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ADB:Witt, Karl

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Artikel „Witt, Karl“ von Ludwig Julius Fränkel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 43 (1898), S. 579–584, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Witt,_Karl&oldid=- (Version vom 21. November 2024, 22:16 Uhr UTC)
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Witt: Karl W., Schulmann und Politiker, wurde am 31. August 1815 zu Königsberg in O.-Pr. als zweiter Sohn unter 12 Kindern eines Stadtmusikus geboren, der seine Familie nicht vor Entbehrung, sogar Noth schützen konnte, trotzdem aber drei Söhne studiren ließ und seinen Kindern den Hang zu Höherem, so auch den zur Musik vererbte. Wie W. als Student mit seinem alten Zeichenlehrer Flötenduette geblasen und mit seinem späteren intimen Freunde Hoverbeck fast bei jeder Zusammenkunft alte und neue gute Lieder geübt hat, so liebte er die väterliche Kunst zeitlebens leidenschaftlich und rechnete sie zu den Schutzgeistern in allen Fährlichkeiten des Alltags. Obdach und Essen vermochte ihm der Vater knapp noch zu bieten, im übrigen war W. früh auf Erwerb angewiesen, und als er nach dem Absolviren des Gymnasiums 1834 bis 1838 auch die Universität der Geburtsstadt besuchte, um Philologie zu [580] studiren, durchkostete er eine gar harte Jünglingszeit und wenig genug von den Freuden der goldenen akademischen Freiheit. Seine Subsistenzmittel flossen beinahe oder ganz ausschließlich aus karg bezahlten Privatstunden, welche, auch nachdem er die Hochschulstudien 1841 durch ein vortreffliches Staatsexamen abgeschlossen hatte, Hauslehrerthätigkeit und Aushülfe-Unterricht am Altstädt. Gymnasium und der Bürgerschule in Königsberg, der Elbinger Realschule und der Töchterschule in Gumbinnen ablöste. Er wurde 1845 am Progymnasium zu Hohenstein, einem ärmlichen Landstädtchen Ostpreußens, als Oberlehrer fest angestellt, von wo aus der Bedürfnißlose trotz des magern Gehalts die verwittwete Mutter unterstützte. Hier hatte der sechs Jahre jüngere Leo(pold) Freiherr von Hoverbeck, der nachherige entschiedenliberale Parteiführer, Verwandte zweiten Grades, und durch diese lernte W. im Winter 1846/47 auf einem Landsitze unweit dem nahen Gute Nickelsdorf bei engeren Angehörigen Hoverbeck’s diesen kennen. Die sofort mit dem Duzfuß einsetzende vertrauliche Freundschaft, die sich entwickelte, gewinnt für die Nachwelt dadurch eine unerwartete Wichtigkeit, als sie einen langjährigen Briefwechsel zeitigte, welcher zwar bisweilen etwas schlummerte, aber dafür in den vielen erhaltenen Nummern beide Männer über alle möglichen private und noch weit mehr über die damaligen aufregenden innerpolitischen Angelegenheiten ganz offen ihr Herz ausschütten zeigt und damit äußerst werthvolle geschichtliche Documente liefert. Nur auf Grund dieser reichen Materialien kann uns Witt’s Leben interessant genug erscheinen, um in den Hauptzügen überschaut zu werden, wie auch sie erst ermöglichten, neuerdings sowol für W. selbst als für Hoverbeck Lebens- und Charakterschilderungen breiterer Anlage herzustellen. Der Verkehr zwischen W. und Hoverbeck, der sein bei Gutstadt im Kreise Heilsberg belegenes Rittergut Adlig-Queetz bewirthschaftete, war infolge beiderseitiger starker Inanspruchnahme durch den Beruf wesentlich auf die Correspondenz beschränkt, aber gerade diese gab Gelegenheit, sich gesammelter und tiefer über allerlei Fragen auszusprechen, die beide Männer in verschiedener Richtung und Intensität bewegten. Die preußischen Verfassungskämpfe der Jahre 1847–51, an denen Ostpreußens Volk und Politiker mit besonderem Eifer theilnahmen, beleuchtet manche briefliche Aeußerung zwischen W. und dem schon damals gut bürgerlich fühlenden Junker aufs hellste. Seltsam, wie der in jenen Tagen abwartende und immer wieder etwas nach rechts neigende Hoverbeck, der Rittmeisterssohn und Exjurist, später ohne jegliches Hervordrängen in der Vorderfront der Demokratie eine leitende Position einnahm, während der 1848 und danach ungestüm radicale W. vom grundsätzlichen Schwur auf die Republik durch ein Märtyrer-Decennium sich zum Nationalliberalen unoppositioneller Farbe (1867) durchmauserte, zu welch letzterer Secession er 1867 mit übertrat.

