BLKÖ:Zirksena-Rietberg, Maria Prinzessin

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Zipser, Joseph
Band: 60 (1891), ab Seite: 179. (Quelle)
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Zirksena-Rietberg, Maria Prinzessin (Mutter des Fürsten Staatskanzlers Wenzel Kaunitz, geb. 1683, gest. in Wien 1758). Die Mutter eines der größten Staatsmänner, nicht bloß Oesterreichs, sondern des 18. Jahrhunderts, mit der großen Maria Theresia zugleich Mitgründers des Großstaates Oesterreich, war eine der merkwürdigsten Frauen, und sollen ihre außerordentlichen Eigenschaften sich auf ihren großen Sohn vererbt haben. Marie oder wie sie nach ihrem ganzen Namen heißt: Maria Ernestina Francisca, entstammte dem ostfriesischen Geschlechte der Zirksena-Rietberg. Früh wurde sie mutterlos und kam somit zur Erziehung in das Clarissinenkloster bei Meppen, in welchem ihre Muhme Aebtissin war. Im Alter von 13 Jahren maß sie fünf rheinische Fuß, das goldblonde leicht gelockte Haar trug sie mähnenartig herabwallend, ihr Teint war blendend weiß, ihre Wangen sanft geröthet. Sie besaß eine außergewöhnliche Körperkraft, von der sie bei verschiedenen Gelegenheiten ausgiebigen Gebrauch machte. Sie war im Fechten, Schwimmen, Reiten, Schlittschuhlaufen, Rudern, Segeln und Steuern ausgezeichnet erfahren, dabei wissenschaftlich gut unterrichtet und doch echt weiblichen Gemüthes. Im Kloster erhielt sie eine treffliche Ausbildung und da sie schnell heranwuchs, wurde sie schon 1697, kaum 14jährig, mit dem um drei Jahre älteren Max Ulrich Grafen Kaunitz verlobt. 1696 brachte sie ihr Vater Ferdinand Maximilian Fürst von Ostfriesland in ein Prager Kloster, wo es aber der „jungen friesischen Katze“, wie man sie dort nannte, ganz und gar nicht gefiel, was zu manchen unliebsamen Scenen Anlaß gab. Die Nonnen besaßen weder eine dem begabten Kinde imponirende wissenschaftliche Bildung, noch die zur Leitung des eigenartigen Mädchens nothwendigen pädagogischen Fähigkeiten. Mit der Oberin und mit dem Beichtvater gerieth sie infolge dessen bald in Streit, und als sie eines Tages geradezu erklärte: die Ovidischen Metamorphosen erschienen ihr denn doch besser, wenn auch nicht glaubwürdiger als gewisse Legenden, so erschien dies ihren Vorgesetzten doch zu arg, man belegte sie mit im Kloster üblichen Strafen und einmal mußte sie vierzehn Tage hintereinander, jedesmal eine halbe Stunde Nachts zwischen zwölf und ein Uhr allein im Klostergewölbe beten!! Sie nahm dabei ein handfestes dolchartiges Messer und eine kurze Lederpeitsche mit sich zum Schutze gegen die Ratten und befand sich übrigens ganz wohl, so daß alle derartigen Versuche, das beherzte Friesenmädchen „gruseln“ zu machen, mißlangen. Da führte im Frühjahr 1697 „die friesische Katze“ ein Stückchen aus, womit sie großes Entsetzen unter den Nonnen hervorrief. Sie knüpfte nämlich mit einem Faden hinten die Röcke der eifrig auf der Straße schwatzenden Klosterfrauen zusammen und hatte an der Scene, welche zum Labsal der Passanten, als die Klosterfrauen auseinander gehen wollten, sich abspielte, eine herzliche Freude. „Dir wird ein kräftiger Birkenthee gut thun, Du sollst die Englein im Himmel singen hören und selbst köstlich mitsingen“, sagte in ihrer Entrüstung die Oberin zu Maria. Also Ruthenstreiche! An diese [180] schimpfliche Strafe denken, vor Scham die Wangen erröthen, das Blut durch die Adern heiß jagen fühlen, das Kloster verlassen und hinaus vor die Stadt rennen, das alles folgte rasch aufeinander. Als man die Entflohene vermißte, ließ die Oberin sofort einen Wagen anspannen und nach dem Flüchtling suchen, der auch alsbald eingeholt, in den Wagen gehoben und ins Kloster zurückgebracht wurde, wo sie – in höchst unwürdiger Weise von einer Nonne – mit Schimpfworten empfangen ward. „Schimpfen“! rief die Prinzessin, sprang als „friesische Katze“ auf die Nonne, jagte der Fliehenden nach, welche sie bald einholte, worauf man dann Ohrfeigen auf das Gesicht der Erschreckten klatschen und ein Geschrei durch die Klostergänge hallen