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BLKÖ:Verschitsch, Joseph

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Verseghy, Franz
Band: 50 (1884), ab Seite: 150. (Quelle)
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Verschitsch, auch Verzizh geschrieben, Joseph (Mechaniker, geb. zu Steinberg im Bezirke Ober-Radkersburg des Marburger Kreises der Steiermark 1774, gest. in der Tenne eines Bauernhauses zu Muckendorf im Bezirke Gleichenberg am 12. Juni 1847). Der Sohn eines armen Winzers, der nebstbei auch Zimmermann war, wurde er mit seinen übrigen Geschwistern zeitig angehalten, die Eltern beim Land- und Weingartenbau und den Vater überdies bei dessen Zimmermannsarbeiten zu unterstützen. Unter solchen Umständen wuchs er auf, ohne lesen und schreiben zu lernen. Indessen entwickelte er früh eine besondere Vorliebe und Talent für die Tischlerei und beschäftigte sich in seinen Freistunden mit Verfertigung von Schreinerarbeiten, die er ganz ohne Anleitung mit solcher Geschicklichkeit herstellte, daß der Gutsherr vom Prentlhofe bei Radkersburg, Franz Khörrer von Freyspurg, auf ihn aufmerksam wurde. Derselbe nahm ihn nun als Bedienten und Jäger in seine Dienste, ließ ihn aber nebenbei das Tischlerhandwerk ordnungsmäßig erlernen, damit er es nöthigenfalls unbehindert ausüben könne. Aus Khörrer’s Diensten trat Verschitsch in jene des Grafen von Wurmbrand über, wo es ihm auch nicht an mancherlei Anregung, fehlte. Endlich hatte er sich so viel zurückgelegt, daß er mit Hilfe seiner beiden Gönner sich im Prentldörfl in der Gemeinde Neudörfl des Bezirkes Neuweinsberg eine kleine Landwirthschaft kaufen konnte, die er denn auch ganz verständig betrieb. Auf diese Weise lebte er als schlichter Landmann und Landtischler. Allmählig erregte er als letzterer mit seinen Arbeiten, die oft ebenso sinnreich, als sorgfältig ausgeführt waren und, obgleich er nicht zeichnen konnte, doch eine ungewöhnliche Sauberkeit in Form und Mache zur Schau trugen, bald allgemeine Aufmerksamkeit, so daß seine Erzeugnisse immer mehr und mehr gesucht wurden. Die Geschicklichkeit, die sich in Allem, was er vollendete, kundgab, brachte Verstümmelte – an denen es in jenen Tagen nach den häufigen Feldzügen nicht fehlte – auf den Gedanken, durch ihn die Verfertigung künstlicher Gliedmaßen versuchen zu lassen. Anton Graf Wurmbrand, der 1813 in der Schlacht bei Leipzig ein Bein verloren hatte, gab ihm die nächste Anleitung dazu. Als dann derselbe bei einer Gelegenheit sich äußerte, daß das aus Paris verschriebene künstliche Bein nur mangelhaft den Anforderungen entspreche und ihn oft schmerze, ging Verschitsch aus eigenem Antriebe an die Anfertigung eines anderen, welches so vortrefflich ausfiel, daß der Graf nicht nur, wenn er es anlegte, keine Schmerzen empfand, sondern mit demselben auch halbe Tage beschwerdelos auf der Jagd zuzubringen im Stande war. Dieser erste glückliche Versuch veranlaßte Verschitsch, einen zweiten und einen dritten zu machen, welche gleichfalls zur vollen Zufriedenheit ausfielen. Durch diese tief durchdachte und zweckmäßige Ausführung [151] hölzerner Gliedmaßen verbreitete sich der Ruf des bäurischen Mechanikers immer mehr, und er erhielt nicht nur Bestellungen im Inlande, sondern auch vom fernen Auslande. Seine künstlichen Gliedmaßen, vornehmlich Füße, kamen nach Warschau, Mainz, Pesth, Lendva, Gratz, Pettau, Venedig, Triest, Esseg, Salzburg, Villach, Fürstenfeld, Mariazell, Murberg und Rohitsch. Einen zweiten besonders glänzenden Erfolg feierte er, als Fürst Ahremberg, welcher bisher aus London und Paris bezogene künstliche Füße anwendete, ohne jedoch mit ihnen zufrieden zu sein, von Verschitsch vier Stück anfertigen ließ, weil er mit dem ersten, welches er bei ihm bestellt hatte, keine von jenen Beschwerden empfand, die ihm den Gebrauch der ausländischen