Der revolutionäre Lenz 1848 begeisterte beide, jedoch nur W. ließ sich fortreißen von der „schönen neuen Zeit“, wurde allerdings bald durch den Mißbrauch, den Bauern innerhalb seines Horizonts mit der unverstandenen Freiheit trieben, etwas ernüchtert. Er war in dem zu Hohenstein entstandenen liberalen Club thätig, und vielleicht darauf beruht seine Wahl in die „Preußische Nationalversammlung“ für den Kreis Osterode in O.-Pr. am 8. Mai. W. kam nach Berlin, begeistert von der hohen Aufgabe dieser Volksvertretung und durchdrungen von dem Streben getreuester Pflichterfüllung. Seine von dort an Hoverbeck gerichteten ausführlichen Briefe bezeugen Irrthümer jener Tage und ausschweifende Hoffnungen, die selbst besonnene Männer beseelten, bekunden aber auch, wie er sich als Parlamentarier keineswegs sicher fühlte, ja bei einschneidenden Abstimmungen zauderte und schwankte. Zunächst war er „wild“, dann Mitglied des gemäßigt-demokratischen linken Centrums (Lothar Bucher, Rodbertus, Schulze-Delitzsch). Seinen Wählern erstattete er aus der Hauptstadt, wo ihm, dem Kleinstädter gewordenen, [581] etliche Universitätsgenossen, auch das Theater manche Anregung boten, im Osteroder Kreisblatt mehrmals Bericht und mahnte darin einmal, vermuthlich infolge von Unruhen der Tagelöhner wider ihre Gutsherren, die Armen zum Frieden mit den Reichen und zum Abwarten gesetzlicher Verbesserungen. Als am 9. November das neue Reactionsministerium Brandenburg-Manteuffel durch kgl. Botschaft das Abgeordnetenhaus vertagte und nach Brandenburg verlegte, beschloß dies nach dem Antrage von Waldeck, Gierke, Rodbertus und W. zu protestieren und weiter in Berlin zu tagen. Den restlichen 7 Sitzungen der Ungebeugten, die einstimmig die Regierungsmaßnahmen für ungesetzlich erklärten und am 15. November die „Steuerverweigerung“ aussprachen, wohnte W. bei, ging aber nicht, wie mehrere Parteibrüder, nach Brandenburg, sondern kehrte heim und bezeichnete in einem Sendschreiben an seine Wähler vom 10. December das Geschehene als ungesetzlich, die Wirksamkeit der einberufenen neuen Kammer als ungiltig. In der Wahlbewegung nach Auflösung der Nationalversammlung hatte W. in der gänzlichen politischen Unwissenheit der großen Wählermasse das Haupthinderniß des Fortschritts erkannt und schnell den Entschluß gefaßt, zur Belehrung derjenigen deutschen und überaus zahlreichen masurisch-polnischen Handwerker, Bauern und Arbeiter seiner Umgegend, die keine große Zeitung lesen, ein Wochenblättchen herauszugeben. Die „Osteroder Dorfzeitung“, später „neue D.“(nicht „Volksfreund“), erschien nach mehreren Probenummern vom 1. April 1849 ab, ein halber Bogen in Quart, links deutsch, rechts polnisch, für einen Silbergroschen monatlich. Der Stil war gemeinverständlich und volksthümlich, die Tendenz maßvoll freisinnig; sie trat für Einheit Deutschlands unter dem Könige von Preußen als deutschem Kaiser ein, bekämpfte Oesterreichs antideutschen Egoismus, Rußland, Dänemark und bringt zumeist sachliche Belehrung über die geplanten Verfassungen für Preußen und für Deutschland, das Staatsbudget, Geschworenengerichte, das Institut der Landschaft u. ä. Die Nummern 17 und 18 vom 4. bezw. 11. Juli forderten im Sinne der „Volkspartei“ klar und schlicht Wahlenthaltung. W. schrieb sein Blatt ganz allein, oft bezüglich der Stoffbeschaffung unter großen Schwierigkeiten; nur Hoverbeck lieferte auf des Redacteurs Ansuchen zwei volkswirthschaftliche Aufsätze, einen in den Nummern 21–23 über die Einnahmen und Ausgaben des preußischen Staates, einen in Nr. 46 über das Salz. Zu des Verfassers Erstaunen setzten die Ende 1849 beginnenden Denunciationen beim Provinzialschulcollegium und das darauf fußende Disciplinarverfahren gegen W. mit bei Hoverbeck’s Salz-Artikel ein. W. hatte nach den neuen dehnbaren Ministerialerlassen sehr vorsichtig geschrieben, aber der drohenden Gefahr durch Verzicht auf die Feder vorzubeugen, verschmähte er. Da verlieh mit einem Rechtsbruche Minister v. Ladenburg am 25. September 1850 dem Runderlaß vom 11. Juli 1849 im Falle W. rückwirkende Kraft auf dessen ältere Artikel: es erfolgte zunächst Amtssuspension.

