Auf Isola Bella
Auf Isola Bella.
(Mit Illustrationen S. 308 und 309.)
Habt ihr einmal von Stresa oder Baveno aus euch den Lago Maggiore betrachtet? Dann habt ihr eine blaue Fläche gesehen, über welcher in fernem Hintergrunde die weißen Gipfel des Strahl- und Mischabel-Hornes aufragen. Ganz im Vordergrunde habt ihr eine Anzahl Inseln wahrgenommen, um welche sich die Fluth ausbreitet. Einige davon gleichen einem großen Blumenstrauße, der auf dem Wasser schwimmt. Wenn ihr es gesehen habt – desto besser für mich. Denn Worte geben, wenn ihnen nicht von Seiten des Hörers viel Einbildungskraft entgegengebracht wird, ein sehr unzureichendes Bild von großen und farbenreichen Landschaften.
Die beste Vorstellung hat derjenige, dem es nicht vergönnt war, die Alpen oder den Apennin zu überschreiten, sich vielleicht in seiner Jugend angeeignet, als er sein Vergnügen an den Erzählungen unserer Romantiker fand. Er gedenke der Gräfin Dolores des Achim von Arnim. Dann gemahnt es ihn wie ein Bild von Piniengärten, aus deren Grün die weißen Marmorhallen hervorblinken. Es rauschen die Brunnen, es duften die Magnolien und die Rosen. Auch Eichendorff hat von solchen Palästen erzählt, die unter Blumen versteckt sind wie das Dornröschen unter Waldzweigen, und Jean Paul führt uns gar in seinem Titan leibhaftig auf jene Insel hinüber und nennt sie den geschmückten Thron des Frühlings.
Wir werden sehen, wie es damit bestellt ist. Mittlerweile lassen wir die Gaststätte des anspruchsvollen Stresa mit ihren langweiligen Engländern hinter uns, steigen in ein Boot und rudern hinüber nach Isola Bella, der nächsten dieser Inseln, die weit und breit unter dem Namen der Borromäischen Inseln bekannt sind. Der Lago Maggiore ist im Ganzen und Großen gerade nicht der schönste See Oberitaliens, ihn übertrifft der Garda-See an Gewaltigkeit der Ufer und an Mannigfaltigkeit der Hochgebirge und Hügel. Gerade aber diese Bucht, an deren Eingang die Inseln hingelagert sind, gewährt einen weiten Rundblick auf Wasser und auf jene weißen glänzenden Wälle, die dem Lande Italien das Schneegefunkel ihres Winters zeigen. Dort ist der See so schön, daß man kaum irgend ein Gestade des Garda-Sees ihm für ebenbürtig erklären möchte. Ja, dieser Einschnitt in die gartenreiche Landschaft, dieses Vordringen des hellen Gewässers in die geschmückten Ufer hinein, wird allenthalben Lobredner und Schwärmer finden. Selbst erfahrenen Kennern der Oberfläche unseres Planeten ist es so ergangen. In dem Reisebüchlein des guten, alten Schubert, welches ich auf meinen Wanderungen gerne mit mir trage, findet sich eine anmuthige Stelle, welche dem ersten Eindrucke der Inseln gilt. Ist es doch, so erzählt uns der gemüthvolle Wanderer, als webte hier im Schatten der Pinien und der jungen Cedern noch der edle Geist der Borromäer, so klar und still und tief, wie der See am Fuß des Orangenhains; der See, in dem sich neben dem Blau des Himmels die Stirn des Alpengebirges spiegelt.
Um dieses zu verstehen, muß man wissen, daß gegen das Ende des 16. Jahrhunderts hin es dem Grafen Vitaliano Borromeo beifiel, einen nackten Felsen, welcher den Schiffern zum Trocknen ihrer Netze und zu anderer Hantirung diente, in diesen Garten umzuwandeln. Darum ist der Name jener Grafen an den Inseln haften geblieben. Diejenige, an der wir soeben gelandet, hieß früher Isola inferiore und wurde im Jahre 1671, als die Gärten und Prachtbauten vollendet wurden, „Isabella“ genannt, der Mutter des Grafen Vitaliano zu Ehren. Als aber später die Leute herbeiströmten, um dieses „schönste Reich Italiens“ zu schauen und zu bewundern, da erlitt der neue Name eine Wandlung, es entstand im Volksmunde aus ihm „Isola Bella“ – der richtigste Name für diese „schöne Insel“. Ja, schön ist sie nach dem Geschmack der Südländer nicht allein dnrch ihre Zaubergärten, sondern auch durch die Werke der Baukunst, die aus dem Pflanzengrün emporragen, denn der Italiener vermag sich keinen großen Garten vorzustellen, ohne einen Palast, der prächtiger und anspruchsvoller ist als die Pflanzungen. So ist es auch hier geworden. Die Gebäude und das Mauerwerk nehmen mehr Raum ein als der Baumschatten.
