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BLKÖ:Spaur, Johann Baptist Graf

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 36 (1878), ab Seite: 106. (Quelle)
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Spaur, Johann Baptist Graf (Staatsmann, geb. 10. Oct. 1777, gest. 1. Nov. 1852). Von der dritten Hauptlinie [siehe Stammtafel 7], ein Sohn des Grafen Johann Nepomuk [S. 98, Nr. 23] aus dessen Ehe mit Maria Anna Gräfin Wolkenstein-Trostburg. Trat nach beendeten Studien in den Staatsdienst, in welchem er in rascher Folge von Stufe zu Stufe vorrückte. Nachdem er einige Zeit Gouverneur von Venedig gewesen, trat er, als Franz Graf Hartig von seinem Posten als Gouverneur von Mailand, den er seit Juli 1836 versah, im Jahre 1840 abberufen und in die Stellung eines Staats- und Conferenzministers und eines Sectionschefs der inneren Angelegenheiten nach Wien berufen worden war, in dessen Stelle als Landes-Gouverneur der Lombardie ein, in welcher er bis kurz vor Ausbruch der Revolution im Jahre 1848 verblieb, indem er bald, nachdem Erzherzog Rainer Mailand verlassen, demselben gefolgt war und die Verwaltung des am Krater des Aufruhrs stehenden Landes in die Hände des Vice-Präsidenten Heinrich Grafen O’Donnell niederlegte. In die Zeit der Verwaltung des Grafen Spaur fällt die Errichtung mehrerer nützlicher Anstalten und manche Verfügung, welche in dem Lande, das von französischen Emissären seit Jahren systematisch gegen die österreichische Regierung heimlich und offen aufgereizt und zur Auflehnung mit allen möglichen Mitteln vorbereitet worden, noch heute dankbar anerkannt werden. So seien nur – und hier sind ausschließlich italienische Quellen benützt – beispielsweise erwähnt: im Jahre 1840 die Errichtung von Kinderbewahranstalten, ein bis dahin in Italien völlig ungekanntes und bei der Verwahrlosung, in welcher sich die Kinder der niederen Bevölkerung durchgängig befinden, im hohen Grade nothwendiges [107] und nutzbringendes Institut; 1841 das Istituto di S. Maria della Pace für verwahrloste Knaben, das unter die Leitung des der frommen Bruderschaft der Somasker angehörigen Padre Paolo Marchiondi gestellt wurde; das mit behördlicher Bewilligung vom 15. Juni 1844 durch den Dr. Giuseppe Ferrario angeregte Institut der Unterstützung für Aerzte und Chirurgen der Lombardie, ihrer Witwen und minderjährigen Waisen; das von dem Priester Giovanni Spagliardi angeregte und von der Regierung im April 1845 genehmigte Institut zum Schutze der Sträflinge und aus der Kerkerhaft Entlassenen – bei allen diesen Anstalten war Graf Spaur das bewegende und fördernde Princip. Im Jahre 1846 wurde an Seite des berühmten, aber heute noch wenig gekannten Archivs von S. Fedele, in welchem die politischen und Cameral-, die gerichtlichen und militärischen Acten aller lombardischen Regierungen seit dem 15. Jahrhunderte, ferner eine Sammlung von über 100.000 Pergament-Documenten, deren einzelne bis ins 8. Jahrhundert zurückreichen, aufbewahrt sind, eine und zwar in Italien die erste Schule für Paläographie und Diplomatik eröffnet, an derselben Dr. Giuseppe Cossa, und in dessen Verhinderung Luigi Ferrario, der sich durch seine im Jahre 1853 herausgegebene „Memoria intorno ai Palinsesti“ als Fachmann bewährt hatte, zu Lehrern bestellt, während in Luigi Osio, dem General-Director sämmtlicher Archive, eine Persönlichkeit in diesem Zweige wirkte, wie sie für diesen Zweck, wo es zunächst galt, Ordnung in den unglaublich reichen archivalischen Schätzen zu erhalten und möglichste Benützbarkeit derselben durchzuführen, kaum