Aus dem Volsker-Gebirge

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Textdaten
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Autor: R. E.
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Titel: Aus dem Volsker-Gebirge
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 83–86
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1882
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Aus dem Volsker-Gebirge.

Eine Reise-Erinnerung.

Zu den wenigen Winkeln in der Umgebung von Rom, die noch nicht von dem alles überfluthenden Touristenstrom überschwemmt werden, gehört das Volskerland. Das benachbarte Albaner- und Sabinergebirge weist ja kaum mehr einen Punkt auf, der nicht in jedem Frühjahr und Herbst von einem wahren Schwarm von Engländern und anderen Fremden besucht würde. Manch’ classisches Landschaftsbild wird durch diese moderne Staffage täglich und stündlich profanirt; neben mancher altehrwürdiger Ruine steht in schamloser Neuheit ein speculatives Hôtel, und fast unter jedem Olivenbaum in der Umgebung von Tivoli sitzt auf fashionablem Malstühlchen eine hochgeschürzte Dame, einen möglichst ungewaschenen Hirtenknaben mit möglichst zerrissenem Hemd und in möglichst träumerischer Schäferstellung in ihr segeltuch-gebundenes Album skizzirend.

Solche „scenische Schnitzer“ bleiben dem Auge Dessen erspart, der sich – etwaigen besorgten Warnungen zum Trotz – in das Volskergebirge wagt.

[84] Von Velletri aus, wohin die römische Südbahn den Reisenden nach kurzer Fahrt über die grüne Campagna-Ebene bringt, fuhren wir zu Zweien in einer etwas schwunghaft construirten Vettura dem blauen Gebirge zu, das in scharfen Umrissen, trotz der mehr als fünfstündigen Entfernung scheinbar ganz nahe gerückt, hinter den nächsten Hügeln sich erhob. Aber es war eine lange Fahrt; auf stets primitiver werdender Straße, in einer fortwährenden Staubwolke und einem ebenso beharrlichen Schwarm von Stechmücken, ging’s stundenlang bergauf und bergab zwischen früchtestrotzenden Weinbergen und Feldern dahin, durch eine anfangs freundliche, später aber mehr und mehr vereinsamte, melancholische Landschaft, welche gegen das Ende der Fahrt sogar einen fast düsteren Eindruck machte. Nicht ohne volskischen Localstolz wies der junge sonnverbrannte Rosselenker, der unseren einsamen Einspänner regierte, je und je nach einem dunklen Kastanienhain abseits der Straße, auch wohl nach einer tiefen Schlucht oder grauen, halbzerfallenen Castellruine neben dem Wege hin und trug uns dabei mit Wohlgefallen die scheinbar rein statistische Notiz vor, daß hier die Briganten mit Vorliebe ihren Unterschlupf suchen und sich häuslich einrichten, wenn sie sonst überall vor den Carabinieri nicht mehr sicher sind.

Wir hielten diese Andeutungen zunächst für bloße Speculationen auf unsere Geldbeutel, da wir meinten, der hoffnungsvolle Bursch erwarte darauf hin eine Aufforderung zu schnellerem Fahren, das ihm ein Trinkgeld einbringen werde. Später wurden uns aber von „unterrichteter Seite“ jene Behauptungen bestätigt.

Nach mehrstündiger schwüler Fahrt, nachdem unsere Vettura noch um eine letzte Waldesecke gebogen und an einem letzten Bergvorsprung hinaufgeschlichen war, befanden wir uns am Eingange von Cori, der alten, einsamen Volskerstadt. Wir stiegen aus, entließen unseren Einspänner und traten in das Städtchen ein. Einen sonderbaren Eindruck macht Cori auf den Fremdling. Auf halber Höhe des steil ansteigenden Felsbergs über und neben einer tiefen Thalschlucht steht oder vielmehr hängt die Stadt wie ein Schwalbennest, so raumgeizig als möglich zusammengedrängt. Terrassenförmig erheben sich die Reihen von grauen Häusern, die wie bloße massive Steinwürfel erscheinen, übereinander. Wie ein bienenstockartiges Conglomerat sieht das Ganze aus; grau in grau scheint alles gearbeitet, einem jener „Felsenmeere“ nicht unähnlich, wie sie als Resultate einer fortdauernden Auswaschung und Abschwemmung an kalkreichen Gebirgen vorkommen, wo dann der Fels in zahllosen gehäuften Brocken bloß gelegt ist.

