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ADB:Unger, Karoline

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Artikel „Unger, Karoline“ von Heinrich Welti in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 39 (1895), S. 296–298, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Unger,_Karoline&oldid=- (Version vom 26. November 2024, 16:14 Uhr UTC)
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Unger: Karoline U. (italianisirt Carlotta Ungher), die hochgefeierte Bühnensängerin aus der Glanzzeit des Rossini-Donizetti’schen Opernstiles, wurde am 28. October 1805 (nach anderen Quellen 1803) zu Wien geboren. Ihr Vater, Johann Karl U., ein wissenschaftlich gebildeter, vielfach litterarisch thätiger Mann, der am geistigen Leben Wiens regen Antheil hatte, ließ ihr eine sorgfältige Erziehung angedeihen und lenkte die Thätigkeit des reichbegabten Mädchens von früh an auf die Musik. Unter ihren ersten Gesangsmeistern werden Mozart’s Schwägerin Aloysia Lange und der durch seine Freundschaft mit Schubert bekannte Bariton Vogl genannt; die letzte Feilung gab später ihrer Gesangskunst der berühmte Domenico Ronconi (1772–1839) zu Mailand. Den ersten Schritt [297] vor die Oeffentlichkeit machte Karoline, nachdem sie bereits in Privatkreisen und beim Kirchendienste ihre Kräfte versucht hatte, ums Jahr 1820 im Concertsaal. Der Erfolg veranlaßte die Leitung der Wiener Hofoper das stimmbegabte und durch seine musikalische Sicherheit sich auszeichnende Mädchen für diese Bühne zu verpflichten. Im Januar 1821 meldete die Wiener allgemeine musikalische Zeitung das Engagement und am 24. Februar 1821 trat Karoline als Dorabella in Mozart’s „Mädchentreue“ ihre Stellung an. Nach diesem infolge allzu großer Befangenheit nicht eben glücklichen Debut blieb die U. durch fünf Jahre Mitglied der Wiener Oper, langsam aber stetig zur Künstlerin sich entwickelnd. Von großer Förderung für ihr rastloses Streben war dabei das gemeinsame Wirken mit den ersten italienischen Gesangskünstlern, die sich damals jedes Frühjahr in Wien zu einer „Stagione“ zusammenfanden. In Teresa Fodor und Henriette Sontag, mit denen sie in Rossini’schen und Auber’schen Opern (Otello, Barbier, Der Schnee) auftrat, lernte sie große Vorbilder des Bel canto kennen und eiferte ihnen so glücklich nach, daß im Frühjahr 1825 der Opernpächter Barbaja es wagen konnte, sie für die Oper in Neapel zu verpflichten. Von dieser Zeit an war K. U., die am 7. Mai 1824 noch die Ehre erfahren hatte, bei der ersten Aufführung der neunten Symphonie mitzuwirken und damals den guten Einfall hatte, den tauben Beethoven durch eine energische Wendung auf die beifallklatschenden Hörer aufmerksam zu machen, für die deutsche Opernkunst verloren. Italien wurde nun ganz und gar ihr künstlerisches Vaterland und erst am Schlusse ihrer glänzenden Laufbahn, die die Entwicklung der italienischen Oper von Rossini zu Bellini und Donizetti begleitet, kehrte sie zu kurzen Gastspielen nach Wien und Deutschland zurück. Nachdem sie drei Spielzeiten (1825, 1826, 1827) in Neapel gewirkt und dort neben einer Tofi, Grisi, Lalande, Pasta sich ehrenvoll behauptet hatte, begann sie vom Jahre 1828 ab ein wahres künstlerisches Wanderleben, das sie mit wechselndem Glück auf alle größern Bühnen Italiens führte. 1828 finden wir sie in Mailand, 1829 in Mailand und Turin, 1830 in Rom und Turin, 1831 in Triest und Bologna, 1832 in Rom, Bologna und Padua, 1832/33 in Florenz, Bologna und Turin. Im J. 1833 betrat sie mit Rubini auch die Bühne der italienischen Oper zu Paris, wo sie gefiel, aber doch keinen durchschlagenden Erfolg erringen konnte. Sie kehrte daher nach der apenninischen Halbinsel zurück. 1834/85 treffen wie sie in Neapel, Florenz und Rom, 1835/36 in Neapel, Palermo, Venedig, 1836/37 in Palermo, Rom, Reggio und Modena, 1838 in Venedig, Florenz und Mittelitalien. Im ganzen gleichen diese Wanderfahrten einem Triumphzuge, wenn auch zeitweise ihr Ruhm und Ansehen von dem Glanze anderer Gesangssterne, namentlich der Malibran, verdunkelt wurde. Besondere Auszeichnung erfuhr K. U. im J. 1837 zu Reggio, wo ihr zu Ehren eine goldene Medaille geschlagen wurde, die ihr Bild, ihren Namen und die Worte „musicis modis summa gestu major“ trug. Das mit dieser Inschrift ausgesprochene Urtheil wird bestätigt durch einen Ausspruch Rossini’s, der der U. eine eherne Lunge, eine silberne Stimme und ein goldenes Talent nachrühmte. Die italienische Bühne jener Zeit hatte wol schon schönere Stimmen besessen, aber sie verehrte in K. U. eine ihrer gewaltigsten dramatischen Sängerinnen. „Es rollt wirklich tragisches Blut in den Adern dieses Weibes. Sie ließ in ihrem Gesange ein singendes Gewitter von Leidenschaft auf mein Herz los.“ Also urtheilte im Juni 1839, als Karoline eben ein vom stürmischsten Erfolge begleitetes Gastspiel in Wien beendet hatte, der Dichter Nikolaus Lenau. Er hatte die „herrliche Künstlerin“ kennen, bewundern, verehren gelernt und weihte ihr eine tiefe, leidenschaftliche Liebe. Karoline erwiderte seine Empfindungen und im Sommer 1839 verlobten sich beide zu Ischl. Mißverständnisse und der Einspruch einer ältern Freundin Lenau’s lösten indessen [298] den Bund bald. K. U. heirathete im J. 1840 den ebenso reichen als feingebildeten François Sabbatier, der im J. 1893, kurz vor seinem Tode, noch mit einer französischen Uebersetzung des Goethe’schen Faust hervortrat. Diese Heirath und das durch Krankheit verursachte sichtliche Schwinden ihrer Stimmmittel bewogen die U. ein Jahr später, die Bühne gänzlich zu verlassen. Am 5. September 1841 nahm sie zu Dresden in der Rolle der Antonina in Donizetti’s „Belisario“ Abschied vom Theater, wobei die große Schroeder-Devrient ihr den letzten, wohlverdienten Lorbeer reichte. Ihre Sopranstimme entfaltete in der Mittellage den meisten Reiz. Ihre besten und berühmtesten Rollen waren: Donizetti’s „Parisina“, „Anna Bolena“, „Lucia“, „Lucrezia“, „Antonina“, Bellini’s „Norma“, „Straniera“, „Beatrice di Tenda“, aber auch als Rossini’s „Rosina“ und Paisiello’s „serva padrona“ hat sie Siege gefeiert. Karoline U.-Sabbatier starb in ihrer Villa „La Concezione“ bei Florenz am 23. März 1877.

Vgl. Wurzbach XLIX, 66–70. – Allg. musical. Ztg., Bd. 23 (Jahrg. 1821) bis 43 (Jahrg. 1841). – Signale f. d. Musikal. Welt (Jahrg. 1877).