Auf dem höchsten Gipfel des deutschen Reiches

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Autor: Michael Sachs
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Titel: Auf dem höchsten Gipfel des deutschen Reiches
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aus: Die Gartenlaube, Heft 40, S. 658-662
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Auf dem höchsten Gipfel des deutschen Reiches.

Etwas zur Geschichte des Zugspitzkreuzes.

Auf der großen Veranda des am Badersee gelegenen vortrefflichen Gast- und Pensionshauses „Schäfter“ war kürzlich eine Gruppe Norddeutscher um den daselbst aufgestellten Tubus versammelt und schaute nach der Zugspitze aus, die sich in der Nähe von Partenkirchen an der Grenze zwischen Tirol und Baiern 2980 Meter über den Meeresspiegel erhebt. Vergeblich suchten die Touristen nach dem doch sonst von hier aus sichtbaren Zugspitzkreuze.

Merkwürdig! Es war heute nicht zu finden. Da gab denn der freundliche Wirth die willkommene Aufklärung:

„Meine Herrschaften, die Sache ist einfach diese: man hat [659] das im Jahre 1851 errichtete Kreuz als dringend reparaturbedürftig herabgenommen, um es, frisch vergoldet, auf der einige Meter höheren Ostspitze am 25. August, dem Namens- und Geburtsfeste unseres Königs, wieder aufzustellen.“

Was der wackere Wirth des Gasthauses „Schäfter“ seinen Gästen noch sonst an interessanten Daten zur Geschichte des Zugspitzkreuzes erzählte, das und einiges Andere dürfte heute, nach der soeben vollbrachten Uebertragung des Kreuzes auf seinen neuen Standort auch dem großen Leserkreise der „Gartenlaube“ nicht uninteressant sein, und da ist denn zuerst zu bemerken, daß es Ott, der frühere Pfarrer und Observator auf dem Hohen Peissenberg (Baierns Rigi), war, welcher zuerst den Entschluß faßte, dem König der deutschen Bergwelt zu einem Schmucke zu verhelfen, wie ihn andere, minder ebenbürtige Berggipfel bereits trugen. Man hatte schon längst, bevor Ott diese Anregung gab, die Zugspitze zu besteigen gewagt. Der Erste, der dies unternahm, war der damalige Lieutenant im königlichen topographischen Bureau, Josef Naus, welcher als Generalmajor im Jahre 1871 starb. Es war am 26. August 1820, als er das kühne Unternehmen in Begleitung seines Bedienten und unter Führung eines gewissen Johann Georg Deusch’l von Partenkirchen unternahm.

Leider verbietet uns der Mangel an Raum, hier einen Auszug aus dem höchst interessanten Tagebuche dieser ersten Besteigung zu bringen. Ihr folgten rasch andere: 1823 wurde der Ostgipfel durch Simon Resch von Partenkirchen, 1835 und 1838 durch Feuerstein (von Ehrwald aus durch’s Schneekahr), 1849 und 1850 durch den sogenannten Zugspitzjackel, den Knecht des Pfarrer Ott, bestiegen; der Letztgenannte übernachtete auch zwei Mal auf der Spitze und pflanzte für seinen Herrn eine junge Tanne dort auf, um so die Stelle einstweilen zu bezeichnen, wo das Krenz zu stehen kommen sollte.

Letzteres zu beschaffen, eröffnete Pfarrer Ott eine öffentliche Subscription, welche in kurzer Zeit die Summe von 600 Gulden zusammenbrachte. So konnte denn Meister Kiesel in Schongau nach einer vom königlichen Bergmeister Hailer in Berchtesgaden gefertigten Zeichnung die Ausführung des Kreuzes übernehmen, welches eine Höhe von vierzehn Fuß erhielt und ganz aus Eisen gearbeitet war; die einzelnen Theile desselben wurden durch platirte Röhren verdeckt, und das eigentliche mit Strahlen geschmückte Kreuz ruhte auf einer zwei Fuß im Durchmesser haltenden, kupfernen, gut vergoldeten Kugel, in der auch die Urkunde aufbewahrt wurde. Das Ganze war, des leichteren Transportes halber, in achtundzwanzig Theile zerlegbar und wog über drei Centner.

