Anmerkungen zu den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm I/Dornröschen
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50. Dornröschen. | 1856 S. 85. |
1812 nr. 50, von der Marie im Wildschen Hause zu Kassel. – In einem pommerschen Märchen bei Jahn 1, 226 nr. 41 ‘Duurnroesken’ verbunden mit Rumpelstilzchen (nr. 55), so daß der hundertjährige Zauberschlaf nach dem Fluche der Hexe eintritt, deren Namen die Königin erraten hat. Aus Grimm schöpfen Bechstein 1845 S. 211 = 1874 S. 191 ‘Das Dornröschen’ und Kretzschmer-Zuccalmaglio, Deutsche Volkslieder 1840 2, 69 nr. 29 ‘Im tiefen Wald im Dornenhag’, ferner das Kinderspiel bei Böhme, Deutsches Kinderlied 1897 S. 552, Dähnhardt, Volkstümliches aus Sachsen 2, 71 (1898) und Hellgren, Sånglekar från Nääs 1906 S. 49 ‘Prinsessan Törnrosa’.
Das schöne, in Deutschland aber ehedem, wie es scheint, nicht sehr verbreitete Märchen hat nicht nur das Interesse von Dichtern (Uhland, Genast, Jähns, Fürst, Rodenberg, W. Müller, Zündt, Prasch, G. W. K. Schmidt) wachgerufen, sondern auch durch seine uralten Motive die Forscher beschäftigt[1]. Wir unterscheiden: A. ein Frosch verkündet die Geburt der ersehnten Königstochter; – B. eine zum Freudenfeste (der Taufe) nicht geladene Fee verwünscht das Kind, daß es im 15. Jahre durch einen Spindelstich sterben soll; eine andre Fee verwandelt diesen Tod in einen hundertjährigen Schlaf; – C. die Weissagung erfüllt sich; mit der Jungfrau versinken alle [435] Schloßbewohner in Zauberschlaf, und ringsum wächst eine Dornenhecke; – D. nach hundert Jahren dringt ein Prinz durch diese, erlöst die Schlafende durch einen Kuß und hält eine fröhliche Hochzeit.
Fast ebenso erzählt Perrault 1696 von ‘La belle au bois dormant’. Zur Taufe sind sieben junge Feen gebeten, für jede steht ein goldener Teller mit goldenem Messer da; unter dem Gastmahl aber sah man eine alte Fee eintreten, die ungeladen war, weil sie seit funfzig Jahren ihren Turm nicht verlassen hatte. Der König ließ ihr noch ein Geschirr vorlegen, das aber nicht golden sein konnte, weshalb sie sich verachtet glaubte und zu murmeln anfing; alsogleich barg sich eine der jungen Feen, um noch zur rechten Zeit vortreten und gutmachen zu können, was die Alte verwünschen würde. Nun begabten die sechs Feen; als die Reihe an die Alte kam, sprach sie aus, die Königstochter werde sich mit einer Spindel in die Hand stechen und daran sterben, worauf jedoch die siebente Fee erschien und erklärte, nicht sterben solle sie, bloß in tiefen Schlaf fallen. Dies erfüllt sich wie in der deutschen Erzählung, nur daß Leute und Tiere nicht von selbst, sondern erst von dem Feenstab angerührt einschlafen. Um den Turm herum wachsen in aller Schnelle Bäume und Gesträuch, die Königstochter heißt nun La belle au bois dormant. Nach hundert Jahren dringt ein Königssohn durch, die Bäume machen ihm von selbst Raum, er kniet vor der Schläferin, worauf sie und ihr Hofstaat erwachen. Nun folgt eine Fortsetzung, die zwar nicht im Dornröschen, aber in dem deutschen Bruchstück 5 ‘Die böse Schwiegermutter’ (= 1812 nr. 84) vorkommt. Der Königssohn hält seine Ehe mit der erweckten Schönen vor seinen Eltern geheim und holt erst nach seines Vaters Tode sie und die beiden Kinder Aurore und Jour, die sie ihm geboren, in sein Schloß. Da will in seiner Abwesenheit seine arge Mutter ihre Enkel und die Schwiegertochter vom Koch schlachten und braten lassen; als sie merkt, daß der Koch sie betrogen hat, sollen alle drei in ein Gefäß voll Kröten und Schlangen geworfen werden; doch wie der König unvermutet heimkehrt, stürzt sie sich selber hinein.
