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ADB:Vulpius, Christian August

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Artikel „Vulpius, Christian August“ von Max Mendheim in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 379–381, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Vulpius,_Christian_August&oldid=- (Version vom 25. November 2024, 04:04 Uhr UTC)
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Vulpius: Christian August V., Schriftsteller und Dichter, war das älteste Kind des damaligen fürstlich sächsischen Amtscopisten, späteren Amts I archivars Johann Friedrich V., der seit dem 13. November 1760 mit Christiane Margarethe Riehl, der ältesten Tochter des „vornehmen Bürgers und Manufakturverlegers“ Johann Philipp Riehl in Weimar, vermählt war. Christian August wurde, nach der Angabe des Weimarer Taufprotokolls, am 23. Januar (nach seiner eigenen Angabe am 22. Januar) 1762 geboren. Da der Vater bei der bald zahlreicher werdenden Familie auf die Erziehung der einzelnen Kinder keine besondere [380] Sorgfalt verwenden konnte, so blieb der Knabe sich mehr selbst überlassen, fand Gelegenheit vieles zu beobachten und darüber zu reflectiren und fertigte schon früh kleine Gedichte, Beschreibungen und poetische Erzählungen. Er besuchte dann mit gutem Erfolge das Weimarische Gymnasium und bezog darauf die Universität zu Jena, später die zu Erlangen, um die Rechte zu studiren, beschäftigte sich aber mehr mit den schönen Wissenschaften, der Geschichte und ihren Hülfswissenschaften und sah sich, da der Vater nur wenig an ihn wenden konnte, bald auch genöthigt, selbst schriftstellerisch hervorzutreten, wenn es ihm, wie Goethe schreibt, auch oft sauer genug wurde, „auf eine solche Weise sich und einige Geschwister zu unterhalten“. Bei diesem äußeren Drange ist es kein Wunder, daß er möglichst viel und natürlich auch gangbare Sachen, dem Geschmacke eines größeren Leserkreises entsprechend, zu produciren suchte. Die Modeliebhaberei des Publicums führte ihn daher bald (schon 1784) zur Nachahmung der Ritter- und Abenteurerromane. Schon damals nahm sich Goethe gelegentlich seiner an, aber während dessen Abwesenheit in Italien „verlor er jede Unterstützung“ und „ward Sekretär bei einem Kreisgesandten von Soden in Nürnberg, der ihn als ein echter Geizhals behandelte und ihm nun den Abschied giebt, weil ein andrer für weniger Geld noch mehr Arbeit im Hause übernehmen will … Er hat eine gute Bildung, und aus seinen Handlungen und Aeußerungen schließe ich auf ein gutes Gemüth“. So schreibt Goethe am 9. September 1788 an F. H. Jacobi, dem er V. als Secretär und zum Unterricht seiner Kinder empfehlen wollte, als sich dieser im Sommer durch eine Bittschrift von neuem an Goethe gewandt hatte. Nach mehrfachen vergeblichen Versuchen Goethe’s, den Bruder seiner Christiane irgendwo unterzubringen, nahm sich endlich im Herbst 1789 der Buchhändler G. J. Göschen in Leipzig seiner an, wohin V., der sich seit dem Herbst 1788 bis etwa Mitte April 1789 in Erlangen und dann vorübergehend in Weimar aufgehalten hatte, nun übersiedelte und sowol hier wie dann wieder in Weimar, wo er schon von Bellomo und später von Goethe bis 1805 als Operntextdichter und -Bearbeiter am Theater beschäftigt wurde, eine fruchtbare, schriftstellerische Thätigkeit entfaltete. Sein Feld war und blieb auch jetzt in der Hauptsache noch immer der mit Sentimentalitäten und Frivolitäten erfüllte Abenteurerroman; gleichzeitig schrieb er eine Anzahl auf derselben Stufe stehender Opern und Operetten, Trauer- und Lustspiele. 1797 zum Registrator an der Bibliothek in Weimar ernannt, fand er nun reiche Gelegenheit, seine früheren culturgeschichtlichen Studien fortzusetzen und zu verwerthen. Nachdem er 1800 zum Bibliotheksectetär erhoben worden war, vermählte sich V. 1801 mit der Tochter des herzogl. meiningischen Raths Deahna, Helene, die ihm in der Folge zwei Söhne schenkte. Im J. 1803 ernannte ihn die Universität Jena zum Dr. philos., 1805 wurde er zum Bibliothekar und Münzinspector, 1816 zum großherzogl. Rath und Ritter des weißen Falkenordens ernannt. 1824 von einem Schlagflusse gerührt, konnte V. seine Amtsgeschäfte nur noch schwer fortsetzen; er trat in den Ruhestand und starb, nachdem sich der Schlagfluß im Februar 1827 wiederholt hatte, am 25. Juni 1827 in Weimar.

