Aus dem Leben deutscher Schauspieler (4)

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Autor: Max Ring
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Titel: Aus dem Leben deutscher Schauspieler - 3. Emil Devrient
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Aus dem Leben deutscher Schauspieler.
3.[WS 1] Emil Devrient.

In dem Hause des wohlhabenden Kaufmanns Devrient, welches zu Berlin in der Brüderstraße lag, herrschte gegen das Ende des Jahres 1815 eine große Aufregung. Man erwartete daselbst die Ankunft des berühmten Schauspielers Ludwig Devrient, der von dem Generaldirector Herrn Iffland eine Einladung zu einem Gastspiele auf dem königlichen Theater erhalten hatte. Gegen den Willen seines strengen Vaters war er zu dessen größtem Herzeleid unter das „Komödiantenvolk“ gegangen, aber sein Genie hatte alle Hindernisse besiegt, und nach jahrelanger Abwesenheit kehrte er als ein ruhmgekrönter Künstler in das elterliche Haus zurück. Der ehrenwerthe, aber vorurtheilsvolle Vater war seitdem gestorben, sein Bruder hatte die Handlung übernommen und freuete sich aufrichtig, den ausgezeichneten und ihm so nahe verwandten Mimen zu begrüßen. Das in den bürgerlichen Familien früher gegen den Schauspieler herrschende Vorurtheil war nach und nach geschwunden, der Künstler galt nicht mehr für einen Vagabunden und wurde in der Gesellschaft nicht nur geduldet, sondern mit Achtung und Auszeichnung, die dem Talent gebührt, behandelt. Hatte doch der König selbst den patriotischen Iffland durch die Verleihung des roten Adlerordens geehrt und gleichsam in ihm den ganzen Stand nobilitirt. Deshalb erwartete den Schauspieler Ludwig Devrient heute ein eben so freundlicher, als herzlicher Empfang von Seiten

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Emil Devrient
als „Petrucchio“ in der Widerspenstigen.

seines soliden Bruders und dessen ehrbarer Familie. Am meisten freueten sich aber seine drei Neffen, Karl, Eduard und Emil, auf die Ankunft ihres berühmten Onkels, der in ihren Augen von einer wahrhaft poetischen Glorie umgeben stand. Sie kannten seine romantische Jugendgeschichte aus dem Munde ihres Vaters, sie hatten von seinen wunderbaren Leistungen gehört, sich an seinem Ruhm berauscht und liebten ihn und in ihm das Theater mit jugendlicher Leidenschaft. Alle drei waren schöne kräftige Jungen mit interessanten, geistvollen Gesichtern, reich begabte Naturen voll frischer Jugendlust und Poesie. Karl, der Aelteste von ihnen, war vor Kurzem erst aus dem Kriege zurückgekehrt, wo der siebzehnjährige Husar in der Schlacht bei Waterloo tapfer mitgefochten. Nach dem freien Soldatenleben wollte ihm das dunkle Comptoir seines Vaters um so weniger gefallen, und mehr als einmal dachte er wohl daran, es heimlich zu verlassen. Auch Eduard, der damals vierzehn Jahr alt war, zeigte wenig Neigung, sich dem Kaufmannsstande zu widmen; er entwickelte ein entschiedenes musikalisches Talent und saß lieber an seinem Clavier als bei den langweiligen Handelsbüchern. Der Jüngste der Brüder, Emil, besuchte noch die Schule, aber auch er besaß bereits eine große Vorliebe für das Theater und beschäftigte sich vorzugsweise mit dem Coloriren und Ausschneiden von Bilderbogen für seine kleine Puppenbühne.

