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Venus Urania.

Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung.

Erster Theil.


Von
Fried. Wilh. Basil. von Ramdohr.

Leipzig,
bey Georg Joachim Göschen. 1798.
Vorbericht und Zueignung.

Ich wünschte Einiges zu sagen über die Natur der Liebe, besonders zum Geschlecht, und über die Art, wie sie ausgebildet werden könne, ohne ihrem Wesen zu nahe zu treten. Ich wünschte zugleich Gehör zu finden für einige Bemerkungen über die Begriffe, die man in verschiedenen Zeitaltern von der Liebe gehabt hat, und über die Bemühungen, sie zu veredeln und zu verschönern.

Die Veranlassung zu diesem Werke habe ich in der Unbestimmtheit der Urtheile über die Liebe und über die geselligen Verhältnisse, die ihr zugeschrieben werden, gefunden: die Berechtigung es zu schreiben, in meinem Herzen und in meinen Erfahrungen.

Das allgemeinste, das wirksamste aller Gefühle gibt den Stoff zu meinem Buche her: er muß die Aufmerksamkeit des Publikums an sich ziehen. Aber bey der Behandlung ist auf das Interesse seines größeren Haufens nicht gerechnet.

Ich habe nicht für eine vorübergehende Unterhaltung geschrieben. Ich habe nicht das Herz durch dunkle Rührungen reitzen, oder die Einbildungskraft durch Bilder des Außerordentlichen entflammen wollen. Ich habe gesucht, Ideen und Ausdrücke, die in der Philosophie des gemeinen Lebens im Umlaufe sind, näher zu bestimmen; den Genuß des geselligen Lebens durch Aussichten auf Veredlung und Verschönerung der Liebe zu erhöhen, aber ihn zugleich durch weise Beschränkung unserer Ansprüche auf dasjenige, was unsere wirklichen Verhältnisse zulassen, dauernder zu erhalten.

Dieses ernsteren Charakters meines Werks ungeachtet werde ich zuweilen mit Wärme reden. Wer redet immer kalt von Liebe? – Daß Schwärmerey von meinem Herzen fern bleibe!

Ein bescheidener, gesenkter Blick auf die Dürre meiner Untersuchungen wird mich zuweilen nach einem schmückenden Gewande greifen lassen; – daß seine Falten nicht die Formen verstecken, die es nur bekleiden soll!

Eine gründliche Erörterung nicht ohne Reitz der Einkleidung zu liefern, ist die Aufgabe, die ich mir bey Ausarbeitung dieser Schrift vor Augen gestellt habe. Ich habe dabey auf die Beurtheilung einer Classe von Lesern gerechnet, die ihren Geschmack so wie ihr Herz gebildet, und ihren Geist zum Nachdenken über moralische Verhältnisse gewöhnt hat.

Sollte dieß engere Publikum mir seinen Beyfall versagen; – O Venus Urania! so laß mir den Trost, daß die Wenigen, die mein Herz ganz kennen, die vollendete Lesung dieses Buchs mit einem innigern Drucke meiner Hand und mit dem Ausrufe krönen: Du sprichst, wie du fühlst!

Und Euch, ihr Wenigen! Euch gebe ich wieder, was Ihr mir gabt! Euch besonders sey dieses Werk geweihet!



Erster Theil.

Naturkunde der Liebe.
Erstes Buch.
Liebe
als einzelne, vorübergehende Aufwallung, oder als Affekt betrachtet. [1]


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Wie! Ich liebe Vergnügen und Leben, und dennoch zuweilen Schmerz und Tod! – Ich liebe das Wohl des Menschen, und liebe den Genuß der Nahrungsmittel, die Ergetzung des Auges an leblosen Gegenständen! – Ich liebe mich selbst, und wieder meine Feinde! – Ich liebe meinen Herrn, der hoch über mir steht, und liebe meinen Untergebenen, und liebe die mir gleich sind, Freunde, Gatten! – Ich liebe eine Undankbare, zu meiner Marter lieb’ ich sie; und ach! der Wonne, der unaussprechlichen Seligkeit! Ich liebe die mich liebt, das Du meines Ich’s, das Ich meines Du’s! – Welche Unbestimmtheit in den Begriffen, welche ganz verschiedene Verhältnisse und Empfindungen unter einem Nahmen!

O Liebe! alle Menschen ahnden deine Nähe, und huldigen deiner Macht! Aber von jeher hat es nur wenige gegeben, die dein Wesen begriffen haben! Bald wirst du mit jeder Art der Lust und des Verlangens verwechselt: bald mit jedem Bande der Anhänglichkeit: bald mit jedem leidenschaftlichen Streben nach Besitz und Genuß! Wie hat man, um dich zu erkennen, immer mehr auf die äußern Wirkungen gesehen, die du hervorbringst, als auf den Gehalt der innern Gesinnung, die allein dein Daseyn begründet! Wie hat man jeden Akt von Wohlwollen, von Wohlthätigkeit, von Aufopferung so freygebig auf deine Rechnung gesetzt, unbekümmert darum, ob Begeisterung für Vollkommenheit und Schönheit, kluge Besorgung des eigenen Vortheils, Achtung für Pflicht und Selbstwürde, Aneignung des fremden Zustandes, und so manches andere bloß eigennützige oder beschauende Gefühl, nicht den näheren Anspruch auf jene Aeußerungen hatten! Ja! Ja! Hat man nicht sogar die Wirksamkeit körperlicher Triebe, deren vollständige Befriedigung den Mitgenuß Anderer als nothwendig voraussetzt, mit dir, o Liebe! verwechseln mögen?

So bist du gesucht und gefunden worden an Orten, wo du nicht warst! Aber du bist auch da verkannt worden, wo du wirklich erschienest! Man hat nicht gefühlt, daß jedes wonnevolle Bestreben, den Menschen, den wir als Person neben uns erkennen, um seinetwillen zu beglücken, dir gehört, und daß alle Anhänglichkeit, alle Leidenschaft, nur in so fern deinem Einflusse zugeschrieben werden kann, als jene Empfindung in diesen Verhältnissen die herrschende ist.


Ich fasse jetzt mit behutsamer aber fester Hand die ersten Fäden auf, aus denen die Liebe in allen ihren Modificationen gewebt wird. Ich sondere die schwache Willensregung vom Affekt; die Lust des Verlangens von der des gegenwärtigen Genusses; das Genügen des Bedürfnisses und die Zufriedenheit von der Wollust und Wonne; den Beschauungshang, die Selbstheit, von der Sympathie ab; und nehme aus dieser letztern dasjenige heraus, was die Liebe in dem schwächsten Grade ihrer Erscheinung, als einzelne Aufwallung des thätigen und uneigennützigen Wohlwollens, darstellt.


Zweytes Kapitel.

Herz und Liebe in der weitläuftigsten Bedeutung; Reitzbarkeit unsers Wesens zu Affekten; Zustand affektvoller Lust.

Nie hegen wir die Vorstellung der Liebe, – nie reden wir davon, ohne zugleich an ein Etwas zu denken, welches wir Herz nennen. Er hat kein Herz, er kann nicht lieben! Mein Herz macht mein Glück, mein Unglück, meinen Stolz, meine Erniedrigung! – Gewöhnlicher Ausruf von Eltern, Freunden, Geschwistern, Liebenden aller Art, die sich und Andere anklagen, lobpreisen, entschuldigen!

Dieser Ausdruck wird zu gleicher Zeit bald Gegenstand des Spottes, bald unverständiger Schmeicheley, und durchaus viel häufiger gebraucht als verstanden. Was ist das Herz bey den Weibern? fragen scherzende Dichter; und der Leichtsinn des Wüstlings, die verbrannte Phantasie des Schwärmers, prangen oft mit diesem ehrenvollen Nahmen.

Es ist interessant, es ist nothwendig, so wie ich in meinen Untersuchungen über die Natur des Zustandes, den wir Liebe nennen, vorwärts rücke, allemahl zugleich das Vermögen zu diesem Zustande, den Theil unsers Wesens, durch den er möglich wird, das Herz, näher zu entwickeln.

Aber wie schwer ist es, die Natur dieses Herzens unter bestimmte Begriffe zu bringen, und es in seiner ersten ursprünglichen Bedeutung von allen andern Fähigkeiten und Kräften unsers Wesens zu unterscheiden! Daß ich Symbole fände, welche die Sache anschaulich machen könnten!

Denkt an jenes interessante Kraut, das bey gewissen Berührungen seiner Blätter schnell an seinem ganzen Stamm erzittert und zusammen schrumpft; und vergleicht diese Reitzbarkeit mit der bloßen Beweglichkeit anderer Gewächse! –

Denkt an jene geistigen Getränke, welche durch äußere Erschütterungen, oder durch ein inneres Treiben ihrer Bestandtheile aufwallen, gähren; und vergleicht dieß Aufwallungs- dieß Gährungsvermögen mit der bloßen Flüssigkeit anderer feuchten Körper! –

Ja! auch unserm Wesen ist eine ähnliche Reitzbarkeit, ein ähnliches Aufwallungsvermögen eigen. Ein jeder Mensch hat ein gewisses Etwas, eine gewisse Seite an sich, an der er berührt, in Reitzung, in Aufwallung geräth. Das Herz, in seiner weitläuftigsten Bedeutung, ist die Reitzbarkeit, das Aufwallungsvermögen lebendiger Creaturen, und besonders des Menschen.

Es ist zweifelhaft, ob wir in irgend einem Augenblicke unsers Lebens ohne Reitzung sind; ob wir irgend etwas wahrnehmen oder uns vorstellen können, was uns nicht zur Lust oder Unlust [2] auffordere; mithin, ob es einen Zustand von Ruhe oder völliger Gleichgültigkeit für uns gebe. Inzwischen unterscheidet sich die eine Reitzung von der andern durch ihre Stärke und Lebhaftigkeit. Bald verschwindet sie ganz im Bewußtseyn, bald bestimmt sie uns nur schwach in unserm Willen, bald aber bringt sie ein auffallendes Gefühl von Lust oder Unlust hervor. Und so sind wir wohl berechtigt, eine Ruhe, eine schwache Willensregung, und eine stark afficirte Lage unserer Reitzbarkeit anzunehmen.

Die stärkere Afficirung unserer Reitzbarkeit macht bald einen kürzern, bald einen längern Abschnitt in unserm Leben aus. Ist sie vorübergehend, so nenne ich den Zustand Affekt, Aufwallung im eigentlichsten Sinne. Ist er von längerer Dauer, so nenne ich den Zustand anhaltende affektvolle Stimmung, oder auch unter gewissen Bedingungen Leidenschaft. Der Affekt verhalt sich zur schwachen Willensregung wie die meßbare Linie zum unmeßbaren Punkte; zur anhaltenden affektvollen Stimmung aber, oder gar zur Leidenschaft, wie die Linie zur Figur.

Das Herz, in der weitläuftigsten Bedeutung, die ich kenne und annehmen mag, ist das Aufwallungsvermögen, oder die Anlage unsers Wesens, in stärkerer Maße mit Lust oder Unlust seinen gegenwärtigen Zustand zu fühlen, oder nach einem andern zu streben. So sagt man denn: ich sehne mich, oder ich genieße gegenwärtig mit ganzem Herzen, ich bin von Herzen meiner Lage müde! und wieder: das trifft aufs Herz! Das thut herzlich wohl oder weh! Was heißt dieß anders, als: wir sind nicht im Zustande der Gleichgültigkeit oder der schwachen Willensregung; wir sind stark afficirt!

Liebe, in der weitläuftigsten Bedeutung, die ich kenne, ist die aktuelle Wirksamkeit des Herzens, in so fern dieß für Reitzbarkeit zu Affekten der Lust genommen wird. Ihr Nahme bezeichnet den Zustand affektvoller Lust: es mag diese während des begünstigten Verlangens, oder des gegenwärtigen Genusses empfunden werden. Ich liebe Leben und Vergnügen, ruft der Wollüstling, der an einer gutbesetzten Tafel schwelgt! Ich liebe den Tod, ruft der beraubte Gatte; das Leben ist mir zur Last! Ich liebe diesen Schmerz, ruft der Gebrechliche unter den Händen des Wundarztes; seine Folge ist Genesung! – In diesem Sinne unterscheidet sich Liebe nur von der Unlust und von derjenigen Lust, welche die Begünstigung einer schwachen Willensregung mit sich führt.


Drittes Kapitel.

Liebe und Herz in etwas eingeschränkterer Bedeutung; affektvolles Genügen des fortwährenden Bedürfnisses; affektvolle Zufriedenheit des gestillten; Ausdauern bey dem Genusse überhaupt.

Diese affektvolle Lust kann aber aus sehr verschiedenen Ursachen herrühren, und die Symptome des Zustandes, in den wir dadurch gerathen, können sich sehr auffallend von einander unterscheiden. Der unheilbare Kranke kann mit affektvoller Lust die Vorstellung des Todes hegen, der ihn, wenn auch noch so spät, von seinen Qualen befreyen wird. Diese Lust ist wahrlich sehr verschieden von derjenigen, mit der der Kranke die ersten Spuren seiner Besserung bemerkt! Jener findet seine gegenwärtige Lage ganz unerträglich; er hat auch keine Aussicht auf Rückkehr in den gewöhnlichen Ruhestand des Lebens. Er hofft bloß auf Erleichterung seines gegenwärtigen peinlichen Zustandes durch ein geringeres Uebel. Dieser hingegen genießt gegenwärtig, indem er sich in seinen Bedürfnissen vor jetzt schon erleichtert, und die Hoffnung, daß ihnen ganz abgeholfen werde, begünstigt fühlt.

Bares Verlangen nach einem geringeren Uebel, das unsern gegenwärtigen Zustand bloß erleichtern wird, bringt keine solche Lust hervor, die wir Liebe nennen. Niemand wird sagen, daß derjenige liebt, der in dem Augenblicke einer unumgänglichen Wahl zwischen zwey Uebeln nach dem geringeren mit affektvoller Lust strebt. Liebe setzt offenbar den Zustand des Genusses des Gegenwärtigen voraus.

Darum wird die Lust, die wir an einer wirklich eingetretenen Verbesserung unserer peinlichen Lage nehmen, sehr oft Liebe genannt, wenn uns gleich noch vieles an der Rückkehr in den gewöhnlichen Ruhestand des Lebens fehlt. Aber wir genießen die Erleichterung und fühlen den gestärkten Muth, das fortwährende Bedürfniß zu tragen, und die belebte Hoffnung, daß ihm gänzlich abgeholfen werde. So liebt, wie gesagt, der Kranke die erste Spur seiner Genesung; so liebt der unglückliche Ehrgeitzige den Schlupfwinkel, der ihn wenigstens dem Triumphe seiner Feinde entzieht. Ich nenne eine solche Lust: affektvolles Genügen des fortwährenden Bedürfnisses.

Höheren Anspruch auf den Nahmen der Liebe hat aber derjenige Genuß, den uns das Gefühl eines völlig gestillten Verlangens nach Rückkehr in den vorigen Ruhestand des Lebens zuführt. So liebt der Mensch, der sich von einer augenscheinlichen Todesgefahr gerettet, und in Sicherheit sieht. So liebt derjenige, der die Qualen des Hungers durch Sättigung endigt. So liebt der ohnmächtige Ehrgeitzige, der sein Ziel verfehlt hat, wenn die Bilder von Macht und Ehre, deren Versagung sonst das Unglück seines Lebens ausmachten, ihre Lebhaftigkeit verlieren, und er nun die Fortdauer seiner ruhigen Einsamkeit, nach angestellter Vergleichung mit seiner vorigen Unruhe, eifrig wünscht. Ich nenne diese Lust an der Stillung eines Bedürfnisses, wodurch wir in den gewöhnlichen Ruhestand des Lebens zurückgekehrt sind, wenn sie anders in auffallender Maße empfunden wird, affektvolle Zufriedenheit.

Jenes affektvolle Genügen des fortwährenden Bedürfnisses, diese affektvolle Zufriedenheit des gestillten, werden in so fern Liebe genannt, als wir sie mit dem baren Verlangen nach Beendigung eines peinlichen Zustandes durch den Uebergang in ein geringeres Uebel vergleichen.

