BLKÖ:Martines, Marianna

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Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich
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Martinelli, Dominik
Band: 17 (1867), ab Seite: 22. (Quelle)
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Martines, auch Martinez, Marianna (Gesangskünstlerin und Tonsetzerin, geb. zu Wien 4. Mai 1744, gest. ebenda 13. December 1812). In der Taufe hatte sie eigentlich die Namen Anna Katharina erhalten, im Leben aber nannte man sie Marianna, welcher Name ihr auch in allen biographischen Werken gegeben wird. Ihre Eltern hießen Nicolò und Maria Theresia di Martines und waren mit dem damaligen päpstlichen Nuntius, bei welchem der Vater das Amt eines Gentilhuomo oder Ceremonienmeisters bekleidete, um die Mitte der 1720ger Jahre nach Wien gekommen, wo sie auch bis zu ihrem Tode verblieben sind. Als der von Kaiser Karl VI. zum Hofdichter ernannte Abbate Pietro Metastasio im Jahre 1730 in Wien eintraf, mußte dieser sogleich bei seinem alten Freunde, dem Herrn von Martines, absteigen und bei diesem so lange wohnen, bis er sich in demselben Hause eine besondere Wohnung eingerichtet hatte. Von nun an lebten Alle, zu einer Familie vereint, in ungestörter Harmonie so lange mit- und nebeneinander, bis ein Mitglied derselben nach dem andern, und zwar zuerst Mariannens Eltern, dann am 12. April 1782 der greise Dichter in ein besseres Leben hinübergegangen waren. Nun sah sich Marianna genöthigt, sammt ihren Geschwistern eine Wohnung zu verlassen, in welcher sie die schönsten Jahre ihres Daseins verlebt, und die herrlichsten Kunstgenüsse, die ungeheucheltsten Beweise[23] der Liebe, die schmeichelhaftesten und ehrendsten Huldigungen, deren sie sich später sehr oft mit tiefster Rührung erinnerte, in reichlichem Maße empfangen hatte. Von dieser Zeit an änderte Marianna ihre Wohnungen öfter, führte aber, wo sie hinkam, ein der Kunst geweihtes Leben und veranstaltete wenigstens in der Woche einmal musikalische Abendunterhaltungen. Marianna von Martines wurde sowohl wegen ihrer ausgezeichneten Körper- und Geistesgaben, als auch wegen ihrer überaus schönen Stimme. welche sich bereits in ihrer frühesten Kindheit entwickelt hatte, sehr bald allen ihren Geschwistern vorgezogen und eben so bald solch ein erklärter Liebling des Dichters Metastasio, daß dieser ihre Erziehung und Bildung mit aller Wärme eines sorgfältigen Vaters übernahm, und sie bis zu seinem Tode nicht mehr von der Seite ließ. Ja, er fand das größte Vergnügen darin, ihr den wissenschaftlichen Unterricht selbst zu ertheilen und sogar ihre musikalische Ausbildung im Clavierspiele und Gesange zu leiten, worin sie von dem damals noch sehr jugendlichen Joseph Haydn [Bd. VIII, S. 108], welcher in demselben Hause ein Dachstübchen bewohnte, sodann von dem Tonsetzer Nicolò Porpora (von dem letzteren auch in der Composition) und später noch von anderen Meistern mehrere Jahre hindurch die gründlichste Anleitung erhielt, welche sie, von dem gereiften Rathe ihres väterlichen Freundes unterstützt und von dem eifrigsten Selbststudium befestigt, bis zu jener vollendeten Kunstfertigkeit, mit welcher sie später so mächtig glänzte, vollkommen auszubilden unablässig bemüht war. Marianna hatte die feinste Bildung genossen; sie schrieb und sprach mehrere Sprachen mit seltener Reinheit und Geläufigkeit und glänzte überall durch einen Geist, welcher mit ungewöhnlichen Kenntnissen ausgerüstet war. Ihre liebenswürdigen, mit seltener Bescheidenheit verschwisterten Eigenschaften, wie ihre Kunsttalente, verschafften ihr die allgemeinste Achtung und zugleich den Zutritt in die ersten Häuser der Kaiserstadt. Das letztere fand um so leichter Statt, da die große Kaiserin Maria Theresia die Familie von Martines auch in den Ritterstand der k. k. Erblande erhoben hatte. Die Kaiserin selbst ließ sie sehr oft zu sich rufen, um sich an ihren Kunsttalenten in mannigfacher Weise zu ergötzen, auch Joseph II., der auch ein großer Musikfreund war, pflegte nicht selten diesen Musikproductionen beizuwohnen. Im Jahre 1773 erhielt Marianna das Diplom von der Gesellschaft der Filarmonici zu Bologna als Mitglied, eine Auszeichnung, welche nur vorzügliche