menge gewerblicher Anlagen ist auf v. Langens Anregung zurückzuführen, so vor Allem die der berühmten Fürstenberger Porcellanfabrik, die sich bald eine ehrenvolle Stellung im deutschen Kunstgewerbe errang u. a. Um die für das Gewerbewesen schädlichen vielen Feiertage zu vermindern, verlegte der Herzog die kleinen Festtage auf die folgenden Sonntage. Durch zweckmäßige Armenordnungen suchte er der Noth der Armuth zu steuern, durch Errichtung einer Brandkasse seine Unterthanen bei Feuerschäden zu entschädigen, durch Gründung einer Wittwenkasse für die Hinterbliebenen von Civil- und Militärbeamten zu sorgen. Den Bauernstand schützte er vor Bedrückungen der Gutsherren durch die Bestimmung, daß in Meierbriefe keine neuen Bedingungen eingerückt werden sollten. Durch die Errichtung eines Leihhauses wollte er allen Staatsangehörigen Gelegenheit geben, große und kleine Kapitalien sicher und nutzbar anzulegen. Verbesserungen im Münzwesen wurden nach Graumann’s Vorschlägen getroffen. Von bedeutendem Nutzen waren seine mannigfachen Einrichtungen für das Gesundheitswesen des Landes. Er übertrug die Aufsicht über alle hier einschlagenden Fragen einer neu begründeten Behörde, dem Collegium medicum. Er schuf in Braunschweig eine anatomisch-chirurgische Lehranstalt, das Theatrum anatomicum, das bald einen großen Aufschwung nahm. Im Kirchenwesen suchte er vorzüglich die Güterverwaltung und das Rechnungswesen zu regeln. Er ließ corpora bonorum anlegen, ordnete regelmäßig wiederkehrende Visitationen an. Ganz besonders aber war Karls Thätigkeit dem Unterrichtswesen zugewandt. Er suchte hier von Grund auf zu bauen, daher drang er vorzüglich auch auf Verbesserung der Volksschulen, für welche er vortreffliche Schulordnungen erließ und den Druck von Schulbüchern veranlaßte. In Städten wie in Dorfgemeinden hatte er hier bei seinen Bestrebungen nicht selten mit Widerstand zu kämpfen: man sträubte sich neue Lasten zu übernehmen, wenn sie auch ganz augenfällig zum Besten des Gemeinwohls dienten, da der überall erstarkte, bureaukratische [269] Sinn die Gemeinden hatte verlernen lassen für ihre eigenen Angelegenheiten selbständig thätig zu sein. Um tüchtige Schullehrer zu gewinnen, errichtete K. in Wolfenbüttel nach dem Plane des Hofpredigers Abts Dr. J. B. Hassel ein Schullehrerseminar, eine höchst segensreiche Anstalt. Um für tüchtige gelehrte Schulen die erforderlichen Mittel zu gewinnen, legte er mehrere der bislang noch erhaltenen Klosterschulen zusammen. Einen ganz bedeutend erhöhten Zuschuß erforderte die Universität Helmstedt, seitdem die jüngere Linie des Welfenhauses zu Göttingen eine eigene Universität gegründet hatte. Denn der bis dahin gemeinsamen Helmstedter Hochschule wurde nun der Theil des Fonds entzogen, welcher von kurbraunschweigischer Seite herrührte. Der Fortschritt aller Zweige der Wissenschaft erforderte Vermehrung der Lehrkräfte und des wissenschaftlichen Apparats. K. that sein Möglichstes die Universität, die von nun an den Namen Julia Carolina erhielt, auf der Höhe der Zeit zu erhalten. Sie erhielt 1749 eine deutsche Gesellschaft sowie 1750 ein theologisches Seminar. Eine ganz neue Anstalt rief er in Braunschweig ins Leben, die nach ihm den Namen trägt, das Collegium Carolinum. Es war eine Zwischenanstalt zwischen Universität und Schule, zugleich aber auch eine höhere Bildungsanstalt für alle diejenigen, die nicht dem Gelehrtenstande sich widmen, sondern eine praktische Thätigkeit ergreifen oder überhaupt nur eine freiere Bildung sich