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ADB:Rodbertus, Karl

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Artikel „Rodbertus, Johann Karl“ von Moritz Wirth in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 28 (1889), S. 740–763, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Rodbertus,_Karl&oldid=- (Version vom 18. Dezember 2024, 01:54 Uhr UTC)
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Rodbertus: Johann Karl R. wurde am 12. August 1805 zu Greifswald geboren, das damals noch unter schwedischer Herrschaft stand. Sein Großvater war der physiokratische Volkswirth Schlettwein; sein Vater war Justizrath und Professor des römischen Rechts in Greifswald, gab aber 1808 sein akademischen Lehramt auf und siedelte nach Beseritz in Mecklenburg-Strelitz über, dem großen Erbgute seiner Gattin, das er, vorbildlich für den Sohn, fortan selbst bewirthschaftete. Karl, welcher von seinem Vater eine treffliche Erziehung erhielt, kam auf das Gymnasium zu Mecklenburgisch-Friedland und studirte 1823–25 zu Göttingen, 1825–26 zu Berlin die Rechte. Im Winter 1826 zu 1827 bestand er seine erste juristische Prüfung und ging hierauf als Auscultator an das Land- und Stadtgericht zu Alt-Brandenburg. Während dieser Zeit starb sein Vater. Im Herbst 1828 legte R. die zweite Prüfung ab und wurde Anfang 1829 als Referendar am Oberlandesgericht zu Breslau, Anfang 1830 bei der Regierung zu Oppeln in Schlesien angestellt. Es ist bezeichnend, daß die französische Julirevolution ihn zum Studium der Volkswirthschaft anregte, Er nahm den Abschied, heirathete und verweilte mit seiner Frau zunächst bei seiner Mutter in Beseritz. Von hier begab er sich, nach kürzerem Aufenthalte in Dresden, nach Heidelberg, wo er zwei Jahre hindurch Volkswirthschaft, Geschichte und Philologie trieb. Hieran schloß sich eine Reise durch die Schweiz, Frankreich und Holland. 1834 zurückgekehrt, ging er nach Beseritz, wo er längere Zeit blieb. Da aber dieses Gut seiner Mutter gehörte, die erst 1849 starb, und er sich seine eigene Häuslichkeit gründen wollte, so kaufte er 1835 das Rittergut Jagetzow bei Jarmen in Pommern, wohin er 1836 übersiedelte. Es wurde der feste Boden für seine künftige Wirksamkeit. Zugleich hatte er eine Entwickelung vollendet, die in der Geschichte des menschlichen Geistes nicht leicht ihres Gleichen finden dürfte. Er hatte begonnen als begeisterter Anhänger der in Wissenschaft und Leben ihm überlieferten Volkswirthschaft der freien Concurrenz, und hatte geendigt als der fertige Meister eines eigenen, ganz neuen, jener geradeswegs entgegengesetzten staatswirthschaftlichen Systems, dessen volle Verwirklichung er selbst erst nach Jahrhunderten und unter einer gänzlichen Erneuerung der menschlichen Gesellschaft erwartete. Vorläufig bewährte es sich für ihn selbst einerseits dadurch, daß er von Anfang an, wo es ihm „wie eine Erleuchtung aufging“, bis zuletzt „im Wesentlichen keine Abänderung daran zu treffen“ vermochte. Andererseits verstatteten ihm gerade die in jenen System [741] enthaltenen Grundgesetze aller Wirthschaft, zu den verschiedensten politischen und wirthschaftlichen Fragen der jeweiligen Gegenwart, auf Veranlassung von Behörden oder aus eigenem Antriebe, bis herunter zu den Maßnahmen seiner Gutsleitung, mit jener Sicherheit und Klarheit Stellung zu nehmen, welche das eigenthümliche Merkmal Rodbertus’schen Geistes bilden. Diese Grundgesetze öffneten ihm ferner die Augen für die schon jetzt vorhandenen Anfänge des künftigen staatswirthschaftlichen Zeitalters und ermöglichten ihm die wissenschaftliche Formulirung derselben in der „socialen Frage“, sowie die Entwerfung eines umfassenden Planes zu deren Lösung. Diesen Grundgesetzen entnahm er endlich den Schlüssel zur Nationalökonomie des klassischen Alterthums, aus welcher sich ihm umgekehrt ganz neue Bestätigungen dieser Gesetze und die Hauptstützen einer neuen Geschichtsphilosophie ergaben.

Bereits 1837 lieferte R. die erste Probe seiner Lehre in einer kurzen, aber „von Gedanken vollgestopften“ Abhandlung: „Die Forderungen der arbeitenden Klassen“. Schon der Titel zeigt, welche der soeben genannten Richtungen von Rodbertus’ Thätigkeit sich hier zur ersten öffentlichen Kundgebung drängte und damit zugleich als Rodbertus’ Haupt- und Lebensaufgabe kennzeichnete. Alle Hauptpunkte seiner Geschichtsphilosophie und socialpolitischen Entwürfe sind schon hier in beziehungsvollen Andeutungen versammelt. Hinter der durch die humanen Rechtsideen des vorigen Jahrhunderts bewirkten persönlichen Freiheit und formellen rechtlichen Gleichstellung der arbeitenden Classen sei die Volkswirthschaft zurückgeblieben, welche, infolge des von ihr eben damals angenommenen Systems der freien Concurrenz, diesen Classen nach wie vor nur den zum Leben gerade nothwendigen Unterhalt zuwerfe. Der Ruf derselben nach mehr Besitz bedeute daher im Grunde nur mehr Antheil auch an den übrigen Wohlthaten der heutigen Cultur und an der Bildungsstufe der Zeit. Man dürfe weder an der Berechtigung dieses Rufes zweifeln, noch an dem Ernste, mit welchem die arbeitenden Classen ihn künftig erheben würden, noch an den Gefahren, wenn sie, gegenüber der durch die Maschinen täglich zunehmenden Gütermasse, mit diesem Verlangen sich selbst überlassen würden. Es sei daher von jetzt ab Aufgabe der Wirthschaftslehre, durch ein an die Stelle der freien Concurrenz zu setzendes neues „System der Staatsleitung“ eine bessere Vertheilung jener wachsenden Gütermengen und ihre Ausnutzung im Dienste der Bildung und Sitte zu bewirken. Die angedeuteten Maßnahmen dieses Systems sind gleichfalls dieselben, welche R. überhaupt jemals zur Lösung dieser Aufgabe in Bereitschaft hatte. – Die „Augsb. Allg. Ztg.“, welcher R. den Aufsatz einsandte, wies ihn zurück, weil die darin angekündigte Gefahr „in unserer socialen Organisation gar nicht zu finden sei“. Er wurde zuerst mit Auslassungen in der „Berliner Revue“, 1872, Bd. 69, vollständig zuerst 1885 im 3. Bande der Nachlaßausgabe veröffentlicht, als ein merkwürdiges Zeugniß für die in socialen Dingen noch so oft bewährte Voraussichtigkeit seines Verfassers, die ihm später den Beinamen des „Sehers von Jagetzow“ eintrug.

R. bewies sich seinem neuen Berufe in jeder Weise gewachsen und mit aufrichtiger Liebe ergeben. Dies zeigen nicht bloß die landwirthschaftlichen Bilder, deren er sich in zwangloser Rede so gern bediente. Den ländlichen Geschäften brachte er Opfer an Zeit, die vielleicht nicht stets unerläßlich waren. Der Beruf, in dem er sich mühte, wie ein Anderer auch, verlieh ihm Landmannsart, den unbestechlichen Wirklichkeitssinn, die Zähigkeit im Verfolgen einmal gefaßter Pläne, die gleichsam vom Boden selbst überkommene Erdschwere und den unverlierbaren Schwerpunkt. Vor aller bäuerlichen oder junkerhaften Ausartung bewahrte ihn seine reiche Bildung, indem sich jene Eigenschaften zu voller Reinheit läuterte. Das sichere allgemeine Urtheil, das er aus seiner neuen Wissenschaft [742] zur gründlichen Kenntniß selbst der geringsten Einzelheiten des Landbaues hinzubrachte, muß ihm eine entschiedenere Ausnutzung aller gebotenen Vortheile ermöglicht haben, als manchem bejahrten Praktiker. So z. B. war er der Erste in seinem Kreise, der Ende der dreißiger Jahre Stallfütterung betrieb, während er 1872, nach Beginn des Arbeitermangels, – „es läuft eben Alles auf die sociale Frage hinaus“ – wieder zum Weidegang zurückgekehrt war. 1851 nahm die Einführung einer kurz vorher erfundenen wichtigen Verbesserung der Drainage „sein höchstes Interesse und einen großen Theil seiner Zeit in Anspruch“. Der äußere Erfolg einer solchen Thätigkeit half ihm nicht nur die „breite Basis der Existenz“ sichern und erweitern, mit der er freilich von Haus aus begonnen hatte, sondern dürfte auch nicht zum wenigsten dazu beigetragen haben, ihm das Vertrauen seiner Standesgenossen und damit den Zugang zu höherer Wirksamkeit zu gewinnen. Bereits 1841 wurde er zum Kreis- und Landschaftshülfsdeputirten seines, des Demminer, Kreises gewählt.

1842 veröffentlichte R. die erste Schrift: „Zur Erkenntniß unsrer staatswirthschaftlichen Zustände. Erstes Heft: Fünf Theoreme.“ Mit ihr nahm er die wissenschaftliche Ausführung des Programms von 1837 in Angriff; erst von ihr an, so große Namen und bedeutende Werke auch vorausgegangen sein mögen, ist die wissenschaftliche Wirtschaftslehre zu rechnen. In der ersten Abhandlung stellt R. den Satz fest, daß nur materielle Güter als wirthschaftliche Güter anzusehen sind, und daß diese, wirthschaftlich betrachtet, nur als Producte von „Arbeit“, d. h. materieller, körperlicher Arbeit zu gelten haben, nur Arbeit kosten. Hieran schließen sich Folgerungen über die Natur des Capitals als zum Zwecke der Herstellung künftiger Verzehrgüter erarbeiteter, und somit ebenfalls nur Arbeit kostender Gegenstände, sowie über die Natur des Arbeitslohnes, der nicht als Bestandtheil des Capitals, sondern als Antheil an diesen endgültig bezweckten Gütern aufzufassen ist. – Der zweite Abschnitt entwickelt die Lehre vom Werthe und von der Arbeit als bestem „Maaßstab des Werthes“; der dritte Abschnitt diejenige von der Rente als eines Antheils am Nationaleinkommen, der nur abfällt unter Voraussetzung einer hinreichend großen Productivität der Arbeit in Verbindung mit der Rechtseinrichtung des Privateigenthums an Boden und Capital. Hieran schließt sich eine Darlegung der Gesetze, nach welchen sich eine eigene Grundrente aus der allgemeinen Rente abzweigt. Es ist dies die sogenannte Rodbertus’sche Lehre von der Grundrente, auf welche R. ebensoviel Werth legte und sich um ihre Anerkennung bemühte, als ihm dieselbe von der bis jetzt herrschenden wirthschaftlichen Schule verweigert wird. – Der vierte Aufsatz zeigt, daß Grund- und Capitalrente nebst Capitalersatz auch dann gegeben werden, wenn der Werth der Güter, eine hinlängliche Productivität vorausgesetzt, nur dem nach Arbeit berechneten Kostenbetrage entspräche. – Die fünfte Abhandlung bringt eine Lehre vom Gelde, von dessen ersten Anfängen bis hinein in den von R. erstrebten künftigen staatswirthschaftlichen Zustand, und zeigt insbesondere, daß, wenn der Werth der Güter immer den nach Arbeit berechneten Kostenbetrage gleich wäre, sich ein lediglich nach Arbeit rechnendes und unmittelbar auf die Erzeugnisse dieser Arbeit gegründetes Zettelgeld einführen ließe, welches allen Anforderungen als Umlaufsmittel und Preismaß entspräche, ohne doch selbst ein sachliches Geld, wie noch unser heutiges Metallgeld, zu sein, noch sich, wie das heutige Papiergeld, auf ein sachliches Geld zu beziehen. – R. beabsichtigte, in einem zweiten Hefte die Natur und den Sitz der wirthschaftlichen Gebrechen unserer Zeit, des Pauperismus, der Ueberproduction u. s. w. klar zu machen, in einem dritten die nöthigen Heilmittel vorzuschlagen, die er im Vorworte dahin beschrieb, daß sie weder, „der ganzen Errungenschaft der modernen Rechtsidee mißtrauend, einer Flucht ins Mittelalter [743] zurück gleichen“, noch „mit halsbrechendem Sprunge uns plötzlich in einen Zustand versetzen wollen, dem jedes Verbindungsglied mit dem heutigen fehlt.“ Vielmehr: „sie verwerfen nicht den heutigen socialen Zustand, sondern nehmen ihn an als ihre nothwendige, historisch begründete Voraussetzung, und sie treten dem Grund- und Capitaleigenthum so wenig zu nahe, daß sie ihm vielmehr eine neue Stütze geben, indem sie es weniger drückend machen“. Da aber das erste Heft „kaum beachtet ward“, so unterließ R. die Fortsetzung. Darüber scheint ihm sogar das erste Heft selbst so sehr aus den Augen gekommen zu sein, daß er es für vergriffen hielt. Diese, auch von Anderen getheilte Meinung war zwar irrthümlich, denn es bedurfte 1880 nur der gewöhnlichen buchhändlerischen Beauftragung seitens des Schreibers dieser Zeilen, um das Werk alsbald zur Verfügung zu haben (gegenwärtig im Verlag von Puttkammer & Mühlbrecht, Berlin); aber dieser Irrthum war nicht ohne Einfluß auf die Anerkennung von Rodbertus’ Lehre. Trotz aller ihm zugesprochenen Schärfe der Gedanken und quittirten Anregungen verhält sich die „Wissenschaft“ gegen ihn noch wesentlich ablehnend. Um hier gerecht zu sein, muß man sich die Höhe der Abstraction in Rodbertus’ Grundgedanken, die wenigstens für das heutige Bewußtsein über diejenige der Mathematik weit hinausgeht, und die von ihm geforderte wahrhaft kopernikanische Umstülpung aller gewohnten wirthschaftlichen und gesellschaftlichen Begriffe zu vergegenwärthigen suchen. Es ist kein Wunder, daß es vielfach sogar noch am Verständnisse des bloßen Wortsinnes seiner Auseinandersetzungen fehlt. Und zu diesem Zustande kam noch, ihn fördernd und beschönigend, jenes buchhändlerische Verschwinden von Rodbertus’ Hauptschrift und sein eigenes Verhalten. Niemals wieder hat er die Lehren des 1., 2. und 5. Theorems in dieser Ausführlichkeit und Klarheit dargelegt. Die übliche akademische Kritik des Rodbertus’schen Systems, für welche Knies (Geld und Credit, II, 2 (1879), S. 47–85), der aber die „Erkenntniß“ nicht kennt, vorbildlich geworden ist, ruht besonders auf dem Mißverständnisse des Satzes von der kostenden Arbeit. Man faßt ihn so auf, als ob durch ihn das gesammte nationale Einkommen lediglich den körperlichen Arbeitern zugewiesen werde, unter völligem Ausschlusse oder wenigstens großer Zurücksetzung aller geistig Schaffenden. Hierdurch wird Rodbertus’ Lehre von vornherein in ein Zerrbild verwandelt, gegen welches Gründe billig sind. Die Wahrheit ist jedoch die, daß der Geist, weil auch er in der Production ebenso nöthig als thätig ist, bei der Vertheilung der Einkommensgüter gar nicht leer ausgehen kann. Ihres Unterhaltes beraubt, würde alle geistige Leistung wegfallen und damit die Production überhaupt stille stehen. Nur kann der Geist diese materiellen Güter, die er braucht, ohne sie doch selbst körperlich erarbeiten zu können, nirgends anders herbekommen, als aus einem Abzuge vom Product der körperlichen Arbeiter, die ihm damit den unentbehrlichen Beistand vergüten, den er ihnen leistet, indem er sie leitet. Und es kann endlich, weil diese Leistung die Merkmale der kostenden Arbeit entbehrt, die Größe dieses Abzuges nicht mit dem rein mechanischen Maßstabe der Arbeit gemessen, sondern muß der freien Schätzung überlassen werden. Nur die körperliche Arbeit, und die durch sie hergestellten Güter, haben in der auf sie verwandten Zeit und Kraft ihren genauen Maßstab des Werths. Somit nimmt Rodbertus’ Wirthschaftslehre, richtig verstanden, gleich in ihrem ersten, grundlegenden Satze einen außermateriellen Bestandtheil in sich auf, der in letzter Linie kein anderer als ein sittlicher sein kann, gemäß dem schon 1837 verkündeten Satze: „Das, was die Gesellschaft zusammenhält, ist sittlicher Natur und wird durch sittliche Institutionen erhalten und vermehrt.“

