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ADB:Wächter, Leonhard

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Artikel „Wächter, Leonhard“ von Max Mendheim in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 428–431, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:W%C3%A4chter,_Leonhard&oldid=- (Version vom 23. Dezember 2024, 03:43 Uhr UTC)
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Band 40 (1896), S. 428–431 (Quelle).
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Wächter: Georg Philipp Ludwig Leonhard W., Schriftsteller und Historiker, wurde am 25. November 1762 als drittes Kind des Diakonus Johann Leonhard W. († am 26. October 1798) und seiner Gattin Henriette Eleonore Friederike, geb. Oesterreich († am 6. Mai 1797), in Uelzen geboren, besuchte die dortige Stadtschule, ward außerdem vom Vater weiter unterrichtet und fand zugleich in der alten Kirchenbibliothek manche Schätze, die seine Neugier reizten und wol auch auf seine spätere Beschäftigung mit dem Wesen des Mittelalters nicht ohne Einfluß gewesen sein mögen. Bei den beschränkten Mitteln des Vaters wurde der Knabe zunächst für den Soldatenstand bestimmt, konnte sich aber dann, als der Vater 1776 zum Diakonus bei der St. Michaeliskirche in Hamburg erwählt wurde, doch noch auf das Universitätsstudium vorbereiten. Im achtzehnten Jahre trat er in die zweite Classe des Hamburger Johanneums ein und bezog Ostern 1783 die Universität Göttingen, um dort Theologie zu studiren.

Schon seit seinem neunzehnten Jahre versuchte er sich mit poetischen Arbeiten und konnte als er zur Universität ging an Gedichten, Erzählungen und Dramen, die fast alle Stoffe aus der älteren Geschichte behandeln, zusammen 31 fertige Stücke verzeichnen, von denen allerdings später nur eines, „Rudolf von Erlachs Tod“, gedruckt worden ist. Auch in Göttingen beschäftigte sich W., außer mit der Theologie, eifrig und eingehend mit altdeutscher Kunst, Litteratur und mit geschichtlichen Quellenstudien, schrieb auch hier wieder mehrere Schauspiele und andere poetische Kleinigkeiten und betheiligte sich im August 1784 an der Gründung einer „litterarischen Gesellschaft“, zu deren Ehrenmitglied Bürger ernannt wurde, der sich eben als Docent in Göttingen niedergelassen hatte. Bürger war es dann auch, der ihn aufmunterte, die „Sagen der Vorzeit“, von denen W. hier die drei, den ersten Band füllenden vollendet hatte, drucken zu lassen. Ostern 1786 kehrte er in das elterliche Haus nach Hamburg zurück, bestand hier am 30. October die theologische Prüfung und füllte nun neben der schriftstellerischen Thätigkeit (Umarbeitung einiger früheren Schriften, mehrere Dramen, wie „Der Lindwurm“, „Recensentenkitzel“, weitere Sagen der Vorzeit, ein größerer Aufsatz „Ueber das Gute und Böse des Mittelalters“, der 1790 in dem Hamburger „Journal aller Journale“ erschien, sowie der erste Abschnitt einer Geschichte Hamburgs) seine Zeit durch Unterrichtertheilen aus; auch predigte er mehrmals mit Glück, erlangte jedoch kein geistliches Amt und wollte deshalb 1788 nochmals nach Göttingen gehen, um die Rechte zu studiren, als seine geliebte Braut, Marie Meyer, starb. W. verfiel durch diesen harten Schlag in tiefe Schwermuth, von der er erst durch einen Aufenthalt in der Einsamkeit des Sachsenwaldes genas. Von hier aus folgte er einer Einladung nach Berlin, wo ihm Aussicht auf eine Professur am Grauen Kloster gemacht wurde; doch zerschlugen sich die Unterhandlungen bald, als W. sich weigerte auf die im Wöllnerischen Sinne ihm gestellten Bedingungen einzugehen. Während der folgenden zwei Jahre hielt er sich abwechselnd in Hamburg, Lübeck und Friedrichsruhe auf und arbeitete wieder an neuen Sagen der Vorzeit, ferner an der „Betfahrt des Bruders Gramsalbus“, die 1793 als erster (und einziger) Band der „Holzschnitte“ erschien.

