Albwin der Longobarde
(Paul. Diac. Lib. I & II)
Es lag zur Dämmerstunde ein Nebel auf dem Land,
Da rief Albwin der König nach seinem Streitgewand:
„Wacht auf, ihr kühnen Träumer! Ein Frühhauch weht im Tann.“
Da waffnet in den Zelten sich mancher stattliche Mann.
Ihm blitzt im blauen Auge schwertheller Heldenzorn.
„Heut’ soll ein Rosenfrühling sprießen aus dem Schnee!
Heut’ schaffen wir den Bräuten der stolzen Gepiden Weh’!“
Dreimal dröhnt in der Ferne Kunemundes Schild.
Walkürenrosse schnauben, die Geier werden wach,
Speerzischen tönt im Sturme und starker Helme Krach.
„Heut’ sollst du mir erstreiten, mein graues Hünenschwert,
Die schönste Maid auf Erden, die je ein Held begehrt!
Ein nacktes Schwert am Tage, ein nacktes Weib bei Nacht!“
An diesem Wintermorgen da fiel manch guter Streich,
Da lag unter’m Schilde gar Mancher stumm und bleich;
Die tapfersten Gepiden deckten schon den Grund,
„Zurück, flaumbärt’ger Knabe! Längst klagt beim Reihentanz
Um den entlauf’nen Hämmling die Kais’rin von Byzanz;
Zurück zum Putzgemache! Sonst treibt dich, eitler Geck,
Mein umgekehrter Speerschaft vom Kampf der Männer hinweg.“
Daß ich mit Gold und Purpur festlich mich geschmückt? –
Hochzeit will ich halten, – that dir’s kein Traumbild kund?
Hochzeit mit deiner Tochter, der schönen Rosamund!
Ihr bräutlich Haupt wird krönen mein grüner Siegeskranz,
Mit deines Zeltes Schätzen sag’ ich dem Sänger Dank,
Lachend aus deinem Schädel schlürf’ ich den Minnetrank!“
Kein Wort sprach der Gepide, die Streitaxt warf er wild,
Zerschmettert stob zu Boden des jungen Königs Schild.
Als sich zu neuem Wurfe der König rückwärts bog.
Tief durch die Kehle wühlte leis krachend sich der Speer, –
Blut brach aus seinem Munde und Röcheln dumpf und schwer;
Noch einmal irrt sein Auge verdämmernd durch die Schlacht, –
Hoch über den Gefall’nen gieng Albwin’s stolzer Lauf,
Die Helden der Gepiden schrieen jammernd auf;
Dann fochten sie im Schweigen, und sanken auf den Grund
Mit offnen Herzenswunden und mit geschloss’nem Mund.
Aus ihrem holden Blicke thränet frisches Leid.
„Trittst du so herrlich vor mich, sühnlos verhaßter Mann?
Was bluten deine Hände? O rühre mich nicht an!“
„Mein Lieb, vergiß die Todten! Sie trifft dein Jammer nicht:
Uns aber hält die Sehnsucht das Herz noch lebenswarm,
Drum fass’ ich, Heißersehnte, dich jubelnd in den Arm!“
Er zwang ihr kräftig Sträuben, er warf sie auf sein Roß,
Durchritt mit stolzem Lächeln den goldbelad’nen Troß:
Schärft eure stumpfen Schwerter, und folget mir nach Rom!“ –
Nacht war’s, auf’s Lager senkte der Held sein schönes Weib,
Unter warme Decken schmiegte sich ihr Leib. –
Und draußen lag die Haide im dunst’gen Mondenlicht,
Hoch auf dem Königsberge steht Albwin und sein Heer;
Die tiefen Thäler grünen, und ferne blaut das Meer.
Es steh’n die bärt’gen Helden wundernd festgebannt
Und spähen aus den Helmen begierlich in das Land.
Wolfshäute flattern stürmisch und Aexte blitzen drein.
Hoch oben steht der König im goldnen Sonnenstrahl
Und schleudert seine Lanze hinab in’s stille Thal.
„Italien, Heldenwirthin, schließ’ deine Kästen auf!
Sie hieben breite Straßen im unbetretnen Tann,
Mit ihnen ziehen Adler, Lawinen stäuben voran.
Ostern ist im Lande, so rüste Kranz und Mai’n!
Hier kommt manch durst’ger Zecher für deinen süßen Wein;
Hier kommt für deine Töchter manch wilder Bräutigam!
Italien, Heldenwittwe, was senkst du stumm dein Haupt?
Hat nicht die narb’ge Stirne der Lenz dir neu umlaubt?