In dem entsprechenden Märchen Basiles 1637 5, nr. 5 ‘Sole Luna e Talia’ erscheinen statt der Feen Wahrsager und verkünden, das neugeborene Kind werde sich an einer Flachsfaser (aresta de lino) zu Tode stechen. Es soll nun kein Flachs ins Schloß gelassen [436] werden; eines Tags aber sieht Talia eine spinnende Alte vorübergehen, und beim Ergreifen des Rockens stößt sie sich eine Agen unter den Fingernagel und sinkt tot zu Boden. Der König läßt sie unter einen Thronhimmel auf einen Sessel niedersetzen und dann das Schloß verschließen. Eines Tags geschah nun, daß einem König auf der Jagd sein Falke von der Hand entflog und sich in ein Fenster jenes Schlosses setzte; weil der Vogel nicht zurückzulocken war, drang er in das Schloß und fand endlich die schöne Schlafende, trug sie aufs Lager und genoß, während sie fortschlief, ihre Liebe. Nach neun Monaten, immer noch schlafend, gebar sie Zwillinge, einen Knaben und ein Mädchen; da erschienen zwei Feen und legten ihr die Kinder an die Brust. Als die Kinder nun einmal die Mutterbrust nicht finden konnten, faßten sie die Finger und sogen, bis sie jene Flachsagen herauszogen, worauf Talia aus ihrem Schlafe erwachte. Der König aber erinnerte sich wieder des Waldes und Schlosses, fand Talia und die Kinder, welche Sole und Luna hießen, und versprach sie abzuholen. Seine Gemahlin aber kam hinter das Geheimnis und wollte die Kinder (wie bei Perrault) schlachten und kochen lassen, was hintertrieben wurde.
Dazu stimmt eine Episode des im 14. Jahrhundert verfaßten altfranzösischen Prosaromans Perceforest (1528 2, 105. 3, 131. 158. Spiller S. 20). Zur Feier der Geburt der Königstochter Zellandine werden drei Göttinnen geladen; Lucina verleiht ihr Gesundheit, Themis, erzürnt über das auf ihrem Platze fehlende Messer, bestimmt, sie solle sich beim ersten Leinenfaden, den sie aus dem Spinnrocken ziehe, eine Agen (areste) in den Finger stoßen und solange schlafen, bis diese herausgezogen werde; Venus aber verheißt diese Heilung zu bewirken. Als die Weissagung sich an der herangeblühten Jungfrau erfüllt, dringt ihr Liebhaber Troylus auf dem Rücken eines Vogels in die verschlossene Burg, findet die schlafende Geliebte, wohnt ihr bei und entfliegt, nachdem er mit ihr den Ring getauscht, auf dieselbe Weise. Der Knabe, den sie nach neun Monaten gebiert, ergreift sogleich ihren kleinen Finger und saugt daran, bis er die Flachsfaser entfernt und die Mutter erwacht. Als der König dann ein Turnier ausschreibt, erscheint Troylus, besiegt alle andern Ritter, gibt sich der schönen Zellandine zu erkennen und entflieht mit ihr.
In einem nahe verwandten, doch unvollständig überlieferten katalanischen Gedichte des 14. Jahrh. von Frayre de joy und [437] Sor de plaser (Romania 13, 266} ist die Veranlassung des Zauberschlafes durch eine Verwünschung und eine Flachsfaser sowie das Heraussaugen der Faser fortgefallen. Die Kaisertochter Sor de plaser sinkt während eines Festes plötzlich beim Essen tot um, wird aber, da sie so schön aussieht, nicht bestattet, sondern in einen einsamen Turm gebracht. Dort dringt der vom Meister Vergil zu Rom unterwiesene Königssohn Frayre de joy aus Florianda ein, tauscht den Ring mit der Schlafenden und legt sich zu ihr; lange sucht er nach einem Heilmittel für sie und gewinnt endlich einen weisen Häher, der zum Turm emporfliegt, durch ein Wunderkraut die Prinzessin erweckt, ihr Herz dem unbekannten Vater ihres Kindes geneigt macht und die fröhliche Botschaft dem Kaiser und dem Prinzen zuträgt.
