BLKÖ:Reitzenberg, auch Reizenberg (Schauspieler)

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 25 (1873), ab Seite: 267. (Quelle)
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Reitzenberg, auch Reizenberg (Schauspieler, gest. nach Einigen im Jahre 1831, nach Franz Wallner im Jahre 1839). Eine jener grotesken, eigenthümlichen Gestalten des Schauspielerstandes die bei den Reformen, welche sich im Schauspielwesen in der Gegenwart sichtlich vollziehen, täglich seltener werden. Ueber seine Abkunft cursiren die verschiedenartigsten Gerüchte. Nach Einigen – [268] und diese Angaben mögen nicht ganz aus der Luft gegriffen sein – war er ein Sproß des weitverzweigten freiherrlichen Geschlechtes der Reitzenstein, und hatte offenbar in seiner Jugend eine vortreffliebe Erziehung genossen. Nun, es sind ein Karl Freiherr von Reitzenstein und eine Sophie von Reitzenstein, geb. M. S. Weikard, bekannt, welche beide mehrere dramatische Arbeiten veröffentlicht haben; Ersterer das fünfactige Trauerspiel: „Graf Königsmark“ (Wien 1792) und das Trauerspiel: „Die Negersclaven“ (Berlin 1793, 8°.); Letztere mehrere Schau- und Lustspiele: „Der Vergleich“, Schauspiel (1791); – Der gereiste Bräutigam“, aus dem Französischen (1791); – „Das nächtliche Rendezvous“, aus dem Franz. (1791); – „Die seltene Beständigkeit“, Lustsp. (1791); – „Die Kriegslist“, Lustspiel (1791); – „Reue mildert Verbrechen“. Vielleicht sind es die Eltern des Schauspielers Reitzenberg, der als er ein Incognito anzunehmen sich genöthigt sah, seinen Familiennamen dahin abänderte, daß er an Stelle der Sylbe Stein das Wort Berg setzte. Nachdem er in einem kais. Militär-Erziehungsinstitute seine Ausbildung erlangt haben soll, wäre er, wie es heißt, zuletzt Generalstabs-Officier gewesen, hätte aber einer unglücklichen Liebe wegen, die ihn in unangenehme Verwicklungen gebracht hatte, den Dienst quittirt und sei darauf Schauspieler geworden. Ueber die Anfänge seiner theatralischen Laufbahn liegen keine zuverlässigen Nachrichten vor. Im Jahre 1811 war er Mitglied des Prager Theaters, der erklärte Liebling des Publicums, aber bereits schon dem Laster des Trunkes ergeben. Nichtsdestoweniger war der Ruf seiner Künstlerschaft schon so allgemein verbreitet und so mächtig, daß sich Theater-Directoren, ungeachtet sie Kenntniß von seinem anrüchigen Lebenswandel besaßen, um ihn, der seiner schönen imposanten äußeren Erscheinung wegen der erklärte Liebling der Frauen war, auf das Ernstlichste bewarben. Einem von ihm im Zustande vollster Betrunkenheit begangenen Excesse auf der Prager Bühne verdankt Löwe seine künstlerische Zukunft. Damit das durch Reitzenberg’s Trunkenheit unterbrochene Stück ausgespielt werden konnte, übernahm der jugendliche, bisher nur in kleinen Rollen verwendete Ludwig Löwe die Rolle des Karl Moor, welche Reitzenberg gespielt hatte und löste seine Aufgabe so glücklich, daß man von nun an seinem Talente die gebührende Achtung zollte. Reitzenberg aber verließ die Prager Bühne, und nun kennzeichnen seine Künstlerlaufbahn die merkwürdigsten, sonderbarsten Schrullen, Eigenthümlichkeiten, ja Tollheiten, die noch heute in seiner Collegen Munde als unverwüstlicher Unterhaltungsstoff fortleben. In Kotzebue’s „Kreuzfahrern“ war der Balduin von Eichenhorst seine Hauptrolle. Als ihm in der Kampfscene sein Mitspieler, der nachmals berühmte Wiener Hofschauspieler Wilhelmi, den Handschuh vor die Füße wirft und im Eifer des Spieles ihn zu weit vorwärts geworfen hatte, sprach Reitzenberg mit unerschütterlicher Ruhe: „Ich hebe diesen viel zu weit vorgeworfenen Handschuh auf“. Das schallende Gelächter vernichtete vollends die Wirkung dieser Scene. Nun wanderte er von Bühne zu Bühne, überall Enthusiasmus erregend, überall nach wenigen Vorstellungen mit mehr oder weniger Scandal abziehend. Dessen ungeachtet gelang es ihm immer wieder, einen Director oder Intendanten zu finden, der auf das Wagniß, es mit ihm zu [269] versuchen, einging. Als ihn der Intendant des Dresdener Theaters, Graf