Tonsetzer zu erreichen im Stande sind. Als am 11. December 1812 ihre um drei Jahre jüngere Schwester Antonia plötzlich mit Tode abging, ward sie von Schrecken und Gram über diesen schnellen Verlust so heftig erschüttert, daß auch sie schon nach Verlauf zweier Tage, nämlich am 13. d. M., im 69. Jahre ihres Alters vom Lungenbrande dahin gerafft wurde und auf diese Weise derjenigen nachfolgte, welche durch eine lange Reihe von Jahren ihre einzige, innigste Freundin und Begleiterin gewesen war. Die irdischen Ueberreste Beider wurden auf dem Friedhofe vor der St. Marxer Linie zur Erde bestattet. Ein Neffe, Namens Sigismund von Martines, k. k. Bergwerks-Markscheider zu Schemnitz, war ihr Erbe. Ihre Compositionen sind folgende: Ein Miserere zu 4 Stimmen; – verschiedene italienische Psalmen in Metastasio’s Uebersetzung, zu 4 bis [24] 8 Stimmen, mit Instrumentalbegleitung; – eine solenne Messe, von welcher der bekannte Abt Gerbert in seiner Geschichte der Musik sagt, daß er sie aus den eigenen Händen der Tonsetzerin habe und daß sie im echten Kirchenstyle geschrieben sei; – lateinische Solo-Motetten; – einhundert sechsundfünfzig Arien und Cantaten; – zwölf Concerte für das Pianoforte; – einunddreißig Sonaten für das Pianoforte; mehrere Ouverturen. Einen Theil ihrer Compositionen hinterließ sie ihrer Freundin, einem Fräulein von Engelhardt, und von diesem Fräulein hat die Gesellschaft der Musikfreunde des österr. Kaiserstaates folgende Stücke zum Geschenke erhalten: Fünfzehn Kirchencompositionen; – drei Oratorien; – eine Cantate; – ein Concert für’s Clavier; – eine Symphonie. Die k. k. Hofbibliothek besitzt von ihr eine autographe Cantate in Partitur, welche 23 Blätter in kleinem Quer-Folio zählt und im Jahre 1778 componirt worden ist. Sie hat die Ueberschrift: „La Tempesta“ und ist nach Metastasio’s Worten für eine Sopranstimme mit Quartettbegleitung im Style der damaligen Zeit gesetzt.

Wiener allgemeine Musik-Zeitung. Herausgegeben von August Schmidt (Wien, 4°.) VI. Jahrgang (1846), Nr. 128 u. 129: „Zwei musikalische Berühmtheiten Wiens aus dem schönen Geschlechte in der zweiten Hälfte des verflossenen (18.) Jahrhunderts“. Von Ant. Schmid. – Oesterreichische National-Encyklopädie von Gräffer und Czikann (Wien 1835, 8°.) Bd. III, S. 581. – Neues Universal-Lexikon der Tonkunst. Angefangen von Dr. Jul. Schladebach, fortgesetzt von Ed. Bernsdorf (Dresden 1856, R. Schäfer, gr. 8°.) Bd. II, S. 902. – Gaßner (F. S. Dr.), Universal-Lexikon der Tonkunst. Neue Handausgabe in einem Bande (Stuttgart 1849, Frz. Köhler, Lex. 8°.) S. 590. – Gerber (Ernst Ludwig), Historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler (Leipzig 1790, Breitkopf, Lex. 8°.) Bd. I, Sp. 581. – Derselbe, Neues historisch-biographisches Lexikon der Tonkünstler (Leipzig 1813, Kühnel, gr. 8°.) Bd. III, Sp. 340. – Frankl (L. A. Dr.), Sonntagsblätter (Wien, gr. 8°.) V. Jahrg. (1846), S. 778. – Fétis, Biographie universelle des Musiciens, Tome VI, p. 223. [Die Unrichtigkeiten in diesem Lexikon wie in anderen Werken, welche unserer Tonkünstlerin gedenken, sind sehr groß. So soll Marianne Martines nach Fétis die Gattin eines bedeutenden Musikers und die Nichte des großen Dichters Metastasio gewesen sein; allein beide diese Angaben sind unwahr, erstens, weil Marianne von Martines bis an ihr Lebensende unverehelicht geblieben ist, und zweitens, weil ihr Vater, ein von edlen spanischen Eltern abstammender Neapolitaner, den berühmten Dichter, der ein geborner Römer war, erst in Neapel kennen gelernt und auch erst dort mit ihm den Bund der Freundschaft geschlossen hatte. Noch weit ärger weicht von dem Pfade der Wahrheit die Erzählung ab, welche Hr. Fetis – man erräth nicht, aus welchem Grunde – für sehr wahrscheinlich hält und einem uns ganz unbekannten Werke von Scoppa mit dem Titel: „Les vrais principes de la versidention“ entlehnt hat. Dieser Autor versichert nämlich, Marianne von Martines sei die Tochter eines Wiener Gärtners gewesen; und als eines Tages Metastasio in irgend einer Straße der Residenz dem kleinen Mädchen zufällig begegnete, habe er dasselbe ein munteres Liedchen mit schöner Summe und reizendem Vortrage singen hören. Von diesem Gesange bezaubert, habe der Dichter