Wer von Partenkirchen durch die großartige, wildromantische Partnachklamm, welche die Gletscherwasser des großen Schneeferner in wildem Toben durchströmen, circa eine Stunde aufsteigt, gelangt zu einigen alten, malerischen Bauernhäusern und dem Forsthause Vorder-Graseck. Daselbst hauste volle dreißig Jahre, von 1838 bis 1868, der königliche Forstwart Kiendel, eine urkräftige, biedere Jägererscheinung, wie solche heutzutage leider immer seltener werden.

Kiendel war es, welcher unter unsäglichen Mühen und großen Gefahren die seither für unersteiglich gehaltene Dreithorspitze bestieg. Eine dreißigjährige Dienstzeit verschaffte ihm die genaueste Kenntniß seines schwierigen Reviers, wozu auch die Zugspitze gehörte, und so war es die geeignetste Wahl, die man treffen konnte, als man ihn zum Führer der Expedition ernannte, welche damit betraut war, das auf 19 Traglasten vertheilte Kreuz auf dem höchsten Gipfel des deutschen Reiches auszurichten.

Am 11. August 1851 brach man von Partenkirchen auf. Durch die Partnachklamm gelangte man um 11 Uhr beim Rainthaler Bauern an, einem in erhabenster Bergeinsamkeit gelegenen Hof, jetzt Besitzthum und Sommerfrische des Hofpredigers Stöcker, der während seines dortigen Aufenthaltes einige Male in dem vielbesuchten schon den Römern bekannten Kainzenbad zu predigen pflegt. An der Partnach entlang kam man zur „Blauen Gumpe“ und zur Dämmerungszeit an die Angerhütte, den Aufenthalt des Ziegenhirten, wo man Nachtrast hielt. Spät in der Nacht – um dies nebenbei zu bemerken – traf hier zur Gesellschaft noch der erst Abend 8 Uhr von Farchant (1 Stunde vor Partenkirchen) aufgebrochene fünfundzwanzigjährige Forstgehülfe Bauer, nachdem er den ganzen Tag hindurch sein Revier begangen und einen Gemsbock nach Hause gebracht – eine Riesenleistung!

Einen malerischen Anblick gewährte der um 2½ Uhr Morgens beim Scheine der Kienfackeln erfolgende Aufbruch. Der Weg wurde nun beschwerlicher. Mit Tagesanbruch erstieg man das sogenannte Platt, ein mit mächtigem Geröll überschüttetes, zum Plattadner Ferner aufsteigendes Trümmerfeld, und als die ersten Sonnenstrahlen die nun sichtbar werdende Zugspitze golden gegen den tiefblauen Himmel abgrenzten, erreichte man den Schneeferner, gegen 2600 Meter über dem Meere.

Hier in der dünnen, schneidend kalten Luft war alles Leben erstorben; nichts regte sich – nur in den hier und da den Gletscher durchkreuzenden Rissen hörte man tief unten das Eiswasser rauschen, welches dann später als Partnachfall so malerisch zu Tage tritt. Ohne sonderliche Mühe überschritt man den Ferner, um dann um so mühsamer die Sandreißen und das Geglätt zu überwinden, wo die abrollenden schweren Steine den Nachsteigenden öfters Gefahr drohten. Nachdem noch ein steiler, von einigen Felsen überragter Schneehang passirt, erreichte man endlich den Grat oder das Joch, unter dessen zerfressenem Kamm tief unten das Höllenthal in dunkler Nacht heraufgähnte. Das Ziel lag den kühnen Wanderern vor Augen, und – bewunderungswürdig genug! – der damals schon über 24 Stunden in den Bergen herumsteigende Jäger Bauer war der Erste, der mit seinem Stutzen, den treuen Hund zur Seite, den Zugspitzgipfel erreichte.

