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ADB:Thulemeyer, Heinrich Günther von

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Artikel „Thulemeyer, Heinrich Günther von“ von Otto Krauske in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 159–160, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Thulemeyer,_Heinrich_G%C3%BCnther_von&oldid=- (Version vom 22. Dezember 2024, 21:00 Uhr UTC)
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Thulemeyer: Heinrich Günther v. Th. (Thulemar), Historiker und Rechtsgelehrter, um 1642 zu Lippe oder Lippstadt geboren, 1714 in Frankfurt a. M. gestorben. Ueber sein Leben ist nur wenig bekannt. Er besuchte das Bremer Gymnasium und studirte einige Zeit unter Johann Strauch (s. A. D. B. XXXVI, 529) in Jena. 1681 (nach Hautz, Geschichte der Universität Heidelberg II, 191 schon 1680) wurde er als Professor der Geschichte und Beredsamkeit nach Heidelberg berufen und erwarb sich in demselben Jahre mit einer Dissertation „de nuptiarum sacrilegio“ den Gröninger Doctorhut. Wegen seiner juristischen Studien wurde er auch zum außerordentlichen Professor der Jurisprudenz und zum Rath im kurpfälzischen Ober-Hof- und Ehegericht bestellt. Nach der Zerstörung Heidelbergs durch die Franzosen übersiedelte Th. nach Frankfurt a. M. „Hier fing er bald an, eine glänzende Rolle zu spielen, die sich jedoch bei dem letzten Auftritte in Verdruß und Schande verwandelte.“ Kaiser Leopold ernannte ihn 1691 zum Rath und adelte ihn, Christian V. von Dänemark machte ihn zum Rath, Herzog Johann Wilhelm zu Sachsen-Eisenach zum Geheimrath, der Fürst von Nassau-Siegen zum Regierungspräsidenten und die Aebtissin von Herford zum Kanzler. Th. behielt seinen Wohnsitz in Frankfurt, [160] der damaligen Centrale Westdeutschlands; er leistete von dort aus den Fürstlichkeiten Agentendienste und verfaßte staatsrechtliche Deductionen in ihrem Auftrage. Uebermäßiger Aufwand und große Reisen, die er für seine Mandanten unternahm, verzehrten seine Einkünfte und das beträchtliche Heirathsgut seiner Frau, einer geborenen Schönemann aus Frankfurt. Seine Bemühungen um den einträglichen Posten eines Reichshofraths oder eines Reichskammergerichtsbeisitzers schlugen fehl. In der Bedrängniß wandte sich Th. 1712 oder 1713 an Villars, den Befehlshaber der französischen Rheinarmee, und erbot sich zu convertiren und in die Dienste Ludwig’s XIV. zu treten. Als aber ein Schreiben von ihm an den Marschall aufgefangen worden war, worin er den Waffen des Reichsfeindes Sieg wünschte, wurde er in das Frankfurter Gefängniß geworfen. Seine Papiere, die mit Beschlag belegt wurden, ergaben allerdings keine neuen Belastungsmomente wider ihn, dennoch blieb er verhaftet, da er seine Schulden nicht bezahlen konnte und sogar im Verdachte einer Wechselfälschung stand. Ein Fluchtversuch, den er am 11. November 1713 unternahm, mißlang. Aus Rücksicht auf Thulemeyer’s Alter und Gebrechlichkeit verwandelte aber der Magistrat der Reichsstadt die Haft in Hausarrest. Dort ist er (9. September?) 1714 gestorben.

Th. gehört zu den Polyhistoren. Mit einer umfassenden Gelehrsamkeit und einem ungewöhnlich starken Gedächtnisse ausgerüstet, schrieb er mit der gleichen Leichtigkeit über die staatsrechtlichen Fragen seiner Zeit, über deutsche, schweizerische, türkische und tartarische Verfassungsgeschichte, über die Genealogie des carolingischen Hauses, über die Entstehung des Hosenbandordens, über antike Statuen und geschnittene Steine, über hebräische Münzen u. s. w. Auch als Herausgeber juristischer Sammlungen, so z. B. der Reichskammergerichtsentscheidungen, ist er sehr thätig gewesen. Daneben unterhielt er noch eine lebhafte Correspondenz mit „großen und gelehrten Leuten“; der Briefwechsel allein soll ihn jährlich mehrere hundert Thaler gekostet haben. „Unfehlbar würde er seine Talente noch besser gezeigt haben, wenn er, von hohen Ehrenstufen entfernt geblieben und zufrieden mit dem Mittelstande, aufmerksamer auf die Ordnung seines Haushalts gewesen.“ Ein großer Theil seiner Schriften hat mehrere Auflagen erlebt; sie haben aber keine nachhaltige Wirkung auf die Wissenschaft gehabt. Seine ganze litterarische Production entbehrt der Tiefe, seine Editionen sind unzuverlässig; die Sucht, damit schleunig Geld zu verdienen, tritt überall nur zu deutlich hervor. Oefters begnügt er sich, die Ergebnisse von Vorarbeiten in breiter Darstellung wiederzubringen und ganz wenig eigenes hinzuzuthun. So fußt seine Untersuchung über die Grenzen der kaiserlichen Appellationsinstanz im wesentlichen auf Samuel Stryk. In seinen Ansichten über das deutsche Staatsrecht neigt Th. sich mehr zu N. H. Gundling, als zu J. P. v. Ludewig, der die reichsständische Selbstherrlichkeit schon aus dem 10. Jahrhundert datiren wollte; eine entschiedene Stellung zu dem erbitterten Streite der beiden hallischen Professoren hat er aber nicht genommen. Ludewig lobt Thulemeyer’s Fleiß in dessen Untersuchung über die Entstehung des Kurcollegiums, meint aber, der Verfasser hätte sich nicht gar zu weit vertieft. Von der zweiten großen Schrift Thulemeyer’s auf diesem Gebiete, über die goldene Bulle, urtheilt Moser, es wären darin „verschiedene curieuse und sonderlich auch zur Historie der goldenen Bulle wohl dienende artige Sachen zusammengetragen, die man zu der Zeit, als das Buch herauskam, theils garnicht gewußt, theils nicht so in einem einzigen Bande zusammen gehabt habe, wie denn auch alle folgenden Publicisten viele Jahre mit seinem Kalbe gepflügt hätten“, aber der wissenschaftliche Werth würde durch Flüchtigkeit und Mangel an Kritik beeinträchtigt.

Thulemeyer’s Biographie und das Verzeichniß seiner Schriften bei Jugler, Beyträge z. jurist. Biographie Bd. 3. Stück 1. Leipz. 1777.