1845 ergriff R. in der Schrift: „Die Preußische Geldkrisis“ zu der im Titel genannten brennenden Frage das Wort. Der in Preußen beginnende [744] Eisenbahnbau hatte einen großen Theil des vorhandenen Geldes an sich gezogen, das nun den übrigen wirthschaftlichen Betrieben zu fehlen begann. Es entstand eine allgemeine Stockung aller Geschäfte und die Furcht vor einem, das ganze Volk umfassenden Bankerott. R. wies, nach einer lichtvollen Erörterung der Rolle des Geldes und Credites in der heutigen Wirthschaft, die Ursache der Krisis in einem Mangel an Umlaufsmitteln nach. Zugleich zeigte er aber, daß die preußische Industrie auch ohne solche außergewöhnliche Aufgaben, wie der Eisenbahnbau, zu wenig Geld besitze, und darum an dem gegenüber anderen Völkern ihr zukommenden Aufschwunge behindert werde. Er widerrieth die Anwendung von Staatspapiergeld, das zu leichtfertiger Verausgabung, nicht um die Production zu fördern, sondern um die Bedürfnisse des Staates zu decken, verlockte, besonders wenn der Staat noch absolute Formen habe. Auch könne es durch Krieg, der die Hülfsmittel der Regierung erschöpfe, oder durch den Sturz der Regierung, wobei die neue das von der alten ausgegebene Geld nicht anzuerkennen brauche, entwerthet werden. Dagegen empfahl er Bankgeld, das, aus dem Volke hervorgegangen, auf privaten Verpflichtungen beruhend und nur zu productiven Unternehmungen ausgeliehen, von jenen Möglichkeiten nicht berührt werde. Zur durchgreifenden Abhülfe schlug er ein über den ganzen Staat zu verbreitendes Bankwesen vor. Dasselbe sollte, um die Einheitlichkeit der Geschäfte zu sichern, aus einer Hauptbank in Berlin mit angemessenen Filialen in den Provinzen bestehen und halb aus provinzialen, halb aus privaten Mitteln auf Actien gebildet werden. An der Geschäftsleitung sei neben den Provinzialständen und den Actionären, der Oberaufsicht halber, noch die Regierung zu betheiligen, letztere aber ohne Antheil am Bankfond, damit nicht das Bankgeld Staatspapiergeld werde. Neben dem Hauptbanksystem sollten in jeder Provinz zur gelinden Concurrenz ein oder zwei Privatbanken verstattet werden, die Noten zur Hälfte ungedeckt sein und deren Ausgabe gesetzlich geregelt werden. Endlich deutete R. noch auf die Nothwendigkeit hin, durch Vermittelung des dem Eisenbahnbau zu gewährenden Credites Einheit in den Betrieb der verschiedenen Bahnen zu bringen und die völlige Uebernahme derselben seitens des Staates vorzubereiten – Rodbertus’ Schrift stürzte den Staatsbankplan des Ministers Rother; auch bewegte sich 1846 die Regierung thatsächlich in die Richtung von Rodbertus’ Vorschlag. Nur blieb sie auch, was Einsicht, Vorausblick und thatkräftiges Handeln betrifft, empfindlich hinter demselben zurück. Die Stellung, welche Handel und Industrie nebst dem mithelfenden Credit heute bei uns einnehmen, würde sonst weit rascher erreicht worden sein, und, bei Rodbertus’ „vorsichtigem Statut“, mit weit weniger Leiden, als uns auf unserem Wege begleitet haben. Ins hellste Licht tritt jedoch Rodbertus’ Schrift, wenn wir sie mit der gleichzeitigen Weisheit der Engländer vergleichen, die 1844 durch die Peel’sche Bankakte die ungedeckten Noten wieder auf eine für immer feststehende Summe beschränkten und dadurch die Bank von England wieder zur Unbehülflichkeit einer Girobank herabdrückten, indem sie auf Kosten der Zunahme der Production England vor Handelskrisen und Pauperismus bewahren wollten.

1847 benutzte R. die Gelegenheit der unerwarteten Berufung des ersten Vereinigten Landtages, um in dem Schriftchen: „Für den Kredit der Grundbesitzer“ eine weitere höchst wichtige Maßregel anzuregen. Der Zusatz im Titel: „Eine Bitte an die Reichsstände“ erklärt sich daher, daß der Vereinigte Landtag, vom König in der Absicht berufen, die von seinem Vater versprochenen Reichsstände zu umgehen, vielmehr den Anspruch erhob, diese Reichsstände zu sein, eine Anschauung, welcher sich R., vorbedeutend für seine spätere politische Haltung, somit angeschlossen hat. – Rodbertus’ Verlangen ging auf Ersetzung des kündbaren Hypothekencapitals durch den allein in der Natur der Landwirthschaft [745] begründeten und für den Grundcredit allein anwendbaren Rentenkauf. Im Handel und Gewerbe nämlich wird mit jeder hinausgesandten Waare ein Theil des Capitals hinausgesandt, und kommt, eine richtige Geschäftsleitung vorausgesetzt, im Erlös für dieselbe in bestimmten Fristen immer wieder zurück. Ist das Anlagecapital ein geliehenes, so kann es nach dieser Frist dem Darleiher wieder zum vollen Betrage zurückerstattet werden. Diesem Verhältnisse entspricht die Creditgesetzgebung mit kurzfristigen Darlehen und schleuniger, strenger Rechtsverfolgung bei Ueberschreitung der Fristen, d. h. durch das Wechselrecht. Der Grundbesitzer dagegen hat nur ein Stück Erde, das ihm bei richtiger Bewirthschaftung einen ständigen Ertrag, eine ewige Rente, abwirft, aber ihm im Umtrieb seiner Wirthschaft niemals in Geldform in die Hand kommt. Wird Geld in Form von Meliorationen in den Boden gesteckt, so wird dadurch, die Richtigkeit der Maßregel vorausgesetzt, der Ertrag des Bodens dauernd gehoben, aber in dieser Erhöhung kommt ebensowenig dem Grundbesitzer das dem Boden einverleibte Capital jemals wieder in die Hand. Geschieht die Melioration mit geliehenem Capital, so kann also auch der Darleiher sich nur einen Antheil an der erwarteten Ertragserhöhung ausbedingen, aber nichts weiter. Darlehen auf Grundstücke ist Rentekauf. Einzig diese in der Natur des Betriebes selbst liegende Thatsache zu formuliren kann die Aufgabe einer vernünftigen Grundcreditgesetzgebung sein. Die wirkliche Gesetzgebung verfährt jedoch so, als ob der Landwirth ein Gewerbetreibender wäre, dem sich zwischen Saat und Ernte der Grund und Boden umschlüge. Sie verstattet dem Darleiher die beliebige Rückforderung des geliehenen Capitals zum vollen Betrage, wenn auch unter Anordnung längerer Kündigungsfristen. Der Grundbesitzer hilft sich nun so, daß er sich einen anderen Darleiher sucht, der gerade Lust hat, sich Rente zu kaufen und deshalb mit seinem Capital den ersten abfindet. Dies ist jedoch nur ein neuer Beweis des gänzlichen Unterschiedes zwischen der Landwirthschaft und Handel und Industrie. In letzterer ist der Unternehmer, der ein Darlehen nicht aus dem Geschäft, für welches es geliehen ist, zurückzahlen kann, für dieses Stück Geschäft bereits bankerott. Ein zu dem Zwecke, das entstandene Loch zu stopfen, aufgenommenes zweites Darlehen ist eine wirthschaftliche Lüge. Dagegen der Landwirth muß sich nach erhaltener Kündigung einen neuen Ausleiher suchen, auch wenn sich die aus dem ersten Darlehen gewonnene Rente nicht um einen Halm und einen Heller verringert hat. Und er darf es auch ehrlicher Weise, eben weil er dem neuen Darleiher das unverminderte Stück Rente anzubieten hat, das der erste nur nicht mehr mag. Wenn jedoch der Fall eintritt, daß sich kein Ersatzmann findet? Dann kann der Grundbesitzer zunächst den Versuch machen, durch Preisgebung eines Stückes Rente, d. h. durch Anbieten eines höheren Zinsfußes, die Kündigung abzuwehren. Und oft wird dieselbe seitens des Darleihers nur zu diesem Zwecke unternommen. Das Gesetz gestattet demselben, in eigens dazu entworfenen Rechtsformen, den früheren Vertrag zu brechen, und sich etwas anzueignen, was ihm gar nicht gebührt, zu dessen Herstellung er durch sein dem Boden einverleibtes Capital vielleicht gar nicht mitgeholfen hat. Gesetzt aber, der kündigende Darleiher läßt sich auch durch einen höheren Zinsfuß nicht zufrieden stellen, so erreicht die Verkehrtheit der jetzigen Creditgesetzgebung ihren Gipfel in der Vernichtung ihres angeblichen Schützlings. Er mag vortrefflich wirthschaften, den Boden bereichern, die Rente erhöhen, pünktlich aus ihr die Zinsen abführen, aber er soll nach dem Gesetz ein Capital schaffen, das er nach der Natur seines Betriebes nicht mehr hat und haben kann, und der Zwangsverkauf ist vor der Thür. Was hier vom Einzelnen gezeigt worden ist, kann auch den ganzen Stand betreffen. In Zeiten steigenden Zinsfußes, oder wenn, wie in der soeben erwähnten [746] Geldkrisis, das gesammte Leihcapital nach einem bestimmten Punkte hindrängt, kann das Capital auf der ganzen Linie über den Grundbesitz den Rentenraub und den Zwangsverkauf verhängen. – Die natürlichen Verhältnisse werden nicht anders, wenn sich ein Landwirth mit geliehenem Capital angekauft hat, oder Miterben abfinden muß. Auch in diesen Fällen hat er nur Rente zu bieten, während er nach dem Gesetz Capital schaffen soll. – R. verlangt: 1) Erneuerung des im älteren deutschen Recht längst vorhanden gewesen Rentenkaufes. Nur im Falle ausbleibender Rentenzahlungen darf Kündigung des Captials und Beitreibung desselben mittelst Zwangsverkaufes erfolgen. 2) Ausstellung des Rentenbriefes auf den Inhaber. Sie verstattet dem Leihcapitalisten, der sein Capital gleichwohl zurückzuhaben wünscht, sich seinen Ersatzmann mit weit größerer Schnelligkeit selbst zu suchen, weil die Inhaberform die Kündigungsfrist überflüssig macht und den Markt des Rentenbriefes erweitert. 3) Oeffentlich beglaubigte, im ganzen Staate nach einerlei Grundsätzen auszuführende Taxen und die Eintragung der durch sie herausgestellten Rente eines jeden Gutes in die Rentenbriefe. Der Markt derselben wird dadurch über die ganze Monarchie ausgedehnt und auch den entfernt wohnenden Capitalisten Gewißheit über die behauptete Rente geboten. 4) Für eine ganze Provinz zeitlich und örtlich übereinstimmende Zins- und Capitaltermine. Sie bewirken, daß sich Käufer und Verkäufer für diejenigen ungarantirten Rentenbriefe leicht zusammenfinden, welche die Grundbesitzer noch auf denjenigen Theil ihrer Rente ausgeben, auf welchen die Landschaften garantirte Rentenbriefe nicht mehr bewilligen. – Der städtische Grundbesitz hat in allem vorstehend Behandelten einerlei Interesse und Recht mit dem Landbesitz. – Rodbertus’ „Bitte“ fand „wenig Anklang, kaum Verständniß“, trotzdem die rein grundbesitzerliche Versammlung mit ihrer Gewährung nur sich selbst die größte Gunst erzeugt hätte und Erfahrungen aus der Geldkrisis nahe genug lagen.

