Aus der Karlsbader Curliste

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Autor: Franz Wallner
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Titel: Aus der Karlsbader Curliste
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 440–442
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Aus der Karlsbader Curliste.

Von Franz Wallner.
Krapina, das originellste Bad in Europa. – Eine Curliste von Karlsbad. – Revue der Trinkenden. – Rothschild und sein Secretär. – Ritter vom Königswarter. – Eine mysteriöse Persönlichkeit. – H. Laube. – Hülfen und ein vormaliger Kurfürst. – Escamoteur Hermann. – Ein Meisenfresser. – Der Herausgeber des Bazar. – Charlotte Birch-Pfeiffer. – Küstner und Ascher. – Amerikanische Raubmörder. – Isaak und Estherche.

Tausend und tausend Bücher sind schon über die Frauen geschrieben worden, und doch ist das Thema nicht erschöpft; eben so geht es mit Karlsbad. So viel Tinte darüber geflossen, man entdeckt doch stets neue Vorzüge, ebenso wie bei den Weibern, beide Gegenstände sind eben – veränderlich, und daher die Ansichten darüber verschieden. Wie lange ist es her, daß der Curgast seine Heilungsmethode nach dem Sprüchwort. „Viel hilft viel“ verfolgte, daß man nur dann Erfolg und Wirkung von der Heilquelle hoffte, wenn man eine ungeheure Anzahl des heißen Sprudelwassers in sich hineingegossen und stundenlang in demselben gebadet hatte. Das Alles hat die neuere Heilkunde auf ein vernünftiges Maß reducirt, und selbst ein Gläschen Wein, früher auf der Liste der Genußmittel in einer Reihe mit Cyankali stehend, findet sich jetzt fast bei jedem Mittagscouvert der Curgäste. Wie verschieden überhaupt Heilquellen angewendet werden, ist unglaublich. Ich erinnere mich eines kroatischen Bades, „Krapitta“ genannt, in welchem, allerdings vor einer langen Reihe von Jahren, von den vielen Bauern, die dort Genesung suchten, folgende Procedur angewendet wurde. Im gemeinschaftlichen Vollbade saßen Männlein und Weiblein, wie im Paradiese, mit entblößten Rücken und nackter Umgebung des letzteren, paarweise zusammen. Der Rücken nun war mit einer Reihe der sonderbarlichst aussehenden Instrumente bespickt, nämlich der Bader setzte den Leuten auf den Schröpfschnitt statt der üblichen Schröpfköpfe die luftleeren äußersten Enden von Ochsenhörnern auf, wodurch augenblicklich eine große blutgefüllte Beule in den Raum des spitzigen Apparates emporgezogen wurde. Mit diesen Hornspitzen besäet – ich zählte auf einem Buckel über dreißig – saßen die Ehepaare im Wasser nebeneinander, je zwischen sich, auf einem Brettchen schwimmend, eine riesige Weinflasche, welcher abwechselnd einmal der Herr Gemahl, dann die brave Gattin in langen Zügen zusprach, wobei das weibliche Geschlecht ach eben nicht durch übergroße Mäßigung auszeichnete. Vor dem Badehause stand eine lange Wagenreihe, angefüllt mit riesigen Bettvorräthen. Sobald die letzte Flasche leer und die Blutströme vom Rücken oberflächlich abgewischt waren, lief die ganze Karawane, im Badecostüm primitivster Art, welches manchmal den Festkleidern der Südseeinsulaner nicht viel nachgab, zu ihren Wagen, vergrub sich paar- oder familienweise in die darauf liegenden Betten und jagte mit vollen Zügeln dem heimathlichen Heerde zu. Das war, vor ungefähr zwanzig Jahren, eine Badereise und Vergnügnugstour der Bauern in der Umgebung von Krapitta. ob es seit der Zeit anders geworden ist, weiß ich nicht.