Vitzthum, auf dem Hoftheater auftreten lassen wollte und ihm, als Reitzenberg sich ihm vorstellte, bemerkte: ob nicht sein Dialekt die Wirkung seines Spieles beeinträchtigen werde, erwiederte der durch diese Bemerkung verletzte Künstler: „o nein, Herr Graf Blitzdumm, ich bin dialektfrei“, und so ging es etliche Male im Dialoge mit „Graf Blitzdumm“ hin, mit „Graf Blitzdumm“ her, bis der Intendant, die absichtliche Beleidigung erkennend, das Gespräch abbrach und R., der mit einer kleinen Summe abgefertigt wurde, ziehen ließ. – Ein anderes Mal wettete er: auf der Bühne den grellsten Unsinn sprechen zu wollen, ohne daß es Jemand bemerke. Und in der That verdrehte er in „Kabale und Liebe“ in der Scene mit Lady Milfort die Worte: „Umgürte dich mit allem Stolze deines Englands, ich verwerfe dich, ein deutscher Jüngling“ in folgender Weise: „Umengle dich mit allem Gurte deines Stolzlandes, ich verjüngle dich, ein deutscher Werfling“, ohne daß dieser groteske Unsinn im Publicum bemerkt worden wäre. – Als er ein ander Mal auf seinem ewigen Wandern – für die Directoren bereits ein Schrecken geworden – in einer Stadt ankam und sich schnurstracks zum Theaterdirector begab, der sich eben im Kreise seiner Mimen befand, trat er auf den Director zu und ihn vertraulich am Rockknopfe fassend, redete er ihn an: „Ich bin Reitzenberg“, „Und was soll’s?“ erwiederte der vor Schreck – da er Scandal roch – bestürzte Director; Reitzenberg entgegnete nun im Charakter des Kapuziners aus den Räubern: „Ein Wort an dich“, und nun zu den Schauspielern sich wendend: „Drei an die Bande“. „Nun?“ platzte der Director heraus, „Engagement!“ entgegnete Reitzenberg; „Nein“, rief der Director lakonisch – darauf drehte ihm Reitzenberg den Rücken und sprach pathetisch zu dem ihn umstehenden Personale: „So macht Collecte“. Diese wenigen Züge von dem Hundert und mehr, die über sein Leben in Schauspielerkreisen cursiren, werden einigermaßen das Absonderliche seines Thuns beleuchten. Nüchtern konnte er die Bühne nicht betreten, erst wenn er angetrunken, ließ er die Zügel seines Genius schießen und dann spielte er Rollen, wie den Walter in „Kabale und Liebe“, den Hamlet, den Karl Moor in den „Räubern“ u. a. mit hinreißendem Zauber. Die Schauspieler Moritz, Schikaneder waren seine Freunde, die sich alle Mühe gaben, ihn von dem Laster des Trunkes frei zu machen, aber vergeblich. Ueber sein trauriges Ende berichtet Franz Wallner in seinen „Rückblicken auf meine theatralische Laufbahn“ das Folgende: „Der nordamerikanische General-Consul Börnstein in Bremen besuchte auf einer Reise nach Wien an einem bitterkalten Wintermorgen des Jahres 1839 einen Freund im Dorfe Schwechat. Ueber einen Feldweg bemerkte Börnstein einen von einer elenden Mähre gezogenen Karren, auf dem ein aus rohen Brettern zusammengenagelter Sarg lag. Hinter dieser Bettelleiche gingen ein paar Jungen und ein Geistlicher. Auf die Frage, wer da zur letzten Ruhestätte geführt werde, erzählte der Priester, es sei ein fremder Mann, der in äußerst zerlumptem Zustande vor zwei Tagen in einem Pferdestalle theils verhungert, theils erfroren gefunden worden sei. Seine sämmtliche Habe bestand nebst den Lumpen, die er am Leibe trug, in einem alten Theaterzettel [270] und einem zerlesenen Gebetbuche, welches auf dem Titelblatte die Worte enthielt: „Mein Trost in lichten Stunden. Reitzenberg“.

Constitutionelle österreichische Zeitung (Wien, Fol.) 1864, Nr. 296–300, im Feuilleton: „Der Schauspieler Reitzenberg. Ein Genrebild aus dem Theaterleben“, von Jos. Heinr. Mirani. – Neues Fremden-Blatt (Wien, 4°.) 1868, Nr. 310: „Reitzenberg“. – Illustrirtes Wiener Extrablatt. Von Berg und Singer (Wien, gr. 4°.) 1872, Nr. 110: „Ein genialer Vagabund“. – Seyfried (Ferdinand Ritter v.), Rückschau in das Theaterleben Wiens seit den letzten fünfzig Jahren (Wien 1864, 8°.) S. 275 u. 276. – Dr. Joh. Nep. Vogl’s Volkskalender (Wien, Tendler u. Comp. [Fromme], 8°.) Jahrg. 1866, S. 66–106: „Von einem verkommenen Genie“, von J. N. Vogl [mit Holzschnitt].