Bei solcher Beschaffenheit kann man sich wohl denken, welch eine Epoche in dem Leben dieser jungen Burschen die Ankunft eines solchen Onkels machen mußte und mit welcher Ungeduld derselbe erwartet wurde. Endlich hielt der Wagen vor der Thür, und aus demselben sprang mit eigener Hast der berühmte Künstler, um sich in die Arme seines ihm entgegeneilenden Bruders zu werfen und seine Neffen nach der Reihe abzuküssen. Ludwig Devrient’s Erscheinung war allerdings dazu angethan, die Herzen seiner jugendlichen [678] Verwandten sogleich zu gewinnen. Sein längliches Gesicht mit dem seinen Muskelspiel, der gebogenen Adlernase und der scheuen Stirn, umwallt von den dunkel gelockten Haaren, übte eine unwiderstehliche Anziehungskraft; der höchste Zauber lag aber in den schwarzen Augen, welche bald so gut, bald so dämonisch wild dreinschauten, während um den seinen Mund die Geister des übermütigsten Humors und des tiefsten Schmerzes einer Menschenseele zuckten. Wie herzlich konnte er lachen, wie freundlich mit den Knaben scherzen! Und dann blickte er wieder so seltsam und so ernst mit den wunderbaren Augen sie an, daß ihre jungen Seelen zusammenschauerten.

In den nächsten Tagen trat der berühmte Onkel auf dem königlichen Theater auf, wobei natürlich seine Neffen nicht fehlen durften. Die kleinen Herzen bebten und jauchzten vor Wonne bei dem Beifall, den das Publicum den genialen Leistungen des großen Künstlers zollte; sie berauschten sich an seinen Triumphen, an seinen Erfolgen und dachten und träumten nur noch vom Theater. Alle drei gelobten sich im Stillen, wie ihr Onkel Schauspieler zu werden, und sie haben Wort gehalten, ungeachtet des Widerstandes, den sie von Seiten ihrer Familie fanden, welche hugenottischen Ursprungs war, urspünglich den Namen de Vrient führte und aus Flandern stammte. Zuerst wußte Eduard den Widerwillen seines Vaters zu besiegen; ihm folgte der feurige Karl bald nach. Um so mehr drang der Vater darauf, daß der jüngste Sohn Emil die kaufmännische Laufbahn einschlagen und das alte Geschäft einst fortsetzen sollte. Zu diesem Behufe mußte er nach vollendeter Schulbildung Berlin verlassen, wo seine theatralischen Neigungen eine nur allzureichliche Neigung erhielten. Ueberzeugt von der moralischen Nothwendigkeit, sich dem Wunsche seines Vaters und dem Wohle seiner Familie zum Opfer bringen zu müssen, machte er selbst den Vorschlag, nach einer kleinen Stadt zu gehen, um sich den Verführungen der Bühne zu entziehen. Ein zweiter, ebenfalls dem Handelsstande angehöriger Onkel, der in Leipzig wohnte, besaß eine in der Nähe von Zwickau gelegene chemische Fabrik. Dorthin reiste Emil vollkommen resignirt und mit dem festen Vorsatz, ein tüchtiger Kaufmann zu werden und einst dem Vater zur Seite zu stehen. Mit der ihm eigenen Gewissenhaftigkeit widmete er sich vorzugsweise seinem Beruf, indem er mit strenger Pünktlichkeit seine kaufmännischen Pflichten erfüllte, Geschäftsbriefe und Rechnungen mit schöner, zierlicher Hand schrieb, die Bücher in Ordnung hielt und ähnliche prosaische Arbeiten mit anerkennungswerthem Fleiße trotz aller Unlust lieferte. Nur seine beschränkten Mußestunden waren nach wie vor der Poesie geweiht. Mit einem Bändchen Gedichte oder einem Trauerspiel von Schiller ging er in das nahe an die Fabrik angrenzende Wäldchen, wo er mit lauter Stimme ungestört und unbelauscht declamirte und Verse recitirte.