aneignen wollten. Den Plan der Anstalt hat der Abt Jerusalem entworfen, dessen Aufsicht dieselbe unterstellt war. Forstleute, Landwirthe, Bergleute, Architekten, Ingenieure, Offiziere etc. fanden hier eine höhere Fachbildung; zugleich aber wurde durch die Anstalt eine feinere, den Ideen der Zeit gemäße Bildung („bon sens und guter Geschmack") verbreitet. Tüchtige Lehrer wurden für sie berufen, die bald einen großen Zuhörerkreis um sich versammelten und derselben einen großen, weit über die Grenzen des Landes hinausreichenden Ruf verschafften. So lehrten hier Gärtner, Ebert, Eschenburg, Zachariä, A. Schmidt, Zimmermann u. A. Ein reges geistiges Leben erwachte dadurch in der Stadt Braunschweig, das für die allgemeine Geschichte der deutschen Litteratur nicht ohne höhere Bedeutung geblieben ist. Auf Empfehlung des Erbprinzen Karl Wilhelm Ferdinand berief der Herzog Lessing unter verhältnißmäßig sehr günstigen Bedingungen als Bibliothekar der Wolfenbüttler Bibliothek, die sich durch den Herzog auch mancherlei Förderung zu erfreuen hatte. Er stiftete das sog. Intelligenzwesen, dem unter Andern die Herausgabe der Braunschweigischen Anzeigen übertragen wurde. In letzteren sollte durch Beigabe allgemein verständlicher Aufsätze namentlich auch geschichtlichen Inhalts Bildung in weiteren Kreisen verbreitet werden. Er befahl gute Erhaltung historischer Denkmäler etc., stellte die sämmtlichen Archive des Landes behufs gründlicher Ordnung derselben unter die Aufsicht des Geh. Justizraths, spätern Geheimraths v. Praun (s. d.). Wissenschaftliche Arbeiten mit Geldmitteln zu unterstützen, war er stets bereit. Auch die Kunst fand bei ihm eine eifrige Pflege. Er legte ein Kunst- und Naturaliencabinet an, aus dem das jetzige herzogl. Museum entstanden ist. Besondere Vorliebe verwandte er auf das Theater. Er berief als Director für die italienische Oper den Impresario Nicolini; neben dem schon bestehenden Opernhause ließ er ein zweites kleineres Schauspielhaus am Burgplatze errichten für pantomimisch-dramatische Darstellungen, die von Nicolini aus Italien eingeführt wurden und sich von Braunschweig aus weiter in Deutschland verbreiteten. Auch das deutsche Theater wurde nicht vernachlässigt. Karoline Neuber hielt sich längere Zeit in Braunschweig mit ihrer Truppe auf; ihr folgten später die Schönemann’sche, Ackermann’sche, Döbbelin’sche Gesellschaft, welchen ein Eckhof, ein Schröder u. A. angehörten. Lessing’s Emilia Galotti fand in Braunschweig am 13. März 1772 ihre erste Aufführung. Der rege geistige und gesellige Verkehr, den Braunschweig [270] um diese Zeit bot, das lebendige Treiben, die verschiedenartigen Anregungen und Zerstreuungen, welche zumal die Meßzeit dort hervorrief, veranlaßten den lebenslustigen Herzog K., 1753 seine Residenz aus dem kleinen stillen Wolfenbüttel nach dem größeren Braunschweig zu verlegen, wo er das von Herzog August Wilhelm neu erbaute sog. graue Schloß bezog. Der Stadt Braunschweig erwuchs dadurch zwar mannigfacher Vortheil, für die Stadt Wolfenbüttel dagegen, welche Ursprung und Wachsthum der Anwesenheit des fürstlichen Hofes verdankte, war dieser rein aus Privatneigung des Fürsten entsprungene Schritt ein schwerer, lange Zeit nicht verschmerzbarer Verlust. Wenn wir jedoch hiervon absehen, so waren alle sonstigen Einrichtungen des Herzogs für das Land von unberechenbarem Segen. Manche seiner Unternehmungen schlugen allerdings auch vollständig fehl, so die Anlage eines von der Schunter her nach der Stadt Braunschweig