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Allerlei von den Königsbauten im bayrischen Hochlande

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Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Allerlei von den Königsbauten im bayrischen Hochlande
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 6, S. 104–107
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1886
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Beschreibung der Ruine Falkenstein (WP), des Hubertus­pavillons und des Schlosses Linderhof (WP)
siehe auch Ruine Falkenstein
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[104]

Allerlei von den Königsbauten im bayrischen Hochlande.

Von † † †.
Die Bauten auf dem Falkenstein. – Der Hubertuspavillon. – Der Linderhof und sein Geheimniß.

Die gesammte deutsche Zeitungspresse beschäftigt sich neuerdings mit den Verlegenheiten, in welchen die Privatkasse König Ludwig’s II. von Bayern sich befindet, und zwar in um so intensiverer Weise, als Ludwig II. eine Persönlichkeit ist, welcher sich schon lange ein außergewöhnliches Interesse weitester Kreise zugewandt hat. Nach dem Tode seines Vaters Max, noch bei Lebzeiten seines Großvaters, des kunstsinnigen Dichter-Königs Ludwig’s I., als achtzehnjähriger Jüngling auf den Königsthron Bayerns erhoben, lenkte er von da ab durch das Absonderliche und Romantische seiner Situation, seines Wesens und seiner Lebensgewohnheiten die lebhafteste Aufmerksamkeit seiner Zeitgenossen auf sich. Im Jahre 1870, als das Vaterland in Gefahr war, hat er in schwerer Stunde einen männlichen Entschluß zum Heile Deutschlands gefaßt und sich dadurch die dauernde Dankbarkeit aller Patrioten, das Interesse und die Sympathie von ganz Deutschland erworben. Später waren es hauptsächlich zwei Dinge, welche Veranlassung wurden, daß man sich aller Orten in besonderer Weise mit dem jugendlichen König von Bayern beschäftigte: sein Hang zur Einsamkeit und zu großartigen phantastischen Bauten.

Der Hang zur Einsamkeit zeigte sich besonders frappant bei jenen vielbesprochenen nächtlichen, oft bis zum Morgen währenden Theatervorstellungen, in welchen der König ganz allein in dem sonst leeren Zuschauerraume des königlichen Hoftheaters in München sich große Opern und Schauspiele, die eigens für ihn gedichtet wurden und die außer ihm und den Mitwirkenden Niemand kennen durfte, mit enormen Kosten für prachtvolle Dekorationen und Kostüme vorführen ließ; der Hang zum Bauen an zahlreichen Berg- und Waldschlössern, die plötzlich an entlegenen Orten wie durch Zauber entstanden. Die Baulust mag vom Großvater Ludwig auf den Enkel vererbt worden sein, aber während Ludwig I. seine Bauten, welche ebenfalls viele Millionen verschlangen, in München und anderen Städten des Königreichs errichtete und meist allgemein-kulturellen Zwecken dienstbar machte, pflegt Ludwig II. die baulichen Schöpfungen, welchen seine Kabinetskasse ihre gegenwärtige Krisis verdankt, entweder in die weltabgeschiedene, heimliche Verborgenheit des Gewäldes, oder auf die sonnigen, ihre Umgebung weit und breit beherrschenden Zinnen des Hochgebirges zu stellen. Ersteres ist hinsichtlich des Linderhofes, des Hubertuspavillons und des Schlösser-Ensembles auf Herren-Chiemsee der Fall; letzteres bezieht sich auf die Pavillons auf dem Schachen, dem Brunnenkopf, dem Hennenkamm und der Klammspitze in der Nähe des Linderhofs, sowie auf die umfangreicheren Bauten, welche auf dem Falkenstein erstehen sollen. All diese zum Theil mit ungeheuren Kosten ausgeführten und mit Zufahrten versehenen Bauten dienen lediglich dem Privatgebrauch des Königs. Sie stehen einsam und verlassen, bis der König vielleicht einmal im Jahre auf ein paar Tage oder Wochen kommt, um in Prunkgemächern Wald- und Bergeinsamkeit zu genießen! Die Bedienung im engsten Sinne bildet in einem solchen Falle ein Kammerlakai, im weiteren drei Chevaux-legers vom vierten Chevaux-legers-Regiment und ein Friseur.

