ADB:Velhagen, August

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Artikel „Velhagen und Klasing“ von Karl Friedrich Pfau in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 55 (1910), S. 638–641, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Velhagen,_August&oldid=- (Version vom 19. März 2024, 11:15 Uhr UTC)
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Velhagen und Klasing *), Buchhändlerfirma, deren Begründer wir biographisch zusammenfassen.

August V. war am 4. October 1809 in Quernheim unweit Bielefeld als Sohn des Stiftamtmanns V. geboren; er besuchte das Bielefelder Gymnasium, absolvirte sein Militärjahr und trat 1829 in das Verlagshaus von J. D. Sauerländer in Frankfurt a. M. als Lehrling ein, um daselbst den Buchhandel zu erlernen. Nach Beendigung der Lehrzeit faßte der kaum zweiundzwanzigjährige junge Mann den kühnen Entschluß, sich selbständig zu machen und entschied sich für das damals so kleine Bielefeld, das dadurch eine zweite Buchhandlung gewann. Der Anfang des neubegründeten Geschäftes bewegte sich in den engsten Grenzen, denn weder der Ort, noch Velhagen’s bescheidene Capitalien gestatteten eine größere Entfaltung. Dank eisernem Fleiß und genauer Platzkenntniß gedieh das Unternehmen dennoch in erfreulicher Weise. Freundschaftliche Beziehungen zu seinem einstigen Mitschüler veranlaßten ihn, diesen zum Eintritt in sein Geschäft zu bewegen, und von da an, 12. August 1835, änderte sich die bisherige Firma in „Velhagen und Klasing“, unter welchem Namen sie alsbald einem größeren Aufschwunge entgegengeführt werden sollte, und unter dem sie noch gegenwärtig als eine der ersten Verlagsfirmen Deutschlands besteht.

August Kl. entstammte einer bemittelten Handwerkerfamilie. Geboren [639] am 8. October 1809 zu Bielefeld; hatte er ebenfalls das dortige Gymnasium besucht und mit dem gleichaltrigen August V. den Bund dauernder Freundschaft geschlossen. Er wandte sich gleichfalls dem Buchhandel zu, den er in vierjähriger Lehrzeit (1825–29) bei Wilhelm Starcke in Chemnitz erlernte, einem kleinen und in alternden Formen geführten Geschäft. Sodann versuchte er sich als Gehülfe bei Joh. Ambrosius Barth in Leipzig, bei C. G. Kunze in Mainz und schließlich bei A. Marcus in Bonn. Im Begriff, sich auf eigene Füße zu stellen, wobei er anfangs an Münster dachte, ließ er sich vielmehr durch das freundliche Entgegenkommen seines ehemaligen Mitschülers August Velhagen bestimmen, als dessen Gesellschafter in die erweiterte Bielefelder Firma einzutreten.

Von Anfang an gedachten die jugendlichen Genossen sich nicht auf das Sortiment zu beschränken, das auch bei sorgfältigster Pflege doch nur eine langsame Entwicklung versprach, vielmehr stand ihr Sinn auf ein Verlagsgeschäft; ein Theil des zu Gebote stehenden Capitals ward daher alsbald zur Anschaffung einer neuen Druckerei verwandt. Namentlich war es ein Unternehmen, auf das man große Hoffnungen setzte: das Sammelwerk „Musée français“, unter Redaction des mit überaus hohem Honorar gewonnenen, aber mit sicherem Takt herausgegriffenen Jenaischen Professors O. L. B. Wolff (s. A. D. B. XLIV, 9 ff.). Dies erste Unternehmen schlug mit einem, die Erwartung noch übersteigenden Erfolge ein, der die junge Verlagshandlung sogleich mit den entlegensten Theilen des deutschen Buchhandels in Verbindung und deren Inhaber in die erfreuliche Lage setzte, schon 1837 die Leipziger Ostermesse persönlich und wohllegitimirt besuchen zu können. Nichtsdestoweniger kamen noch schwere Zeiten, zumal nachdem sich zuerst August V. (1839) und dann August K. (1840) entschloß, eine Familie zu gründen, so daß sie eine Zeitlang (seit 1840) durch Uebernahme einer Hauptagentur der Feuerversicherung „Colonia“, der sich später noch zwei andere Agenturen zugesellten, einen Nebenverdienst zu suchen genöthigt waren. Mittlerweile war dem „Musée français“ 1839 das „Théâtre français publié par C. Schütz“ gefolgt, das auf großen Absatz bei geringem Preise berechnet war und in der That als Hülfsmittel beim Sprachunterricht auf deutschen Schulen in einer langen Reihe von Serien und Heften sich nützlich erwiesen hat. Einen höheren Flug nahm der Verlag sodann seit 1844 mit der im protestantischen Deutschland viel gebrauchten, von Stier und Theile herausgegebenen Polyglottenbibel, die 1855 vollendet ward und in den folgenden Jahrzehnten wiederholte Auflagen erlebte. Daran schloß sich, ebenfalls aus der selbständigen Initiative der Verleger hervorgegangen, ein zweites Hauptwerk: Lange’s „Theologisch-homiletisches Bibelwerk“, das 1856 begonnen und 1877 vollendet wurde; zu geschweigen kleinerer Bücher aus den Gebieten der Theologie und der Schullitteratur, auf deren Dienst sich die Firma bis in die sechziger Jahre vorzugsweise beschränkte.