Ein Jahr hatte er bereits in tiefster Einsamkeit gelebt und sich fast mit seinem Beruf ausgesöhnt, als ihn ein Brief seines Principals und Onkels nach Leipzig rief, um daselbst im Familienkreise das Weihnachtsfest zu feiern. Zufällig fand er daselbst auch seinen Bruder Karl, der bereits anderthalb Jahre an dem Theater zu Braunschweig engagirt war. Die begeisterten Schilderungen des jungen Künstlers, seine lebendigen Erzählungen aus der Theaterwelt, seine ganze glückliche und von Zufriedenheit strahlende Erscheinung erschütterten mit einem Male alle Vorsätze des guten Sohnes und weckten die nur schlummernde Theaterlust mit unwiderstehlicher Gewalt. Der Dämon der Devrient’schen Familie, dieser angeborene Künstlerzug und Zauber regte sich von Neuem in Emil’s Brust, der offen und unumwunden seinem Vater in einem bewegten Schreiben den Zwiespalt seines Innern darlegte und mit heißen Bitten die Gewährung seines Lieblingswunsches erflehte. Trotz seiner entgegengesetzten Anschauung gab der zärtliche Vater auch dem jüngsten Sohne seine Einwilligung zu dem gewählten Beruf, wozu wohl hauptsächlich die glänzenden Erfolge Ludwig Devrient’s und die schnelle Carriere der beiden andern Söhne in der Theaterwelt das Meiste beitrug. Nur die einzige Bedingung stellte der liebevolle Vater, daß Emil sich für seinen neuen Stand erst gründlich vorbereiten und den Unterricht seines berühmten Onkels zuvor genießen sollte. Wider Erwarten zeigte sich dieser mit dem Entschlusse seines Neffen am wenigsten einverstanden, indem er ihn wiederholt auf die „Illusionen“ hinwies, welche schon manchen jungen Menschen getäuscht und unglücklich gemacht. Er warnte ihn vor dem Theater und dessen aufreibendem Leben, das er immer mehr aus eigener Erfahrung und nicht ohne eigene Schuld kennen gelernt hatte. Auch mit dem Unterricht wollte es nicht recht fortgehn; wie mancher geniale Künstler schuf auch Meister Ludwig seine vorzüglichsten Rollen nicht nach methodischen Regeln, sondern nach den augenblicklichen Eingebungen seiner genialen Natur, von der er sich häufig keine Rechenschaft zu geben vermochte. Er war kein sogenannter „denkender Künstler“, wie sie jetzt zu Dutzenden herumlaufen, und auch kein Theoretiker, weshalb er wohl zum Lehrer wenig oder gar nicht taugte. Um so größer war aber sein Einfluß von der Bühne herab, und der junge Emil lernte mehr durch das Beispiel und den Anblick seines Onkels, als aus seinem höchst mangelhaften und fragmentarischen Unterricht. Ebenso sah er sich in seiner Hoffnung getäuscht, durch seinen großen Verwandten ein schnelleres Engagement bei einer größeren Bühne zu finden, da dieser ihm bald das Versprechen gab, für sein Auftreten in Berlin Sorge zu tragen, bald ihn an die Bühne in Weimar als die geeignetste Schule für seine fernere Ausbildung verwies, ohne in dem einen wie in dem andern Falle etwas Ernstes für ihn zu thun, so daß der ungeduldige Nefe zuletzt den verzweifelten Entschluß faßte, auf gutes Glück seinen Bruder Karl, der damals bei seiner Familie in Berlin verweilte, nach Braunschweig zu begleiten und daselbst ein Unterkommen bei dem hochverehrten Director Klingemann zu suchen.