In Petersburg war ich oft Zeuge, wie die armen Besucher der russischen Dampfbäder aus den glühenden Zellen in’s Freie liefen, den dampfenden nackten Körper im Schnee herumwälzten und dann in langen Sprüngen in die heißen Räume zurückeilten. Ländlich, sittlich!

Ich kehre auf dem langen Umweg über Krapitta und St. Petersburg wieder nach Karlsbad zurück.

Kein Curort in Europa erfreut sich in Bezug auf die erzielten Heilresultate eines so wohlgegründeten Rufes als Karlsbad. Die Wunder dieser Segensquellen zeigen sich in jeder Saison den Anwesenden und erneuern sich stets sichtlich vor den Augen derselben; man sieht Personen, oft aus fernen Erdtheilen, ankommen, wahre Todescandidaten, bleich und hinfällig, mit dunkelgelbem, vertrocknetem Antlitz, lebenssatt und hoffnungslos zu den Brunnen schleichen; kaum sind jedoch drei kurze Wochen verflossen, so begegnen wir diesen ehemaligen Leidensgestalten, die ach, uns nicht mehr kenntlich, ja frohe, frische, wohlbehäbige Weltbürger verwandelt haben und nun leicht und sicher hinschreiten in der würzigen Waldesluft, auf Bergeshöhen und im sonnigen Thal. Wie wäre es sonst auch möglich, daß Karlsbad die Concurrenz mit jenen Luxusbädern am Rhein und anderen Orten siegreich bestehen könnte, wo jedes Vergnügen, jede Annehmlichkeit dem Fremden nie geahnte Genüsse bieten, wo das ausgesuchteste Raffinement, die feinste Speculation auf die Börsen derselben jede Lockspeise aufstellt, um die Vögel mit dem goldenen Gefieder in’s Garn zu locken. Die Sirenen aus dem modernen Babylon an der Seine und die Spielbankpächter, sie lassen ihren Lockruf ertönen nach allen Richtungen der Windrose, keine Zerstreuung, kein Vergnügen, kein – Laster existirt, das sich nicht dem fernher Gewanderten, mit oder ohne Maske, zur Verfügung stellte. Dampfschiffe und Eisenbahnen vermitteln den raschen Verkehr und führen die „Vergnüglinge“ im Fluge ihrem Ziele zu. Von all’ dem bietet Karlsbad nichts, nicht einmal Schienenwege erleichtern die verhältnißmäßig sehr unbequeme Reise in das allerdings reizend hübsche, tiefe Thal im Herzen der böhmischen Berge, in dem das nette, reinliche Städtchen liegt. Nur auf die Natur angewiesen, hat der Kranke keine andere Aussicht, als die auf baldige, sichere Genesung und auf die bescheidensten Unterhaltungen.

Dagegen bietet die Natur dem Wanderer die reichste Entschädigung, und außerdem ist in letzter Zeit von Seiten der städtischen Behörde für Karlsbad viel gethan worden. Liefern doch das Spital für arme Kranke, so wie die Stiftung der Frau Elisabeth Roosen für verschämte, mittellose Fremde den Beweis, daß auch die minder glücklich situirte Mehrheit der Gesellschaft hier nicht vergebens an das Mitleid der Wohlhabenden appellirt.

