ADB:Weißer, Karl Ludwig
Winkelmann, Meyer, Fernow u. A., besonders aber die damals neu erschienenen Kunstgeschichten von Kugler und von Schnaase; die letztere regte ihn auch zu kunstphilosophischen Studien an und führte ihn zu Kant und Hegel. Von der Lithographie, die dem nach zwei Jahren aus der Lehre freigesprochenen Jüngling genügend Brot gab, schwang er sich zum erfindenden Zeichner auf und fand in den Stuttgarter Verlagsunternehmungen von Franckh, von Becher und von Krabbe Gelegenheit zu einigem Verdienste [612] als Illustrator. Aber von allen diesen Arbeiten versah er keine mit seinem Namen oder Zeichen mit Ausnahme des im Franckh’schen Verlage herausgekommenen Almanachs „Vergißmeinnicht. Taschenbuch der Liebe, der Freundschaft und dem Familienleben des deutschen Volkes gewidmet von C. Spindler“. In dessen 4 Jahrgängen (1845–48) erwies er sich als einen vielseitigen und wohlgeschulten Künstler; aber er hatte schon zu viel Kunstgeschichte getrieben, um die Schranken seines Talentes übersehen und sich in dieser Thätigkeit ganz wohl fühlen zu können.
Weisser: Karl Ludwig W., Lithograph und Kunstgelehrter, als Pfarrerssohn geboren am 2. Juni 1823 in Unterjettingen, OA. Herrenberg, † am 26. Februar 1879 zu Stuttgart, verlor seinen Vater schon im J. 1828 und wurde von einem mütterlichen Oheim, Pfarrer Gratianus in Sondelfingen bei Reutlingen, ins Haus genommen. An einigen in dessen Studirstube aufgehängten Bildern und an ein paar illustrirten Chroniken ging dem Jungen frühe die Lust zum Sehen und bald auch zum Nachbilden auf. In Reutlingen, wohin ihn die Mutter im J. 1831 zu sich nahm, lieferten deren Bibel und die dort heimischen Volksbücher neue Anregungen; auch fand sich als Lehrer ein alter Maler, „der Fensterläden sehr gut anstrich und Bildnisse nicht ganz schlecht malte“. Zu einer eigentlichen Kunstlaufbahn fehlten die Mittel; aber der Lithograph G. Küstner, zu dem W. im J. 1837 nach Stuttgart in die Lehre kam, erlaubte ihm, den Unterricht im Figuren- und Ornamentenzeichnen in der Gewerbeschule zu besuchen. In der räumlich damit verbundenen Kunstschule durfte er auch nach der Antike und dem lebenden Modelle zeichnen. Kurzsichtigkeit veranlaßte ihn jedoch, auf den Traum seiner Kindheit, Maler zu werden, zu verzichten. Dagegen regte sich in ihm das von Vater und Mutter her ererbte Gelehrtenblut. Er las die Werke vonZunächst jedoch riß ihn die politische Aufregung des Jahres 1848 aus allem Schaffen und Studiren. Er schloß sich der demokratischen Partei in Württemberg an, zu deren Führern sein Bruder Adolf, damals Redacteur des „Beobachters“ (geb. zu Unterjettingen 1815, † zu Göppingen 1863), und seine Freunde, die Dichter Hermann Kurz und Ludwig Pfau, gehörten. Im Sommer 1849 übernahm W. für den flüchtig gewordenen Pfau die Redaction des politischen Witzblattes „Eulenspiegel“ und wurde im Frühjahr 1850 wegen eines satirischen Bildes, das er nicht gezeichnet hatte, aber als Redacteur vor dem Schwurgerichte vertrat, der Majestätsbeleidigung schuldig erklärt und zu acht Monaten Festungsarrest unter Verlust der bürgerlichen Ehren- und Dienstrechte verurtheilt. Nach Verbüßung dieser Strafe auf dem Hohenasperg nahm er seine Thätigkeit als Zeichner wieder auf und gründete im Sommer 1851 mit einer Stuttgarterin, Karoline Pfeiffer, den eigenen Herd. Mit ihrer Beihülfe begann er im J. 1854 seinen „Bilderatlas zum Studium der Weltgeschichte“, wozu er „nach den besten Darstellungen aller Zeiten“ unter starker Hereinziehung der Culturgeschichte die Zeichnungen selbst machte; eigenhändig lithographirt hat er nur 3 Tafeln. Die erste Abtheilung des 1. Bandes wurde mit Text des kunstsinnigen Stadtpfarrers (späteren Prälaten) Dr. Heinrich Merz in Hall im Jahre 1860, die zweite mit Text von Herm. Kurz im J. 1862 vollendet; der 2. Band mit Text von Merz fand im J. 1868 seinen Abschluß. Eine 2., verb. Auflage mit Text von Merz erschien im J. 1882. W. hatte sich, wie nicht zu leugnen ist, von vornherein den Plan etwas zu weit gesteckt und sich während der Arbeit gegen die Menge des andringenden Details nicht genugsam gewehrt. Aber in unzähligen Lehrer- und Schülerhänden hat das Werk doch lange Zeit seine Aufgabe erfüllt.