hörte, daß die Nonnen entsetzt von allen Seiten herbeieilten und alsbald die Ursache dieses Zusammenlaufes inne wurden. Das war unerhörter Frevel. Zunächst wurde Maria in die Strafzelle gebracht und bei Wasser und Brod in Haft gehalten. Derselben folgten am nächsten Morgen Urtheil und Strafe. Beides wurde von der Oberin der Schuldigen im Beisein der versammelten Nonnen verkündigt: „Tüchtige Birkenruthen und heilendes Salzwasser werden Dir brennende Schmerzen bereiten und Deinen ungemessenen Stolz beugen, mein Kind. Die Strafe muß Dir einmal recht zu Herzen gehen, Maria. Sie ist hart, aber wohl verdient, liebes Kind. Möge sie Dir zur Besserung, Deinen Gefährtinen zur Warnung dienen!“ – Was nun folgte, war empörend. Das vierzehnjährige Mädchen wurde entblößt, mit Gurten auf eine Bank gebunden, zehn Nonnen gingen im Rundgang herum und hieben sie mit zwei Fuß langen geflochtenen Birkenruthen, während eine mit chirurgischen Kenntnissen ausgerüstete Klosterfrau das empörende Strafgericht überwachte. Aber nicht gutwillig hatte sich das beherzte Mädchen zu dieser Mißhandlung herbeigelassen. Auf ihr adeliges Blut pochend, rief sie: „Ich bin eine Zirksena von Greetsiel“ und wies in nicht gerade anständiger Weise der Oberin den Rücken. Als man sie dann fassen wollte, verbarricadirte sie sich hinter Stühlen und Bänken und drohte, Jeden, der ihr nahe, zu schlagen. Endlich mußten zwei derbe Klostermägde den Angriff wagen; aber die „friesische Katze“ schlug, kratzte, biß und konnte erst nach hartem Kampfe gefaßt, entkleidet und auf die Bank geschnallt werden. Ohne Klage, ohne Bitte, ohne Schmerzenslaut überstand die Prinzessin die grausame Strafe, sie ertrug auch ruhig die furchtbar schmerzhafte Waschung mit Salzwasser, dann aber fiel sie in Ohnmacht. Als sie aus dieser erwachte, erfolgte die überraschende Umkehr: freiwillig bat sie dann die Oberin um Vergebung für ihre Unarten, erklärte aber, daß sie gezwungen dies nie gethan haben würde. Es war ein reiner Zufall, daß bald nach diesem Vorfall ihr Vater Fürst Ferdinand Maximilian sie in Prag besuchte. Als er da sein zerfetztes Kind sah, die Wunden, Schwielen, Krusten erblickte, da rief er tief ergrimmt aus: „Das ist zu arg!“ und erhob die Reitgerte zum Schlage gegen die Oberin. Aber er schlug nicht. Die Prinzessin war von ihrem Schmerzenslager aufgesprungen, hatte dem Vater in die erhobene Hand gegriffen und die Oberin vor dem Streiche gerettet. Nun war es an der Letzteren, dem hochsinnigen Friesenmädchen zu danken. So endigte diese Klosterscene. Maria verließ mit dem Vater das Kloster und Prag. Bald danach wurde sie in Ryswick [181] dem Fürsten Kaunitz verlobt. Dort blieb sie – es war zur Zeit des berühmten Friedensschlusses – und verübte in ihrem lustigen unbändigen Sinne noch manche Eulenspiegelei. So z. B. vertauschte sie einmal die Kleider einer jubelnden Kinderschaar, der sie ein Fest bereitet hatte. Darüber Entsetzen der verschiedenen Mütter, und eine aufgebrachte Bäckerfrau wünschte ihr „achtzehn Bälge“ nacheinander, wie sie ihr zutheil geworden. Maria antwortete scherzend: „Ich danke schön, bitte aber um sechs Knaben und zwölf Mädchen wie ich bin“. Etwa achtundzwanzig Jahre später wurde diese inzwischen siebzig Jahre alt gewordene Bäckerfrau in Ryswick seltsam freudig überrascht. Sie erhielt nämlich aus Wien durch die kaiserliche Gesandtschaft im Haag ein freundliches Schreiben und ein schönes Geschenk namens des achtzehnten Kindes der Frau Reichsgräfin Maria zu Kaunitz und Rietberg. Fünfundsiebenzig Jahre alt ist diese urkräftige Friesin, eine der letzten aus dem uralten Stamme der Zirksena, geworden. Neunzehn Kindern hat sie das Dasein gegeben, und alle hat sie, das nachahmenswerthe Muster einer deutschen Frau, die nie ihre frohe Laune verlor, vortrefflich erzogen. Die tüchtigen Eigenschaften und Grundsätze, die ihrem Sohne, dem berühmten Minister Kaunitz innewohnten, waren das Erbtheil mütterlicher Seite.

Schultz (K. A.). Maria Kaunitz-(Zirksena) Rietberg. Lebens- und Charakterbild (1881).