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Algerien (Illustrirte Zeitung)/I. Land und Volk

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Textdaten
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Titel: Algerien
Untertitel: I. Land und Volk
aus: Illustrirte Zeitung, Nr. 6 vom 5. August 1843, S. 84–86
Herausgeber: Johann Jacob Weber
Auflage:
Entstehungsdatum: 1843
Erscheinungsdatum: 1843
Verlag: J. J. Weber
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: MDZ München, Commons
Kurzbeschreibung: Landesbeschreibung Algeriens
Eintrag in der GND: [1]
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[84]
Algerien.
I.
Land und Volk.

Zwischen der Westgrenze von Tunis und der Ostgrenze von Marocco liegt im Norden von Afrika eine Küstenstrecke am Mittelmeer, die, 123 Meilen lang, ohne bedeutende Meerbusen, zum Theil felsig, von starken Brandungen, heftigen Strömungen, gefährlichen Klippen geschützt, doch auch mehre gute Hafenplätze hat, wozu von Westen nach Osten besonders Mers-el-Kebir, Oran, Arzew, Budschia, Stora, Bona und Calle gehören. In derselben Richtung wie die Küste durchzieht der Atlas mit zwei Gebirgsketten

Mostaganem.

[85] – dem 4 bis 600 Fuß hohen kleinen Atlas im Norden und dem bis 7200 Fuß hohen großen Atlas im Süden – von Westen nach Osten das Land. Zahlreiche Arme laufen nordwärts zum Meer von ihm aus und zwischen ihren bewaldeten Höhen verbreiten sich fruchtbare Thäler und größere Ebenen. Südlich vom Atlas liegen Steppenländer und Wüste. Zahlreiche Berggewässer strömen vom Atlas ins Meer, wahrscheinlich auch im Süden zur Steppe und in den Dschiddi oder Ziegenfluß. Nordwärts fließen der Schellif, Mazafran, Bissar, Zowa, Wed-el-Kebir, Seibuse, die aber sämmtlich wegen der Kürze ihres Laufs entweder gar nicht, oder doch nur auf einer sehr kleinen Strecke beschifft werden können. Die Erde liefert Blei, Eisen und Salz, das Meer Korallen, der Boden Getreide, Datteln, Zucker, Oel, Weintrauben. Das Land ist reich an Wild, hat Woll- und Ziegenfelle, Pferde, Esel, Kameele, jedoch auch einige reißende Thiere. Das Klima ist gesund. Vom November bis zum April dauert die Regenzeit mit sehr milder Luft, und nur vom Juli bis October steigt die Hitze zuweilen auf 34 Grad R., besonders wenn der „Chamsin“ genannte Südwind weht, der die Luft mit seinem Wüstenstaube erfüllt. Selten fällt anderswo Schnee als auf dem Gebirge. Die Pest wird nur von außenher eingeschleppt; im Lande selbst kommt sie nicht vor.

In diesem Lande, dessen Größe man bald auf 5000, bald auf 9000 Quadratmeilen angiebt, je nachdem man seine Grenzen mehr oder minder weit nach Süden verlegt, lebt eine Bevölkerung von etwa 2 Mill. Menschen, worunter sich über 800,000 Berbern, 600,000 Mauren, 200,000 Araber, 70,000 Neger, 45,000 Juden, 28,000 Koluplis oder Nachkommen von türkischen Männern und einheimischen Frauen etc. befinden sollen. Sie treiben etwas Ackerbau, mehr Viehzucht. Ihr Gewerbfleiß ist gering, der Handel unbedeutend; die Ausfuhr: Getreide, Reiß, Wachs, Straußfedern, Wolle, Leder, Tabak; die Einfuhr: Fabrik- und Manufacturwaaren, Waffen. Der größte Theil der Bevölkerung bekennt sich zum Muhamedanismus.