Eine neue Bahn betraten V. und K., als sie sich nach längerem Bedenken zum Verlage der illustrirten Wochenschrift „Daheim“ entschlossen. Die Anregung dazu ging von einem kleinen Kreise rheinischer und westfälischer Männer aus, die dem Strome von theils negativen, theils dem Geschmack der großen Menge unterschiedslos huldigenden Unterhaltungsblättern eine Zeitschrift an die Seite zu setzen wünschten, welche auf der Grundlage christlicher Weltanschauung die deutsche Familie ins Auge faßte, während sie im übrigen mit allen Mitteln der litterarischen Cultur und Kunst der Gegenwart ihre Aufgabe anmuthiger und anregender Befriedigung des Bedürfnisses nach unterhaltender Lectüre zu erfüllen suchte. Bald vereinigten sich Männer aller [640] Parteischattirungen – die entschieden negativen ausgenommen – in diesem Interesse, auch die von der Firma gestellte Bedingung eines finanziellen Rückhalts wurde erfüllt, und Michaelis 1864 – zu günstiger Stunde, da die „Gartenlaube“ sich kurz vorher ein Verbot im preußischen Staate zugezogen hatte – erschien das neue Wochenblatt, auf dessen sinn- und geschmackvolle Ausstattung insbesondere August Kl. regelmäßig die größte Sorgfalt verwendete. Das „Daheim“ hat von vornherein eine ungewöhnlich rasche und große Verbreitung, aber auch eine große Anfeindung gefunden. Letztere hat indessen bald einer achtungsvollen Aufmerksamkeit Platz gemacht. Seit 1872 erschien alljährlich als zierliche Nebenfrucht der „Daheimkalender“, während das Bielefelder Haus, das sich 1864 eine Leipziger Niederlassung errichtet hatte, einen seit 1875 in 250 000 Exemplaren verbreiteten billigen Volkskalender „Der Reichsbote“ herausgab. Als höhere belletristische Zeitschrift traten später (seit 1886) „Velhagen und Klasing’s Monatshefte“ zur Seite, an Vielseitigkeit des Inhalts und Eleganz künstlerischer Zuthat dem vorgeschrittenen Zeitgeschmack entsprechend.