Dieser empfing den jungen Kunstnovizen keineswegs in aufmunternder Weise, nur mit Widerstreben entschloß er sich, ihm die Rolle des „Raoul“ in der „Jungfrau von Orleans“ auf die Empfehlung des älteren Bruders anzuvertrauen. Mit Herzklopfen betrat Emil in dieser Rolle zum ersten Male die Breter, welche die Welt bedeuten, wobei er eine eigene, gewiß bei jungen Künstlern höchst seltene Erfahrung machte, die unstreitig für seine große Bescheidenheit spricht. Der laute Beifall, den er bei seinem ersten Auftreten fand, wirkte statt ermunternd geradezu lähmend auf seine Darstellung. Erschrocken über den unerwarteten Applaus, kam er aus dem Zusammenhang seiner Rolle, so daß er dieselbe ebenso kleinlaut und gedrückt beendete, als er sie muthig und glücklich begonnen hatte. Regelmäßig überkam ihn dazu, so oft er im Anfange die Bühne betrat, eine unerklärliche Angst, daß er „stecken bleiben“ werde, und wirklich blieb er auch jeden Abend zur großen Belustigung des Publicums stecken, auch wenn er seine Rolle noch so trefflich gelernt hatte. Das Leiden schien durchaus localer Natur zu sein und schwand erst bei vorgenommenem Ortswechsel. Auch als Sänger debutirte Emil in Braunschweig und zwar mit glücklichem Erfolge, indem er als „Oberpriester Kalchas“ in Gluck’s „Iphigenie“ und als „Eremit“ im „Freischütz“ mit Beifall auftrat. Seine musikalische Bildung blieb nicht ohne Einfluß auf seine theatralische Laufbahn, und es läßt sich nicht leugnen, daß die frühere Vereinigung der Oper mit dem Schauspiel von mannigfachem Nutzen für die Betheiligten war. Da Devrient in Braunschweig nicht die genügende Beschäftigung fand, so wandte er sich nach Bremen, wo er unter dem verdienstvollen Director Pichler mehr als hinreichende Gelegenheit hatte, sein vielseitiges Talent auszubilden. Abwechselnd spielte er den „Melchthal“ in Schiller’s Tell, den „Don Cäsar“ in Donna Diana, im Hamlet den „Laertes“ und selbst den „Tobias Schwalbe“ in Körner’s Nachtwächter. Daneben sang er mit wohlklingender Baßstimme den „Sarastro“ in Mozart’s Zauberflöte, den „Almaviva“ in Figaro’s Hochzeit und sogar den „Don Juan“.

Die übermäßigen Anstrengungen erschöpften nothwendiger Weise seine jugendlichen Kräfte und bedrohten seine Gesundheit so ernstlich, daß er sich genöthigt sah, die Bühne zu verlassen und sich zu erholen. Er ging nach Leipzig, wo der frühere Advocat und enthusiastische Theaterliebhaber Küstner ihn mit offenen Armen empfing und ihm ein vorteilhaftes Engagement anbot, nachdem er sich so weit gestärkt hatte, um das Theater von Neuem zu betreten. In Leipzig lebte damals eine Zahl ausgezeichneter Kunstfreunde, der treffliche Blümner, Amadeus Wendt, Wilhelm Gerhard, die Dichter Rochlitz und Mahlmann, die sich lebhaft für die Bühne interessirten. Dazu kam noch in dem nahen Weißenfels der scharfsinnige, geistreiche Müllner, der als Kritiker und Theaterdichter einen großen Ruf genoß. Der Umgang mit solchen Geistern übte auf Emil einen höchst vortheilhaften Einfluß aus und trug wesentlich zu seiner künstlerischen Ausbildung bei. Hauptsächlich aber wirkte auf ihn das Beispiel und Vorbild der ausgezeichneten Künstler, welche damals theils als stehende Mitglieder, theils als Gäste das Leipziger Theater verherrlichten. Wir brauchen [679] nur die Namen Pius Alexander Wolf und dessen unübertreffliche Gattin, Eßlair, Ludwig Löwe, Korn, Vespermann, Gerstäcker, Blume, Sophie Schröder, eine Händel-Schütz, Neumann-Haizinger und die berühmte Stich-Crelinger zu nennen, um die Anregungen zu bezeichnen, welche dem jugendlichen Künstler zu Theil wurden. Auch die Liebe sollte ihre bildende Macht an Emil bewähren und zur Entwickelung seines Talents wesentlich beitragen. In Leipzig lernte er die geniale Dorothea Böhler kennen, die Schwägerin des trefflichen Genast in Weimar, eine der vorzüglichsten Soubretten, die Deutschland je besessen hat, voll Geist, Anmuth und sprühenden Launen. Während Emil für das ernstere Drama sich den maßvollen Wolf und desden ideelle, von Poesie durchhauchte Darstellung zum Muster nahm, war seine Gattin seine Lehrerin in dem heitern Genre, seine komische Muse, welche den ideellen Zug seiner poetischen Natur mit der Wirklichkeit versöhnte.