Die Häuserreihen, die sich wie Würfelschichten dicht gedrängt übereinanderschieben, zeigen nur seltene Lücken zwischen den platten, flachen Dächern, so daß man fast meint, „außen“, wie über eine schlechte Treppe, von Dach zu Dach hinaufklettern zu können bis zur höchsten Spitze der Bergstadt, wo auf vorspringendem Fels einige moderne Kirchen und andere Monumentalbauten sowie antike Tempelruinen das Ganze krönen.

Cori macht den Eindruck hochgradiger und trutzlicher Abschließung gegen fremden Einfluß und Angriff.

In der That ist es ein exclusives Volk, das hier haust; sein Wesen hebt sich deutlich ab gegen die mildere Natur der Albaner und Sabiner. Wo jene den Fremden geschäftig empfangen und eifrig, ja trinkgeldlüstern bedienen, da würdigt der Bewohner von Cori den Eindringling keines freundlichen Blickes; man findet nicht jenes oft widerliche, immer aber heitere Entgegenkommen wie sonst in und um Rom, sondern schroffes, trotziges Benehmen, das darauf schließen laßt, daß dem Volsker jeder Fremde mindestens als unbequem, ja sogar als verdächtig und gelegentlich auch als Spion der sehr unpopulären Carabinieri erscheint, mit welchen der Bewohner von Cori viel weniger gern liebäugelt als mit den Briganten.

Diese Letzteren gelten ja in manchen Gebirgsgegenden Italiens noch recht eigentlich für eine Art von gerechter Vehme, deren Mitglieder mit lobenswerthem nationalökonomischem Scharfblick da und dort einzelne allzu reiche Gutsbesitzer oder auch Fremde aufspüren, um ihnen zu gleichmäßigerer Vertheilung des Gesammtvolksvermögens etwas von ihrem strafbaren Ueberfluß abzunehmen. An einer solchen zwangsweisen Ausgleichung des Nationalwohlstandes findet insbesondere der Volsker nichts Ungerechtes, und selbst der von Aengstlichkeit sonst ganz freie Reisende fühlt manchmal nicht ohne jene „Wärme-Anwandlung“ , welche die Voraussicht kritischer Momente mit sich zu bringen pflegt, prüfende „taxirende“ Blicke von Seiten einiger struppiger Männer auf sich gerichtet, deren lange eisenbeschlagene Knüttel auch zu eventuellem anderem Gebrauch verwendbar erscheinen, als nur zum Spazierengehen auf der Campagnastraße.

Auch im Innern zeigt sich die Stadt so eng und winklig zusammengebaut wie nur möglich. Schlechte, schmale Gassen mit holprigem, stets schlüpfrigem Pflaster ziehen sich zwischen kunstlos gemauerten Häuserwänden am steilen Berg hinauf. Die ungefügen grauen Steinhütten rechts und links starren den Wanderer so ungastlich an, daß er keinerlei Lust zum Eintreten verspürte, auch wenn der penetrante Maulthier- und Eselstallgeruch nicht wäre, der aus allen Lücken hervordringt.

Nur durch eines der da und dort ihm begegnenden Lastthiere genöthigt, tritt der Wanderer geschwind unter eine dunkle Hausthür, um nicht von dem Maulthier oder seiner die ganze Breite der Gasse einnehmenden Last an die Wand gedrückt zu werden. Wo man an den Gruppen schwatzender Männer oder Weiber vorbeikommt, erwartet man umsonst einen Gruß; höchstens ein paar schlechte Witze werden über den unberufenen Gast gemacht, der als civilisirter Mensch einen Gruß bieten zu sollen meint. Mehrmals erhielten wir, als wir nach dem Wege fragten, die äußerst unwahrscheinliche Antwort: „non so!“ (weiß nicht!)

