BLKÖ:Webercus, Anton

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Weber
Band: 53 (1886), ab Seite: 220. (Quelle)
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Webercus, Anton[WS 1] (Abenteuerer, geb. in Stuttgart am 1. Jänner 1701, gest. daselbst am 1. April 1803). Sein eigentlicher Name ist Weber, der aber in Folge der Ungeschlachtheit seines [221] Trägers zu Webercus umgestaltet und mit welchem dieser immer genannt wurde. Obgleich er ein Ausländer ist, so spielt sich doch ein großer Theil seiner Geschichte im Kaiserstaate und in dessen Diensten ab. Sein überaus merkwürdiger Lebenslauf läßt ihn uns auch denkwürdig genug erscheinen. Er selbst hat denselben mit anerkennenswerther Offenheit niedergeschrieben. Webercus wuchs zu einer erstaunlichen Größe hinan. Im Alter von 15 Jahren war er bereits über sechs Fuß hoch, besaß die Stärke eines stattlichen Mannes und sah mit seinem mächtigen Barte wie ein Volljähriger aus. Nachdem er zuerst bei mehreren Handwerkern in der Lehre gewesen, zog er es doch vor, Barbier zu werden, und wanderte im April 1716 mit zwei Gulden Reisegeld in die weite Welt. Zu Leitmeritz in Böhmen ließ er zuerst sich nieder und erhielt dort den Spitznamen „Goliath-Bader“, denn er wuchs immer noch, bis er die Riesengröße von acht Fuß rheinländisch Maß erreichte. Durch einen Streit mit Soldaten und Handwerkern, die er bei seiner Stärke schlimm genug behandelte, gerieth er in Haft, machte sich aber frei und ergriff die Flucht. Er gelangte nun nach Niederösterreich, wo er Werbern in die Hände fiel, welche den Riesen nach Wien brachten, von wo er dann zur Armee in Ungarn kam, welche gegen die Türken im Felde lag. Er war der größte Mann in der kaiserlichen Armee und wurde deshalb dem Prinzen Eugen , dem Prinzen Karl Alexander von Württemberg und dem General-Feldmarschall Breuner vorgestellt. Zuerst diente er als Schanzgrenadier, womit er zufrieden war, dann aber als Regimentspauker, als welcher er sich jedoch so wenig gefiel, daß er, als ihn sein Capellmeister einmal beschimpfte, die Pauken an dessen Kopfe zerschlug und nun wegen Insubordination schlimmster Art zum Tode verurtheilt ward. Auf Fürsprache seines Landsmannes, des Prinzen Alexander, erhielt er indessen seine Begnadigung und diente als Grenadier weiter. Er kämpfte in der Schlacht bei Peterwardein, tödtete bei der Erstürmung von Temesvár einen türkischen Aga, dessen reiche Goldbörse er erbeutete, verlor aber dabei sein linkes Auge durch einen Pfeilschuß. Noch wohnte er der Belagerung von Belgrad bei, dann aber der Strapazen des Kriegslebens müde, desertirte er und gelangte nach mancherlei Abenteuern, bei welchen der neue Polyphem durch seine Erscheinung nicht selten Schrecken erweckte, aber eben dadurch wieder seine Flucht sicherte, in seine Vaterstadt Stuttgart. Dort wurde ihm von einem geschickten Granatenhändler ein künstliches Glasauge verfertigt und so geschickt eingesetzt, daß er nicht mehr entstellt aussah. Auch erhielt er von Herzog Eberhard Ludwig die Stelle eines Aufsehers bei den Bauten. Bei einem glänzenden Maskenballe, der bei Hofe stattfand, sollte er als Statue mitwirken, und zwar wurde er als Neptun auf ein Postament gestellt und von den Masken förmlich umschwärmt. Eine muthwillige Maske erlaubte sich gegen die Statue einen unziemlichen Scherz, den er so übel aufnahm, daß er in der ersten Aufwallung der Maske einen Schlag versetzte, infolge dessen diese zusammenbrach. Da erscholl Geschrei des Entsetzens in den weiten Räumen des Ballsaales: „Die Landhofmeisterin ist todt! Unsere gnädigste Frau ist ermordet!