Nach 9 Uhr Morgens war die ganze Gesellschaft auf der Spitze versammelt, aber leider hatten die mittlerweile aufgestiegenen Nebel die Fernsicht arg beeinträchtigt und wogten, einem Meere gleich, auf und nieder, während über dem Gipfel der Himmel blaute. Nach kurzer Rast schritt man zur Festigung des Kreuzes, zu welchem Zwecke das sehr beschränkte, aus losem Geröll bestehende Terrain erst auf circa 2 Fuß Tiefe abgeräumt werden mußte. Ein mit großer Mühe 15 Zoll tief in den harten Stein gebohrtes Loch nahm das 29 Pfund schwere, 2 Zoll dicke untere Kreuzstangentheil auf, und nun wurden die übrigen Theile mit Seilen hinaufgezogen und befestigt, d. h. vernietet. Ein schauerlicher Anblick war es, als 3 Männer unter größter Lebensgefahr auf den äußersten, kaum 2 Fuß breiten Zinnen des von 2600 Meter tiefen Abgründen umgähnten Gipfels mit todesverachtendem Muthe das Kreuz endlich zum Stehen brachten.

Unter mancherlei Gefahren wurde alsdann, nach glücklich vollbrachtem Werke, der Abstieg begonnen; die Gesellschaft brachte wiederum in der Angerhütte die Nacht zu, um anderen Tages in Partenkirchen jubelnd empfangen zu werden. Einer aber aus der Mitte der tapferen Bergsteiger wählte sich einen besonderen Abstieg – der schon mehrmals erwähnte Jäger Bauer. Er hatte bereits um 12 Uhr die Spitze verlassen, um auf der noch ungekannten Westseite auf kürzerem, völlig ungebahntem Wege zum Loitaschthale abzusteigen – ein wahrhaft wagehalsiges Unternehmen; denn an der Nord- und Westseite der Zugspitze erheben sich die Wände viel steiler und kahler, oft senkrecht, nur von furchtbaren Klüften und Schneefeldern unterbrochen. Kein Mensch, keine Gemse, ja kein Wirbelthier hat es bis jetzt gewagt, diese von ewiger Vernichtung umstarrten, höchstens vom Steinadler umkreisten Räume zu betreten. Aber alles dies schreckte den kühnen Gemsjäger, den seine Genossen mit Zagen und Zittern scheiden sahen, von seinem Wagnisse nicht ab. Unerschrocken machte er sich auf den Weg, nur von einem Genossen begleitet, von seinem treuen Gebirgsdachs, den er noch dazu tragen mußte; denn der arme Hund hatte sich auf der achtundzwanzigstündigen Wanderung über scharfes Gestein die Füße wund gelaufen, sodaß ihn sein Herr nur im Rucksack transportiren konnte.

Anfangs ging für den geübten Steiger der Abstieg, wenn auch langsam, so doch sicher von Statten; Bauer passirte mit Geschick loses Gestein, kahle, schlüpferige Platten und Schneereste, bis er sich auf einmal am Rand einer schiefen glatten Steinplatte befand, welche nach allen Seiten ein fürchterlicher Abgrund umgähnte, der selbst dem an solche Bilder gewöhnten Jäger Grausen und Entsetzen einflößte. Es war eine fürchterliche Lage, in der er sich befand: Ueber ihm steile Felswände, einige tausend Fuß hoch, unter ihm der Abgrund – was blieb dem zum Tode Erschrockenen übrig, als entweder umzukehren oder den verzweifelten Sprung in’s Schneekahr zu wagen? Entsetzliche Alternative! Ersteres zu vollbringen reichten nach mehr als dreißigstündigem Marsch seine Kräfte nicht mehr aus. Ein kurzes Ueberlegen! Rasch entschloß sich Bauer zum Sprung in die Tiefe des Kahrs. Der Hund mußte zuerst die Probe bestehen; die Angst und der Trieb der [660] Selbsterhaltung brachten das Mitleid für seinen liebsten Gefährten zum Schweigen.