geeigneter irgendwo anzutreffen war. Schon diese Errichtung der paläographischen Schule sichert dem Grafen eine dauernde Erinnerung. In keinem Lande vielleicht wird und wurde so viel auf geschichtlichen Gebiete gearbeitet, als in Italien überhaupt. Ja selbst in den Tagen der gehässigen Censur waren in Oberitalien immer eine Menge Local- und Particularhistoriker thätig gewesen, welche die Schätze der zahlreichen öffentlichen, Gemeinde-, Kirchen- und Privat-Archive reicher Edelleute ausbeuteten, dieß aber geradezu kritiklos thaten, wodurch die Wissenschaft weniger gefördert als vielmehr dem berufenen gediegenen Forscher seine Arbeit und mitunter sehr erschwert wurde. Eine tüchtige Schulung in dem nun ins Leben gerufenen und von fähigen Leitern geführten paläographischen und diplomatischen Institute konnte im Hinblick auf spätere Arbeiten, und dadurch, daß aus dem Institute ein Nachwuchs von Forschern hervorging, wie sie der hohe Standpunct der historischen Wissenschaft erforderte, für die geschichtliche Forschung nur die wohlthätigsten Folgen haben; weil nun der unkritischen geschichtlichen Schatzgräberei, die nicht selten Tombak für Gold, Blei für Silber hielt, ein für alle Mal ein Riegel vorgeschoben, hingegen der wahren kritischen Forschung wohlgeschulte Adepten zugeführt wurden. Und das ist ein großes Verdienst, das dem Grafen S., der bei dieser Schöpfung Pathendienste verrichtete, unbenommen bleiben wird. Zur Ergänzung des Vorigen sei noch bemerkt, daß im Jahre 1843 in seine Verwaltungsperiode die Gründung der Accademia fisio-medico-statistica fällt, welche gleich mit ihrem Beginne eine ganz energische wissenschaftliche Thätigkeit entfaltete, wie etwa um dieselbe Zeit in Wien die von Wilhelm Haidinger ins Leben gerufene Gesellschaft [108] der „Freunde der Naturwissenschaften“, welche denn doch als der eigentliche Keim der nachmaligen kaiserlichen Akademie der Wissenschaften angesehen werden kann. Auch fand zu seiner Zeit im Jahre 1844 zu Mailand die sechste Versammlung der Gelehrten Italiens Statt, welche daselbst eine Thätigkeit und Rührigkeit entfaltete, die mit dem von der revolutionären Partei stets im Munde geführten Drucke, der in keinem Lande der Monarchie weniger fühlbar war, wie eben in der Lombardie, die sich überhaupt in der vormärzlichen Periode allen anderen Provinzen gegenüber der größten Freiheit erfreute, im directen Widerspruch stand. Nur wenige Jahre überlebte Graf S. den politischen Umsturz, hatte aber noch in Italien die Siege Radetzky’s, in den übrigen Ländern der Monarchie die energischen Maßnahmen des Fürsten Windischgrätz und seiner Generale erlebt. Er starb, 75 Jahre alt, aus seiner (am 20. November 1815 geschlossenen) Ehe mit Amalie geborenen Gräfin von Bissingen-Nippenburg, kaiserlichen Palast- und Sternkreuzordensdame, nur zwei Töchter, die Gräfinen Clementine und Therese, hinterlassend. Diese haben sich beide mit Sproßen aus den ältesten Familien Italiens vermält: Gräfin Clementine, (geb. im Jahre 1816), Sternkreuzordensdame, ist (seit 25. November 1840) Gemalin des Grafen Alois Mocenigo, k. k. Kämmerers; Gräfin Therese (geb. 17. März 1819), gleichfalls Sternkreuzordensdame, war (seit 26. August 1844) die Gemalin Arthurs Markgrafen von Pallavicini und ist seit 8. März 1872 Witwe. Aus letzterer Ehe sind drei Söhne und eine Tochter vorhanden.

Muoni (Damiano), Collezione d’Autografi di famiglie Sovrane, celebrita politiche, militari, ecclesiastiche, scientifiche, letterarie ed artistiche illustrata con cenni biografici ecc. ecc. (Milano 1859, Franc. Colombo, Lex.-8°.), p. 105.