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ADB:Walz, Ernst Christian

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Artikel „Walz, Ernst Christian Friedrich“ von Wilhelm Schmid in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 41 (1896), S. 127–129, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Walz,_Ernst_Christian&oldid=- (Version vom 18. November 2024, 09:32 Uhr UTC)
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Walz: Ernst Christian Friedrich W. ist geboren am 28. Februar 1802 in Münklingen (württembergischen Oberamtes Leonberg), wo sein Vater David Friedrich W. Pfarrer war. Nach Bestehung des Landexamens, auf welches er in der Lateinschule zu Nürtingen vorbereitet worden war, gehörte er als Zögling den niederen theologischen Seminarien Schönthal und Maulbronn 1815 bis 1819 an; darauf widmete er sich 1819 bis 1823 im Tübinger Stift dem Studium der Theologie, nach dessen Beendigung er mit einem theologischen Preis ausgezeichnet wurde. Nachdem er dann vier Jahre im Lehramt als Repetent (1823–25 an dem niederen Seminar in Urach, 1825–27 am Stift in Tübingen) verwendet gewesen war, trat er im Juli 1827 eine über drei Jahre dauernde Reise an, deren Kosten (5000 fl.) er selbst bestritt. Diese Reise ist für seine wissenschaftliche Richtung bestimmend geworden; denn die von ihm späterhin vertretene Verbindung der philologischen Studien mit den archäologischen und die Lostrennung beider von Theologie und Philosophie war in dem damaligen Württemberg, noch lange nach Friedr. Aug. Wolf’s Tod, etwas Neues. Durch Forschungen in den Bibliotheken (für welche ihm Wilh. Bardili[WS 1] wichtige Fingerzeige gegeben hatte) und Kunstsammlungen Deutschlands, Italiens und Frankreichs bereitete er sich auf das akademische Lehramt vor, in welchem er, October 1830 zurückgekehrt und wieder Repetent am Tübinger Stift geworden, mit einer privaten Vorlesung über Aristophanes im Wintersemester 1830–31 den ersten Versuch machte. Wichtiger ist, daß er im Sommersemester 1831 ein neues Fach in den Lectionskatalog der Tübinger Universität einführte, indem er als Erster eine zweistündige öffentliche Vorlesung über Kunstgeschichte hielt, welche von 42 Studirenden gehört wurde. In den folgenden Jahren gelang es ihm allmählich, sich neben Tafel, dem seit Conz’ Tod einzigen Lehrer der Alterthumswissenschaft in Tübingen, eine Stellung zu erringen: 1832 wurde er außerordentlicher Professor, 1834 erhielt er, nachdem er schon 1833 zum correspondirenden Mitglied des deutschen archäologischen Instituts in Rom ernannt worden war und 1834 einen Ruf nach Dorpat auf die Professur der Beredsamkeit, Aesthetik und Geschichte abgelehnt hatte, Titel und Rang eines ordentlichen Professors; in demselben Jahr wurde ihm zunächst unter Oberleitung Tafel’s die Aufsicht über das noch sehr spärliche Münz- und Antikencabinet im nordöstlichen Thurm des Tübinger Schlosses (vgl. Ludw. Schwabe, Gesch. der archäol. Sammlung der Universität Tübingen. Tüb. Doktorenverzeichniß 1891), über welches er in den Jahrbüchern der Alterthumsfreunde im Rheinland 1846 Bericht erstattet hat, anvertraut und eine Summe von 2000 fl. zur Gründung einer Sammlung von Gipsabgüssen für Unterrichtszwecke in den Räumen der Universitätsbibliothek zur Verfügung gestellt. Selbständiger Leiter der Sammlung wurde er erst nach Tafel’s Rücktritt 1842. Durch den Jahresetat von nur 100, seit 1840 wenigstens 150 fl. und die Bestimmung, daß vorwiegend Alterthumsfunde aus der Umgebung Tübingens erworben werden sollten, waren der Ausdehnung des