Nur einige halbnackte Jungen, denen der trotzige Volskerstolz noch nicht so ganz in Fleisch und Blut übergegangen ist, vergessen sich so weit, uns des Anbettelns zu würdigen, aber auch sie vermeiden das sonst überall gehörte flehende: „o Signore!“ und befehlen kurzweg im strammen Unterofficierston: „eh forestiero! un’ soldo!“ („Heda, Fremder, einen Soldo!“)

Eigenthümlich fremd ist das Gesammtbild. Alles macht den Eindruck des Harten, Abgeschlossenen – Steinernen. Steinern und kahl ist der Berg, an dem die Stadt hängt; steinern sind die Häuser und Hütten, die Gassen und Steige; steinern ist das Wesen der Bewohner. Aber eben dieses Fremde – die harte Abgeschlossenheit der Natur, der ernste Charakter der Landschaft, die trotzigen Formen der Felsberge, die spärlichen Haine von uralten Oliven und knorrigen Stechpalmen-Eichen, die sich jäh zwischen dem Felsengeröll hervorzwängen, die tief eingerissenen Schluchten mit ihrem meist trockenen, doch glattgewaschenen Bachbett – dann wieder die Stadt mit den grotesken Resten urältester Baukunst mitten unter den primitiven Häusern der jetzigen Bewohner – das alles hat für den Empfänglichen einen Reiz, der weit tieferen Eindruck hinterläßt, als selbst der wundervolle Anblick von Tivolis Schönheiten.

Mühsam und nicht ganz unbedenklich ist ein Besuch in der weiteren Umgebung von Cori, aber interessant wie kaum eine zweite Tour in der römischen Campagna.

Nach kurzem Aufenthalt in der einzigen, nicht allzu gastlichen Locanda von Cori wanderten wir auf steilem Bergpfad in mehrstündigem Marsch über unzählige Bergvorsprünge und ebenso viele Einschnitte am Hang des Gebirges hinauf. Auf dem Plateau oben gingen wir über öde Weiden und durch die Ausläufer des großen Waldes, der sich von hier in viele Stunden langer Ausdehnung gegen den östlichen Theil des Gebirges hin erstreckt.

Antike Mauerreste und mittelalterliche Castellruinen finden sich auf der hügeligen Haide und zeigen Spuren von nothdürftiger Einrichtung als Unterschlupf und Feuerstätten für die Hirten, die hier ihre Schaf- und Ziegenheerden weiden – wohl auch für andere, weniger harmlose Gewerbetreibende, die sich in dieser Einsamkeit behaglicher fühlen, als in der Nähe menschenreicher Orte.

Einige Stunden südwestlich von Cori – von diesem getrennt durch den mächtigen Gebirgsvorsprung, den wir überschritten – liegen am Westrande des Hochplateaus die hochthronenden Städte Norma und Norba. Steil fällt der Rand des Gebirgs dort ab in die Ebene der pontinischen Sümpfe, hinter der das Meer herüberglänzt; tief, tief unten, dicht am Fuße der fast senkrechten Bergwand liegt Ninfa, jene alte geheimnißvolle, epheuumsponnene Stadtruine, das „mittelalterliche Pompeji“. In modellartiger Verkleinerung liegen die Häuser und Gassen unter uns, und in den See, der zwischen den dunkeln Ruinen heraufleuchtet, glauben wir leicht mit einem Steine werfen zu können – so jäh ist der Felsabsturz, der das Plateau hier abschneidet.

Es war unvorsichtig von uns, daß wir nicht an dieser Aussicht genug hatten und nicht einfach wieder oben über das Gebirge hin sogleich nach Cori zurückkehrten.

Während die Sonne sich schon zum Untergange neigte, glaubten

[85]

Hauptstraße in Cori.
Nach einer Skizze von R. Eifert auf Holz gezeichnet von A. Langhammer.

