Abermals eine Flotte im Eismeere verloren

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Autor: P.-L.
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Titel: Abermals eine Flotte im Eismeere verloren
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aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 813–814
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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[813] Abermals eine Flotte im Eismeere verloren. Im Jahrgang 1871, Nr. 52 der „Gartenlaube“ brachten wir eine Schilderung der Katastrophe, welche die amerikanische Walfängerflotte im Eismeere, nördlich von der Beringstraße, betroffen hatte. Unter Hinweisung auf einen anderen, in Nr. 5 und 6 desselben Jahrganges enthaltenen Aufsatz: „Eine Fahrt in das Eismeer“, zeigten wir, wie jene Flotte im Jahre 1871 an der Nordwestküste von Alaska (Amerika), auf der Höhe von Wainwright Julet (zwischen Cap Lisburne und der Barrowspitze), vom Eise besetzt wurde und zum größten Theile verunglückte. Dreiunddreißig Fahrzeuge wurden damals, Anfang September, theils vom Eise zertrümmert, theils unrettbar eingeschlossen, theils auf das Land gedrängt.

In dem gegenwärtigen Jahre hat sich, wenn auch in geringerem Maße, dieselbe Katastrophe wiederholt, und zwar an derselben Küstenstrecke und unter gleichen Verhältnissen. Alljährlich, wenn das Eis in der Beringstraße und in dem nördlich davon liegenden Meerestheile des Polarbeckens aufgebrochen ist, gewöhnlich im Mai und Juni, segeln viele Walfänger dorthin, um den reiche Erträge sichernden nordischen Bartenwal zu jagen. Da derselbe sich vorzugsweise in der Nähe des Eises, auch zwischen den Feldern aufhält, weil diese ihm Schutz vor Verfolgern gewähren, haben ihn die Fahrzeuge dort aufzusuchen. Die Größe und Lage der Eisfelder ist aber vielen Schwankungen unterworfen. Die Härte des vorangegangenen Winters hat das alte, übriggebliebene Eis entsprechend vermehrt; Strömungen und Winde wirken auf dasselbe ein, sodaß seine Vertheilung fast in jedem Jahre eine andere ist.

Das Packeis im Norden der Beringstraße ist das schwerste, welches wir kennen. Es besteht freilich im Durchschnitt nur aus sechs bis zehn Meter dicken Schollen und Flächen, diese sind aber außerdem durch Aufstauungen und Hebungen beim Zusammenstoß der von Wind und Strömungen getriebenen Eismassen, durch mächtige, nur theilweise abschmelzende Schneeschichten, welche die alten als neue Eislagen verdicken, in einem unbeschreiblich wilden Durcheinander zu Hügeln und Stücken von viel bedeutenderer Höhe aufgethürmt. Die geschlossene uralte Hauptmasse dieses Packeises liegt jenseits der Beringstraße von ungefähr siebzig Grad nördlicher Breite an zwischen der Nordwestküste von Alaska und Wrangel’s Land und dehnt sich nordwärts in unbekannte Ferne. Dieses „Mittelfeld“ ist nicht segelbar, als Ganzes auch nur in geringem Maße beweglich und kann namentlich nicht durch die Beringstraße nach Süden treiben und in wärmeren Gegenden abschmelzen, da der Meerestheil zwischen ihm und der Straße zu flach ist für seinen bedeutenden Tiefgang. Nur die diese Hauptmasse umgebenden weniger schweren Felder sind ein freies Spiel der Strömungen und Winde und werden, wenn sie sich zwischen jenem „Mitteleis“ und dem Lande eingekeilt haben und jenes sich innerhalb seines Spielraumes bewegt, mit ungeheuerer Gewalt gedrängt, zu wüstem Haufwerk aufgethürmt, in flaches Wasser und sogar auf das Land selbst geschoben. In Folge einer solchen, durch anhaltende starke Westwinde verursachten Bewegung des Eises verunglückten, wie schon erwähnt, die dreiunddreißig Schiffe im Norden von Cap Lisburne.

Auch im eben vergangenen Sommer, also fünf Jahre nach jener Katastrophe von 1871, waren viele Walfänger am Cap Lisburne vorüber, in dem Streifen freien Wassers zwischen Küste und Packeis, welches letztere durch Strömungen und östliche Winde nach Westen abgedrängt war, bis zur Barrowspitze vorgedrungen. Anfang August befanden sich vierzehn Fahrzeuge in jener Gegend. Schon am 7. August ereignete sich der erste Unglücksfall. Die Bark „Arctic“ hatte sich zu weit zwischen die Felder gewagt. Ein Westwind setzte ein – sie wurde vom Eise umschlossen und zerdrückt. Die Mannschaft entkam glücklich über das Eis zu andern Schiffen, welche ebenfalls mehr oder weniger hart bedrängt waren.

