BLKÖ:Widmann, Karl (Schriftsteller)

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 55 (1887), ab Seite: 252. (Quelle)
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Widmann, Karl (Schriftsteller, geb. zu Złoczów in Galizien am 4. August 1821). Sein Vater Joseph, zuletzt Gubernialrath in Lemberg, war ein Sohn des Appellationsrathes Joseph Widmann und Enkel mütterlicherseits des Joseph Hyacinth von Froidevo [Bd. IV, S. 381], eines Staatsmannes aus der Theresianisch-Josephinischen Periode, der für seine Verdienste mit dem St. Stephansorden ausgezeichnet wurde. Karls Mutter Sophie stammte aus der Adelsfamilie Nowik-Nowicki, und ihr Vater, obgleich ein polnischer Edelmann, ließ sich gegen das Ende des achtzehnten Jahrhunderts zur Zeit der letzten Theilung Polens als Friseur und Kaufmann in Lemberg nieder. Karl erhielt, wie es sich aus dem Umstande, daß bei dem Berufe des Vaters, der den Tag über im Amte arbeitete, der Knabe ganz der Obhut der polnischen Mutter überlassen war, leicht begreift, im Elternhause eine polnische Erziehung, verstand infolge dessen weder ordentlich deutsch zu sprechen noch zu schreiben, bis er sich beides durch den Unterricht in der Schule aneignete. Nun aber versuchte er bei hervorragender geistiger Begabung, in noch jugendlichem Alter, sich in Arbeiten in beiden Sprachen. Da er in Złoczów geboren war, wo damals sein Vater noch in einer geringeren Beamtenstelle lebte, so besuchte [253] er die Schulen zumeist daselbst, dann nach Versetzung des Vaters nach Przemyśl auch in dieser Stadt und seit 1835 in Lemberg, wo er 1845 an der Universität die Rechtswissenschaften beendete und zunächst, dem Staatsdienste sich zuwendend, als Practicant beim Fiscalamte eintrat. Dabei vernachlässigte[WS 1] er aber nicht seine literarischen Uebungen, wie er sie aus den Knabenjahren gewohnt war, und veröffentlichte bereits 1843 in einem Sammelwerke, welches damals Wladislaus Zawadzki unter dem Titel „Wdowi grosz“, d. i. Der Groschen der Witwe, herausgab, kleinere ästhetische Artikel in der Form von Briefen. Wie im Knaben, so entwickelte sich im Jünglinge der glühende Patriotismus immer mächtiger, und derselbe ward damals schon von der Polizei beobachtet, wenngleich wegen der höheren Stellung, die sein Vater bekleidete, nachsichtiger behandelt. Als im Jahre 1840 die heimlichen Umtriebe der polnischen Umsturzpartei entdeckt und bei dieser Gelegenheit Smolka, Ziemiałkowski und noch viele Andere verhaftet wurden, bemerkte der damalige Gubernialpräsident Freiherr von Krieg gegen den Gubernialrath Widmann, daß dessen Sohn Karl stark in die demagogischen Umtriebe verwickelt sei. Charakteristisch erscheint es nun, daß über diese von seinem Präsidenten ausgesprochene Wahrnehmung der Vater dem Sohne gegenüber nicht eine Sylbe äußerte, daß von dieser Denuntiation Letzterer nur Kenntniß erhielt aus dem Munde der Mutter, welche aber – eine echte Polin – ihm darüber nichts weniger als Vorwürfe machte, sondern ihn vielmehr in seinem Vorhaben bestärkte. Doch blieb die Sache nicht ohne Folgen. Anläßlich dieser Entdeckung fand in der Wohnung des Gubernialrathes eine Hausdurchsuchung statt. Der Sohn wurde in Haft genommen – wenngleich nur auf die Dauer von 24 Stunden – aber es war genug, um ihm auf der eingeschlagenen Beamtenlaufbahn ein für allemal die Zukunft zu verschließen. Die Ereignisse des Jahres 1848 riefen nun den damals 27jährigen Widmann auf die politische Arena. Er gab den Staatsdienst, in welchem ihm ja doch trotz der von seinen Vorgesetzten