“ In der That hatte Webercus in der ihn verspottenden Maske die allmächtige Favoritin des Herzogs, die berüchtigte Freifrau von Graevenitz, [222] nieder-, aber glücklicher Weise nicht todtgeschlagen. Als er den Schrecken allseits sah, den er hervorgebracht hatte, benützte er, nichts Gutes ahnend, die allgemeine Verwirrung, verließ im Getümmel seinen Standplatz und ergriff sofort die Flucht, auf welcher er nach Erlangen kam. Auch da gerieth er in Streit, tödtete einen Edelmann im Duell und floh nach Halle. Daselbst langte er gerade an, als die Schusterzunft ihr Jahresfest beging, welches in einem maskirten Umzug seinen Glanzpunkt hatte. Da in diesem Umzug auch der lange h. Christoph vorkam, übertrug man die Rolle desselben dem Riesen Webercus, welcher sie mit solchem Nachdruck spielte, daß ihm zuletzt im Zustande voller Trunkenheit alle Sinne schwanden. Als sein Bewußtsein zurückkehrte, befand er sich in einem Thurmgefängniß auf dem Schlosse Gibichenstein. Seine Kleider lagen bei ihm, aber seine Barschaft, darunter 300 türkische Goldstücke, war verschwunden. Preußische Werber des Königs Friedrich Wilhelm I., welcher, wie bekannt, die berühmte Riesengarde in Berlin besaß und nach Leuten für dieselbe aller Orten fahnden ließ, hatten den Trunkenen aufgefunden, und da ihnen der Riese als eine ganz willkommene Beute für das Corps ihres Königs erschien, ihn in seinem bewußtlosen Zustande in ihre Gewalt gebracht. Im geschlossenen, strenge bewachten Wagen führten sie ihn nach Berlin, wo er dem Könige vorgestellt wurde, der ihn über Herkunft und Vorleben befragte. Webercus antwortete freimüthig und erzählte auch, daß ihm sein Geld gestohlen worden sei. Ungeachtet der hohen Anbote, welche ihm für den Eintritt in die Riesengarde gemacht wurden, weigerte er, alle ablehnend, sich entschieden, in dieselbe zu treten. Die Untersuchung wegen des gestohlenen Goldes ließ der König einleiten. Da der Dieb nur unter den Werbern, welche sich seiner bemächtigt hatten, zu finden sein konnte, ward unter ihnen Nachsuchung gehalten und auch bei einem derselben das gestohlene Gold gefunden. Der Dieb wurde zum Galgen verurtheilt. Um den Preis seiner Freiheit rettete ihm Webercus das Leben, denn als er die Vorbereitungen der Hinrichtung sah, erklärte er: in die Garde eintreten zu wollen, wenn dem Diebe das Leben geschenkt werde. „Gnade dem Schufft um Weppruz“ (Webercus), resolvirte der König, und unser Abenteuerer wurde ein Mann der Riesengarde. Als Gardist begleitete er den König nach Königsberg, als dieser an den Friedensverhandlungen zwischen Rußland und Schweden persönlich theilnehmen wollte. Dort sah Fürst Menzikof den Riesengrenadier und erbat sich vom Könige nach vieler Mühe die Erlaubnis, denselben nach Petersburg mitnehmen zu dürfen, um ihn als Mustermann der preußischen Leibgarde am russischen Kaiserhofe vorzustellen. So erhielt er der zu diesem Zwecke ganz neu ausstaffirte Webercus einen sechsmonatlichen Urlaub und langte im Sommer 1722 in Petersburg an, wo er vor Peter dem Großen und Katharina Gnade fand, die dortigen Feste durch seine Gestalt verherrlichen half und in freigebigster Weise gehalten wurde. Das üppige Leben am Petersburger Hofe, wo immer mehrere Diener, Pferde und Wagen ihm zur Verfügung standen, gefiel unserem Riesengrenadier so wohl, daß er seiner Rückkehr nach Berlin vergaß und in der Czarenstadt blieb. Als aber Kaiser Peter 1725 und Katharina bald danach, 1727, gestorben, Menzikoff [223] seiner Würden entsetzt und nach Sibirien geschickt worden war, befand sich der mittlerweile zum Leibtrabanten der Kaiserin vorgerückte Webercus ohne Schutz und wurde zuletzt entlassen, nachdem er noch tausend Silberrubel zum Abschied eingehändigt erhalten hatte. Nach verschiedenen Geschicken: wie mehrwöchentliche Haft als russischer Spion in Warschau, kurzer Aufenthalt in Stuttgart, wo er wegen der verhängnißvollen Ohrfeige, die er der Frau von Graevenitz gegeben, den Groll des Herzogs Eberhard Ludwig noch fühlen mußte, diente er als Portier am Römer in Frankfurt a. M., gab aber nach längerer Zeit, der Faulenzerei müde, diesen Posten auf und ging nach Berlin, in der Hoffnung, dort wieder gnädige Aufnahme vor König Friedrich Wilhelm I. zu finden. Dieser aber, erbittert über seinen Gardisten, der eigenmächtig den sechsmonatlichen