Berühmt geworden ist V. fast allein durch seinen Roman „Rinaldo Rinaldini, der Räuberhauptmann, eine romantische Geschichte unseres Jahrhunderts“ (zuerst Leipzig 1798 in 3 Bänden erschienen), der bald mehrere Auflagen und zahlreiche, theils von V. selbst, theils von anderen besorgte Fortsetzungen und Nachahmungen erlebte. Neu war in diesem Romane eigentlich nur der romantische, als eigentliche Heimath der Räuber und galanten Abenteurer geltende Schauplatz der Handlung: Italien und Sicilien; alles übrige war dem bekannten Geschmacke seiner Leserkreise hier, wie schon in den früheren Werken mit Geschick und Gewandtheit angepaßt: das Walten geheimnißvoll wirkender, mächtiger Persönlichkeiten (wie der Alte von Fronteja), die Hereinziehung politischer Begebenheiten, die Wichtigthuerei [381] mit machtvollen Geheimbünden, die Person des Helden, eines liederlichen, wie Karl Moor (manche Scenen und Gespräche erinnern geradezu an Schiller’s Räuber) bald sentimental schwärmenden, bald edel, bald verbrecherisch handelnden Charakters, der, unbeschränkt in gefühlvollen und pikanten Liebeshändeln, immer der auserwählte Liebling der Frauen, von einem gefährlichen oder galanten Abenteuer ins andere mehr getrieben wird als selbst treibt. Und doch bei alledem keine wirklich poetische, romantische Schilderung, kein höherer Schwung, keine lebendige, fortreißende Darstellung! Wie in den früheren Romanen Vulpius’ wechselt auch in Rinaldini der Dialog mit der einfachen Erzählung, aber immer ist der Ton ziemlich trocken und eintönig, fast wie bei einer kargen Berichterstattung über wirkliche Begebenheiten, was bei den zahlreichen groben Unwahrscheinlichkeiten, besonders im Rinaldini, – die freilich dem Ungebildeten grade am interessantesten sein mochten, – um so befremdender wirkt. Dem Zeitgeschmack entsprechend war auch das Einstreuen von Liedern in den Prosatext, von denen sein Räuberlied „In des Waldes finstern Gründen“ am bekanntesten geworden ist. Schwungvoller aber und gefälliger ist erst die im Stile der Romantiker geschriebene Erzählung „Hulda, die Saalnixe“ (1804), nach einer thüringischen Fabel. Aber auch hier fehlt wie in den übrigen Romanen und Dramen nicht das stets mit sichtlichem Gefallen hervorgekehrte Pikante und Frivole, das zuweilen (so besonders in den „Portugiesen in Indien“, die 1793 erschienen) mit gradezu leidenschaftlicher Sinnlichkeit behandelt wird.

Später, als Bibliothekar, hat V. sich an der Hand der ihm nun reichlich zu Gebote stehenden Bibliothekschätze, mehr der Sagen- und Alterthumsforschung zugewendet. Das bedeutendste auf diesem Gebiete lieferte er in seinen von fleißigem Sammeleifer zeugenden, interessanten und dauernd werthvollen „Curiositäten der physisch-litterarisch-artistisch-historischen Vor- und Mitwelt“ (10 Bände, Weimar 1811–1823). Sein „Handwörterbuch der Mythologie der deutschen Völker“ (Leipzig 1826) ist eine für die damalige Zeit gute, brauchbare und genügend vollständige Zusammenstellung alles auf diesem Gebiete Wissenswerthen.

Eine übersichtliche Aufzählung von Vulpius’ Schriften bietet Goedeke’s Grundr., 2. Aufl., V, 511–14. Außer der dort angeführten Litteratur über V. sind noch zu vergleichen Bd. 8, 9, 11 u. 12 der Briefe Goethe’s (i. d. Weimarer Ausg.), Pasqué, Goethes Theaterleitung in Weimar (Lpz. 1863) II, 89–98, und Müller-Fraureuth, Die Ritter- und Räuberromane (Halle 1894).