Von allen Seiten lächelte das Glück seinem bevorzugten Liebling, und nun sollte auch sein innigster Wunsch in Erfüllung gehen, auf der königlichen Bühne seiner Vaterstadt als Gast erscheinen zu dürfen. Unter den Augen seines großen Onkels trat er mit Beifall in Berlin als „Don Carlos“, „Ferdinand“ in Kabale und Liebe und in einigen minder bedeutenden komischen Rollen auf. Ein zweites Gastspiel im Jahre 1829 sollte zu einem Engagement führen. Dasselbe scheiterte jedoch nicht nur an der unbedeutenden Gelddifferenz, sondern vorzüglich an dem Gutachten des berüchtigten Demagogenverfolgers Tzschoppe, der Emil wunderbarer Weise eine „zu schwache Brust“ decretirte. Andere Gastspiele in Dresden, Prag und Wien lieferten den Beweis, daß der Ruf des jungen Künstlers schnell eine weitere Verbreitung und Anerkennung gefunden hatte. Da das Küstner’sche Unternehmen in Leipzig am 1. Mai 1828 zu Ende ging, so wandte sich Emil zunächst nach Magdeburg und von dort nach Hamburg, wo er schnell wie überall der Liebling des gebildeten Publicums wurde. Hier wurde ihm von dem bereits mehrfach erwähnten Director Schmidt mancher praktische Wink zu Theil. Zu seinem Umgange zählte er daselbst den humoristischen Lebrun, den geistvollen Dramaturgen Zimmermann, den politisch und literarisch anregenden Dichter von „Maltitz“ und – Heinrich Heine, den ungezogenen Liebling der Grazien, mit dem Devrient so manchen fröhlichen Abend, gewürzt durch kaustischen Witz und sprudelnden Humor, verlebte.