Wir landen an einer weißen Steintreppe. Alsbald gelangen wir in den großen Hof des Borromäischen Palastes. Von drei Seiten her schlägt die Welle des Sees an seine Mauern. Hier giebt es alles, was man in Wälschland zusammen zu schleppen pflegt, um den Prunk der Familie und den Glanz des eigenen Hauses zu zeigen. Da begrüßen sich in kühlen unterirdischen Räumen Thetis und Galathea neben Muschelschalen, in welche es silberhell hineinsprudelt. Oben glänzen an den Wänden die Meisterwerke eines Caravaggio oder Paolo Veronese. Der Fuß schreitet bald auf Marmor, bald auf Mosaik. Sehenswürdigkeiten, vor welchen stehen zu bleiben den Wanderer der seinem Handbuche schuldige Frohndienst zwingt, giebt es eine Menge. Wir können ein juwelengeziertes Weihwasserbecken und ein Bett anschauen, in welchem Napoleon I. geschlafen hat. Ein Führer wird die allerhöchsten Herrschaften herzählen, mit deren Besuch das Eiland in diesem Jahrhundert beehrt worden ist.
Viel schöner ist es gegen Osten hin. Dort erhebt sich ein Baumdickicht, welchem auch im Winter das grüne Gewand nicht fehlt, weil es aus Cedern und Lorbeeren, aus Cypressen und Kampherbäumen besteht. Dort erhebt sich die Pinie und verkündet Italien.
„Es stehen so ruhig die Cypressen,
So himmelträumend, so weltvergessen.“
Bildsäulen und Gemälde sind überall zu finden. Derjenige aber, der von Norden kommt, wird ihnen gerne den Rücken kehren, um durch die Zwischenräume des dunkeln Laubwerkes auf die Fluth und die weißen Hochgipfel zu schauen. Vielleicht noch mehr als das Gesicht wird der Geruchssinn angeregt, denn dem Lorbeerhauch kommt eine seltsame Wirkung zu. Im Frühling gesellen sich dazu die Düfte zahlloser Blumenkelche, welche die meisten Wanderer nie gesehen haben. Spärlich sind die Stimmen der Vögel, weil die Sänger von den Einwohnern gegessen werden. Kühl ist der Hauch des Sees, glänzend das glatte Blatt des Lorbeers, aber ein akademischer Linear-Geist hat sich mit Richtschnur und Senkel des Hesperidengartens bemächtigt. Schmeichelud weht die Luft [313] vom Wasser her, doch sie bringt deinem Ohr keinen Jauchzer. Die Leute, die außerhalb des Marmors wohnen, sammeln sich am schmutzigen Strand vor ihren Hütten, um deine Rückkehr aus dem Zauberhaine der Armida zu erwarten und dich anzubetteln.
Daß allenthalben Marmorbilder in den Nischen, in den Sälen, in den Wölbungen der Laubengänge, an Brunnen, auf herbeigeschleppten Felsstücken stehen, weiß Jeder, der im südlichen Lande solch einen Prunkpalast gesehen hat. Schon Mignon thut ihrer Erwähnung. Es ist da eine absonderliche steinerne Gesellschaft zusammengekommen. Venus und Flora, unter dem Meißel Monti’s entstanden, schauen den Bildnissen von Menschengestalten unserer Tage in die Augen. Mancher von den Schwärmern hat auch der schwebenden Gärten von Isola Bella Erwähnung gethan. Es sind dies treppenförmige Absätze, zehn an der Zahl, einer über dem anderen. Auf ihnen stehen ebenso viele schmale Obelisken, Pyramiden und Bildsäulen, als Bäume. Man möchte das Ganze, durch welches sich die Marmortreppen hinaufziehen, mit einem jener breitwuchtigen Pagodenthürme vergleichen, wie sie an den Ufern indischer Ströme in die Höhe steigen. Zu oberst auf dem ausgedehnten Steinwerke erhebt sich das geflügelte Einhorn, das Wappenthier der Borromäer.
Unverständlich bleibt es den Italienern, begreiflich aber den Nordländern, daß es immer Leute gegeben hat, welche von der steinernen Mosaikherrlichkeit solcher Gärten nicht viel wissen wollen. Unter diesen Sonderlingen befinden sich zwei, denen die Welt ein feines Gefühl für die Gestaltungen der Natur zuerkennt, Rousseau und Saussure. Manchem Leser ist jene Stelle der „Geständnisse“ erinnerlich, in welcher der Genfer Philosoph behauptet, die Kunst habe hier auf Kosten des Naturschönen zu viel gethan. Was jedoch Saussure anbelangt, so ist dieser noch weiter gegangen, indem er sagte, daß er sein Leben lieber in einem weltvergessenen Felsenthale, zwischen Wäldern und Wasserfällen zubringen wolle, als immerfort auf diesen geradlinigen Terrassen zwischen den Obelisken, den steinernen Drachen, Tritonen und Meerungeheuern herumzugehen. Gleichwohl gesteht auch er zu, daß es ein großer Gedanke war, einen nackten Felsen in einen Garten zu verwandeln, in welchem den Blumen und Gewächsen verschiedener Zonen ein Stelldichein gegeben wurde. In dieser Hinsicht freilich wird Isola Bella weit von der benachbarten Isola Madre übertroffen. Dort glüht es allenthalben im Vorfrühlinge von Kamelien, im Hochsommer von Granatblüthen und von den Blumenkelchen der haushohen Oleander. Der Garten dort ist weniger abgemessen, weniger beschnitten, mehr von Ziererei und Schnörkeln verschont geblieben.