anerkannten trefflichen Begabung und der hervorragenden Talente keine Zukunft blühte, vollends auf und wendete sich ausschließlich der Publicistik zu. Auf das Anerbieten eines Lemberger Verlegers begründete er in Gemeinschaft mit Johann Zacharjasiewicz, einem für seine wegen politischer Umtriebe auf der Festung Josephstadt ausgestandene Haft als Märtyrer seines Volkes angesehenen und reich begabten jungen Polen, die polnische politische Zeitung „Postęp“, d. i. Der Fortschritt. In diesem Blatte sprach er ganz offen und unumwunden sein politisches durch und durch demokratisches und föderalistisches Programm aus, welches er dann auch in seinen publicistischen Artikeln festhielt. In demselben Jahre versah er überdies noch die Stelle eines Vorstandes des akademischen Comités in Lemberg. Als aber nach Bewältigung der Bewegung die Herrschaft des Gesetzes wieder Platz gegriffen und die Zeitung „Postęp“ aufgehört hatte zu erscheinen, wurde Widmann in Gemeinschaft mit Eugen Chrząstowski, Heinrich Suchecki und Johann Zacharjiasiewicz Redacteur der „Gazeta powszechna“, d. i. Allgemeine Zeitung, welches neue Blatt jedoch nur einige Wochen lang sein Dasein fristete, indem es mit dem Tage des denkwürdigen Bombardements der Stadt Lemberg [254] durch General Hammerstein, am 2. November 1848, einging. Nun redigirte er 1849 und 1850 die literarische Zeitschrift: „Tygodnik Lwowski“, d. i. Lemberger Wochenblatt, das einzige damals von der Regierung ganz unabhängige Blatt. Als auch dieses in Folge seiner herausfordernden Haltung behördlich unterdrückt wurde und sich Widmann unter den bestehenden Verhältnissen zu weiteren redactionellen Unternehmungen nicht entschließen mochte, öffneten sich unter der Aera des Ministeriums Schmerling dem jungen Manne neue und günstigere Aussichten. Ignaz David Ritter von Strojnowski [Bd. XL, S. 100], ein Mann des Gesetzes und edelster Denkungsart, kam 1854 als Präsident des neuorganisirten Oberlandesgerichtes nach Lemberg. Auf dessen Rath versuchte es Widmann mit der richterlichen Laufbahn, und nachdem er sich der vorgeschriebenen Prüfung unterzogen hatte, übernahm er in der Hoffnung auf eine spätere Anstellung vorderhand den Posten eines Justitiärs (Patrimonialrichters) in dem damaligen Brzezaner Kreise. Als dann infolge der Durchführung der neuen Gerichtsorganisation die Patrimonialgerichtsbarkeit aufgehoben wurde, wendete sich der wegen seiner politischen Vergangenheit bei der Besetzung der Gerichtsstellen unberücksichtigt Gebliebene von neuem seinen literarisch-publicistischen Arbeiten zu und wirkte 1855 bis 1861 als Mitarbeiter und Correspondent aller bedeutenderen polnischen Blätter, welche damals zu Lemberg, Krakau, Warschau und Posen erschienen. In seinen Artikeln behandelte er staats- und volkswirthschaftliche Fragen, Politik, Archäologie oder machte kritische Streifzüge ins Gebiet der neuen nationalen Literatur. So schrieb er damals im „Przeględ powszechny“ einen Artikel über die Nothwendigkeit der Einführung der polnischen Sprache in den Schulen Galiziens, der nicht wirkungslos verhallte. Kurz vor Ausbruch der neuen Bewegung, 1863, veröffentlichte er die Schrift: „Narodowośc a Rewolucya“, d. i. Nationalität und Revolution, und nahm auch an der heimlichen Organisation des Aufstandes Theil, in welchem ihm die Leitung der Erhebung in der Stadt Lemberg übertragen war. Er büßte diese neuerliche Auflehnung gegen das Gesetz mit Festungshaft in Josephstadt, aus welcher ihn die kaiserliche Amnestie 1865 erlöste. Nach erlangter Freiheit zu seiner