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Eine der neuesten und bizarrsten Gebirgsbauten des Königs soll der Falkenstein werden. Zwei Stunden westlich von dem alten, aber freundlichen Städtchen Füssen am Lech liegt er, ein Vorberg nur des Hochgebirgs, in der Nähe des Weißen Sees, hart an der Grenze Tirols. Allein er besitzt den ausschlaggebenden Vorzug, eine unvergleichlich schöne Aus- und Fernsicht einestheils nach Norden auf die wellige, von den hellgrünen Fluthen des Lechs durchblitzte, weitgedehnte Hochebene von Bayrisch-Schwaben und vom Allgäu, und anderntheils auf die Ketten des Hochgebirges zu gewähren. Ein Meer von Zacken, düster-ernste Wände, die eine immer drohender, immer zaubergewaltiger als die andere, ragen nach Süden, Osten und Westen auf.

Bis jetzt krönte den äußersten Gipfel des Falkensteins die Ruine einer Burg, welche vor Jahrhunderten Eigenthum des Fürstbischofs von Augsburg war und in der Schwedenzeit niedergebrannt wurde.

An einem Hochsommertage des Jahres 1883 hatten sich zwei elegante Herren an der kahlen verwetterten Südwand des Berges verstiegen. Der Aufstieg an dieser jeglichen Pflanzenwuchses baaren Seite des Berges, vom Pfrontener Thal aus, ist kein Kinderspiel und überhaupt nur auf sehr schmalen Bergpfaden möglich. Wohl brach sich der Schall der von den Herren ausgestoßenen Rufe an der Bergwand. Allein was bedeutet der Ruf der menschlichen Stimme in der Einsamkeit des Gebirges! Ein Glück war’s, daß „der Seppl“ just um dieselbe Zeit in seiner Hütte das Mittagsschläfchen beendet hatte und das Rufen vernahm. Seit acht Jahren nämlich hat der Seppl, ein blutarmer, aber grundehrlicher „Bua“ von dreißig und einigen Jahren ein Einsiedlerleben geführt auf dem Falkenstein, hat einen Pfad nach demselben angelegt und für diejenigen, welche ja einmal kamen, die Ruine zu besichtigen, einen Trunk bereit gehalten. Jetzt, wie er das Rufen hörte, da war er in seinem Fahrwasser. Bald hatte er die Herren heraufgeholt in seine Hütte. Und nun ging es an ein Fragen, daß der Seppl schier gar nicht genug hat antworten können. Er hat aber alles genau der Wahrheit gemäß berichtet, so wie er es selbst gewußt hat von Kindheit auf. Und dann hat er die Herren hinaufführen müssen auf den Gipfel. Und auch auf den allerhöchsten Gipfel sind sie geklettert, dahin, wo die Ruine steht, an deren Stelle das neue Schloß gebaut werden soll. Da haben sie freilich Augen gemacht, als das Gebirg und das Land viele, viele Meilen weit vor ihnen ausgebreitet lag, wie ein aufgeschlagenes Buch. Wer die Herren gewesen? Ja, der eine war ein bekannter Hofbeamter aus München, und der andere – der andere? – ja, der andere hat’s dem Seppl nicht gesagt, wer er gewesen ist, und zu fragen hat er sich nicht getraut, und darum hat er seinen Namen mir auch nicht verrathen können. Aber schon im Herbst desselben Jahres erfuhr man, daß König Ludwig II. einen Theil des Berges, zu welchem die Spitze mit der Ruine gehört, durch Kauf von der Gemeinde Steinach in seinen Privatbesitz gebracht habe.

Als die Frühlingssonne 1884 den Schnee auf dem Gebirg zum Schmelzen brachte, da begann ein Leben und ein Treiben an der waldbestandenen Nordseite des Berges, daß es eine Lust war. Ein Jahr später führte eine breite, solid gebaute Fahrstraße bis zur Spitze. Zugleich mit dem Bau derselben war eine Wasserleitung bis auf den äußersten Gipfel des Berges gelegt worden, ein ganz bedeutendes Werk. Bei dem Tiroler Städtchen Vils steht das Maschinenhaus, von welchem aus das Wasser auf den Gipfel getrieben wird. Die Entfernung zwischen beiden Orten beträgt 2½ Kilometer in der Luftlinie!