Das Schwert fraß deine Söhne und Pest und Hungertod, –
Dich drängen feige Räuber, – ich bringe Schutz und Recht,
Und deinen Ruhm verjünget ein königlich Geschlecht.
Mein bist du, Land der Sehnsucht! Weh’ dem, der dich begehrt!
Weh’ dem, der deinen Namen auf meinem Schild nicht ehrt!“
Die Helden klimmen jauchzend hinab den Felsenhang;
Doch unten in den Dörfern stürmen die Glocken schon,
Auf allen Straßen fliehet verstörtes Volk davon.
Im alten Schloß von Berne, in König Dietrich’s Saal,
Da hielt Albwin mit Prangen sein nächtig Siegesmahl;
Die Tafel glänzt vom Golde, das er dem Feind geraubt,
Italiens Krone trägt er hoch auf dem stolzen Haupt.
Kunstreiche Kandelaber mit schwankem Lampenschein,
Steh’n weiße Götterbilder, auf ihr ambrosisch Haar
Stülpt lachend seinen Stierhelm der trunkene Barbar.
Wohl flimmt in Albwin’s Krone des Kreuzes milder Stern,
Und lieber als von Buße und gläub’ger Christen Noth
Hört er von Rachekämpfen und kühner Recken Tod.
In samischen Schaalen kreiset des Weines dunkle Fluth,
Entflammt der Helden Wangen mit ungewohnter Gluth,
Da wirft Albwin den Becher die weite Halle entlang:
„Ihr Schenken und ihr Läufer, ich sag’ euch schlimmen Dank;
Wißt ihr, woraus am ersten Siegesfest ich trank?
Die köstlichste der Schaalen, heut’ kreist sie wohl mit Fug:
Da holten sie die Schaale und füllten sie in Hast;
Sie war am weißen Rande in reines Gold gefaßt.
Der König schlürfte langsam, die Helden sangen fort,
Dann blickt’ er in die Schaale und sprach ein spöttisch Wort:
Wie gern in Gift und Galle verkehrtest du mir den Wein!“
Laut jubelten die Helden, der Trank gieng in der Rund’,
Da trat auf die Schwelle die Königin Rosamund.
Ihr Auge wurde finster, ihr Antlitz wurde blaß, –
„Welch’ schwarze Norne wandelt zum Freudenthor herein?
Reicht ihr die Ehrenschaale und heißt sie freundlich sein!“
Da schritt langsamen Ganges die Herrin durch den Saal:
„Unzeitig ist das Scherzen, mein König und Gemahl!
Doch nicht vor meinem Auge, das täglich ihn beweint.“
Der König fuhr vom Sitze: „Was raubte dir sein Tod,
Das ich mit reichen Händen nicht tausendfach dir bot?
Dem Schwert verfiel dein Leben, dem lüsternen Knecht dein Leib, –
Verrath ist dieser Starrsinn und Schmähung dies Geflenn!
Fühlst du dich noch als Sklavin, wohlan, so sei es denn!
Vor deines Herren Waffen erbebt das Capitol, –
Nun beug’ dich, nimm die Schaale und trinke auf sein Wohl!“
Nach seinem Speere zuckte der sinnverwirrte Mann;
Sie sich ihn mordesfinster, zornschnaubend vor sich steh’n,
Da sprach sie dumpf: „Der Wille des Herren soll gescheh’n.“
Ein wortlos wildes Murmeln aus ihren Lippen brach, –
Dann ward ihr Antlitz ruhig, sie neigt’ sich dem Gemahl
Und schritt, wie sie gekommen, langsam aus dem Saal.
Es sitzt im Blüthengarten zu stiller Mittagsstund’
Beim lockigen Helmichis die schöne Rosamund;
Er drückt ihr leis die Hände, sie schweigt und wehrt ihm nicht,
Da stürzt er vor ihr nieder mit glühendem Angesicht.
Das Leid, das überströmend aus meinem Herzen quillt?
Und weckt mein Wort das Unheil, das lange mich bedroht,
So laß dies Wort mich sprechen und schick’ mich in den Tod!
Du weißt es nicht, welch’ glänzend Elend mich umfieng,
Was weiß die heit’re Sonne vom nächt’gen Erdenleid? –
Du giengst an mit vorüber in stolzer Herrlichkeit.
Nun aber ist dein Antlitz von Gram und Sorgen bleich,
Nun bist du selber elend, – und wir sind beide gleich;
So lockt dein Schmerz mich wieder mit rührender Gewalt.
O können Menschenwaffen wehren deinem Harm,
Hier ist ein Herz voll Liebe und hier ein junger Arm!
