BLKÖ:Stephan, Martin

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
korrigiert
Band: 37 (1878), ab Seite: 295. (Quelle)
[[| bei Wikisource]]
Martin Stephan (Geistlicher) in der Wikipedia
Martin Stephan in Wikidata
GND-Eintrag: 118617796, SeeAlso
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Linkvorlage für Wikipedia 
* {{BLKÖ|Stephan, Martin|37|295|}}

Stephan, Martin (Stifter der nach ihm benannten Secte der Stephanisten, [296] geb. zu Stramberg in Mähren am 13. August 1777, gest. zu Illinois in Nordamerika am 21. Februar 1846). Erlernte in seiner Jugend das Weberhandwerk und kam auf seiner Wanderung gegen das Ende des 18. Jahrhunderts als Webergeselle nach Breslau. Schon im Elternhause, wo die Bibel die tägliche Lectüre bildete, hatte er sich frühzeitig eine ziemlich eingehende Kenntniß dieses Buches der Bücher angeeignet, in Folge dessen in den pietistischen Vereinen, welche damals unter der protestantischen Bevölkerung Breslaus zahlreich waren, bereitwilligst Aufnahme gefunden und in denselben bei seiner Bibelfestigkeit auch schnell Ansehen und Bedeutung erlangt. Die Energie, mit welcher er die biblische Autorität, als die höchste zur Geltung zu bringen suchte, gewann ihm insbesondere die schwächeren Gemüther, wenn gleich diese wie auch andere durch sein rücksichtloses Auftreten sich viel mehr von ihm abgestoßen als zu ihm hingezogen fühlten. Nach einigen Jahren dieses Treibens in religiösen Vereinen und Conventikeln wollte ihm auch sein Weberhandwerk nicht länger behagen und er beschloß, sich dem Predigtamte zu widmen, wozu ihn sein Rednertalent und seine Bibelkenntniß besonders eigneten. Er besuchte zu diesem Zwecke das Elisabetheum in Breslau. Dem damaligen Rector dieser Anstalt gefiel vor Allem Stephan’s nicht gewöhnliche Bibelkenntniß, wenngleich ihm nach näherer Prüfung seines Zöglings dessen geringe Talente und übrige Mangelhaftigkeit der Kenntnisse nicht verborgen blieben. Aber der fanatische Eifer brach bereits damals bei dem einstigen Webergesellen durch und gewann an Stärke, als er von Breslau nach Halle und von da nach Leipzig sich begab, wo er im Jahre 1806 das Studium der Theologie begann. Daselbst aber ging es mit seinen wissenschaftlichen Arbeiten mehr zurück als vorwärts und in seinem Fanatismus, der seine mangelhaften Kenntnisse ersetzen sollte, verwarf er, nach dem Ausspruche des sonst von ihm verketzerten und verdammten Stifters der Brüdergemeinde Zinzendorf, Literatur und Kunst als „fleischliche Wissenschaften“. Seine praktische Rednergabe aber bildete er durch das Lesen vieler älterer Erbauungsbücher noch mehr aus. Da er sich der Ablegung eines theologischen Examens nicht gewachsen fühlte, begab er sich auf private Empfehlung nach Böhmen, wo er im Jahre 1809 die Pfarrstelle in Haber übernahm. Unterdessen war in Dresden die Pfarrerstelle an der böhmischen Kirche im Jahre 1811 offen geworden. Zu derselben wurde ein Candidat erfordert, welcher der böhmischen Sprache mächtig war. Bei dieser Gelegenheit gelang es Stephan, welcher damals in sehr nahen Beziehungen zu den Herrnhutern stand, in den Besitz dieser Pfarre und durch den Einfluß des Hofpredigers Döring, der den Ausspruch that, daß Stephan bei seiner notorisch-christlichen Gesinnung und seinem praktischen Talente doch zu der Hoffnung einer redlichen Wirksamkeit berechtige, welches Wohlwollen ihm Stephan später durch schnöden Undank vergalt, glücklich durch das Examen zu kommen. In den ersten Jahren seiner geistlichen Amtsführung verfolgte er streng die Tendenz, den rein lutherischen Lehrbegriff als den einzig wahren Weg des Heils und das Wort Gottes, „wie es in der Bibel steht“, zu predigen. Das Bedürfniß der Gemüther, aus dem starren Orthodoxismus und dem damit meist verbundenen Zelotismus herauszukommen. [297] mag es erklären, daß Stephan’s Lehre, bald nach ihm Stephanismus genannt, immer mehr und nicht nur in seiner Gemeinde, sondern auch außer derselben Anhänger fand, wenn sich