Von den neueren Aufzeichnungen stehen dem Grimmschen Märchen, wo die Erlösung der verzauberten Jungfrau gleich mit dem ersten Eindringen des Liebhabers erfolgt, nahe ein französisches bei Dardy 2, 33 nr. 9 ‘La belle endormie’, ein kroatisches (Valjavec 1858 p. 56 nr. 18 = Krek, Einleitung in die slavische Literaturgeschichte ² 1887 S. 650), ein kleinrussisches aus Galizien (Zdiarski, Garść baśni S. 16 nr. 10) und ein weißrussisches (Federowski 2, 195 nr. 167); doch fehlt in den beiden ersten der Spindelstich, der im kleinrussischen durch eine Nähnadel ersetzt, in dem sonst ziemlich verblaßten weißrussischen jedoch erhalten ist. Die Heldin des französischen Märchens wird von einer Hexe in den Zauberschlaf versenkt, weil sie die Werbung eines häßlichen Freiers abgewiesen hat; als nach mehr als hundert Jahren ein Ritter durch die Hecke dringt und sie weckt, sind ihre Eltern längst verstorben. Die kroatische Fassung beginnt mit der Ladung der Wilen zum Tauffeste, eine böse Wila überreicht ein Schächtelchen mit einer schlimmen Prophezeiung und erscheint, als das Mädchen herangewachsen ist, um es in Stein zu verwandeln. Auch in der kleinrussischen Version sagt die nicht eingeladene Zauberin das Unheil voraus; der Prinz wird nicht von den Dornen der Hecke in Schlaf versenkt, weil er von einem Bettler zum Dank für seine Mildtätigkeit ein Kreuz erhalten hat. Auch in einem russischen Märchen (Afanasjev bei Spiller S. 25) wird eine schöne Königstochter am Hochzeitstage von einer neidischen Hexe in Stein verwandelt, aber nach vielen Jahren durch den Kuß eines Prinzen entzaubert. Im griechischen bei B. Schmidt S. 16 [438] nr. 6 ‘Die verzauberte Königstochter oder der Zauberturm’ weckt ein Prinz die Schlafende und löst die Aufgaben der Hexe mit Hilfe dankbarer Tiere (vgl. unten nr. 62).
Perraults Erzählung ward wiederholt ins Deutsche und Englische übertragen und liegt einem schwedischen Volksbuche zugrunde: ‘Saga om den sköna Prinsessan i sofwande Skogen’ (Stockholm 1788. – Bäckström 3, 15).
Der älteren, bei Basile, im Perceforest und im katalatanischen Gedicht vorliegenden Fassung, in der die Heldin im Schlafe umarmt wird und erst nach der Geburt der Kinder erwacht, folgen die neueren italienischen Aufzeichnungen bei Imbriani, Novellaja fiorentina ² p. 232 nr. 18 ‘Il re che andava a caccia’ (eine neidische Hexe stößt der Heldin Rosa eine Schlafnadel in den Kopf; ihre Kinder heißen Fiore und Candida: daheim seufzt der König sehnsüchtig: ‘Rosa, Fiore e Candida, tu m’ hai trafitta l’ anima; Candida, Rosa e Fiore, tu m’ hai trafitto il core’. So errät die Mutter sein Geheimnis und stellt der Schwiegertochter und den Enkeln nach); de Nino 3, 248 nr. 49 ‘Milo, Piro e Laura’ (Weissagung von dem Spindelstich); Finamore, Archivio 3, 547 ‘La resta nel dito’ (Weissagung, Flachsfaser); Gonzenbach nr. 3 ‘Maruzzedda’, zweite Hälfte (der König erweckt die Heldin, indem er ihr den von den neidischen Schwestern geschickten Hut abnimmt; die Schwieger will die drei Kinder und sie selber töten) und nr. 3 ‘Von der schönen Anna’, zweite Hälfte (beim Kuß des Königssohn springt die giftige Beere aus dem Halse; die Kinder heißen Sonne und Mond); Pitrè, Fiabe sicil. 