Mein leidgewohntes Auge, dich kann’s nicht trauern seh’n,
Sie blickte ihm halblächelnd in’s Auge unverwandt,
Zerpflückte stumm den Schleier in ihrer weißen Hand,
Dann beugte sie sich langsam zu des Jünglings Ohr
Und sprach: „Albwin muß sterben!“ Helmichis fuhr empor.
Weh’ in welchen Jammer ist all’ mein Thun verstrickt!
Kaum wagt’ ich es zu pochen an meines Glückes Thor,
So tritt als finstrer Pförtner der Meuchelmord davor.“
Die Herrin hebt die Stirne, und ihre Wangen glüh’n:
Fehlt dir vielleicht ein Werber, so denke an dein Schwert;
Ich glaube, Rosamunde ist eines Kampfes werth.“
Da beugt sich auf ihn nieder das wunderschöne Weib,
In trunk’nem Muth umschlingt er den königlichen Leib,
Da war sein Loos gefallen, und er beschwor die That.
Nun faßt ihn sorglich blickend die Herrin bei der Hand:
„Kein Einzelner hält jemals dem Unbesiegten Stand;
Mir banget für dein Leben, drum, Jüngling, hör’ mich an:
Da sprach der Held erröthend: „Deucht dir mein Muth so klein?
Dich Hohe zu erwerben, vollbring’ ich’s wohl allein!“
Sie aber bat ihn lange, bis er besänftigt war;
Da nannt’ er ihr mit Zaudern den kühnen Peregar.
Als daß vor Grimm die Herrin man Abends weinen sah;
Einsam in der Dämm’rung verschloß sie ihr Gemach
Und sann in Nacht und Schweigen furchtbaren Dingen nach.
Herr Peregar, der Degen, der liebt’ ein holdes Kind,
Ihm war sie ganz zu eigen, und manche sel’ge Nacht
Hat er an ihrem Herzen in Spiel und Scherz durchwacht.
Auch heut’ kehrt er vom Mahle erhitzt von Wein und Sang
und schleicht auf leisen Sohlen durch den vertrauten Gang;
Und schließt in tiefes Dunkel ein süß Geheimniß ein.
Solch’ wilde Wonnen hat ihm ihr Leib noch nie entfacht,
Die schlanken Glieder schwellen in ungewohnter Pracht;
Doch kalt sind ihre Lippen, – ihn faßt ein fremder Schmerz, –
„Wer bist du, stummes Wesen? Von wannen nahtest du?
Sprich, oder schließt den Mund dir des Grabes Siegel zu?“
Da hob sich’s aus den Kissen, – im trüben Mondenlicht
Erkannt’ er mit Entsetzen der Königin Angesicht.
Was bist du, wenn mein Mitleid sich jetzt nicht dein erbarmt?
Ich bat dich heut’ um Rache und bot dir Ehr’ und Glück,
Du aber stießest schimpflich die Flehende zurück.
Ein Ruf nun, – und der König beim Trinkgelag erfährt,
Zur Rückkehr in das Leben ist dir ein Weg noch frei:
Er oder du! – Nun wähle, was dir das Beste sei!“
Umsonst in Angst und Jammer des Helden Seele rang,
Der Hölle Netz zu sprengen, das tückisch ihn umschlang, –
Die harten Eidesworte mit todter Stimme nach.
Zur selben Stunde zechte der König noch allein,
Oed standen und verlassen der Bänke lange Reih’n,
Fernes Wetterleuchten zuckt’ in den düstern Saal, –
O todte Schlummerschwüle im Sommernachmittag!
Die Marmorstraßen glühen, der Schnitter schläft am Hag,
Laue Wellen schleichen lautlos durch das Rohr,
Nur fern steigt in die Bläue weißes Gewölk empor.
Der König hält zur Stunde ersehnte Mittagsrast.“
Da schwieg das Singen und Scherzen, die Saiten klangen aus,
Die Herrin wandelt einsam durch das verlass’ne Haus.
Auf Purpur lag der König, entschlafen war er kaum,
Dann nahen leise Tritte, zwei Schwerter funkeln licht,
Da fährt der Held vom Schlummer mit zürnendem Angesicht.
Er streckt noch schlafestrunken nach seinem Schwert die Hand,
Es war mit starken Schnüren genestelt an die Wand;
Drauf griff er nach dem Schemel und schirmte seinen Leib.