Der Charakter der Lust an dem gegenwärtigen Genusse, den ich mit in die Liebe aufgenommen habe, führt zugleich den eines gewissen Ausdauerns, oder Verweilens bey der Lust; eines gewissen Ruhens über derselben; endlich weiterhin, einer gewissen fortschreitenden Ausbildung unsers Genusses, mit sich, von dem ich in der Folge zur Bezeichnung der Liebe noch weitern Gebrauch machen werde.

Das Herz ist nun wieder die Fähigkeit, zu dieser besondern Art von Affekten gereitzt zu werden.


Viertes Kapitel.

Liebe und Herz in noch engerer Bedeutung. Wollust, Wonne, Sinnlichkeit des Körpers und der Seele.

Also: sich gern genügen lassen, weil man schon etwas Gutes genießt und das Bessere voraussieht; gern zufrieden seyn, weil man so viel hat, als man nothdürftig zu dem Ruhestande des Lebens braucht, heißt bereits lieben, in so fern man die affektvolle Lust dieser Art mit der Lust an der Begünstigung einer schwachen Willensregung, oder eines baren Verlangens nach einem geringeren Uebel vergleicht.

Aber legt einmahl den Menschen, die sich in einem solchen Zustande des affektvollen Genügens oder der affektvollen Zufriedenheit befinden, die freye Wahl unter den Verhältnissen vor, worunter sie ihr Leben genießen möchten; glaubt ihr, daß ein einziger den Zustand wählen würde, den er jetzt, gezwungen durch Bedürfniß, aufgefordert durch Ueberlegung, mit Affekt genießt? Glaubt ihr, daß der Kranke, der erst zur Hoffnung der Genesung durch merkliche Erleichterung übergeht, nicht lieber seinem Lager sogleich entspringen, und sich in den ganzen Gebrauch seiner Lebenskraft mit einem Mahle wieder eingesetzt fühlen möchte? Glaubt ihr, daß der Mann, der sich aus einer augenscheinlichen Lebensgefahr gerettet sieht, dieß heroische Mittel, um zu dem völligen Gefühle seines Ruhestandes zu kommen, jenem Zustande animalischer Ausgelassenheit vorziehen würde, den ihm eine unterhaltende Leibesübung gewähren könnte? Glaubt ihr, daß derjenige, der aus Hunger die widerlichsten Speisen gierig niederschlingt, nicht lieber der Qual des Bedürfnisses entübrigt seyn, und bey freywirkendem Appetite seinen Gaumen mit schmackhafter Speise kitzeln möchte? Glaubt ihr endlich, daß jener Ehrgeitzige, der den Genuß der glanzlosen Einsamkeit bloß darum liebt, weil die Versagung seiner Ansprüche auf Macht und Ehre so manche Bitterkeit über sein Leben ausgegossen hat, jetzt, wenn die Mittel zur Befriedigung seiner herrschenden Leidenschaft, bey völliger Sicherheit ihres leichten Erwerbes und ungestörten Besitzes, ihm dargebothen würden, nicht begierig darnach greifen sollte?

Gewiß nicht! und bey der geringsten Aufmerksamkeit auf die Wahl unserer Ausdrücke werden wir nicht sagen, daß derjenige liebt, der bloß die affektvolle Lust eines erleichterten oder völlig gestillten Bedürfnisses genießt. Nein! der Wilde, der seinem Fetisch, es sey die giftige Schlange oder das verderbliche Meer, seine schmackhafteste Jagdbeute mit Vergnügen zum Opfer darbringt, weil er wenigstens den Rest in Ruhe zu genießen hofft: das Weib, das den kranken widerlichen Gatten mit Vergnügen wartet, weil es nach dessen Tode dem Verlust der Mittel zu seiner Unterhaltung entgegen sieht; der Religiose, der sich mit Vergnügen kasteyet, weil die Aussicht auf ewige Straflosigkeit es gebiethet; der Gewissenhafte, der mit Vergnügen ein zweydeutig erworbenes Vermögen aufopfert, um der Pflicht zu gehorchen, und zu innerer Ruhe zurückzukehren; – die lieben nicht; die dulden, harren willig, und ihre Lust ist die an einer erleichterten oder abgeholfenen Nothwendigkeit. Ja! wenn diese Nothwendigkeit uns auch bloß von der Klugheit aufgelegt wäre, durch eine gegenwärtige Entbehrung den künftigen Genuß zu erhöhen, oder durch gegenwärtigen Zwang das glücklichste Schicksal vorzubereiten; so wäre die Lust an diesem Mittelzustande noch keine Liebe. Werden wir sagen, daß der vorsichtige Wollüstling liebt, der heute des Genusses entbehrt, um morgen desto besser zu schwelgen; daß der ehrgeitzige Knabe liebt, der sich in den Freystunden zum Lernen anstrengt, um sich eine Auszeichnung in der Zukunft zu bereiten? Vergleicht den vorsichtigen Wollüstling mit sich selbst, wenn er seinem Appetite mit völliger Ausgelassenheit folgen zu können glaubt; vergleicht den ehrgeitzigen Knaben mit dem Manne, der den Affekt des Wissens und Erkennens unmittelbar empfindet, um den Unterschied zwischen der Lust an kluger Beförderung eines zukünftigen Guts und Liebe zu empfinden.

Lieben heißt: den gegenwärtigen Zustand mit affektvoller[WS 1] Lust genießen, weil wir unsere herrschenden Triebe unmittelbar, ohne Erseufzen anderer unterjochter Triebe, ungewöhnlich begünstigt fühlen. Lieben heißt: dem empfangenen Reitze gewisser sinnlichen Eindrücke und Vorstellungen der Seele folgen, ohne auffordernde Ueberlegung, ohne anstrengenden Antrieb, ohne Zusammenhaltung eines gegenwärtigen Zustandes mit einem vergangenen oder zukünftigen. Es bedarf dabey keiner Motive, keines abstoßenden Grundes, keines anziehenden Zwecks, um den gegenwärtigen Augenblick des Lebens zu genießen.

Herz ist hier die Summe unserer herrschenden Triebe, und der immer rege Hang, sie ungewöhnlich begünstigt zu fühlen. Dasjenige, was wir empfinden, wenn dieser Hang unmittelbar und ungewöhnlich gereitzt und befriedigt wird; der wohlbehagende Zustand, in den wir ohne Zwang, und dennoch unwillkührlich gerathen; dieß ist mehr als Lust des Genügens, mehr als Zufriedenheit: ist Genuß der Ausgelassenheit des Lebens; ist Wollust, Wonne, ist – Liebe.

Das Herz in dieser Bedeutung nenne ich mit einem bestimmteren Nahmen: Sinnlichkeit, und da wir sowohl herrschende, oder Lieblingstriebe des Körpers als der Seele haben, so nehme ich eine doppelte Sinnlichkeit für beyde an. Diese Sinnlichkeit setze ich als Anlage, den Zustand von Ausgelassenheit des Lebens zu wollen, der Anlage, nach dem bloßen Ruhestande des Lebens zu streben, entgegen. [3]

Wollust bezeichnet dann genauer den unerzwungenen und dennoch unwillkührlichen Affekt von Lust, welcher die ungewöhnliche Begünstigung der herrschenden Triebe unsers Körpers mit sich führt.

Wonne nenne ich die Lust der nehmlichen Art, welche die ungewöhnliche Begünstigung der herrschenden Triebe der Seele erweckt.

Wollüstig ergetzt sich das Kind an dem Strahle des Sterns, und an den bunten Farben des Schmetterlings. Wollüstig schlürft der Jüngling den kostbaren Nektar aus Hebe’s Becher, oder den Kuß von ihren Lippen, mit halbgeöffnetem Munde und gebrochenem Auge ein. Mit Wonne wühlt der Reiche in den Mitteln seines Ueberflusses; mit Wonne genießt der Liebhaber des Schönen den Anblick eines Meisterstücks der Kunst; mit Wonne verliert sich der Schüler des Plato im Anschauen der Vollkommenheit und ewiger Harmonie; mit Wonne überläßt sich der Freund, der Gatte, dem Gefühl der Vereinigung mit der Hälfte seines Wesens; und Alles dieß – ist im Zustande des Liebens!


mithin auch kein unwillkührlicher und unerzwungener Affekt von Lust denken. Es giebt inzwischen auch eine instinktartige Empfindung eines nothwendigen Ruhestandes des Lebens, von dessen Begünstigung ein instinktartiges Genügen, eine instinktartige Zufriedenheit abhängt, wie wir dieß an Thieren deutlich bemerken. Die Anlage zu diesen Gefühlen nehme ich nicht mit in den Begriff der Sinnlichkeit auf: ich verstehe darunter nur: den instinktartigen Hang nach Ausgelassenheit des Lebens, oder nach ungewöhnlicher Begünstigung unserer herrschenden Triebe.

Fünftes Kapitel.

Herz in bestimmterer Bedeutung heißt Sympathie; Liebe heißt Wollust und Wonne der Sympathie.

Aber wie! Liebt denn der Geitzhals, den der Fund eines Schatzes erfreuet, oder der unnütze Verschlinger der Früchte dieser Erde, der seinen Gaumen mit Leckereyen kitzelt, oder der unthätige Beschauer, der seine Augen an einer Farbe oder an einem Lichtstrahle weidet?

Allerdings! Ja es liebt sogar derjenige, der mit Wonne seine Rachsucht stillt, und sich an der Marter des Feindes labt. Es giebt eine Liebe zum Hassen, zum Hadern, zum Zerstören. – Allein dieser Ausdruck ist nur in so fern richtig, als wir die verschiedenen Arten unserer Lust, in Beziehung auf die mehrere oder mindere Begünstigung unsers Grundtriebes nach Wohlbestehen unsers Wesens überhaupt, in Betracht ziehen. Jede Lust, welche das Bewußtseyn einer ungewöhnlichen Begünstigung unsers Grundtriebes, einer Ausgelassenheit des Lebens, mit sich führt, ist Wollust, ist Wonne; und in Vergleichung mit der bloßen Lust an der Stillung eines Bedürfnisses, oder einer schwachen Willensregung, Liebe. Warum? Weil wir uns dem Zustande unsers Wesens willig überlassen, begierig entgegenbiethen; mit einem Worte, diesen Zustand gern mögen.

Da wir aber besonders denjenigen Zustand gern mögen, worin wir bereits genießen, und zugleich nach weiterer Ausbildung des Genusses glücklich streben; so heißt lieben vorzüglich: den Zustand des verweilenden Bestrebens mit Wollust und Wonne empfinden.

Dieser Begriff, dieser Sprachgebrauch, beydes läßt sich als wahr und zweckmäßig vertheidigen, in so fern es nur dazu dienen soll, den Grund der Angemessenheit meines Zustandes zur Begünstigung meines Grundtriebes nach Wohlbestehen, den Grad der Lust meines Wesens, gleichviel woran, zu bestimmen und zu bezeichnen. Nehmen wir aber zugleich Rücksicht auf das Verhältniß, in welches unser zur Wollust und Wonne gereitztes Wesen gegen äußere Gegenstände geräth; so ist jene Bestimmung keinesweges zureichend. Wir verlangen sodann zur Begründung des Begriffs der Liebe nicht bloß eine Zuneigung zu unserm selbsteigenen Zustande, sondern auch zu den äußern Gegenständen, mit denen wir dabey ins Verhältniß kommen. Wir müssen uns diesen bey dem Gefühle der Wollust und Wonne gern annähern. Diejenige Lust, die wir bey gelingender Flucht oder Abstoßung äußerer Gegenstände empfinden, wird nicht Liebe genannt werden dürfen, wenn wir bestimmt reden wollen. Der Grund liegt am Tage; sie ähnelt zu sehr dem Genügen des fortwährenden oder gestillten Bedürfnisses.

Aber auch nicht jede Wollust und Wonne, die bey der Annäherung an äußere Gegenstände empfunden wird, kann in bestimmterer Bedeutung Liebe genannt werden. Wir nähern uns oft mit Wollust und Wonne demjenigen, was uns umgiebt, in der Absicht zu zerstören, herabzuwürdigen, in Besitz zu nehmen, oder unthätig zu beschauen. Allein nur diejenige Begünstigung unserer Sinnlichkeit ist Liebe, die mit unserer Seelensympathie verbunden ist; mit dem Inbegriffe unserer Triebe, vermöge deren wir ein gemeinschaftliches Wohl mit Wesen begehren, die eines Bewußtseyns ihres Zustandes fähig sind. Nur die Wonne dieser Sympathie ist Liebe: nicht die Wonne der Selbstheit, oder des Beschauungshanges.

Es ist äußerst wichtig, die dreyfachen Modificationen unserer Sinnlichkeit, zur Selbstheit, zur Sympathie und zum Beschauungshange näher kennen zu lernen. Auf ihrer genaueren Kenntniß beruhet das ganze Gebäude dieses Werks. [4]


Sechstes Kapitel.

Fortsetzung. Dreyfache Modificationen der körperlichen Sinnlichkeit zum Hang nach Ergetzung, nach wohlbehagendem Anschmiegen und nach gierigem Verzehren.

Unser Körper kommt auf eine dreyfache Art mit andern Körpern in ein engeres Verhältniß; entweder, indem er sich ihnen aus der Ferne nähert, oder sie berührt, oder sie in sich einzieht. Jeder Sinn ist dieser dreyfachen Wirksamkeit fähig, und mit jeder ist wieder eine besondere Wollust und ein besonderer Hang, diese aufzusuchen, verbunden. Inzwischen ist das Auge dasjenige Organ, das die auffallendste Fähigkeit zur fernen Annäherung, und den größten Hang zur bloßen Ergetzung hat. Die Tastungsorgane dienen hauptsächlich zur unmittelbaren Berührung, und streben nach dem Wohlbehagen des Anschmiegens. Der Gaumen endlich zieht die äußern Körper ganz in sich über, und huldigt vorzüglich dem Appetit oder dem Hange nach gierigem Verzehren.

Ich will daher vorerst die Eigenthümlichkeiten dieser drey Sinne, des Auges, der Tastungsorgane und des Gaumens, in Rücksicht auf die Art, wie unser Körper durch sie mit andern Körpern ins Verhältniß kommt und genießt, etwas näher entwickeln.

I.

Das Auge kann nichts erblicken, kann noch weniger durch den Anblick ergetzt werden, wenn seine Oberfläche unmittelbar von dem äußeren Körper berührt wird. Um einen Gegenstand als sichtbar wahrzunehmen, müssen wir unsern Körper nothwendig in einiger Entfernung von ihm halten. Das Auge, in so fern es Werkzeug des Sehens ist, liegt gleichsam außer unserm Körper. Seine Wirksamkeit und seine Reitzbarkeit reichen weit über unsere Atmosphäre hinaus. Die Reitzung der Augennerven, die Bewegung der Augenmuskeln wird so wenig bemerkt, daß der Eindruck, den der Anblick auf uns macht, beynahe ganz der Seele zu gehören scheint. Kaum daß wir eine Veränderung an unserm Physischen bemerken, wenn wir unsere Augen an einer schönen Farbe oder einem reitzenden Lichte weiden. Noch weniger mögen wir durch den bloßen Anblick die Lage des angeblickten Körpers verändern. – Nichts erweckt folglich während der Ergetzung des Auges das Gefühl einer besondern Thätigkeit, und noch weniger das eines strebenden Zustandes in unserm Physischen. Und dieß ist der erste Charakter eines wollüstigen Genusses für das Auge; unser Körper wird in keinen thätigen oder strebenden Zustand dabey versetzt, er genießt mit Ruhe.

Ein zweyter Charakter dieser wollüstigen Empfindung für das Auge ist darin zu suchen, daß der Körper, dessen Farbe oder Licht oder Umriß uns gefallen soll, als etwas Abstechendes und Auffallendes wahrgenommen werden, und daß er sich daher durch gewisse Grenzen von unserm eigenen Körper, und von allen andern Körpern die ihn umringen, trennen muß. Trete ich so nahe hinan, daß mein Auge nichts neben ihm wahrnehmen kann, wovon er absticht, so ergetzt er mich nicht; entferne ich mich so weit, daß die Grenzen der Körper, die ihn umringen, mit den seinigen dergestalt zusammenfließen, daß ich ihn nicht bestimmt unterscheiden kann; so ist wieder die Wollust des Anblicks dahin! Farben, die unter sich zu wenig von einander abweichen, Lichter, die zu matt und schmutzig erscheinen, Linien, die sich zu unbestimmt vom Grunde abziehen, beleidigen das Auge oder lassen es ungerührt, sowohl in der Natur als im Gemählde.