Antikencabinets freilich enge Grenzen gezogen. – In die Zeit von 1831–39 fällt Walz’ fruchtbarste wissenschaftliche Thätigkeit: vor seiner Reise hatte er nur eine Uebersetzung von Xenophon’s Cyropädie (1827) veröffentlicht; nun verarbeitete er die Früchte der Reise: seine „Epistola critica ad J. F. Boissonade“[WS 2] (1831) enthält einige Beiträge zur griech. Paläographie und der Kritik der griech. Rhetoren; 1832 erschien seine Ausgabe des Violetum von Arsenius, welcher eine von ihm 1828 in Dresden copirte Abschrift eines Moskauer Manuscriptes von Matthäi zur Grundlage diente; von 1832–1836 in neun Bänden seine wichtigste Leistung, die Ausgabe der seit Aldus’ unvollständiger Sammlung (1508) nicht mehr, theilweise überhaupt noch nicht im Druck veröffentlichten Rhetores Graeci nach Handschriften in München, Wien, Mailand, [128] Venedig, Turin, Florenz, Rom, Neapel und Paris; 1837–39 die mit dem Kasseler Bibliothekar Schubart[WS 3] zusammen ausgearbeitete durch ihren Apparat noch jetzt brauchbare kritische Ausgabe des Pausanias. Auch den Kreis von Vorlesungen, über welchen er nach 1840 selten hinausgegangen ist, hat er in dieser Zeit angelegt: am häufigsten las er Geschichte der alten Kunst und Archäologie, daneben an systematischen Vorlesungen während dieser Periode nur Encyklopädie und Methodologie der Philologie, römische Alterthümer und einmal (1835–36) griech. und röm. Numismatik; außerdem interpretirte er in besonderen Vorlesungen meist die griechischen Dramatiker und den Miles des Plautus, von Prosaikern öfter Platon’s Symposion und Aristoteles’ Poëtik, von Lateinern außer Plautus noch Terenz und Horaz, wozu Interpretationsübungen in dem 1838 eröffneten philologischen Seminar kommen. – In diesen Jahren gründete W. auch seinen Hausstand: 1837 verheirathete er sich mit Anna, Tochter des Berner Hauptmanns Luthardt, nach deren frühzeitigem Tod 1839 mit der noch jetzt (1896) lebenden Marie, Tochter des Stuttgarter Obertribunalraths Feuerlein. In erster Ehe wurde ihm eine Tochter, in zweiter ein Sohn und zwei Töchter geboren.

1840 erhielt W. ein volles Ordinariat mit 1200 fl. Gehalt. Seine Inauguralrede (14. Jan. 1841) „Ueber den gegenwärtigen Stand der Alterthumswissenschaft“ zeigt mit scharfer Kritik, wie sehr im Tübinger Stift, aus welchem sich damals die humanistischen Lehrer Württembergs ausschließlich rekrutirten, der Aufschwung der philologischen Studien durch den Druck der Theologie und der Hegel’schen Philosophie gehemmt wurde. Daran hat übrigens auch Walz’ Stellung als Ephorus des Stifts (1842–49) nichts geändert: er war keine durchgreifende Natur und namentlich den disciplinaren Schwierigkeiten, welche die politische Bewegung des Jahres 1848 auch innerhalb des Stifts hervorrief, nicht gewachsen. Auch die wohlgemeinte und warme Ermahnung welche er in seiner Festrede zur Einweihung des neuen Universitätsgebäudes 1845 als Rector an die Studenten richtete, sie sollten diese Gelegenheit benutzen, um durch Ablassen vom Duellwesen allen deutschen Universitäten ein gutes Beispiel zu geben, zeugt zwar von humanem, aber, bei solchem Anlaß ins Allgemeine ausgesprochen, nicht von praktisch-pädagogischem Sinn. – Seit den vierziger Jahren hat er sich litterarisch nur noch mit Archäologie und Mythologie beschäftigt und aus diesen Gebieten auch die Gegenstände der einzigen neuen systematischen Vorlesungen genommen, welche er in den letzten zwölf Jahren seines Lebens mehrmals hielt (römische Religion und Staatsverfassung seit 1844, Religion, Mythologie und Kunst der Alten seit 1852). Auch als