Die einzelnen Volksstämme, welche dieses Land bewohnen, führen als ein Zeichen ihrer gemeinsamen Abstammung gleiche Geschlechtsnamen, wie z. B. Ulad Mokhtar, d. h. Kinder Mokhtar’s oder Beni Khalil, d. h. Söhne Khalil’s. Unterabtheilungen oder Familien, die zusammen leben, heißen nach Verschiedenheit der Oertlichkeit Kharuba, Dachra oder Duar. Sie stehen unter einem frei gewählten Aeltesten oder Scheik, d. h. Greis, dessen Würde jedoch meistens derselben Familie gelassen wird, indem man immer den Sohn zum Nachfolger seines Vaters wählt und ihm, wenn er unmündig ist, eine Art von Regenten zur Seite stellt. Zuweilen stehen mehre Scheiks mit ihren Duars unter einem gemeinschaftlichen Oberscheik. Dies ist namentlich bei den Kabylen der Fall, wo der Oberscheik mehre unabhängige Districte zu verwalten hat, frei gewählt wird und seiner Stelle auch wieder entsetzt werden kann. Neben und über dieser volksthümlichen Eintheilung besteht eine politische und von den Herrschern ausgehende, die mehre Stämme unter den Befehl von Kaids, Aghas, Khalifas stellt und diese größern Abtheilungen unter Bei’s, als den Verwaltern ganzer Provinzen, vereinigt, die Bei’s selbst aber den Herrschern, früher Türken mit ihrem Dei, jetzt Franzosen, unterordnet. Auf diese Weise verwalten die einzelnen Volksstämme ihre eignen Angelegenheiten, müssen aber nach oben hin Tribut zahlen. Um sie in Unterwürfigkeit zu erhalten und den Tribut einzutreiben, bedienen sich die Gewalthaber der waffenfähigen Mannschaft des einen Stammes gegen den andern und die zu dieser Unterstützung verpflichtete Miliz heißt Maghzen. Ist der Kaid oder Agha ein Eingeborner, so helfen ihm außerdem zunächst seine Stammgenossen, und endlich giebt die bewaffnete Macht der Herrscher – Janitscharen oder französische Truppen – seinen Anordnungen Nachdruck. So erklärt es sich, wie der eine Herrscher, die Türken, von einem andern Herrscher, den Franzosen, verdrängt werden kann, ohne daß die eigenthümliche Verfassung und Lebensweise des Volkes wesentlich davon berührt wird; so zeigt sich aber auch die eigentliche Natur des zwischen Abd-el-Kader, dem eingebornen Marabut, und den Franzosen bestehenden Krieges.

Arabische Reiterei.

Dabei handelt es sich darum, wer die obersten Beamten einsetzen, den Tribut erheben, mit Einem Wort: Herrscher sein soll. Nur gezwungen unterwerfen sich die treuen Muselmänner der Gewalt der Christen; einzelne Stämme sind Abd-el-Kader durch persönliche oder stammliche Erbfeindschaft entfremdet; in solchen Fällen nöthigen die streitenden

Zelte der Araber.

Partieen mit Gewalt zum Gehorsam; größtentheils neigt sich aber die ganze Bevölkerung ihren Stamm- und Glaubensgenossen zu, und höchlichst zu bedauern sind diejenigen Stämme, welche abwechselnd von den Franzosen und von Abd-el-Kader zur Unterwerfung genöthigt und für diese Unterwerfung gezüchtigt werden.

Mascara.