Natürlich sieht es in der Hochsaison hier aus, „als ob die Menschheit auf der Wanderung wäre“. Morgens am Brunnen wogt und wallt es durcheinander, schwatzt es in allen Idiomen der Welt in babylonischem Gewirr. Das Lesen der Angekommenen in der Curliste ist manchmal eine Quelle harmlosester Heiterkeit. Welche Titel hat hier die Eitelkeit und die Naivetät verzeichnet! Da z. B. finde ich einen „Königlich preußischen ‚einjährigen‘ Freiwilligen“, der schon in diesem zarten Alter gezwungen ist, hier die strenge Cur zu gebrauchen; da ist ein letzter Repräsentant des, gleich den Postillons, auf dem Aussterbeetat stehenden Geschlechtes, das einst .so üppig geblüht: ein „Censor“ - aus Rußland natürlich. Eine „Kaiserlich-Königliche Briefträgerin“ wohnt Flur an Flur neben einer „Windmühlensgattin“, hier zeichnet sich mit kurzem Titel ein „Liquidator des Kaiserlich-Königlichen Civilgerichts-Depositenamtes in Wien“, während eine „wirkliche“ Geheimrathsgattin durch diese Versicherung den schnöden Verdacht zurückweiset, als sei sie nicht wirklich die Frau ihres Mannnes. In der nächsten Nähe der gliederreichen fürstlichen Familie von Schaumburg-Lippe finden wir einen „Altsitzer“, eine „Kleinhändlersgattin“ und einen „Branntweinsverschenker“, welch’ letzterem um den Absatz seiner Waare nicht bange zu sein braucht. Ein „Organist und Töchterlehrer“, ein „Präpositus“, so wie eine „Juwelière“ schließen den Reigen derjenigen, deren Bezeichnung in Bezug auf ihre Lebensstellung mir besonders auffiel, obgleich sich diese Blumenlese noch bogenlang ausdehnen ließe.

Den Beweis, welch’ eine enorme Ausdehnung die Versendung des Karlsbader Wassers seit zehn Jahren gewonnen, liefert der Umstand, daß die Zahl der Versendungen mit jedem Jahr um fünfzig- bis sechszigtausend Krüge steigt und im die fernsten Zonen geht.

Der neunundfünfzig Grad Réamür heiße Sprudel, welcher die übrigen warmen Brunnen bis zu achtunddreißig Grad Réamur herab mit dem heilkräftigem Wasser versorgt, ist so recht der Born der Wohlhabenheit für die ganze Stadt, und ich kann mir recht gut das Entsetzen der Bewohner denken, wenn der Fetisch von Karlsbad in übler Laune seine Bande sprengt, den heißen Strahl stockhoch und zischend in die Luft sendet und, dort versiechend, an einer andern Stelle, mitten im kalten Bett der Tepel sich neue gewaltige Bahnen bricht. Im Jahre 1834 fand der letzte dieser großen Sprudelausbrüche statt, und viele Tausende und Tausende von Ellen Leinwand mußten in die neue Oeffnung getrieben werden, bis diese, incrustirt den tief im der Erde siedenden Strom zwangen, wieder seinen alten Weg zu gehen.

Eine Revue der Trinkenden gehört zu den interessantesten Beobachtungen. Sehen wir uns diesen kleinen, schmächtigen Mann mit klugen deutschen Zügen etwas näher an; er hat das Aussehen [441] eines pensionirten preußischen Geheimrathes, ist auch in Wirklichkeit der geheime Rath für alle pecuniäre Nöthen, in denen Staaten und Fürsten liegen, es ist: Anselm Baron von Rothschild.

Wie ein Schatten folgt ihm Herr C. Leitner, sein Geheimsecretär und Reisemarschall, ein feingebildeter junger Mann, im musikalischen Dingen Autorität, selbst Virtuos ersten Ranges. – Hier eine junge, viel umschwärmte Dame, nach allen Seiten hin heiter lächelnd; wer sähe es der lebensfrohen Frau an, daß ihr, vor kaum Jahresfrist, der Mann von ihrem eigenen Bruder im Duell erschossen wurde? – Hier kauert schmerzhaft auf einer Bank gekrümmt, das große dunkle Auge halb in Pein geschlossen, ein armer polnischer Jude in einen schäbigen Talar gehüllt. Zwei Krücken neben ihm künden sein Leiden beredter an, als alle Worte.

„Kommt um neun Uhr zu mir,“ flüstert ihm ein Herr zu, mit behäbig gemüthlichem rundem Gesicht, in dem ein paar kluge, listige Aeuglein blinzeln. Es ist der Ritter von Königswarter, der bekannte Börsenkönig, von dessen schlagfertigem Humor die Wiener Börse gar viel zu erzählen weiß. „Der Lump glaubt, er sei ein reicher Mann, weil er eine Million verdient hat.“ Dies geflügelte Wort soll er über einen Parvenu ausgesprochen haben, der es auch richtig in Jahresfrist fertig gebracht, diese Million wieder „klein zu kriegen“, und eines schönen Morgens auf der Geld- und auf der Lebensbörse vermißt wurde.

