Aus den „Memoiren des Generals U. S. Grant“
Wenige Tage vor seinem am 23. Juli d. J. erfolgten Tode hat der berühmte Feldherr im amerikanischen Secessionskriege und zweimalige Präsident der Vereinigten Staaten von Nordamerika seine Memoiren beendet. Jenseit des Oceans sah man der Publikation dieser Aufzeichnungen wie einem seltenen Ereigniß entgegen, und noch vor Ausgabe des Buches wurden auf Grund vorläufiger Anzeigen bei dem glücklichen Verleger gegen 300000 Exemplare bestellt. Wenn diese Zeilen in die Hände unserer Leser gelangen, wird gerade der erste Band dieser Memoiren erschienen sein und die Kritik sich darüber entscheiden können, ob das Gebotene wirklich den hohen Erwartungen entsprochen. Die inneren politischen Kämpfe der Bürger unter dem Sternenbanner und die Schlachtenschilderungen aus dem großen Bürgerkriege liegen uns ziemlich fern, und darum vermögen wir an dieses Werk nicht den sensationellen Maßstab zu legen, mit dem es im Vaterlande Grant’s gemessen wird. Trotzdem wird auch der deutsche Leser diese Memoiren schwerlich ohne Interesse verfolgen. Was ihn in denselben fesseln muß, das ist nicht allein der Lebensgang des großen Mannes, der aus eigener Kraft zu den höchsten Staffeln des Ruhmes emporsteigt und dann unter schweren Schicksalsschlägen und eigenen Fehlern zu leiden hat. Mehr noch als Grant selbst packt uns in den Memoiren der eigenartige Hintergrund, von dem sich seine Gestalt abhebt, das eigenartige amerikanische Leben, das mit allen seinen Mängeln und Vorzügen vor unseren Augen in unverblümter Wahrheit sich abwickelt. Erst wenn wir dieses Leben, das wie ein breiter ungedämmter Strom dahinfluthet, kennen gelernt haben, werden wir auch das Werden und Wachsen Grant’s begreifen. Der Autobiograph mag noch so geschickt sein und noch so beharrlich die Absicht verfolgen, die Welt, für die er schreibt, nicht zu tief in sein Innerstes schauen zu lassen – hier und dort, hingerissen durch die Macht des Gefühls und den Eindruck scheinbar nebensächlicher Ereignisse, verräth er, indem er den Charakter Anderer schildert, seine eigenen Vorzüge und Schwächen. – –
Grant war ein geborener Soldat, aber kein Geschäftsmann; das beweist das Endschicksal seines Lebens, und der Mangel der kühlen geschäftlichen Berechnung spiegelt sich in vielen kleineren und größeren Begebenheiten wieder, über die er in der unterhaltendsten Weise in seinen Memoiren plaudert.