Der 35jährige W. blieb unverheirathet, obwol er sich dem „Marmelstein“ Hoverbeck gegenüber „in verliebten Dingen“ mit einem Streichhölzchen verglich, das die kleinste Reibung entzündet: eine ernste Neigung, 1848 zu einer 16jährigen Base des Freundes gefaßt, scheiterte an den Ansprüchen, die das verwöhnte Gutsfräulein, 1896 als Oberbürgermeisterswittwe gestorben, an das Auftreten des Gatten und das Leben stellte. Für jetzt war das ein Vortheil für den Lahmgelegten. Er fand in Königsberg bei Mutter und Schwester ein Heim und, bescheiden wie stets, durch Privatstunden mehr als hinlänglichen Erwerb. Der neue Cultusminister Raumer versuchte W., über dessen hartnäckiges Pochen auf der Gesetzwidrigkeit seiner Behandlung und Witt’s Weigerung sich zu verantworten ärgerlich, durch Hunger zu kirren und zwang ihn, aus der jungen Königsberger Existenz nach Hohenstein zurückzukehren und beschäftigungslos den Entscheid abzuwarten. Doch [582] war W. bald wieder in der lieben Geburtsstadt und ertheilte Ende 1850 daselbst wieder 24 Privatstunden wöchentlich. Der Versuch der dortigen Polizei, dem friedlichen überall beliebten Manne die private Lehrthätigkeit zu verbieten, mißglückte ebenfalls, und so sah W. mit Seelenruhe dem Ausgange entgegen. Trotz der Hetze des „Königsberger Freimüthigen“, des Organs des „Preußenvereins“, welches unter der Aegide des Regierungspräsidenten Peters und des frommen, im Duell erschossenen Generals v. Plehwe der berüchtigte Zuchthäusler, nachherige Posen’sche Distriktscommissar Emil Lindenberg redigirte, gegen W., trotz der schneidigen Anklageschrift, deren Urheber nach Witt’s Ausdruck Faselhans und Grobian zugleich verrieth, was doch für einen Staatsanwalt fast zu viel sei, erkannte im Disciplinarverfahren in erster Instanz der Disciplinarhof am 14. Juni 1851 auf Strafversetzung ohne Umzugskosten und unter Gehaltsverringerung, in zweiter verhängte am 27. September das Staatsministerium die Amtsentsetzung, woran W. kaum gezweifelt hatte. Witt’s Ansehen in seiner Vaterstadt, die fürder sein ständiger Aufenthaltsort blieb, wuchs stetig, ebenso die Sicherheit seiner materiellen Lage, indem der Ueberhäufte genug Privatstunden ablehnen mußte. Aber die Sehnsucht nach öffentlicher Lehrthätigkeit erwachte um so stärker, je länger der gewaltsame Ausschluß dauerte. Die Directoren der Gymnasien, bedeutende Universitätsprofessoren, z. B. der nachherige Reichstags- und Reichsgerichtspräsident Eduard Simson, auch der Provinzialschulrath, kurz die nennenswerthesten Persönlichkeiten Königsbergs, schätzten ihn als Lehrer und Menschen, und mehrere der wohlwollenden Freunde riethen ihm nach dem mit der Regentschaft des „Prinzen von Preußen“ seit 1857 erwarteten Systemwechsel, beim Ministerium einzukommen, ihn wieder für anstellungsfähig zu erklären. Statt des üblichen Reuebekenntnisses gab W. im Sommer 1858 die schriftliche Erklärung ab, er wolle sich bemühen, die Jugend in Liebe für König und Vaterland zu erziehen, aber Raumer schlug das Gesuch eben ab, weil die Reue fehle, obschon der Königsberger Oberpräsident Eichmann kurz vorher W. in einer bezüglichen Unterredung zwar ein „Bedaure unendlich!