Folgende nette Geschichte wurde mir von Königswarter von einer der hier in zahlreichen Exemplaren vertretenen Species der Geldleute erzählt. Er traf nach vielen, vielen Jahren hier in Karlsbad mit einem ehemaligen Schulcameraden und Geschäftsgenossen zusammen, der inzwischen als Banquier in einer Provinzstadt sein Glück gesucht und gefunden hatte. In sehr ostensibler Weise bewillkommt der Landsmann den reichen Wiener Großhändler und spricht seine Freude aus, ihn in so glänzenden Verhältnissen wieder zu sehen. „Gottlob,“ sagt er, „lieber K., wir können uns Beide sehen lassen, wir haben es Beide zu Etwas gebracht in der Welt. Wie viel Vermögen hast Du?“

„Wie viel besitzest Du, lieber R.?“ antwortete dieser ausweichend.

Stolz und imponirend versicherte dieser, er Habe ein Vermögen von viermalhunderttausend Gulden. „Und Du?“

„Viermalhunderttausend Gulden,“ sagt K. nachdenkend, „das ist ein schönes Vermögen! Weißt Du was, wenn Du, was Gott verhüten wolle, Dein Vermögen verlieren solltest, so schreibe an mich, lieber Landsmann, ich werde Dir’s ersetzen!“ –

Eine groteske Figur kreuzt unsern Weg. Unter einer auffallenden hellen Mütze, die mit schottischem Stoff verbrämt ist, welcher Stoff von dem gleichen kurzen Röcklein übrig geblieben scheint, das der Besitzer trägt, wird ein scharf gezeichneter, von tausend Linien durchfurchter Kopf sichtbar, welcher mit einem fuchsrothen, in zwei Spitzen auslaufenden langen Bart endet. Den oben erwähnten gelben, mit breiten schottischen Streifen besetzten Rock zieren große kugelförmige silberne Knöpfe, die Beine stecken in preußischen Soldatenhosen, über welche die Stiefel gezogen sind. Bei rauher Witterung hat er einen Ueberzieher aus Seehundsfell – nach seiner Behauptung die Haut eines „ungeborenen Tigers“ – dessen rauhe Seite nach außen gekehrt, um Regen noch durch einen darüber gehängten Gummimantel geschützt ist. Alle Welt hat sich den Kopf zerbrochen, wer der abenteuerlich, stets einsam wandelnde Mensch sein möge, bis mich ein Zufall hinter das Geheimniß gebracht. Der Mann ist Besitzer eines wohldressirten Pferdchens, eines „Doppelponum“, wie er sagt, welches „jedes geschnaubte und ungeschnaubte Taschentuch beliebig apportirt.“ Hier ist er Curgast, und giebt – stolz lieb’ ich meinen Spanier – keine Vorstellungen mit seinem kunstreichen Thiere, wohl aber spannt er es manchmal vor ein kleines Wägelchen, welches mit Kreide über und über mit frommen und weisen Sprüchen beschrieben ist, die sich freilich nicht durch den Reiz der Neuheit auszeichnen, z. B. „Anfang, bedenke das Ende“, „Des Herrn Auge macht die Pferde fett“ etc. Das Merkwürdigste an dieser mysteriösen Persönlichkeit ist, daß seine Hausleute behaupten, „er esse nie“, wenigstens habe ihn nie irgend eine menschliche Seele in Karlsbad der profanen Beschäftigung des Essens sich hingeben sehen. Ich habe den Mann im Verdacht der Semmelcur.