2, 46 nr. 58 ‘Suli, Perna e Anna’ (Weissagung vom Spindelstich, Einschließung unter der Erde; die Kinder heißen Sonne und Perle). – Maltesisch bei Stumme nr. 2 ‘Die Prinzessin, welche hundert Jahre schlief, und dann heiratete und zwei Kinder gebar namens Sonne und Mond’ (ganz wie Basile) und nr. 23 ‘Sonne und Mond’ (nur die Verfolgungen durch die Schwieger). – Portugiesisch bei Braga nr. 4 ‘A saia de esquilhas’ (Spindelstich; drei Kinder Cravo, Rosa, Jasmim; Kleid mit Glöckchen wie bei Gonzenbach nr. 4 und Zs. f. Volksk. 6, 60; der Fürst seufzt: ‘Ai de mim, Cravo, Rosa e Jasmim’). – Ein arabisches Märchen bei Spitta-Bey nr. 8 ‘Histoire du prince amoureux’ = Basset, Afrique p. 95 berichtet von der schönen Sittukan, deren Mutter sich ein Kind gewünscht hatte, sollte es auch am Geruche des Flachses sterben; wie sie spinnen lernen wollte, geriet ihr eine Flachsfaser unter den Nagel, sie sank in einen Zauberschlaf [439] und ward in einem Schloß auf einer Flußinsel beigesetzt. Der Königssohn suchte sie dort auf, zog die Faser aus ihrem Finger und machte die Erwachte zu seiner Gattin.
Die Rollen der schlafenden Jungfrau und des Königs sind vertauscht in einem spanischen Märchen ‘El rey durmiente en su lecho’ (Bibl. de las trad. pop. esp. 10, 106 nr. 7 = Sébillot, C. espagnols p. 7), wo der erwachende König eine Negerin für seine Erlöserin hält und erst aus einem Gespräch der Prinzessin mit einem Stein und Zweig die Wahrheit erfährt, ferner in einem arabischen ‘La princesse tcherkesse’ bei Artin-Pacha p. 69 und in einem armenischen bei Chalatianz 1887 S. VI. Vgl. unten S. 461.
Die Feen erscheinen vielfach bei der Geburt eines Kindes, um sein Schicksal zu bestimmen und es zu begaben (J. Grimm, Myth. ³ S. 383. 3, 117. Nornagests Saga c. 11. Saxo Grammaticus 6, p. 272. Árnason 2, 424 = Poestion nr. 17 = Rittershaus S. 68. San Marte, Arthursage S. 157f. 160). So bei der Geburt Auberons, des Sohnes von Julius Cäsar und Morgue, und im Ritter Herpin (Simrock, Volksbücher 11, 224). Im bretonischen Märchen (Revue des trad. pop. 15, 120 ‘La petite oie’) verwandelt die nicht zur Taufe geladene Fee Misère die Heldin in ein Gänslein. Bei Basile 2, nr. 8 verrenkt sich die letzte der zum neugeborenen Kinde eilenden Feen unglücklicherweise den Fuß und stößt nun einen Fluch aus. Romance de la infantina (Wolf y Hofmann, Primavera 2, 75): ‘Fija soy yo del buen rey | y de la reina de Castilla; | siete fadas me fadaron | en brazos de una ama mia’. In südslavischen Märchen (Krauß 2, 116. 