Von Begeisterung für die Sache der französischen Revolution ergriffen, entschloß er sich beim Ausbruch der Revolutionskriege für die Freiheit in den Kampf zu ziehen. Er ging nach Frankreich (über seine und seines Freundes Philipp Wilhelm Diede Gefangennahme durch französische Emigranten bei ihrer Fahrt auf dem Rhein am 8. Juli 1792, wobei sie durch ihre Freiheitslieder Anstoß erregten, vgl. den Anhang zu Wächter’s „Der Nachtbothe oder Geschichten der französischen Auswanderung und der dabei vorgefallenen Liebesabentheuer und [429] politischen Begebenheiten“ [1793] und P. Wilhelmi’s [d. i. Diede] „Ausflüge nach dem Niederrhein etc.“ [1823] S. 67 ff.), wurde Hauptmann bei einem berittenen Regimente unter Dumouriez, nahm an der Schlacht von Jemappes (6. Nov. 1792) theil, wo er am Kopfe verwundet wurde, und folgte dem Heere bis zu dessen Auflösung, nach der verlorenen Schlacht bei Neerwinden (18. März 1793), worauf er in die Heimath zurückkehrte. Hier vollendete er nun (im Nov. 1793) zunächst die „Gründung der Bürgerfreiheit Hamburgs“, deren erste Scenen bereits 1791 in der „Hamburgischen Monatschrift“ erschienen waren, eine wenn auch in dramatischer Form geschriebene, so doch keineswegs als Drama gedachte Schilderung aus der hanseatischen Geschichte, die ihm auch noch zu weiteren, dann aber nicht ausgeführten „Historien“ den Stoff geben sollte.

Als 1793 sein ehemaliger Universitätsfreund, der nachherige Schulrector Prof. Joh. Ludw. Voigt nach Hamburg übersiedelte und hier eine Erziehungsanstalt gründete, übernahm auch W. auf dessen Aufforderung einige Unterrichtsstunden und zog nach dem Tode seiner Eltern (1797 und 1798) ganz in das Voigt’sche Haus. Trotzdem er jetzt mit Voigt zugleich die Leitung der Anstalt führte, blieb ihm doch noch Zeit genug zur Fortführung seiner schriftstellerischen Thätigkeit und für einige größere Reisen (so 1807 nach London, dann nach Wien und in die Schweiz). Von seinen poetischen Arbeiten in dieser Zeit ist außer einem bis fast auf 3 Acte vollendeten und schon 1792 begonnenen Entwurf „Die Eidgenossen“ (d. h. die Westgothen in Spanien im 6. Jahrhundert werden hier von ihm so genannt), der ihn aber auch später wieder beschäftigte, sein Schauspiel „Wilhelm Tell“ zu nennen, an dem er wol schon 1797 stark arbeitete, wenigstens zeigt sein Verleger, Maurer in Berlin, für Johannis 1798 das Erscheinen eines „Wilhelm Tell. Ein historisches Gemälde von Veit Weber. Mit Kupfern“ an. Wahrscheinlich ist das Stück zunächst liegen geblieben und erst später wieder aufgenommen worden. Bereits im Sommer 1801 ging dann das Gerücht, daß auch Schiller sich mit dem gleichen Stoffe beschäftige und als dies während des Jahres 1803 sich als Gewißheit herausstellte, hat W. mit Recht von vornherein darauf verzichtet, seinen Tell, der 1804, kurz vor dem Schiller’schen erschien, auf die Bühne zu bringen; doch hat er ihn 1819 noch einmal, und zwar für die Bühne, umgearbeitet. Als dann die Franzosenzeit für Hamburg nahte und der Ruf nach den Waffen erscholl, hat auch W. mit vielen seiner Schüler diesem Folge geleistet und während der Belagerung der Stadt als Adjutant des Oberspritzenmeisters Repsold (s. A. D. B. XXVIII, 233 f.) treu ausgehalten. Die Ereignisse dieser Zeit hat er später zum Theil in seinen Vorlesungen dargestellt. Zwei von ihm damals, am 24. April 1813 und am 11. Juli 1814 gehaltene Reden erschienen 1815 unter dem Titel „Für Freiheit und Recht“ im Druck. Als nach dem Frieden Voigt als Schulinspector nach Riga ging (er starb hier am 8. Januar 1835), übernahm W. allein die Leitung der Anstalt, die nun fast seine ganze Zeit in Anspruch nahm. Am 27. August 1821 vermählte er sich mit der Wittwe Friederike Moltrecht, geb. Preller (sie starb am 13. Januar 1866), die ihm fünf Kinder aus erster Ehe zubrachte und dann noch zwei Knaben und ein Mädchen schenkte. Seine letzte Veröffentlichung waren die „Jugendunterhaltungen“ (1827); zu gleicher Zeit sah er sich wegen zu geringer Frequenz genöthigt, die Schulanstalt aufzugeben. Privatunterricht und Vorlesungen, für die er sich nun hauptsächlich in historische Studien vertiefte, sowie eine Stellung als Hülfsarbeiter an der Hamburger Stadtbibliothek mußten ihm für die folgende Zeit einen geringen Unterhalt schaffen. Am 11. Februar 1837 erlag er der damals heftig auftretenden Grippe.