auch schon damals ungünstige, wenngleich unbestimmte Gerüchte über sein Thun und Treiben verbreiteten. Insbesondere seine Herrschsucht war störend und durch sie verdarb er es mit Allen; zunächst mit den sonst so friedlichen Herrnhutern. Diese hatten sich bisher immer als seine wohlwollenden Freunde bewiesen, auch fleißig seine[WS 1] Andachtstunden besucht. Das aber genügte dem fanatischen, immer mehr Terrain erobernden Sectirer nicht, er verlangte von den Herrnhutern, ihn sammt den Seinen auch zu jenen besonderen Versammlungen zuzulassen, bei welchen bloß eigentliche Mitglieder jener Secte zulässig sind und wobei nur Seelsorge betreffende Briefe und Angelegenheiten, welche das Innere der Gemeinde angehen, mitgetheilt wurden. Dieß wurde ihm verweigert. Nun begann Stephan, durch diese Weigerung gereizt, die Gemeinde hart zu beschuldigen und anzufeinden. Natürlich blieb auch die Gegnerpartei nicht müssig. Der Zwiespalt war ausgebrochen und im Jahre 1821 erfolgte der erste öffentliche Angriff gegen ihn. Stephan antwortete kräftig und seine Predigten, welche er bald darauf veröffentlichte, brachten seine Gegner zum Schweigen. Die Titel der damals von ihm herausgegebenen Predigtwerke sind: „Der christliche Glaube; in einem vollständigen Jahrgange Predigten des Kirchenjahres 1824 über die gewöhnlichen Sonn- und Festtags-Evangelien. Gehalten in der St. Johanneskirche zu Dresden.“ 2 Theile (Dresden 1825 u. 1826 [Walther] gr. 8°.); – „Herzlicher Zuruf an alle evangelischen Christen, in zwei Predigten; nebst einer Vorrede über Schwärmerei und Sectenwesen“ (ebd. [Leipzig, Tauchnitz] 1825, gr. 8°.). Damals schon erhoben sich Stimmen, welche es entschieden bestritten, daß er die in den vorgenannten zwei Schriften enthaltenen Predigten selbst verfaßt habe. Wer die mangelhafte theologische Bildung dieses nur bibelfesten, sonst aber rohen und unwissenden ehemaligen Webergesellen kannte, muthete ihm sicher nicht die Fähigkeit einer solchen Arbeit zu und es unterliegt keinem Zweifel, daß er diese Schriften durch verschiedene junge Candidaten, die er an sich zu ziehen und für seine Zwecke zu gewinnen und auszubeuten verstanden hatte, hatte verfassen lassen und nur seinen Namen darauf gesetzt hatte. In diesen Schriften aber deutete er bereits seinen Plan an, sich an die Spitze einer separatistischen Gemeinde zu stellen, und da er wohl einsah, daß dieses nur in einem Staate der neuen Welt geschehen könne, so sprach er seine Ansicht unverholen aus: „daß ein Land zu verlassen sei, das die erwünschte Glaubensfreiheit verweigere“. Von nun an betrachtete er sich als das Haupt und den Mittelpunct einer aus der evangelischen Landeskirche ausgeschiedenen Gemeinde von Geistlichen und Laien, der sogenannten „Stephanisten“. die von der böhmischen Gemeinde ebenso verschieden sind, als von Stephan’s früheren herrnhuterischen Zuhörern. Es wurden Stationen gebildet, die in Conventikeln Stephan’s Treiben nachahmten. Solche Conventikel bestanden im J. 1829 in Niederfrohna, Lunzenau und Bräunsdorf unter besonderen Pfarrern. In Uebereinstimmung mit ihrem Meister proclamirten diese Männer ein rigoristisches Evangelium und ein terroristisches Lutherthum. Mit dem Jahre 1830 trat ein Wendepunct zum [298] Schlimmeren in seinen und den Plänen der Seinigen ein. Die Bewegungen des genannten Jahres hatten die Aufmerksamkeit der Regierungen auf jedes Treiben, das über die engbeschriebene gesetzliche Sphäre hinaus drängte, gelenkt und die bisherige Strenge gesteigert; auch waren ihm mehrere einflußreiche Gönner und Förderer seiner Lehre abgefallen, sein ganzes Treiben wurde schärfer geprüft, er alsbald mehr und mehr verketzert und in öffentlichen Blättern als Volksverführer und Schwindler, der er seit allem Anfang gewesen, mit Entschiedenheit angegriffen. Die Tage seines Glanzes waren dahin; wohl vertheidigte ihn seine Gemeinde gegen diese Angriffe, da er es selbst unterließ, wie es hieß, weil er es unter seiner Würde