Zum Inhalt springen

ADB:Textor, Johann Wolfgang (der Jüngere)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung

Empfohlene Zitierweise:

Artikel „Textor, Johann Wolfgang“ von Alexander Dietz in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 37 (1894), S. 630–632, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Textor,_Johann_Wolfgang_(der_J%C3%BCngere)&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 00:54 Uhr UTC)
Allgemeine Deutsche Biographie
>>>enthalten in<<<
[[ADB:{{{VERWEIS}}}|{{{VERWEIS}}}]]
<<<Vorheriger
Textor, Cajetan von
Nächster>>>
Textor, Johannes
Band 37 (1894), S. 630–632 (Quelle).
[[| bei Wikisource]]
Johann Wolfgang Textor der Ältere in der Wikipedia
Johann Wolfgang Textor in Wikidata
GND-Nummer 103114025
Rohdaten, Werke, Deutsche Biographie, weitere Angebote
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Kopiervorlage  
* {{ADB|37|630|632|Textor, Johann Wolfgang|Alexander Dietz|ADB:Textor, Johann Wolfgang (der Jüngere)}}    

{{Normdaten|TYP=p|GND=103114025}}    

Textor: Johann Wolfgang T., Stadtschultheiß zu Frankfurt a. M., Goethe’s Großvater. Die Familie Textor kommt in doppelter Hinsicht, einmal als die Familie von Goethe’s Mutter, sodann als eine angesehene und tüchtige Beamtenfamilie der vormals freien Reichsstadt Frankfurt a. M. in Betracht. Unter ihren Mitgliedern verdienen die beiden Johann Wolfgang T., der Stadtschultheiß und sein Großvater, der Syndicus, von zwei verschiedenen Gesichtspunkten aus hervorgehoben zu werden, ersterer wegen seiner litterarischen Bedeutung als Goethe’s Großvater und als einflußreicher reichsstädtischer Staatsmann seiner Zeit, letzterer als ein in der Theorie wie in der Praxis gleich ausgezeichneter Jurist. Die Stammesreihe der Familie beginnt mit einem gewissen Georg T., welcher in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in dem jetzt zu Württemberg gehörigen Städtchen Weikersheim a. d. Tauber lebte. Sein Sohn, Wolfgang T., war dreißig Jahre lang Kanzleidirector des Grafen von Hohenlohe-Neuenstein. Aus seiner Ehe mit Magdalena Praxedis Enslin ging der Syndicus Johann Wolfgang T. hervor. Am 20. Januar 1638 zu Neuenstein geboren, studirte er zu Jena und Straßburg die Rechte, ward dann Praktikant beim Reichskammergericht zu Wetzlar und bekleidete hierauf kurze Zeit die Stellung seines Vaters beim Grafen Hohenlohe. Mit 28 Jahren wurde er Professor der Institutionen zu Altdorf, zwei Jahre später daselbst Professor der Pandekten und Consulent der Reichsstadt Nürnberg. Der Beifall, dessen sich seine Vorlesungen und zahlreichen vortrefflichen Schriften zu erfreuen hatten, verschaffte ihm im J. 1673 die einflußreiche Stellung eines Professor primarius der Rechte und Beisitzers des Hof- und Ehegerichts zu Heidelberg; 1688 wurde er Vicepräsident dieses Gerichtshofes. Im März 1691 folgte er einem Rufe als erster Syndicus und Consulent der Reichsstadt Frankfurt a. M., woselbst er am 27. December 1701 in einem Alter von beinahe 64 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls starb. In seinen zahlreichen Werken verbreitete er sich über die verschiedensten Gebiete der Rechts- und Staatswissenschaften: über römisches und deutsches Privatrecht, über Staats- und Völkerrecht, und zeigte sich in ihnen als einen scharfen, weitsehenden und freidenkenden Geist. Bereits im J. 1667 wagte er es, in einer Abhandlung für die Vereinigung der drei im deutschen Reiche zugelassenen christlichen Confessionen einzutreten. Von seiner Hand rühren sodann eine Reihe lateinischer Gelegenheitsgedichte her.

Von dem einzigen Sohne des Syndicus T., Christoph Heinrich, ist nur so viel zu sagen, daß er Advocat zu Frankfurt a. M. wurde, sich mit Maria Katharina Appel, einer Tochter des wohlhabenden Handelsmanns Johann Nikolaus Appel des Raths, verheirathete und durch dieselbe in den Besitz eines großen Anwesens auf der Friedberger Gasse gelangte.