Im Herbst 1864, gleichzeitig mit dem „Daheim“, erschien als erster Buchverlagsartikel der Leipziger Niederlassung „Der Maler auf dem Kriegsfelde“, die Erlebnisse des Düsseldorfer Malers Camphausen im schleswig-holsteinischen Kriege darstellend. Dieses Werkchen, welches fast ohne Zuthun der Firma in seltener Vollendung dem Augenblick entsprang, sollte für einen Theil ihrer späteren Verlagsthätigkeit vorbildlich werden. Ihm folgten die Hiltl’schen Kriegsbücher von 1866 und 1870/71, das Hesekiel’sche Bismarckbuch, dem die Welt die Kenntniß der prächtigen Bismarckbriefe verdankt, das Flottenbuch von Werner u. a. m. Aus einer Art buchhändlerischer Verlegerliebhaberei, der übrigens auch ein befriedigendes Endergebniß nicht gefehlt hat, gingen sodann die Liebhaberausgaben (die „Ausgaben der Bücherfreunde“ in 8° und die „Ausgabe der Cabinetsstücke“ in 16°) hervor, welche im Jahre 1875 zu erscheinen anfingen. Sie waren angeregt durch Eindrücke, gewonnen auf der historischen Ostermeßausstellung im Jubiläumsjahr 1875, und haben nicht unwesentlich zur Reform des Geschmacks im Bücherwesen beigetragen. Mit der Litteraturgeschichte von Koenig endlich, deren erste Auflage 1877/78 erschien, betrat der Verlag einen neuen Weg illustrativer Ausstattung, indem er an Stelle der bisher für diese Werke ausschließlich verwandten decorativen und erfundenen Illustrationen solche von sachlich historischer Authenticität einführte. Der durchschlagende Erfolg (es liegt von dem Werke jetzt die 32. Auflage vor) bewies, daß hier ein entschiedenes Bedürfniß richtig erkannt und befriedigt wurde. Die zahlreiche Nachfolge, die diese Illustrationsweise gefunden hat, wodurch die früheren imaginären Bilder fast ganz verdrängt sind, läßt schließen, daß dies Bedürfniß kein vorübergehendes ist, sondern mit ständigen Richtungen unserer Zeit, dem Wunsch nach historischer Echtheit und voller Anschaulichkeit zusammenhängt. Weitere Schritte auf dieser Bahn waren Stacke’s Deutsche Geschichte, die Weltgeschichte von Oscar Jäger in 4 Bänden, Knackfuß’ Deutsche Kunstgeschichte u. s. w. Auch auf dem Gebiete der Schulbuchlitteratur suchte die Firma die Holzschnittillustration als wichtiges Hülfsmittel für den Anschauungsunterricht nutzbar zu machen. Daneben begann sie im J. 1873 die Neuherausgabe des weitverbreiteten „Théâtre français“, welchem sich 1889 das umfangreiche Unternehmen „Sammlung französischer und englischer Schriftsteller“ zugesellte.

Ein neues Gebiet ihrer Verlagsthätigkeit betraten V. und K. im Jahre 1873 durch Errichtung ihrer in Leipzig domicilirten geographischen Anstalt unter der wissenschaftlichen Leitung des Dr. Richard Andree, die sich den [641] Atlantenverlag zur Specialität erwählte und mit den kleineren Schulatlanten: Andree’s Volksschul-Atlas, Putzger’s historischem Atlas, Andree-Putzger’s Gymnasial-Atlas begann, zu welchem alsdann die größeren Kartenwerke: Andree-Peschel’s physikalischer Atlas von Deutschland, Andree’s Hand-Atlas, Droysen’s historischer Atlas hinzukamen. Unter diesen hatte namentlich der große Andree’sche Handatlas jahrelange Vorarbeiten und sehr bedeutende Auslagen erfordert, die nur durch einen ungewöhnlichen Absatz eingebracht werden konnten. Um diesen herbeizuführen, entschlossen sich die Geschäftsinhaber zu einem Preisansatz, wie er bis jetzt noch von keinem Verleger weder des In- noch des Auslandes für ein Werk dieses Umfanges und dieser Qualität gewagt worden war. Der Erfolg überstieg jede Erwartung und darf zu den seltenen im deutschen Buchhandel gezählt werden. 1882 erwarb die Firma das Verlagsgeschäft von Ad. Stubenrauch in Berlin. Dasselbe besteht aus einem umfangreichen und weit verbreiteten Schulbücherverlage und wird unter der Firma „Stubenrauch’sche Buchhandlung in Berlin“ in eigener Verrechnung fortgeführt.

Die Firma V. und K., die wir hier nur durch ihre wichtigsten Unternehmungen zu charakterisiren versuchten, sah dergestalt noch bei Lebzeiten ihrer Begründer deren Aussaat zu reicher Ernte heranreifen. August V. starb am 22. September 1891, am 5. August 1897 folgte ihm August K. in Bielefeld im Tode nach. Schon vorher war auch dessen Sohn Otto K. (geboren am 19. August 1841, † am 11. Mai 1888) seinem Wirkungskreise entrissen worden, der als genial begabter Geschäftsmann die bedeutsamen Verlagsunternehmungen der neueren Geschäftsperiode in glänzender Weise zu fördern verstand und insbesondere die oben erwähnte Methode historischer Illustrirung statt der bisherigen rein ornamentalen zuerst durchführte. Gegenwärtig unterliegt die Leitung des großen, Sortiment, Verlag, Buchdruckerei und geographische Anstalt umfassenden Hauses den Söhnen und Enkeln der Begründer.


[638] *) Zu Bd. LIV, S. 741.