Aus der guten alten Zeit (Die Gartenlaube 1876)
Im Grunde sind die Hohenzollern keine Jagdfamilie, wie die Habsburger, die Bourbons, die Anhaltiner. Die fränkische Linie jedoch des Hauses Hohenzollern lag, in Ermangelung weiterer auf höhere Ziele gehender Beschäftigung, dem Waidwerke so eifrig ob, daß der Markgraf Karl Wilhelm Friedrich, wie man damals im Ansbacher Lande sich sagte, selbst ein halber Hirsch geworden war.
Sobald die Dunkelheit einbrach, hörte man überall auf der Flur weithin das laute Geschrei von Menschen. Sie geberdeten sich in ihrem Eifer, ihre Stimmen möglichst laut ertönen zu lassen, wie die besessenen Derwische. Eigenthümlich! Und das ging durch ganze Markungen. Die Lösung des Räthsels war folgende. Der Wildstand, namentlich an Hochwild, war im markgräflich ansbachischen Gebiete außerordentlich groß. Den Wildstand zu pflegen ließen sich die Nimrode von Ansbach weit mehr angelegen sein, als dem armen Bauer, der im Schweiße seines Angesichts das Brod baute und die Steuern zahlte, die Saat, die Hoffnung seiner Arbeit zu schützen. Das Wild brach beim Einbruche der Dunkelheit aus den Forsten und fraß die junge Saat ab; das einzige Mittel dagegen war das Abschrecken durch laute Rufe. Durch die ganze Nacht mußten dieselben unterhalten werden, wenn nicht die Eigenthümer des Bodens ihre Ernte auf’s Spiel setzen wollten, im Sommer wie im Winter. Kein Gewehr, kein Knittel, kein Hund durfte dazu verwendet werden – das war bei Zuchthausstrafe verboten.
Solche Zustände existirten noch zu einer Zeit, wo die große auf die Befreiung des Individuums hinzielende geistige Bewegung in vollster Blüthe stand und schon Früchte zu treiben begann. Als das Land an Preußen überging, wurde dieser Barbarei ein Ende gemacht. Eine der ersten Regierungsmaßregeln Hardenberg’s war, daß er das Hochwild bis auf einen gewissen Bestand abschießen ließ. Die ärgsten Mißstände in dieser Beziehung existirten unter dem vorletzten Markgrafen, dem bereits genannten Karl Wilhelm Friedrich, der im Lande und bei seinen Zeitgenossen nur „der tolle Markgraf“ genannt wurde.
Er war im Jahre 1712 geboren und durch seine Gemahlin Friederike Louise ein Schwager Friedrichs des Großen. Nachhaltigen Einfluß scheint die doppelte Verwandtschaft eben nicht auf ihn gehabt zu haben. Die beiden Schwäger standen auch in keinem besonders freundlichen Einvernehmen zu einander. Der Markgraf behandelte die Schwester des Königs in der unwürdigsten Weise. Als etwas ganz Außerordentliches ereignete es sich, wenn der fürstliche Gemahl zur Feier eines Geburtstagsfestes mit der Gemahlin einmal ein paar Tage zusammen war, und dann befand er sich von früh Morgens bis zum späten Abend auf der Jagd.
Vor seinem Schwager, dem Könige von Preußen, scheint er keinen sehr großen Respect gehabt zu haben. Der König war ja doch kein Jäger: dieser hatte auch nur kriegerische Trophäen aufzuweisen; er spürte nur dem geistigen Wilde vergangener und gegenwärtiger Zeit nach. Was war das gegen die Trophäen, wie er sie im Schloßhofe von Ansbach aufzuweisen hatte, in den Geweihen von jagdbaren Hirschen, in den angeschlagenen Eber-, Wolfs- und Bärenköpfen, diesen Trophäen seines wilden Geistes! Das war doch etwas ganz Anderes. Das ganze Land war sein Jagdrevier, sein Jagdpersonal fast ebenso groß, wie seine Armee. Die Falknerei allein bestand aus einem Personale von nahe an fünfzig Personen. Es ist anzunehmen, daß er in Ermangelung des Wildes seine Untertanen abgeschossen hätte und selbst seine Kammerherren nicht geschont haben würde, deren er über hundert hatte.