Urlaub auf mehrere Jahre ausgedehnt hatte, ließ ihn in die Festung Küstrin setzen. Daselbst war Webercus unter Anderem Augenzeuge der Hinrichtung von Katte’s, und da ihm die harte Gefangenschaft nicht behagen wollte, beschloß er zu fliehen und bewerkstelligte seine Flucht in ebenso gewagter als sinnreicher Weise. Sie glückte, und er gelangte unangefochten nach Deutz am Rhein, wo er bei dem Director einer englischen Kunstreitertruppe, Namens Cowley, eintrat und unter dem Namen „Schwarzwaldmann“ die Rolle eines Menschenfressers spielte. Mit dieser Gesellschaft zog er in den Städten umher und kam auch nach Bremen. Da brach während einer Vorstellung in der Manège Feuer aus, der Director, dessen Tochter und viele Zuschauer verunglückten. Cowley’s Witwe sammelte die Trümmer ihres Eigenthums und reiste mit Webercus und einigen Mitgliedern nach Hamburg. Dort wurde sie wahnsinnig, Webercus brachte sie zu ihren Verwandten nach London, erhielt aber dort das für die Reise ausgelegte Geld nicht zurück und wurde schuldenhalber ins Gefängniß gesetzt. Aus diesem befreite ihn ein Zuckerfabrikant, dessen Bekanntschaft er zufällig gemacht hatte. Bei demselben diente er einige Zeit als Knecht, ging dann nach Holland und erhielt in Amsterdam eine Anstellung als Drillmeister, als welcher er die von Seelenverkäufern zusammengebrachten, für den überseeischen Soldatendienst bestimmten Leute, bevor sie nach Ostindien geschickt wurden, nothdürftig militärisch ausbilden mußte. Von Sehnsucht nach seiner Heimat getrieben, nahm er nach vier Jahren[WS 2] seinen Abschied und kehrte nach Württemberg zurück. Da dort indessen Prinz Karl Alexander als Fürst regierte, unter welchem er gegen die Türken gefochten hatte, so wurde er als Leibtrabant angestellt. Als aber dieser Fürst am 12. März 1737 plötzlich starb, erhielt Webercus seine Entlassung und ergab sich dem Trunke, bis sein ganzes Geld zur Neige ging. Nun kehrte er nach Holland zurück, in der Absicht, wieder als Drillmeister einzutreten. Da sich keine solche Stelle für ihn fand, nahm er den Posten eines Unterofficiers bei einer für Sumatra bestimmten Militärabtheilung an. Auf der Fahrt befiel ein mächtiger Orkan das Schiff, und es scheiterte an der africanischen Küste. Webercus, der Capitän und noch fünfzehn Andere retteten sich, geriethen aber auf ihrer Wanderung nach bewohnten Gegenden in die Gefangenschaft der Mauren, von denen sie als Sclaven verkauft wurden. Als solcher kam der Riese zu einem maurischen Kaufmanne. Eines Tages, als er, unbekannt [224] mit den Sitten des Landes, bei der Begegnung des Sultans Muley Abdallah es unterließ, sich vor ihm in den Staub zu werfen, packten ihn die Leibwächter des Khalifen und schleppten ihn ins Gefängniß; dem Tode entging er, aber er wurde an die Ruderbank einer Raubgaleere geschmiedet. Da traf er mit christlichen Leidensgefährten, einem Spanier und Franzosen zusammen, mit denen er Rettungspläne machte. Das Raubschiff pflegte in einem Versteck an der Küste vorübersegelnden Kauffahrteischiffen aufzulauern. Einst überfiel der Corsar ein sardinisches Fahrzeug, fand aber unerwartet so energischen Widerstand, daß die meisten Corsaren den Streichen der Sardinier erlagen. Diesen Moment benützte Webercus mit seinen beiden vertrauten Leidensgenossen; bei seiner Stärke befreite er sich bald von der Kette, machte auch die beiden Anderen frei und eilte den Sardiniern zu Hilfe. Thatsächlich wurde der Rest der Corsaren niedergesäbelt, die Galeere vom sardinischen Schiffe ins Schlepptau genommen, die befreiten Christensclaven und mit ihnen Webercus nach Gibraltar gebracht, wo die Prise verkauft und unter die Geretteten vertheilt wurde, und wobei auch Webercus einen guten Antheil erhielt. 