Ein liebliches Wesen, mit langen schwarzen Locken und brennenden ditto Augen, in tiefe Trauer gekleidet, zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. Niemand würde glauben, daß dies reizende Persönchen unter polizeilicher Aufsicht steht. Es ist der vor mehreren Jahren viel genannte Adjutant und weibliche Freund eines bekannten polnischen Insurgenten. Jetzt geht sie an der Seite eines alten Herrn, der nichts weniger als heldenhaft aussieht, wenn ihm auch die Eroberung des schönen „Adjutanten“ gelungen zu sein scheint.

Dieser nobel aussehende Herr, welcher ein Leiden mit Lord Byron theilt, ist Baron Bethmann aus Frankfurt am Main, der seinen Ruf wenigstens zur Hälfte dem Besitze von Dannecker’s schönem Meisterstück „Ariadne“, und nur zur kleinern Hälfte seinem Reichthum dankt. Sein wunderschönes Töchterchen ist eine Meisterin auf dem Piano.

Ein feuriges Gespann vor einer höchst eleganten Equipage, von einer Dame gelenkt mit sicherer Hand, zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich. Der Besitzerin dieses prächtigen Gefährtes ist es nicht an der Wiege prophezeit worden, daß ihr Wappen einst eine Herzogskrone zieren und daß sie Verwandte auf europäischen Thronen begrüßen würde.

Heinrich Laube, obgleich selten im Trubel sichtbar, gehört zu den bekanntesten und beliebtesten Habitué’s von Karlsbad. So lange Laube nicht hier ist, sagte mir ein hiesiger Bürger, hat die Saison noch nicht begonnen! Man ist stolz darauf, daß Laube seit vierunddreißig Jahren jeden Sommer die Heilquellen besucht, man nennt seinen Namen mit Ostentation und hoher Achtung. Mit Laube ist, diese Saison zum ersten Mal, Robert Heller eingezogen, der als schüchterner Curanfänger an den Quellen nippt. Er scheint sich mit mehr Resignation in sein Geschick zu finden, als in die hiesige frühe Speisestunde, die er hartnäckig aus der hier landesüblichen Zeit von ein Uhr um zwei Stunden hinausschiebt. Auch der talentreiche Lustspieldichter G. von Moser muß hier Buße thun für die reichen Mahle auf seinem prächtigen Rittersitz in Schlesien und auf den Schlössern der gastfreundlichen Nachbarn. Dieser stattliche Cavalier mit der schönen Frau und ebenso schönen Tochter am Arm ist der General-Intendant von Hülsen, der Chef sämmtlicher Hofbühnen Preußens, ein vielbekannter und genannter Mann. Wir wollen hiermit, indiscreter Weise, das Geheimniß verrathen, daß die geistreiche Frau von Hülsen demnächst, leider unter fremdem Autornamen, die Lesewelt mit einem Bändchen vortrefflicher Novellen beschenken wird.

Hier ein Ehepaar, einfach, schlicht und bieder aussehend, dem Anschein nach ein braver Major, der sich, nach redlichen Mühen im Dienste des Staates, zur wohlverdienten Ruhe gesetzt hat.

Wie trügerisch der Schein hier waltet! es ist der „verflossene“ Kurfürst von Hessen-Cassel mit Frau Gemahlin. Der bildhübsche, nur etwas zu geschniegelt gezierte junge Mann an beider Seite ist Se. Hoheit der Prinz von Hanau, des gewesenen Kurfürsten Sohn und Erbe.

Dieser Herr, gelb gefärbt, als ob er die tropische Sonne über seinem Scheitel brennen gefühlt hätte, der in cholerischer Laune die Brunnenmädchen in allen Sprachen der Erde auszankt, ist der berühmte Escamoteur Hermann, dem das seltene Kunststück gelungen, dem Publicum zweier Welttheile das Geld aus den Taschen und sich zum reichen Mann zu zaubern.

Immer ohne Hut und Haare, begegnet uns Freund Hugo Wigand, der meilenfressende, stets auf weiten Ausflügen begriffene bekannte Leipziger Verlagsbuchhändler. Sitzen oder stille stehen sah ihn noch kein Sterblicher!