[86] wir noch auf sehr beschwerlichem, geröllreichem Fußpfade in die Ebene hinuntersteigen zu müssen, kamen zwar todtmüde an, traten aber trotzdem noch in die schon dunkelnden, öden[WS 1] Gassen der menschenleeren Ruinenstadt ein. Angesichts der melancholischen, alles umrankenden Epheuhaine und der düstern Mauern wurden wir folgerichtig sentimental und ließen uns demgemäß von der schnell hereinbrechenden Nacht unliebsam überraschen. Aus der endlosen Ebene stiegen kalte Nebel auf; der Mond, auf dessen Beleuchtung wir uns naiver Weise verlassen hatten, vermochte die Umgegend nur ungenügend zu erhellen; unser Führer (ein junger Kerl von elf Jahren) erklärte jetzt erst unter Thränen, er wisse den Weg von hier nach Cori zurück nicht zu finden; die Nacht wurde immer unbehaglicher, und wir glaubten bereits nicht ohne Grund gewisse Symptome des gefürchteten Malariafiebers an uns zu verspüren, von dessen Wirkung wir soeben in der Entvölkerung der Stadt Ninfa die wünschenswerth klarsten Beweise vor Augen gehabt.

Ohne jeden näheren geographischen Anhaltspunkt schlugen wir in einiger Resignation eine Wegrichtung ein, die uns nach unserer Berechnung in weitem Bogen um den Fuß des Gebirgsvorsprunges herum durch die Ebene endlich einmal nach Cori bringen mußte. Zwar war diese Berechnung, wie es sich ergab, ganz richtig; nur bezüglich der räumlichen Ausdehnung unseres Weges hatten wir uns zu unserem Nachtheile um die Kleinigkeit von drei Stunden verrechnet. Es war ein ungemüthlicher Marsch, den wir auszuführen hatten in der neblig-feuchten Campagna; ohne einen wirklichen Weg unter uns zu spüren, marschirten wir in der Dunkelheit dahin, mechanisch die Füße vorwärts bewegend; in angemessenen Zwischenräumen mußte manch’ unvorhergesehenes Hinderniß umgangen, mancher Graben übersprungen werden; mehrmals entdeckten wir in der Ferne ein Licht, das auf eine menschliche Wohnung schließen ließ, sich aber jedesmal nach erfolgter Annäherung als ein Lagerfeuer erwies, an welchem ohne Zweifel Campagnahirten unter freiem Himmel schliefen, von welchem wir aber durch eine wüthende Attacke einer Meute von bösartigen Hunden jedesmal schon von Weitem wieder abgewiesen wurden.

Nach mehrstündigem Marsche, während dessen unser armer Führer sämmtliche ihm bekannte Heilige unter reichlichem Thränenflusse angerufen hatte, erklärte er plötzlich: jetzt sei ihm der Weg wieder bekannt. In der That übernahm er auch alsbald wieder die Führerschaft, und als wir endlich am Fuße eines mit Oliven spärlich bewachsenen felsigen Hanges anlangten, lootste er uns mit Behendigkeit durch allerlei Hecken und über viel Felsengeröll auf eine Art von Weg, der endlich, endlich zu den ersten Häusern von Cori führte. Als wir so – lange nach Mitternacht – wieder in die Locanda eintraten, empfing uns der Wirth, der Morgens keinen allzu ehrenwerthen Eindruck gemacht hatte, mit auffallend herzlichen Glückwünschen darüber, „daß uns kein Unglück zugestoßen sei“, Glückwünsche, die übrigens in unseren Augen an Selbstlosigkeit bedeutend verloren, als er mit Eifer hinzu setzte: „Ihr Wein von heute Morgen ist ja noch nicht bezahlt.“

Wohlbehalten kamen wir nach einigen Tagen, während welcher wir das Volskergebirge auf zum Theil recht abenteuerlichen Touren durchstreift hatten, nach Rom zurück, wo wir – etwas selbstloser, als vom Wirth in Cori – mit Freuden begrüßt wurden, nachdem unsere Bekannten nicht ohne Besorgnisse einen Tag länger, als verabredet war, auf uns gewartet hatten.

R. E.

Anmerkung (Wikisource)[Bearbeiten]

  1. Vorlage: oden