Mit seinen Nachbarn, den regierenden Herren von Nürnberg, stand er stets auf Kriegsfuß. Er besaß einen Affen, der die Tracht eines Nürnberger Rathsherrn trug, und nicht selten wurden die Bewohner Nürnbergs durch Büchsenknallen aus ihrem Schlafe aufgeschreckt. Das war das Zeichen, daß der Markgraf da war und unter den Mauern von Nürnberg, bis wohin sein Gebiet sich erstreckte, Jagd abhielt. Die Hasen wurden in Säcken herbeigeschafft, um so durch diesen Rebus den Nürnbergern ihren Spitznamen „Sandhasen“ recht eindringlich zu machen.
[859] Seine Meute war in einem Gehege unweit des Lustschlosses Triesdorf untergebracht. Triesdorf selbst umfaßte einen der größten Thiergärten, die man in deutschen Landen finden konnte.
Eines Tages eilte er von der Jagd nach Hause, sehr übler Laune über die schlechte Jagd. Der Leibpiqueur, der mit ihm ritt, sah den Ausbruch eines Wuthanfalles vorher. Gewöhnlich entlud sich derselbe auf den Nächsten, Besten, der in der Nähe war, und der schlaue Jäger wollte dieser Gefahr entgehen. Er suchte die Gedanken des Markgrafen auf die Meute zu lenken und erreichte auch seinen Zweck, indem er bemerken konnte, daß die Hunde nicht scharf genug gewesen wären, nicht zugefaßt hätten, dadurch sei der Hirsch ihm durch die Lappen gebrochen. Nach seiner Ansicht würde überhaupt die Meute vom ersten Piqueur, der zu ihrer Pflege bestellt sei, vernachlässigt. Der Markgraf schwieg. Statt den Weg unmittelbar nach dem Schlosse einzuschlagen, bog er nach dem Wartehofe der Hunde ab.
Die Rüden waren von der Jagd heimgeführt worden; man hörte ihr lautes Gebell inmitten der hohen Mauern, die den Hof umschlossen, und dann den Ruf des Wärters, der sie in die Ställe zurücktrieb.
Das Wärterhaus lag unmittelbar vor dem Rüdenhof; der Haupteingang in denselben ging durch das Haus; der Hof hatte nur noch einen kleinen engen Ausgang nach dem Thiergarten. In dem Wärterhause wohnte der erste Piqueur, der die Pflege der Hunde unter sich hatte. Es waren deren über zweihundert. Der zweite Piqueur, der mit dem Markgrafen ritt, war früher ein Mitbewerber um die Gunst der schönen Els von Gunzenhausen gewesen – sie war keine Adelige, aber so schön und liebreich, daß sich wenig Edelfräulein mit ihr messen konnten. Sie wohnte gleich vorn am Thor von Gunzenhausen, war des Thorschreibers Tochter. Aus der schönen Els von Gunzenhausen war nun die Frau des ersten Piqueurs geworden; sie hatte einen braven und hübschen Mann bekommen, was ihr eben von ihrem Mitbewerber nicht zu Theil geworden wäre. Dieser sollte ihr darum auch heimlichen Haß nachtragen. Ihr ältester Knabe spielte im Augenblicke, wo der Markgraf anritt, vor dem Hause, ein bildschöner, braunäugiger Bube. Er hatte sich Haidekraut gepflückt und war damit beschäftigt, sich daraus einen kleinen Garten einzurichten. Er muß den Tritt des Rapphengstes des Markgrafen schon gekannt haben, denn er floh bei dem Geräusche ängstlich in das Häuschen. Es war so Sitte bei den Unterthanen, daß sie ihrem Landesherrn behutsam aus dem Wege gingen; man war nie sicher, ob man von ihm nicht Eins auf den Pelz bekam.
Vor dem Wärterhäuschen hielt der Markgraf. Niemand war zu sehen. Das reizte seinen Zorn. Dann sah er den Knaben furchtsam hinter der Thür hervorlugen.
„Willst her kommen?“
Das Kind zögerte.