“ entgegnet, ihm aber infolge des günstigen Eindrucks von Witt’s „ungeschickter Ehrlichkeit“ jene Form hatte nahelegen lassen. Hoverbeck, mit dem W. seit des Freundes Heirath das alte Verhältniß unverändert aufrecht erhalten hatte – im Giebel von Hoverbeck’s neuem Gutshause wurde ein Zimmer mit freundlicher Gartenaussicht „Wittstübchen“ als etwaiger Altensitz getauft – tröstete ihn im August 1858 mit der Aussicht auf baldigen Umschwung im Staatskurs und als er mit 1859 in den Landtag trat, tauschte er nicht nur in umgekehrter Situation wie vor einem Jahrzehnt die Meinungen über die Tagespolitik mit W. von Berlin aus brieflich aus, sondern intervenirte zu Beginn der Session 1860 beim Decernenten Ludwig Wiese und dann persönlich bei dem Cultusminister von Bethmann-Hollweg, im Rückhalt alle Erkenntnisse, Eingaben, Bescheide, um „so gerüstet wie möglich zu Felde zu ziehen“. Ein genauer berichtender Brief vom 29. Januar rückt uns diese Audienz leibhaftig vor Augen, zeichnet uns die Position Witt’s deutlich und die wahre Herzlichkeit zwischen beiden. Hoverbeck konnte dem Minister mit ruhigem Gewissen von Witt’s „gemäßigteren“ politischen Ansichten sprechen: hatte dieser doch längst alle Schroffheit abgestreift, freilich Ende 1858 aus Charakterfestigkeit seinen Namen nicht von der Vorschlagsliste des Königsberger „Komitees für unabhängige Wahlen“ streichen lassen, auch dem von alten Demokraten 1858 gegründeten „Handwerkerverein“, der statutengemäß nur Bildungs- und Wohlfahrts-, keine politischen Ziele verfolgte, seine Kraft, zeitweilig sogar als Vorsitzender zur Verfügung gestellt, „ein durchaus ungeschickter und unkräftiger Mensch“, wie er sich damals vor Hoverbeck hinstellt.

Ostern 1860 endlich trat W. als wissenschaftlicher Hülfslehrer am Altstädtischen [583] Gymnasium zu Königsberg ein, wobei er nun 45 Jahre alt geworden war und mit den 300 Thalern Gehalt sich materiell verschlechterte. Aber welche Wonne muß in ihm bei dem Gefühlsergusse nachgezittert haben, als er da die Worte niederschrieb: „Der erste Schultag war einer der schönsten meines Lebens!“! Einer vollen Classe gleichsam die Seele zu öffnen und zu selbstthätigem Wetteifer anzuspornen, die erzielten Fortschritte zu beobachten und zu vergleichen, das bildete für ihn geradezu eine Leidenschaft. In dieser Begeisterung, die schon in Hohenstein mächtig gelodert hatte, wurzelten auch seine großen Erfolge als Lehrer. Die Generationen, die an ihm vorbeigegangen, liebten ihn wie keinen andern. Im Unterrichte hing alles an seinem Munde: Witt’s gemüthliche, milde, humoristische Weise erleichterte und durchwärmte das Lernen. Faules, ordnungswidriges Wesen tadelte er nicht hart, aber bestimmt; er verfuhr gerecht in allen Vorkommnissen des Schullebens, streng bei Betrug und sonstiger Unmoral. So denken alle seine Schüler noch heute verehrungsvoll an ihn und seine fast zu rasch verflossenen Stunden. Er führte nämlich nicht nur die Abcschützen „Zum latein. Elementarunterricht“ (Titel seines Schulprogr. 1848), um sie wie öfters erst in der obersten Classe in der deutschen Lehrstunde wieder zu begrüßen; die herangereiften Jünglinge verstand er da im höchsten Grade für den jeweiligen Gegenstand zu interessieren, indem er z. B. ankündigte, in 8 Tagen werde er „Laokoon“ oder „Minna von Barnhelm“ durchnehmen, und alsdann einige Fragen stellte, die nur derjenige beantworten konnte, welcher die Sache ganz beherrschte. Am allermeisten jedoch fesselte W. seine Schüler und erwarb sich zugleich reichlich Dank und Anhänglichkeit durch seine so zu sagen öffentlichen Erzählstunden. An jedem Sonnabend im Winter von 6–7 Uhr abends erzählte er den Buben