Hierdurch wird der Begriff eines Verhältnisses zwischen meinem Körper und andern Körpern außer mir gegründet, das bey anscheinender Ruhe meines Physischen aus der Ferne auf mich wirkt, und das, wenn es wollüstig von mir empfunden werden soll, die nothwendige Bedingung voraussetzt, daß ich den Körper außer mir von meinem eigenen und andern ihn umringenden Körpern auffallend getrennt und abstechend wahrnehmen muß.

II.

Ich vergleiche mit diesem Verhältnisse dasjenige, welches der Gaumen aufsucht. Er zieht den Körper, der ihm wohlschmecken soll, völlig in sich ein. Und mit welcher Thätigkeit, mit welcher Begierde! Nichts reitzt die Nerven so auffallend, als der Genuß der Nahrungsmittel; nichts bringt die Muskeln in eine auffallendere Bewegung, als das Verzehren. Kein körperlicher Trieb wirkt so anhaltend stark, und mit deutlichern Symptomen des Bestrebens, als die Gierigkeit. Der Gaumen eilt, so bald als möglich das Verlangen zu stillen, das mit einer Art von Bedürfniß auf meinen Körper wirkt.

Dieß ist also der erste Charakter des Wohlgeschmacks und der Wollust die er erweckt; mein Körper fühlt sich dabey immer höchst thätig und strebend nach Stillung eines gierigen Verlangens, und der Genuß ist der einer endenden Begierde. Der zweyte ist darin zu suchen, daß der Körper, der dieses Bestreben erweckt, dem meinigen ganz zugeeignet werden muß, wenn er mein Verlangen stillen soll. Er verschwindet für alle meine übrigen Sinne; er wird übergenommen, zermalmt, zerstört, und ein nie wieder zu trennender Theil meines Innern. Davon hängt das Gelingen meiner Begierde, davon hängt meine Wollust ab. Das unversehrte Bestehen des Körpers, der meinen Appetit reitzt, ist unvereinbar mit dessen Befriedigung.

Hier also ein zweytes Verhältniß zwischen meinem Körper und dem Körper außer mir; jener wird während des Wohlgeschmacks im Zustande der endenden Begierde wahrgenommen, dieser verschwindet, und dient nur, den meinigen zu verbessern und zu vermehren.

III.

Endlich, daß meine Hand wollüstig über den sammetnen Ueberzug jenes wohlgefüllten Polsters hinfahre, welch ein ganz verschiedenes Verhältniß von den beyden vorigen!

Mein Körper berührt den Körper außer mir leibhaftig: aber es sind nur ihre Oberflächen, die sich berühren; sie treten sich einander nicht ans Innerste, ans Leben. Die Nerven meiner Haut kommen in merkliche Reitzung, meine Tastungsmuskeln streben auffallend nach außen hin; ich fühle, wie ich dadurch auf den Körper außer mir einwirke. Denn das feine Haar seiner Oberfläche schmiegt sich sanft sträubend der Richtung meines Streichelns nach, und die elastische Füllung des Polsters hebt sich den Eindrücken der anschmiegenden Hand entgegen. Dieß Gefühl ist mit einem Bestreben verknüpft, nicht sowohl ein Verlangen zu stillen, als vielmehr einen gegenwärtigen Genuß fortdauernd zu erhalten, und immer weiter auszubilden. Denn die Bewegung meiner Hand schreitet allmählig weiter fort, und dehnt sich den Eindrücken nach. Dieß ist der erste Charakter der wollüstigen Berührung; mein Körper strebt, aber weit mehr nach Fortdauer und Ausbildung des gegenwärtigen Genusses, als nach Stillung eines Verlangens. Der zweyte ist dieser: mein Körper kommt in unmittelbare Verbindung mit dem Körper außer ihm, aber ohne ihn in sich überzunehmen, ohne die Wahrnehmung seiner Fortdauer und seines unversehrten Bestehens für sich, zu verlieren. Ich fühle, daß dieser Körper dem meinigen anliegt, nicht aber dergestalt an ihn angeschlossen ist, daß nicht die Trennung mit jedem Augenblicke möglich wäre, und daß wir dann Beyde wieder in unsere vorige Lage zurücktreten würden. Ja! ich muß sogar während der Berührung das Gefühl eines Widerstandes behalten, den ein nicht durchdrungener Körper leistet, wenn anders das Gefühl wollüstig bleiben soll. Schlaffheit, Gefühl des Versinkens in den betasteten Körper ist widerlich; zerstörendes Angreifen zerstört zugleich mein Vergnügen.

Und o sonderbar! Gerade die Eigenthümlichkeit, die ich an dem Körper außer mir während der Berührung wahrnehme, die geht in die Reitzung über, welche er in mir erweckt. Die Wirkung, welche ich auf ihn hervorzubringen suche, die wirkt er auf mich zurück. Er steckt mich an mit seinen Eigenheiten; er zieht mich in die Lage hinüber, worein ich ihn versetze! Seine Sanftheit reitzt mich sanft; seine Elasticität macht mich elastisch; seine Härte giebt mir eine harte Empfindung; schonende, allmählige Behandlung bringt eine allmählige Reitzung meiner Nerven hervor; ein anprallender Schlag prallt auf mich zurück.

Wie viel auffallender ist dieß noch bey der Berührung solcher Körper, die eines Dunstkreises fähig sind, und ihre Temperatur so leicht in uns ausströmen lassen. Ihre Wärme, ihre Kälte geht in uns über, und wir theilen ihnen unsere Wärme oder Kälte mit. Wie am allerauffallendsten ist dieß bey animalischen Körpern! Daß ich die weiche, sammetne Hand meiner Freundin ergreife! daß ich sie an mich ziehe, streichle, drücke! Ohne diese unmittelbare Verbindung unserer Körper können meine Berührungsorgane nicht wollüstig gereitzt werden. Ich strebe also, auf diese Hand einzuwirken; ich strebe, von ihr einzunehmen. Aber wie? Schonend, und sogar mittheilend! Ich nehme von ihr, aber ich entziehe ihr nichts von ihren Eigenthümlichkeiten, von ihrem Wohl. Der Sammet dieser Haut wird dadurch nicht verdorben; die Pflaumenweiche dieses Fleisches wird dadurch nicht verhärtet! Und wenn ich sie stoßen oder hart angreifen wollte, so verlöre sich für mich selbst die sanfte Lust! Nein! ich fühle vielmehr, indem die Muskeln der fremden Hand sich den Bewegungen der meinigen anschmiegen, indem die Wärme ihrer Haut zugleich mit der meinigen zunimmt, daß der Körper außer mir meinen Zustand und mein Wohlbehagen theilt, und dieß Gefühl des äußern Daseyns und Wohls neben dem meinigen ist unerlaßliche Bedingung zu meiner höheren Lust. –

Hier sondert sich der Begriff eines dritten Verhältnisses zwischen meinem und fremden Körpern ab; jener wird im Zustande des verweilenden Bestrebens nach fortschreitender Verbindung und Ausbildung des wollüstigen Genusses wahrgenommen: diese dauern unversehrt fort, ungeachtet ihrer Verbindung mit jenem, und ihr Bestehen für sich, ihr Wohlbestehen, theilt sich dem Körper mit, der sie mit Schonung behandelt.


Nimmt man hinzu, daß der wollüstige Genuß des Auges zum Ruhestande des Lebens im Grunde der entbehrlichste ist: daß die wollüstige Berührung unsere Lebenskraft zwar erhöhet, indem wir uns dadurch behaglicher und bequemer fühlen, aber daß wir dieses Genusses zu dem Ruhestande des Lebens allenfalls entbehren können; daß hingegen die wollüstige Stillung des Appetits für die Bedürfnisse unserer Animalität beynahe unentbehrlich scheint; so wird man den Unterschied zwischen den wollüstigen Gefühlen, die das Auge, die Tastungsorgane und der Gaumen einnehmen, noch auffallender finden.


Es bleibt mir hier noch übrig, zu sagen, wie die drey eben angegebenen Verhältnisse, in welche mein Körper zu andern Körpern kommen kann, nicht bloß durch das Mittel der Augen, der Tastungsorgane und des Gaumens entstehen. Nein! alle unsre Sinne nähern sich bald mehr, bald weniger, den angezeigten, und jedes Organ kann zur Annäherung aus der Ferne, zur Berührung und zum Einziehen äußerer Körper, auf gewisse Weise genutzt werden, dadurch drey verschiedene Modificationen unserer Sinnlichkeit erwecken, und sie durch die dreyfachen Wollustgefühle der Ergetzung, des wohlbehagenden Anschmiegens, und des gierigen Verzehrens befriedigen. Das Organ des Geschmacks kann kosten, schlürfen, schlingen; – die Tastungsorgane können austasten, streicheln, einfassen; – das Auge kann anblicken, blinzeln, gieren. – Und eben so können alle übrigen Organe nach der Art, wie sie sich mit den Körpern außer ihnen ins Verhältniß setzen, verschieden afficirt werden.

Siebentes Kapitel.

Dreyfache Modification der Sinnlichkeit der Seele zum Hange nach der Wonne der Beschauung, der Geselligkeit und des Eigennutzes.

Unsre Seele hat unstreitig so wie der Körper die Fähigkeit, sich gegen die Gegenstände, die sie sich vorstellt, in ein dreyfaches Verhältniß zu setzen. Sie erkennt entweder ihr Wesen aus der Ferne an, und betrachtet was sie sind, sie beschauet sie; oder sie versetzt sich in ihren Zustand hinein, und fühlt, was sie fühlen, sie assimilirt sich ihnen; oder sie betrachtet sie als Mittel, ihr in ihren Trieben zu helfen, und sich durch sie zu verbessern, sie eignet sich dieselben zu.

Mit jeder dieser Arten von Verhältnissen ist eine besondere Sinnlichkeit, eine besondere Wonne verbunden. Das Entzücken über den edeln und schönen Gegenstand, der ganz von meiner Person und meiner mir eigenthümlichen Lage getrennt ist; über die Geistesstärke eines verstorbenen Helden, über die Formen einer Statue, über das Ideal eines fehlerlosen Charakters, – ist offenbar verschieden von dem wohlbehagenden Gefühle eines traulichen Umgangs mit einem Zeitgenossen, der um und neben mir ist, und an dessen Daseyn und Wohl ich mich labe. Beyde Wonnegefühle unterscheiden sich aber wieder deutlich von demjenigen, welches mir der Anfall einer Erbschaft, der Fund eines Wechsels, der Gewinn eines Sclaven oder Gönners erweckt, die ich zu meinem Vortheil brauchen will, unbekümmert um ihr Daseyn und Wohl, sobald nur mein Zweck erreicht ist.

Diese drey Wonnegefühle setzen einen ganz verschiedenen Zustand während der Reitzung, und ganz verschiedene Entstehungsgründe zum Voraus. Sie wirken auch ganz verschieden auf die Gegenstände, denen wir ihre Erweckung verdanken.

I.

Es ist ganz offenbar, daß unsere Seele eine Fähigkeit besitzt, die mit dem Organe des Auges die größte Analogie hat; Einen Anschauungssinn, vermöge dessen sie die Bilder, welche die Imagination ihr zuführt, erkennt und beschauet. Diesem Anschauungssinne ist eine Reitzbarkeit und eine Sinnlichkeit eigen, vermöge deren die Seele bald zur Lust oder Unlust, bald zur bloßen Zufriedenheit, bald zur Wonne aufgefordert werden kann. Was bey dieser Wonne zum Grunde liegt, braucht hier nicht entwickelt zu werden. Genug! daß unser innerer Anschauungssinn einen herrschenden Hang nach lebhaften und leicht zu fassenden Bildern hat; daß er Bilder liebt, die dunkle Rührungen, Erinnerungen an vergangene Gefühle von Lust, Vorahndungen künftiger Freuden erwecken; und daß er sogar an Bildern der obersten und allgemeinsten Begriffe der Vernunft und ihrer Gesetze, der Wahrheit, Zweckmäßigkeit und Vollkommenheit eine unmittelbare Wonne empfindet. [5]

Es beruht auf ausgemachter Erfahrung, daß das Entzücken oder die Wonne des innern Anschauungssinnes mit einer merklichen Bestrebung und Anstrengung unserer erkennenden Kräfte nicht besteht, und ohne Hülfe lebhafter Bilder nicht vorhanden seyn mag. Wenn wir Begriffe mühsam zusammensetzen sollen, und erst durch Vergleichungsschlüsse und Urtheile der Vernunft das Außerordentliche, Schöne, Vollkommene auffinden müssen; so wird die Wonne der Beschauung nicht erwachen. Das reitzende Bild muß eben so leicht als auffallend in unserer Seele entstehen, und instinktartig erkannt werden. Wo dieß nicht der Fall ist, da wird zwar wohl eine lebhafte Zufriedenheit über die gelungene Untersuchung, oder über die Vermehrung unserer Kenntnisse, nicht aber unmittelbare Wonne an der Beschauung erweckt werden.

Man denke sich diejenige Wonne, mit der uns das Bild der Gottheit in den auffallendsten Naturkräften rührt, und vergleiche diese mit der Zufriedenheit, die wir nach Beendigung einer metaphysischen Speculation empfinden. Man vergleiche den Eindruck, den die Darstellung der Geschichte des Regulus, als das auffallendste Bild der Aufopferung für Pflicht und Gesetzmäßigkeit, auf uns macht, mit der Beruhigung, die wir der Festsetzung des obersten Grundsatzes der Moral verdanken; – Gewiß! die mühsamen Untersuchungen, die einzelnen zusammengesetzten Begriffe, die uns keine lebhafte Anschauungen darbieten, sind nicht im Stande, uns zur Beschauungswonne zu reitzen. Sie erwecken freylich Lust, und bereiten uns Zufriedenheit, wohl gar Wonne; aber es ist eine Lust, die wir der Ueberlegung der wichtigen Folgen unsers Geschäfts verdanken; es ist die Zufriedenheit nach der Stillung eines Bedürfnisses der Erkenntniß; es ist die Wonne über die Stärke unserer Geisteskräfte, die so viel Schwierigkeiten überwunden, und der Seele einen Vorrath an Wissenschaft erworben hat, auf den sie stolz seyn kann. –

Weiter: um Beschauungswonne zu empfinden, brauche ich mich nicht zu fragen: was hilft dieser Gegenstand meinen Trieben, meiner Person in meiner Lage? wozu ist er mir nütze? Ich brauche mich auch nicht in seinen Zustand hinein zu versetzen, und mich zu fragen, empfinde ich so wie er, möchte ich an seiner Stelle seyn? Alles das beachte ich nicht; ich denke nicht an mich und meine Lage zu ihm. Dieser Umstand, verbunden mit der Leichtigkeit womit ich die lebhafte Anschauung aufnehme, gründet den Charakter eines unthätigen, von allem merklichen Bestreben freyen Zustandes in meiner Seele, der zugleich den ersten Charakter der Beschauungswonne ausmacht.

Der zweyte liegt darin, daß ich das Wesen und den Zustand des angeschauten Gegenstandes nicht allein von meinem Wesen und meinem Zustande, sondern auch von dem, was andere Gegenstände darunter zeigen, auffallend unterschieden fühlen muß. Das Außerordentliche, das Ausgezeichnete in dem angeschaueten Gegenstande ist nothwendige Bedingung zu meiner Beschauungswonne, und eben darum darf ich ihn weder auf mich und meine Lage, noch auf das Wesen und den Zustand anderer Gegenstände, die ich neben ihm mir vorstelle, zu sehr zurückführen, ohne sogleich diese Art von Wonne zerstört zu sehen.

Denkt an das Entzücken, mit dem wir die Handlung einer Arria beschauen, jenes edeln Weibes, das den Dolch aus der durchbohrten Brust zog, und ihn dem Gatten, der bey der Wahl zwischen Tod und Leben anstand, mit den Worten: Pätus es schmerzt nicht! überreichte!