„Sacrementischer Bub’ – willst?“
Scheu und zitternd kam das Kind aus seinem Versteck zum Vorschein. Der Anblick des Kleinen schien seinen aufsteigenden Zorn zu bezwingen. Das Gesicht war nicht mehr so dunkelroth, als noch einige Secunden zuvor.
„Wo ist Dein Vater?“
„Aus dem Hof. Er giebt den Hunden Appell.“
„Geh, sag ihm, er soll herkommen!“
Und der Bube lief was er konnte, um dem Markgrafen aus dem Gesichtskreis zu kommen. Wenige Minuten nachher kam ein junger, hübscher, brünetter Mann in der rothen Piqueurjacke durch den Hausgang, machte einen unterthänigen Bückling und blieb auf der Schwelle seines Hauses stehen, der Anrede des fürstlichen Herrn gewärtig.
„Warum waren die Hunde beim Lüften so lässig?“
„Das weiß ich nicht, durchlauchtige Gnaden. Die Thiere scheinen mir nicht recht gesund zu sein. Ich habe schon einmal Durchlauchtige Gnaden zu sagen mir verstattet, daß vielleicht der Stall die Ursache ist – er ist zu feucht.“
Ein lautes Hohnlachen aus dem Munde des Markgrafen war die Antwort.
„Warum sollen Thiere nicht ebenso wie Menschen allerlei Gebresten unterworfen sein?“
„Pack’ Deine Zunge in Deinen Rachen! Meine Ställe zu feucht! Vielleicht Dein Beutel zu tief in dem mein schönes Geld für die gute Fütterung verschwindet. Am Ende giebst Du ihnen das Aasfleisch abgeluderter Pferde – stehst mit dem Schinder auf gutem Fuß. Was? Wie? Sprich, Halunke!“
„Das ist nicht an dem, durchlauchtige Gnaden. Die Thiere kriegen das Fleisch, das sie zu bekommen haben, und auch die übrigen Portionen voll und reichlich.“
„Will Er wohl schweigen? Er hat nichts zu raisonniren gegen Seinen Herrn.“
„Aber wenn mich durchlauchtige Gnaden an meinem Point d’honneur anfassen, dann hat jeder Mensch ein Recht –“
Der Piqueur konnte seine Rede nicht vollenden. Der Markgraf hatte in seiner aufwallenden Zorneswuth die Pistole aus der Halfter gerissen – ein Knall – der Piqueur taumelte, machte mit dem Körper einige Wendungen, fiel vorn über und dann zurück. Auf den Schuß waren seine Frau und auch der kleine Knabe herbeigeeilt; sie kamen gerade noch zur Zeit, um das Sterben des Vaters zu sehen. Das Blut floß aus der Wunde am Kopf und in seinem Jammer holte das Kind sein Haidekraut herbei, um das Blut zu stillen. Umsonst! Nach wenigen Minuten war der Piqueur eine Leiche. Der Markgraf war davon geritten.
„Der Markgraf hat meinen Mann erschossen,“ schrie, jammerte die arme Frau. Und das Auge des Kindes folgte dem Davoneilenden mit einem Blicke des Hasses nach.
Jahre waren seit dieser Unthat vergangen. Von dem Markgrafen hatte man sich seitdem so viel Neues zu erzählen gehabt, daß man die alte Geschichte längst vergessen hatte. Auf dem Grabe des Leubinger – so hieß der Erschossene – war Gras gewachsen; ein neuer Piqueur wohnte in dem Hundewärterhäuschen. Der Mann, der damals mit dem Markgrafen ritt, hatte den Lohn seiner Thaten geerntet: er hatte eines Tages Wolfsfallen gelegt und mußte dabei nicht mit der nöthigen Vorsicht zu Werke gegangen sein – man fand ihn in der Grube, seinen Leichnam von den Wölfen halb zerrissen. Die Wittwe des Erschossenen war mit einem Gnadengelde abgefunden worden und verschwunden sammt ihrem kleinen Buben. Wohin Beide gekommen, wußte Niemand.