auslaufenden Kanals, der Ankauf der Apotheken behufs staatlichen Betriebes derselben, die Seidenzucht u. a. Doch war auch hier die Absicht, welche den Fürsten leitete, die beste. Vielleicht hätten sich durch Concentration z. B. der Universität Helmstedt mit dem Collegium Carolinum etc. bedeutende Kosten vermeiden lassen. Aber für das Land wohlthätig war fast Alles was aufgewandt wurde; die Ausgaben für dasjenige aber, was wie die italienische Oper etc. mehr für einen Luxus angesehen werden konnte, waren keineswegs so übermäßig, wie man bislang allgemein angenommen hat. K. hatte keinen sparsamen Hofhalt, aber er war auch nicht der freventlich leichtsinnige Verschwender, den man oft in ihm hat finden wollen. Bedeutend waren die Lasten, welche eine für das Land sehr beträchtliche Heeresmacht demselben auferlegte. Dazu gesellte sich der Unterhalt dreier herzoglicher Wittwen, die standesgemäße Versorgung und Ausstattung zahlreicher Prinzen und Prinzessinnen. So wurden in Rußland bedeutende Summen verschlungen, wo des Herzogs Bruder Anton Ulrich sich mit der Regentin Anna von Rußland 1739 vermählte, ohne daß es jedoch gelungen wäre, den für das Welfenhaus fest erhofften russischen Thron dauernd zu gewinnen. Gewiß waren es sehr bedeutende Gelder, welche der Herzog K. für alle diese Zwecke zumeist aus seinem Kammergute zahlen mußte; es nimmt nicht Wunder, daß er dasselbe mit beträchtlichen Schulden belastete. Wären die Zeiten friedlich geblieben, so hätte man hoffen dürfen bei Fortgang der Reformen, bei dem mit der Zeit erhöhten Ertrage der gewerblichen Anlagen, bei Zunahme des Wohlstandes und der Steuerkraft der Unterthanen das Mißverhältniß ausgleichen zu können. Das war unmöglich, als der siebenjährige Krieg auch die braunschweigischen Lande überzog, Handel und Wandel ins Stocken brachte, neue fast unerschwingliche Lasten dem Lande auferlegte. Dem Herzoge war es unmöglich in diesem Kriege neutral zu bleiben. Das zeigt ein Blick auf die Lage seines Landes. Es spricht für das klare politische Urtheil des Herzogs, daß er sich lossagte von der Politik seiner Vorgänger, die stets engen Anschluß an das Haus Oesterreich gesucht hatten, daß er sich für das jetzt gerade zu einer protestantischen Großmacht aufstrebende Preußen entschied. Von Jugend auf verband ihn mit dem Könige Friedrich II. eine innige Freundschaft. Wie viel dieser von dem braunschweigischen Hause hielt, das ihm für seine Schlachten mehrere tüchtige Feldherren und Offiziere aus seiner Mitte stellte, zeigt das große Vertrauen, das er in mannigfacher Weise gegen die Mitglieder desselben bethätigte. Auch mehrfache Familienbande umschlangen beide Häuser. Friedrich der Große hatte des Herzogs Schwester Elisabeth Christine am 12. Juni 1733, dieser Philippine Charlotte, des Königs Schwester, am 2. Juli 1733 als Gattin heimgeführt; eine zweite Schwester des Herzogs aber, Louise Amalie hatte der Prinz August Wilhelm, ein Bruder des Königs, am 6. Jan. 1742 geheirathet. Als der Sieg der Franzosen bei Hastenbeck am 26. Juli 1757 die kurbraunschweigischen und herzoglichen [271] Lande dem Feinde überlieferte, flüchtete sich K. und schloß dann mit den Franzosen am 13. August zu Hannover eine Convention ab, nach welcher ihnen das Fürstenthum Braunschweig-Wolfenbüttel unter dem Titel eines neutralen Landes eingeräumt, dem Herzoge aber das Fürstenthum Blankenburg als Aufenthaltsort angewiesen wurde. Er wollte auf diese Weise sein Land vor den Bedrückungen der Feinde möglichst sicher stellen; aber