Gesetzt, der Selbstmord wäre eine gewöhnliche Sitte unter einem Volke; gesetzt, die Geistesstärke, welche die Arria zeigte, wäre Folge einer Lage, die wir allgemein, eben so wie sie fühlten; würden wir dieser Handlung noch unsere wonnevolle Bewunderung schenken? Würde sie uns nicht bloß zum Mitleiden oder zum schwachen Beyfall auffordern? Aber auch so wie wir zu ihr stehen; dürfen wir ihre That wohl nach Rücksichten des Nutzens für uns oder für die Gesellschaft, in der wir leben, oder gar nach den Gesetzen der Moral, denen wir alle unterworfen sind, prüfen, und sie dadurch mit uns in eine gemeinschaftliche Lage setzen, ohne unsere Wonne sogleich zerstört zu fühlen? Wenn ich frage: was hilft mir ihre Geistesstärke? was würde aus der bürgerlichen Gesellschaft werden, wenn alle Weiber statt ihre Leiden zu dulden, ihnen durch den Tod ein Ende machen wollten? ist es überhaupt dem Menschen gestattet, über sein Leben zu gebieten? Bey solchen und ähnlichen Fragen, wobey ich die angeschauete Person und ihre Handlung auf die Verhältnisse aller Menschen und meine eigene beziehe, zerstöre ich den Genuß, den die Anschauung unmittelbar mit sich führt, und nur in wenigen Fällen bleibt entweder bloß die Zufriedenheit übrig, welche die praktische Vernunft empfindet, wenn sie ihre Gesetze nothdürftig beobachtet sieht, oder eine Wonne, die von ganz anderer Natur als die der bloßen Beschauung ist. Eine Zufriedenheit, eine Wonne, auf welche dann die gewöhnlichste Tugend mehr Anspruch haben kann, als die Handlung der Arria. Denn gewiß wird der Moralist die Duldung einer Hausfrau, die unter den beschwerlichsten Lagen ihre stillen Pflichten treu erfüllet, mit mehr Zufriedenheit betrachten, als die einzelne glänzende That der Römerin. Und der Gatte, der die Folgen dieser Gefälligkeit seines Weibes unmittelbar empfindet, wird die Wonne, die ihm sein Umgang einflößt, für die Wonne, die verstorbene Heldin zu bewundern, keinesweges aufopfern wollen.

Aber nicht genug, daß ich den Gegenstand, der mich zur Beschauungswonne reitzt, weder nach Rücksichten desjenigen prüfen darf, was für mich besonders, noch was für alle Menschen mit mir nützlich und nothwendig ist; ich darf mich nicht einmahl in seine Lage und in seine Nähe hinein versetzen, ohne jene Wonne gestört zu sehen. Wenn ich mir denke, ich muß mich wie eine Arria durch einen freywilligen Tod den Bedrückungen der Tyranney entziehen; oder diese Arria ersticht sich an meiner Seite; gewiß! die Wonne macht den Empfindungen einer traurigen Nothwendigkeit und des Mitleidens Platz.

So muß ich also das Bild, das ich mit Wonne beschauen soll, nothwendig in demjenigen Grade von Entfernung betrachten, der hinreichend ist, das Außerordentliche, welches dieß Bild von andern Vorstellungen unterscheidet, zu erkennen, und nicht stark genug, um dieß Bild auf meinen eigenen wahren Zustand zu beziehen, oder auch mich in den Zustand des Gegenstandes dieses Bildes ganz hinein zu versetzen. Mit einem Worte: ich muß den Gegenstand seinem Wesen und seiner Lage nach von mir selbst und von andern Gegenständen, die ihm zunächst erscheinen, in meinem Kopfe isolieren.

Folglich läßt sich der Charakter der Beschauungswonne dem der Ergetzungswollust für das leibliche Auge gleich setzen. In beyden fühle ich mich nicht strebend, obgleich zur unmittelbaren sinnlichen Lust gereitzt; in beyden wird als nothwendige Bedingung vorausgesetzt, daß der Gegenstand von mir und andern Gegenständen, die ich mit ihm wahrnehmen kann, durch etwas ihm Eigenthümliches auffallend unterschieden und abgesondert werde.

II.

Die Seele hat eine andere Fähigkeit, die mit dem Organ des Geschmacks an unserm Physischen Aehnlichkeit hat: eine Fähigkeit, die Gegenstände, mit denen sie sich ins Verhältniß setzt, sich zuzueignen, um durch deren Besitz ihren Zustand zu verbessern. Sie beachtet dann nicht die Eigenthümlichkeiten und den Zustand der Dinge außer sich, als in so fern sie ihr persönliches Wohl erhöhen, und ihr in ihren Trieben, Absichten, Wünschen zu Hülfe kommen können.

Diese Fähigkeit der Seele ist mit einer eigenen Reitzbarkeit und Sinnlichkeit versehen, die bald beleidigt, bald begünstigt, bald zur bloßen Zufriedenheit, bald zur Wonne aufgefordert werden kann, und nicht unpassend der Eigennutz genannt wird. Das auffallendste Beyspiel einer Wonne des Eigennutzes giebt die Befriedigung des Geitzes. Wir wollen ihre unterscheidenden Merkmahle aufsuchen.

Wir finden einen Wechsel, eine Obligation, und dieser Fund erfüllt uns mit der lebhaftesten Freude. Aber warum, und wie? Erfreuet uns die Vorstellung, daß dieser Wechsel überhaupt vorhanden ist, ohne daß wir an den Gebrauch denken, den wir davon machen können? Oder jene andere, daß wir wenigstens mit und neben ihm existieren, und einen Zustand mit ihm theilen? Gewiß! keines von beyden! Das Daseyn des Wechsels hat an sich keinen Werth für uns: sein Zustand hat nicht die geringste Aehnlichkeit mit dem unsrigen. Bloß die Vorstellung, daß er gebraucht werden könne, um sich das repräsentative Zeichen aller Erwerbmittel, das bare Geld, und durch dieß eine Menge von unbestimmten Genüssen zu verschaffen, giebt ihm einigen Werth in unsern Augen. Denn sollte es sich ausweisen, daß kein Geld dafür ausgezahlt zu erhalten wäre; so würden wir seiner Vernichtung mit Gleichgültigkeit zusehen. Wir beziehen ihn also deutlich auf einen bestimmten Trieb in uns, und zwar als ein bloßes Mittel, diesen Trieb zu befördern.

Aber wie? Wird der Geitzige wohl zur Wonne gereitzt werden können, wenn er diesen gefundenen Wechsel sogleich an seinen wahren Eigenthümer abgeben muß? Unstreitig nicht. Er wird nur durch die Vorstellung, daß dieser Gegenstand ein Mittel sey, ihm in seinen persönlichen Zwecken zu helfen, zur lebhaften Freude aufgefordert werden. Nur die Idee des Besitzes, des Gebrauchs für sich selbst, der Zueignung, kann ihn beglücken.

Also liegt der erste Charakter der Wonne des Eigennutzes darin, daß das Verhältniß, worin wir uns mit einem Gegenstande außer uns setzen, nur in so fern angenehm seyn kann, als wir uns in seinem Besitze als in dem eines Mittels fühlen, unsere anderweiten persönlichen Bestrebungen und Zwecke zu befördern. Das Daseyn und der Zustand dieses äußern Gegenstandes läßt uns unbekümmert, wenn wir nur unsern Zustand durch die Vereinigung mit ihm vermehrt und gebessert fühlen. Wir geben den Wechsel weg, sobald wir ihn vortheilhaft umsetzen können, wir vernichten ihn, sobald er getilgt ist.

Ein zweyter Charakter der Wonne des Eigennutzes liegt darin: das Bestreben nach Vereinigung mit dem äußeren Gegenstande hört mit dem Gebrauche desselben auf; und doch ist es nur dieser Gebrauch selbst, oder dessen lebhaftes Bild, die uns reitzen und befriedigen. Der Geitzige kann an seinem Wechsel keine Freude nehmen, auf dessen Besitz keinen Werth legen, wenn er nicht daran denkt wie er ihn versilbern, oder auf andre Art durch ihn gewinnen wird. Nun gebraucht er ihn: und vorüber ist seine Freude an der Verbindung mit ihm; hin der Werth den er auf seinen Besitz legt! Also ist die Wonne des Eigennutzes allemahl die einer endenden Begierde, Folge eines gestillten Verlangens nach Vereinigung mit dem äußern Gegenstande, der nun nichts darbietet was uns weiter reitzen kann!

Seht doch, wie ähnlich dem Genusse der Wollust des Appetits! Dieser Bissen reitzt uns: warum? um ihn überzunehmen, und dadurch unsern Gaumen, unbekümmert um sein ferneres unversehrtes Bestehen, zu kitzeln. Wir haben ihn, und die Wollust endigt mit der gestillten Begierde nach der Vereinigung mit ihm; wir gieren nun nach andern, oder wir sind vor der Hand gesättigt.

Wonne des Eigennutzes beachtet also nicht die Eigenthümlichkeit und den Zustand des Gegenstandes, den sie nur als ein Mittel ansieht, ihren persönlichen Zustand zu vermehren und zu verbessern. Mit der Wonne des Eigennutzes hört sogleich das Bestreben nach weiterer Vereinigung mit dem begehrten Gegenstande auf!

Es giebt unendlich viele Grade des Eigennutzes: es giebt einen gröberen und einen feineren. Sogar die Tugend kann eigennützig begehrt werden. Aber der angegebene Charakter bleibt unveränderlich. Jedesmahl, wenn ich mehr auf die Verbesserung meines persönlichen Zustandes als auf die Eigenthümlichkeit und den Zustand des Gegenstandes außer mir achte: jedesmahl, wenn die Vorstellung des gemachten Gebrauchs mein Bestreben nach weiterer Vereinigung mit ihm und nach Ausbildung des Genusses endigt; dann empfinde ich die Wonne des Eigennutzes und nicht die des Beschauungshanges, oder jener dritten Art von Sinnlichkeit, die ich nun noch zu entwickeln habe.

III.

Ich komme auf eine dritte Fähigkeit der Seele, die mit dem Tastungsorgane des Körpers die größte Aehnlichkeit hat. Vermöge dieser nähern wir uns den Gegenständen, mit denen wir ins Verhältniß kommen, achten mehr auf ihren Zustand als auf den unsrigen, aber setzen uns in diesen hinein, und legen ihn uns bey. Mit dieser Fähigkeit ist offenbar eine Reitzbarkeit und eine Sinnlichkeit verbunden: folglich auch ein Vermögen, bald zur Unlust, bald zur Lust, bald zur bloßen Zufriedenheit, bald zur Wonne aufgefordert zu werden.

Diese Sinnlichkeit darf ich die Geselligkeit nennen. Ihre auffallendsten Beyspiele liefert der Hang des Menschen mit andern Menschen zusammen zu seyn, und sich an der Vorstellung ihres Wohls zu erfreuen. Allein auch unvernünftige Wesen, unbelebte sogar, können ähnliche Triebe erwecken und befriedigen.

Die Wonne, welche die Begünstigung dieser Sinnlichkeit mit sich führt, setzt zum Voraus, daß ich dem Gegenstande, mit dem ich ins Verhältniß komme, das Gefühl seines Zustandes beylege, es sey durch eine Operation der Einbildungskraft, oder durch Ueberzeugung meiner Vernunft. Sie setzt ferner zum Voraus, daß ich in dem Gefühle, das ich dem Gegenstande von seinem Wohl beylege, den Grund meiner Lust suche, indem ich mich in seinen Zustand hineinzuversetzen und seine Gefühle zu theilen strebe. Denkt an die Erheiterung, die ihr in der Gesellschaft froher Unbekannten aufsucht; denkt an die Vorbereitung, die ihr zu einem Feste macht, das eure Hausgenossen erfreuen soll; denkt an die Ueberzeugung, die ihr dem Freunde von eurer ihn beglückenden Liebe zu geben sucht; – in diesen und ähnlichen Fällen begnügt ihr euch nicht, ihre Eigenthümlichkeiten ruhig anzuschauen; sondern ihr strebt, und wornach? sie glücklich zu wissen, und ihr Wohl zu theilen. Aber euer Streben geht nicht auf den Besitz ihres Zustandes aus, um nur euch froh zu fühlen; und wenn ihr auch ihren Zustand theilt, so hört damit das Bestreben nach weiterer Verbindung mit jenen Menschen nicht auf. Ihr genießt in ihrer Gegenwart, aber ihr strebt zugleich, diesen Genuß durch fortschreitende Annäherung an ihre Person, und Beförderung ihres Wohls immer weiter auszubilden.

Schon hier sondert sich die Wonne der Geselligkeit sehr bestimmt von der Wonne der ruhig und unthätig genießenden Beschauung und des Eigennutzes ab, der nur durch Rücksicht auf einen Gebrauch genießt, der sein Bestreben nach Vereinigung sogleich endigen wird. Die Geselligkeit genießt während des verweilenden Bestrebens nach fortschreitender Vereinigung mit dem Gegenstande, und nach Ausbildung des Genusses. Aber dieser Charakter wird noch viel bestimmter bezeichnet, wenn wir zugleich auf die Wirkung Rücksicht nehmen, die dieser Genuß auf den Gegenstand hat, der ihn uns gewährt.

Ich theile meine Aufmerksamkeit zwischen meinem Zustande und dem meiner Genossen. Ich will mit ihnen gemeinschaftlich da, gemeinschaftlich wohl seyn. Ich begnüge mich daher nicht, wie bey der Beschauungswonne, ihr Wesen, gleichsam wie eine Gestalt, ohne auf ihr Wohl zu achten, aus der Ferne zu erkennen, und mich selbst dabey zu vergessen. Nein! ich nähere mich ihnen, ich achte auf ihren Zustand, ich urtheile über ihr Wohl, und eigne mir dieses zu. Aber, was ich mir nun von ihnen zueigne, das nimmt ihnen nichts: was ich von ihnen brauche, das verbraucht sie nicht; der Vortheil, den ich von ihnen ziehe, macht sie nicht ärmer. Nein! gerade was sie mir geben, das ist dasjenige, was ich ihnen zu geben wünsche: ihr Wohl! Ich suche mich ihnen gleich zu stellen, aber nicht sie zu besitzen, noch weniger sie zu verderben oder sie zu zerstören.

Und so hat denn die Wonne der Geselligkeit die größte Aehnlichkeit mit der Wollust, die wir durch die Berührung der Oberfläche eines Körpers einnehmen. So wie bey dieser die Tastungsorgane sich an den äußern Körper anschmiegen, sich allmählig dehnen, nach engerer Verbindung und nach Ausbildung des gegenwärtigen Genusses streben; so neigt sich auch die Seele an die Gegenstände an, die sie als ihre Genossen betrachtet, und ruht gleichsam streichelnd an ihrer Seite. So wie durch die unmittelbare Berührung der Körper die Weichheit, die Härte, die Wärme, die Kälte, kurz, die Beschaffenheit und der innere physische Zustand mitgetheilt wird, ohne wechselseitigen Verderb, ohne wechselseitige Zerstörung; so kann unser Geist sich seinem Genossen nähern, und mit ihm Gesinnungen, Bestrebungen, Lust und Unlust theilen, ohne die Vorstellung der Selbstständigkeit des andern zu verlieren.


Vergleicht man nun weiter diese verschiedenen Arten der Wonne unter einander in Rücksicht auf ihre Entbehrlichkeit zum gewöhnlichen Ruhestande des Lebens; so scheint die Wonne des Eigennutzes diesem am nächsten zu liegen, und am allgemeinsten empfunden zu werden; die Wonne der Geselligkeit nach jener am ungernsten aufgeopfert, und am allgemeinsten empfunden zu werden; hingegen die Wonne der Beschauung den meisten Menschen die entbehrlichste und von ihnen am seltensten gefühlte zu seyn.


Achtes Kapitel.

Fortsetzung. Begriff der Sympathie, der Selbstheit und des Beschauungshanges. Gründe, warum die Wollust und Wonne der Sympathie vorzugsweise Liebe genannt wird.

Aus diesen einzelnen Bemerkungen über die Art, wie unser Körper und unsere Seele zur Wollust und Wonne gereitzt werden, lassen sich drey allgemeinere Bestimmungen unserer Reitzbarkeit und Sinnlichkeit entwickeln, deren auffallende Verschiedenheit niemand verkennen wird. Wir können bey völliger Ruhe unsers Bestrebungsvermögens, und ohne Beachtung unsers eigenen Zustandes, bloß durch das Auffallende der Eigenthümlichkeiten eines Gegenstandes, den wir aus der Ferne wahrnehmen oder erkennen, zur Wollust und Wonne gereitzt werden. Der Hang, der dadurch begünstigt wird, gehört dem äußern und innern Anschauungssinn, und die Anlage zu dieser Ausgelassenheit des Lebens wird daher von mir, die Sinnlichkeit des Beschauungshanges genannt.

