BLKÖ:Haydinger, Franz

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 8 (1862), ab Seite: 107. (Quelle)
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Haydinger, Franz (Bibliograph, geb. zu Wien 21. September 1797). Sein Vater war Fragner, später Wirth und Hausbesitzer in Matzleinsdorf bei Wien. Der Sohn besuchte bis in sein 12. Jahr die Normalschule, die er aber 1809, als die Franzosen in Wien eingerückt, verlassen mußte, weil er im Elternhause aushelfen sollte. Später übernahm er das Geschäft seines Vaters und ließ sich als Wirth in Margarethen nieder, wo er noch zur Zeit lebt. Sein Beruf hinderte ihn nicht, sich einem Gegenstande, nämlich der Bücherkunde, namentlich in der speciell vaterländisch-antiquarischen Richtung, zuzuwenden, in welcher er auch eine viel gekannte und gewürdigte Persönlichkeit ist. Die Lectüre des berühmten Jugendbuches Robinson Crusoe weckte seine Lust nach anderen Büchern und als es ihm gar gelang, Fuhrmann’s „Alt- und Neu-Wien“, und dann die „Sagen und Märchen der österreichischen Vorzeit“ kennen zu lernen, erregte dieß in ihm die Sehnsucht, sich mit der Geschichte seiner Heimat näher bekannt zu machen; auch die Lust nach Büchern hatte sich eingestellt, aber dazu fehlten ihm die Mittel. Erst im Jahre 1823, als Hormayr seine „Geschichte Wiens“ herausgab und H. darauf pränumerirte, war mit diesem Werke der Anfang einer Bibliothek gegründet, die gegenwärtig – die Theaterstücke ungerechnet – nahezu 8000 Bände zählt, mehr aber, als durch diese Menge, durch ihren Inhalt hervorragt. In dieser Sammlung ist vor Allem Wien in seiner Geschichte und in Sammlungen von Ansichten und Planen reich vertreten; dann die Kriegs-, Sitten- und Culturgeschichte, jene der Gewerbe, der Trachten der einzelnen Länder des Kaiserstaates, wie auch Deutschlands; ferner die Geschichte der Reformation in Schriften für und wider sie, das deutsche Kirchenlied; das deutsche historische Lied in ganzen Sammlungen und einzelnen Blättern; die alten und neuen Volksbücher, darunter z. B. die Simplicissimus-Literatur in einer Vollständigkeit, wie kaum irgendwo, und sonst große Seltenheiten; das Interessanteste der Hexen- und Zauberer-Literatur und eine sehr gewählte Suite Curiosa. Einen besonderen Schatz seiner Sammlung bilden die ersten Ausgaben und Varianten der deutschen Classiker Lessing, Goethe, Schiller. Eine von dem bisher Angeführten getrennte Abtheilung bildet seine Sammlung „Theaterstücke“ älterer und neuerer Zeit, mit besonderer Rücksicht auf das Wiener Theater und die Zeit des Hanswurst’s; dazu Alles, was auf die Theatergeschichte des In- und Auslandes, auf Dramaturgie, Kritik des Theaters und der Oper Bezug hat; im Ganzen eine Sammlung von mehr als 5000 Stücken; ferner Miscellaneen zur Geschichte des 30jährigen Krieges, Einblattdrucke, Todesurtheile, Diebs- und Gaunerliteratur, kurz eine Sammlung, die in ihrer Eigenthümlichkeit und Reichhaltigkeit in Wien, selbst im Kaiserstaate ihres Gleichen nicht haben dürfte. Jedoch ist diese reiche und curiose Sammlung nicht unbenützt; ihr Besitzer hat mit seinen Schätzen schon manchem österreichischen Historiker, Culturhistoriker und Bibliographen nicht unwesentliche Dienste geleistet, wobei bemerkt werden muß, daß er mit liebenswürdiger Geduld und Dienstfertigkeit dem Fachmanne zu Dienste steht, während er für literarische Bumler und Artikelchenklekser nicht selten den Schalk anzieht. Die interessanten culturhistorischen Artikel des bei Klang herausgegebenen Kalenders „Austria“, der mit seinem 20. Jahrgange (1859) [108] leider sein Ende erreicht hat, sind zum Theile auf Grundlage seiner Sammlung möglich geworden. Gegenwärtig ist H. mit Abfassung des Cataloges seiner merkwürdigen Sammlung beschäftigt. Für seinen Todesfall hat er die Bestimmung getroffen, daß seine Bücher öffentlich versteigert werden, „damit“, wie er selbst sagt, „sie wieder unter’s Publikum kommen“; den Antiquar, der die Versteigerung zu leiten hat, hat H. in seinem Testamente genannt. Ueber H.’s Stellung zur Wissenschaft und ihren Pflegern verweisen wir auf die Worte eines Besuchers seiner Bibliothek, die unten in der Quelle auszugsweise angeführt werden.