In der Jugendzeit spielen bei ihm Pferdegeschichten eine hervorragende Rolle. Schon als achtjähriger Knabe war Grant auf den Pferdehandel gegangen und benahm sich dabei nichts weniger als schlau. „Wenige Meilen von unserem Dorfe,“ berichtet er, „lebte ein Herr Ralston, der ein Hengstfüllen besaß, welches ich sehr gern gehabt hätte und für das mein Vater 20 Dollars geboten hatte, während Ralston 25 verlangte. Ich war so begierig, das Füllen zu bekommen, daß ich nach dem Weggange des Besitzers meinen Vater bat, mir zu gestatten, daß ich es für den verlangten Preis kaufe. Mein Vater erlaubte es mir, bemerkte aber, das Pferd sei nicht mehr als 20 Dollars werth, und beauftragte mich, diese nochmals zu bieten; würde das Gebot nicht angenommen, sollte ich 22½ Dollars, und erst, wenn ich das Füllen dafür nicht erhielte, 25 Dollars geben. Ich stieg sofort zu Pferde und ritt zu dem Besitzer des Füllens. Als ich zu Herrn Ralston kam, sagte ich zu ihm: ‚Papa meint, ich solle Ihnen 20 Dollars für das Hengstfüllen bieten; wenn Sie aber damit nicht zufrieden seien, solle ich Ihnen 22½ Dollars bieten, und wenn Sie auch diesen Preis nicht annehmen würden, 25 Dollars geben.‘
Man braucht nicht gerade aus Connecticut gebürtig zu sein, um den schließlich vereinbarten Preis zu errathen. Dieser Handel hat mir vielen Herzenskummer bereitet, denn die Geschichte wurde unter den Knaben des Dorfes bekannt, und es dauerte lange, bis ich sie zum letzten Male hörte. Knaben freuen sich über den Kummer ihrer Gefährten, wenigstens pflegten die Knaben im Dorfe es damals zu thun, und im späteren Leben habe ich gefunden, daß die Erwachsenen ebenfalls nicht frei von dieser Eigenthümlichkeit sind.“ –
„Ich war kein Kommis und besaß auch nicht die Fähigkeit, einer zu werden,“ schreibt er an einer andern Stelle. „Der einzige Platz, welchen ich in meinem Leben ausfindig gemacht habe, wo ich ein Papier so hinlegen konnte, daß ich es wiederzufinden vermochte, war entweder die Seitentasche meines Rockes oder die Hand eines Schreibers oder Sekretärs, der achtsamer war als ich.“
Einmal im Leben, und zwar in einem hochwichtigen Augenblicke, hatte Grant die Folgen einer ähnlichen Nachlässigkeit, die Andere gegen ihn verschuldet haben, tragen müssen.
Am 24. Mai 1861 richtete er beim Ausbruche des Secessionskrieges einen Brief an den Generaladjutanten der Vereinigten Staaten-Armee, in dem er der Regierung bis zum Schlusse des Krieges seine Dienste anbot. Dieser Brief desjenigen Mannes, der später die Heere der Nordstaaten zum endgültigen Siege führte, hatte sonderbare Schicksale. Grant erhielt vom Generaladjutanten keine Antwort!
„Ich nehme an,“ fügt er beim Erwähnen dieser Thatsache hinzu, „daß er das Schreiben kaum gelesen hat; höheren Orts kann es sicherlich nicht vorgelegt worden sein. Nach dem Kriege wandte sich General Badeau, der von dem Briefe gehört hatte, an das Kriegsministerium und bat um eine Abschrift desselben. Das Schreiben konnte nicht aufgefunden werden, und Niemand erinnerte sich, es je gesehen zu haben. Ich selbst hatte keine Kopie von demselben genommen. Lange Zeit nach dem bezüglichen Gesuch des Generals Badeau fand der zum Generaladjutant der Armee ernannte General Townsend den Brief beim Zusammenpacken von Papieren vor der Räumung seines Bureaus an einer abgelegenen Stelle wieder. Er war nicht vernichtet, aber auch nicht in regelmäßiger Weise aufbewahrt worden.“
Grant wurde bekanntlich später vom Gouverneur Yates zum Obersten des 21. Illinois-Regimentes ernannt.