[86] Ein großer Theil der Bevölkerung, und zwar besonders die Araber bestehen aus Wanderstämmen, treiben Viehzucht und leben unter Zelten, wie die Illustration eins darstellt. Die Kabylen beschäftigen sich mehr mit Ackerbau und wohnen deshalb in Dörfern. Es giebt jedoch auch überall Städte im Lande, wo die übrige Bevölkerung ihren Sitz hat, Handel und Gewerbe betrieben werden und sich der Mittelpunkt der Landesverwaltung befindet. Die Hauptstadt des ganzen Landes ist Algier, fast in der Mitte der Küstenstrecke, auf einem Massif genannten, Hügellande, voll quellreicher Thäler mit üppigem Pflanzenwuchs und lieblichen Landhäusern. Weiterhin wird diese durchschnittene Höhe zu einer Hochebene, die Sahel heißt und an deren Fuß sich in einer Länge von 10–12 und einer Breite von 3–4 Meilen die Thalebene Metidscha bis zum kleinen Atlas hin ausbreitet. Die Metidscha ist zum Theil fruchtbar und angebaut, zum Theil sumpfig und öde, der Nordabhang des Atlas bebuscht und bewaldet, größtentheils von Eichen und Mastixbäumen. Die Stadt selbst ist terrassenförmig erbaut, hat meistens enge Straßen und nur wenige ausgezeichnete Gebäude, unter denen, nach der Sprengung des Kaiserforts bei der Einnahme im Jahr 1830, die Kasauba oder der ehemalige Palast des Deis zu den bemerkenswerthesten gehört. Algier zählt 70,000 Einwohner. In der Nähe und noch innerhalb der Metidscha liegen das früher als Marktplatz, jetzt als Sammelpunkt des Heues von den reichen Weiden der Umgegend bekannte Buffarik und Koleah am Südabhang des Sahel, umgeben von herrlichen Orangen-, Citronen- und Granatbaumgärten, die mittels künstlicher Leitungen reich bewässert sind.

Westlich von Algier liegt sehr pittoresk, auf zwei von einer ziemlich tiefen Schlucht, in der ein Mühlbach fließt, getrennten Hügeln die Seestadt Oran, wo die Spanier während einer dreihundertjährigen Herrschaft bewunderungswürdige, unterirdische Verbindungswege, eine prachtvoll gewölbte Waarenniederlage, einen in Felsen gehauenen Hafen, drei Kirchen, ein Schauspielhaus erbauten und den Aufenthalt so angenehm machten, daß man Oran Corte chica oder den kleinen Hof zu nennen pflegte. Ein Erdbeben richtete aber am 9. Oct. 1790 solchen Schaden an, daß einige Jahre später die Spanier abzogen. Orans Wichtigkeit erhöht der dazu gehörige, zu Wasser 5 Meilen, zu Lande 7 Viertelstunden nordwärts davon gelegene Hafenplatz Mers-el-Kebir, der eine bedeutende Tiefe und guten Ankergrund hat, so daß die größten Kriegsschiffe dort eine Zuflucht finden. Die Anzahl der Einwohner von Oran soll über 20,000 betragen. Arzew, ein kleiner, auf Trümmern erbauter Ort, mit einem vortrefflichen Ankerplatz für Kauffahrteischiffe, Mostaganem in einer ungemein fruchtbaren Gegend, wo viele Trauben gebaut werden und einen bedeutenden Handelsartikel bilden, Tenes, ein erbärmliches, schmutziges Städtchen, obwohl ehemals die Hauptstadt eines selbstständigen Königreichs, von unfruchtbaren Höhen umgeben, und Cherchel, das Julia Caesarea der Römer, die dort einen Hauptstützpunkt ihrer Macht hatten, sind die bedeutendsten von Westen nach Osten zwischen Oran und Algier an der Küste gelegenen Ortschaften. Oestlich von Algier liegen die Seestädte Bugia, ein sehr kleiner Ort, Philippeville, eine am Meerbusen von Stora erst neuerdings angelegte, aber rasch emporblühende Stadt, Bona an der Mündung des Seibuse und La Calle auf einer felsigen Halbinsel, wo die Franzosen seit langer Zeit der Korallenfischerei wegen eine Niederlassung hatten.