„Falls der Hund die Glieder bricht“ – so sagte sich Bauer – ist ja der sichere Doppelstutzen zur Hand, um den Qualen des Thieres schnell ein Ende zu machen – und dann meinen eigenen.“

Forstwart Kiendel von Vorder-Graseck.
Originalzeichnung von Michael Sachs.

Der treue „Di“ – so hieß der Dackel – flog also, um die schreckliche Probe zu bestehen, hinab in die schauerliche Tiefe, und welche Ermuthigung! – er arbeitete sich unversehrt aus dem zum Glück nicht gefrorenen Lawinenrest heraus, mit verzeihlicher Sehnsucht zu seinem Herrn emporschauend. Der Stutzen flog nach und blieb im Schnee stecken. Leib und Seele Gott vertrauend, wagte nun auch Bauer den gewaltigen Todessprung, um glücklich bei Hund und Gewehr anzulangen.

Ein Rückwärtssteigen war nun absolut unmöglich geworden; denn wo er forschte – nichts als überragende Wände, in den phantastischsten Gestalten steil aufragend. Schier verzweifelnd und sein Wagniß bitter bereuend, lagerte sich Bauer zu kurzer Rast am äußersten Ende des Schneekahrs, schon überlegend, ob er dem langsamen Untergange durch Hunger und Kälte nicht doch noch mittelst eines Schusses zuvorkommen sollte. Gegenüber dem Jammer eines so fürchterlichen Endes hatte der schnelle energische Jägertod fast etwas dämonisch Verlockendes, etwas Süßes, Poetisches. Noch einmal raffte er sich auf, das ganze Kahr absuchend, und kehrte zur Stelle des Sprunges zurück; dort schimmerte tief unten wie ein Rettungsstern der Spiegel des Eibsees – und wahrlich! hier boten sich dem schier Verzweifelnden einige Spalten im Geschröffe, welche, allerdings unter beständiger Lebensgefahr (der Hund befand sich wieder im Rucksack), den Abstieg nach einigen Graslahnen ermöglichten. Mit diesem Blick in das Leben der Natur kehrten auch dem todtmüden Bauer die Lebensgeister zurück. Er stieg rüstig thalab; an den sogenannten Thöreln, einem Schwärzersteig zwischen Baiern und Tirol, sah er die ersten Menschen, welche absolut nicht glauben wollten, daß er aus diesem Teufelsgewänd herabgestiegen. 0, welche Wonne füllte sein Herz beim wiedergewonnenen Anblicke menschlicher Gesichter, beim ersten Klange menschlicher Stimmen! Um vier Uhr traf er in Greinau ein, hoch und theuer sich verschwörend, diese Tour nicht zum zweiten Mal zu unternehmen, und andern Tags fand er sich mit der ganzen Kreuzfahrergesellschaft wohlbehalten in Partenkirchen zusammen. Beim Himmel! Das war ein kühner Spaziergang gewesen, tapferer Jägersmann!

Soweit die Geschichte der ersten Kreuzaufrichtung.

Der Zugspitzgipfel (2980 Meter).
Nach dem Oelgemälde von Michael Sachs.

Seitdem wurde die Zugspitze von vielen Hunderten bestiegen, unter bald mehr, bald weniger schwierigen Verhältnissen. Der An- und Abstieg über Ehrwald und auf der Eibseeseite wurde ebenfalls im Laufe der Zeit durch Sprengungen und Einlassen von Drahtseilen erleichtert, und zeichneten sich bei dieser Gelegenheit besonders die Brüder Bernhard und Franz Johannes, Ersterer der in Partenkirchen lebende weit und breit für Hochgebirgsaufnahmen berühmte Hofphotograph, durch kühnes Steigen aus.