der drei untersten Classen, wozu auch Zuhörer der oberen sich zahlreich einstellten, im Raume der Sexta – man mußte nicht theilnehmen, fehlte aber nie – in einfachem und doch wunderbar packendem Vortrage die griechischen Göttersagen, den Trojanischen Krieg, die Irrfahrten des Odysseus, auch von Reineke Fuchs und Robinson Crusoë. Da saß er auf der Schultischecke, das Kinn auf die Hand gestützt und den Zeigefinger an der Backe, wie ein Vater unter seiner frohen Kinderschaar, und wer inniger bei der Geschichte betheiligt und erfreut war, der eindringliche Erzähler oder das andächtig lauschende Auditorium, hätte in solchen Momenten Niemand sagen können. Daraus sind zwei reizende Büchlein hervorgegangen: „Griechische Götter- und Heldengeschichten. Für die Jugend erzählt“ (5., durchgesehene Aufl. 1885), 192 Seiten stark, und der „Trojanische Krieg und die Heimkehr des Odysseus. Für die Jugend erzählt“ als „Griechische Götter- und Heldengeschichten. II. Theil (2. Aufl. 1883), dies Bändchen 296 Seiten stark. Es ist der alte herrliche, unvergängliche Stoff hübsch nacherzählt, oft in der Form der deutschen Volksmärchen (‚Es war …‘) dem jugendlichen Publikum gemäß alles nett verknüpft, Sprünge ausgeglichen, uns unästhetisch Berührendes geglättet. Eine feinsinnige pädagogische Arbeit ist die Programm-Abhandlung Witt’s „über schulmäßige Pflege des Gedächtnisses“, die dem Bericht über das Altstädtische Gymnasium zu Königsberg 1873 beigegeben ist und darin S. 1–23 einnimmt. An anerkannte Meister der Unterrichtstheorie angelehnt, aber doch ganz auf dem Boden eigener Empirie, versucht W., das Gefühl für Analogie, den Werth des Beispiels, die spielende und halb unterhaltsame Zuführung des gedächtnißmäßigen Lehrstoffes in ihrer Bedeutung zu versinnlichen: Wiederholung, Nachahmung sollen befestigen, was greifbar vorgestellt wird, Einsicht und Interesse ununterbrochen beschäftigt sein. Dieser Essay verdient weitere Nachachtung, wozu er aus dem Versteck gezogen werden müßte. Witt’s Aufsätze in d. Altpr. Monatsschr. betreffen Verschiedenes.

Es ist nicht zu vergessen, daß diese Lehranstalt, an der W. nun die Zeit [584] seines Dienstes mit soviel Hingabe und Ergebniß gewirkt hat, städtisch, nicht staatlich war. Doch erhielt er 1881, längst wieder im Rang eines Oberlehrers, von der Regierung den Professortitel und war, nachdem er 1884 Pensionirung nachgesucht und erlangt hatte, 1885/86 Mitglied der städtischen Schuldeputation. Ostern 1885 bei der Jubelfeier erhielt er vom Collegium und einigen näheren Freunden ein Ehrengeschenk. Der Politik hatte er längst keine active Theilnahme mehr entgegengebracht, auf Verlangen sogar schon unmittelbar vor der Wiederanstellung den Vorsitz in jenem „Handwerkerverein“ niedergelegt. Der Briefwechsel mit Hoverbeck wurde bis zu dessen Tode 1875 fortgesetzt, seit 1867, da sich ihre politischen Wege trennten, weniger lebhaft; das enge Verhältniß aber blieb ungetrübt, wofür sein, mit Erlaubniß aber anonym 1887 im „Reichsfreund“ gedruckter Aufsatz über Hoverbeck’s Jugendzeit ein schöner Beleg, selbst nach des Freudes Hinscheiden verbrachte W. alljährlich manche Woche auf der Wittwe Ruhesitz Nickelsdorf. W. starb zu Königsberg am 2. November 1891. Witt’s Lebensskizze von Alexander Schmidt vor dessen „Gesammelten Abhandlungen“ (1889), S. 1–25, legte ich A. D. B. XXXI, 115 zu Grunde (vgl. Fränkel, Blätter f. lit. Unterh. 1890, S. 245).