Die bis jetzt auf dem Gipfel selbst vorgenommenen Arbeiten galten ausschließlich der Herstellung eines Planums, auf welchem das Schloß erbaut werden soll. Felssprengungen auf der Nordostseite lieferten Anschüttungs- beziehentlich Ausfüllungsmaterial innerhalb nach Höhe und Stärke gleich gewaltiger Strebemauern. Weiter gilt es jedoch, auch den höchsten Gipfel und die denselben krönende Ruine abzutragen. Letztere besteht nur aus einem einzigen Innenraum. Hohl hallt der Tritt auf dem Fußboden desselben, und zu verschiedenen Malen schon sind Theile des Gesteins in die Kellerräume gesunken. Die Abtragung der Ruine und die Rasirung des Gipfels sollen in diesem Frühjahr erfolgen. Dann erst kann der eigentliche Bau des Schlosses beginnen. Die Bauzeit ist auf fünf Jahre festgesetzt. Mit seinen Thürmen, Söllern und Altanen weit hineinleuchtend in das Land, von allen Seiten sichtbar, würde dieses neue Schloß in der That eine glänzende Zierde der Gegend werden, aber voraussichtlich ebenso wie andere Schlösser, deren Erbauung und prunkvolle Ausstattung Millionen verschlang, in selten unterbrochener Stille und Verödung unbewohnt daliegen als ein glänzendes königliches Dekorationsstück.

Gestützt auf das feinsinnigste Verständniß des Wesens vom Schönen in der Kunst, verfolgt der königliche Bauherr mit Aufmerksamkeit das Fortschreiten seiner baulichen Unternehmungen. Von Zeit zu Zeit erfolgen Inspicirungen der Bauarbeiten durch [106] den Monarchen in Person. Fast durchgehends erscheint er dann entweder mitten in der Nacht oder kurz nach begonnener Tagesarbeit an der Baustätte.

Bekannt ist, daß König Ludwig II. den Wechsel seines jeweiligen Aufenthaltsortes vorzugsweise in der Zeit zwischen den ersten Tagesstunden und dem Tagesanbruch bewirkt. Auch diese Nachtfahrten des Königs bildeten lange Zeit ein allgemeines Gesprächsthema und sind im Jahrg. 1882, S. 755 der „Gartenlaube“ gelegentlich des Besuchs Ludwig’s II. auf dem Schachen bei der Errichtung des Kreuzes auf der Zugspitze geschildert worden.

Ist der Schloßbau auf dem Falkenstein auf seiner gegenwärtigen Entwickelungsstufe noch Jedermann zugänglich, so ist dies bezüglich des Hubertuspavillons und des Linderhofes nicht der Fall. Der Hubertuspavillon liegt etwa drei Stunden südöstlich von Hohenschwangau am Fuße des Straußberges, da, wo der sogenannte Jägersteig von dem von Oberammergau und Greswang nach dem Städtchen Reute in Tirol führenden Vicinalweg abzweigt, unmittelbar neben der bayerisch-tirolischen Grenze. Eine Sennhütte befindet sich 50 Schritte davon. So sehr in die geheimste Tiefe des Waldes ist dieser Pavillon hineingeborgen, daß die ernsten, geheimnißvollen Fichten seine Kuppeln umfassen. Man bemerkt ihn nicht vom Wege aus, man bemerkt ihn nicht vom Jägersteige aus, man bemerkt ihn nicht, wenn man auf 20 Schritte Entfernung vor ihm steht. Auf der Suche nach diesem neuen Kleinode unter den Königsbauten im bayerischen Hochlande irrte ich wege- und rathlos im Walde. Da hallten Axtschläge durch das Tännicht, und dem Schalle folgend stand ich bald an der Baustelle. Allein mit einer geradezu verblüffenden Dienstbereitschaft geleitete mich im nächsten Augenblick einer der Arbeiter aus der Peripherie weg bis dicht an die erwähnte Sennhütte. Ich kehrte jedoch später zurück. Der Hubertuspavillon steht in Tirol, aber so unmittelbar an der deutsch-österreichischen Grenze, daß z. B. die Bauhütten sich auf deutschem Grund und Boden befinden.