Charakteristisch für Grant sind einige Bemerkungen, die er an geringfügige Erlebnisse während des mexikanischen Feldzuges knüpft:
Auf einem Ausfluge, den Grant, ein gewisser Benjamin und Augur nach Austin unternommen hatten, erkrankte Letzterer und blieb in der Ortschaft Goliad zurück, während Grant und sein anderer Gefährte die Reise fortsetzten:
„Am ersten Abend, nachdem wir Goliad verlassen hatten,“ erzählt der Verfasser, „hörten wir gerade vor uns das unheimliche Geheul von Wölfen. Das Prairiegras war so hoch, daß wir die Bestien nicht sehen konnten, allein der Schall deutete an, daß sie ganz in der Nähe seien. Meinem Ohr kam es so vor, als seien sie in so großer Zahl da, daß sie unsere [823] ganze Gesellschaft, Pferde und alles, bei einer einzigen Mahlzeit hätten verschlingen können. Derjenige Theil von Ohio, in welchem ich geboren bin, war zwar nicht dicht bevölkert, allein die Wölfe waren schon lange vor meiner Abreise vollständig vertrieben worden. Benjamin stammte aus dem noch dünner bevölkerten Indiana, wo der Wolf noch über die Prairien schweift. Er kannte die Natur dieser Thiere und ihre Fähigkeit, in geringer Zahl den Menschen glauben zu machen, daß ihrer sehr viele sind. Er ritt unentwegt in der Richtung, aus welcher das Geheul kam, weiter, und ich folgte ihm auf dem Fuße nach, da es mir an moralischem Muthe fehlte, umzukehren und mich zu unserm kranken Gefährten zurückzubegeben. Wenn Benjamin vorgeschlagen hätte, wieder nach Goliad zurückzukehren, würde ich ohne Zweifel nicht nur ‚den Antrag unterstützt‘, sondern auch meine Meinung dahin ausgesprochen haben, daß es eigentlich sehr hartherzig von uns sei, Augur schon an dem ersten Orte im Stich zu lassen, allein Benjamin schlug die Umkehr nicht vor. Und als er sprach, geschah es nur, um die Frage an mich zu richten: ‚Grant, wie viel Wölfe, glauben Sie, sind in jener Bande?‘ Da mir bekannt war, in welcher Gegend er zu Hause war, und er wahrscheinlich meinte, daß ich die Zahl überschätzen würde, so beschloß ich, ihm meine Bekanntschaft mit dem Thiere dadurch zu beweisen, daß ich die Zahl, weit geringer als möglicher Weise richtig war, angab, und antwortete in gleichgültigem Tone: ‚O, etwa zwanzig!‘ Er lächelte und ritt weiter; eine Minute später waren wir ihnen ganz nahe, noch ehe sie uns erblickt hatten. Es waren ihrer gerade zwei, die, auf den Hinterbeinen sitzend und die Mäuler dicht zusammen steckend, all das fürchterliche Geheul ausgestoßen hatten, das wir während der letzten zehn Minuten gehört hatten. Ich habe später oft an diesen Vorfall gedacht, wenn ich den Lärm einiger enttäuschter Politiker gehört habe, welche ihre Genossen verlassen hatten. Ihre Zahl wird immer für größer gehalten, als sie in Wirklichkeit ist, wenn man sie zählt.“
Gelegentlich eines Duells, das in der Nähe des Lagers zwischen „ein paar Herren“ stattgefunden, giebt der amerikanische General folgende Erklärung ab: „Ich glaube nicht, daß ich je den Muth haben würde, ein Duell zu bestehen. Sollte mir Jemand ein solches Unrecht zufügen, daß ich gewillt wäre, ihn zu tödten, dann würde ich doch nicht geneigt sein, ihm die Wahl der Waffen, womit dies geschehen soll, der Zeit, des Ortes und der Entfernung, aus der ich ihn ums Leben bringen will, zu überlassen. Sollte ich dagegen Jemand so schwer beleidigen, daß er berechtigt wäre, mich zu tödten, dann würde ich, falls ich von meinem Unrecht überzeugt wäre, jede vernünftige und in meiner Macht stehende Buße thun. Ich bekämpfe das Duell aus edlern Gründen, als den hier angegebenen. Ohne Zweifel würde ein großer Theil der ausgefochtenen Duelle nicht zum Austrage gebracht worden sein, wenn es den Betheiligten nicht an moralischem Muthe gefehlt hätte, den Zweikampf abzulehnen.“