Inzwischen war, wie wir annehmen dürfen, unter Rodbertus’ Leitung, bereits die Vorbereitung für das schwierige Unternehmen allgemein gültiger Taxgrundsätze vollendet worden, die er zur völligen Ausnutzung des Rentenkaufes soeben verlangte. 1844 war er als Deputirter des Anclam’schen Landschaftsdepartements in eine Commission zur Umgestaltung der Taxprinzipien der Landschaft gewählt worden. Die Arbeit erschien 1846 als „Entwurf zu den neuen landschaftlichen Tax-Prinzipien für die Provinz Alt-Pommern“. Die beigegebenen Motive enthalten eine ausgeführte „Theorie der Abschätzung“, welche durchaus auf den allgemeinen Grundsätzen von Rodbertus’ neuer Wirthschaftslehre ruht. Die Brauchbarkeit und Bedeutung des Entwurfs zu vertheidigen, erhielt er selbst sehr bald Veranlassung, als der Arbeit der Commission 1847 in der Schrift: „Die Taxen und das Reglement der landschaftlichen Creditvereine nach ihren nothwendigen Reformen. Von Bülow-Cummerow“, eine sehr abfällige Besprechung zu Theil wurde. R. erwiderte dem wenig ebenbürtigen Gegner noch 1847 in der Schrift: „Die neusten Grundtaxen des Herrn v. Bülow-Cummerow“. Dieselbe gipfelt in einer nochmaligen äußerst gemeinverständlichen Darlegung der in Betracht kommenden wirthschaftlichen Begriffe und Verhältnisse, insbesondere der Entstehung der Grundrente aus der Natur des landwirthschaftlichen Betriebes heraus, sowie in Nachweisungen aus der Geschichte des Taxverfahrens, welche augenscheinlich auf das neue, von der Commission verfolgte und schon im Entwurf ausgesprochene Ziel hindränge: „den Werthausdruck für die verschiedensten Bodenclassen und unter allen nur möglichen Wirthschaftsformen bis zu geringfügigen Nüancirungen hinab in einem und demselben Taxregulativ zu geben“. Ein solches Regulativ schaffe „die Basis für eine neue Zukunft“ des ganzen Standes; es sei schon auf Grund des vorliegenden Entwurfes, unter gewissen Erweiterungen [747] desselben, durchführbar für den Umfang den gesammten preußischen Staates. – Am Schlusse der Schrift gegen v. Bülow entwickelt R. noch ein System „frommer Wünsche“ für die Gesetzgebung: 1) Im Hinblick auf eine erwartete Grundsteuerregulirung: Wandelbarkeit der Grundsteuer, so daß sie mit der abgeschätzten Grundrente mit steige oder falle; Auflegung der Grundsteuer auf die Grundrente, aus der sie allein bezahlt werden könne und solle, sowie auf den oder die Rentenbezieher, worüber neben den Besitztitel auch alle hypothekarischen Eintragungen entschieden; eine der Grundrente gleichmäßige Besteuerung des eigentlichen Capitals. Der Capitalwerth des Grundstückes werde infolge der ersten Grundsteuerumlegung dann nicht um den Capitalwerth der Grundsteuer sinken, wenn durch eine entsprechende Capitalsteuer der Zinsfuß erniedrigt werde. Ergibt z. B. eine Grundrente von 1000, mit 5 Proc. capitalisirt, einen Capitalwerth von 20000, so ergibt dieselbe, durch die Grundsteuer auf 800 erniedrigte Grundrente, mit einem durch die Captialsteuer von 5 auf 4 erniedrigten Zinsfuß capitalisirt, ebenfalls noch einen Capitalwerth von 20000. Es folgen 2) die schon den Reichsständen gemachten vier Vorschläge, sowie, um das Gleichgewicht zwischen Grundbesitz und Capital herzustellen, für das letztere 3) die Forderung eines der Lebendigkeit des Verkehrs entsprechenden Wechselrechts, schleuniger Justiz, strengeren Schuldrechts und Executionsverfahrens und vor Allem eines Systemes von Landbanken. „Erst dann, auf so geordneten Verhältnissen, läßt sich ein Steuersystem voll Einheit und Gerechtigkeit anlegen, ein Steuersystem, in welchem die Classen, die nicht besteuert werden dürfen, frei ausgehen, in welchem, obgleich lediglich der Besitzende besteuert wird, doch die Gehässigkeit der Einkommensteuer deshalb vermieden wird, weil die ursprünglichen Zweige des Nationaleinkommens, Grundrente und Capitalgewinn, dergestalt in scharf geschiedener Faßlichkeit vorliegen, daß die Steuererhebung sie nicht erst in dem Zusammenfluß der einzelnen Bezüge bei deren gemeinschaftlichen Participienten, sondern schon an den tausend verschiedenen örtlichen Quellen ergreifen kann, denen sie entströmen“. – R. hatte die Genugthuung, daß die neuen Taxprincipien nach ihren leitenden Gedanken gebilligt und am 16. December 1847 von dem landschaftlichen Generallandtag zu Stettin angenommen wurden. Er selbst wurde von der Ritterschaft des Kreises Usedom-Wollin zum Provinziallandtagsabgeordneten, daneben zum Generallandschaftsrath gewählt. Als solcher durch Cabinetsordre vom 24. Januar 1848 bestätigt, legte er dieses Amt bereits am 9. Februar 1849 nieder, führte aber, der Sitte gemäß, später noch dessen Titel. Vom Könige war ihm der Adel angetragen worden, den er jedoch ablehnte.

Der Entwurf eines Bankwesens für Handel und Gewerbe, nebst den Arbeiten und Vorschlägen zu Gunsten des eigenen Standes hatten für R. noch den höheren Zweck, als nothwendige Vorbereitungen für die Inangriffnahme seiner Haupt- und Lebensaufgabe zu dienen. Schon in der Schrift über die Geldkrisis hatte er darauf hingedeutet, daß durch das vorgeschlagene Zettelbanksystem dem Mangel der arbeitenden Classen abgeholfen werden könne. Nur, wenn man mit Hülfe jener Banken bei gehobenen Gewinnen und mit rascherem Schwunge producire, fänden die Arbeiter volle Beschäftigung und werde die Steigerung ihres Geldlohnes nicht vollständig durch die Steigerung der Productenpreise aufgewogen. Ja, er hatte hier sogar den eigenen, gut bezahlten Arbeiterstand bereits als die sicherste Grundlage einer großartigen, blühenden Production bezeichnet. In ähnlicher Weise muß durch den Rentenkauf dem Grundbesitzer erst der Besitz des Gutes und der unverkürzte Bezug des Ertrages gewährleistet werden, ehe er in demselben die Quelle gesichert bekommt, aus welcher auch er den Lohn seiner Arbeiter erhöhen kann. Aber weder Zettelbanken noch [748] Rentenkauf haben in einem System der freien Concurrenz von selbst für die Arbeiter die gewünschte Wirkung. Es bedarf dazu noch einer Reihe von Maßregeln, d. h. nunmehr ganz eigentlich jenes 1837 angekündigten „Systems der Staatsleitung“, dessen erstes Erforderniß die Herstellung eines Maßstabes ist, mittelst dessen die beabsichtige Lohnerhöhung mit Sicherheit vorgenommen werden kann. Dieser Maßstab wird gewonnen durch die Berechnung des „Normalwerks“. Eine Abschätzung der auf die verschiedenen Thätigkeiten der Arbeiter entfallenden Zeit findet auch heute bereits in jedem Betriebe statt, da man, um die Zahl der Arbeiter kennen zu lernen, die ein gewisses Werk in einer gewissen Zeit fertig stellen sollen, nothwendigerweise die Leistungen derselben kennen muß und auch thatsächlich kennt. Die Aufstellung des Normalwerkes bedeutet nichts Anderes, als diese Berechnungen, aber unter dem Gesichtspunkte allseitiger socialer Gerechtigkeit. Bei der Abschätzung der für ein bestimmtes Werk erforderlichen Arbeitszeit ist es das Recht des Arbeiters, nicht überanstrengt zu werden; das Recht des Betriebsbesitzers, daß keine Zeit vergeudet wird. Es ist endlich das Recht der Arbeiter untereinander, daß jeder von ihnen gleichviel Arbeit leiste. Da aber die einzelnen Berufsarten eine verschiedene Anstrengung erfordern, so muß, um überall die gleiche volle Tageskraft zur Aufwendung zu bringen, die Arbeitszeit eine verschiedene Länge erhalten. Auf Grund des derartig festzusetzenden Normalwerkarbeitstages und des zugehörigen Normalwerkes sind endlich für alle Betriebe Lohnsätze zu entwerfen, mittelst welcher auch die Arbeiter in gesetzlich geregelter Weise an den Erträgen betheiligt werden, welche Rodbertus’ übrige Vorschläge den beiden Hauptzweigen der nationalen Wirthschaft sichern. – In der Berechnung des Normalwerks nahm R. nunmehr die Sache der Arbeiter unmittelbar in Angriff. Zugleich erscheint diese Maßregel mit als die letzte Folge des Umstandes, daß R. nicht in der Wechslerstube oder als Buchgelehrter, sondern als Landwirth sein System entworfen hatte. Der Landwirth kann am besten die herkömmlichen drei Productionsfactoren Natur, Arbeit und Capital, welches letztere er so gut wie jeder Gewerbtreibende braucht, in ihrer Wechselwirkung beobachten, und weil sein Betrieb verhältnißmäßig die meiste Leitung erfordert, so müßte, wenn der Geist Producte schaffte, am ehesten er sie entdecken. Vielleicht also, weil R. Landwirth war, vermochte am schärfsten er, gleich in dem grundlegenden 1. Theorem, die Arbeit als die einzige Kraft zu erkennen, mit welcher die Wirthschaftlehre zu rechnen hat. Weiterhin stellt Rodbertus’ Ableitung der Grundrente und Grundcreditgesetzgebung ein wahres Zusichselberkommen dieses wirthschaftlichen Hauptzweiges dar. Endlich lenkt ein Gut mit der fast täglich zu verändernden Gruppirung seiner Arbeiter nach Werk und Leistungsfähigkeit die Gedanken beinahe von selbst auf jenes große System der Staatsleitung hin, zu welchem R. den ersten Schritt im Normalwerk thun wollte. Es begreift sich also, daß er zuerst bei Landwirthen Zustimmung und Unterstützung für diese Maßregel fand. Schließt sie sich doch unmittelbar an die neuen Taxprincipien an, die, zur Ehre der Landwirthschaft, einen der Marksteine aller wirthschaftlichen Entwicklung bilden. In ihnen hat der ordnende Gedanke sich bereits des verwickeltsten, aus den allerverschiedensten Rücksichten und Handtirungen bestehenden Theiles des ganzen Wirthschaftsgebietes, das seit langem zum größten allgemeinen Schaden in Argen gelegen hatte, zum Wohle aller Betheiligten bemächtigt. Sie enthalten die vollgültige Bürgschaft dafür, daß R. im Stande war, auch seine übrigen, vielleicht umfassenderen, aber sicherlich nicht schwierigeren Reformgedanken in bestimmten, im lebendigen Verkehr sich bewährenden Vorschriften zu verkörpern. Denn leider kam Rodbertus’ fernerer Plan nicht zur Ausführung. Zwar hatte sich ein „Baltischer Zweigverein für das Wohl der arbeitenden Classen“, im Anschlusse an ähnliche Bestrebungen [749] der Jahre 1846 und 1847, in Greifswald gegründet, dessen Vorsitzender R. ward, und der seine Thätigkeit auf die ländlichen Arbeiter beschränkte. Auch hatte R. Alles eingeleitet, um mit der Berechnung des landwirthschaftlichen Normalwerkes vorzugehen, als das Jahr 1848 seinen gesammten bisherigen Bestrebungen ein Ende machte.

