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ADB:Zerrenner, Gottlieb

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Artikel „Zerrenner, Gottlieb“ von Eduard Jacobs in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 45 (1900), S. 96–99, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Zerrenner,_Gottlieb&oldid=- (Version vom 26. Dezember 2024, 20:38 Uhr UTC)
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Zerrenner: Heinrich Gottlieb Z., theologischer und pädagogischer Schriftsteller, geboren auf Schloß Wernigerode am 8. März 1750, † zu Derenburg am 10. November 1811. Sein Vater Jakob, Sohn des Gerichtsschulzen zu Döschnitz bei Königsee, kam Johanni 1734 als Lakai nach Wernigerode. Von ihm und der frommen Mutter Marie Elise Seiler, die bereits am 13. Septbr. 1757 starb, aber in Katharine Marie Reidemeister aus Stolberg eine würdige Nachfolgerin erhielt, wurde dieser einzige Sohn gewissenhaft und sorgfältig erzogen. Er genoß dann Elementarunterricht bei verschiedenen Hofkatecheten, von denen ihm einer durch einschüchternde Strafmethoden in übler Erinnerung blieb. Seit 1759 besuchte er die lateinische Oberschule zu Wernigerode. Diese befand sich damals in gutem Stande und bot in den oberen Classen der freien Wahl der Schüler einen weiten Spielraum. Voll Lobes ist Z. für den Subconrector Christian Meier, der, mannichfach vorgebildet, die Schüler durch erfrischende größere Spaziergänge nach dem Brocken, Baumannshöhle, durch freieren Verkehr und verschiedenerlei körperliche Uebungen ungemein anregte und sie übte, selbst zu beobachten und Kenntnisse zu sammeln. Meier gab auch Privatunterricht in neueren Sprachen, den Z. sich ebenfalls zu nutze machte. Und da die Eltern seinen Neigungen keinen Zwang anthaten, so wandte er sich aus innerem Drange dem geistlichen Berufe zu. Das Beispiel der Eltern und das in seiner Geburtsgemeinde herrschende lebendige Christenthum waren dabei entschieden von Einfluß, wenn auch sein Geist eine etwas abweichende Richtung nahm und er später kritisirend von der etwas ängstlichen Religiosität der Eltern und von dem „sehr vielen Predigen“ in Wernigerode redet. Seine spätere Fertigkeit in der Mathematik und Arithmetik führt er auf den tüchtigen Rechenlehrer Lieder zurück. Auf Grund eines Versprechens des Abts Steinmetz nimmt ihn im Jahre 1764 (15. Oct.) dessen Nachfolger Hähn auf dem Pädagogium zu Kloster Berge auf, wo ein Oheim Zerrenner’s Rechnungsführer war. In vier Jahren arbeitete er sich durch alle Classen durch und erwarb einen Schatz nützlicher Kenntnisse, doch tadelte er die in der Anstalt herrschende Frömmelei. Hoch rühmt er M. Kinderling’s Einfluß, seinen Geschmack für alte und neuere Litteratur sowie seine Anleitung zu nützlicher Verfolgung der akademischen Studien. Bezeichnend für die in Z. und bei seinen Mitschülern aufkeimende Richtung ist eine von ihm erzählte Anekdote etwa vom Jahre 1765/66. Als damals König Friedrich II. an den in Reihe aufgestellten Schülern von Kloster Berge vorbeiritt und dem die Aufsicht führenden Lehrer im Hinblick auf die Schüler zurief: „Mach Er nur keine Muckers daraus“, war das Wasser auf ihre Mühle, und sie waren dem Könige wegen dieses Wortes sehr gut. Im J. 1768 bezieht er die Universität Halle, wo er am 20. October als stud. theol. eingetragen wird. Ein Vermächtniß seines Oheims zu Kloster Berge gab ihm die Mittel zum Studium, und infolge einer Empfehlung des Hofraths Becker in Wernigerode wohnte er bei dessen Schwiegersohn Prof. Nösselt. Dadurch genoß er dessen fördernden [97] persönlichen Umgang, seine Büchersammlung und den anregenden Verkehr mit verschiedenen jüngeren Theologen. Außerdem betheiligte er sich an einem wissenschaftlichen Kränzchen von Theologen, worin