In stattlicher Equipage fährt hier ein in besten Jahren stehender Mann von gewinnendem Aeußern: es ist der Geheime Commercienrath von Schäffer-Voit aus Berlin, der Gründer des „Bazars“, der ihn zum Millionär gemacht. Nur das dringendste Gebot der Aerzte hat ihn hierher getrieben nach Karlsbad, wo ihn vor drei Jahren der herbste Schmerz ereilte, der ein Menschenherz zermalmend treffen kann. Hier traf die Nachricht ein, daß sein Sohn, der Stolz und die Freude der Eltern, ein blühend schöner junger Mann und wackerer Soldat, in Folge seiner Tüchtigkeit auf dem Schlachtfeld zum Officier ernannt worden sei. Mitten in dem Jubel der beglückten Eltern schmetterte eine telegraphische Depesche alle Hoffnungssaaten nieder, indem sie die Kunde brachte, daß der junge, hochbegabte Mann ein Opfer der Cholera geworden sei. Nie habe ich menschlichen Jammer, trostlose Verzweiflung sich in erschütternderer Weise aussprechen sehen, als hier bei den armen Eltern des Heimgegangenen. Die muntere, lebensfrohe Frau wurde vor meinen Augen eine Greisin, und bis zur Stunde haben die armen reichen Leute diesen qualvollen Schlag [442] nicht verwinden können. Mögen sie Trost finde in dem Erblühen der heiteren Kinderschaar, welche ihnen des Himmels Rathschluß noch gelassen.

Eine fast alljährlich hier Anwesende vermisse ich diese Saison mit schwerem Herzen. Charlotte Birch-Pfeiffer, die sich schon im vorigen Sommer in ihrer „unfreiwilligen Equipage“ zum Brunnen führen lasten mußte, sie kommt nicht wieder, sie ruht aus in heimathlicher Erde. Selbst beim schwersten Leiden verlor die muntere Frau nie ihre gute Laune, mit beneidenswerthem Humor sprach sie über ihren Zustand, dessen Gefahr ihr kein Geheimniß war. Allem wußte die prächtige „Mutter Birch“, wie wir sie sämmtlich nannten, eine heitere Seite abzugewinnen, nie hörte man sie nach „Blaustrumpfweise“ von ihren Werken reden. Doch, wie ging ihr das Herz auf, wenn man vom „Wurm“ - diesen Spitznamen hatte ich ihrer talentreichen Tochter, der jetzigen Frau von Hillern, aufgebracht – zu sprechen anfing, stundenlang konnte sie bei diesem ihr theuren Thema bleiben. Und wie zudringlich konnte die sonst so bescheidene Birch werden, wenn es die Unterstützung ihrer Armen galt! Braves Herz, sei dir die Erde leicht! - Auch Küstner, der frühere Hoftheater-Intendant von Berlin, ist seit, einigen Jahren nicht mehr stabiler Curgast von Karlsbad, sondern seit lange ein stiller Mann geworden. Ein komischeres Original als den alten Herrn, ein wunderlicheres Gemisch von Großmuth und Geiz konnte man sich nicht denken. In Berlin pflegte er – öfters kleine Diners zu geben, bei welchen es nichts weniger als splendid herging, und wobei Grüneberger Champagner, Schattenseite, dritte Qualität, für die Gäste eine sehr unwillkommene Hauptrolle spielte. Bei einer solchen Tafel erbat sich Anton Ascher, der witzigste meiner Collegen, ihm das Eröffnen der ersten Flasche anzuvertrauen, weil er einige Worte zu sprechen wünsche. Nun ist Ascher im Improvisiren heiterer Tischreden, ein Unicum, daher eine solche Offerte von ihm stets hoch willkommen.