Unterdeß erhielt das Devrient’sche Ehepaar, dessen Ruf in der Theaterwelt gegründet war, einen höchst glänzenden und ehrenvollen Antrag von der Dresdner Hofbühne. Beide sollten unter annehmbaren Bedingungen ohne Probegastspiel auf Lebenszeit engagirt werden. Trotz seiner sehr angenehmen Stellung in Hamburg glaubte Emil ein solch schmeichelhaftes Anerbieten für sich und seine Gattin nicht zurückweisen zu dürfen. Am 30. August 1830 spielte er zum ersten Male als neu engagirtes Mitglied auf dem Hoftheater in Dresden, wo es ihm bald gelang, neben seinem eben daselbst verweilenden Bruder Carl durch den Glauz seiner Erscheinung, durch den Reichthum seiner Mittel und die künstlerische Ausbildung seines Talents eine hervorragende Stellung einzunehmen. Schon früher hatte er sich von der Oper zurückgezogen und sich vorzugsweise dem recitirenden Schauspiele zugewendet, mit besonderer Vorliebe aber sich dem höheren Drama gewidmet, ohne darum das feinere Lustspiel und selbst die derbere Posse gänzlich zu vernachlässigen, mehr aus Gefälligkeit gegen seine in diesem Fache excellirende Gattin, als aus innerem Drange und Beruf. Immer mehr entwickelte sich das Talent des Künstlers, wozu Dresden und dessen gesellschaftliche und literartsche Kreise, so wie die eigenthümlichen Theaterverhältnisse wesentlich beitrugen. Der hochgebildete König und der ganze Hof nahmen den lebendigsten Antheil an den dramatischen Aufführungen; die selbst als Bühnenschriftstellerin anonym auftretende Prinzessin Amalie übte ihren Einfluß aus und fand in Devrient den geeignetsten Darsteller ihrer Stücke. Der berühmte Tieck stand dem Generaldirector Grafen von Lüttichau als Dramaturg zur Seite und wirkte, abgesehen von mancher Wunderlichkeit, als Lehrer und Vorleser immerhin anregend und begeisternd auf das Publicum und die Schauspielerwelt, Auch Emil fühlte sich von dem genialen Dichter anfänglich angezogen, obgleich er später ihm ferner stand, um nicht wie viele seiner Collegen in den Verdacht der Servilität und Rollenschleicherei zu kommen. Tiedge, Wachsmann, Böttiger und das durch seine Bildung ausgezeichnete Haus des Majors Serre empfingen den Künstler mit Auszeichnung und traten mit ihm in nähere Berührung. Das gebildete Publicum erkannte schnell seine Vorzüge und ließ es nicht an Aufmunterung und Beifall fehlen, besonders schwärmte die Damenwelt für Emil und seine ideelle Darstellung, welche ganz geeignet war, das weibliche Urtheil zu bestechen.

Achtzehn Jahre behauptete er sich so als Liebling des Dresdner Publicums, und auch im übrigen Deutschland fand er auf seinen vielen Gastreisen die reichste Anerkennung und goldenen Lohn in Hülle und Fülle. Das Glück begünstigte ihn auffallend, als ein schmerzliches Ereigniß sein ganzes Leben tief erschütterte und verbitterte, aber zugleich seiner künstlerischen Richtung erst die echte Weihe gab und ihn zum Manne reifte. Die nothwendige Scheidung von seiner Gattin, der Mutter seiner innig geliebten Kinder, lehrte ihn zum ersten Mal den Ernst des Lebens, die Macht eines großen Schmerzes kennen. Um sich und sein krankes Herz zu heilen, riß er sich aus den gewohnten Verhältnissen und reiste nach Paris, wo er von der noch lebenden Mars, von der noch unentweihten, in ihrer ersten Blüthe stehenden Rachel, von Arnal, Bouffé und den übrigen Künstlern der Weltstadt unvergeßliche Eindrücke empfing. Sein Blick erweiterte sich unwillkürlich unter dem Einfluß großer, zuvor nie gekannter Verhältnisse. Voll von dem Gesehenen und Erlebten betrat er den heimischen Boden, wo er in Frankfurt a. M. in der Unruhe eines lärmenden Gasthofslebens die Bekanntschaft mit dem „jungen Deutschland“ und mit Gutzkow’s „Richard Savage“ machte.