Gleichwohl stürzte auch R. sich in die Bewegung, in der Hoffnung, mittelst ihrer einen festen staatsrechtlichen Boden und in einem freien, geeinigten Deutschland einen erweiterten Wirkungskreis für seine socialen Reformen zu gewinnen. Sein im Vorwort der „Erkenntniß“ ausgesprochener Grundsatz des allmählichen Fortschreitens vom geschichtlich Gegebenen aus wurde politisch zur Forderung der „Continuität des Rechtes“ und des „legalen Ueberganges“. Die Einberufung des zweiten Vereinigten Landtages, auf welchem R. als Mitglied des pommerschen Landtages erschien, war in seinem Sinne. Dadurch werde verhindert, daß „eine spätere revolutionaire Zeit auf den Vorgang des März sich berufen“ könne. „Der gesetzliche Faden zwischen der Zeit vor und nach dem März“ bleibe erhalten; man dürfe „die Früchte einer Revolution dennoch auf dem Boden des Rechtes zu pflücken“ erwarten. Auch glaubte R., daß die neue Verfassung von dem Vereinigten Landtage rascher gefördert werden würde, als von der beabsichtigten Nationalversammlung. Er fürchtete, daß diese, als Uebergangsversammlung, die Frage der Republik aufwerfen würde und, um überhaupt eine Verfassung einführen zu können, einen Theil der Executivgewalt haben oder erstreben müsse. Als dennoch dem Vereinigten Landtag der Entwurf eines Wahlgesetzes „für die zur Vereinbarung der preußischen Staatsverfassung zu berufende Versammlung“ zuging, bekämpfte er den Grundsatz der Vereinbarung, da er, wenn dieselbe nicht zu Stande käme, eine zweite Revolution befürchtete, und machte auf eine Lücke im Gesetz aufmerksam, in welchem der Versammlung ihre Befugnisse gar nicht bestimmt waren, so daß sie dahin gedrängt hätte werden müssen, sich dieselben zu nehmen. Es war sehr gegen seinen Willen, daß als diese Befugniß bezeichnet wurde, „die künftige Staatsverfassung durch Vereinbarung mit der Krone festzustellen“. Nachdem aber diese Bestimmung am 8. April Gesetz geworden war, wurde freilich Vereinbarung die fernere Richtschnur seines parlamentarischen Verhaltens. Er zog aus ihr die Folgerung, daß sich Krone und Versammlung als gleichberechtigte Vertragsschließende gegenüber stünden und daß die erstere insbesondere nicht das Recht habe, die Versammlung „zu vertagen, zu verlegen oder aufzulösen“; daß letztere vielmehr „das Recht der Permanenz, bis zur Lösung ihrer Aufgabe“, besitze. Diese Folgerungen sind bereits in dem im Juni 1848 veröffentlichten, von R. verfaßten Programme des linken Centrums enthalten, einer Reformpartei, an deren Bildung R. sofort nach dem Zusammentritte der Nationalversammlung gegangen und deren Führer er war. – Nachdem er sich um eine den Rechten und Aufgaben der Versammlung entsprechende Geschäftsordnung bemüht hatte, beantragte er am 3. Juni, in den Verfassungsentwurf eine Reihe wesentlich hineingehöriger Gegenstände (Gewerbeordnung, Steuer-, Communal-, Wehrverfassung, Unterricht u. s. w.) aufzunehmen, welche von der Regierung entweder übergangen oder besonderen Gesetzen vorbehalten worden waren. – Auch für das Frankfurter Parlament schien ihm die Continuität des Rechtes gerettet, mit dem Unterschiede, daß sie dort zur Souveränität des Parlamentes, die er gegenüber den deutschen Regierungen zur Herstellung einer einheitlichen deutschen Verfassung für nöthig hielt, geführt hatte. Als während des von Preußen in deutschem Auftrage gegen Dänemark geführten Krieges andere deutsche Regierungen mit diesem freundschaftlich verkehrten, benutzte er diesen Umstand am 9. Juni zur Interpellation und beantrage am 16., daß die Versammlung in einer Adresse an das Frankfurter Parlament sich [750] für die deutsche Sache erkläre und gegen jenes das Vertrauen ausspreche, daß es „zur Gründung deutscher Einheit berufen“, gegen jene Regierungen „ernst und kräftig auftreten“ werde. – Nach der Mißhandlung v. Arnim’s und Sydow’s beantragte er am 15. Juni einen beschleunigten Gesetzentwurf über allgemeine Volkswehr, die er ausdrücklich nicht als Bürgerwehr verstand, und kam in die Commission für den Verfassungsentwurf. – Am 26. Juni übernahm R. im Ministerium Auerswald den Cultus und Unterricht. Ueber die Stellung des letzteren im socialen System enthält schon der Aufsatz von 1837 tiefgreifende Andeutungen. R. überraschte die Versammlung durch eine entschiedene Abwehr eines kleinen Eingriffes in seine Verwaltung, stellte gründliche Gesetze gegen die bisherige gedrückte Stellung der Volksschullehrer in Aussicht, erschien aber schon am 4.Juli wieder als Abgeordneter, weil die Regierung der Wahl des deutschen Reichsverwesers nur thatsächlich, nicht als Ausfluß der Souveränität des Parlaments zustimmte. Er bekannte sich am 18. Juli als Gegner einer diese Anschauung ausdrückenden Erklärung des Ministeriums vom 4. Juli, sowie eines am 11. und 12. Juli verhandelten Antrages Jacoby, welcher zwar die Souveränität des Parlamentes aussprach, aber die Einsetzung eines unverantwortlichen Reichsverwesers tadelte. – Er griff am 28. Juli das Ministerium wegen des auf eigene Hand begonnenen Baues des Ostbahn und wegen volkwirthschaftlich falscher, „die östlichen Provinzen in die größte Unruhe“ versetzender Grundsteuervorlagen an; stimmte am 4. August für ausnahmslose Abschaffung der Todesstrafe; beantragte am 9. August eine schleunige Vorlage über die plötzlich in Berlin errichteten Schutzmannschaften, welche das Publicum belästigten und aufregten, und sich sogar an Abgeordneten, darunter auch an R. selbst, vergriffen hatten; stimmte für eigene Wahl der Anführer der Bürgerwehr durch diese; am 7. September für die schleunige Ausführung des durch den Stein’schen Antrag vom 9. August beschlossenen Erlasses an das Heer; am 22. September dafür, daß die Regierung die Centralgewalt zur Unterdrückung aufständischer Versuche „kräftigst“ unterstützte. – Am 3. October brachte er mit 275 gegen 17 Stimmen einen Antrag durch, welcher Ministerium und Nationalversammlung vor das vom Frankfurter Parlament erlassene „Gesetz über Einführung einer provisorischen Centralgewalt für Deutschland vom 28. Juni“ stellte und Preußens „Unterordnung“ unter die Frankfurter Regierung für den Fall der dänischen Frage verlangte. Er erklärte unumwunden, daß er dadurch die deutsche Einheit aus den „allgemeinen Versicherungen“ der Minister und den „Tagesordnungen“ der Versammlung auf den festen Boden des „Staatsrechtlichen“ hinüber zu retten, das bisherige Verhalten der preußischen Diplomatie in dieser Sache „mit einem Schleier“ zu bedecken, für Preußen den zum Schaden seines Ansehens im Auslande gelockerten Rückhalt in Deutschland wiederzugewinnen und es in den Dienst des großen Gesetzes der Nationalität zu stellen trachte, „das sich jetzt überall aus dem Schoße der Völker loswindet“. – R. stimmte am 7. October für entschädigungslose Aufhebung des Jagdrechts auf fremdem Boden; am 23. October für Gewährleistung der polnischen Sonderrechte Posens durch die Verfassung; am 27. October gegen entschädigungslose Aufhebung der Zehnten; am 31. October für die Abschaffung des Adels und beantragte eine Commission zur Entwerfung einer neuen Steuerverfassung „nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit und einer aufgeklärten Staatswirthschaft“. – Als am selben Tage Waldeck von der Regierung verlangt hatte, alle Mittel zum Schutze der in Wien gefährdeten Volksfreiheit aufzubieten, brachte R. mit 261 gegen 52 Stimmen den Zusatz durch, daß die Regierung zu diesem Zwecke „bei der Centralgewalt schleunige und energische Schritte“ thun solle. Weil ihm „Freiheit und Einheit unzertrennliche Begriffe in Deutschland“ seien, erklärte er durch die Centralgewalt, [751] „diesen ersten Grundbau deutscher Einheit“, wirken und nicht „als Einzelstaat den Krieg in den Einzelstaat“ tragen zu wollen; nur so werde man „dem Antrage die Gesinnung aller Deutschen“ anhängen und Preußen „an die Spitze Deutschlands bringen, wohin es sich zu stellen ihm geziemt, indem es seinen höchsten Beruf erkennt“, „die Freiheit in jedem Winkel deutscher Erde zu schützen, um wieviel mehr aber in Wien.“ – R. befand sich am 2. November bei der vom König wegen Ernennung des Ministeriums Brandenburg empfangenen Deputation; verwahrte sich entschieden gegen Jacoby’s bekanntes Benehmen; stimmte am 4. November gegen die Dringlichkeit des Antrages Waldeck, eine Commission zu wählen, welche innerhalb der Rechtsgränzen der Nationalversammlung Vorschläge über die bedrohliche Lage des Landes machen sollte. – Nach der am 9. November von der Regierung verfügten Verlegung und Vertagung betheiligte er sich an den trotzdem in Berlin fortgesetzten Sitzungen; hielt am 15. November den zur Sprengung der Versammlung heranrückenden Major Herwarth so lange hin, bis der Steuerverweigerungsbeschluß gefaßt war; wurde, obwohl er sich seit dem Sommer in Berlin vollständig niedergelassen hatte, als „Fremder“ ausgewiesen; erschien nicht in der vom 27. November ab in Brandenburg tagenden Versammlung. – Gegen Ende des Jahres veröffentlichte er: „Mein Verhalten in dem Conflict zwischen Krone und Volk. An meine Wähler“. Er entwickelt die gleich anfangs aus dem Vereinbarungsbegriffe von ihm gezogenen Folgerungen; weist nach, daß bei jeder bisher nothwendig gewordenen Vertagung oder Verlegung des Sitzungsraumes die Regierung mit der Versammlung vereinbart habe; beschuldigt die Minister, für den gegenwärthigen Fall und den dabei behaupteten Zweck nicht einmal den Versuch dazu gemacht zu haben; zeigt endlich, daß die Versammlung auf Grund des Wahlgesetzes vom 8. April 1848 „die seitherigen reichsständischen Befugnisse, namentlich in Bezug auf die Bewilligung von Steuern und Staatsanleihen für die Dauer ihrer Versammlung interimistisch auszuüben“ gehabt, und daß die Reichstände ihren gesetzlichen Sitz in Berlin hatten. Durch die willkürliche Verlegung auf die „Frage ihrer Existenz“ gestellt, habe die Versammlung „nur noch in der Behauptung ihres Rechtes eine Ehre suchen“ können und habe auch zu dem letzten „Rechte der Steuerverweigerung nur in dem Augenblicke gegriffen, als sie durch Bajonette gesprengt wurde“. R. vertheidigt die vernichtete Versammlung durch den Hinweis auf die von ihr vollendeten, „vielen tüchtigen und gründlichen Gesetzentwürfe“, die thatsächlich auch von der siegreichen Partei später ohne Weiteres benutzt, aber sicherlich nicht verbessert wurden. Er verwahrt sich gegen Verfassung, Bericht des Ministeriums und Auflösungsordre vom 5. December, die „beinahe ein ähnliches Unrecht“ sei, als wenn die Nationalversammlung „die Krone abgeschafft hätte“, und zählt die Fülle von Rechten auf, welche von der Krone durch die Erlasse des März dem Volke gewährt, durch dessen gesetzliches Organ, den zweiten Vereinigten Landtag, in der Adresse vom 2. April 1848 in Empfang genommen, von diesem theils in dem Gesetz vom 6. April selbst festgestellt, theils unter Zustimmung der Krone auf die Nationalversammlung zur weiteren Vereinbarung übertragen worden, aber durch die octroirte Verfassung vom 5. December ihres rechtlichen Werthes verlustig gegangen seien. R. enthüllt die rechtliche Richtigkeit der vorbehaltenen Revision dieser Verfassung auf Grund ihres selbst und ihren Mangel an den gewöhnlichsten constitutionellen Volksrechten. Die Minister hätten sich durch Anrathen zu diesem gesammten Vorgehen einer schweren Pflichtverletzung gegen Krone und Versammlung schuldig gemacht und „die erste Revolution in Preußen“ geschaffen. Um aber seinerseits mit allen Kräften diesen Zustand schließen zu helfen, gebe er sich, „zu dem Volke als dem Ursprunge alles Rechts zurückkehrend“, einer neuen Wahl für die [752] zum 26. Februar 1849 berufene Landesversammlung hin. – R. wurde in die 1. Kammer von einem Trier’schen, in die 2. von zwei Berliner Wahlkreisen gewählt und nahm in Berlin an. – Er betheiligte sich am 19. März an einer Interpellation auf Rechenschaft für die „exceptionellen Maßregeln“ des Ministeriums. – In der Adreßdebatte beantragte er „sofortige Revision“ der Verfassung auf die Verheißungen vom März und das Gesetz vom 6. April hin, „schleunigste Aufhebung“ des Belagerungszustandes, Erklärung bereitwilliger Mitwirkung zu einer deutschen Verfassung, „welche den Bedürfnissen Deutschlands, wie den gerechten Erwartungen seines Volkes entspricht.“ Zu letzterem Punkte wies R. am 26. März aus den Noten der Regierungen nach, daß sie nur den „alten Staatenbund mit verändertem Einband“ erstrebten, nicht den politisch allein genügenden engeren Bundesstaat, der mit Oesterreich nur „durch ein völkerrechtliches Band“ verbunden sein und nur aus der Unterstützung der Nationalversammlung sowie aus einer Vertretung des deutschen Volkes bei diesem Bunde erstehen könne. – Nach Ablehnung der Kaiserkrone durch Friedrich Wilhelm IV. brachte R. am 21. April mit 175 gegen 159 Stimmen die Anerkennung der in Frankfurt beschlossenen Reichsverfassung durch. Er deutete offen auf die Gefahren hin, welche aus den ungenügenden Plänen der Regierungen für die Fürsten, für Deutschland und vor Allem Preußen drohten, erläuterte das Recht des Frankfurter Parlamentes zum Erlaß der Verfassung und wies darauf hin, daß, nachdem dieselbe bereits von 30 deutschen Regierungen als für sie rechtsverbindlich anerkannt sei, niemals die Zeit günstiger gewesen sein, „um auf dem Wege des Friedens, des Rechts und des Gesetzes (wie merkwürdig dieser Weg!) zur Größe Preußens, wie sie ihm jetzt angeboten wird, zu gelangen.“ – Im übrigen betheiligte sich R. lebhaft an dem Kampfe gegen das Ministerium, sowie insbesondere gegen dessen Vorlagen über Placatwesen und Straßenlitteratur, und über Versammlungs- und Vereinigungsrecht, ohne aber dabei als Redner aufzutreten, schloß sich auch als Abgeordneter für Berlin dem Waldeck’schen Antrage auf sofortige Aufhebung des Belagerungszustandes an, nach dessen Annahme die Kammer am 27. April aufgelöst wurde. – Nach dem Erlaß des Manteuffel’schen Dreiclassenwahlgesetzes war R. für die Wahlenthaltung seiner Partei, lehnte auch eine später in Breslau ihm angetragene Wahl ab. – Der „Seher von Jagetzow“ hatte auf politischem Gebiete zunächst dasselbe Schicksal, wie auf wirthschaftlichem, wenn auch die Geschichte seine Verkündigungen dort ebenso wahr machte, wie allmählich hier. In der Warnung vom 3. October liegt Olmütz, in dem Antrage vom 31. October der Krieg von 1866 zusammt der Kaiserkrone, in der deutschen Frage überhaupt der Ausweg aus dem inneren Conflict enthalten. In seiner Politik wurde R. von seinem klaren Rechtssinn, sowie bis zuletzt von der Hoffnung auf einen Umschlag, mehr von oben, als von unten, geleitet. Die Freiheit, welche er erstrebte, hatte er für seine wirthschaftlichen Reformen nöthig, wofür bereits der Vorschlag über das Bankwesen Andeutungen enthält. Zugleich besaß er in diesen Reformen den sichersten Schutz vor Ausartung in Anarchie. Wenn R. und seine Partei sich Demokraten nannten, so bedeutete das nicht nach heutigem Sprachgebrauche Republikaner. Ein solcher ist R. nie gewesen. Für ihn umschloß der Begriff der Demokratie zugleich ein starkes, aber den Bedürfnissen der Zeit Rechnung tragendes, in freiheitlichem Sinne regierendes Königthum.