publicistischen Beschäftigung zurückkehrend, ließ er nun eine Folge verschiedenartigster Arbeiten, literarischen, kritischen und archäologischen Inhalts, so die geistvolle kritisch-ästhetische Studie über Joseph Korzeniowski, erscheinen. Wir sagten, er schrieb auch archäologische Artikel, in der That beschäftigte er sich um jene Zeit – es waren eben die archäologischen und antiquarischen Bestrebungen betreffs der Erhaltung der Alterthümer rege geworden – mit archäologischen Studien und veröffentlichte deren mehrere in verschiedenen Journalen, unter anderen die „Wiadomości o kościele S. Jana w Lwowie“, d. i. Nachrichten über die h. Johanneskirche in Lemberg. Damals gab er auch die für die Zeitgeschichte nicht unwichtige Schrift heraus: „Pamiętnik kapitału Gwoardyi narodowej w r. 1848“, d. i. Denkbuch der Vorstandschaft der Nationalgarde im Jahre 1848. Vor Allem erregten aber die allgemeine Theilnahme und wirkliches literarisches Interesse seine in verschiedenen Zeitschriften mitgetheilten biographischen Artikel, so jener über Franz Smolka, der [255] 1867 in dem Sammelwerke „Wspomnienie biographiczne polskie“, d. i. Biographische polnische Erinnerungen, dann aber auch im Sonderabdruck erschien und neben biographischem Detail immer auch Rück- und Seitenblicke warf auf die politischen Zeitverhältnisse. Wollte man die zerstreut gedruckten Arbeiten Widmann’s sammeln, so würden dieselben wohl mehrere Bände umfassen. Noch erwähnen wir, daß er seit 1868 als Vicepräses des demokratischen Vereines in Lemberg, dessen Präses Franz Smolka ist, ferner als Gründer und Mitglied vieler anderen patriotischen und nationalen Vereine eine weitere einflußreiche und nicht unwichtige Thätigkeit entfaltet. Bis 1871 war er als Redacteur des „Dziennik lwowski“, d. i. Lemberger Tageblatt, thätig, dann gab er einen Jahrgang, den dritten, des „Kalendarz dla nauczycieli“, d. i. Kalender für Lehrer, und in jüngster Zeit eine neue Ausgabe der Biographie Smolka’s: „Franciszek Smolka jego zycie, zawód publiczny“ (Lwów 1886) heraus. In letzterer Zeit zog er sich aber vom regeren publicistischen Leben zurück und übernahm eine Archivarstelle im Lemberger Stadtmagistrate, in welchem er jetzt die Stelle eines Rathes der Lemberger Gemeinde bekleidet und das Referat des Unterrichtswesens versieht. Als Mitglied der archäologischen Gesellschaft in Lemberg redigirt er die von ihr herausgegebene Zeitschrift: „Przegląd archeologiczny“, d. i. Archäologische Umschau. In allen seinen Arbeiten vertritt er das Programm seines Lebens: ein Bahnbrecher des demokratischen Princips zu sein, als welcher er sich zum Vertheidiger der im Jahre 1848 auf dem Prager Slavencongresse inaugurirten föderativen Tendenzen des Polenthums mit dem übrigen freien Slaventhum aufgeworfen hat. Vielleicht wäre es für Karl Widmann von Interesse, sich die drei Artikel der Münchener „Allgemeinen Zeitung“ laufenden Jahres (1887), Nr. 53, 44 und 47: „Panlatinismus, Panslavismus und Panteutonismus. Von E. D.“ einmal gründlich anzuschauen.

Helfert (Jos. Alex. Freiherr). Geschichte Oesterreichs vom Ausgange des Wiener October-Aufstandes 1848. III. Die Thronbesteigung des Kaisers Franz Joseph I. (Prag 1872, Tempský, gr. 8°.), im Anhang S. 102 und 151. – Encyklopedya powszechna, d. i. Allgemeine Real-Encyklopädie (Warschau, Orgelbrand, gr. 8°.) s. d. „Polnisches Conversations-Lexikon“ zweite Ausgabe. – Květy, d. i. Blüten (Prager illustr. Blatt) V. Jahrg., 1870, Nr. 49.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: verachlässigte.