Ein wesentliches Moment in der Geschichte des Berges bildete die unter Kiendel’s Leitung durch Maurermeister Resch von Partenkirchen am Rande des Schneeferner massiv erbaute Knorrhütte, nach Kaufmann Knorr in München also genannt, welcher den größten Theil der Baukosten aus eigenen Mitteln bestritt. Als dieselbe für den stets größer werdenden Verkehr zu klein wurde, ließ die Section „München“ des „Deutsch-österreichischen Alpenvereins“ die Unterkunftshütte bedeutend vergrößern, und jetzt findet man daselbst allen Comfort und alle Hülfsmittel, wie sie diese Schutzhäuser zu bieten pflegen.

Diese erleichterten Verkehrsmittel hoben natürlich die Frequenz auf der Zugspitze wesentlich. Auf wie viele rüstige Bergsteiger hat das Kreuz von 1851 inzwischen freundlich herabgewinkt! Aber das sinnige Wahrzeichen auf dem höchsten Gipfel des deutschen Reichs war inzwischen ein Invalide geworden: es wurde morsch und schwach, während unser deutsches Reich erst erstand und zu glorreicher Macht heranwuchs. Trotz mehrfacher Reparaturen war durch Blitzschläge (wie viele geschmolzene Kupferkügelchen und andere Anzeichen beweisen) sehr baufällig geworden. Auch der Boden, auf welchem es stand, war durch Blitzschlag, mehr aber noch durch den jähen Wechsel der Temperatur und die da durch entstandene Eissprengung derartig brüchig geworden, daß ein längeres Belassen des Kreuzes daselbst gefährlich erscheinen mußte. Mehrfache Vorstellungen um Abhülfe fanden bei der Section, zu deren speciellem Wirkungsgebiet die Zugspitze gehörte, nicht den Anklang, den einige für die Sache hochbegeisterte Mitglieder gewünscht hätten, und eines der eifrigsten derselben, Magistratsrath Krieger, beschloß daher nebst einigen Freunden, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Der Opferwilligkeit dieser Männer gelang es, durchzusetzen, daß das Kreuz vollständig reparirt, Kuppel und Strahlen aber schwer vergoldet wurden und daß seine Aufstellung auf dem Ostgipfel der Zugspitze beschlossen ward.

Mitte August dieses Jahres nun wurden die letzten Vorbereitungen zur Kreuzerrichtung getroffen. Allmählich langten in Garmisch, Partenkirchen und am Badersee, einzeln oder in Gruppen, [661] kräftige, gebräunte Männergestalten an: Den Rucksack auf dem Rücken, angethan mit der derben Lodenjoppe und kurzen gems- oder hirschledernen Hosen, die Waden von rauhem Wollstrumpf umschlossen, der Knie und Knöchel freiließ, an den Füßen schwergenagelte Bergschuhe, auf dem Kopfe aber ein keckes Hütl mit irgend einer Feder oder einem Blümerl geschmückt – so tauchten sie überall im Thal und auf den Höhen auf; sofort erkannte man, daß diese Gäste des Gebirgs nicht zu den sogenannten Bergfexen gehörten, welche in letzterer Zeit für das Hochgebirge mehr und mehr eine so lächerliche Staffage abgeben. Es waren meist Mitglieder des „Deutsch-österreichischen Alpenvereins“ der Section „München“, die sich hier zusammenfanden, um die Zugspitze zu besteigen und zugleich die Vorarbeiten zur Kreuzerrichtung auf dem Ostgipfel, welche unter Leitung des bewährten Zugspitzführers Praxmaier von Garmisch stattgefunden, zu besichtigen.

Aufrichten des Kreuzes auf dem Ostgipfel der Zugspitze durch Mitglieder des „Deutsch-österreichischen Alpenvereins“ (Section „München“).
Portraitzeichnung von Michael Sachs.