R. kehrte zur socialen Frage zurück, deren Erörterung er zugleich der deutschen Demokratie empfahl. Auch jetzt steht eine Art Programm an der Spitze in Gestalt von „Bemerkungen zu dem Bericht über die Gründung einer Invaliden- und Altersversorgungsanstalt für Arbeiter und den Zweck der Vereine für Arbeiterwohl“ vom 5. Juli 1849. Diese Bemerkungen bilden ein Gutachten [753] Rodbertus’ an den Berliner „Centralverein für das Wohl der arbeitenden Klassen“ (erschienen in den Mittheilungen des Centralv. u. s. w., Jahrgang 1849–50; neu herausg. in Dr. Quarck, Zwei verschollene staatswirtsch. Abhandl. von R., 1885). R. stimmt dem Verein bei, daß die Arbeiter der Armenpflege jeder Art entzogen werden, auf die eigene Kraft ihre bürgerliche Existenz gründen müssen. Allein der heutige Lohn reicht kaum gegen den augenblicklichen Hunger und Frost und zu den auch für den Arbeiter unabweislichen Culturbedürfnissen; um so weniger lassen sich Anstalten, wie die im Titel genannten, daraus bestreiten. Wollen also die Vereine dabei bleiben, die Arbeiter durch Selbsthülfe versorgt zu sehen, so müssen sie unausweichlich darauf denken, den Lohn zu erhöhen. Dieser wird unter der Herrschaft der freien Concurrenz stets auf demselben Betrage des nothwendigen Unterhaltes festgehalten, oder, wenn nöthig, auf ihn herabgedrückt. Für letzteren Vorgang bringt R. aus dem preußischen Arbeiterstande schlagende Beispiele bei. Andererseits ist die Productivität in einem beständigen Steigen begriffen. Beide Thatsachen lassen sich zu dem Satze vereinigen, daß der Lohn verhältnißmäßig, als Antheil am Product betrachtet, im steten Sinken begriffen ist. Hieraus entsteht der Widerspruch, daß den arbeitenden Classen seit ihrer rechtlichen und politischen Gleichstellung der gleiche bürgerliche Ehr- und Rechtsbegriff angesonnen wird, aber ohne die Mittel, sich diese Tugenden zu erwerben, und daß ihrer Begierde eine wachsende Gütermenge vorgehalten, aber diese Begierde niemals befriedigt wird. Diesem auf die Dauer unhaltbaren Zustande kann unausweichlich nur durch eine Lohnerhöhung abgeholfen werden. Es müssen die Vortheile der steigenden Productivität nicht mehr bloß dem Grund- und Capitalbesitz, sondern auch noch dem Arbeitslohne zu Gute kommen. Den Vereinen für Arbeiterwohl eröffne sich mithin die doppelte Aufgabe, diese noch sehr neuen Anschauungen durch eine angemessene Lehrthätigkeit zu verbreiten, und sich hinsichtlich der ländlichen Arbeiter der östlichen preußischen Provinzen an der Durchführung eines neuen Lohnsystems zu betheiligen, welches den Lohn erhöhen werde, ohne den Unternehmer zu verkürzen. Daß dabei das Normalwerk eine Rolle gespielt haben würde, und daß somit R. seine sociale Thätigkeit ebendort aufzunehmen gedachte, wo er sie 1848 unterbrochen hatte, scheint nicht zweifelhaft zu sein. – Zugleich begann R. die „Socialen Briefe an von Kirchmann“, welcher R. angegriffen hatte, zu veröffentlichen. Sie würden die Unterlagen für jene Lehrthätigkeit geliefert haben und sollten dem Inhalte nach das 1. Heft der „Erkenntniß“ fortsetzen. Das Vorwort des 1. Briefes bezeichnet als Gegenstand der ganzen Reihe den Satz, daß die Ursache von Pauperismus und Handelskrisen darin liege, daß der verhältnißmäßige Arbeitslohn in stetem Sinken begriffen sei. R. erklärt diesen Gedanken für neu und für sein Eigenthum. Im 1. Brief von 1850 (neu abgedruckt im 3. Bde. der Nachlaßausgabe) weist R. auf die drei erst seit Beginn dieses Jahrhunderts in der Geschichte aufgetretenen Erscheinungen des beständig anschwellenden Nationalreichthums, der wachsenden Verarmung des größten Theiles der Bevölkerung und der Handelskrisen hin. Er erläutert sie in einer Reihe glänzender wirthschaftsgeschichtlicher Bilder, aus denen er hinsichtlich der Handelskrisen bereits den heutigen Zustand des „schleichend gewordenen Leidens“ voraussagt und den Schluß zieht, daß sie und der Pauperismus sich gegenseitig in die Hände arbeiten. Die Armuth der arbeitenden Classen läßt nicht zu, daß ihr Einkommen ein Bett für die anschwellende Production abgebe; der deshalb unverkäufliche Rest der Producte stürzt ihre Besitzer ins Verderben und der dadurch herbeigeführte Stillstand der Production vermehrt wieder den Pauperismus. R. macht aufs Neue auf das Bedrohliche dieses Zustandes aufmerksam und weist [754] der Staatswirthschaft die Aufgabe seiner Beseitigung zu. – Im 2. Briefe von 1850 (neu abgedruckt in „Zur Beleuchtung der socialen Frage“, I, 1875) stellt R. der von ihm ausführlich mitgetheilten Kirchmann’schen socialen Theorie seine eigene gegenüber, indem er in 34 kurzen Absätzen die Lehre von der Vertheilung des Nationaleinkommens entwickelt und Pauperismus und Handelskrisen als nothwendige Folgen aus einer sich selbst überlassenen Wirthschaft, d. i. der freien Concurrenz, ableitet. – Der 3. Brief, 1851 (neu abgedruckt in „Zur Beleuchtung“ I, 1875), widerlegt die Ricardo’sche Grundrententheorie, „die noch immer wie ein Schleier den Kern der socialen Frage verhängt“. R. weist nochmals die Grundrente als einen besonderen Theil der allgemeinen Rente nach, wobei die Wirkung des Grund- und Capitaleigenthums auf die Entstehung der Rente zu erneuter eindringlichster Darstellung gelangt. Sodann widerlegt er aus der Landwirthschaft, Geschichte und Statistik die Ricardo’sche Lehre von der steigenden Unproductivität des Ackerbaues, nach welcher die Menschheit einem allgemeinen Hungerende entgegen gehen und die sociale Frage überhaupt nicht lösbar sein würde, und woraus v. Kirchmann bereits den Pauperismus ableiten wollte. R. entfaltet hier seine ganze landwirthschaftliche Ueberlegenheit und zeigt, daß auch jetzt noch die wirksamsten Verbesserungen des Bodens in großer Fülle und beinahe ohne Kosten, z. B. die oben genannte Drainirung, selbst da vorkommen, wo sie nach Ricardo längst nicht mehr möglich sein dürften. – 1851 besuchte R. die Londoner Weltausstellung. – Für den 4. Brief war der ausführliche Beweis der beiden Sätze bestimmt, daß die Handelskrisen durch das Fallen des Antheils der arbeitenden Classen am Product bei steigender Productivität verursacht würden, und daß die arbeitenden Classen in einem sich selbst überlassenen Verkehr von den Früchten der steigenden Productivität ausgeschlossen seien. In letzterem Satze erkannte er den Grundgedanken seiner Lehre gegenüber derjenigen Bastiat’s, daß auch in einer sich selbst überlassenen Wirthschaft die materielle Lage alle Classen sich fortwährend verbessere und ausgleiche. R. behielt jedoch das um 1851 bereits in der Reinschrift fertige Werk zurück, weil die früheren Arbeiten nicht nach Wunsch beachtet wurden. Im Nachlasse ist bisher nur der Anfang des Werkes aufgefunden worden (Bd. II der Nachlaßausgabe), der zu drei Viertheilen von einer als Einschub bezeichneten Abhandlung ausgefüllt wird, die hauptsächlich das Wesen der Wirthschaft und des Capitals in einem Zustande ohne und einem Zustande mit Grund- und Capitaleigenthum vergleichend erörtert. – 1852 unternahm R. eine Reise nach der Schweiz, Oberitalien und Wien.