Als Schriftsteller ist W. oder Veit Weber, wie er sich als solcher nennt, hauptsächlich durch seine „Sagen der Vorzeit“ (7 Bände 1787–98) bekannt, [430] eine Sammlung, theils langer, theils kurzer verschiedenartiger Erzählungen, deren einzelne Stücke (es sind dies: in Bd. 1 „Männerschwur und Weibertreue“, „Der Harfner“, „Ritterwort“, in Bd. 2 „Wolff“, „Das heilige Kleeblatt“, „Der Müller im Schwarzthal“. „Der graue Bruder“, in Bd. 3 „Tugendspiegel“, in Bd. 4 „Die Teufelsbeschwörung“, „Die Brüder des Bundes für Freiheit und Recht“, in Bd. 5 „Beschluß der Brüder des Bundes etc.“, in Bd. 6 „Die Vehme“, in Bd. 7 „Der Fündling von Egisheim“, „Glaubensmuth“, „Nackt und bloß“), allerdings von sehr ungleichem Werthe sind. Sie gehören zu jenen Dichtungen, und zwar theilweise zu den besseren, die Goethe’s Goetz von Berlichingen hervorrief, fanden auch thatsächlich als Gegenstücke zu den überschwänglich sentimentalen Romanen, die aus empfindsamen englischen Familienromanen hervorgegangen waren, begeisterte Aufnahme, wurden vielfach nachgedruckt, nachgeahmt (so erschienen mit ähnlichem Titel „Sagen der böhmischen Vorzeit“, „Sagen der österreichischen Vorzeit“, „Romantische Sagen der Vorzeit“ u. a.) und übersetzt, ließen aber freilich in den späteren Bänden immer mehr zu wünschen übrig. Bei mehreren, selbst bei den längsten (z. B. „der Vehme“) ist wie auch bei dem ähnlichen Stücke der „Historien“ durchweg die dramatische Form gewählt; die Sprache ist oft der mittelalterlichen nachgeahmt, leider vielfach affectirt wie auch im „Gramsalbus“, der zu demselben Genre gehört. Während viele dieser Erzählungen von edlen und schändlichen Rittern, von Mordthaten, Untreue, Intrigue den gewöhnlichen Ritterromanen gleichen, zeichnen sich andere, so die liebliche, romantische Erzählung „Der Harfner“, eine Verherrlichung edler, treuer Liebe zwischen Mann und Weib, Eltern und Kindern, ferner die kleine Erzählung „Ritterwort“ mit den prächtig gezeichneten Gestalten der beiden alten Ritter, vortheilhaft vor diesen aus. Ein Gemisch von derbem Humor und oft geradezu frivolem Spott und Hohn auf Einrichtungen der katholischen Kirche sind die in sechs Abenteuern geschilderten Erlebnisse des boshaften, faulen, unwissenden, wollüstigen, ehrgeizigen und habsüchtigen Mönchs Gramsalbus, einer Gestalt, wie sie nicht gröber in den Schwänken des Mittelalters dargestellt sein könnte.