179. 202. 216. 218. 307. Pajek S. 204. B. Krek S. 91 nr. 41c. Valjavec S. 76 nr. 1–11. Zs. Vila 3, 305. 1867. Hadži Vasiljević 1, 340 nr. 3. Bos. Vila 22, 46. M. Stojanović S. 124. Glasnik Bos. Herceg. 20, 451. Miladinovci S. 17. 529. Čolakov S. 233. 269. Lačoglu S. 6. Šapkarev S. 173. 339. 389. Sbornik min. 6, 110. 8, 188. 10, 147. 13, 137. 14, 111. Živaja Starina 2, 154 nr. 1) treten häufig Schicksalsschwestern (Sojenice, Rodjenice, Usude, Naručnici, Orisnici, Ermenki) gleich den griechischen Mören (B. Schmidt S. 67 nr. 2. 3. Garnett 2, 177. 182. 186. 440. Abbott p. 128) und den čechischen Sudičky (Erben, Čít. 1 = Č. poh. S. 36. Beneš Třebízský S. 148. Máchal, Nákres S. 78) an die Wiege des Neugeborenen, um sein Loos zu bestimmen. Vgl dazu Krek, Einleitung ² S. 408; Wesselofsky, Razyskanija v oblasti rus. duch. sticha 5, 178; Máchal, Nákres S. 76. Lettisch Treuland S. 9 nr. 5 (Göttin Laima). Armenisch Revue des [440] trad. pop. 10, 2 (Mittwoch, Freitag, Sonntag); Etnograf. Obozr. 45, 171 nr. 1 (drei Männer). Mitteil. z. Zigeunerkunde 2, 99. Mingrelisch Sbornik Kavkaz. 24, 2, 8 (drei Engel). Gagausisch Radloff 10, 33 nr. 21. Altägyptisch Maspéro ² p. 20. 230 = Wiedemann S. 67. 79 (die sieben Hathoren).
Die Spindel ist ein wesentliches Kennzeichen der weisen Frauen (J. Grimm, Myth. ³ S. 390) und Hexen (Zs. f. Volksk. 15, 150); von ihrer Gefährlichkeit redet ein Narr in Kellers Fastnachtspielen 1, 267,11; ‘Ich wil hie frauen huld erwerben, Und solt ich … Den hals uber ein spindel abfallen’. Daß ihr Stich in einen Zauberschlaf versenkt, vergleicht sie den im Sneewittchen (nr. 53) und in der Rabe (nr. 93) vorkommenden Schlafnadeln und dem Schlafdorn, mit dem Odin die Walküre Brynhild trifft (Grimm, Myth. ³ S. 390. 1155. 3, 119. 353. Maurer S. 286. Gering, Edda S. 212¹. F. Vogt 1896 S. 228¹). – Eine Dornenhecke umgibt auch den Berg, auf dem im Seifrid de Ardemont Albrechts von Scharfenberg (ed. Panzer 1902 S. 123, vgl. S. LXVIII) Mundirosa mit Rittern und Frauen weilt, und im Liederbuch der Hätzlerin S. 153, 75 ed. Haltaus wird ein Schloß Ymmer beschrieben, ‘darumb ain schön gewymmer | gewachsen ist zu ainem hag, | das darein nyemant komen mag | dann vorn zu dem hag hinein’. Dagegen ist der Sitz der Sigrdrîfa, Brynhild, Menglöð, Gerð von einem Flammenwall, einer wabernden Lohe (Grimm, Myth. ³ S. 395. Vogt S. 208) geschützt; und im französischen Roman de Floriant et de Florete (ed. Michel 1873. Martin, Anz. f. dtsch. Altert. 18, 258) wird der Held durch einen weißen Hirsch auf den feuerspeienden Berg Mongibel (Ätna) gelockt, wo er die Fee Morgain, König Arturs Schwester, auf einem Ruhebett findet. In der Völsunga-Sage c. 24 zeigt Sigurds Falke dem Helden den Weg zu Brynhild, wie der Vogel im Perceforest und im katalanischen Gedicht; vgl. auch Uhland, Schriften 4, 59.
