Am Caldonazzosee
[787] Am Caldonazzosee. (Mit Illustration S. 781.) Einer der lohnendsten Ausflüge, die von der alten Bischofsstadt Trient aus zu machen sind, führt den Touristen nach Osten, dem Laufe der wilden Fersina entgegen. Das Thal, durch welches diese schäumend und tosend herniederbricht, ist enge.
Hat man nach dreistündigem Aufstiege die gesegnete Hochebene erreicht, auf welcher Pergine liegt, so blinkt uns vom Südosten herauf die Perle des heiteren, gartenartigen Thales, der liebliche See von Caldonazzo, entgegen, das eigentliche Ziel unserer Wanderung. In zwanzig Minuten erreichen wir von Pergine aus sein Gestade. Links von der Straße, nur einen Büchsenschuß entfernt, ragt einsam auf isolirtem Felsplateau die uralte, romanische Kirche S. Christoforo empor, der Sage nach auf den Ruinen eines Merkurtempels erbaut. Sie dient heute leider nur noch als Futter- und Geräthemagazin des daneben hausenden Bauers, ist aber immerhin ein interessanter Vorgrund zum ersten Ausblick auf die dahinter sich ausdehnende Wasserfläche.
Der See ist von Nord nach Süd beinahe zwei Stunden lang und einhalb bis dreiviertel Stunden breit; er hat schön geschwungene Ufer, deren nordöstliches von einer niedrigen, aber steilen Hügelkette, die einige Dörfchen trägt, begrenzt wird.
Südwestlich liegen waldige Vorberge, hinter denen der gewaltige Monte Scanubio sein mächtiges Haupt erhebt. Am Fuße desselben wandern wir auf gut gebahnter Straße hart am See dahin, und bald nimmt uns prachtvolle Kastanienwaldung in ihrem Schatten auf. Es giebt vielleicht in ganz Tirol kein anmuthigeres Landschaftsbild, als es die Ufer unseres Sees bieten. Wie erquickend ist die Rast in duftiger Kühle unter den riesigen, altehrwürdigen Stämmen mit ihren breiten, saftiggrünen Laubkronen, das friedliche Wellenspiel zu unseren Füßen, während der Blick über den klaren, glitzernden Wasserspiegel zum wildzerklüfteten, in grandiosen Linien hinlaufenden Hochleitengebirge und weit hinab ins Val Sugana schweift!
Ein anderthalbstündiger Marsch südwärts führt uns in das Dorf Calceranica, ehemals Kalkrein genannt, hier verlohnt es sich, mit dem Zeichner unseres Bildes den bereits zurückgelegten Weg nochmals zu überschauen und das Auge den See entlang nach Norden zu wenden. Wir erblicken da rechts auf der Höhe das Dörfchen Ischia, am See-Ufer das Christophkirchlein, die Hochebene um Pergine, dahinter die schöngruppirten Höhen bei Faida und Madonna di Caravaggio, weiter zurück den Aufstieg ins schöne Pinèthal, während die ernsten Bergkontouren des Etsch- und Fleimserthales das anziehende Panorama wirkungsvoll abschließen.