Aber auch die Arbeit an den Briefen unterbrach R., um die in dem letzten auseinandergesetzten Begriffe durch eine Vergleichung mit denen der antiken Wirthschaft auf die Probe zu stellen. Da er die bisherigen gelehrten Darstellungen dieses Gegenstandes als „ein völliges, gründliches Mißverstehen der ganzen Nationalökonomie des Alterthums“, insbesondere aber Alles, was Savigny darüber geschrieben, als „grundfalsch“ erkannte, so verwandte er „einige Jahre“ auf das eigene Studium der Quellen, durch das er endlich alle Begriffe, die er „in jener Abhandlung niedergelegt, bestätigt fand“. Uebrigens verräth er schon von 1837 an die nämliche Auffassung des antiken socialen Zustandes, als er von jetzt ab vorträgt; es kann sich also für ihn eben nur um ein völlig selbständiges Erforschen der Quellen und Eindringen in alle Einzelheiten gehandelt haben. – Die antike Wirthschaft beruhte nach R. auf dem Oikos. Innerhalb des von dem Wirthschaftsherrn besessenen Stück Landes wurden von dem Wirthschaftsangehörigen, dem Herrn und seiner Familie nebst den Sklaven, alle Rohstoffe gewonnen, die Verzehrsgüter gearbeitet und verbraucht, die in der Wirthschaft vorkamen. Nur Weniges, Eisen, Salz, die [755] schwachen Anfänge des Luxus, stammte von außen und wurde gegen nicht verzehrte, überschüssige Güter eingetauscht. Im wesentlichen aber war jeder Oikos wirthschaftlich eine Welt für sich. Ihr rein räumliches Nebeneinander gab die Unterlage des antiken Staates, der Polis, ab, die somit nur nach Sprache, Sitte, Religion, Heerwesen ein Ganzes bildete und in dem gemeinsamen Mauerring, der urbs, mit dem Versammlungsorte der Oikenherren, den Staatsgöttern u. s. w. seinen Mittelpunkt besaß. Bewegung in den Oikos kam durch Aufhebung der geschlechtsgenossenschaftlichen Rechtsordnung, die jeden Herrn an sein Stück Land gebunden hatte, und Einführung des freien Verkehrs mit Oikenland. Diese Aufhebung geschah in Rom durch Servius Tullius, in Athen durch Solon. Mittelst des Darlehnscredites, vornehmlich in Getreide u. s. w. geleistet, vermochte der glücklichere Wirth die Grundstücke des in Noth gerathenen an sich zu bringen. Aus der beständigen Wiederholung dieses einfachen Vorganges bildete sich der Riesengroßgrundbesitz der Kaiserzeit, der auch die vom Staate unablässig neu angesetzten kleinen Colonisten immer wieder verschlang. Gleichzeitig bewirkte das Anwachsen des Oikos Veränderungen des Betriebes. Die Vermehrung der Sklaven gestattete, die Vortheile der Arbeitstheilung herauszufinden und die Productivität zu erhöhen, indem man erst Acker- und Handwerkersklaven, dann diese nach Beschäftigungsarten sonderte. Weiter löste sich der von den reicher gewordenen Oikenherren für eines Jeden eigene Bedürfnisse, immer mit eigenen Mitteln und Sklaven, begonnene Handel nebst Seeschiffahrt, sowie die Geldausleihe, langsam von dem Untergrunde des Bodens los und wurden zu selbständigen Erwerbzweigen. Als endlich die übliche Art des Ackerbaues wegen der steigenden Ausdehnung der Feldmark nicht mehr lohnte, zerlegte man die Güter in kleine, an die eigenen Sklaven ausgethane Pachtstellen, während die Herren dauernd in ihrem Stadthaus blieben, wohin sie die Rohstoffe von ihren Pächtern sich nachliefern ließen und die Fabrikationssklaven mitnahmen. Die Vereinigung derselben von verschiedenen Gütern her hatte eine neue bedeutende Steigerung der Productivität zur Folge. Hier zum ersten Male in der Geschichte begann der Capitalbegriff im Unterschiede vom Grundbesitz aufzutauchen. Unter diesem System, mit einem bereits ganz selbständigen Capital für Handel, Bankiergeschäft und sonstige Erwerbe zur Seite, erreichte das römische Reich um Alexander Severus seine höchste materielle Blüthe. Die weitere Entwicklung kam vom Staate her. Dieser hatte sich der beginnenden Auflösung des Oikos bis in die erste Kaiserzeit hinein, wiewol immer schwächer, widersetzt; er zog später Nutzen davon, indem er die abgetrennten Zweige gesondert besteuerte; er nahm, zur Rettung von Staat und Gesellschaft, die weitere Auflösung des bestehenden Eigenthumsorganismus endlich selbst in die Hand. Die Besitzer suchten sich nämlich der in den Nöthen des Reiches immer mehr anschwellenden Steuerfluth durch Abwälzung auf ihre Pächtersklaven zu entledigen, wodurch sie diese so bedrückten, daß sie schließlich vom Hofe flohen und die Bebauung im Stiche ließen. Indem die Kaiser hier entschieden auf Seite der Sklaven traten, entstand ein langer Kampf zwischen Staat und Privaten um die letzteren. Es kam endlich dahin, daß sie, zur völligen Sicherheit vor ihren Herren, gänzlich aus deren Eigenthum ausgeschieden wurden und, an den Hof gebunden, an dieselben nur noch einen vom Staate festgesetzten Theil des Ertrages abzuführen hatten. Als auch noch die Fabrikationssklaven denselben Weg gegangen und Stadthaus und Landgrundstück an verschiedene Herren gekommen waren, hatten sich im Laufe einer langen, aber lückenlosen, schrittweisen Entwicklung die Grundlagen einer neuen, der germanischen Wirthschaftsordnung herausgebildet. Sie wurden jetzt aufs Neue mit rechtlichen Schranken umgeben, die in den Zünften, der Hörigkeit, dem Lehnswesen zum Ausdrucke kamen. – Keine Bestätigung seiner Lehre dürfte R. rascher [756] aufgesucht und mit größerer Freude gefunden haben, als die der Grundrententheorie. Dieselbe steht nämlich in gewissem Zusammenhange mit der Höhe des Zinsfußes und verlangt, wenn man sie auf die Verhältnisse des Oikos zurückführt, einen weit höheren Zinsfuß, als den bei uns üblichen. Daß das Alterthum denselben in der That hatte, zeigt R. in dem schon um 1851 fertigen: „Versuch, die Höhe des antiken Zinsfußes zu erklären“ (aus dem Nachlasse abgedruckt in Hildebr. Jahrb. f. NO. u. Statist., 1884, N. F. VIII). – Bei der fast ganz am Boden haftenden Art der antiken Wirthschaft leisteten R. seine landwirthschaftlichen Kenntnisse wiederum die wichtigsten Dienste. Auch ist es bezeichnend, daß er, der bei uns die alte Wirthschaft am Steuerwesen aus den Angeln zu heben gedachte, auch die antike aus diesem Gesichtspunkte ins Auge faßt. Demgemäß behandeln die beiden Hauptarbeiten über den Oikos: „Zur Geschichte der agrarischen Entwicklung Roms unter den Kaisern“ (Hildebr. Jahrb. II, 1864) und „Zur Geschichte der römischen Tributsteuern seit Augustus“ (Hildebr. Jahrb. IV u. V, 1865; VIII, 1867. Der nach R. „druckfertige“ Schluß ist im Nachlasse bisher nicht aufgefunden). Rodbertus’ sämmtliche römischen Abhandlungen sind ein noch unerschlossener Schatz sowol der überraschendsten Lösungen einzelner in der Philologie vielumstrittener Stellen und Fragen, als auch von allgemeinen Winken über die Wechselwirkung der Wirthschaft mit Politik, Sitte, Kunst, Wissenschaft u. s. w., von denen nur der höchst bedeutsame Abriß der Entwicklung des Rechts (Hildebr. Jahrb. VIII, 437–444) besonders genannt sei. Planmäßig ausgenutzt dürften diese Abhandlungen in der classischen Philologie, der Geschichtsschreibung und den Geisteswissenschaften der verschiedensten Art ganz neue Abschnitte begründen. – Mit der durch die gründlichsten Untersuchungen sicher gestellten Erkenntniß des Oikos hatte R. den entscheidenden Theil seiner Geschichtsphilosophie gewonnen. Nach einer Vorstufe der Jägervölker, auf welcher die Productivität des freien Arbeitenden nur gerade zu seinem und seiner Familie Unterhalt ausreichte, begann mit dem Uebergange zu Viehzucht und Ackerbau die Gewinnung überschüssiger Unterhaltsmittel, welche, von der nunmehr zugleich in Sklaverei gerathenen Arbeitern an ihre Herren abgegeben, diesen die Möglichkeit gewährten, die Keime der Bildung zu entfalten und „die Thaten der Geschichte zu vollführen“. Diese 1. Periode des Menschen-, Grund- und Capitaleigenthums oder die heidnisch-antike Staatenordnung besteht nach R. aus dem theokratischen Staate der Pharaonen und Inkas, dem Kastenstaate der Inder, der Satrapie der Perser, der Polis der Griechen und Römer. Es ist gezeigt worden, wie sich aus letzterer die Grundlagen der 2. oder christlich-germanischen Staatenordnung herausbildeten, in welcher der Arbeiter aus dem Eigenthum herausgefallen, dieses nur noch auf Boden und Capital beschränkt und die Gütererzeugung productiv genug geworden war, um je zwei Herren zu versorgen. In dieser Ordnung folgten sich der kirchliche, der Stände-, der bureaukratische, der Repräsentativstaat. Letzterer nebst der ihn einleitenden englischen und französischen Revolution spielt für unsere Staatenordnung dieselbe Rolle, wie die Polis von der servischen und solonischen Verfassung an für die heidnisch-antike. Der nach Beseitigung der mittelalterlichen Rechtsschranken aufs neue freigegebene Verkehr löst auch unsere socialen Grundlagen auf. Der größere Captialist verdrängt mittelst der freien Concurrenz den kleineren aus seinem Eigenthum; er vollzieht mittelst des freien Lohncontracts denselben Vorgang an den Arbeitern, indem er sie zunächst auf den nothwendigsten Unterhalt herabdrückt und mit der steigenden Anwendung der Maschinen steigend aus der Production und damit überhaupt aus allem Eigenthum hinauswirft; er übt mittelst des frei kündbaren Hypothekencapitals am Grundbesitzer den Rentenraub und Zwangsverkauf. Das schon jetzt augenscheinliche Ziel der Entwicklung ist gleichfalls [757] eine neue, höhere Eigenthumsordnung, in welcher, nach der Enteignung auch der letzten Eigenthümer durch die Enteigneten, auch noch Boden und Capital aus dem Privatbesitze Einzelner herausgefallen sein, vermöge einer durch die Maschinen beschleunigten Productivität allen Gliedern der Gesellschaft das Loos der Freien des Alterthums zukommen und in der aufs neue, wie in der vorsolonisch-servischen Geschlechtergenossenschaft und im Mittelalter, von rechtlichen Schranken eingefaßten Wirthschaft nur noch Einzeleigenthum am Einkommen vorhanden sein wird, das nach den aus dem Wesen der körperlichen und geistigen Arbeit folgenden Gesetzen einem Jeden für seinen Antheil an der nationalen Arbeit zustehen wird. Als letztes Ziel dieser auf immer weitere Kreise übergreifenden Vereinheitlichung erblickte R. die eine, organisirte menschliche Gesellschaft. – Diese Geschichtsphilosophie gab R. zunächst Aufschluß über die geschichtliche Bedeutung unseres eigenen Wirthschaftssystems. Auch bei uns kann der freie Verkehr nicht höchstes Ziel und Abschluß aller Entwicklung sein, sondern nur Mittel des Ueberganges aus überlebten zu neuen „festen Gemeinschaftsformen, in denen sich im Grunde auch das Individuum nur allein wohl fühlt.“ Der Gleichheit der Aufgabe der antiken und der modernen freien Concurrenz entspricht jedoch eine wichtige Verschiedenheit in der Lösung. Wie die Geschichte sich für jede Stufe des heidnisch-antiken Staates eines anderen Volkes bediente, dagegen sich alle Stufen der christlich-germanischen Ordnung innerhalb der nämlichen Völker abspielten, so wird der wichtigere und schwierigere Uebergang zu einer ganz neuen Eigenthumsordnung gleichfalls von uns besser bestanden werden, als von den Alten. „Wir werden blos die überlebte Staatsform abstreifen, aber die germanische Nationalität um so erfrischter in die neue mit hinübernehmen; die römische ging aber unter der Abstreifung mit zu Grunde. Hängen wir also bei Leibe nicht unser Herz an „die Güter, die das Leben vergänglich zieren“, z. B. schlechte sociale Grundlagen; aber pflegen wir den ethischen und geistigen nationalen Kern desto mehr, damit er die Häutung glücklich überstehe.“ Diese Erfrischung wird auch dem Christenthume zu theil werden, von dessen heutiger Entwicklungsstufe R. gleichfalls kein Freund war. – Seine Geschichtsphilosophie gewährte R. ferner Aufschluß über das Wesen des Cäsarismus. Derselbe ist entstanden aus dem Concurrenzkampfe der großen Oikenherren um den Besitz des ganzen griechisch-römischen Oikenstaates. Zum Nutzen seiner selbst und der Gesellschaft mußte der Sieger verschiedene Zweige der Verwaltung, wie Heerwesen, Steuer u. s. w., in seine Hand nehme; die Kaiser mußten für Bedürfnisse, welche sich infolge der fortschreitenden Umbildung der Gesellschaft herausstellten, selbst neue Einrichtungen schaffen, wie einen besoldeten Berufsbeamtenstand, staatliche Unterrichtsanstalten; sie konnten und mußten, als mit ihrer Macht über die Gesellschaft auch deren Noth stieg, zu immer tieferen Eingriffen in die Eigenthumsordnung, schließlich, als sogar der nährende Untergrund von Staat und Gesellschaft bedroht wurde, zur Aufhebung des freien Verkehrs verschreiten. Aehnlich ist nach R. der weltgeschichtliche Zweck der seit der Reformation eingetretenen Erweiterung der königlichen Gewalt, welche ebenso sehr aus wirthschaftlichen wie anderen Ursachen stattgefunden hat und gleichfalls zu einem Cäsarismus moderner Art führen werde. „Cäsaren sind weit mehr die Kinder, als die Initiatoren ihrer Zeit. Darum werden sie ihr niemals fehlen, wenn sie auch selten sind. Selten, weil diese Zeiten selbst selten sind, denn diese bilden nur den Uebergang zu neuen Staatenordnungen. Kein Gott vermöchte einen Cäsar in den organischen Epochen der Geschichte, hätte ihn schon vor dem älteren Cato oder im deutschen Mittelalter zu erwecken vermocht. Und selten, weil die Vereinigung so großer Eigenschaften selten ist; denn wunderbare Einsicht und felsenfester Charakter, Genie und Größe müssen noch von den Leidenschaften [758] eines Egoismus getragen sein, der zu eigenem Nutzen vollbringt, was nur zum Frommen der Gesellschaft gereicht. Keine selbstlose Tugend geht über den Rubicon oder vollführt einen 18. Brumaire. Glück wünschen darf sich daher die Menschheit, daß die Zeiten der Cäsaren selten kommen; aber wenn sie gekommen, wird sie sich abermals Glück wünschen, sich einem Manne in die Arme werfen zu können, der solche Eigenschaften vereinigt.“ – Noch über die Bestätigung wissenschaftlicher Begriffe und über die Bereicherung einzelner Wissenschaften hinaus dienten R. die Alten. An ihrem Vorbilde erwuchs der glückliche Gutsherr und Vertreter seines Standes, der Denker, Parteiführer und Geschichtsforscher zum Geschichtsmeister. Im Staatsrathe der Cäsaren hat R. regieren gelernt. Die Einheitlichkeit der antiken Gesetzgebungen, die einer seiner „frommen Wünsche“ für seine Zeit war, herrscht in den seinigen. Ihre vermeintliche Utopie war Wirklichkeit vor anderthalb Jahrtausenden. Sie wurde ausgeführt unter dem Drucke weit größerer Noth, mit den Mitteln eines schwerfälligen amtlichen Nachrichten- und Rechnungswesens, ohne den Hintergrund einer beinahe über Bedürfniß gestiegenen Productivität, ohne voranleuchtende Wissenschaft, in einem Umfange und mit einer Härte, die weitab von Rodbertus’ Vorschlägen liegen, von den Meistern des Rechts. Die römischen Abhandlungen und die Geschichtsphilosophie sind ein ebenso vollwichtiges Zeugniß für den Staatswirth R., wie der Entwurf der Taxprincipien, auch ein unentdeckter Schatz noch für seine Nachfolger. – Die Geschichtsphilosophie war endlich ein wesentlicher Theil eines umfassenden, aber von R. nur gelegentlich angedeuteten philosophischen Systems, das nichts weniger als materialistisch war, bis zu Gott hinaufreichte und ihm „Frieden gab im Innersten seiner Seele“.

