ADB:Willamov, Johann Gottlieb
Herder ein ehrendes Andenken bewahrte, bezog er sechzehnjährig die Universität Königsberg, wo er sich neben der Theologie auch der Mathematik widmete: bei J. G. Lindner, Hamann’s und Herder’s Freunde, hörte er Vorlesungen über die schönen Wissenschaften. Schon im J. 1758 kam er in ein Amt: er wurde Professor am Gymnasium zu Thorn. „Am öden Weichselstrand“, wie es in einem Gedicht vom Jahre 1766 heißt, lebte er arm, aber zufrieden und von seinen Schülern geliebt. Außer den „Dithyramben“ (Berlin 1763), von denen später die Rede sein wird, veröffentlichte er die selten gewordene „Sammlung, oder nach der Mode: Magazin von Einfällen“ (Breslau und Leipzig 1763). Eine Bemerkung Herder’s in einem Briefe an Hamann vom August 1764 zeigt, daß W. das Büchlein wirklich verfaßt hat, was bezweifelt worden ist (Herder’s Briefe an Joh. Georg Hamann, hsg. von Otto Hoffmann. Berlin 1889, S. 4). Den Inhalt bilden satirische Grabschriften in Vers und Prosa, Spott über die allerneueste Manier höflich und galant zu reden, über die Adelsnarren, über gedankenlose Uebersetzer nach der Mode. Im J. 1764 war ein Schauspiel fertig, das er einem Freunde nach Berlin sendete; es wurde jedoch erst nach seinem Tode gedruckt. In einer lateinischen Abhandlung nahm er Aristophanes gegen Batteux in Schutz (Herder an Hamann a. a. O. S. 25). Die gereimte Ode „das deutsche Athene“ (Berlin 1765), in der er das „glückselige Berlin“ rühmt, das griechisch glänzt und römisch sieget, wurde viel gelesen; Herder hob in der Königsbergischen Zeitung „glänzende Stellen“ hervor: die Ode sei voll schöner, oft voll neuer Bilder. In demselben Jahre erschienen „Dialogische Fabeln in zwey Büchern, von dem Verfasser der Dithyramben“ (Berlin 1765) und „Zwo Oden“: an Gleim in seiner Krankheit und an Secretär Hube in Thorn. Allzu kärgliche Besoldung veranlaßte W. 1767 einem Rufe nach St. Petersburg zu folgen. Hamann hatte sich für ihn, wie ein Brief an Lindner 1765 bezeugt (Hamann’s Schriften von Roth 3, 322) schon früher verwendet. Daß W. für die mit seinem Amte verbundenen ökonomischen Geschäfte durchaus ungeeignet war, erkannte Herder mit scharfem Blick. Auf der Durchreise hatte ihn W. in Riga im September 1767 besucht. Herder’s Bemerkungen in Briefen an Hamann vom April und vom Herbst 1768 zeigen, daß er kein gutes Ende für den weltungewandten Dichter voraussah: „Wenn W. zum Director einer pompösen Schule in Petersburg nach den ewigen Anlagen der Natur gebauet ist, so bin ich Türkischer Mufti“. Zwar wußte sich W. die Gunst der Kaiserin Katharina zu erwerben. Ihr widmete er die übrigens mißlungene, aber als erster Versuch doch bemerkenswerthe, in Hexametern verfaßte, „getreue, fast wörtliche Uebersetzung“ der „Watrachomyomachie, oder Krieg der Frösche und Mäuse. Griechisch und deutsch“ (St. Petersburg 1771, 8°, 38 S. mit Zeichnungen und Stichen von C. M. Roth in Petersburg). Auch stimmte zu Katharina’s wie zu Rußlands Ruhme der deutsche Dichter wiederholt die Leier. Bald aber gerieth W. in Schulden; 1776 verzichtete er auf die Leitung der deutschen Schule und fristete kümmerlich mit Unterricht und Gelegenheitsschriften sein Leben. Und da er aus Scham, theils auch aus Großmuth die bei seiner Direction gemachten Schulden nicht alle angezeigt hatte, wurde er plötzlich auf der Straße ergriffen und ins Gefängniß geführt. Nach seiner bald erfolgten Befreiung fiel er in ein hitziges Fieber und starb, 41 Jahre alt, am 6. Mai 1777. Auf „Willamovs Tod, des deutschen Dithyrambensängers“ erschien 1781 im „Deutschen Museum“ ein Gedicht mit kurzen Anmerkungen über sein Leben von einem Ungenannten. Es [250] war Herder, der Landsmann Willamov’s. Der mit W. befreundet gewesene Gleim warnte 1782 Heinse vor dem Lande, in dem die Büschinge nicht aufkommen, „in dem man die Willamove Hungers sterben läßt“ (Briefw. zwischen Gleim u. Heinse, hsg. von K. Schüddekopf II, 128).