Bei denkbarst ungünstiger Witterung wurde die Expedition zur Aufrichtung des Kreuzes am 24. August unter Max Krieger’s Führung unternommen. Um halb neun Uhr Morgens brach man von Garmisch auf, nachdem die einzelnen Theile des Kreuzes, in neunzehn Stücke zerlegt, an die Träger vertheilt worden waren. Nach einem kurzen Halt in Partenkirchen, wo vom Bürgermeister und Pfarrer dem Unternehmen Glück gewünscht wurde, zog die Karawane rüstig dem Forsthause Vorder-Graseck zu, um dort eine einstündige Rast zu halten. Punkt zwölf Uhr war Aufbruch. Die Expedition zählte einundzwanzig Touristen, meist Mitglieder des Alpenvereins und des Turner-Alpenkränzchens Münchens (darunter zwei junge Damen), sieben Führer und fünfzehn Träger. Steil hinab führte wieder der Steig fast so tief, als man vorher aufwärts gestiegen, und dann immer an der Partnach entlang, dieselbe dreimal überschreitend, nach Einmündung der Bodenlahn in dieselbe steil aufwärts durch den Stuibenwald, um an der großartig schönen hinteren Klamm vorbei nach zweieinhalbstündigem Marsche die sogenannte Bockhütte zu erreichen. An der „Blauen-Gumpen-Hütte“ vorbei, gelangte man zur Angerhütte und endlich gegen dreiviertel sieben Uhr zur Knorrhütte, die von der müden Wanderschaar jauchzend begrüßt wurde.

Nun ging’s an’s Kochen und Braten; frisches Fleisch und Conserven, Eier, Butter, Milch, Käse, Brod, Alles war ja in Ueberfluß vorhanden, desgleichen Bier, Wein und andere Spirituosen. Unter Tanz und Gesang verging rasch die Zeit, und dann wurde noch die von Herrn Krieger verfaßte neue Urkunde, welche kalligraphisch prachtvoll ausgeführt war, verlesen, darauf aber, mit den Unterschriften der Anwesenden versehen, in eine Blechbüchse versiegelt, um später im Kreuze eingeschlossen zu werden.

Das Nachtlager ließ allerdings viel zu wünschen übrig; denn Viele mußten auf Bänken und Tischen oder auf dem Boden liegen. Ein eisiger Wind umstürmte die Hütte, und als man Morgens in’s Freie trat, lag tiefer Neuschnee. Schon gab es traurige Gesichter, und Mancher bezweifelte, ob man der Aufgabe heute noch gerecht werden könne. Doch um sechs Uhr hellte es sich immer mehr auf, und um halb sieben Uhr wurde aufgebrochen; mühevoll ging es durch den über einen Fuß tiefen Schnee vorwärts; nach einer halben Stunde waren wir im weißen Thale und hatten nach abermals einer halben Stunde den großen Schneeferner erreicht, um unter prachtvollen Aussichtsmomenten nach weiteren dreiviertel Stunden den sogenannten Kamin anzusteigen. Da jetzt der schwierigste Theil des Weges begann, wurde eine kleine Rast gehalten. Bewundernswerth war die Sicherheit der Führer und Träger, die mit ihren mitunter sechszig Pfund schweren Lasten leicht und sicher die schwierigsten Felswände erklommen. In einer Viertelstunde war die „Nase“ erreicht, ein vorspringender Felsen, der mit Hülfe eines eingenieteten Drahtseils umstiegen werden mußte. Nun hatte man den Grat erklommen, in scheinbar senkrechter Tiefe unter sich den Eibsee, Badersee, Ober- und Untergrainau etc., alles wie eine bunte Landkarte ausgebreitet. Einstündiges, nur Schwindelfreien mögliches Steigen führte zum früheren Standpunkte des Kreuzes, dem Westgipfel der Zugspitze, wo der größere Theil der Gesellschaft theils aus Erschöpfung, theils aber auch, weil auf dem Ostgipfel kaum Platz für die mit der Kreuzaufrichtung Beschäftigten war, zurückblieb und sich zu längerer hochwillkommener Rast niederließ.