„Meine Herren,“ beginnt Ascher, den Bindfaden am Kork, dessen Draht, bereits durchgeschnitten, festhaltend, „meine Herren, erlauben Sie mir, daß ich das Wohl unseres freundlichen Wirthes ausbringe, in diesem edlen Getränk“ – hier knallt der Pfropf, Ascher führt das Glas an den Mund, aber setzt es sofort ab, heftig ausrufend: „Ich nehme mein Wort zurück!“ Nach einer Pause sagt er, wie einer, großen Gefahr entgangen, zu Küstner: „Welch’ ein Glück, daß keine Kinder im Hause sind, die zufällig. von dem Wein hätten trinken können! Das größte Unglück konnte entstehen.“

Man kann sich das Gelächter der Gäste denken, an denen nun der gefürchtete Champagnermoment vorüber ging, während der Hausherr mitlachend dem Diener den Auftrag gab, einige Flaschen echten Cliquots aus dem Keller zu holen.

Mein freundlicher Leser sieht, daß alle Menschenclassen hier in Karlsbad vertreten sind, wenn ich ihm auch nur die bekannteren Persönlichkeiten vorgestellt habe. Alle Länder der Erde, alle Stände stellen ihr Contingent hierher, nur der Abenteurer, der Spieler, der Glücksritter findet hier keinen ihm zusagenden Boden, der bleibt fort. Wer sollte aber denken, daß ein „Raubmörder“ vor zwei Jahren, den Versuch gemacht, hier Gastrollen zu geben? Zwei junge Bursche waren hier eingekehrt und hatten sich als „Studirende“ in die Fremdenliste eintragen lassen. Der Eine setzte seinen Stab bald wieder weiter, der Andere blieb. Da brachte eine Amerikanerin auf die Polizei die wunderliche Anzeige, daß sie auf einer der beliebtesten und belebtesten Promenaden, auf dem sogenannten Vieruhrweg, von einem jungen Mann um Almosen angesprochen worden sei, und daß der fremde, gut gekleidete Bettler, als sie von seinem Begehr keine, Notiz nahm, ihr mit einem Pistol nachgeschossen hätte. Die Sache erschien so unwahrscheinlich, so ungeheuerlich, daß man dieselbe für eine Ausgeburt amerikanischer Excentricität hielt und ihr wenig Beachtung schenkte. Den folgenden Abend kam die Familie eines angesehenen Badegastes von einem Ausflug heim, da bemerkte die Tochter, als sie ihr Zimmer betrat, bei bereits einbrechender Dunkelheit eine versteckte Mannsperson unter dem Sopha liegend. Das junge Mädchen hatte die Geistesgegenwart, scheinbar ganz unbefangen, ein Liedchen zu trällern und die Stube zu verlassen. Halb todt vor Entsetzen berichtete sie den Eltern, was sie gesehen. Man dringt in’s Zimmer und befiehlt dem Eindringling hervorzukommen. Da ertönt ein Knall, der junge Räuber hatte sich selbst gerichtet und durch die Brust geschossen. Den folgenden Tag starb er, nachdem er das Bekenntniß abgelegt, daß er allerdings auch nach der Dame im Walde geschossen habe. Der Bursche war der Sohn braver Eltern aus Wien, ein Handwerkerlehrling, welchen Genuß- Und Abenteuersucht auf den Weg des Verbrechens trieb. Man fand bei ihm einen baaren Vermögensbestand von zehn Kreuzern und die unbezahlte Gasthausrechnung.

Die vier Wochen sind um. Trotzdem sich unser Gesundheitszustand auf’s Erfreulichste gebessert, danken wir doch dem Himmel, daß wir das Pensum hinter uns haben. Wir fahren neu gestärkt und gekräftigt der Heimath zu. In Eger treffen wir einen witzigen, polnischen Juden, an dessen schlagfertigen Antworten wir uns in Karlsbad schon oft erfreut! Er reist in Geschäften nach Hamburg, seine Frau begleitet ihn an die Eisenbahn. „Lebe wohl, Isaak,“ ruft sie und reicht ihm noch einmal die Hand, „lebe wohl, reise mit Gott!“ - „Unsinn,“ antwortet Isaak, „Unsinn, Estherche! Wenn der liebe Gott mit nach Hamburg reist, so wird er nicht fahren dritte Classe!