Im Düstern und Verborgnen geschah der schnöde Mord;
Es war ein wildes Ringen, und Keiner sprach ein Wort,
Gestampf und dumpfes Schnauben, – darauf ein schwerer Fall, –
In’s Scharlachtuch verwickelt lag der gewalt’ge Mann,
Ueber die stolzen Glieder das Blut in Bächen rann.
Die Mörder standen zögernd, doch als sein Auge brach, –
Da vor dem todten Blicke floh’n sie aus dem Gemach.
Ihr Blick ist heiß wie Feuer, ihr Antlitz kalt wie Stein;
Sie fühlt nach seinem Herzen; das schweigt in blut’ger Ruh’,
Da nickt sie wohlgefällig und geht der Thüre zu.
O todte Schlummerschwüle in Söller, Thurm und Hall’,
Eine satte Schlange sonnt sich im rothen Ufersand,
Schläfrigen Fittichs fliegen zwei Raben über’s Land.
Am Hofe von Ravenna regt sich geschäft’ge Hast,
Es kam zu dem Exarchen ein unverhoffter Gast,
Das schöne Weib aus Norden, die Königin Rosamund;
Da ward dem ernsten Römer ihr mächt’ger Zauber kund.
Es plätscherten im Saale Cascaden duftig kühl,
In gold’nen Schüsseln prangte das Köstlichste der Welt,
Auf ihre Häupter bog sich ein blühend Laubenzelt.
Und lockend klang die Flöte, die Cymbel säuselte lind,
Helmichis lag daneben; so sehr er sich bezwang,
In Schlummer wiegt den Müden der süße, fremde Klang.
Da beugt zu Rosamunden der edle Römer sich:
„Ich wollte dich bewirthen, und jetzt erlabst du mich!
Aus deinen Augen saug’ ich der Schönheit Nektar ein.“
Sie neigte sich mit Lächeln und sah ihn glühend an,
Und ihr gefiel im Herzen der kräftig feine Mann;
Die strammen Glieder lagen vom Purpur halb verhüllt,
Und wieder sprach Longinus: „Ist mir die Frag’ erlaubt?
Wer ist der schlummernde Jüngling mit goldgelocktem Haupt?“
Da warf sie stechende Blicke nach dem Schläfer hin,
Und eine schlimme Lüge erfand ihr arger Sinn.
Durch dessen tolles Treiben ich Thron und Reich verlor;
Er rang nach meiner Minne, mein Gatte schuf ihm Noth,
Da warb er einen Helfer und schlug den König todt.
Die Wuth der Longobarden stürzte sich auf ihn;
Der andre Mordgeselle floh in die weite Welt;
Er folgt mir nach und hält sich zu meinem Hüter bestellt.“
Da flammt des Römers Wange, er faßt sie um den Leib:
„So schaff ihn aus dem Wege und sei mein eh’lich Weib!“
„Ich bin in deinen Händen, ich kann nicht sagen Nein!“
Als aus dem tiefen Schlafe Helmichis aufgewacht,
Da lag der Saal verlassen in schaurig öder Pracht,
Im Garten tönten Lieder, der Abend war genaht;
Er trat mit frischen Gliedern und heit’rem Muth hervor,
Da stand mit einem Becher die Königin am Thor:
„Nun soll uns nichts mehr scheiden! Verschläfst du unser Glück?
Trink’, süßer Freund, und kehre zum Liebesfest zurück!“
Und schaute sie beim Trinken zärtlichen Blickes an, –
Da schrak sein Herz zusammen, – im rothen Fackellicht
Sah er ein hohnverzerrtes, haßkaltes Angesicht.
„Trink selber!“ rief er ahnend, sie faßt ein jäher Schreck, –
„Trink!“ rief der Unglücksel’ge und riß das Schwert heraus, –
Da griff sie nach dem Becher und trank ihn hastig aus.
Dann schleudert’ sie ihn nieder hohnlachend in den Sand
Und streifte vor ihr Antlitz das festliche Gewand. –
Sie starben ohne Sühne, sie schieden ohne Gruß. –
Und soll ich weiter künden, was ferner sich begab?
Longinus legt die Beiden zusammen in ein Grab;
Und wieder kam der Frühling und deckt in sel’ger Ruh’
Nach langen, langen Jahren irrt fern im fremden Land
Ein namenloser Bettler blind und unbekannt;
Einst schwellte seine Glieder furchtbare Heldenkraft,
Jetzt stützt den Todesmüden sein alter Lanzenschaft.
So führt ihm die Erinn’rung ein gräßlich Bild herauf,
Ein Bild fluchtodten Glückes voll Rache, Trug und Mord, –
Und ohne Ruhe wandert der blinde Bettler fort.