Der Zauberschlaf, in welchem der Jüngling die Heldin antrifft, ist bisweilen durch einen eifersüchtigen Zauberer bewirkt, dessen Werbung sie zurückgewiesen hat: arabisch in 1001 Nacht Chauvin 7, 71 nr. 348B ‘Saïf al mouloûk’; indisch in Revue des trad. pop. 4, 532 ‘Lalpari et Kevrapari’ (Jüngling in eine Fliege verwandelt entgeht dem Riesen) und 4, 534 ‘Rani Jajhani’ (Jüngling in einen Papagei verwandelt) mit Anm. (ein malaiisches Gedicht Bidasari, übersetzt von Louis de Backer, Paris 1875). Ein Jüngling [441] genießt die Liebe der Schlafenden, ohne daß sie erwacht: unten nr. 97 ‘Das Wasser des Lebens’; R. Köhler 1, 562; schwedisch bei Hyltén-Cavallius nr. 9 ‘Das Land der Jugend’ (er schreibt seinen Namen an die Wand, entsprechend dem Ringtausche im Perceforest und im katalanischen Gedicht); litauisch bei Leskien-Brugman S. 375 nr. 8 ‘Von den drei Königssöhnen’ vgl. S. 532; arabisch in 1001 Nacht (Chauvin 6, 7 nr. 183 ‘Le roi et le dragon’. Revue des trad. pop. 3, 561. 10, 139. Namen aufgeschrieben); indisch bei Steel & Temple p. 85 ‘Princess Aubergine’ = Indian Antiquary 9, 302 (verwandt mit dem Sneewittchen, vgl. S. 460).
Der Name der Heldin Dornröschen mag mit Beziehung auf die umgebende Dornhecke gewählt sein, begegnet aber auch 1660 in einem Lustspiele von Gryphius (Die geliebte Dornrose), bei Albrecht von Scharfenberg (Mundirosa) und in einer florentinischen Variante des Märchens (Rosa). Hierin und in den Namen der Kinder (Morgenröte und Tag bei Perrault, Sonne und Mond bei Basile und in maltesischen Fassungen) wird man schwerlich eine tiefere mythologische Bedeutung zu suchen haben; die Rose, die Sonne, der Mond sind allgemeine Schönheitssymbole, wie Miss Marriage in der Alemannia 26, 101. 116 und Prato in der Zs. f. Volkskunde 5, 363. 6, 24 dargelegt haben. Auch die von den Brüdern Grimm vor hundert Jahren unternommene und noch von Spiller verteidigte Ableitung unsres Märchens aus der germanischen Heldensage von Siegfried und Brunhild stößt angesichts der älteren romanischen Fassungen und der geringen Verbreitung bei den germanischen Stämmen auf erhebliche Bedenken. Uhland versuchte mit großem Scharfsinn, aber viel zu künstlich das Märchen auf eine mißverstandene alte Rechtsformel zurückzuführen, nach der eine Leibeigene durch die Heirat mit einem Freien ‘wiedergeboren’ d. h. frei wird. Vogt endlich hält die Grundlage des Märchens für einen Vegetationsmythus, dessen Ursprung sich durch Basiles Aufzeichnung bis ins griechische Altertum zurückverfolgen lasse; er glaubt nämlich in Basiles Heldin Talia die altgriechische Thaleia, eine Tochter des Hephaistos, wiederzuerkennen, die nach Äschylus Αἰτναῖοι von Zeus geliebt und vor der Eifersucht der Hera im Innern der Erde verborgen wurde; dort gebar sie ihm zwei Knaben, die Paliken genannt wurden und in Sicilien göttliche Verehrung genossen. Daß sich indes im italienischen Volke jene antike Sage bis ins 17. Jahrh. fortgepflanzt habe, ist zwar nicht unmöglich, aber sehr auffällig und [442] wird durch die beiden Fassungen des Märchens aus dem 14. Jahrhundert keineswegs bestätigt.
Die Verfolgungen der Heldin und ihrer Kinder durch die haßerfüllte Schwieger, die in den romanischen Fassungen auftreten, begegnen ähnlich in den zwölf Brüdern (9), in Varianten des Mädchens ohne Hände (31), den sechs Schwänen (49) u. a.
- ↑ J. Grimm, Vorrede zu Liebrechts Verdeutschung von Basiles Pentomerone 1, XII (1846) = Kl. Schriften 8, 195. Uhland, Germania 8, 74 = Schriften 8, 460. Hartland, Science of fairy tales 1891 p. 247. Spiller, Zur Geschichte des Märchens vom Dornröschen (Progr. Frauenfeld 1893). F. Vogt, Dornröschen-Thalia (Beiträge zur Volkskunde, Festschrift für K. Weinhold, Breslau 1896 S. 195). Thimme, Das Märchen 1909 S. 93.
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