Der älteste Sohn dieses Mannes, Johann Wolfgang T., Goethe’s Großvater, [631] wurde am 11. December 1693 geboren, studirte zu Altdorf die Rechte und ließ sich dann als Advocat beim Reichskammergericht zu Wetzlar nieder. Obwol er sich damals das Bürgerrecht zu Frankfurt a. M. noch nicht erworben hatte, wurde er dort entgegen den Bestimmungen der bestehenden Verfassung am 16. December 1727 als Fremder in den Rath gewählt. Nachdem er 1731 Schöff geworden war, zweimal das Amt eines älteren Bürgermeisters bekleidet und seine Vaterstadt als Reichstagsgesandter vertreten hatte, zum kaiserlichen wirklichen Rath ernannt und mit der goldenen Gnadenkette beehrt worden war, erlangte er am 10. August 1747 die höchste und angesehenste reichsstädtische Würde eines Stadtschultheißen. Ein Schlaganfall im August 1768 hatte für eine Zeitlang eine Lähmung des rechten Armes und der Zunge, sowie eine Beeinträchtigung seiner Geisteskräfte zur Folge. Im Juni 1770 sah er sich endlich durch seinen Gesundheitszustand genöthigt, sein Amt niederzulegen. Er starb ein halbes Jahr später am 6. Februar 1771 in einem Alter von 77 Jahren.

Der Stadtschultheiß T. ist bei seiner Stellung und seinen persönlichen Eigenschaften der Hauptleiter des Raths und der herrschenden österreichischen Partei gewesen. Sein großer Einfluß beruhte auf dem Umstande, daß er ein gewandter Diplomat, ein in seinen Amtsgeschäften fleißiger, gewissenhafter Mann und zugleich einer der wenigen tüchtigen Rechtsgelehrten im Rath war. In religiöser Hinsicht zeigte er sich sehr tolerant. Als eine besondere Eigenthümlichkeit seines Wesens wird ihm ein gewisses Ahnungsvermögen nachgerühmt. In schroffem, ungelöstem Widerspruch zu der Schilderung, welche Goethe von seinem Großvater in Dichtung und Wahrheit entwirft, stehen die Mittheilungen in dem Tagebuch des Stadtphysicus Dr. Johann Christian Senckenberg, eines zwar rücksichtslos und einseitig urtheilenden, aber in geistiger und sittlicher Beziehung ausgezeichneten, ehrenhaften Mannes. Im Einklang mit der öffentlichen Meinung wirft er dem Stadtschultheiß neben Schlemmerei, unsittlichem Lebenswandel und Modesucht namentlich Bestechlichkeit vor und behauptet von ihm, er habe gegen Geld die Stadt im J. 1759 an die Franzosen verrathen. Mangels anderer zeitgenössischer Berichte wird sich der wahre Sachverhalt schwerlich jemals feststellen lassen. T. bewohnte mit seiner Familie auf der Friedberger Gasse ein bei der Theilung der väterlichen Hinterlassenschaft ihm zugefallenes Hinterhaus mit daran stoßendem schönen Garten, dessen sorgsame Pflege seine Lieblingbeschäftigung in Mußestunden bildete.

Von seinen Geschwistern bekleidete sein Bruder Johann Nikolaus die Stellung eines Obersten und Stadtcommandanten zu Frankfurt und war mit der verwittweten Katharina Elisabeth v. Barckhausen geb. v. Klettenberg, seine Schwester Anna Maria seit Ende November 1741 mit dem hessen-darmstädtischen Generallieutenant der Cavallerie und Kriegsminister, sowie Generalquartiermeister des oberrheinischen Kreises Friedrich Christian v. Hoffmann aus Ulrichstein verheirathet.

Von den Kindern des Stadtschultheißen T. aus seiner Ehe mit Anna Margarethe Lindheimer war die älteste, am 19. Februar 1731 geborene Tochter Katharina Elisabeth seit dem 20. August 1748 die Gattin des kaiserlichen Raths Dr. Johann Kaspar Goethe; die zweite Tochter, Johanna Maria, eine lebhafte, heitere und stets thätige Frau, verheirathete sich mit dem Frankfurter Handelsmann Georg Adolf Melber, eine dritte, Anna Maria T., mit dem Pfarrer Dr. Johann Jakob Starck und die jüngste, Anna Christine, mit dem Oberst und Stadtcommandanten Georg Heinrich Cornelius Schuler.

Sein einziger Sohn, der Advocat Dr. Johann Jost T., kam nach des Vaters Tode gleichfalls in den Frankfurter Rath und rückte 1788 auf die Schöffenbank vor. Auch einer der Enkel und ein Urenkel des Stadtschultheißen haben nachmals im Frankfurter Rath gesessen.

[632] Litteratur: Goethe, Dichtung und Wahrheit. – A. A. v. Lersner, Chronik v. Frankfurt, Thl. II, Bch. 2, S. 227 f. – Belli-Gontard, Leben in Frankfurt a. M. 1850, Bd. X, S. 145 f. – G. L. Kriegk, Die Brüder Senckenberg, 1869, S. 127 f. u. S. 335 f. – G. v. Löper, Goethe’s Dichtung und Wahrheit, IV, 350 u. 351. – H. Düntzer, Das Geschlecht Textor, in den Grenzboten II, 1888, S. 217 f. – Archiv für Frankfurts Gesch. und Kunst, Neue Folge, Bd. II, 1862, S. 440. – Goethejahrbuch, 1889, Bd. X, S. 253–256. – Berichte des Fr. Deutschen Hochstifts 1891 Heft 2 S. 199 bis 206, 1894 Heft 1 S. 69–83.