BLKÖ:Tschardaklija-Nowakowitsch, Peter

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Band: 48 (1883), ab Seite: 28. (Quelle)
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Tschardaklija-Nowakowitsch, Peter (serbischer Parteigänger, geb. in Serbien in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts, Todesjahr unbekannt). An diesen Namen knüpft sich die Geschichte des Ursprungs der Verbindungen zwischen Serbien und Rußland, welche, in der noch zu lösenden orientalischen Frage von einschneidender Wichtigkeit, Oesterreich sehr nahe angeht. Wir halten uns im Folgenden an die Darstellung dieser Angelegenheit, wie sie ein trefflicher Kenner der südslavischen Verhältnisse, Professor Schwicker, gegeben hat. Als während ihrer Erhebung im Jahre 1804 die Serben im Laufe des Frühlings und Sommers wiederholt mündlich und schriftlich bei Oesterreich um Intervention zu ihren Gunsten ansuchten, sah im Hinblicke auf das Friedensverhältniß dieses Staates mit der Türkei und auf die allgemeine politische Lage desselben die österreichische Regierung sich außer Stande, bei allen vorhandenen Sympathien für die Insurgenten, zu deren Gunsten einigermaßen energisch aufzutreten. Diese aber hatten auch schon den Gedanken laut werden lassen, daß sie für den Fall eines ablehnenden Verhaltens Oesterreichs an eine andere Macht sich wenden würden, und diese Macht war – Rußland. Dieser Gedanke einer Zufluchtnahme bei Rußland entstand aber merkwürdigerweise nicht in Serbien selbst, sondern wurde von Oesterreich aus dahin importirt. Ganz so wie heutzutage der Gedanke, die deutschen Provinzen Oesterreichs an das deutsche Reich zu bringen, weniger oder gar nicht von letzterem ausgeht, sondern von einzelnen österreichischen Verräthern den Deutschen im Reich förmlich aufgedrungen wird. Nun denn, jener Gedanke, daß die Serben, welche bei unserem Kaiserstaate keine Unterstützung fanden, sich an Rußland wenden sollten, entsprang im Kopfe eines ehemaligen österreichischen Hauptmannes mit dem ominösen Namen Peter Tschardaklija-Nowakowitsch. Dieser Militär hatte sich im Monate Juli 1804 nach Serbien begeben und sich dem Aufstande angeschlossen. Durch seine Frau, die in Diensten der russischen Großfürstin Alexandra Pawlowna, Gemalin des Erzherzogs-Palatins Joseph, stand, mit russischen Kreisen in Berührung gekommen, soll er dann, wie Einige meinen, von Rußland aus den Auftrag erhalten haben, die Serben für die Anrufung des russischen Schutzes zu gewinnen. Nach Ansicht Anderer stand er in Verbindung mit dem Erzbischofe Stephan von Stratimirovitsch [Bd. XXXIX, S. 309], über dessen russenfreundliche Pläne Professor Schwicker gleichfalls nähere Aufklärungen ertheilt. Wie dem auch sein mag, Thatsache ist, daß Tschardaklija der Erste war, der auf Rußland als auf den natürlichsten glaubens- und stammverwandten Beschützer hinwies und in die Serben drang, einige Vertrauensmänner nach St. Petersburg zu senden, um durch diese den Czaren Alexander von dem Zustande des serbischen Volkes in Kenntniß zu setzen. Die Aufmunterungen Tschardaklija’s fielen nach den erhaltenen Anweisungen in Oesterreich bei den Häuptern der Insurrection auf günstigen Boden, und man beschloß, die empfohlene Idee so bald als möglich in Ausführung zu bringen. Sofort wurden der Prota (Erzpriester) Matthäus Nenadowitsch, Johann Protitsch und Tschardaklija als die zu entsendenden Vertrauensmänner gewählt. Hierauf [29] verfaßte man ein Gesuch an den Czaren, worin unter Anderem auch alle von Altersher in Ruinen liegenden Kirchen und Klöster in der Weise aufgezählt wurden, als ob dieselben erst jüngstens von den Türken zerstört worden wären, weil die Serben glaubten, daß die Russen vor Begierde brennen würden, an den Verwüstern so vieler heiligen Stätten der Christen Rache zu nehmen. Die ganze Mission blieb jedoch lange Zeit das Geheimniß einiger Führer, denn theils besorgte man, bei der Pforte Mißtrauen zu erregen, theils war man der Gesinnungen des eigenen Volkes keineswegs vollkommen sicher. Auch wußte man ja gar nicht, wie die Mission ausfallen würde; schlug sie ungünstig aus, so mußten die Anführer auf harte Worte gefaßt sein, weil man sich von dem nahen und befreundeten Oesterreich weg an das fremde ferne Rußland gewendet hatte. Die Pforte aber betrachtete ohnehin mit zunehmender Eifersucht die Ausbreitung Rußlands, sowie dessen wachsenden Einfluß auf die christlichen Völker der griechischen Kirche in