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ADB:Willem

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Artikel „Willem“ von Ernst Martin in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 263–265, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Willem&oldid=- (Version vom 11. Oktober 2024, 11:54 Uhr UTC)
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Willem: W., der Verfasser des Gedichts van den Vos Reinaerde ist der größte Dichter in niederländischer Sprache und der einzige, dessen Werk in die Weltlitteratur überging. Sein Gedicht ist zugleich der Knotenpunkt in der Entwicklung des Thierepos im Sinne Jacob Grimm’s. Allerdings geht ihm eine Reihe von Gedichten in lateinischer und französischer Sprache voraus, welche einen Thierstaat mit dem Löwen als König, dem Bären, Wolf u. a. als Vasallen darstellen; aber so einheitlich, so fein und tief satirisch wie der Reinaert ist keines von ihnen. W. benutzt aus dem altfranzösischen Roman de Renart (éd. Martin, Straßburg 1882 ff.) die erste Branche, die Erzählung del jugement; aber nach anfänglich engem Anschluß wird er immer freier, und während das französische Dichtwerk mehr in drolligen Einzelheiten gefällt, aber als Ganzes ungleich und lose gefügt erscheint, setzt der Niederländer nicht nur Glanzstellen wie die Galgenrede des Fuchses hinzu, er gibt dem Ganzen erst den gleichmäßigen Zug der unheiligen Weltbibel, des ebenso durchgängigen, als scheinbar naiven Spottes auf die Ideale des Mittelalters, auf Gottes-, Herren- und Frauendienst. Vortrefflich durchgeführt ist auch die Parodie des Heldenepos. Gleich die etwa 1380 hinzugefügte Fortsetzung fällt völlig ab: sie läßt nach [264] dem Hoftag des Löwen, von welchem Reinaert glücklich entkommen ist, noch einen zweiten folgen, auf welchem er den Wolf Isegrim erst mit langen Reden, dann im Zweikampf besiegt. Diese Fortsetzung, die sich ‚Reinaerts Historie‘ nennt und als solche auch den umgearbeiteten ersten Theil, das Werk Willem’s umfaßt, ist gelehrt anstatt volksthümlich, ist grob satirisch, besonders gegen die Kirche. Immerhin ward diese Historie in einer nachmaligen, vermuthlich von Henrik van Alkmer herrührenden Bearbeitung gegen 1487 gedruckt und gab hierdurch die Vorlage ab für den niederdeutschen Reinke de Vos, der Lübeck 1498 gedruckt, als Originalwerk und Stolz der niederdeutschen Litteratur galt und mehrmalige Uebersetzungen in vielen Sprachen, 1794 auch die dichterische Bearbeitung Goethe’s hervorrief. Aus dem alten niederländischen Druck ging eine Prosa hervor, welche früh ins Englische überging und für ein niederländisches Volksbuch von 1564 (Neudruck Paderborn 1876) und dessen z. Th. in katholischem Sinn gereinigte Wiederholungen die Grundlage darbot. Aus diesem Volksbuch sind wenigstens einzelne der Hottentottenfabeln geschöpft, die W. H. I. Bleek, Reineke Fuchs in Afrika, Weimar 1870, veröffentlicht hat; auch die spaßhaft verdrehten Thiererzählungen der Neger in Nordamerika, welche unter dem Namen des Erzählers Uncle Remus gesammelt worden sind, gehen hierauf zurück.

Von der Beliebtheit des Reinaert in seiner Zeit zeugt schon die Uebersetzung in lateinischen Distichen, welche ein Mönch Baldwinus dem Propst Johannes von Brügge (1270–1280) widmete. Dieser Reynardus Vulpes ist am besten von Knorr, Eutin 1860 herausgegeben worden. Um 1270 dichtete Jakob van Maerlant seine Reimbibel, deren geistlichgelehrten Werth er Reinaert und den Artusromanen entgegenstellt, ebenso wie dem „Traum Madocs“. Von diesem Traum wird auch in dem mnl. Gedicht von der Burggräfin von Couci kurz gesprochen. Maerlant meint ein Gedicht Willem’s, welches dieser in seinem Reinaert V. 1 anführt, indem er sich nennt W. die van Madoc maecte (so ist die Zeile zu lesen). Den Inhalt dieses verlorenen Gedichtes trifft wol am besten eine Vermuthung von H. E. Moltzer in der Tijdschrift voor nederlandsche Taal- en Letterkunde 3, 312 ff. Danach war es ein Traum, den allerdings nicht ein Madoc selbst, sondern dessen Dienstmann Rhonawby gehabt und in welchem er Arthur und Owain beim Schachspiel gesehn haben soll. Dieser Inhalt paßt besser zur Dichtart Willem’s, als etwa ein Leben des heil. Aidanus (Madoc heißt: mein kleiner Aed s. Zimmer’s Nennius 258), vor dessen Geburt die Eltern träumten, daß ein Stern oder der Mond in den Mund der Mutter gefallen sei.

Die Beziehung Maerlant’s auf W. trägt zur Zeitbestimmung des Reinaert bei; doch muß dieser schon vor 1250 angesetzt werden, weil Maerlant in seinen frühen romantischen Dichtungen bereits W. nachgeahmt zu haben scheint, wie besonders Franck in der Ausgabe des Alexander gezeigt hat. Andrerseits begrenzt die Benutzung der Renartbranche, welche um 1210 ihre älteste überlieferte Form erhalten haben mag, die Ansetzung der Entstehungszeit. Bei diesem ziemlich weiten Spielraum ist es doppelt schwer etwa in Urkunden nach einem Wilhelmus zu suchen, den wir für den Dichter halten möchten. Am meisten hat noch für sich ein Wilhelmus clericus, dessen Haus bei Hulsterlo in einer Urkunde von 1269 vorkommt, nach einem Nachweise von C. A. Serrure. Die Bezeichnung als clericus würde für den Dichter vortrefflich passen: clerken waren die meisten uns bekannten Verfasser mittelniederländischer Gedichte. Es wurden namentlich Personen mit geistlicher Bildung, aber weltlichem Berufe: Schreiber im Dienste von Herren oder Städten so genannt.

Hulsterlo, welches der Dichter scherzhaft in die von ihm erst erfundene, [265] dem Fuchse in den Mund gelegte lügenhafte Schatzgeschichte einflicht, lag im Ostende von Flandern bei Hulst; noch andere kleine, z. Th. nicht mehr nachweisbare Oertlichkeiten aus jener Gegend bezeugen, daß hier die Heimath des Dichters zu suchen ist. Er spricht mit Heimathsgefühl von dem Lande zwischen Gent und Antwerpen, er nennt es tsoete lant van Waes, wie der französische Epiker die douce France im Munde führt.

Aus dem Prolog geht ferner hervor, daß er für eine Dame dichtete. Darf man annehmen, daß sie vrauwe Alente (Adellind) hieß, deren Hahn Cantaert nach einem Helden der Fabel Willem’s genannt war? Leider würde auch das nicht weiter auf die Spur Willem’s führen. Einem aristokratischen Kreise gehörte er sicher an, wie aus seinem Schelten auf dorpers ende doren hervorgeht.

Reinaert. Willem’s Gedicht van den vos Reinaerde und die Umarbeitung und Fortsetzung Reinaerts historie, hsg. und erläutert von E. Martin, Paderborn 1874. Dazu neue Fragmente des Gedichts v. d. v. R. Straßburg 1889 (QF. 65). Vgl. auch J. W. Muller, De oude en de jongere Bewerking van den Reinaert, Amsterdam 1884. Die Ausgabe van Heltens, Groningen 1886, geht zu weit in den Athetesen.