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Wie Höther Nanna’s Liebe gewann

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Textdaten
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Autor: Wilhelm Hertz
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Titel: Wie Höther Nanna’s Liebe gewann
Untertitel:
aus: Gedichte, S. 209–214.
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Hoffmann und Campe
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Erscheinungsort: Hamburg
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Quelle: Scans auf Commons und Google
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[209]
Wie Höther Nanna’s Liebe gewann.
(Fragment eines epischen Gedichts über Balder und Höther,
Saxo Grammaticus Lib. III.[WS 1])


Wo Norwegs Burgen schatten in’s Spiegelmeer hinaus,
Da hielt in alten Zeiten der König Gewar Haus.
Dem wuchs in stiller Halle ein Sproß von seltner Art,
Des Nordens schönste Rose, ein Mägdlein licht und zart.

5
Von ihrem Preise hallten die Lande rings umher;

Sie aber saß am Rocken und sah hinaus auf’s Meer
Nach Schwänen und nach Schwalben, so kürzte sie die Zeit;
Fremd war ihr Welt und Leben und Lieb’ und Liebesleid.

[210]

Nun kam zu Gewar’s Hofe ein junger Heldensohn,

10
Der war des Königs Mündel und diente um den Thron.

Von seiner weißen Stirne quoll weiches Lockengold,
Er wußte süße Weisen, ihm waren Elfen hold.

Er sang von allem Sehnen, von Hoffnung, Lust und Schmerz,
Als wäre seine Harfe ein tönend Menschenherz.

15
Sein Lied erhob am Morgen die Träumer aus der Ruh’

Und schloß am späten Abend schlaflose Augen zu.

Einst saß er vor dem Schlosse und hielt getreue Wacht,
Es klangen seine Lieder sehnsüchtig durch die Nacht;
Waldvöglein wurden munter und schlugen hell darein,

20
Vom süßen Schall erwachte des Königs Töchterlein.


Sie trat an’s hohe Fenster und lauschte lang’ und lang’,
Mit unsichtbaren Fäden umwand sie der Gesang;
Ihr Auge schwamm in Thränen, ihr Herz in sel’ger Qual,
Da fühlte sich so einsam das Kind zum ersten Mal.

[211]
25
Sie spähte nach dem Sänger durch’s duft’ge Dämmerlicht;

Er sah ihr Antlitz leuchten, sie aber sah ihn nicht;
Doch immer holder tönte der mächt’ge Wundersang,
Bis er wie Geisterflüstern in’s Morgenroth verklang.

Gekommen war die Sonne, die Jungfrau stand und sann,

30
Ihr brach in Lust und Sehnen der Minne Morgen an.

Es kommen oft im Frühling die Veilchen über Nacht,
Doch schneller siegt im Herzen lenzjunger Liebe Macht.

Oft sah sie seitdem lauschend hinab im Mondenlicht;
Ob sie vergebens lauschte, verbürgt die Märe nicht.

35
Doch nie erschien der Sänger, sie hörte nur das Lied,

Und bebte, wenn es nahte, und klagte, wenn es schied.

Sie ahnte, daß sie liebte, doch wußte sie nicht wen?
Da war’s um ihre Ruhe und leichten Sinn gescheh’n.
Vom Wachen und vom Weinen ward ihr die Wange bleich:

40
„Ach, dürft’ ich ihn nur schauen, wie wär’ ich wonnereich!“
[212]

Da sprach zu ihr die Mutter: „Was quälet dich für Noth?
Verbirg nicht deine Augen! Sie sind vom Weinen roth.
Was feiert deine Spindel, mein fleißig Töchterlein?
Sprich! oder soll der Mutter dein Leid verborgen sein?“

45
Da sprach das Kind erröthend: „Mir wird der Tag so lang;

Könnt’ ich die Zeit nur kürzen mit Harfe und Gesang!
Nichts hör’ ich als die Brandung und Mövenschrei und Sturm,
Nur Vögel seh’ ich fliegen um den verlass’nen Thurm.“

Da lächelte die Mutter: „Und ist das all’ dein Leid?

50
Sonst deuchte dir’s so fröhlich in dieser Einsamkeit;

Doch willst du Harfen lernen, frei steht dir Wunsch und Wahl!
Viel weise Sänger wandeln durch König Gewar’s Saal.“

Da führte man die Skalden zum Wettgesang herein,
Der Liederkönig sollte schön Nanna’s Meister sein.

[213]
55
Das Kind saß bei der Mutter und schaute niederwärts,

Um Freyja’s Hülfe flehte ihr angstbewegtes Herz.

Nun huben an die Sänger den ernsten Wettgesang,
Doch harrte sie vergebens der lieben Stimme Klang;
Sie flüstert zu der Mutter mit bangem Angesicht:

60
„Unsanft sind diese Weisen, die Meister will ich nicht.“


Da klang vom Strand herüber ein süßer Harfenschall,
Die Jungfrau schrak zusammen, die Meister lauschten all’;
Bald taucht das Lied wie Schwäne in wonnig weiche Fluth,
Bald schwingt es sich wie Adler hinauf in Wolkengluth.

65
Da sprach die kluge Mutter: „Ist dir das Lied bekannt?

Das ist der junge Höther, der harft am Meeresstrand.“
Die Jungfrau sprach: „Frau Mutter, dies Lied hat sanften Klang;
Doch lernt man’s nicht vom Hören, es ist gar schwer und lang.“

[214]

„Drum soll’s der Herr dich lehren, ich merke euer Spiel!

70
Mich dünkt, daß dir am Sänger nicht bloß sein Lied gefiel.“

Da schwor das Kind mit Thränen: „Ich hab’ ihn nie geseh’n!“
„Wohlan denn, sprach die Mutter, so mag es jetzt gescheh’n!“

Wie nun der junge Degen gar herrlich vor sie trat,
Wie sie ihn von der Mutter zum Meister sich erbat,

75
Wie er sie singen lehrte zu holdem Harfenklang, –

Wollt’ ich das Alles künden, die Weile würd’ euch lang.

Denn gleich bleibt sich die Minne, wo sie auch blühen mag.
Sie saßen auf dem Söller beisammen manchen Tag;
Und ob sie fleißig waren, fragt bei den Schwalben an!

80
Vielleicht, daß sie euch künden, was ich nicht wissen kann. – –

Anmerkungen (Wikisource)