Das nach seiner Ausdehnung sehr bescheidene Gebäude besteht aus einem kuppelgekrönten Mittelbau, dessen Innenraum einen einzigen kreisrunden Salon von mäßiger Größe bildet. Den Mittelbau flankiren zwei kleine, ebenfalls in Kuppeln gipfelnde Anbauten von Rechteckform. Diese enthalten je ein kleines, mit dem Salon verbundenes, kreisrundes Gemach. Das ist Alles. Da Stallungen nicht vorgesehen sind, so hat der Hubertuspavillon ohne Zweifel nur den Zweck eines ganz vorübergehenden Aufenthaltsortes. Das zur Aufführung des Rohbaues bestimmte Material sind gewöhnliche gebrannte Ziegel. Die Kuppeln bestehen aus Kupfer und werden wahrscheinlich vergoldet, wie denn überhaupt die Anwendung von Gold, wo irgend thunlich, eine besondere Liebhaberei des königlichen Bauherrn ist. Das Erdgeschoß enthält die Luftheizungsanlage und die Küche. Letztere befindet sich theilweise unter dem Salon. Eine Versenkung, ein „Tischchen-deck-dich“ wird die Speisen in den Salon heben, da der König auch bei Tische Niemand, nicht einmal einen servirenden Lakaien sehen will. Der Bau wurde im März vorigen Jahres in Angriff genommen und sollte im Rohbau im Oktober beendet sein. In diesem Jahre werden die Stuckateure, Maler und Dekorateure die innere Ausstattung vollenden, bei welcher der König dann stets eine ganz besondere Pracht zu entfalten pflegt. Farbige Seiden- und Sammtstoffe mit wahren Kunstwerken reichster Goldstickerei schmücken die Interieurs auch der äußerlich bescheidener aussehenden Bauten, und man erzählt sich beispielsweise von einem reich mit Gold gestickten Prachtbett, welches allein ein Vermögen gekostet haben soll. – –

Nach einem Marsche von drei kleinen Stunden im Thale der Ammer – einer der angenehmsten Waldpromenaden – erreicht man vom Hubertuspavillon aus den Linderhof. In einer Entfernung von etwa 600 Metern oberhalb desselben bietet ein leicht auffindbarer Punkt der Straße Gelegenheit, das vielbesprochene Schloß durch die von der Natur gerissene Schneise des Lindergriesbaches – die Ammer – wenigstens von Weitem zu betrachten. Läßt der Tourist diesen Punkt unbeachtet, so giebt es kein Mittel weiter, einen Einblick in das berühmte Tuskulum des Monarchen auf Bayerns Throne zu gewinnen. Ein dichtes Gehölz entzieht den Linderhof den Blicken des Fremden. Vor diesem liegt eine königliche Försterei, mit welcher eine Wirtschaft verbunden ist. Hier ist es noch dem Wanderer gestattet, sich zu erholen. Zwanzig Schritte hinter der Försterei beginnt das erwähnte Gehölz. Tafeln mit den ominösen Aufschriften „Verbotener Weg“ bezeichnen das Betreten schon des Gehölzes als unstatthaft. Hat man dasselbe dennoch passirt, so gelangt man an ein einfaches, schmiedeeisernes Gitterthor von der Breite der Zufahrtstraße, das diese sperrt. Das ist nun der Eingang zum Linderhofe. Unmittelbar hinter dem Eingang, zur Linken, befindet sich das Wachtlokal, und darin haust der Gendarmerieposten, welcher die Geheimnisse des Linderhofes mit Argusaugen hütet. Sollte der Fremdling auch bis hierher vorgedrungen sein, hier wird seine Energie sicher kläglich geknickt. Dieser Posten ist das verkörperte und uniformirte „Lasciate ogni speranza“. Schmeichelt dem Kriegsmanne mit Worten voll süßesten Wohllautes, versprecht ihm, der ein Einkommen von fünf Mark pro Tag sein eigen nennt, den Reichskriegsschatz, bietet ihm das Kommando eines bayerischen Armeekorps – er besteht auf seinem Schein: „Se. Majestät haben ’s streng verboten!“ – –

Die Schöpfung Linderhof hat ein Königswort auf der hinter dem erwähnten Gehölz bis an die fichtenbestandenen Felswände der Klammspitze und des Hennenkamms ziemlich steil ansteigenden grünen Bergwiese erstehen lassen. In sanfter Biegung nach rechts geleitet ein Promenadenweg von klassischem Gepräge vor das Schloß, einen mäßig-großen, in mattem Weiß gehaltenen Bau von Rechteckform. Derselbe besteht nur aus zwei Geschossen. Drei die Breite der Vorderseite einnehmende Eingänge mit schmiedeeisernen, schwer vergoldeten Thüren, wahre Wunderwerke der Schmiedekunst, führen in das Erdgeschoß, dessen Vorderraum eine marmorsäulengetragene Halle bildet. Ueber den erwähnten Eingängen erheben sich vier marmorne Riesengestalten, welche einen vergoldeten Balkon tragen, der einen seltenen Reichthum der Gliederung in reinsten Formen zeigt. Der nach vorn gerichtete dreieckige Giebel der Vorderseite des Schlosses ist gleichfalls von einer überraschenden Fülle feinstgegliederter Ornamente in Weiß und Gold, welche in einer goldenen Krone gipfeln. Auf der Rückseite des Schlosses ist man soeben beschäftigt, das innere eines neuen Anbaues zu dekoriren, das im Obergeschoß einen kreisrunden Saal bildet, der als Speisesaal benutzt werden soll.