Wir können ferner in ein heftiges Verlangen nach dem Zustande der Vereinigung mit einem andern Gegenstande gerathen, den wir als ein Mittel zur Beförderung unserer Neigungen betrachten, und über die vollkommenste Stillung dieses Verlangens, durch den Gebrauch den wir entweder wirklich von ihm machen oder machen können, Wollust und Wonne empfinden. Die Anlage zu dieser Art der Ausgelassenheit des Lebens, die sich sowohl an unserm Körper als an unserer Seele äußert, nenne ich die Sinnlichkeit der Selbstheit. [6]

Wir können endlich in ein verweilendes Bestreben gerathen, den Genuß eines gemeinschaftlichen Daseyns und Wohls mit einem uns angenäherten, aber von uns noch verschiedenen Gegenstande, fortschreitend auszubilden, und die Begünstigung dieses Bestrebens kann uns mit Wollust und Wonne erfüllen. Die Anlage zu dieser Art der Ausgelassenheit des Lebens, die sowohl dem Körper als der Seele eigen seyn kann, nenne ich die Sinnlichkeit der Sympathie. [7]

Der Grund dieser drey Benennungen ist nicht schwer anzugeben. Der Beschauungshang ist nach der Art benannt, wie das Auge unmittelbar seine Ergetzung einnimmt. Die Selbstheit hat ihren Nahmen daher, weil wir während des Verlangens und seiner Stillung einzig oder hauptsächlich mit unserm selbsteigenen Zustande beschäftigt sind. Sympathie heißt eigentlich das Zusammenleiden, das Zusammen afficiert werden, es mag auf eine angenehme oder unangenehme Art für uns geschehen, wir mögen die Reitzung fliehen, oder uns ihr entgegenbieten. Es scheint mir aber nicht unpassend, denjenigen Hang damit zu bezeichnen, vermöge dessen wir darnach streben, uns in einen Zustand zu versetzen, den wir an andern Wesen wahrnehmen, und auf solche Art mit ihnen zu theilen. [8]

Liebe heißt nun, wie schon gesagt: Wollust und Wonne der Sympathie. Wirklich wird man selbst bey dem unbestimmtesten Gebrauche dieses Worts einige Charaktere des angegebenen Begriffes aufspüren, die zu dieser Benennung Anlaß gegeben haben. Diejenigen, welche jede Begierde Liebe nennen, haben in so fern Recht, als die sympathetische Wollust oder Wonne allemahl einen strebenden Zustand voraussetzt. Diejenigen, welche Liebe Begierde nach irgend einem Gute genannt haben, haben Recht, in so fern die begünstigte Sinnlichkeit der Sympathie die Beachtung unsers verbesserten Zustandes mit in sich faßt. Diejenigen, welche unter Liebe Genuß des Guten verstehen, haben gleichfalls Recht; denn die sympathetische Wonne setzt wirklich eingetretene Begünstigung unserer Lieblingstriebe nach Vereinigung zum Voraus. Diejenigen, welche die Liebe mit dem Genuß der Vollkommenheit verwechselt haben, sind wieder zu entschuldigen, weil die Sympathie die Selbstständigkeit des Gegenstandes, der sie reitzt, anerkennt, und dessen Eigenthümlichkeiten beachtet und schont. Noch erklärbarer aber wird es nun, wie Sokrates beym Plato die Liebe ein Verlangen, das Gute immer zu besitzen, nennen kann; denn es ist das Eigene dieser Wollust und Wonne, daß sie nach fortschreitender Vereinigung und Ausbildung des Genusses strebt. Man begreift nun auch, wie man um der Annäherung, Verträglichkeit und der Theilnehmung willen alle geselligen Triebe habe Liebe nennen können; wie man diesen Nahmen sogar auf den Zug nach Vereinigung zwischen leblosen Körpern, und besonders auf den Geschlechtstrieb zwischen belebten habe anwenden mögen; denn es ist auffallend, daß dieser Genuß das Angenäherte nicht verdirbt, nicht auflößt, nicht zerstört, nicht ausschließt, und nicht herabwürdigt, sondern vielmehr eine Theilung des Daseyns und Wohls zuläßt. Endlich läßt sich nun auch der Grund angeben, warum der Ausdruck: mit Liebe arbeiten, den schon die Griechen kannten, beynahe in alle Sprachen übergegangen ist; er bezeichnet den wonnevollen Genuß, den das verweilende Bestreben mit sich führt, das Werk oder das Geschäft zu möglichster Vollkommenheit zu bringen, und es gleichsam als ein selbstständiges Wesen zu betrachten, dessen Wohl mit dem unsrigen genau verbunden ist.


Neuntes Kapitel.

Stufenartige Verfolgung des Begriffs der Sympathie bis zu ihrer auffallendsten Erscheinung, worin sie Liebe im engsten Sinne heißt.

Bey einiger Aufmerksamkeit auf unsere Ausdrücke werden wir inzwischen den Zug unbelebter Körper zu einander nie Liebe nennen; denn diese sind keiner Empfindung fähig. Eben so wenig wird überhaupt die Wollust der körperlichen Sympathie für Liebe genommen werden. Sie ähnelt zu sehr der Wollust der Selbstheit. Wir betrachten den Zustand des Körpers, der bey der Annäherung an die Oberfläche des unsrigen in diesen übergeht, zu sehr als Mittel zur Verbesserung unsers physischen Zustandes, und sein Wohlbestehen verschwindet zu sehr in unserm Bewußtseyn, als daß die Wollust der körperlichen Sympathie anders als in der Vergleichung mit den wollüstigen Gefühlen des Auges und des Gaumens zur Sympathie gerechnet werden könnte.

Auch die Wonne der Geselligkeit, die Thiere gegen andere Individuen ihrer Gattung und gegen Menschen äußern, wird man bey näherer Ueberlegung, nicht anders Liebe nennen, als wenn man diese Art von Sinnlichkeit mit der gröberen der Gefräßigkeit, des Triebes nach Bequemlichkeit und nach Begattung vergleicht. Hält man sie mit der Wonne der Sympathie, deren der Mensch fähig ist, zusammen; so erscheint sie selbstisch, das heißt: das Thier ist außer Stande, den Zustand des selbstständigen Wesens anzuerkennen: es nimmt nur die Verbesserung seines eigenen durch das Mittel der Gesellschaft wahr.

Der Mensch, der allein den Zustand eines selbstständigen Wesens anerkennt, ihn auf den seinigen zurückführen, und sich in die Lage des andern hinein versetzen kann, der Mensch ist allein der Wonne der Sympathie, auf eine von der Selbstheit und dem Beschauungshange sich deutlich unterscheidende Art, fähig. Er fühlt allein Liebe, oder wonnevolles Streben nach fortschreitender Vereinigung und Ausbildung des Genusses eines gemeinschaftlichen Daseyns und Wohls mit einem selbstständigen Wesen.

Aber damit diese Wonne als zur Sympathie gehörig von andern Gefühlen unterschieden werden könne, ist es nothwendig, daß der Mensch den Gegenständen, an deren Zustande er durch Verwechselung mit dem seinigen Theil nimmt, die Empfindung dieses ihres Zustandes beylege. Wo dieß nicht der Fall ist, da nähert sich die Wonne der Sympathie wieder zu sehr derjenigen, die der Selbstheit und dem Beschauungshange eigen ist. Vergleichen wir den Antheil, den wir an dem unversehrten Bestehen eines alten Gebäudes, eines langerhaltenen Kunstwerks, oder an einem mit der Erschaffung der Welt zugleich entstandenen Felsen nehmen, mit demjenigen, den uns die bloße Gestalt eines schnell erscheinenden Feuerwerks, oder der Besitz eines Wechsels, eines Handwerkszeuges, eines Nahrungsmittels einflößt; dann erscheint freylich jener sympathetisch. Aber vergleichen wir ihn nur mit dem Antheile, den uns das Gedeihen einer Pflanze, die Munterkeit des geringsten Insekts einflößt; so wird der erste sich entweder in unthätige Beschauungswonne oder in Wonne der Selbstheit auflösen. Wir werden das Wohlbestehen des unbelebten Wesens entweder gar nicht auf unsern Zustand zurückführen, es als eine auffallende Eigenthümlichkeit, als etwas Außerordentliches in seinem Wesen aus der Ferne anschauen, oder zu sehr daran denken, was wir dabey gewinnen, es noch ferner als ein Mittel der Belustigung oder des Nutzens uns zueignen zu können.

Es ist wahr, ich habe Hausfrauen, ich habe Gallerieinspektoren gekannt, die mit dem wahren Gefühle, als ob ihr Hausgeräthe, ihre Gemählde Empfindung hätten, diesen durch Reinigung, durch sorgfältige Aufstellung Gutes zu thun, ihr Wohl zu befördern strebten, und wahrhaft mit ihnen sympathisierten. Allein dieß beruhte auf Täuschung der Phantasie, welche diesen Gegenständen ein Gefühl ihres Zustandes beylegte.

Nach dieser Bestimmung ist Liebe eigentlich nur Wonne der Sympathie mit Wesen, denen wir Empfindung beylegen. Aber dieß ist noch nicht genug: wir müssen ihnen auch ein Bewußtseyn ihres Zustandes zutrauen. Das Gewächs, das Thier, der Säugling haben dieses nicht; wenn wir uns daher in ihren Zustand hineinversetzen, so können wir ihn doch nicht wirklich theilen; wir fühlen die Entfernung zu sehr, wir müssen uns zu stark herablassen, um Wonne an der Fortdauer eines gemeinschaftlichen Daseyns und Wohls zu empfinden. Vergleicht man die Empfindung, die uns das Gedeihen und die Munterkeit einer Pflanze, eines Thiers, eines Säuglings, einflößt, mit derjenigen, die ihre schöne Gestalt erweckt, oder mit derjenigen, die von der Betrachtung ihres Nutzens abhängt; so erscheint freylich die erste als sympathetisch. Aber vergleichen wir sie mit der Wonne, die uns der Anblick glücklicher Menschen gewährt, denen wir uns völlig gleich stellen können, so nähert sie sich der Wonne der Beschauung oder der Selbstheit. Wir denken entweder gar nicht an unsern Zustand, rechnen ihr Gedeihen und ihre Munterkeit bloß zu den auffallenden Eigenthümlichkeiten ihres Wesens, das wir aus der Ferne betrachten; oder wir denken auch ganz besonders daran, wie ihr Gedeihen, ihre Munterkeit uns erheitert und erfreut; wir beziehen sie als ein Mittel auf die Verbesserung unsers Zustandes.

Aber können wir mit höheren Wesen wonnevoll sympathisieren, mit Gott, mit Engeln, denen wir ein Bewußtseyn ihrer Seligkeit beylegen? Genau genommen: Nein! Sie sind uns zu fern, als daß wir uns in ihren Zustand hineinversetzen, und durch Beförderung ihres Wohls das unsrige zu erhöhen suchen könnten. Wir können uns nicht so hoch zu ihnen hinauf heben, um sie anders als ferne Wesen zu betrachten, deren Seligkeit einen Theil ihrer auffallenden Eigenthümlichkeiten ausmacht, oder als bloße Mittel, unsern Zustand durch ihre Wohlgewogenheit zu verbessern. Die Schwärmer, die sich von einer nähern Verbindung mit höhern Wesen überzeugt halten, sympathisieren nicht mit ihnen, sondern mit einem Bilde, dem sie menschliche Eigenschaften und einen menschlichen Zustand beylegen; und diese Art der Sympathie trägt demohngeachtet alle Symptomen der Beschauungswonne und der Selbstheit an sich. Sie verlieren sich entweder in exstatischer Entzückung, wobey alles Bestreben nach fortschreitender Vereinigung und Ausbildung des Genusses aufhört, oder sie überlassen sich einem thörichten Uebermuthe, und einem geistigen Stolze, vermöge dessen sie die geträumte Verbindung als ein Mittel ansehen, ihre Kräfte zu verstärken, und sich über ihre eigene niedrigere Bestimmung, und über andere Menschen zu erheben.

Wenn höhere Wesen zu fern von uns liegen, als daß wir mit ihrem Zustande sympathisieren könnten, so liegt dagegen unser eigenes Selbst uns zu nahe, als daß wir auf dieses jenen Begriff eines fremden, durch bloße Versetzung uns angeeigneten Zustandes, anwenden möchten. Man kann sich unstreitig von einigen Vorstellungen und Bildern, die wir von unserm Selbst aufnehmen, mit Hülfe der Einbildungskraft trennen, man kann dieß abgesonderte Selbst beschauen, und an der Ausbildung seiner Kräfte, so wie an seinem glücklichen Zustande, gleichsam als an dem einer selbstständigen Person Antheil nehmen. Allein es fällt sogleich in die Augen, daß die Sympathie sich hier dem Beschauungshange und der Selbstheit zu sehr nähert, um sie bestimmt von beyden zu unterscheiden.

Liebe ist wonnevolles Streben nach Ausbildung des Genusses eines gemeinschaftlichen Daseyns und Wohls mit andern Menschen, und zwar mit solchen, die wir als wirklich lebende Personen bey und neben uns erkennen.

Liebe in diesem Sinne hat zwey sehr auffallende Merkmahle, wodurch sie sich als Sympathie ankündigt, und zugleich von allen andern sympathetischen Wonnegefühlen, mit denen uns leblose Geschöpfe, Thiere, höhere Wesen, unser eigenes Selbst und todte Menschen afficieren, deutlich unterscheidet. Einmahl kann ich mir nicht verläugnen, daß der Mensch, in dessen Gesellschaft mir wohl ist, nicht bloß um meinetwillen vorhanden sey: folglich fällt mir seine Selbstständigkeit nothwendig auf; zweytens hat der Mensch unter allen Gegenständen meiner Erkenntniß die größte Aehnlichkeit mit mir, ich stehe ihm am nächsten, ich kann mich am leichtesten in seinen Zustand hineinversetzen; mithin laufe ich nicht so viel Gefahr, ihn als ein fremdes Wesen aus der Ferne zu betrachten. Die Wonne, welche mir das gemeinschaftliche Daseyn und Wohl mit dem Menschen einflößt, entfernt sich daher mehr von der Selbstheit und dem Beschauungshange, als die Wonne, womit mich die Verbindung mit jedem andern Gegenstande erfüllt.

Dieß ist die Ursach, warum die Geselligkeit gegen Menschen ziemlich allgemein mit Liebe verwechselt wird. Wer sich gut mit andern Menschen verträgt, wer gern mit ihnen zusammen ist, wer Jedermann gern munter und fröhlich sieht, wer den Vorzügen eines jeden Gerechtigkeit widerfahren läßt, wer andern Gutes thut, wem kein Vergnügen schmecken will, das er nicht mit andern theilen kann; – der heißt ziemlich allgemein ein liebender Mensch. Und das ist er auch allerdings in Vergleichung mit demjenigen, der sich im Anschauen der Gottheit verliert, oder unbekümmert um andere des Gefühls seiner eigenen Würde genießt, oder Thieren, Pflanzen, Kunstwerken, seine ganze Neigung und seine ganze Sorgfalt schenkt. Denn jener sympathisiert mit den Gegenständen, mit denen er sich ins Verhältniß setzt, da hingegen diese sie nur beschauen, oder auf ihr Selbst beziehen.

Aber vergleicht man diese sympathetischen Wonnegefühle mit dem lebenden Menschen nun wieder unter sich, so nähern sich einige mehr dem Beschauungshange, andere mehr der Selbstheit, und nur eine Art derselben bleibt als reine Sympathie stehen, die wir denn auch Liebe im engsten Sinne nennen.