selbst ansehnliche Geldgeschenke, die K. dem französischen Feldherrn Herzog von Richelieu, der in Braunschweig sein Hauptquartier aufschlug, übersandte, konnten nicht verhindern, daß derselbe mit schweren Contributionen und anderen Lieferungen das schon bitter heimgesuchte Land bedrückte. Herzog K. rief dem Vertrage gemäß seine Truppen, die im Lager bei Stade standen, zurück, die Befehlshaber derselben wollten dem Auftrage Folge leisten. Als aber Herzog Ferdinand, Karls Bruder, im November 1757, nachdem die Convention von Zeven in England verworfen war, zu Stade den Oberbefehl über die gegen die Franzosen verbündeten Truppen übernommen hatte, nöthigte dieser die braunschweigischen Regimenter zum Bleiben. Es hat den Anschein, als wenn die Zurückberufung derselben von Seiten des Herzogs K. nur ein Scheinmanöver gewesen, um sein von den Franzosen besetztes Land vor Bedrückungen zu schützen. So faßte auch der König Friedrich II. die Sache auf. Schloß sich doch um diese Zeit auch der Erbprinz Karl Wilhelm Ferdinand aufs Neue den Unternehmungen gegen die Franzosen an; blieb doch Herzog K. in der Folgezeit stets auf der Seite der Verbündeten, für deren Sache er sehr bedeutende Opfer brachte. Die braunschweigischen Lande wurden im Beginne des Jahres 1758 schnell vom Feinde geräumt und fielen demselben nur noch vorübergehend wieder in die Hände. Groß aber waren die Anforderungen, die auch in den folgenden Jahren an das Land gestellt wurden; ein Heer von 10–12 000 Mann mußte es unterhalten. Man hoffte und hatte auch ein gutes Recht auf Subsidiengelder von englischer Seite zu hoffen. Aber der Tod König Georgs II. machte diese Hoffnung zu Schanden. Pitt verlor seinen Einfluß; Georg III. und dessen Staatssecretär Bute erkannten keine Verpflichtung an. England-Hannover erhielt im Friedensschlusse durch reiche französische Colonien einen beträchtlichen Machtzuwachs. Braunschweig, das nicht zum Mindesten zu Englands Besten einen unverhältnißmäßigen Kraftaufwand gemacht hatte, durch dessen Fürstensöhne das Beste im Feldzuge gethan war, erhielt von jenem nicht die geringste Entschädigung. Das war für die Finanzen des Landes ein äußerst harter Schlag; die Schuldenlast war so hoch angewachsen, daß eine Verpfändung des Domanialguts des Fürsten zur Sicherstellung der Gläubiger bei Weitem nicht ausreichte. Prägung schlechten Geldes, Einführung des Lottospiels konnten nicht helfen. Man mußte vielmehr das Schlimmste fürchten: eine kaiserliche Debitcommission stand in möglicher, ja wahrscheinlicher Aussicht. Da entschloß sich der Herzog 1768, um seinem und des Landes Credit wieder aufzuhelfen, zu einer Berufung der Landstände. Hier kam es zu heftigen Erörterungen. Mit leidenschaftlicher Erbitterung wurden dem Fürsten alle die Einrichtungen zum Vorwurfe gemacht, die zum Theil von größtem Segen für das Land gewesen waren. Die Regierung getraute sich nicht, die Höhe der Schuld offen anzugeben. Man verwilligte schließlich eine neue Kopfsteuer, eine erhöhte Contribution etc., natürlich nicht ohne sich zahlreiche Privilegien neu bestätigen zu lassen. Das alles waren Maßregeln, welche den Bankrott des Staates nicht endgültig beseitigen sondern nur hinhalten konnten. Als am 9. April 1770 der Landtag verabschiedet wurde, war im Grunde noch alles beim alten geblieben. Da nahm sich der Erbprinz Karl Wilhelm Ferdinand, welchen J. B. Feronce von Rotenkreutz (s. d.) seit 1773 als Finanzminister hauptsächlich unterstützte, der Finanzverwaltung mit kalt berechnendem [272] Geiste an. Er rieth Vereinfachung der Hofhaltung, Herabsetzung der schon früher verminderten Heeresmacht, Vermeidung aller unnützen Ausgaben an. Aber auch das waren nur Palliativmaßregeln; von Grund aus konnte er den Schaden erst heilen durch die mit England und Holland geschlossenen Subsidienverträge (1776–83. 