Nur an den Seen Oberitaliens, welche noch im Schutze der Alpen liegen, kann der Fremdling sich eine Vorstellung von jenem Pflanzenwuchse machen, der erst weiter südlich, jenseit des Apennin, beginnt, von jenem Pflanzenwuchse, den man die Vegetation des Mittelmeerbeckens nennt. Weiter draußen, in der lombardischen oder venetianischen Ebene, ist von dieser nur wenig mehr zu verspüren. Aber an den felsgeschützten Gestaden der Seen giebt es manches Bild von Wachsthum, welches an die Gärten von Pegli oder Bordighera gemahnt. Man sieht das [314] Vorherrschen holzstengliger Pflanzen mit lederartigen Blättern. Die Pflanzen sind reich an flüchtigen Oelen, unter den wildwachsenden machen sich besonders die nelkenähnlichen und die lippenblumigen breit. Der Oelbaum, die Zwergpalmen, die Opuntien, welche schön gedeihen, deuten auf noch wärmere Länder hin, während nicht weniger Pflanzen aus dem Norden sich angesiedelt haben und es an jenen Seen gar nichts Seltenes ist, neben der Zwergpalme die Alpenrose zu erblicken.
Diese Art von Flora erinnert an zwei andere Pflanzengebiete, in welchen ebenfalls kältere und wärmere Einflüsse sich so nahe berührt haben wie in den Uferländern des Mittelmeeres. Es ist dies der Pflanzenwuchs des heutigen Japan, welches noch immer viele Eigenthümlichkeiten zur Schau trägt, insbesondere aber jene Pflanzendecke, welche in der tertiären Periode der Geschichte unserer Erdrinde über dem Festland grünte. Auch dort stand Lorbeer und Myrthe neben Weißdorn und Kornelkirsche. Heidelbeeren und Haidekraut gediehen unter Storaxbäumen, von welchen balsamduftiges Harz abtrieft. In Japan überzieht sich an Wintertagen das Wasser mit Eis, während seine sommerliche Gluth auch am Mittelmeer nicht ihres Gleichen hat.
Der Dichter hat vom geschmückten Throne des Frühlings gesprochen. Wenn der Letztere über unseren Erdtheil eingezogen ist, weilt er allerdings hier in besonderer Pracht und Herrlichkeit. Ist aber der Sommer hinabgeflohen weit übers Meer, den Ländern der Sonne und der Palmen entgegen, dann wird es hier so winterlich still, wie nur irgendwo in den mittleren Ländern unseres Erdtheils. Die Räder des Dampfers, welche die Fluth theilen, belegen sich mit dicken Eiskrusten. Viele der Baumstämme, aus deren Kronen es jetzt so süß herabduftet, sind dicht mit Stroh umwickelt. Unheimlich schimmert der weiße Schnee durch die Lichtfluth der Mondnacht von den nächsten Hügeln herüber. Weit hinaus in den See schwimmen die Eisschollen, welche der Ticino mit herabbringt. Das schmutzige Wintergrün der Olive über dem Schnee sieht aus wie eine sorgenvolle Erinnerung an die vergangenen Sommertage.
Es ist, wie wenn alljährlich über diese Seen eine Ahnung ihres Ursprunges hinzöge. Dort, wo im Sommer vor schützenden Mauern unter der obwaltenden Sorgfalt des Menschen die Orange ihren Duft aushaucht, tritt um ein halbes Jahr später der Winter herein wie eine schauerliche Gestalt verklungener Märchen und alter Sagen. Demjenigen, der für Solches Ohren hat, erzählt er von den Tagen, in welchen der See geboren wurde. Damals, als die großen Gletscher sich zurückzogen, klaffte hier ein tiefer Schlund. Draußen, weit südlich vom See, liegen noch die Stirnmoränen jener Gletscher, jetzt grüne Hügel, von Oelbäumen und Reben bedeckt und von manchem Heiligthume gekrönt. Dort, wo keine Kluft, kein Schlund war, blieben nur der Schlamm der Gletscher, ihr Geröll, ihre Seiten- und Mittelmoränen auf dem nassen Boden zurück, um alsdann von Wasserrinnsalen durchwaschen und ausgefurcht zu werden. Hierüber, im tiefen Felsabgrunde, hielt sich das Eis aufgetürmt. Lange Zeitläufte hindurch gelangte deßhalb das Geschiebe der einmündenden Wasser nicht auf den Grund. Endlich lösten sich auch diese Eismassen in Wasser, es entstand der See. Am See aber erhoben sich Jahrtausende später die Paläste mit Werken hoher Kunst geschmückt. Hier sieht man die wundervolle Entwicklung des Geistes in der Natur und den Sieg der Götter über die Titanen.