Besucher der Philologenversammlungen, an welchen er von der 2. bis zur 10. immer theilnahm (als Vicepräsident an der Ulmer 1842) hat er sich ausschließlich an archäologischen Discussionen, an diesen aber regelmäßig betheiligt. Später hat er nur noch der Stuttgarter Philologenversammlung 1856 als Vicepräsident angewohnt und hier bei der Gründung der archäologischen Section mitgewirkt. – Abgesehen von kleinen Aufsätzen in Zeitschriften hat er in diesen Jahren einige Programme und Festschriften verfaßt; am verdienstvollsten ist unter ihnen die Interpretation und Besprechung aller auf Bemalung der Statuen bezüglichen Stellen der alten Litteratur in der Festschrift zum 50jährigen Doctorjubiläum des Juristen E. v. Schrader („Ueber die Polychromie der antiken Skulptur“, 1853), welche in einen damals brennenden und noch jetzt nicht allseitig entschiedenen Streit erfolgreich eingriff. Als Stellensammlung noch jetzt brauchbar ist die Abhandlung „de Nemesi Graecorum“ (Tübinger Doctorenverzeichniß 1852), dagegen veraltet „de religione Romanorum antiquissima“, part. I (Festschr. z. Einweihung des Universitätsgebäudes 1845), verfehlt „turibuli [129] Assyrii descriptio“ (Festschr. der Universität Tübingen z. 4. Säcularfeier der Universität Greifswald, 1856). Endlich fällt in diese Periode seine Mitwirkung an der von Pauly begonnenen Realencyklopädie der class. Alterthumswissenschaft, deren Redaction von Bd. IV an er nach Pauly’s Tod mit dem damaligen Privatdocenten W. S. Teuffel Anfang Juni 1845 übernahm und zu welcher er eine Reihe archäologischer und kunstgeschichtlicher Artikel (verzeichnet in Bd. VI, 2 S. VII) beigesteuert hat. Schon 1847 indessen trat er wegen Kränklichkeit von der Redaction zurück, und als es vorübergehend besser mit ihm wurde (1851), war Teuffel mit dem Werk bereits allein fertig geworden. In den fünfziger Jahren wurde er noch mehrfach ausgezeichnet (Ritter des Ordens der württemb. Krone 1852, zum zweiten Male Rector der Universität 1854–55); aber körperliche Leiden und gemüthliche Verstimmungen nahmen zu, und wenige Monate nach dem Tode seines Collegen Schwegler machte er seinem Leben ein Ende (5. April 1857).

In Walz’ archäologisch-mythologischen Arbeiten steht fast immer das Interesse für den Zusammenhang zwischen griechischer und orientalischer Cultur im Vordergrund und er befaßt sich mit Problemen, deren Lösung, beim damaligen Stand der Denkmälerforschung überhaupt unmöglich, durch Creuzer’s Phantasmen noch besonders erschwert war; zwischen den Ergebnissen von Creuzer’s unkritischem Synkretismus, von welchem er wol zuerst angeregt war (s. seinen Vortrag in den Verhandlungen der 5. Philologenversammlung zu Ulm 1842), und dann von K. O. Müller’s analytischer Forschungsweise suchte er die Mitte zu halten (s. seinen archäol. Jahresbericht, Philologus I, 745 f.; Verhandlungen der 9. Philologenvers. 1849, S. 55 f.), ohne aber methodisch fördernd auf die Klärung der Grundfragen einzuwirken. – Seine Hauptverdienste liegen in seiner Thätigkeit als Herausgeber, dem von ihm ausgegangenen Anstoß zur Befreiung der philologischen Studien in Württemberg von dem theologischen und philosophischen Joch und in der Einführung des archäologischen Unterrichts in Tübingen.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. wohl Christian Wilhelm Heinrich Bardili (1789-1847), Philologe, Bibliothekar.
  2. Jean-François Boissonade de Fontarabie (* 12. August 1774 in Paris; † 8. September 1857 in Passy), französischer Klassischer Philologe.
  3. Im Original fälschlich Schubert statt Schubart.