Da meldete sich eines Tages beim Obrist-Falkenmeister ein junger Mensch von etwa einundzwanzig Jahren, im Aeußern ein echtes Jägerblut, schlank von Wuchs, braun von Augen und Haar und mit einem gar anmuthenden Wesen. Er nannte sich Martin Wendel und kam aus dem Hohenloheschen herüber mit einem Empfehlungsschreiben des Oehringer Ober-Jägermeisters. Er wurde zum fürstlichen Waidwerke als besonders qualificirt empfohlen, wisse auch mit Pferden umzugehen, sei brav und geschickt, und man habe ihn fürstlicherseits ungern entlassen; er habe sich wo anders versuchen wollen. Wendel wurde angenommen und zeigte sich in seinem „Metier“ so vorzüglich, daß der Markgraf auf ihn aufmerksam wurde und er eines Vorzugs genoß, dessen mancher Kammerpräsident sich nicht rühmen konnte. In kurzer Zeit wurde der junge Mensch dem Nimrod von Ansbach so unentbehrlich, daß dieser ihn beständig um sich haben wollte, nicht nur draußen im Walde, sondern auch in den Prachtsälen des Ansbacher Schlosses. Er gehörte zur unmittelbaren Bedienung des Markgrafen, und nicht lange währte es, so stand der neue Leibjäger Seiner Durchlaucht in einer Gnade und Gunst, um die ihn mancher vornehme Hofbeamte beneidete.
Keiner wußte sich auch so gut in die Launen des Herrn zu schicken. Wenn Alles vor den Wuthanfällen des Markgrafen zitterte und floh – der Leibjäger blieb und lachte. Er lachte, wenn der Markgraf guter Laune war – was nicht gar zu oft sich ereignete –, er lachte, wenn jener tobte und drohte. Der junge Mensch hatte in seinem Blicke etwas von jenen Eigenschaften, welche man den Bändigern wilder Thiere zuschreibt.
Als der Markgraf eines Tages an dem Rüdenhofe und dem Wärterhäuschen vorfuhr, schickte er seinen Leibjäger ab, um dem Piqueur sagen zu lassen, wann morgen früh zur Sauenjagd die Hunde auf die Fährte abgelassen werden sollten.
Der Leibjäger zögerte, den Befehl auszuführen.
„Nun?“ herrschte ihn der Markgraf an.
„Ich gehe nicht dahinein,“ erklärte der junge Mensch.
„Warum willst Du nicht gehen?“
„Ich kann’s nicht,“ war die Anntwort.
Dem Markgrafen kam der Zorn wieder, aber dann schallte ein so furchtbares Lachen an sein Ohr, und er sah in ein so todtenbleiches verzerrtes Angesicht, daß ein Beben über ihn kam.
[860] „Der Leubinger!“ stöhnte er für sich und befahl schnell weiter zu fahren. Er glaubte in dem jungen Menschen den erschossenen Leubinger vor sich gesehen zu haben.
Bald jedoch war das vergessen – der Leibjäger lachte wieder wie gewöhnlich. Da wurde das Schloß zu Ansbach der Schauplatz einer grausigen That, noch grausiger, als die vor dem Wärterhause des Rüdenhofes.
Der Markgraf hatte den Hosenbandorden von Georg dem Zweiten von England erhalten, und als Souverän gegen Souverän beschloß er, seinem „Herrn Vetter“ in England seinen Orden, den brandenburgischen rothen Adlerorden in Brillanten, als Gegenpräsent zu verehren. Es müßte besser mit den ansbachischen Finanzen bestellt gewesen sein, hätte der Markgraf eines Hofjuden entbehren können; ohne Maitresse, ohne Porcellanfabrik und ohne Hofjuden gab es damals wenige Fürsten. Isaak Nathan hieß der Ansbachische; unter dem bescheidenen Titel eines Residenten war er in der That der Finanzminister des Ländchens. Als solcher sorgte er aber weniger für das Land, als für die Bedürfnisse des Hofes. Der sollte auch die Diamanten für den Orden besorgen und übergab das Geschäft einem Stammgenossen, einem gewissen Ischerlein. Der Orden ging an den König ab. Es vergingen Monate, ohne daß eine Danksagung des Königs erfolgte. Da man mit Curialien im vorigen Jahrhundert noch mehr als in unserer Zeit es genau zu nehmen pflegte, so schöpfte der Markgraf Verdacht. Durch seinen Residenten in London ließ er sich erkundigen und erfuhr denn auch, warum ihn sein königlicher Vetter keiner Antwort gewürdigt hatte. Die Diamanten waren falsch – Ischerlein hatte seinen Glaubensgenossen und den Markgrafen betrogen. Der Betrüger wurde auf das Schloß citirt, zugleich aber auch der Scharfrichter. In den Gemächern des Markgrafen wurde die Execution an dem Uebelthäter vollzogen. Als Ischerlein den Scharfrichter erblickt hatte, suchte er in seiner Todesangst von dem Stuhle aufzuspringen, aber an den Stuhl bereits angebunden, schleppte er denselben mit durch die Hälfte des Saales, bis er vom Scharfrichter erreicht wurde, der ihm den Kopf vom Rumpfe trennte.