Vom Balkon an der Vorderseite aus ruht der geradeaus gerichtete Blick auf einer prachtvollen gärtnerischen Schöpfung à la Versailles oder Schönbrunn. Schimmernde Leistungen der Teppichgärtnerei, Statuen, deren wundervolle Formen das Auge entzücken, stolze Schwäne auf dem Silberspiegel eines Bassins, aus dessen Mitte ein Springbrunnen aufrauscht, all’ das umrahmt und scharf gegliedert durch gepflegte Promenadenwege, die auf marmornen Treppenstufen allmählich zu einer kleinen Anhöhe hinanführen, auf deren Hintergrunde ein säulengetragener, statuengeschmückter Rundtempel sich erhebt. Hier thront unter den stillen Marmorsäulen die Idealfigur der Venus, der Göttin der Schönheit, aus feinstem karrarischen Marmor von einer Meisterhand gezaubert. Sinnend scheint sie hinabzuschauen zu der Welt von Statuen, die aus den mit Epheu und wildem Wein umrankten Laubgängen hervorleuchten – Welttheile, Jahreszeiten, Künste etc. darstellen, aus deren Gewirr auf einem andern Hügel sich die Bildsäule Ludwig’s XIV. erhebt. Für die Entstehungsgeschichte des Linderhofes ist diese Bildsäule des Franzosenkönigs bezeichnend genug. Fühlt man doch hier auf Schritt und Tritt den Einfluß des Geistes, der einst am Hofe desselben geherrscht hat.

In geringer Entfernung von dem Schlosse liegt im Tannengrün versteckt ein kleiner Kiosk „Marokko“, dessen Wände sich in einem künstlichen Seebecken widerspiegeln.

Ein ungeheurer Reichthum ist in diesem kleinen Raum aufgehäuft, ein wahrhaft orientalischer Prunk, der durch kunstvoll angebrachte Spiegel sich in den Augen des Beschauers verzehnfacht. Inmitten des Rundbaues glänzt ein Riesenpfau in schillernden Farben und spreizt sein kostbares Gefieder, das aus Edelsteinen, Türkisen und Smaragden auf des Königs Befehl die Künstlerhand gefertigt hat. Unwillkürlich schweifen bei seinem Anblick unsere Gedanken zurück in die Geschichte der Menschheit, zu dem fernen indischen Delhi, wo einst die Großmoguln residirten, zu jenem Prachtbau von Marmor und Gold, der auf schwarzem Marmorgrunde in silbernen Lettern die stolze Inschrift trug: „Giebt es ein Paradies auf Erden, so ist es hier, so ist es hier, so ist es hier.“ In diesem Wunderpalaste erhob sich einst der berühmte Pfauenthron aus dichtem Golde, reich mit Diamanten besetzt, dem zur Seite zwei Pfauen standen mit emporgehobenen Schweifen [107] aus kostbaren Edelsteinen. Ueber 150 Millionen Mark kostete dieser Thron; der Kiosk „Marokko“ ist somit nur ein schwacher Abglanz der orientalischen Pracht, des „Paradieses auf Erden“, das ein siegreicher Eroberer binnen wenigen Tagen in einen Trümmerhaufen verwandelte.

In einiger Entfernung rechts vom Kiosk befindet sich die Bauhütte mit den Wohnungen verschiedener Beamter und deren Familien, des Maschinenmeisters, der beiden Gendarmen, des Grottenwärters und einiger Anderer. Weiter oben in der Nähe der Bergwände liegen ein Gebäude für die ständigen Arbeiter und das Maschinenhaus mit Gasanstalt und den Apparaten zur Erzeugung von elektrischem Lichte. Das Maschinenhaus und seine Arbeiter stehen hauptsächlich im Dienste des Interessantesten, was der Linderhof birgt, im Dienste des Geheimnisses vom Linderhofe: der Grotte.

