ADB:Thymich, Paul

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Artikel „Thymich, Paul“ von Gustav Roethe in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 38 (1894), S. 236–237, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Thymich,_Paul&oldid=- (Version vom 29. März 2024, 04:17 Uhr UTC)
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Thymich: Paul Th. (Thiemich, Thiemick), Operndichter des ausgehenden 17. Jahrhunderts, wurde am 17. Juni 1656 dem Zimmermann Paul Thiemigk zu Großenhain geboren, der Aelteste von sechs Geschwistern. Am 21. Mai 1669 trat der 13jähr. Knabe in das Alumnat der Thomasschule zu Leipzig ein, aus dem er aber vor der üblichen Zeit von 6 Jahren ausgeschieden ist. Schon im Wintersemester 1673/4 wurde er unter dem Rectorat Bened. Carpzov’s an der Leipziger Universität immatriculirt. Den talentvollen Schüler nahm seine alte Schule am 5. Dec. 1681, nachdem er seine Studien beendet, in das Lehrercollegium auf. Schon als Collaborator ultimus hat der musikalisch Begabte gegen das Herkommen einen Theil des Gesangunterrichts ertheilen dürfen. Die Liebe für den Gesang verband ihn auch mit seiner Gattin, Magdalena Sophie geb. Schleiffenheimer, die er am 5. Februar 1683 heimführte: ihre Sangeskunst, die hoch gerühmt wird, scheint sie auch öffentlich, ja in Opern ihres Mannes, bewährt zu haben, wenn auch die Angabe, sie sei die erste Sängerin am Weißenfelser Hoftheater gewesen, lediglich auf falscher Combination beruhen wird. Dies selbe Jahr 1683 gab Th. günstigen Anlaß, seine poetischen Gaben zu zeigen: er hat für den tüchtigen Thomascantor Joh. Schelle, der die früher gebräuchlichen lateinischen Texte und italienischen Compositionen bei der Frühcantate durch deutsche Sprache und Musik zu verdrängen suchte, während des ganzen Jahres die nöthigen Arientexte verfaßt; er hat das Poem zu der Nachtmusik gedichtet, mit der die Leipziger Studentenschaft den vom Türkenkriege heimgekehrten Kurfürsten Johann Georg III. am 4. October 1683 feierte. Sommer 1685 wurde Th. bereits Collaborator primus und starb in dieser Stellung schon im Sommer 1694.

Im Jahre vorher, am 8. Mai 1693, hatte er die Genugthuung gehabt, das neuerbaute Leipziger Opernhaus mit seiner, von Nik. Strunck componirten Oper „Alceste“ (verfaßt schon 1680 oder früher) eröffnen zu sehen. Das damals gedruckte [237] Textbuch, von dem Wieland ein 1774 verbranntes Exemplar noch vorlag, als er 1773 im Deutschen Merkur „Ueber einige ältere deutsche Singspiele, die den Nahmen Alceste führen“ berichtete, scheint nicht mehr vorhanden zu sein. Doch geben Wieland’s ausführliche Auszüge die volle Gewißheit, daß Th. wesentlich des Italieners Aurelio Aureli Drama per Musica L’Antigona delusa d’Alceste übersetzt hat, dasselbe Werk, das auch Händel, nur mit ungleich größerer Freiheit und sichrerem Kunstverstande seiner „Alceste“ zu Grunde legte. Thymich’s Sprache ist breiter und geschmackloser als die Aureli’s, mit schwülstigen Bildern („Admetus stirbet und verdirbt wie die verwelkten Amaranthen“, „Wählet sich mein treues Herz die pechschwarzen Todesketten“ u. s. w.) noch reicher ausstaffirt als die Verse des Italieners; dafür läßt Th. Andres fort, freilich viel zu schüchtern, so z. B. die Zweideutigkeiten Lillos über den sposo impotente Admet. Nicht, weil ihm die Komik an sich widerstrebte! Sind auch die satirisch-scherzhaften Anspielungen auf die Leipziger Gesellschaft, die Wieland zu wittern glaubte, lediglich aus dem Original übertragen, so hat doch Th. selbstthätig den Schluß durch unschickliche Späße verunstaltet, die Aureli, sonst den Clownscenen auch nur allzu günstig, mit richtigem Gefühle an dieser Stelle meidet. Aber das sind nur Kleinigkeiten: im wesentlichen ist Th. Uebersetzer und nichts weiter. Ob er in anderen Opern selbständiger war, kann ich nicht beurtheilen, da ich keine weiteren Dichtungen von ihm kenne: möglich, daß sich in den musikalischen Handschriften seiner Leibcomponisten, Nikol. Adam Strunck und Johann Philipp (von) Krieger der eine oder andere Thymich’sche Text noch findet. Ueber der Oper „Camilla, Königin der Volsker“ (1694 in Weißenfels aufgeführt, wol in einer Composition Krieger’s) starb Th. Zu dem Weißenfelser Hoftheater hatte er besonders enge Beziehungen: möglich, daß er schon zu Krieger’s Opern Die glückselige Verbindung des Zephyrs mit der Flora (1687), Cecrops mit seinen dreyen Töchtern (1688), Die ausgesöhnte Eifersucht, oder Cephalus und Procris (1689) die Texte geschrieben hat, worauf eine Bemerkung Neumeister’s hindeuten könnte; möglich ferner, daß die in Weißenfels aufgeführten Opern: Die befreyte Andromeda, Die nach dem Tode lebende Tugend oder der vergötterte Herkules (1692), Der sich selbst bezwingende Alexander (1693), die im Stoffe zu Opern Aureli’s stimmen, gleichfalls durch Th. aus dem Italienischen übersetzt waren. Sicheres vermag ich nach dem mir bisher zugänglichen Material nicht zu sagen. Neumeister rühmt an Th. besonders die facilitas und suavitas der Diction, ein Urtheil, dem wir nicht beistimmen können, und beklagt schon 1695, daß seine Dichtungen nicht gesammelt und herausgegeben seien; er scheint besonders auf die komische Muse Thymich’s Werth zu legen, und allerdings lassen auch die von Wieland ausgehobenen Proben seine platten Späße erträglicher erscheinen als seinen geschraubten Bombast.

Erdm. Neumeister, Specimen dissertationis historico-criticae de poetis Germanicis huius seculi praecipuis (zuerst 1695), p. 105 der Ausgabe Leipz. 1706. – Wieland, Sämmtliche Werke, Bd. 26 (Leipz. 1796), S. 271–300. – Schletterer, Das deutsche Singspiel (Augsb. 1863), S. 219–222. – Rich. Sachse, Jakob Thomasius, Rektor der Thomasschule (Progr. von 1894. Nr. 543), S. 30 f. – Mittheilungen der Herren Prof. Elster in Leipzig, Rector Prof. Jungmann in Leipzig und Kirchner Rautenstrauch in Großenhain.