Arbeiten gemacht und recensirt und disputirt wurde. Das machte die Köpfe heller und setzte die Geisteskräfte in Thätigkeit. Endlich ermunterten sich die beisammen wohnenden jungen Studiosen zu frühem Aufstehen, wo dann gemeinschaftlich gearbeitet und sehr viel, besonders Griechisch, getrieben wurde. Im Hebräischen brachte Z. es soweit, daß er in seinem letzten Universitätsjahre über verschiedene biblische Bücher Privatvorlesungen halten konnte. Von Theologen hörte er außer Nösselt nur Semler, sonst den Philosophen Förster, den Litterarhistoriker Klotz, den Historiker Pauli und den Mathematiker v. Segner. Im October 1771 war die akademische Zeit zu Zerrenner’s besonderer Zufriedenheit abgeschlossen. Wir werden schon aus seinem Entwicklungsgange, besonders seinem Schülerverhältnisse zu Semler folgern können, daß G. nach Wernigerode zurückgekehrt keine Aussicht hatte, hier „in seinem Vaterlande“ angestellt zu werden, wo man fest zu dem Bekenntnisse eines Spener und Francke stand. So arbeitete er denn den Winter über für sich weiter, benutzte fleißig die gräfliche Bibliothek, studirte Musaeus’ Gewissensfragen, Melanchthon’s loci und Examen ordinandorum und besonders die symbolischen Bücher. Dabei unterrichtete er auch täglich etliche Stunden die Kinder des Stallmeisters v. Heringen. Verkehr pflog er fast nur mit dem Oberprediger Plessing und dem Quintus Streithorst. Während Semler sich nun aufs freundlichste bemühte, ihm in Halle einen Unterhalt zu verschaffen, wurde ihm durch Nösselt’s Verwendung eine Lehrerstelle am Kloster Berge bei Magdeburg verschafft. Am 22. April 1772 kam er dort an und fand die Anstalt in vollständiger Umwälzung begriffen. Es ging ihm hier sehr gut. Innerhalb eines halben Jahres hatte er an der aufblühenden und auf 500 und einige dreißig Zöglinge anwachsenden Anstalt elf neue Lehrer hinter sich, und bei der großen Zahl derselben hatte er nur wöchentlich 10 bis 14 Lehrstunden zu ertheilen. Dabei bezog er auch eine Pension von einem seiner Leitung anbefohlenen deutsch-russischen Baron. Er unterrichtete im Lateinischen, Mathematik und Experimentalphysik. Der Rector Frommann war ihm sehr gewogen und er hatte auch sonst sehr angenehmen Verkehr mit dem Klosterprediger Reccard, einem Landsmann aus Wernigerode. Im zweiten Jahre schon wurde er Mitglied des Convents und hatte dabei die ökonomische Verpflegung unter seiner Aufsicht. Am 11. April 1775 wurde er zum Prediger für die kursächsische Patronatsstelle Beiendorf bei Dodendorf ordinirt, wozu auch Sohlen gehörte. Die Stelle machte ihm viel Arbeit, alle Sonntage hatte er drei Mal, Dienstags ein Mal, Freitags zwei Mal zu predigen; in der Weihnachtswoche hatte er wol 14 bis 15 Predigten zu halten. Dabei drückte ihn die mit der Stelle verbundene Landwirthschaft, die er aber seit 1777 verpachtete. Z. war aber als Landgeistlicher an die seinen Kräften und Bestrebungen entsprechende Stellung gekommen. Einem ausgesprochenen Grundsatze getreu, suchte er sich in seiner Gemeinde möglichst nützlich zu machen. Er studirte den Charakter, die Anschauungen und Bedürfnisse seiner Bauern durch fleißige sonntägliche Besuche. Dabei vermittelte ihm seine bei mehrjähriger Führung der Landwirthschaft gemachte Erfahrung den Weg zu den Herzen der Landleute, denen er thunlichst in ihrer Sprache das Wort zu verkündigen suchte. Der in ihm und seiner Zeit lebende Trieb zur Aufklärung machte sich dabei auch stark geltend. Durch Verkehr mit strebsamen Amtsbrüdern, eigenes Nachdenken und Fortstudiren, besonders in der exegetischen Litteratur, legte er Sammlungen von Beobachtungen und Gedanken zu Evangelien- und Epistelpredigten und Casualreden in großen [98] „Gedankenbüchern“ an, die sich später trefflich verwerthen ließen. Er