Willamov: Johann Gottlieb W., Dichter, wurde am 15. Januar 1736 zu Mohrungen, dem damals kaum 1800 Einwohner zählenden Städtchen Ostpreußens geboren. Vom Vater, dem mildgesinnten Pfarrer Christian Reinhold W. unterrichtet, demSeine Schriften hat W. noch bei Lebzeiten sammeln wollen. Den ersten Band schickte er dem Verleger Schwickert in Leipzig. Er erschien erst nach seinem Tode unter dem Titel „Johann Gottlieb Willamov’s sämmtliche poetische Schriften“ (Leipzig 1779, 8°, mit Vignetten von Geyser). Der zweite Band ist nie erschienen. Die Sammlung enthält Enkomien (Loboden), Dithyramben, Oden, Lieder; als Anhang eine, m. E. mit Unrecht nicht beachtete, Probe von Liedern aus dem Russischen. In Karlsruhe erschien ein Nachdruck 1783 bei Schmieder, ohne Vignetten, und in A. Schrämbl’s Sammlung deutscher Dichter und Prosaisten enthielt der 36. Band die Schriften Willamov’s (Wien 1793 bis 94, 16°): außer den von W. veröffentlichten lyrischen Gedichten finden sich dort nur die Fabeln und drei Kleinigkeiten.
Durch seine ohne des Verfassers Namen erschienenen Dithyramben gewann W. den Ehrennamen des preußischen Pindar. Die zehn Gedichte enthielten Gegenstände der Mythologie, auch Helden der Neuzeit rühmten sie: I Einleitendes Gedicht, II die Himmelsstyrmer, III Sicilien, IV Johann Sobieski, V Peter der Große, VI der Krieg, VII Friedrich der Große, VIII Peter Feodorowitz, IX der Friede, X Beschluß. In den Briefen, die neueste Litteratur betreffend (Berlin 1765, 21. Theil) schulmeisterte Grillo mit wenig Witz und viel Behagen den Dichter. „Eine deutsche Dithyrambe müßte den Bacchus von Anfang bis zu Ende als ihren Hauptvorwurf besingen.“ Den Gedichten Willamov’s fehle, was die pindarische Ode kennzeichne: der Sprung, die Fiction, das Wunderbare. Grillo’s Kritik enthielt viel Schiefes, und Nicolai hat ihn wegen dieser Leistung später von den Litteraturbriefen entfernt (Lessing’s Werke. Hempel 9, 15). Der bescheidene Dichter aber machte sich für die zweite Auflage der Dithyramben (Berlin 1766, 12°, 78 S. mit einem Kernspruch aus Pindar, während die erste Auflage einen aus Horaz hatte) „die Erinnerungen, besonders in den Litteraturbriefen auf das beste zu nutze“ (Vorbericht). Kein Gedicht blieb unverändert; W. feilte mit ausdauernder Geduld, wie er es bei allen Gedichten that. Auf den Bacchus führte er in wunderlicher Aengstlichkeit alles zurück, was sich auf ihn beziehen ließ; am Schluß erklärte er, daß das Publicum vor weiteren Anfällen seiner bacchischen Begeisterung sicher sein werde. In der späteren Sammlung seiner Gedichte 1779 nahm er unter die Dithyramben nur fünf Gedichte auf: an den Bacchus; die Himmelsstürmer; des Bacchus Rückzug aus Indien; der Burgunder; Bacchus und Ariadne. Dagegen kamen Friedrich, Peter, Hermann, Sobieski unter die Enkomien, andere Gedichte unter die Oden. Herder hatte schon 1764 den Gedichten seines Landsmannes viel Schönes nachgerühmt. Eine ausführliche Recension schickte er dann 1767 für die „Allgemeine deutsche Bibliothek“ an Nicolai; aus ihr hebe ich nur wenige Sätze hervor: „die Muse unseres Dichters ist eine Tochter der Kunst, nicht der schöpferischen Natur“. Das weist Herder an den einzelnen Gedichten nach. Den Hauptfehler findet er darin, daß jedes Bild in jedem Nebenzuge mit Zierraten überladen ist. In den „Fragmenten über die neuere deutsche Litteratur“ bestreitet er im Abschnitt „Pindar und der Dithyrambensänger“ im Gegensatz zu Grillo’s Kritik, dessen anmaßender Schulton ihn ärgert, daß jeder neue Geschmack verkehrt sein muß, der von den Regeln der weisen Alten abgeht. „Warum ist ein deutsches Heldengedicht, eine Ode, eine Dithyrambe ohne griechische und lateinische Muster denn an sich unmöglich?“ Die Kritik der Dithyramben Willamov’s durch Herder ist darum nicht weniger streng, weil er von anderen Voraussetzungen als Grillo [251] ausgeht: er vermißt die dichterische Anschauung, die Sprache des Gefühls, der Trunkenheit. Mit einem eigenen Trinklied schließt Herder, offenbar nach dem Vorbild seines Lieblingsdichters Ewald Kleist gedichtet, dessen „Dithyrambe“ 1757 entstand. Herder hatte gewiß Recht: Willamov’s Dithyramben erinnern mehr an Ramler’s mühsame, gedrechselte Künstelei als an Klopstock’s aus wahrer Begeisterung entstandene Oden. Was aber eine deutsche Dithyrambe sein soll, kann Schiller’s bekanntes Gedicht, kann Goethe’s siebente römische Elegie zeigen.