Außer den betheiligten Personen waren nur der Markgraf und der Leibjäger bei der gräßlichen Scene zugegen. Das dumpfe Gerücht der Unthat verbreitete sich bald im ganzen Schlosse. Die Laute des Schreckens erstarben dem märkgräflichen Gesinde auf der Zunge. Wer konnte sich vor den wahnsinnigen Ausbrüchen des Wütherichs noch sicher glauben? Aus Angst wagte man nur noch, sich das Entsetzliche in’s Ohr zu flüstern.
Der Leibjäger lachte und noch auffallender, als je zuvor.
Der Markgraf glaubte Gerechtigkeit geübt zu haben, wenigstens schien ihm der Tod des Juden keine Gewissensbisse zu machen.
Unter dem Gesinde wie in der Stadt war die Sage im Schwange, Ischerlein ginge im Schlosse um.
Kurze Zeit darauf entließ der Markgraf eines Abends seinen Leibjäger mit folgendem Befehl: „Morgen früh um acht Uhr auf die Pirsche nach Herrieden zu! Vielleicht, daß einige feiste Hirsche unseres Herrn Nachbars, des Eichstädter Pfaffen, auf unserm Revier wechseln und wir sie ihm abschießen können.“
An der Thür wandte sich Martin Wendel mit der Frage an seinen Herrn:
„Und wen befehlen Ew. durchlauchtige Gnaden zur Begleitung?“
„Niemanden. Nur Du kommst mit – Du fährst mich.“
Es war ein schöner Herbstmorgen, als die Beiden in einem offenen Jagdwagen aus dem Schloßthore hinaus auf die Straße gegen Herrieden zu hinfuhren. Der Markgraf saß im Fond; der Leibjäger fuhr. Die Gewehre standen im Wagen. Sie mochten etwa zwei Stunden Wegs zurückgelegt haben, bis zum Anfange eines Forstes, der die Straße von beiden Seiten umfaßte. Es war eine Einöde, rings nur Wald, keine von Menschen bewohnte Stätte zu sehen, nur wüstes Bruchland nach der Richtung hin, wo der Wald einen Ausblick eröffnete, nach dem Grenzsteine, der ansbachisches und eichstädtisches Gebiet schied. Der Lenker des Jagdwagens hielt an.
„Ist den Pferden was?“ rief der Markgraf.
Der Leibjäger gab keine Antwort und stieg ab.
„So fahr’ doch in drei Teufelsnamen zu! Wir sind noch nicht zur Stelle. Dort, hart an dem Grenzsteine will ich die Jagd machen, den Pfaffenjägern vor der Nase.“
„Es geht nicht weiter,“ sagte der Leibjäger mit düsterem Blicke.
„Kerl, so sag doch an, was nur ist!“
Da erhob sich die Stimme des bisher so unterwürfigen Dieners befehlend; gebieterisch und dämonisch wie ein Schicksal stand er vor dem Gewaltigen.
„Es geht überhaupt nicht weiter mit Euch, Markgraf. Hier ist die Grenze Eures Gebietes und Eurer Thaten. Steigt aus.“
So gewaltig und so lähmend war der Eindruck dieser Worte und der Person des Sprechers, daß der Markgraf fast willenlos dem Befehle gehorchte.
„Kniet nieder, Markgraf!“
Bei diesem Befehle kam das Bewußtsein seiner Persönlichkeit und der Stellung, die dieser Knecht zu ihm einnahm, wieder in voller Klarheit über den Fürsten.