hielt, richtiger, weit er keine Federn, die für ihn schrieben, mehr zur Verfügung hatte. Nun machte er persönlich, um die Flammen zu schüren, Inspectionsreisen durch den ganzen selbst gebildeten Sprengel und bald war das ganze Muldenthal in Aufregung; auch im Altenburg’schen und Weimar’schen machte sich der Einfluß des Stephanismus bemerkbar. Es ist immer dieselbe Erscheinung, daß Halbgebildete sich einer unterdrückten Angelegenheit, in welcher sie bisher nur lässige Theilnehmer waren, energisch und entschieden annehmen. Die Angelegenheit nahm immer größere Dimensionen an; die Conventikel, die Stephan selbst mit seinen Anhängern hielt, gaben zu ärgerlichen Gerüchten Anlaß und es kam so weit, daß die Ständeversammlung im J. 1837 die Angelegenheit zum Gegenstande ihrer Verhandlungen machte. Das Ergebniß derselben war die Einleitung einer Untersuchung, aus welcher Stephan im October d. J. suspendirt hervorging, nachdem einer seiner nächtlichen Conventikel in einem Weinberg bei Dresden polizeilich aufgehoben worden war. Nun wurde das Auswanderungsproject allgemein proclamirt; das aber war auch der Zeitpunct, in welchem Stephan’s Anhänger ihn als einen neuen Moses proclamirten, der sein Volk ins Land Kanaan führe. Im Frühjahr 1838 setzte S. seine nächtlichen Zusammenkünfte im Bade Radeberg, wohin er sich begeben hatte, fort. Indessen wurde der Auswanderungsplan energisch gefördert und der Zwickauer Bürgermeister, der Advocat Morbach, war einer der thätigsten Agenten desselben. Im October 1838 schwamm der erste Zug Stephanistischer Emigranten über den Ocean, bald folgte ihm ein zweiter; nur Stephan selbst folgte ihnen noch nicht, da er durch mißliche Angelegenheiten davon zurückgehalten wurde, denn erstens war mit einem Male seine eigene Pfarrgemeinde klaghaft gegen ihn aufgetreten, dann aber lauteten die Aussagen eines Dienstmädchens, das einer Versammlung im Weinberge Hoflößnitz beigewohnt hatte, schwer gravirend gegen ihn. Als aber bald darauf die Untersuchung geschlossen wurde, verließ auch Stephan am 30. October 1838 Dresden, wo er 28 Jahre als Seelsorger gewirkt, und folgte seiner Heerde über das Meer. 700 Seelen segelten auf fünf Schiffen den zwei vorausgegangenen nach; darunter befanden sich sechs Geistliche, zehn Candidaten und vier Schullehrer. Eines der Schiffe mit 43 Auswanderern und 15 Kindern war auf der Ueberfahrt spurlos verschwunden. Man vermuthet, daß es in Brand gerathen und dann versunken sei. Nachdem die Auswanderer in Amerika gelandet und die ersten Anordnungen zu einer bleibenden Ansiedelung getroffen worden waren, [299] wurde auch S. als anerkannter Bischof an die Spitze seiner Gemeinde gestellt. Man sieht schon deutlich die bedenklichen Auswüchse persönlichen Ehrgeizes; nicht mit dem einfachen Pfarramte begnügte er sich, Bischof einer Gemeinde, welche kaum tausend Köpfe zählte, wollte er sein; auch umgab er sich nun mit einer Pracht, welche jene in reichen katholischen Kirchen weit übertraf und das Haupt der Stephanisten schwelgte in verschwenderischer Genußsucht. Nun machten wohl verschiedene Journale die verblendete Menge auf die wenig geistlichen und schicklichen Eigenthümlichkeiten ihres Oberhauptes aufmerksam und versuchten es, noch bei Zeiten den Armen die Augen zu öffnen, aber alles half nichts, bis endlich mehrere Auswanderer selbst scandalöse Geständnisse machten, worüber den Betrogenen endlich die Augen aufgingen. Nun wurde er freilich aus der Colonie verwiesen. Er begab sich dann nach Illinois am Missisippi, wo er auch im Alter von 69 Jahren starb.

Vehse (Karl Eduard), Die Stephan’sche Auswanderung nach Amerika. Mit Actenstücken. Wohlfeile Ausgabe (Dresden 1842, Sillig, gr. 12°.).
Porträte. Stephan’s Porträt befindet sich als Titelbild im vorbenannten Buche Vehse’s. – 1) Baumann del., Gottschick sc. (4°.). – 2) Baumann del,, Scherf sc. (4°.). – 3) Graenicher del. & sc. Hüftbild (4°.).

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: s ine.