Gesetzt ich höre die Nachricht von den glänzendsten Fortschritten, die ein Held, der mein Zeitgenosse ist, seinen Talenten und einer außerordentlichen Verkettung der Umstände verdankt. Ich sympathisiere dergestalt mit ihm, daß jeder neue Triumph, der ihm zu Theil wird, mich mit Wonne erfüllt, und die Niederlage, die er nachher erfährt, mich in eine Art von Verzweiflung stürzt; Liebe ich? Wir wollen sehen. Der Held ist der Gefahr des Todes entkommen; er hat sich an einen sichern Zufluchtsort begeben, wo er unbekannt bloß für’s gesellige Vergnügen lebt, und seine Muße so lieb gewonnen hat, daß der Geschmack und die Kraft, etwas Großes zu unternehmen, auf gleiche Weise bey ihm verschwunden sind. Er ist in die Reihe gewöhnlicher Menschen zurückgetreten, fühlt sich aber dabey glücklicher als vorher. Dieß sagt man mir, und verfinstert dadurch das Bild des Außerordentlichen, das ich mir von meinem Helden gemacht hatte. Unwillig rufe ich aus! ich wollte, er wäre gestorben. Er hat sich überlebt!

Wie! War nun die Empfindung, die er mir eingeflößt hatte, Liebe? Wahrlich nicht mehr, als die Empfindung, die mir die poetische Darstellung von einem verstorbenen Helden einflößt, in dessen Bild ich sein außerordentliches Glück als eine auffallende Eigenthümlichkeit mit aufnehme, um sie aus der Ferne zu beschauen, unbekümmert darum, ob er sich selbst glücklich gefühlt habe oder nicht.

Aber ich will wirklich, daß die Menschen um mich herum gesund, zufrieden, fröhlich seyn sollen. Traurige, mißmuthige Menschen sind mir zuwider. Ha! da sehe ich eine ganze Gesellschaft vor mir, froh bis zur Ausgelassenheit. Sie lachen, ich lache mit! Nun sympathisiere ich doch wohl mit ihnen, nun freue ich mich doch wohl des gemeinschaftlichen Daseyns und Wohls? – Diese Gesellschaft, sagt mir ein dienstfertiger Nachbar, besteht aus Schauspielern, die eine angenommene Rolle spielen: ihr Frohsinn ist Schein, nicht Ausdruck wahrer Gesinnungen! – Was kümmert mich das! Stört mir nicht mein Vergnügen! Genug! ich eigne mir ihre Freude an! – O des selbstischen Menschen, der das Wohl anderer nur auf seinen Zustand als ein Mittel bezieht, um sich zu erheitern!

Weiter: ich reise durch ein fremdes Land, das von rohen Menschen bewohnt wird. Die Jagd ist gerade glücklich für sie ausgefallen, und ich treffe sie bey einem Feste an, das bestimmt ist, den zusammengebrachten Vorrath zu verzehren. Der Ausdruck ihrer Fröhlichkeit ist ungeheuchelt; ich theile ihn, ich eigne ihn mir an: und mit welcher Wonne! So glücklich sieht man doch keine Menschen in civilisierten Staaten! – Arme Menschen, ruft mir mein Genius zu: Morgen habt ihr nichts; Morgen werdet ihr Noth leiden! – Fort mit der Idee, ich reise in einem Augenblicke weiter: genug daß ich für diesen hier mit ihnen sympathisiere! – Nein! du sympathisierst nicht mit ihnen, du strebst nicht nach fortschreitender Vereinigung, nach Ausbildung des Genusses eines gemeinschaftlichen Daseyns und Wohls; du genießest unthätig, ruhend, beschauend!

Ich fühle die Wahrheit dieser Erinnerungen, und beschließe, diese Menschen über ihren wahren Vortheil zu belehren, ihnen Kenntnisse beyzubringen, durch deren Besitz sie ihrer Bestimmung, dauernd glücklich zu seyn, näher rücken können. Das Schicksal unterstützt meine Wünsche; ich werde Fürst dieser rohen Nation. Sogleich setze ich allgemeine Begriffe von dem höchsten Zwecke der Menschheit fest, und entwerfe den Plan, wie meine Unterthanen am nächsten dahin zu führen sind. Ueberzeugung scheint mir auf diese rohen Menschen keine Wirkung haben zu können; ich brauche daher Gewalt, um sie aufzuklären. Sogleich verlieren sich für dieses Volk die wenigen glücklichen Tage, in deren Erwartung es die freye Armuth willig ertrug. Es verkennt meine guten Absichten; es entflieht in die Schlupfwinkel wilder Thiere, und verabscheuet mich als einen ärgern Feind der Menschen. Wen? mich, der ich mit ihm sympathisiere, der ich so eifrig strebe, es zu beglücken? – Nein! du sympathisierst nicht mit diesen Menschen, ruft mir mein weiserer Rathgeber zu, du strebst nicht nach gemeinschaftlichem Daseyn und Wohl mit selbstständigen Wesen! Du betrachtest sie als ein Mittel, das Interesse, das du an der Menschheit nimmst, zu befördern, deine Begriffe realisiert, deine Plane durchgeführt zu sehen. Und wenn du eine Wonne an ihrem Gelingen empfändest, so wäre es die Wonne der Selbstheit.

Unmuthig über diesen Selbstbetrug verlaß’ ich den Thron, übergebe ihn dem weiseren Rathgeber, und behalte mir nur vor, im Verborgenen zu der Aufklärung seines Volkes mitzuwirken. Dieß wird jetzt nach einem ganz andern Plane behandelt. Wir suchen es nach und nach zu dem Genusse der Wohlthaten, die wir ihm zugedacht haben, vorzubereiten; wir suchen ihm den Geschmack an einer höheren Bestimmung einzuflößen. Es gelingt. Diese Menschen fühlen sich jetzt glücklich. Ich empfinde die höchste Wonne darüber, ob ich gleich nichts davon habe, als das Gelingen des Bestrebens nach der Ueberzeugung, daß sie sich glücklich fühlen. – Ich sympathisiere; ich liebe!

Und während daß ich so an dem Glücke des Volks, unter dem ich lebe, Antheil nehme, findet jeder Unbekannte in meiner einsamen Wohnung eine gastfreundschaftliche Aufnahme. Ich empfinde ein wonnevolles Bestreben, dem Wanderer einen schattigen Ruheplatz vor meiner Wohnung zu bereiten, und ihn gelabt mit Speise und Trank den Stab weiter setzen zu sehen. Unter ihnen kommt auch der große Mann zu mir, den ich ehmahls bewundert, und dem ich nach seinen Unfällen den Tod gewünscht hatte, damit ich durch sein längeres ruhmloses Leben nicht in der Beschauungswonne seines Glücks gestört würde. Er kommt zu mir auf der Flucht vor seinen Verfolgern; er sucht bey mir einen Schutzort. Sein Unglück hat ihn um allen den Glanz gebracht, mit dem er mir ehmahls erschienen war. Ich sehe nur in ihm den Menschen, den ich durch eine Freystatt beglücken kann. So gefährlich es ist, ihm diese zu geben, so thu ich es dennoch mit Wonne, um der bloßen Ueberzeugung willen, daß er sich glücklich fühlt. – Ich sympathisiere, ich liebe!

Zehntes Kapitel.
Endlicher Begriff der Liebe des Herzens und der Sympathie.

Ja! Liebe ist wonnevolles Bestreben nach Beförderung des Glücks eines Menschen um der Ueberzeugung willen, daß er sich selbst glücklich fühle.

Liebe ist solchemnach immer Wirksamkeit der Seele: es giebt keine Liebe des Körpers.

Liebe ist Begünstigung der Sinnlichkeit der Seele: es giebt keine Liebe aus Vernunft.

Liebe ist Wonne; Zufriedenheit der Sympathie, gestilltes Bedürfniß des Mitleidens, der Erbarmung, ist keine Liebe.

Liebe ist Bestreben; unthätiger Genuß des Frohsinns anderer ist nicht Liebe.

Liebe ist Genuß des verweilenden Bestrebens nach fortschreitender Vereinigung und Ausbildung der Lust: Genuß des endenden Verlangens durch den Besitz ist nicht Liebe.

Liebe ist wonnevolles Bestreben der Sympathie; Beschauungswonne am Vollkommenen, Schönen, Außerordentlichen, ist eben so wenig Liebe, als Wonne am Gelingen unserer selbsteigenen Absichten, und sollten diese auch das allgemeine Beste und die Würde aller vernünftigen Creaturen zum Zweck haben.

Liebe ist die reinste sympathetische Wonne am Glück des Menschen, den ich als Person erkenne; Liebe zur Menschheit ist feinere Selbstheit.

Liebe endlich kennt keinen andern Zweck, keine andere Belohnung, als die Ueberzeugung, daß die Person, die sie zu beglücken strebt, sich selbst glücklich fühle; Trieb nach Gesellschaft, nach gemeinschaftlicher Erheiterung, nach Wohlthun, ohne Rücksicht darauf, was die Person außer mir empfindet, ist nicht Liebe.

Die Fähigkeit, diese Liebe zu empfinden, wird nun besonders das Herz genannt. Im Grunde ist dieß weiter nichts, als die Sinnlichkeit der Sympathie in ihrer höchsten Reinheit. Weil inzwischen die Sympathie sich auch auf ihren untern Stufen, da wo sie sich als körperlicher Trieb und als Hang zur Geselligkeit äußert, noch immer von der Selbstheit und dem Beschauungshange unterscheidet; so werde ich diejenige Sinnlichkeit, vermöge deren wir nach einem gemeinschaftlichen Daseyn und Wohl mit andern Gegenständen streben, fernerhin Sympathie, die Fähigkeit zur eigentlichen Liebe aber Herz nennen.

Diese Liebe ist nach meiner vorigen Ausführung weder ein bestimmter geselliger Trieb, noch ein bestimmter Akt von Wohlthätigkeit. Sie ist eine allgemeine Modification unserer wohlwollenden Gesinnungen und wohlthätigen Handlungen zu jener Thätigkeit der Seele, welche der Wonne an der Ueberzeugung, daß eine andere Person sich glücklich fühle, unmittelbar nachstrebt. Die äußern Merkmahle, die Wohlwollen verrathen, und selbst die wohlthätigen Wirkungen einer Handlung für andere Menschen, beweisen daher nichts für das Daseyn der Liebe. Freylich läßt sich diese gar nicht anders denken, als unter der Form eines thätigen Bestrebens, wohlzuthun: eines Bestrebens, daß allemahl wirksam seyn, und wohlthätige Handlungen als Folge nach sich ziehen wird, wenn die äußeren Verhältnisse es nicht hindern. Aber diese Form ist nicht so charakteristisch für die Liebe, daß ein dritter Beobachter ein vollgültiges Urtheil darüber sollte fällen können, ob nicht feinere Selbstheit oder Beschauungshang dabey zum Grunde liegen. Ueber das Daseyn der Liebe entscheidet folglich hauptsächlich der Mensch, der sie hegt. Inzwischen kann auch der fremde Beobachter in sehr vielen Fällen sehr gut unterscheiden, was für eine Gesinnung beym Wohlwollen und bey der Wohlthätigkeit zum Grunde liegt. Er schließt dieß theils aus dem Charakter des Menschen im Ganzen, theils aus dem jedesmahligen Verhältnisse worunter er strebt und handelt, theils endlich aus seinem Betragen bey der Collision des Wohls anderer mit seinem eigenen. Doch! darüber mehr in der Folge.

Anhang zum ersten Buche.

Erster Excurs.
Ueber die Selbstheit und Uneigennützigkeit in der Liebe.

Ich habe in dem Texte die Untersuchung der Frage: ob alle Liebe nicht auf Selbstheit beruhe, füglich übergehen können, da nach der Art, wie ich den Begriff der Selbstheit aufstelle, die Beantwortung beynahe unnütz zu seyn scheint. Damit man mir inzwischen nicht den Vorwurf der Unvollständigkeit mache, will ich hier das Verhältniß der Selbstheit zur Uneigennützigkeit in der Liebe etwas näher entwickeln, und zugleich den Begriff des Selbstes näher festzusetzen suchen. –

So viel ist klar, die gröbste Selbstheit und die reinste Liebe, – beyde setzen das Bewußtseyn der Angemessenheit meines Zustandes zu meinem Wesen, mithin auch das Gefühl zum Voraus: ich bin es, der wohl besteht.

Ein Howard[WS 2], der sich unbemerkt in die widerlichsten Behälter des Elends einschleicht, um mit Gefahr des Lebens, mit Aufopferung aller Verhältnisse, welche es den mehrsten Menschen allein schätzbar zu machen scheinen, seine hülfsbedürftigen Mitbürger zu unterstützen, ist dem gröbsten Verschlinger der Früchte dieser Erde in einem Stück völlig gleich: beyde, indem sie bey ihren Handlungen und Gesinnungen Wonne und Wollust empfinden, müssen nothwendig ihr Ich in einem ihnen wohlgefälligen Zustande fühlen.

In so fern sind also alle mit Vergnügen verbundene Handlungen und Gesinnungen selbstisch, das ist nicht zu läugnen. Aber demohngeachtet wird nur der Vernünftler den Unterschied zwischen Selbstheit und Uneigennützigkeit verkennen. Das gesunde Auge des unbefangenen Beobachters betrügt sich darunter nie; es verfolgt die Aeußerungen der Selbstheit bis in ihre feinsten Schattierungen, und selten wird es, wenn es anders die Denkungsart des Menschen im Ganzen, oder auch nur seine einzelne Handlung von Anfang bis zu Ende gegenwärtig beobachten kann, darüber zweifelhaft bleiben, ob Selbstheit oder Uneigennützigkeit die Quelle sey, woraus sie geflossen ist.

Laßt einen Epaminondas, belohnt durch den Ruhm eines Sieges, den er als Feldherr erfochten hat, sich willig durch den Tod von seinen Mitbürgern trennen, und haltet ihn mit jenem gemeinen Soldaten zusammen, der gleichfalls verwundet in einer nicht entschiedenen Schlacht, sich nicht eher dem Verbande zur Rettung seines Lebens unterwerfen will, als bis er des Triumphs seiner Mitbürger gewiß, noch ferner mit ihnen fortzudauern hoffen kann. –

Seht jenen Diogenes, der sich zur freywilligen Armuth verdammt, allen Bequemlichkeiten des Lebens entsagt, um sich den Genuß der vollkommensten Unabhängigkeit zu sichern; – und betrachtet dagegen jenen Aristides, der verbannt aus seinem Vaterlande den Himmel anfleht, daß die ungerechten Athenienser nie genöthigt werden mögen, sich nach seiner Wiederkunft zu sehnen. –

Erinnert euch des Mannes mit der feurigen Einbildungskraft, der sich nach der bloßen Beschreibung von einem Weibe heftig in dasselbe verliebt, Jahre lang um die entfernte Geliebte trauert, und nun nach endlich gelungener Vereinigung sich wieder von ihr zu trennen sucht, um sich an dem Bilde seines Gehirns zu freuen; – und vergleicht mit ihm das liebende Mädchen, das in dem Bilde seiner glücklichen Nebenbuhlerin nur die Wohlthäterin des Geliebten erblickt. – Wird ein unbefangener Beobachter in diesen Beyspielen den Unterschied zwischen Selbstheit und Uneigennützigkeit verkennen?

Unstreitig haben jener Epaminondas und dieser gemeine Soldat, jener Diogenes und dieser Aristides, jener Begeisterte und dieses wirklich liebende Mädchen das Bewußtseyn eines Ich’s gehabt, das einen Zustand von Lust oder Unlust an sich wahrgenommen hat. Unstreitig haben alle diese Personen Triebe gehegt, deren Beleidigung oder Begünstigung sie in ihrem Willen bestimmte: die gleichsam die Trompen oder Fühlhörner ausmachten, woran sie den Reitz zur Lust oder Unlust empfingen, und die zwischen ihrem Ich und den Gegenständen, die sie reitzten, in der Mitte lagen. Diese Triebe machten ihr Selbst aus.

Aber fühlt ihr nicht, daß es ganz etwas anders sey, ein solches Selbst annehmen zu müssen, es nach geendigter Reitzung und Bestimmung unsers Willens ausfinden zu können; oder es während des Affekts deutlich zu beachten, erst durch Beziehung des begünstigten Triebes auf den Zustand und das Wohl unserer Person, zum Wollen oder Nichtwollen bestimmt zu werden? Epaminondas findet seine Ruhmbegierde befriedigt, und dadurch seinen persönlichen Zustand verbessert; – nun verläßt er gern sein Vaterland und seine Freunde, die ihm nur zu Mitteln dienten, seine Hauptleidenschaft zu begünstigen. Der gemeine Soldat sieht seinen Ruhm und sein Wohl nur in dem seiner Landesleute. Sind sie unglücklich, so ist ihm sein Daseyn nichts mehr werth; sind sie glücklich, so will er sich mit ihnen erhalten. Wie verliert sich hier die Beachtung des persönlichen Zustandes so ganz unter der Aufmerksamkeit auf den Zustand der fremden Personen, die ihm zunächst stehen?