Ein langjähriger Freund Witt’s, Seb. Hensel († 1898), Verfasser des oft aufgelegten umfänglichen Werkes über „die Familie Mendelssohn“, brachte 1894 eine Fülle von Briefen, davon 50 an Hoverbeck, manchmal verändert oder im Auszuge, an einige Verwandte, seinen Collegen Schumann, an ihn selbst und seine Familie mit verbindendem Texte als „Karl Witt, ein Lehrer und Freund der Jugend“, worüber A. Oehlke, 23. Sonntagsbeilage zur Vossischen Zeitung Nr. 265, 9. Juni 1895, ein ansprechendes Feuilleton „Ein alter Achtundvierziger“ schrieb; auch viele andere liberale Tageszeitungen Norddeutschlands, in Süddeutschland z. B. der „Fränkische Kurier“ in Nürnberg, brachten eingehende Referate. Wichtige Zusätze, Berichtigungen u. s. w. auf Grund der Briefe Hoverbeck’s an W., von allerhand Acten, verschollenen Zeitungsartikeln u. ä. gewähren die ebenfalls in der Sonntagsbeilage der Vossischen Zeitung abgedruckten Aufsätze „Hoverbeck und Witt“ von Ludolf Parisius und zwar in den Nummern 46, 47, 48 im November bez. December 1895; sie sind jetzt fast in extenso in Parisius’ Buch „Leopold Freiherr von Hoverbeck. Ein Beitrag zur vaterländischen Geschichte“ übergegangen, dessen bis dato vorliegender I. Band (1897) eigentlich einer richtigen Biographie Witt’s den Weg ebnet;[1] das „Personenverzeichnis“ s. v. giebt die wichtigsten Stellen an, woraus wir S. 84–134, 148–151 und 177–179 herausheben. Auch hat Abgeordneter Kreisrichter a. D. L. Parisius mir brieflich freundliche Auskünfte ertheilt, desgleichen ausführlich und sorgfältig ein begeisterter Königsberger Schüler Witt’s, Rechtsanwalt H. Lust in Nürnberg. Die Nachrichten aller dieser vorzüglichen Quellen sind in vorstehendem Artikel mit Absicht sehr oft wörtlich oder nur mit geringen Strichen benutzt worden, da er nur so authentisch werden konnte in Anbetracht der nahen Beziehungen jener Berichterstatter (auch Parisius arbeitete mit directester Hülfe Witt’s). A. Bartels, „Die deutsche Dichtung und die Gegenwart. Die Alten und die Jungen“ (1897) S. 69 citirt, nach Hensel, ein höchst absprechendes längeres Urtheil Witt’s über Julius Wolff’s pseudomittelalterliches Epos „Der wilde Jäger“ von Anno 1876 mit großem Beifall über das richtige Verständniß des „alten Gymnasiallehrers da oben in Königsberg“. – Vgl. auch J. N. Weisfert, Biogr.-litt. Lexikon in Königsberg (1898), S. 250 f.

[Zusätze und Berichtigungen]

  1. S. 584. Z. 31 v. o: Von Parisius’ „Hoverbeck“-Biographie, diesem wichtigen Quellenwerke auch für Witt’s Lebensbeschreibung, ist inzwischen des II. Bandes 1. Abtheilung (1898) erschienen, worin für Witt S. 22 f. (vgl. 47 und 53) in Betracht kommen. [Bd. 44, S. 576]