Bauernhochzeit (Gemälde der Dresdener Gallerie)
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Das Landvolk von Nordholland, ebenfalls von Friesland und die Bewohner der längs der Nordseeküsten liegenden Sandinseln, ist bekannt durch sein unverrücktes Festhalten an den Sitten der Vorzeit.
Die Bauart der Mehrzahl der Landhäuser in diesen von Alters her stammverwandten Ländern ist der Hauptsache nach seit Hunderten von Jahren dieselbe geblieben. Menschen und Pferde und Kühe, Schweine und Gänse und Hühner leben in patriarchalischer Eintracht unter demselben Dache der langgestreckten, einstöckigen Gebäude. Der Rauch von dem offen an dem weiten, festgestampften Flur liegenden Feuerherde – um welchen sich die Familie schaart – wird selten durch Schornsteine abgeleitet, sondern sucht sich selbst nach Belieben durch das oben aufgestapelte Getreide u. s. w. einen Ausgang. Dieser Gast – sonst eine der Calamitäten des häuslichen Lebens – ist hier zu Lande gern gesehen. Er reift das Getreide nach und spielt bei der Herstellung der berühmten Schinken eine große Hauptrolle.
So wie ihre Wohnungen, so sind die Leute selbst fast ganz den Alten ähnlich. Am meisten zeigt sich dieses bei den Hauptereignissen ihres bescheidenen, harmlosen Daseins, bei Kindtaufen und Hochzeiten.
Für die letzteren ist das Festprogramm vielleicht schon vor fünfhundert Jahren festgesetzt, und wird eine sogenannte „große Hochzeit“, das heißt, eine Hochzeit mit Musik, Tanz und Schmauserei gefeiert; so kann man darauf rechnen, daß diese alten Regeln, welche sogar jedes aufzutragende Gericht und die Folge der Schüsseln bestimmen, unabänderlich in Ausführung kommen.
Die Zurüstungen zu einer solchen Bauernhochzeit sind sehr oft bauernmäßig großartig, und stellen selbst dem Nichteingeweihten eine Hochzeit à la Camacho im Don Quixote in Aussicht. Es ist gar nichts Seltenes, weder in Nordholland, noch in Friesland oder in Westfalen, daß 300 bis 400 Paar, die Kinder ungerechnet, geladen werden. Die Hochzeit dauert regelmäßig vom Sonntag Nachmittag, wo das junge Paar getraut wird, bis zum Mittwoch Abende, wo sich der Troß wieder entfernt. Es ist also sehr natürlich, daß für die schlagfertigen Magen dieser Gesellschaft einige fette Ochsen, mehre Rinder, ein halbes Dutzend Schweine u. s. w. geschlachtet, und furchtbare Batterien von Schiedamer, von Genever, Rum und Bier aufgeführt werden.
Der sogenannte Braut-Bitter, welcher die Einladung der Gäste besorgt, lügt nicht, wenn er in seiner aus uralten Zeiten herstammenden, gereimten Einladungsrede, deren Vortrag etwa eine halbe Stunde erfordert, von „Geflügeln ohne Zahl“ u. s. w. spricht, die zur Restauration der Gäste bereit stehen. Diese Brautrede, im Niederdeutschen und Holländischen gut gereimt, nimmt sich im Hochdeutschen zu sonderbar aus, als daß man sie, der Curiosität wegen, geben könnte. Sie athmet derben niederländischen oder besser niedersächsischen Bauernwitz, dessen Abbild [112] der gebildete Deutsche, der Städter, der Halbfranzösirte mit Schrecken im Eulenspiegel – unsterblichen Gedächtnisses – anstarrt.
Am Hochzeitstage selbst ist die geplagteste Person – der Bräutigam, oder vielmehr der junge Ehemann. Mit einer weißen Schürze angethan, muß er die oben am Tische im vollen Staate sitzende Braut und sämmtliche Gäste als Kellner bedienen. Er hat den Bräutigamsknecht zu seiner Verfügung, wird aber trotzdem so abgehetzt, daß er sich gegen Abend kaum noch auf den Beinen erhalten kann. Die Braut wartet am folgenden Tage mit ihren Mägden auf.