„Ha, elender Hund, was muthest Du Deinem Herrn zu? Dein Mund soll Niemandem verkünden, wozu Du Dich gegen mich vergangen hast. Schon die Kunde davon wäre eine ewige Schmach für einen Fürsten.“
Er griff nach einem der Gewehre, die im Wagen standen, und legte auf den Jäger an. Der aber lachte und rief:
„Dafür ist gesorgt – die Gewehre geben keinen Funken. Das hättet Ihr eher thun müssen, um Euch zu vergewissern, ob sie geladen sind.“
Dem Markgrafen trat der Angstschweiß auf die Stirn. Sprachlos starrte er den Leibjäger an, und dann stammelte er:
„Aber ich war immer so gnädig gegen Dich.“
„Ja, so gnädig,“ sagte der junge Mensch, „daß Ihr mir den Vater erschossen habt.“
„Leubinger?!“ schrie der zum Tode geängstigte Fürst. „Ja, Du bist’s – jetzt erkenne ich Dich wieder. Ist es Dein Gespenst?“
„Nein, aber ich bin Leubinger’s Sohn, und meinen Vater, den Jammer und das Elend meiner Mutter an Euch zu rächen, das habe ich mir geschworen. Darum bin ich in Euren Dienst getreten; darum habe ich meinen Namen geändert; darum habe ich Eure Gunst gesucht, darum Eure wahnwitzigen Ausbrüche ertragen und nur zu Allem gelacht, Alles nur für diesen Augenblick. Es ist Euer letzter, Markgraf.“
„Hülfe, Hülfe!“
„Sehet doch, ob Euch die Raben, die da oben fliegen, noch helfen können! Nicht doch. Die sind lüstern nach Eurem Aase. Kniet nieder und betet ein Vaterunser!“
Der Markgraf sah in der Hand seines Gegenübers den Lauf einer Pistole blitzen, welche dieser bisher verborgen hatte.
„Gnade, Gnade – sei gut!“ stammelte der Fürst von Neuem. „Ich will Dir ja Alles geben, was Du willst; ich will Dir’s nicht nachtragen, nur schone mein Leben!“
„Wie Ihr das meines Vaters geschont habt. Kniet nieder!“
Und der Fürst kniete nieder, den Todesmoment erwartend. Er sah die Mündung der Pistole vor sich, fünf Schritte vor sich, nach seinem Herzen zielend – aber der sie in der Hand hielt, drückte das Geschoß nicht ab.
„Macht es kurz, kurz!“ stöhnte der Markgraf. „Zielt gut!“
Unbeweglich stand der junge Mann vor ihm, die dunklen blitzenden Augen unverwandt auf ihn gerichtet, zu prüfen, ob er auch die rechte Stelle träfe und sein Opfer nicht fehlte. Dem Markgrafen verging das Bewußtsein.
„Nein, nein!“ rief der junge Mensch, „ich will Euer Blut nicht – das würde vor dem da droben mich nur belasten und Euch von Euren Missethaten entsühnen. Tragt selbst Eure Sündenschuld! Euer Leben sei Eure Strafe! Den Tod habt Ihr schon gehabt in der Angst um das Leben, und ich habe meine Rache, daß ich Euch bittend zu meinen Füßen gesehen habe. Wir haben uns zum letzten Male gesehen, Herr Markgraf.“
Er steckte die Pistole zu sich und schlug die Richtung ein, die über die Grenze in das Eichstädtische führt. – Man war im Ansbacher Schlosse sehr erstaunt, als der Markgraf allein mit seinem Wagen. zurückkam. „Wo war der Leibjäger geblieben?“ fragte man sich. „Der wird schon einmal draußen im Grase gefunden werden,“ lautete die Antwort. Diesmal aber that man dem Markgrafen Unrecht. Kurz darauf starb er. Man sagt, vor Aerger über die preußischen Soldaten, die ihm, dem gut österreichisch Gesinnten, sein Schwager, der König von Preußen, in’s Land geschickt hatte. Hier, in dem nach einer Thatsache Erzählten, ist eine bessere Erklärung. Der Markgraf hatte den Vorfall kurz vor seinem Tode seinem Beichtvater erzählt.