sich von der Kleinen zu ihren Eltern geleiten lassen und diesen den Vorschlag gemacht, ihr Töchterlein seiner Erziehung und Pflege zu übergeben. Die Eltern hätten das Anerbieten des Dichters mit Freuden angenommen, und so sei es denn geschehen, daß die kleine Marianne von nun an die unzertrennliche Gefährtin Metastasio’s geworden ist. Alle diese Sagen zerfließen in Nichts gegenüber den genauen Forschungen Anton Schmid’s, welche der Biographie dieses Lexikons zu Grunde gelegt wurden. Ebenso wurden dem freundschaftlichen Verkehre zwischen Marianne und Metastasio unlautere Zwecke unterschoben. Auch diese weist Schmid mit Entschiedenheit zurück und führt als Hauptbeleg den wirklich erheblichen Umstand an, daß die Gnadenbezeugungen, welche Marianne [25] von Seite der Kaiserin Maria Theresia genoß, für ihre Sittenreinheit ein um so größerer Beweis seien, als die streng sittliche Kaiserin durchaus mit keinem Frauenzimmer zu verkehren pflegte, deren Ruf nicht höchst unbescholten war. Daß aber sehr innig und liebestreu Metastasio an der Familie Martines hing, beweist sein Testament, welches er schon im Jahre 1765 entworfen hatte und worin er den an der k. k. Hofbibliothek angestellten Bruder Mariannens zum Universalerben seiner gesammten Habe einsetzte, die nebst einer wohleingerichteten Wohnung in Roß und Wagen, einer Menge kostbarer Fürstengeschenke, einer ansehnlichen Bibliothek und einem Vermögen von 130.000 fl. bestand. Laut einem im Jahre 1780 der Urkunde angefügten Codicill vermachte er jeder der beiden Schwestern des Gesammterben, nämlich der Marianne und Antonia, 20.000 fl., und jedem der drei jüngeren Brüder 2000 fl.] – Ueber Marianne Martines als Künstlerin und Tonsetzerin dürfte das Urtheil des berühmten englischen Musikhistorikers Dr. Burney, der im Jahre 1772 Wien besucht und auch Mariannen kennen gelernt hatte, zunächst maßgebend sein. Burney aber schreibt: „Nach den großen Lobsprüchen, welche der Abbate Taruffi (Uditore und Secretär bei dem päpstlichen Nuntius) den Talenten dieses Fräuleins beilegte, war ich sehr begierig, mit ihr zu sprechen und sie zu hören; und Metastasio war so gefällig, sie aufzufordern, sie möchte sich an den Flügel setzen, welches sie dann auch augenblicklich that, ohne sich lange nöthigen zu lassen oder mit falscher Bescheidenheit zu prahlen. Sie übertraf wirklich noch die Erwartung, die man mir von ihr beigebracht hatte. Sie sang zwei Arien über Worte von Metastasio, wozu sie sich selbst auf dem Flügel begleitete, und zwar in einer klar verständlichen meisterhaften Weise, und aus der Art, wie sie den Ritornelle spielte, konnte ich leicht urtheilen, daß sie fertige Finger besitze. Ihre Stimme aber und ihr Vortrag flößte allgemeines Vergnügen, und die höchste Bewunderung ein. Metastasio meinte, ihre Art zu singen, werde sonst nirgends mehr angetroffen, weil sie den Sängern zu viel Mühe und Geduld kosten würde. „E perduta la scuola, non si trova questa maniera di cantar, domanda troppo pena per i professori d’oggidi.“ Burney fährt fort: „Wenn ich sage, ihre Stimme hat einen natürlich schönen und lieblichen Ton, einen wohlgerundeten Triller, eine vollkommen reine Intonation, eine Leichtigkeit, die schnellsten und schwersten Läufe herauszubringen, und einen rührenden Vortrag: so sage ich nichts weiter, als was ich je zuweilen, und zwar mit Wahrheit von Anderen gesagt habe: hier aber fehlt es an Worten, die Bedeutung aller dieser Ausdrücke zu erhöhen und ihnen das wahre Gewicht zu geben. Die italienischen Verstärkungsmittel möchten vielleicht meinen Wünschen weit mehr entsprechen, wenn ich in dieser Sprache schriebe; da dieses aber nicht der Fall ist, so kann ich nur noch hinzufügen, daß Fräulein Martines in Ansehung des Portamento und der unendlich kleinen Abtheilung der Halbtöne, wobei sie auf das Genaueste immer wieder den rechten Hauptton trifft, die vollkommenste Sängerin sei, die ich jemals gehört habe. Auch ihre Schlußsätze, die dieser Manier entsprachen, waren sehr gelehrt und wahrhaft rührend und angenehm. Nach diesen beiden Arien spielte sie noch ein schweres Stück ihres eigenen Satzes auf dem Flügel mit großer Fertigkeit und Reinheit: denn sie versteht zugleich den Contrapunct sehr gründlich.“