Die Tänze der Gäste am ersten Tage sind festgestellt. Die Ehrentänze machen den Anfang und das junge Paar ist genöthigt, mit allen Großvätern und Großmüttern u. s. w. der ganzen Hochzeitsgesellschaft bis gegen Abend nach einer Menuett-Melodie herumzugehen. Eine schnelle Beendigung eines solchen Tages würde sich der Betheiligte dem Brautpaar gegenüber als unauslöschlichen Schimpf zurechnen. Die Etikette hat hier gesorgt und bestimmt, wie lange das Brautpaar mit den Anverwandten der verschiedenen Grade Ehren halber wandeln soll.
Hier und da kommt in Nordholland und Friesland noch die uralte Sitte vor, daß am zweiten Tage der Hochzeit die sogenannte Brauttafel ausgestellt wird: eine große Schüssel, neben welcher sämmtliche Gäste vorbeidefiliren, um ihre Geschenke, natürlich in klingender Münze, dem neuen Paare darzubringen. Die Beiträge werden von dem Pfarrer, dem Domine oder dem Schulmeister des Orts registrirt. Da hier sich Niemand gegen die Uebrigen eine Blöße geben will, so sind die Gäste nicht selten in dem Falle, das auf der Hochzeit Verzehrte unverschämt theuer bezahlen zu müssen. Ist dieses Opfer gebracht, so pflegt sich der ganzen Gesellschaft plötzlich ein ganz anderer Ton zu bemächtigen. Sie dictirt jetzt, ob sie an großer Tafel warm oder kalt speisen will, oder nicht, und wann dies geschehen soll; sie giebt ihr Gutachten über den noch vorhandenen Vorrath an Eßwaaren und Getränken ab und befiehlt, daß so und so viel Stück Vieh noch nachträglich abgethan werden soll, „da man nicht gesonnen sei, zu hungern.“
In ihrer Ausgelassenheit werden von den Gästen sehr oft die merkwürdigsten Belustigungen entrirt. Aber auch sie sind nicht etwa erst zu erfinden, sondern die Alten haben schon vorgesehen, wie man bei solchen Gelüsten zu verfahren habe. Berüchtigt ist in dieser Hinsicht der Tanz „die lange Reihe.“ Ein Mann und ein Frauenzimmer und so fort stellen sich sämmtliche Hochzeitsgäste, die sich auf ihre Beine noch hinreichend verlassen zu können glauben, in einer Gänsereihe hinter einander auf. Jeder und Jede faßt das Kamisol oder den Rock des Vorderen und hält ihn fest. Die Dorfmusikanten laufen nebenher und nun beginnt der Tanz, halb Hüpfen und Springen, halb Laufen durch die Dorfstraßen, über Hecken und Zäune, durch die Häuser, in die Thür hinein, zum Fenster wieder hinaus u. s. w., ja nicht selten werden von den bachantischen Tänzern den Nachbardörfern auf solche Weise Besuche abgestattet, welche indeß in der Regel mit einer furchtbaren Schlägerei endigen, wenn sich „die lange Reihe“ die geringste Ungehörigkeit erlaubt.
Die Physiognomie solcher holländischen und niedersächsischen Bauernhochzeiten, deren genauere Schilderung wir des Raumes wegen aufgeben müssen, bleibt, obgleich sie der verschiedensten Variationen fähig, immer dieselbe, welche sie seit alter Zeit gewesen ist.
[113] David Teniers höchst humoristisches, lebenathmendes Bild gilt daher dem Wesentlichen nach noch heute vollkommen. Charakteristischer wäre eine solche Bauernhochzeit mit allen Nüancen schwerlich aufzufassen. Das vortreffliche Blatt erklärt sich selbst; eine Idee, welcher Geist etwa bei solchen Gelegenheiten in der Gesellschaft herrscht, haben wir oben angedeutet.