1855 reiste R. nach Belgien, Paris und Süddeutschland. – 1858 veröffentlichte er: „Die Handelskrisen und die Hypothekennoth der Grundbesitzer“. Er widerlegt verschiedene Ansichten über Wesen und Ursache der Handelskrisen; zeigt, daß sie daraus entstehen, daß der Arbeitslohn, als Quote des Products betrachtet, fortwährend sinkt; daß sie aber vermieden würden, wenn der Antheil aller an der Wirthschaft Betheiligten eine feste Quote des Products wäre. Der 2. Theil galt der Gefahr einer allgemeinen dauernden Zinsfußsteigerung, die den Zinsfuß für Hypotheken erhöhte. R. verlangt, daß von einem irgend nennenswerthen Grade der Cultur an die Grundbesitzer „verschuldet“ sein sollen. Die „Gläubiger“ sind volkswirthschaftlich stille Mitbesitzer von Grund und Boden; nur dadurch kann eine sonst im höchsten Grade ungleichmäßige Vertheilung des Nationalvermögens vermieden werden. Um so mehr muß dann aber die Verschuldung eine sachgemäße sein. Hat ein Gut von 4000 Rente bei einem Zinsfuße von 4 einen Werth von 100000, so sinkt bei einem Zinsfuß von 5 der Werth auf 80000. Ist es dabei mit 50000 verschuldet, so büßt der Besitzer von seiner Rente 500 ein, von seinem Vermögen 40 Procent, und erleidet eine entsprechende Minderung seines Credites. War das Gut etwa mit 75000 beliehen, so kommen noch die Gefahren der Hypothekenkündigung dazu. Dagegen erfährt ein Industrieller, der mit 50000 geliehenem und ebensoviel eigenem Capital arbeitet, durch jene Zinsfußsteigerung nur einen Verlust von 500 für Zinsen. Sein eigenes Vermögen, eben weil es wirthschaftlich, nicht bloß rechtlich rechnungsmäßig, Capital ist, wird nicht vermindert; ebensowenig sein Credit. R. sagte der begonnenen Zinsfußsteigerung darum Dauer voraus, weil infolge der reger werdenden Verbindung Amerikas und Australiens mit Europa der dortige hohe mit dem hiesigen niedrigen Zinsfuß sich ausgleiche, und weil das Leihcapital durch die Actienform anfange, in der Industrie die Wuchergesetze zu umgehen und den Unternehmergewinn an sich zu bringen. R. schlug als durchgreifendes Mittel den Rentenkauf vor; werde dies nicht beliebt, vorsichtige Aufhebung [759] der Wuchergesetze, damit die Grundbesitzer, welche auch die erneute Zinssteigerung noch ertragen könnten, wenigstens Capital bekämen. Inzwischen verlangte R. zur Gewinnung eines Hypothekenmarktes amtliche Aufnahme der Gutsreinerträge nach durchgehenden, einheitlichen Taxprincipien und Veröffentlichung derselben; örtlich und zeitlich einheitliche Hypothekentermine; Gründung von Hypothekenbanken.

1861 gab R. in Verbindung mit seinen Parteifreunden v. Berg und L. Bucher vier, von allen dreien unterzeichnete Flugschriften heraus: „Erklärung“; „Seid deutsch! Ein Mahnwort“; „An Mazzini. Offner Brief“; „Was sonst? Ein deutsches Programm“. Die drei ersten verwahrten sich gegen die Anwendung des Mazzini’schen sogen. Nationalitätsprincips und republikanischen Programms auf Deutschland; riefen gegen die drohende äußere Gefahr die Kraft des Nationalgefühls an; verlangten Festhaltung der Verbindung mit unseren südöstlichen Nachbarn, sowohl um uns gegen „eine andere Macht“ und gegen deutschfeindliche Systeme an der Donau zu schützen, als auch, um in einem österreichischen Triest den Zugang zum adriatischen Meere zu erhalten, durch das sich uns mit der Wiedererschließung der östlichen Handelswege und dem Zusammenstürzen des türkischen Reiches neue Aufgaben eröffneten. Die 4. Schrift stellte für die bevorstehenden preußischen Wahlen Forderungen im Geiste von 1848 auf, darunter eine Heeresreform nach dem Grundsatze, „daß das preußische Heer das preußische Volk in Waffen sei“; begehrte für Deutschland das schon auf dem Wiener Congreß und 1848 beabsichtigte Bundesdirectorium von 3 Fürsten, Oberhaus nebst Volksvertretung, Bundesgericht; verwarf, als für die damalige Lage unausführbar und selbst gefährlich, entschieden ein kleindeutsches Kaiserthum neben Oesterreich. – 1861 war R. nahe daran, zum Abgeordneten gewählt zu werden, trat aber selbst zurück.

In Rodbertus’ Nachlasse wurde ein „Sendschreiben an den Arbeitercongreß während der Londoner Industrieausstellung (1862)“ gefunden, in welchem er den Gedanken des Normalwerkarbeitstages auseinandersetzt, den Congreß auffordert, dessen Einführung und einen, freien Arbeitern geziemenden, periodisch zu erneuernden Lohnsatz in allen Ländern zu verlangen, die Macht der öffentlichen Meinung, unter Enthaltung von jedem Zwange, anzurufen, und die nöthigen Ermittelungen durch ein Comité ausführen zu lassen, da „kein Anderer“ dieselben für sie übernehme. – In dem letzten Satze erscheint Rodbertus’ gelegentliche Klage, daß seit 1848 politische oder freihändlerische Bestrebungen die Theilnahme für sociale Reformen verdrängt hätten, und eine gewisse, schon in dem Abbrechen der Socialen Briefe sich äußernde Entmuthigung in ihrem schärfsten Ausdrucke; in dieser Zeit befestigte sich in ihm der Entschluß, seine eigene Reformarbeit nur rein als solche, unverquickt mit anderen, namentlich politischen Bestrebungen, wieder aufzunehmen. – Im Herbst 1862 bereiste R. die Schweiz.

1863 gleichzeitig mit Lassalle und L. Bucher von Leipziger Arbeitern über die Verbesserung der Lage ihres Standes befragt, antwortete R. in dem „Offenen Briefe an das Comité des Deutschen Arbeitervereins zu Leipzig“. R. bezeichnete es als Schulze’s großes Verdienst, die Arbeiter in die Bildungsschule des Associationswesens, wo sie „verwalten, debattiren und vorläufig in kleinen Kreisen regieren“ lernen, eingeführt zu haben, verwarf aber wirthschaftlich sowohl die Schulze’schen als auch die Productivassociationen, politisch die Forderung des allgemeinen Stimmrechts. Sein Rath war, daß nur ein „allgemeines Gesetz der Staatsgewalt“, „im tiefsten Frieden mit der Zustimmung aller übrigen Classen gegeben“, den Arbeitern helfen könne; daß sie sich deshalb „offen und unumwunden“ als „sociale Partei“ erklären, „mit dürren Worten eine bessere Stellung in der Gesellschaft, materiell, geistig und sittlich besser“ verlangen und die [760] Ermittelung der Wege dazu zu den Aufgaben ihres Vereins ziehen sollten. Die spätere Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung schien R. diesen Rath zu bestätigen. Es gelang R. sogar, Lassalle in einem mit ihm geführten Briefwechsel von den Productivassociationen abzuziehen. Rodbertus’ Briefe an ihn sind bis jetzt nicht aufgefunden. Diejenigen Lasalle’s an R. sind, soweit sie vorhanden, im 1. Bande von Rodbertus’ Nachlaß herausgegeben.

R. verfolgte mit lebhaftem Antheil die Politik des Ministeriums Bismarck, und stand im Conflict mit der Kammer auf dessen Seite. Die Militärreorganisation war ihm rechtlich die Ausführung des die allgemeine dreijährige Dienstpflicht verordnenden, bisher nur nicht im vollen Umfange angewandten Gesetzes vom 3. September 1814, welchem, als noch zu kraft bestehend, die Kammer die Mittel nicht verweigern dürfe, wenn sie nicht nach den Grundsätzen selbst des strengsten, Rotteck’schen, Constitutionalismus der Krone das Recht geben wolle, die Mittel zu nehmen, wo sie sie finde. Auch thatsächlich hielt er die neue Heereseinrichtung für eine weise Regententhat und war fortan ein großer Anhänger derselben. Den bis zuletzt fortgesetzten Widerstand der Fortschrittspartei bezeichnete er öffentlich als „unconstitutionell, unsittlich und unpolitisch“, und trat 1867 selbst als Candidat für den ersten Norddeutschen Reichstag auf. Mit Rücksicht darauf, daß der beendigte Feldzug für Preußen und Deutschland „nur erst die Bedeutung des ersten schlesischen Krieges habe“, erklärte er sich für das möglichste Uebergewicht der Centralgewalt über die Particulargewalten und für die Einheit als das zunächst zu erstrebende Gut, welcher in dem „fertigen deutschen Staat“ auch die Freiheit nicht fehlen werde. Nach Rodbertus’ Meinung ging bei der Bewerbung alles gut, bis von Berlin aus für den Gegenkandidaten, den Redacteur Michaelis, ein starker Einfluß ausgeübt worden sei, welchem R. unterlag.