Die Stimmung der Zeit, die Leidenschaft der Gegenwart und ihre Forderungen fanden jetzt ein Echo in seiner Brust. Anders als er gegangen, kam er nach Dresden zurück, bewußter, selbstständiger und schöpferischer, frei von dem immerhin beengenden Einfluß einer genialen, aber seiner ursprünglichen Richtung fremden Frau. Mit Vorliebe spielte er in den Dramen Gutzkow’s, Mosen’s, Laube’s, der neueren Dichter, und es gereicht ihm zu keinem geringen Verdienst, daß er vorzugsweise der jüngeren Literatur und den modernen Schöpfungen trotz der entgegengesetzten Ansichten Tieck’s siegreich Bahn gebrochen. Es folgten eine Reihe von Gastspielen, unter denen das Londoner Unternehmen unstreitig den ersten Rang einnimmt. Hauptsächtich muß es den Bemühungen Devrient’s beigemessen werden, daß die deutsche Schauspielkunst durch ihn, Ludwig Dessoir[1], Lina Fuhr u. s. w. die glänzendsten Triumphe in Englands Metropole feierte. Es war kein geringes Wagstück von einem deutschen Künstler, den „Hamlet“ nach dem Vorgange eines Kean und Kembles vor einem englischen Publicum, das noch dazu durch die Tradition verwöhnt, zu spielen. Wie seine Leistung in dieser Rolle aufgenommen wurde, bezeugt das enthusiastische Urtheil der Londoner Blätter und der ersten Kunstrichter Englands, die ihn ihren Kunstheroen nicht nur gleichstellten, sondern vielfach sogar vorzogen. Nicht minder groß sind seine Verdienste um das Gesammtgastspiel der deutschen Schauspieler bei Gelegenheit der großen Industrieausstellung in München gewesen. Nicht nur verzichtete Devrient uneigennützig auf jedes Honorar, sondern er übernahm auch im Interesse des Ganzen öfters unbedeutende und seinem Talent kaum angemessene Rollen, wie z. B. den „Valentin“ in Goethe’s Faust mit anerkennungswerther Selbstverleugnung. Mit Recht schreibt der berühmte Künstler in einem Privatbriefe: „Auf die beiden künstlerischen Führungen der Londoner Theater-Unternehmung lege ich besonderen Werth und bin stolz darauf, meinen Theil beigetragen zu haben, daß deutsche Kunst dort zuerst sich geltend machen konnte und durch die Protection der Königin und des Prinzen Albert, die mir zu Theil wurde, deutsche Kunst-Unternehmung dort zuerst einen glänzenden Anfang und Ausgang hatte.“

Im Jahre 1856 feierte Emil Devrient sein fünfundzwanzigjähriges Künstlerjubiläum, wobei ihm von allen Seiten die glänzendste Anerkennung und Auszeichnung zu Theil wurde. Mit selbsterworbenen Glücksgütern gesegnet, im Besitze eines schön gelegenen einträglichen Ritterguts hatte er die Absicht, sich von der Bühne gänzlich zurückzuziehen, obgleich seine ganze Erscheinung und die seltene jugendliche Frische seiner Leistungen einen derartigen Entschluß weder forderte, noch rechtfertigte. Die sächsische Regierung fand den geeigneten Ausweg für die Vereinigung seiner Wünsche mit dem Interesse des Publicums, das seinen Liebling nicht vermissen wollte. Devrient wurde zum Ehrenmitglied des Dresdner Theaters ernannt, indem er die verlangte Entlassung und Pension [680] mit der Verpflichtung erhielt, jährlich während drei Monate 24 – 30 Gastrollen gegen ein angemessenes Honorar zu geben. Außerdem ehrten verschiedene deutsche Fürsten sein Verdienst durch Orden und andere Auszeichnungen, die den berühmten Künstler schmücken. So lebt derselbe, dem auch in seinen Kindern und Enkeln ein reiches Glück erblüht, in den angenehmsten Verhältnissen, welche er ganz und gar seinem Talent und seiner nie rastenden Thätigkeit verdankt. Noch besitzt er eine ungewöhnliche Lebenskraft, eine ungeschwächte Liebe für seine Kunst, die ihn allein dazu bestimmt, von Zeit zu Zeit wieder die Bühne zu betreten und jährlich sich wiederholende Einladungen zu Gastspielen anzunehmen, welche den Beweis liefern, daß er noch immer eine unwiderstehliche Zugkraft ausübt und daß das Alter vorläufig noch nicht seinen Lorbeer mit welkender Hand berührt hat.