Von den Dramen Wächter’s kommt hauptsächlich sein „Tell“ in Betracht, ein Schauspiel in fünffüßigen Jamben, die zwar meist rein sind, aber oft einen recht schwerfälligen und unverständlichen Satzbau verursacht haben. Die Handlung ist einfacher als bei Schiller, meist aber – einige Scenen ausgenommen – recht undramatisch durchgeführt; die Gespräche sind vielfach langathmige Unterhaltungen und Betrachtungen, voll von weit ausgesponnenen Bildern. Hochinteressant ist eine Vergleichung mit Schiller’s Tell. Sind auch die zahlreichen Aehnlichkeiten beider Stücke, der Handlungen und der Charaktere, in der Hauptsache auf die Benutzung der gleichen Quelle zurückzuführen, so überrascht doch manche ganz gleichartige Einzelheit in Worten und Gedanken, so z. B. bei Schiller: „Der Starke ist am mächtigsten allein“, bei W.: „Des Wildstroms Schnellkraft schwächt ein breites Bett“, bei Schiller: „Ein rechter Schütze hilft sich selbst“, bei W. in derselben Scene: „Denk, selbst ist der Mann“ etc., natürlich finden sich auch zahlreiche bedeutende Abweichungen, selbst in einzelnen Charakteren.

Als Historiker hat sich W. namentlich durch Darstellungen aus der Geschichte Hamburgs verdient gemacht, die er zumeist für seine Vorlesungen bearbeitete und in übersichtliche und leicht verständliche Form brachte. Diese Aufsätze wurden nach Wächter’s Tode von C. F. Wurm zusammengestellt und als Wächter’s „Historischer Nachlaß“ (2 Bde., Hamb. 1838) veröffentlicht; sie behandeln 1) Hamburg und sein Verhältniß zur Handelswelt bis ins 17. Jahrh. (eine populäre, in knapper aber klarer Fassung gehaltene Darstellung der Cultur- und Verfassungs-, hie und da auch der politischen Geschichte Deutschlands, des [431] alten Herzogthums Sachsen und Hamburgs im Besonderen), 2) Zur Geschichte der Parteiungen in Hamburg während des 17. Jahrh. und bis zum Hauptreceß (eine mehr wissenschaftlich gehaltene Darlegung der Verfassungs- und Verwaltungsstreitigkeiten zwischen Senat und Bürgerschaft), 3) Hamburg von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zur Fremdherrschaft. Allgemeine Umrisse (Wirthschafts-, politische und Stadtgeschichte) und 4) Betrachtungen über die großen Weltbegebenheiten. Bilder von Deutschlands Schmach und Erhebung.

Wurm’s Notizen über Wächter und seine Schriften in Bd. 2 von Wächter’s, historischem Nachlaß. – Der neue Nekrolog, Bd. 15. – Schröder, Lexikon der hamburgischen Schriftsteller, Bd. 7 (mit vollständiger Bibliographie; auch der in Zeitschriften veröffentlichten Schriften Wächter’s).