1788–94. 1795). Es war gewiß ein höchst bedenkliches Mittel deutsche Landsleute für Geld einem fremden Staate zu überlassen, damit sie für dessen Interessen ihr Leben in die Schanze schlügen. Aber es war nicht freveles Spiel mit dem Blute der Unterthanen, das der Herzog trieb; es war die bittere Landesnoth, welche ihn dazu veranlaßte. Er that es nicht ohne Zustimmung der Ausschüsse der Landschaft und unter der ausdrücklichen Verpflichtung den aus den Verträgen entspringenden Gewinn im Landesinteresse zu verwenden; es waren jedenfalls zum größten Theile geworbene, nicht ausgehobene Soldaten, zusammengeeiltes Volk aus aller Herren Länder, verhältnißmäßig wenige Braunschweiger. Bei Anwerbung der später nachgesandten Ersatztruppen befahl der Herzog ausdrücklich, nur freiwillig sich meldende Ausländer, Landstreicher etc. anzunehmen. Beklagenswerth bleibt der Schritt des Herzogs für die Auffassung unserer Zeit unter allen Umständen, aber von Segen für das Land ist er doch gewesen. Die Schuldenlast des Landes wurde dadurch von Jahr zu Jahr vermindert. Es wurde hierdurch erst die Möglichkeit zu einer gesunden Finanzwirthschaft gegeben. Dem gutmüthigen Herzog K. wird die Zustimmung zu jenen Verträgen schwer gefallen sein, aber er war seit dem Kriege ein anderer geworden. Die Noth des Landes drückte ihn tief nieder, nicht minder die Verkennung seiner edlen Bestrebungen, welche die Landstände in rücksichtslosester Weise als „unnütz und schädlich“ hinstellten. Noch immer nahm er sich mit regem Eifer der Regierungsgeschäfte an; aber, wenn man dagegen seine frühere Thätigkeit in Betracht zieht, lassen sich hier mitunter die Spuren des Alters nicht verkennen. Er starb am 26. März 1780. Seine geistvolle Gemahlin, welche an allen seinen geistigen Interessen lebhaften Antheil nahm, überlebte ihn um viele Jahre; sie starb erst am 16. Febr. 1801. Herzog K. verband mit den besten Absichten für das Wohl seines Landes einen scharfen, praktischen Blick und eine unermüdliche Arbeitskraft, die allen Aufgaben seiner Stellung, allen Bedürfnissen seiner Unterthanen in gleicher Weise gerecht zu werden suchte. Aufgewachsen in der französischen Bildung der Zeit trug er doch der damals mächtig aufblühenden deutschen Litteratur ein offenes Verständniß entgegen wie kaum ein zweiter Fürst seiner Zeit und suchte mit Erfolg der neuen Geistesrichtung in seinem Lande eine Stätte zu bereiten. Seine Tochter Anna Amalie wirkte im Sinne des Vaters weiter. Durch sie begann die litterarische Glanzzeit von Weimar, welche unter ihrem Sohne Herzog Karl August den Höhepunkt erreichte. Leutseligen Wesens, heiteren Sinnes, war K. auch frohem Lebensgenusse oft mehr als billig zugethan. Aber niemals erlangten seine Gunstdamen auch nur den geringsten Einfluß auf seine Regierungsgeschäfte. Daß K. die politischen Fragen der Zeit richtig beurtheilte, hat die Geschichte hernach zur Genüge erwiesen. Seine hohen Verdienste um die innere Entwickelung seiner Lande, die von Mit- und Nachwelt oft auf das Unbilligste verkannt sind, sichern ihm in der Braunschweigischen Geschichte einen ehrenvollen Platz für alle Zeiten.
Karl I., Herzog zu Braunschweig und Lüneburg, Sohn des Herzogs