Du stehst vor einem unscheinbaren, rasenbedeckten Hügel, dessen eine Seite graues Felsgestein bildet. Nichts Außergewöhnliches läßt dich vermuthen, daß hier ein lichtschimmerndes, glanzsprühendes Wunder in die Erde gezaubert worden ist, daß hier die köstlichsten glanzdurchglühten Märchen volle, blendend-schöne, sinnbetäubende Verwirklichung gefunden haben.

In verzauberten Schlössern, in weltverlorenen alten Burgen berührt der Märchenprinz mit seinem Talisman den Felsen. Und sieh! von geheimnißvollen, wunderbaren Kräften bewegt, öffnet sich derselbe und, staunender Bewunderung voll, schaut sein Auge, erschreckt und verzückt zugleich, hinein in diese ungeahnte Welt voll Pracht und Glanz. So auch hier. In einer Nische des Felsens verborgen ruht ein Schlüssel. Und kaum berührt dieser das Gestein, so dreht sich ein gewaltiger Theil der Felswand geräuschlos und mit Leichtigkeit in verborgenen Angeln. Du trittst ein. Ein paar Schritte legst du zurück in einem hohen Gange zwischen den Felsen und – stehst geblendet, verwirrt. Eine hohe, weite Tropfsteinhöhle mit mannigfachen Nebenhöhlen, mit heimlichen Nischen und verborgenen Schlupfwinkeln ist es, vor welcher du stehst. Aus allen Winkeln, aus allen Ecken, aus allen Nischen und Spalten des Gesteins, aus zahlreichen mit farbigen Gläsern überdeckten Vertiefungen zur Rechten, zur Linken, über, unter, neben dir leuchtet, flackert, flammt, glüht, sprüht ein Meer von Lichtfluthen bald gelben, bald grünen, bald violetten, bald rosarothen, bald rothen, bald blauen Scheines in überraschendem, plötzlichem Wechsel durch den wunderbaren Raum, alle Theile desselben mit einer unsäglichen Fülle von Licht und Glanz übergießend. Hold und lieblich wölbt ein Regenbogen sein mildes Licht über all’ diese flammende Schönheit.

Allmählich lernt das Auge den ungewohnten Glanz ertragen. Du vermagst die Raumverhältnisse dieser wunderbaren Schöpfung zu schätzen, die einzelnen Theile derselben zu unterscheiden. Ein weißer, unter der Einwirkung des wunderbaren Lichtes blinkender fester Kalkstaub, die natürliche Absonderung des Tropfsteins, bedeckt Alles. Die Haupthöhle bildet einen Raum von etwa 15 Meter Durchmesser und 10 Meter Höhe. Aus dem Hintergrunde derselben rauscht, gleich flüssigem Silber, tausendfältig glitzernd und sprühend, in schäumenden Kaskaden die Felswand durchbrechend, ein Wasserfall herein in den Raum. Derselbe speist einen die Basis der Haupthöhle zu drei Viertheilen füllenden See, dessen klare Fläche die blendenden Lichter in zauberhafter Schönheit zurückstrahlt. Auf dem Spiegel des Sees wiegt sich ein goldener, von Rosengewinden umschlungener Kahn, dessen Rückseite zu einer Muschel sich erweitert. Auf dem Bug des Schiffleins stehend spannt Amor, unter schelmischem Lächeln das Ziel nehmend, den Bogen. Den Bord zur Rechten und Linken schmücken rothe Korallen. Ein Taubenpaar, dessen Schnäbel sich kosend im Kusse vereinigen, steht im Begriff, sich auf der linken Seite des Schiffleins niederzulassen. Zwei goldene Ruder harren der kundigen Führung des Schiffers. Mehr aber noch als auf die Fahrt mag dieser achthaben auf sein Herz. Dort drüben, auf dem Felsgestein ruht sie, Liebe heischend, in berückender Schönheit, die Unheil bringende Lorelei, und kämmt mit goldenem Kamme das golden schimmernde Haar. Horch! Vernimmst du es nicht, das lockende Lied der Sirene?