Wie nicht anders zu erwarten war, bietet der erste Band der Memoiren, der die militärische Laufbahn Grant’s umfaßt, vorzugsweise überraschende Einblicke in das Armeewesen der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Ernste und heitere Bemerkungen und Auseinandersetzungen wechseln in großer Fülle ab. Zu den trefflichsten Charakteristiken gehören ohne Zweifel diejenigen der Generale Scott und Taylor, der Vorgesetzten Grant’s im mexikanischen Feldzuge. In Betreff des letzteren finden wir folgende humoristische Episode:
„General Taylor hat nie großen Pomp oder Prunk entwickelt, sowohl was Uniform, als auch was Gefolge betrifft. Bezüglich der Kleidung war er vielleicht gar zu einfach, indem er im Felde selten etwas trug, was seinen Rang zeigte oder ihn auch nur als Officier erkennen ließ, und dennoch war er von jedem Soldaten seiner Armee gekannt und von allen geachtet. Ich erinnere mich nur eines Falles, bei welchem ich ihn in Uniform gesehen habe, und von einem zweiten habe ich erzählen hören. Bei beiden Gelegenheiten war er unglücklich. Der erste Fall ereignete sich in Corpus-Christi, wo er vor dem Aufbruch der Armee eine Parade über dieselbe abzunehmen beschlossen und die diesbezüglichen Befehle ertheilt hatte. Oberst Twiggs war damals bei der Armee der Zweithöchste im Range, ihm wurde daher der Oberbefehl bei der Parade übertragen. Ihm am nächsten im Range stand Oberst und Titular-Brigadegeneral Worth, der bezüglich des Tragens der Uniform ganz andere Ansichten hatte als General Taylor und der kraft seines Titularranges die Superiorität über Oberst Twiggs beanspruchte, wo der Dienst es mit sich brachte, daß der Eine oder der Andere den Befehl führte. Worth weigerte sich, als Untergebener von Twiggs bei der Parade zu erscheinen, bis die Frage an höchster Stelle entschieden worden sei. In Folge dessen fand die Parade nicht statt, und die Angelegenheit wurde nach Washington zur endgültigen Erledigung berichtet. – –
Die zweite Gelegenheit, bei welcher General Taylor seine Uniform getragen haben soll, war ein Besuch, den der Flaggenofficier des vor der Mündung des Rio Grande liegenden Geschwaders ihm abzustatten beabsichtigte. Als die Armee an dem genannten Flusse stand, ließ der Flaggenofficier dem General sagen, daß er ihm an einem bestimmten Tage seine Aufwartung machen würde. General Taylor, dem es bekannt war, daß die Marine-Officiere bei allen feierlichen Gelegenheiten die vom Gesetze gestattete Parade-Uniform zu tragen pflegten, hielt es für nicht mehr als höflich, seinen Gast in derselben Weise zu empfangen. Er ließ deßhalb seine Uniform auspacken und reinigen und bekleidete sich mit derselben, ehe der Besuch eintraf. Nun kannte der Flaggenofficier aber die Abneigung des Generals Taylor gegen das Tragen der Uniform, und da er glaubte, daß Letzterer es als eine Höflichkeit auffassen würde, wenn er in Civilkleidung erschiene, so war er bei dieser Gelegenheit nicht in Uniform gekommen. Die Zusammenkunft soll in Folge dessen beiderseits große Verlegenheit bereitet und die Unterhaltung größtentheils aus Entschuldigungen bestanden haben.“
Schon aus diesen Citaten werden unsere Leser den Charakter der Memoiren erkennen. Sie sind weder trocken noch langweilig. Grant berührt in denselben vielfach wichtige politische Fragen, weiß aber auch aus der Fülle seiner Erinnerungen zu schöpfen, um in interessanten Erlebnissen das Bild des Zeitalters, in dem er wirkte und lebte, wiederzuspiegeln. Und darin hat er das Rechte getroffen. Aktenstücke über Staatsaktionen verwahrt man in den Archiven; in den Memoiren sucht man den vollen Menschen, wie er leibte und lebte – und wir finden ihn in der That in den Memoiren des Generals U. S. Grant.
- ↑ „Memoiren des Generals U. S. Grant“. Aus dem Englischen von H. von Wobeser. Erster Band. Leipzig, F. A. Brockhaus 1886.