unerträglich machten. Der Buchhändler Kunze aus Mainz unternahm 1841 eigens eine Reise zu Verschitsch, um sich von ihm drei künstliche Füße verfertigen zu lassen. Er versicherte, dieselben mit dem größten Vortheile gebrauchen zu können, und nachdem er das erste von Verschitsch verfertigte Bein angelegt hatte, warf er das aus Paris bezogene fröhlich mit den Worten weg: „Jetzt ist es mir, als wenn ich keinen hölzernen Fuß hätte“. Im Jahre 1843 kam auch ein Ersuchschreiben von dem königlich bayrischen Landgerichte Wunsiedel in Oberfranken mit Bestellung einer künstlichen Hand. Außer Füßen verfertigte Verschitsch auch Hände und einzelne Finger und lieferte im letztgenannten Jahre auch einen Vorderarm nach Gratz und einen Daumen für einen Officier nach Ungarn. Diese künstlichen Gliedmaßen arbeitete er nach eigener Erfindung mit den gewöhnlichen Tischlerwerkzeugen aus, und zwar ganz allein, nur die Stahlfedern ließ er, jedoch unter seiner Aufsicht und Angabe, durch einen Büchsenmacher anfertigen. Die Hauptvorzüge der von ihm gelieferten künstlichen Glieder lagen in der außerordentlich genauen Verarbeitung, Berechnung und zweckmäßigen Lage der Federn und dabei in der großen Dauerhaftigkeit. Ueberdies fertigte er die Werkzeuge und Apparate fast alle selbst an. Erzherzog Johann nahm daher Verschitsch in Würdigung der Verdienste desselben unter die bevorzugten Mitglieder des steirischen landwirthschaftlichen Vereines auf und ließ in dem unter seinem Schutze stehenden innerösterreichischen Industrievereine in Graz einen von dem Künstler verfertigten Fuß vertical durchschnitten, so daß der ganze Mechanismus bloßgelegt ist und genau studirt werden kann, zum Studium öffentlich ausstellen. Im Jahre 1845 schickte Verschitsch auf Verwendung der Bezirksobrigkeit Neuweinsberg auf die allgemeine österreichische Gewerbsproductenausstellung in Wien eine künstliche Hand und einen Fuß. Aber diese kunstvollen Arbeiten blieben völlig unberücksichtigt, was, wenn man den Vorgang bei der Prämiirung auf der Pariser und Londoner Ausstellung kennen zu lernen Gelegenheit hatte, sich leicht erklären läßt. Der damals siebenzigjährige Greis nahm sich diese Nichtberücksichtigung seiner Arbeit, zu der er noch überdies amtlich aufgefordert worden war, so zu Herzen, daß er von nun ab keine solchen Kunstarbeiten mehr lieferte. Der von der Wiener Ausstellung zurückgelangte Fuß wurde dann dem Künstler von der k. k. medicinisch-chirurgischem Lehranstalt in Graz abgekauft; ein anderer künstlicher Holzfuß aber und eine Hand, welche sich in seinem Nachlasse vorfanden, werden bei der Bezirksobrigkeit Neuweinsberg zur Einsicht aufbewahrt. Im Juni 1847 hatte Verschitsch, [152] der zu dieser Zeit schon leidend war, das Unglück, sich auf seinem Heimwege vom Klöchergebirge nächtlicher Weile zu verirren. In der Tenne eines Bauernhauses zu Muckendorf im Bezirke Gleichenberg schlug er sein Nachtlager auf und verschied daselbst, wahrscheinlich in Folge von Ueberanstrengung, von Niemand erkannt. Er wurde dann zu Straden beerdigt und hinterließ eine Witwe, aber keine Kinder.

Mittheilungen des historischen Vereines (Gratz, 8°.) Heft I (1848), S. 141: „Joseph Verschitsch, Landtischler uno Mechaniker“. Von Karl Ritter von Pichl. [Der historische Verein von Steiermark bewahrt auch ein von Pichl mit Bleistift gezeichnetes Bildniß des Mechanikers Verschitsch.] – Meyer (J.), Das große Conversations-Lexikon für die gebildeten Stände (Hildburghausen, Amsterdam, Paris und Philadelphia 1834, gr. 8°.). V. Supplement-Band, S. 1492. – Illustrirte Zeitung (Leipzig, J. J. Weber) Bd. IV, Nr. 88, S. 156: „Joseph Verschitsch, ein mechanisches Genie“. – Mainzer Unterhaltungsblätter (4°.) 1841, S. 584: „Verfertigung künstlicher Gliedmaßen“.
Porträt. Holzschnitt ohne Angabe des Zeichners und Xylographen [leichtschattirter Umriß. Brustbild].