Dort, an der Felswand im Vordergrunde des Märchensees, der doch volle Wirklichkeit ist, Hackl’s herzbewegend-schönes Bild: Tannhäuser, schlummernd in Venus’ Schoße. Voll sinnigen Ernstes, mit einem Hauche von Trauer fast, ruht der Blick des dämonisch schönen Weibes auf dem entschlummerten Geliebten. Ist es eine Ahnung vom Weh des Scheidens, die ihm durch die Seele zieht? Genien der Liebe, Grazien und badende Nymphen umgeben beide, Rosengewinde um sie schlingend, Blumen streuend.

Der Wartburg- und Tannhäuserscene schrägüber führt eine Biegung in einem der Gänge in eine verlorene Ecke. Gestalten treten dir aus derselben entgegen. Betroffen willst[WS 1] du dich zurückziehen. Da bemerkst du, daß du selbst es bist, dem du begegnest. Du stehst vor dem Spiegel, einer riesigen Scheibe von etwa 3½ Meter Höhe und 2 Meter Breite. Drei derartige Scheiben sollen auf dem Transporte zerbrochen oder beschädigt worden sein, bis endlich die vierte unversehrt in das Gestein eingelassen werden konnte.

In der Nähe der Spiegelgrotte führt ein schmaler mit Holzgeländer versehener Steig, etwa 7 Meter am Felsen empor, hinauf nach dem Königssitz. Es ist ein Sitz in der Länge von etwa 2 Meter, auf der Rückseite von einer goldenen Riesenmuschel umrahmt. Rosengewinde umschlingen dieselbe und Schilfrohrblätter umgeben sie. Hier pflegt König Ludwig II. niederzusitzen und sich der Bilder des Lebens, der Liebe und der Schönheit, wie er sie in diesem seltenen Raume so wunderbar geschaffen, einsam zu freuen.

Ueber die technische Seite der komplicirten Einrichtungen zur Erzielung der wunderbaren Wirkungen nur einiges Wenige. Die Gasanstalt und die Apparate zur Erzeugung des elektrischen Lichtes befinden sich, wie bereits erwähnt, in dem Maschinenhause. Hunderte von Leitungsdrähten kommuniciren von diesem aus mit einer technischen Abtheilung in der Grotte. Telegraphie und Telephonie vermitteln den Verkehr zwischen Maschinenhaus und Grotte. Ein Wink und anstatt z. B. in rothem flammt alles in blauem Lichte. Elektrisches Licht, Gas und Glas sind die einfachen Mittel, durch welche die unbeschreiblich-großartigen magischen Lichtwirkungen erzielt werden. Die zur Anwendung gelangende telegraphische Chiffreschrift, wie sie an den Apparaten selbst bemerkt ist, ist die folgende:

bedeutet: Achtung.
– – " Drehen.
– – – " Wechsel.
. . . – " Veränderte Reihenfolge.
. " Gelb.
. . " Grün.
. . . " Violett.
. . . . " Rosa.
. . . . . " Roth.
. . . . . . " Blau.
. . . . . . . . . . " Irrungszeichen.
– . – . " Nachsehen.
. – " Aus.

Wie Beklemmung fast liegt es dir beim Scheiden aus dem wunderbaren Raum auf dem Gemüth. Die Seele ist bewegt, verwirrt. Aufathmend grüßest du wieder den goldenen Tag. Aber unauslöschlich werden die Eindrücke dir vor der Seele stehen, welche du in der Grotte empfingst, dem Märchen des Linderhofes.

*               *
*

Wir fürchten unsere Leser zu ermüden, wenn wir ihnen noch von den weiteren einsam im Gebirge liegenden zum Theil unvollendeten Prachtbauten des Königs erzählen wollten, so von der großartigen Nachahmung des Versailler Schlosses auf der Herreninsel im Chiemsee, von welcher bis jetzt der imposante Mittelbau und ein Seitenflügel fertig steht und die theilweise auch im Innern mit einer alles Andere überbietenden Pracht ausgestattet ist; von dem neuen Schloß bei Hohenschwangau, der sogenannten Gralsburg, deren Grundmauern allein Hunderttausende verschlangen. Was wird das Schicksal all’ dieser Bauten werden? Die Beantwortung dieser Frage kann nur tief traurig stimmen, besonders wenn man dabei bedenkt, wie viel Mühe und Geld in den Ruinen dieser zum Theil halb fertigen Schlösser begraben liegen wird, und selbst der Gedanke, daß diese Schöpfungen zur Hebung des Kunstgewerbes mit beigetragen und eine Zeitlang vielen Menschen Arbeit gegeben haben, vermag an dieser Stimmung nicht viel zu ändern.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: millst