studirte, wie er sagt, besonders Bibel, Natur und Bauern. Auf eine ganz eigenthümliche Art wurde der strebsame Mann, der bisher noch nichts für den Druck geschrieben hatte, zu einem von nun an überaus fruchtbaren Schriftsteller. Im Winter 1778 litt er an der Hypochondrie. Als er, davon nicht geheilt, im Mai dss. Js. nach Barby ritt, erlitt er bei der Rückkehr einen schweren Doppelbruch am linken Arm. Da er der längere Zeit in Anspruch nehmenden Heilung wegen das Zimmer hüten mußte, so versuchte er durch die Feder zu predigen, indem er aus seinem Vorrath und mit neuen Beobachtungen „Predigten ganz und stückweise für die lieben Landleute“ (Magdeburg und Leipzig 1779; zwote Sammlung ebd. 1781) niederschrieb. Diese ihm neue Arbeit war gleich eine seiner wirkungsvollsten. Sie erschien, mit seinem von F. C. Krüger in Berlin gestochenen Bilde verziert, im J. 1785 in zweiter Auflage. Im J. 1783 folgten „Natur- und Ackerpredigten oder Natur und Ackerbau als Anleitung zur Gottseligkeit“ (ebd.), 1785: „Christl. Volksreden für Landleute, zum Vorlesen beim öffentlichen Gottesdienst“ (mit Hahnzog). Daneben erschien zwei Mal aufgelegt 1784 und 1790 sein „Kurzer biblischer Religionsunterricht“. Seine Richtung auf dem Titel verkündend ließ er im J. 1786 erscheinen: „Volksaufklärung, Uebersichtliche und freimüthige Darstellung ihrer Hindernisse; nebst einigen Vorschlägen, denselben wirksam abzuhelfen, ein Buch für unsere Zeit“, dann 1787: „Volksbuch, ein faßlicher Unterricht in nützlichen Erkenntnissen und Sachen, mittelst einer zusammenhängenden Erzählung für Landleute, um sie verständig, gut, wohlhabend, zufrieden und für die Gesellschaft brauchbar zu machen“ (2 Theile). Eine kleine, nicht in den Buchhandel gegebene Schrift: „Zum Andenken an meine Katechumenen“ erschien 1789, als Z. bereits eine neue Stellung erlangt hatte. Sein Volksbuch war nämlich die Veranlassung, daß er unterm 7. October 1787 zum königlichen Inspector und Oberprediger nach Derenburg berufen wurde, wo er jedoch erst nach Ablauf des Gnadenjahrs der Wittwe seines Vorgängers am 9. September 1788 einzog. In seiner neuen Stellung, in der er sich bald das Zutrauen und die Liebe seiner Gemeinde erwarb, setzte er seine Thätigkeit als volksthümlich theologischer Schriftsteller fort, theilweise in Gemeinschaft mit Andern, so mit Hahnzog: „Christliche Volksreden über die Episteln, ein Vorlesebuch bei öffentlichen und häuslichen Gottesverehrungen“ (Erfurt 1792), mit H. M. A. Cramer: „Christliche Morgen- und Abendfeier, ein Andachtsbuch auf alle Tage im Jahre“ (2 Bde. ebd. 1793). Allein arbeitete er: „Christliches Religions-Lehrbuch für Lehrer und Kinder in Bürger- und Landschulen, nebst den fünf Hauptstücken des Katechismus Lutheri mit kurzen Worterklärungen“ (ebd. 1799); „Schulbibel oder die heil. Schrift alten und neuen Testaments für Lehrer und Kinder in Bürger- und Landschulen, auch für andere verständige Bibelfreunde brauchbar“ (Halle 1799); „Kleine Bibel für Kinder in Bürger- und Landschulen“ (ebd. 1800, zweite Aufl. 1809). Diese Schriften fanden nicht nur viel Anerkennung und Nachahmung, sie wurden auch, worüber Z. zu klagen hatte, theilweise mehrfach nachgedruckt. Waren die letztgenannten Schriften allermeist für die Jugend und für die Schule bestimmt, so war es in Derenburg überhaupt das Schulwesen, das ihn besonders beschäftigte. Dieses hatte seiner ganzen Anlage nach von Jugend auf sein ganzes Interesse. In seiner Beiendorfer Stellung war die Bethätigung desselben durch den ihm entgegenarbeitenden Schulinspector gebunden worden. Da er nun aber in Derenburg selbst Inspector eines ausgedehnten Kreises wurde und die Landschulen zu beaufsichtigen und zu bereisen hatte, so gab er sich dieser Aufgabe mit dem