Diogenes opfert seinem geistigen Stolze alle Achtung auf, die er seinen Mitbürgern schuldig ist; er nutzt vielmehr ihr Mißfallen an ihm, das Gefühl seiner Unabhängigkeit zu erhöhen. Bezieht er nicht offenbar die Begünstigung seiner herrschenden Leidenschaft auf das Wohl seiner Person, und vernachläßigt dagegen das Wohl seiner Nebenmenschen? Aristides hingegen achtet nur auf dieß: er vergißt was das Wohl seiner eigenen Person erheischt. Zwar kann man auch hier einen geistigen Stolz hervorsuchen, aber aller Aufwand von Witz wird uns nicht überreden, daß der Edle in dem Augenblicke der Aufopferung für sein Vaterland mehr an die Begünstigung dieses Stolzes, als an das Wohl seiner Mitbürger gedacht habe.

Einen ähnlichen Unterschied wird man zwischen dem liebenden Mädchen und dem begeisterten Liebhaber finden. Dieser nutzt offenbar das lebende Original als ein bloßes Mittel, seine Phantasie mit einem Bilde zu füllen, und bezieht die Begünstigung dieses Triebes auf die Verbesserung seines Zustandes durch Spannung seines Kopfs. Der Zustand der Person, die den Stoff zu dem Bilde hergegeben hat, kümmert ihn nicht. Das liebende Mädchen hingegen, das sogar in seiner Nebenbuhlerin diejenige sieht, die seinen Geliebten beglückt, verliert sich ganz in seinem Wohl, empfindet noch Wonne, da wo es sich selbst zertrümmert.

Diese Zergliederung, dünkt mich, offenbart sogleich den Begriff des Selbstes und der Selbstheit.

Das Selbst heißt so viel, als dasjenige Ich, das durch Trennung von andern Gegenständen außer mir, besonders von vernünftigen Wesen, und durch Entgegenstellung gegen diese, wahrgenommen wird, und als etwas für sich bestehendes meine Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das Selbst heißt also nicht so viel als, das Ich, dessen ich mir bewußt bin, sondern so viel als, das Ich, das ich beachte.

Das bloße Bewußtseyn: ich bestehe, ich lebe: das bloße Bewußtseyn, daß mein Grundtrieb nach Wohlbestehen meines Wesens überhaupt begünstigt oder gehemmt wird, folglich daß ich mich im Zustande der Lust oder Unlust befinde; beydes gehört zu den völlig unerklärbaren, keiner Operation meiner wahrnehmenden und erkennenden Kräfte bedürfenden Ichgefühle, das auf keine Weise von irgend einem Momente meines Lebens, oder von irgend einer Bestimmung meines Willens getrennt werden mag. Es begleitet die schwächste Willensregung, so wie die stärkste Begierde; es findet sich in der uneigennützigsten Beschauungswonne, so wie in der Wollust des gröbsten Eigennutzes: es verläßt uns nicht im Schlafe, vielleicht nicht im Tode, vielleicht nicht beym Verlust unserer Individualität, und endigt erst mit dem Begriffe unserer Existenz.

Ganz anders verhält es sich mit dem Selbstgefühle. Dieß setzt allemahl eine deutliche Wirksamkeit der, die Erscheinungen an meinem Wesen unterscheidenden, wahrnehmenden und erkennenden Kräfte zum Voraus: eine Beachtung, eine Aufmerksamkeit auf ein Etwas an meinem Ich, wodurch ich mich von andern Gegenständen, die nicht zu meinem Ich gehören, als etwas besonderes, für sich bestehendes konstituire. Diese Beachtung, diese Gründung meines besondern Ich’s, kann nicht Statt finden, wenn ich dieß Ich nicht in irgend einer meiner Eigenschaften und Zubehörungen, oder in ihrem ganzen Inbegriffe aufnehme, und mich damit einem Dinge entgegenstelle, das zu jenen Adhärenzen, einzeln oder im Ganzen betrachtet, nicht gehört. Das Ich wird erst dann etwas bemerkbares, wenn es in eine Empfindung meines Körpers, oder in ein Bild einer Eigenschaft meiner Seele, oder eine Beschaffenheit meiner Verhältnisse, oder gar in das Bild eines Inbegriffs aller dieser Dinge zusammen eingekleidet, und so den wahrnehmenden und erkennenden Kräften zur Bemerkung vorgestellt wird. Sonst bleibt das Ich ein mir zwar nicht unbewußtes, aber doch unbeachtetes Etwas.

Beyspiele werden die Sache deutlicher machen.

Ich weiß ununterbrochen, daß ich einen Körper habe der nicht einer der Körper ist, die mich umgeben. Aber erst bey einer auffallenderen Berührung bringe ich den Unterschied zwischen meinem Leibe und den Körpern außer mir in Anschlag, und beachte mein Selbst, indem ich fühle: mein Ich berührt.

Ich weiß ferner ununterbrochen, daß ich neben dem Körper eine Seele besitze, und daß diese ein höheres und ein niederes Wesen, einen Geist und einen Instinkt in sich birgt. Aber wann bringe ich die in Anschlag? Nur dann, wenn ich aufgefordert werde, diese Dinge an mir unter sich einander entgegen zu stellen, und mein Ich unter dem Bilde des einen oder des andern zu denken. So sag’ ich mir, mein Körper ist nicht mein Selbst, mein Instinkt ist nicht mein Selbst, mein Geist ist mein wahres Selbst, das bin Ich.

Ich weiß ferner ununterbrochen, daß ich unter gewissen Verhältnissen lebe, die keinesweges die nehmlichen mit denen anderer Menschen sind, die neben mir existieren. Aber ich achte nicht beständig darauf, sondern nur dann, wenn diese äußern Verhältnisse mit meinen mir enger anklebenden Eigenthümlichkeiten, oder mit den Verhältnissen anderer Wesen verglichen werden. Dann denke ich erst: mein Ruhm, mein Vermögen ist noch nicht mein Selbst: oder auch, beydes gehört mir selbst, nicht andern.

Endlich weiß ich ununterbrochen, daß der Inbegriff aller meiner Eigenschaften und Beschaffenheiten, wodurch ich mich als ein einzelnes Individuum von allen andern Wesen meiner Art, folglich noch mehr von allen andern Wesen, die nicht einmahl der Art nach zu mir gehören, unterscheide, ich weiß, sage ich, daß dieser Inbegriff meine Person ausmacht. Aber wann denke ich daran? Nicht eher, als bis ich diese meine Person andern Personen entgegenstelle, und mir sage: ich bin es selbst, nicht er.

Also: Alles, was ich als meinem Ich (mir) zugehörend, und mein Ich (mich) von andern Gegenständen trennend, beachte, das macht mein Selbst aus.

Dieß Selbst ist bald gröber, bald feiner. Je entfernter das Attribut, worin ich mein Ich betrachte, meinem Geiste, als der letzten Adhärenz und dem weitumfassendsten Theile meines Wesens liegt; um desto materieller, gröber, wird mein Selbst, um desto enger und unzusammenhängender mit der übrigen Welt wird das Ich, das durch Beziehung der äußern Gegenstände auf sein Wohl oder Weh gereitzt werden kann: um desto größer wird die Zahl der Wesen, die ich als mir entgegenstehend betrachten muß. Je näher es hingegen meinem Geiste liegt, um desto feiner wird das Selbst, um desto mehr gewinnt es an Umfang desto kleiner wird die Zahl der entgegenstehenden Wesen.

Aber dieß Selbst mag nun so grob oder so fein seyn, als es will, so ist es eines Zustandes von Wohl und von Weh, von Verbesserung und Verschlimmerung, von Vermehrung und Verminderung fähig. So bald ich nun zur Bestimmung meines Willens den Gewinn und den Verlust meines Selbstes vorgängig in Anschlag bringe, so empfinde ich Selbstheit. Besonders aber wird diese da erkannt, wo ich den Zustand meines Selbstes dem Zustande anderer vernünftigen Wesen entgegenstelle, den meinigen von dem ihrigen trenne, und, mit Vernachlässigung ihres Wohls, sie nur als Mittel betrachte, das meinige zu befördern.

Selbstheit ist daher die Neigung, unser Ich getrennt von andern Wesen zu beachten, und sich durch vorgängige Ueberschlagung unsers individuellen Wohls oder Weh’s in unserm Willen bestimmen zu lassen. In so fern wir unser Ich besonders vernünftigen Wesen entgegensetzen, ist Selbstheit die Neigung, diese, mit Vernachlässigung ihres Zustandes, auf das Wohl des unsrigen, wie Mittel zum Zweck zu beziehen.

Die Aufmerksamkeit, welche wir auf unsere Individualität und ihren Zustand, mit Vernachlässigung der Individualität und des Zustandes anderer Wesen, wenden, ehe wir uns in unserm Willen bestimmen, diese macht das Wesen der Selbstheit aus.

Die gröbste Selbstheit zeigt der Geldgeitzige, derjenige, der sein Ich in seinem Schatze beachtet, und diesen sein Selbst nennt. Denn dieß Selbst liegt von dem Geiste des Menschen entfernter als alle seine andern Attribute, und hängt am unsichersten und zufälligsten mit seinem Wesen zusammen. Dieß Selbst ist ferner äußerst eng, weil nur wenige Gegenstände in der Welt es reitzen können, und ihm beynahe Alles für sein individuelles Wohl gleichgültig erscheinen muß, was nicht den Geldhaufen vermehrt. Es ist aber zugleich einer Menge von Wesen entgegenstehend; weil der Reichthum ohne Ausschließung anderer Individuen vom Mitbesitz nicht gedacht werden mag,

Beynahe eben so grob ist die Selbstheit dessen, der nur für seinen Gaumen Sinn hat. Dieß Selbst liegt dem Geiste gleich fern, ist eben so eingeschränkt und eben so ausschließend. Etwas feiner ist die Selbstheit desjenigen, der in den Freuden der körperlichen Geschlechtssympathie, der augenblicklichen Unterhaltung seines Gemüths, kurz, in demjenigen, was man gewöhnlich Sinnlichkeit nennt, sein Ich erkennt. Noch feiner ist die Selbstheit dessen, der geistigen Trieben nach Wissen, Erkennen, Nachruhm, Erhebung über andere Geister u. s. w. huldigt. Am allerfeinsten aber zeigt sich die Selbstheit da, wo wir in den Trieben des Beschauungshanges und der Sympathie unser Ich beachten, und uns durch Ueberschlagung des Gewinns für diese Triebe in unserm Willen bestimmen lassen. Der Mensch, der sich nicht anders als im Zustande der Contemplation und der Begeisterung wohl fühlt, und darum Bilder des Außerordentlichen, Edeln und Schönen aufsucht; der Mensch, der darum gern das Glück anderer Menschen befördert, weil er gern frohe Gesichter um sich her sehen mag, und traurige flieht; beyde huldigen der feinsten Selbstheit. Sie sind noch sehr von denjenigen verschieden, die, ohne ihr Ich in ihrer gespannten Einbildungskraft, oder in ihrem sympathetisch interessierten Herzen zu beachten, ohne die Gegenstände nach ihrer Fähigkeit, zu begeistern und zu rühren, in Anschlag zu bringen, unmittelbar den Gefühlen des Schönen und Edeln, und denen der Liebe huldigen.

Nach dieser Erklärung von der Selbstheit läßt sich nun der Begriff der Uneigennützigkeit, als einer ihr entgegengesetzten Anlage unserer Reitzbarkeit, sehr leicht festsetzen. Es kann darunter durchaus nicht die Fähigkeit verstanden werden, ohne Empfindung von Lust oder Unlust, ohne Bewußtseyn des Wohlbestehens unsers Wesens, unsern Willen bestimmt zu fühlen. Denn sonst würden wir uns den Empfindungen, die wir erhalten, nicht überlassen, sondern ihnen aus allen Kräften entgegen arbeiten. Die stärkste Aufopferung setzt dennoch das Gefühl des Wohlbestehens unsers Wesens in diesem Zustande zum Voraus. Wie wär’ es sonst möglich sich der Aufopferung entgegen zu bieten, oder sie zu wollen? Nur dadurch unterscheidet sich die Selbstheit von der Uneigennützigkeit, daß wir bey dieser unser Wesen nicht erst von andern Wesen trennen, es als etwas Besonderes beachten, und den Zustand, dem wir uns entgegenbieten, nach Gewinn und Verlust für die beachtete Individualität berechnen. Da wo unsere Aufmerksamkeit von unserm Selbst und seinem individuellen Wohl ab, hingegen auf die Selbstständigkeit des äußern Wesens und auf dessen Wohl bey der Bestimmung unsers Willens hingeleitet wird, da ist Uneigennützigkeit vorhanden.

So wie die Selbstheit besonders in der Habsucht erkannt wird, so wird die Uneigennützigkeit besonders in dem Beschauungshange erkannt. Denn während seiner Wirksamkeit werden wir bey dem Mangel seiner Bestrebung, die sich den Besitz eines Gegenstandes zueignen, oder sich in seinen Zustand hineinversetzen möchte, gar nicht auf unsere Triebe, mithin auch nicht auf unser Ich aufmerksam gemacht. Wir achten bloß auf die Eigenthümlichkeiten des beschaueten Gegenstandes. Inzwischen wird die Liebe in dem Sinne, worin ich sie genommen habe, doch für den uneigennützigsten aller Affekte gehalten. Denn wenn wir gleich dabey gewinnen, die Ueberzeugung von dem Glück einer andern Person zu erhalten, mithin offenbar das Bild eines begünstigten Strebens, folglich auch eines verbesserten Selbstes in uns entsteht; so verliert sich doch dieser Gewinn in Vergleichung[WS 3] mit der Aufopferung, die wir durch das thätige Bestreben, die fremde Person zu beglücken, von manchem eigennützigen Triebe bringen. Vergleichen wir den Menschen, der sich an dem Anblick eines todten Kunstwerks, oder an der Anschauung eines Bildes seiner Phantasie ergetzt, mit demjenigen, der nach Vermögen, nach Ehre, oder auch nur nach Erheiterung durch den Anblick des Frohsinnes strebt: so erscheint jener als der Uneigennützigste, weil er seine Aufmerksamkeit am meisten auf die Gegenstände außer sich, und am wenigsten auf den Gewinn für sein eigenes Selbst richtet. Vergleichen wir ihn aber mit dem Menschen, der das Wohl anderer Personen zu befördern strebt, um der bloßen Ueberzeugung willen, daß sie sich glücklich fühlen; so wird er diesem nachstehen müssen. Denn ob der Liebende gleich ein Bild von seinem Ich beachtet, so fühlt er doch zugleich, daß sich dieß Selbst in dem des glücklichen Menschen verliert; und dennoch empfindet er Wonne bey seinem Verluste. Der Beschauer vergißt bloß sein Ich, der Liebende beachtet es, aber opfert es wissentlich auf.


Zweyter Excurs.

Warum das Herz oft für Selbstheit und Sympathie im Gegensatze des Beschauungshanges; oft für diesen und Sympathie im Gegensatze der Selbstheit; dann wieder nur für Sympathie mit dem Menschen, und im engsten Sinne für Fähigkeit zur Liebe genommen wird.

Wir haben gesehen, daß einige Arten von Wonne mit einem Bestreben verknüpft sind, andere nicht. Dieß setzt eine doppelte Anlage in uns zum Voraus, von denen die eine das Bestrebungsvermögen, die andere das Gefühlvermögen genannt wird.

Die Wirksamkeit des Bestrebungsvermögens wird viel stärker empfunden, als die des Gefühlvermögens, und daher ist die Wonne, welche mit Bestrebung oder Begierde verknüpft ist, viel auffallender und merklicher, als diejenige, welche dieß Bewußtseyn nicht mit sich führt.