Als Künstler ist Emil Devrient der vorzüglichste Repräsentant der ideellen Richtung im Schauspiel, wobei ihn seine ganze Persönlichkeit und die äußere Erscheinung wesentlich unterstützt. Die hohe, schlanke Gestalt, das edle, griechische Profil, die angeborene Anmuth und der Adel seiner Bewegungen charakterisiren den geborenen Liebhaber und verleihen ihm den Zauber der Schönheit und der Poesie. Sein Organ klingt kräftig und doch weich, seine Deklamation ist zwar frei von jedem falschen Pathos, aber schwungvoll und besonders in den lyrischen Partien höchst ansprechend. Sein Spiel ist maßvoll, ohne darum die Leidenschaftlichkeit und Bewegung vermissen zu lassen. Hauptsächlich wirkt der Künstler durch die Macht der schönen Persönlichkeit und seine poetische Auffassung. Deshalb gelingen ihm vorzugsweise die ideellen Gestalten, die lyrischen und rhetorischen Helden der Schiller’schen Muse, die er mit allem Zauber und Glanz der poetischen Erscheinung auszustatten weiß. Seine Leistungen befriedigen und entzücken mehr durch die Harmonie des Ganzen, als durch überraschende und glänzende Einzelheiten. Sie gleichen den italienischen Seen, in denen sich der blaue Himmel, die goldene Sonne und der melancholische Mond abspiegeln; selbst der Sturm vermag nicht ihre Schönheit zu zerstören und die klassische Ruhe gänzlich zu vernichten. Auch im Aufruhr der Elemente, während der Donner rollt, die Blitze zucken, bleiben sie schön und ansprechend. Freilich fehlt ihnen dafür die dämonische Gewalt und die Größe des brausenden, in allen seinen Tiefen aufgewühlten Meers, oder die hinreißende Macht des schäumenden Wassersturzes. Selbstverständlich schließt bei einem Künstler, wie Emil Devrient, diese ideelle Richtung Natur und Wahrheit keineswegs aus. Er selbst bezeichnet sein Streben dahin: „ich war stets bemüht, die ideale Schönheit mit größerer Wahrheit zu vermählen, ohne dem Realismus, dem Vernichter unserer Kunst, Zugeständnisse zu machen.“

Auch im Lustspiel, das eine schärfere Charakteristik fordert, besonders im feineren Conversationsstücke, ist Devrient ausgezeichnet, und einzelne seiner Leistungen, wie der „Bolingbroke“ im Glase Wasser, meisterhaft zu nennen, wobei seine Kenntniß der höheren Gesellschaft, seine feinen Lebensformen und seine angeborene Grazie zur vollen Geltung kommen. Hier wie im Drama wirkt der Zauber seiner Individualität, die er freilich mit selbstbewußter Einsicht zu verwerthen weiß wie kein zweiter Schauspieler, weit entfernt sich mit einem bloßen Naturalismus begnügen zu lassen. Ueberall erkennen wir in Devrient eine echte Künstlernatur, die allerdings, vom Glück in seltener Weise begünstigt, das ihr anvertraute Gut durch eigenes Verdienst, durch unablässiges Ringen und Streben vermehrt und vervollkommnet hat, wodurch seine außerordentliche Wirkung und seine bis in’s höhere Alter hinaufreichenden Triumphe erklärlich scheinen. – Im Privatleben ist Devrient durch Liebenswürdigkeit und Humanität ausgezeichnet; er verbindet die feinen Formen des Hofmanns mit der Anmuth und Leichtigkeit des Künstlers. Maßvoll auch in seinem Umgange kann er in zusagender Gesellschaft eine wahrhaft bezaubernde Heiterkeit zeigen und mit den Fröhlichen von ganzem Herzen sich freuen, wie er andererseits den Hülfsbedürftigen gern beispringt und fremde Noth und Thränen bereitwillig lindert und trocknet.

Max Ring.
  1. Siehe den betreffenden Artikel in der Gartenlaube: Aus dem Leben deutscher Schauspieler – Ludwig Dessoir

Anmerkungen (Wikisource)

  1. eigentlich 4. Teil der Serie