1868 ließ R. den 1., 1869 den 2. Bd. „Zur Erklärung und Abhülfe der heutigen Creditnoth des Grundbesitzes“ erscheinen. Er bespricht darin die schon genannte, inzwischen immer brennender gewordene Angelegenheit nochmals mit eindringlichster Ausführlichkeit, und sachverständigster Ueberlegenheit. Neu hinzu kam die Behandlung des inzwischen auch noch leidend gewordenen ländlichen Personalkredits. In ihrer klaren, durchsichtigen Darstellung ist diese Schrift Robbertus’ [WS:Rodbertus’] Meisterwerk. – 1870 erschien „Zur Frage des Sachwerths des Geldes im Alterthum“ (Hildebr. Jahrb. XIV und XV, 1870), die Verhältnisse des Getreides und des Edelmetalles im Alterthum behandelnd, der Gipfel von Rodbertus’ volkswirthschaftlicher Philologie. – 1870 begann seine Verbindung mit Dr. Rudolph Meyer, welcher wir höchst werthvolle Briefe Rodbertus’ und eine Reihe wichtiger Aufsätze für die von Dr. Meyer herausgegebene „Berliner Revue“ verdanken (Dr. Rudolph Meyer, Briefe und socialpolitische Aufsätze von Dr. Rodbertus-Jagetzow, 2 Bde., 1882). – R. arbeitete um diese Zeit viel zur Vertheidigung und Einführung des Rentenkaufes, sagte auch bereits den kommenden „Aufschwung“, den darauf folgenden Krach und deren Wirkung auf Grundbesitz und Grundwerth voraus. – Am 27. März 1871 wurde R. auf Grund seiner römischen Abhandlungen zum Ehrendoctor der Universität Jena promovirt. – R. regte die lauenburgische Dotation für Bismarck an, dessen äußerer Politik er mit Begeisterung folgte. „Zwei Riesen trägt das 19. Jahrhundert, einen Imperator, der seinen Platz neben Alexander d. Gr., Cäsar, Karl d. Gr. findet, Napoleon I., und einen Diplomaten und internationalen Staatsmann, der vielleicht gar nicht seines Gleichen hat. Aber Ersterer mußte doch auf den Schneefeldern Rußlands verbluten und ich meinerseits fürchte, die sociale Frage ist auch der russische Feldzug von Bismarck’s Ruhm“. R. war bis zuletzt mit den wirthschaftlichen Maßnahmen der Regierung wenig [761] zufrieden, obwol er unerschüttert darauf vertraute, noch einmal in ihrer Hand das System zu wissen, das, von ihr „geführt und gesteuert, unsern heutigen socialen Grundlagen noch eine ruhige Existenz von ein paar hundert Jahren verbürgen würde“. „Die bisherigen Thaten Wilhelm’s I. stellen ihn nur Heinrich I., Otto I., Friedrich I. gleich. Die Verpfändung des Kaiserwortes in der socialen Frage würde ihn Cäsar und Karl dem Gr. an die Seite setzen. Diese waren nicht bloß große Krieger, Sieger und Eroberer, sie waren zugleich Schöpfer neuer Staatenarten, Gründer neuer und höherer geschichtlicher Entwicklungsstufen. Den römischen Cäsarismus haben nur Philologen, die den Cicero liebten, und dann die Napoleonischen Contrefaçons in Mißcredit gebracht; gerade unter ihm sind die größten socialen Reformen erfolgt, wie sie verhältnißmäßig noch nicht wieder vorgekommen sind, wie sie eben nur in der Lösung der socialen Frage ihr Analogon finden würden. Karl d. Gr. ist der Grundleger der ganzen christlich-germanischen Staatenordnung, die ebenso ein Weltalter ausfüllt, wie es die heidnisch-antike Staatenordnung that. Die „sociale Frage“ ist aber der Initialbuchstabe wiederum einer neuen und andersartigen politischen Epoche und keine Inauguration, die großartiger wäre, könnte überhaupt nur für das neudeutsche Kaiserreich erdacht werden, als die Inangriffnahme ihrer Lösung. Sie ist, ohne Blasphemie, abermals ein Stück Christenthum, das im Recht Fleisch werden will.“ – Ein Abriß von Rodbertus’ Lösungsversuch erschien in der „Berliner Revue“ (wieder abgedruckt in Meyer, Briefe u. s. w.; in der Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft, Bd. 34, 1878) in dem Aufsatze „Der Normalarbeitstag“. R. verwirft den von den Arbeitern erstrebten Zeitnormalarbeitstag als für diese selbst nur schädlich, und entwickelt die Lehre vom Normalwerk. Dieses soll für alle Betriebe aufgenommen, unter Leitung des Staates zwischen Arbeitern und Unternehmern ein Lohnsatz vereinbart und mit dem Wachsthum der Productivität, diesem Wachsthum entsprechend, periodisch erhöht werden. Um diese Lohnregulirungen aufrecht zu erhalten, müße der Staat Eisenbahnen und Banknoten wieder an sich gebracht haben. Die Kosten der Einführung dieses Lohnsystems schätzt R. auf „nicht halb so viel Millionen“, als die letzte Grundsteuerauflegung erfordert habe. Dieses System leide jedoch noch an der Schwierigkeit, daß der Lohnsatz nach dem in sich selbst veränderlichen Werthmaßstabe des Metallgeldes bestimmt werde. Sobald daher die volkswirthschaftliche Bildung der Gesellschaft es zulasse, könne man, mittelst des von R. entwickelten Begriffes der Werkzeit, zur Einführung des im 5. Theorem beschriebenen Arbeitszettelgeldes verschreiten. Durch dieses völlig unveränderliche Maaß könne die den Arbeitern zugesprochene Quote des Productes streng festgehalten werden; es würden sich also bei steigender Productivität die festen Quoten der Grund- und Capitalbesitzer und der Arbeiter gleichmäßig mit Product füllen. Handelskrisen und Pauperismus sind jetzt verschwunden, die sociale Frage ist gelöst. – Sobald endlich die erziehende Gewalt, welche heute noch das Grund- und Capitaleigenthum an den Arbeitern ausübt, und wegen welcher allein es heute noch unentbehrlich ist, ebenfalls ihr Werk gethan haben wird, kann auch zu dessen Aufhebung verschritten werden. Es braucht nur die Rente auf einem bestimmten Punkte als Quantum festgehalten und aller weitere Zuwachs an Product ausschließlich dem Lohne zugewiesen zu werden, so wird sie nicht nur, bei fortdauernder Steigerung der Productivität, als Quote entsprechend sinken, sondern auch als Quantum sich allmählich verlieren. Die Gesellschaft ist dann in den Zustand des im vierten socialen Briefe geschilderten reinen Staatsbetriebes und des reinen Einkommenseigenthums eingetreten. Sie hat damit auf friedlichem Wege, ohne den Fuß an den geringsten Stein zu stoßen, oder das kleinste Opfer zu bringen, ein Ziel erreicht, dem die Entwicklung in [762] dem sich selbst überlassenen Verkehr gleichfalls, aber unter den gewaltsamsten wirthschaftlichen wie politischen Krämpfen und Umwälzungen der ganzen Gesellschaft zustrebt.

1872 war R. Mitglied einer amtlichen Erhebung über Eisenbahndifferentialtarife, bei welcher sich ihm die Nothwendigkeit des Staatsbetriebes zwingend bestätigte. – 1873 wurde er sehr leidend. Große Freude bereitete ihm der Architekt Peters durch Uebersendung von „Hülfstafeln zu Preisberechnungen für Zimmerarbeiten auf Grundlage der durchschnittlichen Leistungen der Arbeiter“ (gegenwärtig bei Wasmuth, Berlin). Der erste Schritt zur Berechnung des Normalwerkes war hiermit geschehen. Ebenso rührte und erfreute ihn die Theilnahmsbezeigung einer großen, von Hasenclever geleiteten Berliner Arbeiterversammlung. Es erschien: „Was waren mediastini? Und woher der Name?“ (Hildebr. Jahrb. XX, 1873), eine Arbeit über römisches Sklavenwesen. Ende des Jahres reiste er zur Cur nach Oberitalien, ohne dort Besserung zu finden. Selbst vom Krankenlager aus blickte er „immerfort nur in die Zukunft“, die „einen wundersam rosigen Schimmer“ für ihn hatte, und arbeitete für sie. – 1874 verlor er auf der Rückreise über den Arlberg ein Auge, während das andere ebenfalls der größten Schonung bedurfte. Gleichwohl dachte er an ernstliche Inangriffnahme der socialen Frage. Sein Plan, eine socialdemokratische Reichstagswahl anzunehmen, vorausgesetzt, daß Hasenclever „in einigen wichtigen Punkten nachgeben“ wollte, kam nicht zu Stande. Auch sein Wunsch nach einer amtlichen Stellung, in der er berufen gewesen wäre, die Vorschläge zum Normalwerkarbeitstag im Einzelnen auszuarbeiten, war umsonst. Es erschien: „Bedenken gegen den von den Topographen Roms angenommenen Tract der Aurelianischen Mauer“ (Hildebr. Jahrb. XXIII, 1874), ein Beitrag zur Frage nach Umfang und Bevölkerungsziffer Roms. Fortsetzung und Schluß der Arbeit waren Ende 1874 ebenfalls nahezu druckfertig. – Im Sommer 1875 war ein 2. Theil der Schrift: „Zur Beleuchtung der socialen Frage“ fast druckfertig. Er ist bisher im Nachlasse nicht aufgefunden worden, ebensowenig wie ein ausführlicher Entwurf zu den im „Normalarbeitstag“ angedeuteten Einrichtungen. Mit beiden Werken hatte R. den in der „Erkenntniß“ begonnenen, in den „Socialen Briefen“ erweitert aufgenommenen Plan dem Abschlusse nahe gebracht. Um auch die Ausführung seiner Reformen doch noch in seine Hand zu bekommen, betheiligte er sich an den, die Regierung und die officielle Wissenschaft geradesweges vor die sociale Frage stellenden Anträgen Dr. Meyer’s auf Untersuchung der wirthschaftlichen Lage der ländlichen Arbeiter, sowie auf Schutz für die bedrohte Industrie, ihre Unternehmer und Arbeiter. Seine Gesundheit schien sich zu bessern; er war aufs Neue von Schaffenslust erfüllt. Ueber dem Abschlusse der Schrift: „Zur Beleuchtung“ ereilte ihn der Tod am 6. December 1875.

Rodbertus’ Leben und Wesen, der innerste Geist seiner Lehre und seines Vermächtnisses an sein Volk läßt sich in die Worte aus der Kreditnoth zusammenfassen: „Vor der unaufhaltsamen Fluth der Geschichte ist es die begriffsmäßige Behandlung von Capital, Arbeit und Grundbesitz nur noch allein, die dem auf der Theilung dieser Grundlagen beruhenden germanischen Staat die letzte sichere Stätte zu seiner wirthschaftlichen Reorganisation zu bereiten im Stande ist. – Das Capital hat diese Behandlung gefunden; Arbeit und Grundbesitz erwarten sie noch.“

J. Zeller, Zur Erkenntniß unserer staatswirthschaftlichen Zustände, 1876; 2., verm. Aufl. 1885. – Dr. Theophil Kozak, Rodbertus-Jagetzow’s socialökonomische Ansichten, 1882. – C. und H. Peters, Textbuch zu Bautischler-Arbeiten mit Hülfstafeln zur Veranschlagung. Mit 53 Blatt Zeichnungen, 1882. – Moritz Wirth, Bismarck, Wagner, Rodbertus, 1883. – Julius Zuns, Einiges über Rodbertus, 1883. – H. Peters, Ein Beitrag zur Lohnreform [763] unter Zugrundelegung der sozialökonomischen Ansichten von Rodbertus-Jagetzow, 1884. – Dr. Georg Adler, Rodbertus, der Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus, 1884. – Moritz Wirth, Der drohende Untergang des Nachlasses von Rodbertus-Jagetzow, 1884. – S. Emele, Der Sozialismus, Rodbertus-Jagetzow, das Manchesterthum und der Staatssozialismus, 1885. – C. A. Schramm, Rodbertus, Marx, Lassalle, 1886. – Hermann Wagener, Aus Rodbertus’ Nachlaß, 1886. – H. Dietzel, Karl Rodbertus. Darstellung seines Lebens und seiner Lehre, 1888.
Karl Grün, Zur Erinnerung an Karl Rodbertus. Augsb. Allg. Ztg. 16. Febr. 1876. – Knies über Rodbertus. Ebenda 20. Juli 1879. – Max Schippel, Die Rodbertus’sche Grundrententheorie und die Werththeorie Ricardo’s. Staatswirthsch. Abhandl. herausg. von Max Neisser, 1882. – W. Lexis, Zur Kritik der Rodbertus’schen Theorien. Hildebr.-Conrad’s Jahrb. f. NO. u Statist. N. F. Bd. 9, 1884. – J. Pierstorff, Besprechung des 4. soz. Briefes. Schmoller’s Jahrb. f. Gesetzg., Verwalt. u. Volksw., 1884. – Max Schippel, Besprechung des 4. soz. Briefes. Ztschr. f. d. ges. Staatswissensch., 1885. – Friedrich Engels, Marx und Rodbertus. Neue Zeit, 1885. – Friedrich Engels, Vorwort zum 2. Bde. des Capitals von Marx, 1885, S. VIII–XXIII. – H. Dietzel, Das „Problem“ des litterarischen Nachlasses von Rodbertus-Jagetzow. Hildebr.-Conrad’s Jahrb. f. NO. u. Statist. N. F. Bd. 13, 1886. – Herbert L. Osgood, Scientific socialism. Rodbertus. Political science quarterly, vol. I, 1886.