1741 segelte derselbe nach Neapel, in der Absicht, dort eine ordentliche bürgerliche Hantirung zu betreiben. Er errichtete eine deutsche Gemüsegärtnerei und führte die ersten Kartoffeln in Süditalien ein, die er sich aus Württemberg hatte schicken lassen, wo dieses nützliche Knollengewächs bereits seit 1711 angebaut wurde. Vier Jahre betrieb Webercus die Gärtnerei; dann trat er als Trabant in die Dienste des Herzogs von Parma, aus diesen kam er an den kaiserlichen Hof Maria Theresias, wo der kleine Kronprinz Joseph sich oft den Spaß machte, an dem Riesen hinaufzuklettern und an dessen langem Barte zu zausen. Bei dem Ausbruch des Krieges zog er mit dem kaiserlichen Heere ins Feld und focht bei Hohenfriedberg und Königingrätz gegen die Preußen. Zehn Jahre stand er in kaiserlichen Diensten, dann verließ er Wien und trat sonderbarer Weise in das preußische Heer unter Friedrich II. und nahm mit demselben an mehreren Hauptschlachten des siebenjährigen Krieges Theil. Nun kehrte er wieder in sein Vaterland Württemberg zurück, wurde dort erst Aufseher des Eselstalles bei Herzog Karl Eugen, mußte aber bei festlichen Gelegenheiten auch Trabantendienste verrichten. Als Kaiser Joseph II. nach Stuttgart kam, um den Herzog Karl Eugen zu besuchen und dessen Karlsschule kennen zu lernen, verrichtete Webercus eben wieder Trabantendienste. Das Glasauge desselben brachte dem Kaiser den Riesen in bestimmte Erinnerung, und auf die Frage des Monarchen, ob Webercus nicht früher in Wien gewesen sei, erwiderte dieser: „Ja wohl! Majestät standen als kleiner Prinz oft auf meinen Schultern“. „Lieber Vetter“, wandte sich Joseph II. zum Herzoge, „diesen alten Riesen möchte ich wieder in meiner Hofburg zu Wien haben.“ Karl Eugen wünschte dem Kaiser einen Gefallen zu erweisen, und so reiste Webercus mit dessen Gefolge nach Wien, wo er im kaiserlichen Hofhalte einen bequemen Ruheposten erhielt. Im Jahre 1783 ging er mit Erzherzog Leopold, der seine Schwester Marie Antoinette in Paris besuchen wollte, nach Frankreich, wurde dort krank und blieb, als der Erzherzog heimkehrte, deshalb in Paris zurück. Nach seiner Herstellung [225] berief die Königin den damals Vierundachtzigjährigen nach Versailles. Er trat in ihre Dienste. Die Königin wie ihr Gemal liebten es, sich von dem noch immer rüstigen Greise die seltenen Abenteuer seines vergangenen Lebens erzählen zu lassen. In den Memoiren jener Zeit wird ein Weber als „Kammerdiener der Königin“ mehrfach erwähnt; ob da nicht eine Verwechslung mit Joseph Weber [siehe diesen S. 194, Nr. 26] stattfindet? Auch im Romane von Alexander Dumas „Das Halsband der Königin“ spielt Webercus eine, freilich nur nebensächliche, Rolle. Und da Dumas die merkwürdigen Schicksale des Riesen, die ja eine Fundgrube für seine Feder gewesen wären, gar nicht ausgebeutet hat, so möchte es uns eben bedünken, daß unter diesem Lakai[WS 3] der Königin nicht unser Webercus, sondern der schon oben erwähnte Joseph Weber gemeint sei. Die Greuel der Revolution bis 1797 erlebte der Riese als Augenzeuge in Paris, er sah seine königlichen Gebieter den Märtyrertod sterben, sah die Niedermetzelung der treuen Schweizer, die Ermordung der Prinzessin Lamballe und der Gefangenen in der Abtei St. Germain, wo er selbst eingekerkert war. Nur ein glücklicher Zufall rettete dem Riesen das Leben. Er kehrte nun nach Württemberg zurück, arm wie Hiob. Herzog Friedrich, der damals regierte, ließ ihm eine monatliche Unterstützung von vier Gulden reichen, die aber zum Leben nicht genügte. Da verschaffte sich Webercus einen kleinen Verdienst durch das Schnitzen hölzerner Wäschklammern, welche er in Stuttgart herumtrug und an die Hausfrauen für ein Billiges verkaufte. So lebte dieser seltsame Abenteuerer in Armut noch einige Jahre, bis er in dem seltenen Alter von hundertunddrei Jahren eines sanften Todes starb.

Das Buch für Alle (Stuttgart, H. Schönlein, Fol.) Jahrg. 1880/81, Heft 9, S. 210: „Der Riese von Stuttgart. Culturgeschichtliches Lebensbild aus dem vorigen Jahrhundert“. Von J. O. Hansen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Diese Person ist erdichtet.
  2. Vorlage: Jaahren.
  3. Vorlage: Lakei.