Hinter diesen am Meer belegenen Punkten liegt im Innern des Landes eine zweite Reihe von mehr oder minder beträchtlichen Ortschaften. Von Osten nach Westen hin folgen sich: Guelma, Constantine, Setif, Belidah, Medeah, Miliana, Mascara, Tlemsen und Nedroma. Letzteres liegt hart an der Grenze von Marocco, drei Meilen südlich vom Vorgebirge Hone. Tlemsen ist 7 Meilen vom Meer, 12 Meilen südwestlich von Oran entfernt, beherrscht einen wichtigen Landstrich und bildet einen natürlichen, fast unvermeidlichen Durchgangspunkt für die Caravanen aus Fez, weshalb man es auch Bab-el-Gharb oder Thor des Westens zu nennen pflegt. Die Stadt hat enge, oft oben von Weinreben überrankte, an einigen Stellen überwölbte und überall durch Springbrunnen gekühlte Straßen mit meistens nur einstöckigen Häusern. Im Süden der Stadt liegt eine Citadelle, die gegen 100 Häuser und eine Moschee umschließt. Mascara liegt 12 Meilen südlich von Mostaganem und 14 Meilen südöstlich von Oran, hat 3 Vorstädte, 3 Hauptstraßen, 1 Moschee etc. und ist berühmt durch die Güte der dort gefertigten Burnus. Belidah, Medeah und Miliana sind drei von Algier aus hintereinander am Wege nach Mascara und Tlemsen belegene Städte. Ersteres hat eine sehr gesunde Lage am Eingang eines tiefen Thaleinschnitts im kleinen Atlas und ist von reich bewässerten Gärten und Orangenwäldern umgeben. Seitdem die bedeutendsten Gebäude im Jahr 1825 durch ein Erdbeben zerstört worden, hat es meistens nur einstöckige Häuser; die Straßen sind regelmäßig und breiter als in Algier. Medeah liegt ungefähr 15 Meilen von Algier und einen Tagemarsch von Belidah jenseits der ersten Gebirgskette des Atlas, über den ein sehr schwieriger Weg dorthin führt. Es ist amphitheatralisch auf einem Bergabhang erbaut, und eine Art Fort oder Kasbah beherrscht die Hauptpunkte. Die Straßen sind breit und regelmäßig, die Häuser gut gebaut und mit Ziegeln bedacht, die Einwohner hoch gewachsen, wohlgebildet und kräftig. Ungefähr 11 Metres über der Meeresfläche belegen, leidet es im Sommer an Hitze, im Winter an Kälte. Hauptproduct sind dort Trauben, welche vortreffliche Rosinen liefern. In Zukunft dürfte es ein Hauptpunkt für den Handelsverkehr zwischen der Sahara und Algier werden. Miliana liegt 16 Meilen südwestlich von Algier, 8 Meilen von Belidah, auf einem Felsen im Atlas, zwischen den Flüssen Schelif und Mazafran, in einem sehr reichen Landstrich. Die Häuser sind sämmtlich zwei Stock hoch, aus Mauerwerk aufgeführt und mit Ziegeln bedacht. Die Stadt hat 25 Moscheen, worunter 8 größere; ihre Straßen sind eng und krumm, aber mit vielen Springbrunnen versehen, denen das Wasser durch unterirdische Röhren zugeführt wird. Orangen-, Citronen- und Granatbäume umschatten die Wohnungen, in denen sich fast immer Höfe mit bedeckten Säulengängen befinden. Eine noch wichtigere Stadt ist Constantine, südöstlich von Algier, auf einem steilen Felsen belegen und bedeutend befestigt. Sie zählte früher 30,000 Einwohner. Setif südwestlich, Guelma nordöstlich davon sind kleinere Ortschaften, deren es überdies noch sehr viele giebt, unter welchen das durch eine fabelhafte Heldenthat bekannt gewordene Mazagran in der Nähe von Mostaganem.

Höchst mannigfaltig waren und sind noch die Eintheilungen des Landes. Ehemals umfaßte es die drei römischen Provinzen Numidia, Mauritania Sitifiensis und Mauritania Caesariensis mit den Hauptorten Cirta, Sitifis und Caesarea, jetzt Constantine, Setif und Cherchel. Die Türken theilten es in die vier Provinzen: Algier, Oran oder Westen, Constantine oder Osten und Titteri oder Süden. Jetzt zerfällt das Ganze in die drei Abtheilungen: Algier, Oran und Constantine. Der Gesammtname Algerien wurde zum ersten Mal amtlich in der Thronrede bei Eröffnung der Kammersitzungen am 18. Dec. 1837 durch den König der Franzosen gebraucht.