Mitte August traten nördliche und nordöstliche Winde ein und zertheilten die Eisfelder; Wale erschienen und die Boote begaben sich auf [814] den Fang. Aber schon Mitte August sprang der Wind nach Westen um und nahm an Stärke zu; vor ihm her drängte das Pack wieder nach der Küste. Das Gefährliche ihrer Lage wohl erkennend, versuchten nun die Capitaine ihre Schiffe südwärts in Sicherheit zu bringen, wurden aber, ehe ihnen dies gelang, von dem Eise umschlossen. Nur zwei Schiffe, „Rainbow“ und „Three Brothers“, geschützt durch eine ausspringende Landzunge, ankerten noch sicher in der Nähe der Barrowspitze; einige andere, welche, genau wie im Jahre 1871, sich nicht so weit vorwärts gewagt hatten, befanden sich außerhalb der Gefahr am Eiscap. Zwölf Fahrzeuge waren am 24. August vom Eise besetzt, trifteten hülflos mit diesem hin und her und wurden vielfach beschädigt. Je nachdem das Pack sie gefaßt hatte, lagen sie von Wainwright’s Inlet nordwärts an verschiedenen Punkten nahe der Küste.

Um für alle Fälle zu sorgen, unternahmen es verschiedene Mannschaften, Proviant nach der unwirthlichen Küste zu bringen. Da aber gleichzeitig auch noch dichter Nebel eintrat, verirrten sich die abgesandten Leute auf ihrem gefahrvollen Wege; nur ein Theil fand sich zu den Schiffen zurück; verschiedene waren verunglückt oder durch die Kälte umgekommen. Ende August gerieth das Eis plötzlich in ein beharrliches Treiben und führte acht der Schiffe mit sich, ungefähr dreißig Seemeilen weit um die Barrowspitze nach Osten. Dort setzte das Pack sich fest und staute sich in gewaltigen Massen auf. Nach wenigen Tagen schon hatten sich die Capitaine überzeugt, daß ihre Lage hoffnungslos und auch nicht ein Fahrzeug zu retten war. Da die Jahreszeit schon weit vorgerückt war, man auch nicht Proviant genug hatte, um zu überwintern, wurde in einer allgemeinen Berathung beschlossen, die Schiffe schleunigst zu verlassen, der Küste folgend sich über das Eis nach Süden zu retten und dort Zuflucht auf einem vielleicht außerhalb der Felder kreuzenden Walfänger zu suchen. Ein Theil der Bemannung jedoch fürchtete die Gefahren und Anstrengungen eines in seinem Erfolge so ungewißen Zuges und etwa fünfzig Leute blieben auf den Schiffen zurück, um dort zu überwintern, während die übrigen, über zweihundert an der Zahl, am 5. Septbr. abmarschirten. Diese nahmen nur das Nothwendigste an Kleidung und Waffen, für drei Wochen Nahrungsmittel und natürlich auch die nöthigen Boote mit sich.

Da das Eis sehr uneben lag, war der Zug mit unendlichen Schwierigkeiten verknüpft; man mußte erst das Gepäck voraustragen, dann zurückkehren und die Boote ebenfalls so weit vorwärts schaffen; dann hatte man wieder Canäle und Flächen freien Wassers zu passiren, die Boote bald flott zu machen, bald wieder auf das Eis zu heben, das mitgeführte Gepäck aus- und einzuladen. Es bildete sich auch schon neues Eis, welches die Menschen nicht trug und für die Fahrt in den Booten erst zerschlagen werden mußte. Unter solchen Umständen kam man nur langsam vorwärts; verschiedene Leute wurden muthlos und kehrten wieder nach den Schiffen zurück. Am 9. September erreichte die abziehende Schaar nach großen Mühseligkeiten die Barrowspitze und die beiden unversehrt dort liegenden Schiffe. Deren Capitaine hofften sie aber noch zu retten, da sie nicht direct vom Eise besetzt, sondern nur umzingelt waren und meinten, daß eine günstige Brise freies Fahrwasser öffnen würde. Die von den verunglückten Schiffen kommenden Mannschaften wollten aber nicht warten; sie construirten Schlitten, setzten die Boote darauf und zogen quer über das Land nach der andern Seite der Barrowspitze. Dort trafen sie am 11. September statt freien Fahrwassers nur unabsehbares Eis und die Bark „Florence“ in diesem festsitzend. Nun wurde alle Hoffnung aufgegeben. Man beschloß, an der Barrowspitze zu überwintern und möglichst viele Wale zu fangen zur Ernährung so vieler Menschen während des Winters.

Da kam Rettung. Eine scharfe Brise setzte von Osten ein, trieb das Eis ab und zertheilte es. Die Bark „Florence“ wurde frei, nahm alle Schiffbrüchigen an Bord und segelte an der Küste entlang nach Süden. An Mainwright’s Inlet wartete man auf die etwa noch Nachkommenden. Am 18. August erschienen noch „Rainbow“ und „Three Brothers“; die Schiffbrüchigen wurden auf drei Fahrzeuge vertheilt und erreichten in ihnen nach wenigen Wochen Honolulu und San Francisco.

Zwölf Schiffe sind im Eise verunglückt. Auf denen im Nordosten der Barrowspitze sind etwa neunundfünfzig Menschen zurückgeblieben, welche einem langen traurigen Winter entgegensehen. Es ist möglich, daß trotz mangelnder Provisionen viele der Unglücklichen ihn überleben, da ja auch Eskimos an jenen unwirthlichen Küsten existiren, und daß sie im nächsten Sommer durch nordwärts kreuzende Walfänger wieder der Heimath zugeführt werden.
P.-L.