Die sanfte Poesie, urtheilte Herder, war mehr sein Feld als die heroische. In der That, in Willamov’s Natur lag nicht stürmischer Schwung und kraftvolle Leidenschaft. Auch die Oden zum Preise der russischen Siege zeigen, daß er sich zu dieser Art der Dichtung zwang. Frisch ist das Abschiedslied der russischen Flotte (Juli 1770), in dem die Griechen zu den Waffen gegen der Saracenen eisernes Joch gerufen werden. Lieber als diese Oden und Kriegslieder lesen wir die einfachen Gedichte „auf eine verdorrte Linde“, an seine Gattin, die er als Daphne feiert. Und Gedichte wie „der Samojede“, „der Kamtschadale“ erinnern in Inhalt und Behandlung an Ewald Kleist’s „Lied eines Lappländers“ oder „Lied der Cannibalen“, sie sind die rechten Vorgänger einer Schöpfung wie Schiller’s „Nadowessier’s Totenlied“. Wie W. durch seine Dithyramben eine neue Gattung von Gedichten einführte, so machte er auch als Fabeldichter dadurch eine Neuerung, daß er die handelnden Wesen ohne jede epische Einleitung sofort reden ließ. Die Fabel war seiner gelassenen Natur gemäß. Er trifft meist den Charakter der Thiere; sein Dialog ist lebhaft, nicht weitschweifig, die Moral freilich nicht immer naheliegend, auch nicht immer treffend genug. Die Erfindung gehört ihm meistens selbst, die Anregung zu einer Fabel deutet er in Anmerkungen an. Einige Fabeln sind mehr Epigramme als Fabeln zu nennen. Eine „neue verbesserte Ausgabe“ erschien nach seinem Tode (Berlin 1791), darin sind einige Fabeln weggelassen, die redenden Personen genauer bezeichnet. Daß Ramler aber in seiner „Fabellese“ eine Anzahl Fabeln Willamov’s sehr verändert hat, ist vom Unterzeichneten im „Euphorion“ bemerkt worden. Zuletzt ein Wort über das oben erwähnte Schauspiel. „Der standhafte Ehemann“ in 3 Aufzügen gehört dem Jahre 1764 an, herausgegeben aber ist es erst 1789 von Loewe und Peuker in der „Oberschlesischen Monatsschrift“ (Grottkau, II, 316 f., 415 f., 500 f.). Diese überschätzen freilich das Werk sehr, denn ihre Anforderungen an ein Drama waren noch im J. 1789 gering, aber man kann mit Recht wol hervorheben, daß der Dialog lebendiger und nicht so geziert ist wie in den meisten Dramen vor Lessing’s Auftreten; den Charakteren fehlt jedoch die Farbe des Lebens, und die Führung der Handlung zeigt keine feste Hand. Interessant ist, daß im Drama der Schauspieler Ackermann, der den Hausvater Diderot’s spielte, rühmend erwähnt wird. – In demselben Bande der Monatsschrift (S. 461 bis 465) wurde auch ein von W. 1764 gedichtetes Te deum nachträglich bekannt. Der Capellmeister Agricola in Berlin hatte den Wunsch gehabt, nachdem Graun das lateinische Te deum componirt, ein deutsches in Musik zu setzen. W. und Gleim hatten ihre Gedichte einem Freunde Agricola’s geschickt, dieser war aber inzwischen gestorben.
- Goedeke IV2, § 217. 3. – Dazu vgl. Ebeling, Gesch. der kom. Litt. in Deutschland II, 101. – Journal von und für Deutschl. 1792, S. 649. – Herders Lebensbild, 1. Bd., 3. Abth., 2. Hälfte, S. 1–15. – Haym, Herder I, 10, 65, 135, 197, 213. – Muncker, Klopstock, 1888, S. 222. – Sonntagsbeil. d. Voss. Ztg. 1897, Nr. 29 v. Unterzeichneten. – Euphorion 1897, IV. Bd., 3. Heft ebenso.