Inzwischen war im J. 1858 das Inspectorat der k. Kupferstichsammlung in Stuttgart aufgegangen. Mit hochherzigem Verzeihen übertrug König Wilhelm I. unserem W. als dem berufensten Bewerber die Stelle. Dieser führte mit Hülfe seiner fleißigen Gattin eine völlige Neukatalogisirung und Neuordnung der reichhaltigen Sammlung durch und ergänzte sie zugleich in sachkundiger Weise durch Neuanschaffungen. Im J. 1862 wurde ihm daneben (seit 1863 mit dem Titel eines Professors) an der Kunstschule ein Lehrauftrag für Kunstgeschichte bis zur Berufung W. Lübke’s (1866) und von da an für Kostümkunde mit kunstgeschichtlichen Excursen ertheilt. Später (1867) nahm W. auch als Mitglied des Lehrercollegiums einen hochgeschätzten Antheil an der Leitung dieser Anstalt. Durch eifrigste Studien und mehrere Reisen, wozu ihn sein Dienst veranlaßte, erweiterte er fortwährend seine Anschauungen und Kenntnisse. Vielfach von Fachgenossen gedrängt, dieselben schriftstellerisch zum Gemeingute zu machen, übernahm er den Text zu dem im J. 1877–80 auf Veranlassung des Kunsthändlers J. G. Gutekunst im Verlage von P. Neff in Stuttgart ausgegebenen Prachtwerke: „Die Kunst für alle, eine Sammlung der vorzüglichsten Malerstiche, Radirungen und Formschnitte des 15. bis 17. Jahrhunderts, mit besonderer Beziehung auf Kunst- und Kulturgeschichte in Photographiedrucken von M. Rommel“. Das (nach Weisser’s Tode von Karl v. Lützow vollendete) [613] Werk zeugt ebensosehr von seinen gediegenen Kenntnissen, als von der ihm auch als Lehrer nachgerühmten Gabe, Kunstwerke mit einfachen aber glücklich gewählten Worten anziehend und anregend zu erläutern. – Weisser’s äußeres Leben verlief seit seiner Anstellung aufs ruhigste; er nahm an der Politik keinen thätigen Antheil mehr, wandte sich aber innerlich der nationalen Richtung zu und hat sich über die Ausrichtung des deutschen Reiches offen und ehrlich gefreut. Seine von Haus aus kräftige Gesundheit erfuhr durch den Winterdienst in den damals ungeheizten Räumlichkeiten des Kupferstichcabinettes schwere Angriffe. Zu Anfang des Jahres 1879 befiel ihn eine Rippenfellentzündung, der er am 26. Februar erlag. Eine gute Gipsbüste von ihm fertigte nach dem Leben der Bildhauer Ernst Rau, ein Brustbild in Oel die Malerin Emma Horlacher.
- Vgl. die Charakteristik von Fr. Vischer in der Zeitschrift „Im neuen Reich“, Jg. 1879, S. 569 ff., aufgen. in dessen „Altes und Neues“, H. 3, S. 44 ff., und m. Nekrolog in d. Schwäb. Kronik, Jg. 1879, S. 873 f., von Fr. Vischer aufgenommen in „Altes und Neues“, H. 3, S. 26 ff., wiederabgedr. in m. „Württ. Künstler in Lebensbildern“, S. 436 ff.