größten Eifer hin. Diesem Zweck dienten aber auch nicht nur die genannten religiösen Schulbücher, sondern seit dem Jahre 1791 gab er auch [99] eine besondere Zeitschrift für das Schulwesen: „Der deutsche Schulfreund“ heraus, von dem bis zu seinem Tode im J. 1811 46 Bände erschienen, während von da bis 1824 sein Sohn Karl Cph. Gottl. (s. u.) die Zeitschrift bis zum 60. Bande fortsetzte. Der „Schulfreund“ fand eine weite Verbreitung und brachte manche schulgeschichtlich merkwürdigen Beiträge. – Z. war zwei Mal verheirathet, zuerst am 14. September 1775 mit Christiane Caroline, Tochter des gräflichen Kammerdirectors Wagner in Wernigerode und einer geborenen de Saussure, die lange Zeit bei ihrer Tochter lebte und bei ihm in Beiendorf starb. Kurz vor seiner Uebersiedlung nach Derenburg wurde ihm seine treue Lebensgefährtin am 7. Mai 1788 durch den Tod entrissen. So zog er als Wittwer mit zwei Söhnen und zwei Töchtern nach Derenburg. Noch gegen Schluß des Jahres, am 2. December 1788, wurde ihm in Dor. Elise Messow aus Kalbe a. S., der Wittwe des Arztes Ritter in Quedlinburg, ein trefflicher Ersatz, denn sie war eine wirklich vortreffliche, von ihren Zeitgenossen hochgepriesene Frau. Zu den fünf Kindern, die sie ihm aus erster Ehe zuführte, schenkte sie ihm noch zwei Söhne. Zu ihren Kindern erster Ehe gehörte auch als jüngstes Karl Ritter, und so wurde Z. der Stiefvater des Begründers der neueren wissenschaftlichen Erdkunde. Und da in dem schönen Hauswesen, wie Z. sagt, zwischen leiblichen und Stiefkindern nicht unterschieden wurde, so war auch das Verhältniß K. Ritter’s zu dem zweiten Vater das schönste. Zwar war er, außer zu Besuchen oder einmal auf der Reise selten mit diesem zusammen, aber der geistige und briefliche Verkehr war ein reger. Karl gab seinem Vater von Frankfurt a. M. aus genaue Nachricht über seine innere religiös-sittliche Entwicklung wie über seine wissenschaftlichen Arbeiten und Bestrebungen. Des Vaters Schulbibel war ihm beim Unterricht unentbehrlich. Tief ergriff ihn im J. 1811 die Nachricht von dem Verlust dieses „geistigen Vaters“. Er bemerkt: „Mein Vater hätte noch länger leben sollen, denn eben jetzt stand er in einem herrlichen Wirkungskreise, ihn raffte sein Uebermaß von Lebenskraft hin!“ Mit diesem kurz vor seinem Ableben anvertrauten Wirkungskreise ist der eines Generalsuperintendenten in Halberstadt gemeint. Da er aber mit dem Titel eines solchen noch in Derenburg starb und auch hier sein Grab fand, so kann von einer Wirksamkeit in diesem umfassenden Amtsbezirke nicht die Rede sein. Sein Amtsnachfolger Oberprediger Schmidt in Derenburg sagt in einer Predigt zur hundertjährigen Jubelfeier der Derenburger Dreifaltigkeitskirche: „Immer gedenkt man dankbar dein, o Zerrenner, der das wahre Wohl der Kirche, und vorzüglich der Schule so liebreich am Herzen trug und für den der Marmor auf dem Grabe als ein noch viel zu geringes Erinnerungszeichen glänzt“. Am 19. März 1843 erklärte der Magistrat bei Festsetzung betr. die Benutzung des Gottesackers: „Das Denkmal des Ehrenmannes Zerrenner – auf dem alten Kirchhofe – solle auf Kosten der Stadt für ewige Zeiten erhalten werden“. Ueber der Eingangsthür des Knabenschulhauses in Derenburg hängt sein Bildniß. Am Schluß der darunter befindlichen Inschrift heißt es: „Dieses unvergängliche Denkmal stiftete herzliche Dankbarkeit, er sich selbst ein ewiges.

Hauptquelle: Zerrenner’s Selbstbiographie in J. Rud. Gottlieb Beyer’s Allg. Magazin f. Prediger, Bd. 70 (1792), S. 456–490. An der Spitze des 4. Stücks dieses Bandes Zerrenner’s Brustbild in Kupferstich. – G. Kramer, Carl Ritter, Bd. I, S. 16–20, 315 u. s. f. und schriftl. Mittheilungen d. Hrn. Oberpfarrers J. Moldenhauer in Derenburg vom 20. Januar 1894.