Um zehneinviertel Uhr langten die Träger auf dem Ostgipfel an, worauf die einzelnen Theile des Kreuzes sofort ausgepackt, Leitern aufgestellt und mit der Montirung des Kreuzes begonnen [662] wurde. Vorher war der stark zerklüftete Boden durch Bohren und Sprengung bis zum gewachsenen Fels abgeräumt worden, und in diesen Fels hinein arbeitete man nun den Stahlbohrer an wuchtiger Stange, welche sodann als Hauptstütze fest eingegossen wurde.

Die Montirung des Kreuzes, eine halsbrechende, schwindelerregende Arbeit, besorgten mit gewohnter Bravour Babenstuber und Schweiger in München unter Assistenz von Max Krieger und einiger Freunde und Träger, und so war um halb zwölf Uhr das Kreuz fertig; es wurde mit einem Blitzableiter neuer Construction versehen, einem Geschenk und der eigenen Erfindung des Locomotiven- und Maschinenfabrikbesitzers Kernaul in München.

Unsere Illustration zeigt den Moment, wo die beiden genannten Herren das letzte Kreuztheil aufsetzen. Nun wurde von Max Krieger, der auf unserem Bilde links die Leiter hält, die Urkunde im Kreuz verschlossen, während die Leitungsdrähte des Blitzableiters von einigen Trägern möglichst tief in’s Höllenthal gelegt wurden. Als Vorstand der ganzen Expedition brachte Max Krieger alsdann noch ein begeistertes Hoch auf den Landesvater aus, der, wie im Eingange bemerkt, gerade zu jener Stunde sein Geburts- und Namensfest inmitten seiner geliebten Berge und seines treuen Volkes feierte. Dann begann wieder der Abstieg, und als die kleine Truppe auf dem Westgipfel mit den Uebrigen auf’s Neue vereinigt war, da ertönten begeisterte Hochrufe auf den deutschen Kaiser und seine Getreuen. Weiter beabsichtigte Ovationen mußten unterbleiben, da die vorgeschrittene Zeit und ein schneidend kalter Wind zum Aufbruch zwangen, der denn auch ohne Schwierigkeiten zur Knorrhütte hinab stattfand, wo die eigentlich auf der Spitze projectirte bengalische Beleuchtung vor sich ging.

Anderen Tages fanden Alle sich froh und munter zu Thal wieder zusammen, um theils weitere Hochgebirgstouren zu unternehmen, theils dem geliebten München zuzueilen.

Zum Schlusse sei hier noch der Spruch mitgetheilt, der mit der Urkunde in der Metallkugel des Kreuzes eingeschlossen worden. Er lautet:

„Möge dieses Kreuz den ihm nun auf des Landes höchster Zinne angewiesenen Platz behaupten bis in ferne Zeiten, möge es, wie schon sein Stifter wünschte: als ein Friedensstern noch den spätesten Geschlechtern herableuchten durch die Stürme der Zeit und sie zu jener brüderlichen Liebe, Eintracht und Treue ermuntern, die allein die Völker stark und glücklich macht!

Und so lange es da oben steht auf der Grenzscheide zwischen zwei mächtigen Reichen, möge es Deutschlands und Oesterreichs Herrscher und Völker immer einig sehen, wie in unseren Tagen, als ein Unterpfand des Friedens!

Aber auch der Einzelne, der da heraufsteigt, Gottes Herrlichkeit zu bewundern, er finde an dieser erhabenen Stätte den Frieden in seinem Herzen und Gefühle des Dankes gegen den Schöpfer all des Wunderbaren! Dem Berge mögen Unglücksfälle immerdar ferne bleiben! 0 Das walte Gott!“

Michael Sachs.