Haydinger erscheint hie und da als Haidinger; jedoch schreibt und unterschreibt er sich selbst mit einem Ypsilon, daher ich ihn hier auch nach seiner Schreibart in’s Alphabet aufnehme. – Wiener Zeitung 1860, Abendblatt 193, S. 770, im Aufsatze von E. O(bermeyer): „Abendblätter“. – Bohemia (Prager Unterhaltungsblatt, 4°.) 1861, Nr. 146: „Der Bücherfreund in Margarethen“, von Ed. Breier. – Presse (Wiener pol. Blatt, Fol.) 1865, in einer Augustnummer, in der ersten Hälfte des Monats: „Ein Wiener Wirth als Historiker“. – Wiener Courier 1856, Nr. 190: „Ein gelehrter Wiener Wirth“. – Theater-Zeitung von Adolph Bäuerle 1856, Nummer vom 15. November. – Brünner Neuigkeiten 1856, Nummer vom 12. December. – Fremdenblatt 1856, Nummer vom 11. August. – Austria. Oesterreichischer Universal-Kalender für 1836 (Wien, Ign. Klang, gr. 8°.) XVII. Jahrg. S. 282, in der Anmerkung. – Um nicht den Verdacht auf mich zu laden, etwa von meinem bibliographischen Eifer verführt worden zu sein, als ich der Sammlung H.’s und seiner gedachte, so lasse ich hier die Worte des geistreichen Feuilletonisten E. D. der Wiener Zeitung folgen, der von H. schreibt: „Unablässig bemüht, seine Sammlung zu ergänzen und zu vermehren, hat er nie mehr zu werden beabsichtigt als ein lebendiges Hilfsamt für Fachgelehrte und Schriftsteller. Sein ganzer Stolz geht dahin, als ein tauglicher Bibliothekar dieser seiner eigenen, so überraschend reichen Büchersammlung anerkannt zu werden. Damit ist es dem schlichten praktischen Manne so sehr Ernst, daß er sich nicht einmal auf den Gelehrten spielt. Er bleibt was er war, ein einfacher Geschäftsmann, den seine „nicht schlechten“ Bücher besitzen, oder wie ich eigentlich schreiben wollte, der „nicht schlechte“ Bücher besitzt. Freund Haidinger’s Name ist zwar schon vielfach als die Quelle dieser oder jener noch unbekannt gewesenen Thatsache citirt worden. Die österreichischen Leser kennen ihn aus jedem Jahrgange der „Austria“ und vielen jener sittenschildernden Romane aus einer nahen Vergangenheit, zu welchen der Stoff in seinen Sammlungen gefunden wurde. Der gelehrte Ausländer konnte ihn aus der Bibliographie des „Serapeums“ kennen lernen. Aber nur der Wiener hat die Gelegenheit sich an diesem raren Mann selbst zu erfreuen. Er wird freilich staunen, wenn ihm dieser wahrhaft „außerordentliche Bibliothekar“, der oft und nicht bloß zur Erinnerung die blaue Schürze umthut, die einzelnen Originalausgaben sämmtlicher Schriften Lessing’s, oder etwa die kostbare erste Ausgabe des Werther darreicht. Aber ich weiß, wie groß die Zahl der ungläubigen Thomase in Wien ist; ich will sie daher bloß einladen, die hier vorfindigen Monographien über die alten Kirchen, Klöster, Wallfahrtsorte des Erzherzogthums, die vielen fliegenden Blätter geschichtlichen Inhaltes, die zahlreicher als irgendwo vertretenen Zeitschriften aus der Zeit der großen Kaiserin, nicht bloß einer vorwitzigen Ansicht, sondern einer eingehenden Bearbeitung zu unterziehen. So wird der Schatz, den ich ihnen hiemit entdeckt, auch Anderen frommen“.