der Türkei. Sie würde auch von dem Streben der Serben, Rußlands Protectorat zu gewinnen, höchst unangenehm überrascht worden sein und sicher mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln die Ausführung der serbischen Mission nach Rußland zu verhindern getrachtet haben. Allein das Geheimniß wurde von allen Eingeweihten sorgfältig bewahrt, und so konnten die Gewählten ihre weite Reise ungestört antreten. Am 13. September 1804 fuhren Nenadowitsch und Tschardaklija Nachts von Topschider bei Belgrad mittels eines Kahnes donauabwärts bis Semendria, wo ihr dritter Genosse Protitsch sich zu ihnen gesellte, dann ging die Reise weiter zu Wasser bis Orsowa, von da bis Bukarest aber zu Wagen. Am 26. September langten die serbischen Abgesandten in der rumänischen Hauptstadt an, wo sie sofort dem russischen Consul den Zweck ihrer Reise mittheilten. Dieser versah sie mit russischen Pässen, und der russisch gesinnte Hospodar der Walachei Ypsilanti bot hilfreiche Hand zur Weiterfahrt. Gewarnt vor Murusi, dem türkenfreundlichen Fürsten der Moldau, eilten sie möglichst rasch durch dieses Land, an dessen Grenze sie fast in die Hände nachgesandter moldauischer Panduren gefallen wären. Nun reisten sie über Mohilew, wo sie dem daselbst weilenden Großfürsten Constantin vorgestellt wurden, nach Kiew, dann weiter nach Charkow, wo Tschardaklija seine Frau und die Abgesandten zwei österreichische Serben als Lehrer fanden; einer der letzteren, Philippowitsch, schloß sich der Botschaft an. Die Hauptsache, daß Tschardaklija der Haupturheber dieser Deputation an den russischen Czaren war, ist berichtet. Dieselbe langte nach mancherlei Fährnissen, erschöpft von der langen Reise, am 7. November in St. Petersburg an. Ueber ihre Ankunft daselbst, über ihre mit dem russischen Minister des Aeußeren Fürsten Czartoryski wiederholt stattgefundenen Unterredungen, welche Erzpriester Nenadowitsch in seinen Memoiren aufgezeichnet hat, über ihre Rückreise und den Mißbrauch, den Nenadowitsch von einem werthvollen Evangelienbuche, dem Geschenke eines russischen Freundes, machte, berichtet die unten angeführte Quelle. Mit diesem Evangelienbuche hat es nämlich folgende Bewandtniß. Nach der Rückkehr der Deputation, welche gar nicht vom russischen Kaiser empfangen worden war, berief Kara Gyorgye auf den 29. April 1805 eine große Skuŗschtina (Versammlung) nach [30] Ostruschnitza. Hier zeigte man dem zahlreich versammelten Volke das Evangelienbuch aus St. Petersburg und log ihm vor: Kaiser Alexander sende dieses, damit die Serben es küssen und auf dasselbe schwören, ihrem begonnenen Werke bis ans Ende getreu zu bleiben. Darauf theilte der Prota Nenadowitsch seinen Landsleuten die Fabel mit: der Czar habe den Serben Hilfe zugesagt (daran war in den Unterredungen der Deputation mit dem Fürsten Czartoryski auch nicht mit einer Silbe gedacht worden), nur müsse man dieses Versprechen geheim halten, damit die Türken davon nichts erfahren. Man sieht hier wieder: daß dem Verrathe Trug und Lüge stets willkommene Mittel sind, wenn es gilt, seine verbrecherischen Zwecke zu fördern. Die Mission hatte, so schließt Professor Schwicker, ihren eigentlichen Zweck in Rußland zwar nicht erreicht, allein sie wurde dennoch nach doppelter Richtung von erheblichem Einflusse. In Rußland lenkte sich abermals, und zwar nachdrücklich die Aufmerksamkeit auf das glaubens- und stammverwandte Serbenvolk im Süden, und in Serbien wendeten sich seitdem die durch das Evangelienbuch getäuschten, ja zum Eide verführten Gemüther hoffnungs- und vertrauensvoll dem Czarenreiche zu. Der erste Fall einer directen Verbindung Serbiens mit Rußland bereitete hier und dort den Boden vor, auf welchem dann das im Frieden zu Bukarest 1812 vertragsmäßig stipulirte russische Protectorat über Serbien, welches erst der Pariser Vertrag vom Jahre 1856 beseitigte, entstehen und gedeihen konnte. Als aber dann Rußland den Pariser Vertrag nach dem Berliner Congreß vom 13. Juni 1878 ad acta gelegt, schoß die für einige Zeit niedergehaltene Saat von Neuem in Blüthe und Frucht. Ueber Tschardaklija fehlen weitere Nachrichten. Das Mitgetheilte genügt, um zu zeigen, welchen Antheil er an einem politischen Schritte hat, dessen Spuren sich acht Jahrzehnte später erst recht sichtbar machen.

Allgemeine Zeitung (Augsburg, Cotta, gr. 4°.) 1877, Beilage Nr. 258 und 262: „Die ersten politischen Beziehungen Serbiens zu Rußland“. Von Prof. J. G. Schwicker.