Diejenige Anlage also, welche wir für Bestrebung und Begierde haben, verdient besonders unsere Reitzbarkeit, unsere Sinnlichkeit, mithin auch unser Herz genannt zu werden. Daher geschieht es denn, daß das Herz mit unserm Bestrebungsvermögen sehr oft in einem Sinne genommen wird.

So oft wir nun die verschiedenen Grade der Reitzbarkeit unter einander vergleichen, und dabey bloß auf die Lebhaftigkeit, mit der wir gereitzt werden, Rücksicht nehmen, nennen wir nur unsere Anlage zur Wollust und Wonne der Selbstheit und der Sympathie, das Herz.

Die Wonne des Beschauungshanges wirkt nicht auf dieß Herz, weil sie nur unser Gefühlvermögen, und nicht unser Bestrebungsvermögen reitzt, mithin uns minder lebhaft afficiert. Das Außerordentliche, das Vollkommene, das Edle und Schöne, bringt an sich nur einen unthätigen Affekt bey uns hervor. Wir überlassen uns ihm, aber wir streben nicht ihn auszubilden, indem wir uns dem Gegenstande mehr nähern, auf ihn einwirken, und ihn auf unsere Verhältnisse beziehen. Er interessiert also nicht unser Selbst. Dagegen interessiert die Wonne der Selbstheit und der Sympathie unser Selbst. Das Nützliche, das Schätzungswerthe, Achtungswürdige, das gesellige Erheiternde und Liebenswürdige, alles dieß versetzt uns in den Zustand des Strebens und des Begehrens. Darum wird die Fähigkeit, uns lebhaft für etwas zu interessieren, und vermöge dieses Interesses Wonne zu empfinden, im Gegensatz gegen die Fähigkeit, ohne Interesse Wonne an der bloßen Beschauung zu haben, das Herz genannt.

So sagen wir von schönen Kunstwerken, daß sie nicht allein etwas für den Sinn des Schönen, (eine Modification des Beschauungshanges,) sondern auch etwas für das Herz liefern müssen; und wieder: daß es nicht genug sey, wenn der Künstler unser Herz zu interessieren im Stande sey, sondern daß er auch unsern Sinn des Schönen befriedigen müsse. Und die Reitzung dieses Herzens wird um so auffallender wahrgenommen, je näher der Künstler seine Darstellungen unserer individuellen Lage bringt, je mehr er sich in unsere Plane, Absichten, Zwecke u. s. w. hineinzudenken weiß. Ja! der Redner, der uns zum thätigen Bestreben, zum Handeln bringen will, geht auf unser Herz los, wenn er unsern herrschenden Begierden schmeichelt, und eine Angelegenheit, die er hat, zu der unsrigen zu machen weiß.

Um hier das Herz von unserer Reitzbarkeit und Sinnlichkeit zu Affekten des Beschauungshanges zu unterscheiden, pflegt man die letztern den Kopf zu nennen; eben weil die Thätigkeit des Wahrnehmens und Erkennens die einzige ist, deren wir uns während solcher Affekte bewußt sind, und die Sehkraft und das Erkenntnißvermögen ihren Sitz an und im Kopfe haben.

So modificiert sich der Begriff des Herzens bey einer bloßen Vergleichung der verschiedenen Zustände unserer gereitzten Sinnlichkeit. Sobald wir aber unsere verschiedenen Verbindungsarten mit den Gegenständen außer uns in Rücksicht nehmen, so erhält der Ausdruck Herz eine ganz verschiedene Bedeutung. Dort war es der höhere Grad intensiver Stärke unserer Reitzbarkeit und Sinnlichkeit, ihre größere Lebhaftigkeit, welche den Nahmen vorzugsweise auf sich zog: hier ist es der höhere Grad der Ausdehnung, der Feinheit unserer Reitzbarkeit und Sinnlichkeit, welche ihn vorzüglich zu verdienen scheint. Nun ist gewiß die Reitzbarkeit desjenigen Menschen, der sich durch den bloßen Beschauungshang und durch Sympathie zur Wonne einladen läßt, viel ausgebreiteter und feiner, als diejenige des Menschen, der nur für Wollust und Wonne der groben Selbstheit Sinn hat. So werden wir denn nie sagen, daß der Wohlgeschmack, der Genuß des befriedigten Geldgeitzes oder der Ehrbegierde u. s. w. Affekte des Herzens sind. Wir schreiben demjenigen kein Herz zu, der gegen die Vollkommenheit und Schönheit der Natur und der Kunst, gegen das Wohl und Weh seiner Mitmenschen unempfindlich ist. Hingegen leihen wir demjenigen ein Herz, der Beschauungshang und Sympathie äußert.

Nun aber kommen wir stufenweise zu der engsten Bedeutung des Herzens, indem wir die verschiedenen Grade unserer Reitzbarkeit in unsern Verhältnissen zum Menschen betrachten. Derjenige, der sich nur lebhaft für die Menschen interessiert, wenn er sie als Mittel zur Begünstigung seiner gröberen Selbstheit betrachten kann; derjenige, der nur dadurch Anspruch auf eine feinere Reitzbarkeit machen kann, daß er sie unthätig beschauet; die haben beyde kein Herz.

Eher schon derjenige, welcher die Menschen als Mittel, seine geselligen Triebe zu befriedigen, mit feinerer Selbstheit genießt. Aber gewiß am allerunzweydeutigsten derjenige, der bloß um der Ueberzeugung willen, daß der Mensch außer ihm zufrieden mit seinem Schicksale sey, Wonne an der thätigen Bestrebung fühlt, zu dessen Glücke etwas beyzutragen. Ein solcher Mensch hat den höchsten Grad von lebhafter und feiner Reitzbarkeit zu gleicher Zeit: der hat wirklich ein Herz, wenn je einer eines haben kann.

Zweytes Buch.
Wesen der Liebe, als dauernde Anhänglichkeit betrachtet. [9]


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Gespielen meiner Jugend! Ihr, von denen ein Theil mir noch gegenwärtig die ungemischtesten Freuden des Lebens bereitet; ein anderer, durch Tod und weite Entfernung von mir getrennt, mein Herz mit wehmüthigen und dennoch süßen Erinnerungen erfüllt! – Brüder, edle Brüder! ihr, mit denen ich lange die Pflichten und die Freuden des Hausgenossen theilte, Hand in Hand die Bahn verfolgte, welche die Würde, einem Stamme guter Bürger anzugehören, vorschrieb, und denen ich jetzt bey der ehrenvollen Bestimmung, fürs Vaterland zu kämpfen, nur mit meinen Bekümmernissen und meinem Zurufe folgen kann! – Vor allen aber du, mir selbst gewählter Vater, erster meiner Freunde, Führer, Leiter meiner Jugend, Stütze meines reifern Alters! Euer Andenken soll besonders in meiner Seele herrschend seyn, während daß ich liebende Anhänglichkeit von der bloß liebenden Aufwallung unterscheide.

Zuneigung ist das Werk eines Augenblicks, aber Anhänglichkeit setzt Angewöhnung zum Voraus, unsere Zuneigung auf eine bestimmte Person zu richten.

Schon Thiere machen uns aufmerksam auf diesen Unterschied. Seht das freundliche Windspiel an, wie es durch Anschmiegen und reitzende Wendungen hüpfender Spiele jedem Vorübergehenden zu schmeicheln, und Freude um sich her zu verbreiten sucht! Dagegen beißt der mürrische Hund des Hirten jeden Fremden von sich ab, nimmt Speise und Liebkosung nur von der Hand des angewöhnten Herrn, begehrt wehklagend nach dessen Gegenwart bey der kleinsten Trennung, und wird selbst durch die härteste Begegnung nicht von ihm zurückgewiesen. Ja! man erzählt, was unser Herz so geneigt ist zu glauben, daß Thiere dieser Art, gleich trostlosen Geliebten, ihr Leben auf dem Grabe des geraubten Freundes geendigt haben. [10] Eine gleiche Verschiedenheit zeigt die Natur gewisser Geflügel. Der Haushahn ist unstreitig einiger sympathetischen Gefühle, die liebenden Aufwallungen ähneln, gegen die ihm zugelaufenen Weibchen fähig. Er kratzt für sie das Körnchen auf, dessen Genuß er selbst entbehrt, und zu dem er sie herbeylockt. Aber jedes neue Weibchen kann das verlorne ersetzen, wenn der mörderische Stahl die angewöhnte Gattin von seiner Seite gerafft hat.

Wie ähnlich ist die Verschiedenheit der Charakter der Menschen, diesen verschiedenen Anlagen der Thiere! Wie viele giebt es unter ihnen, denen die Natur viel Sympathie, viel allgemeines Wohlwollen ins Herz gelegt hat, und die bey dem stets regen Wunsche, daß Alles froh und zufrieden um sie her sey, sich an keine einzelne bestimmte Person hängen können! Wie viele, die eben so unfähig sind, die stärkeren Pflichten zu erfüllen, welche engere Verbindungen auflegen, als ihre höhern Süßigkeiten zu genießen! Wie wenig beweiset auf der andern Seite die stärkste Anhänglichkeit an eine bestimmte Person für allgemeine Menschenliebe! Man pflegt zu sagen; Allmanns Freund Niemands Freund! Laßt uns mit eben dem Rechte sprechen: Freund der Person, fremd der Art! So selten geht beydes neben einander.


konnte er kein ehrliches Begräbniß erhalten. Man begnügte sich also, ihn an dem Orte, wo er zuerst verscharret gewesen war, tiefer unter die Erde zu bringen. Der Hund war demohngeachtet nicht zu bewegen, die Stelle zu verlassen. Die Einwohner der Stadt wurden durch diese Treue gerührt. Man baute dem Thiere eine kleine Hütte, und brachte ihm täglich seine Nahrung. Der Hund blieb bis an seinen Tod auf der Stelle, welche die theuren Reste seines Herrn in sich faßte.

Zweytes Kapitel.
Begriff der Anhänglichkeit; nicht jede ist liebend.

Anhänglichkeit überhaupt heißt angewöhnte Stimmung unsers Wesens, von der Vorstellung unsers Verhältnisses zu einer bestimmten Person zu Gefühlen von Lust gereitzt zu werden.

Sie kann höchst eigennützig seyn, diese Anhänglichkeit; oft kann Wonne der Selbstheit, oft Wonne des Beschauungshanges hauptsächlich bey ihr zum Grunde liegen. In beyden Fällen ist sie nicht liebend. Auch Handlungsgenossen können an einander hängen, weil sie sich angewöhnt haben, auf die Kenntniß ihrer wechselseitigen persönlichen Geschicklichkeit und Arbeitsamkeit die Hoffnung eines Antheils am gemeinschaftlichen Gewinnste zu gründen. Es giebt Anhänglichkeiten, die auf einem feineren Eigennutze beruhen. So hängt oft der anschreitende Ehrgeitzige dem Manne von gegründetem Rufe an, um durch ihn in die Laufbahn des Ruhmes eingeführt zu werden. So der Helfer an dem Hülfsbedürftigen, weil er es selbst ist, der hilft. Ja! man hängt sich oft an, um sich durch Anhänglichkeit auszuzeichnen! Was sagen wir von den Anhängern gewisser Häupter von Religionssekten, von politischen Parteyen, von Schulen in der Philosophie? Liegt nicht oft bloße Bewunderung des Außerordentlichen ihrer Lehrsätze und ihrer Handlungsweise dabey zum Grunde? Haben nicht zuweilen selbst die blutdürstigsten Tyrannen bloß darum Anhänger gefunden, weil sie ausgezeichnet hassenswerth und von seltener Abscheulichkeit waren?

Es giebt also viele Anhänglichkeiten, die nicht liebend sind. Es giebt aber andere, die es sind; und dieser Natur will ich jetzt entwickeln.


Drittes Kapitel.
Jede Anhänglichkeit, selbst die liebende, ist ein Gewebe der allerungleichartigsten Affekte.

Es ist zweifelhaft, ob es irgend einen Akt von Wohlthätigkeit, wozu uns der Affekt der Liebe unmittelbar auffordert, geben könne, der nicht bereits eine Mischung von Reitzungen der Selbstheit und des Beschauungshanges in sich fasse. Es ist zweifelhaft, ob während der Dauer, welche alle Mahl vorauszusetzen ist, wenn wir das wonnevolle Bestreben, einen andern zu beglücken, durch Handlungen äußern, nicht unvermerkt der Eigennutz und der Sinn des Edeln und Schönen mit ins Spiel kommen.

Wer wagt es zu entscheiden, ob während der Zeit, worin ich den Wanderer mit Liebe in meinem Hause bewirthe, oder die muntern Spiele mir unbekannter Schnitter mit Liebe zu befördern suche, ob, sage ich, nicht zugleich die Vorstellung in mir entsteht, in ähnlichen Fällen hast du auf gleiche Wohlthaten zu rechnen; ob nicht die Form frohgesinnter Menschen unmittelbar als Bild auf Sinne und Einbildungskraft wirken? Wer, frage ich, will dieß entscheiden? Genug, daß die Wonne der Liebe dergestalt in diesem Zeitraume hervorsticht, daß die Reitzungen des Eigennutzes und des Beschauungshanges darunter verschwinden.

Aber während der Anhänglichkeit an einer bestimmten Person, welche schlechterdings eine Stimmung von längerer Dauer voraussetzt, ist es nicht mehr zweifelhaft, sondern gewiß, und sogar nothwendig, daß neben den Affekten der Liebe auch Affekte des Eigennutzes und der Beschauung ihre Wirksamkeit deutlich an unserm Wesen äußern. Jede Anhänglichkeit überhaupt ist ein Gewebe der ungleichartigsten Triebe, welche ihre Richtung auf eine bestimmte Person genommen haben, und von dieser gereitzt und begünstigt werden.

Denkt euch, meine Freunde, die engere Genossenschaft zweyer Spitzbuben, die sich um ihres wechselseitigen Beystandes willen zum gemeinschaftlichen Raube mit einander auf längere Zeit verbinden; glaubt ihr, daß während der Dauer dieser Verbindung bloße Affekte des Eigennutzes sie an einander halten? Gewiß nicht! sie werden in die Anlagen, in die Ausführung ihrer verderblichen Plane eine gewisse Feinheit und Gewandheit legen, welche ihnen wechselseitig das Gefühl des Schönen einflößt; jeder wird für sich eine gewisse Festigkeit des Charakters, eine gewisse Consequenz von Gesinnungen und Handlungen zeigen, welche wechselseitig das Gefühl der Vollkommenheit bey ihnen erweckt: selbst das Ausgezeichnete der Bosheit des einen kann dem andern die Wonne der Beschauung des Seltenen und Außerordentlichen gewähren. Und sympathetische Wonne, Wonne der Liebe wird hinzutreten. Die Thräne, welche Angelo um seinen erschossenen Gesellen vergoß, ward halb dem verlornen Beystande, und halb dem bewunderten und geliebten Mitbruder gezollt.

Jener Liebhaber des Schönen, welcher dem Apollo im Belvedere, oder dem Gemählde des Raphaels schwärmerisch anhängt, wird nicht durch bloße Affekte des Beschauungshanges belebt. Er ist es, er selbst, der diese Werke so vollkommen fühlt als kein anderer, er selbst, der sie so lange studiert hat, er selbst, der ganz in ihren Geist eingedrungen ist. Und seine Phantasie belebt diese todten, in sein persönliches Interesse verwickelten Kunstschönheiten. Ihre Existenz, ihr Schicksal, ihr Wohlbestehen wird ihm theuer; das bessere Licht, in welches man sie stellt, die Sorge, welche man für ihre Erhaltung trägt, erfüllen ihn mit einer Wonne, welche derjenigen gleich kommt, mit der ein anderer das Wohlbefinden seines Freundes erfahren würde; ihr Leiden rührt ihn sympathetisch mit, und vielleicht würde er ihre Zertrümmerung nicht überleben.

Eben so verhält es sich mit der wirklich liebenden Anhänglichkeit! Der Gatte, der mit der größten Aufopferung das geliebte Weib zu beglücken sucht, macht doch zuweilen einen Halt in seinem liebenden Bestreben, um sich der Wonne zu überlassen, von andern so geehrt zu seyn in seiner Wahl, von ihr, der Geliebten, als Wohlthäter anerkannt zu werden. Er wird beym Schweigen der Begierden sich zuweilen in Beschauung derjenigen Vorzüge seiner Gattin verlieren, die er, unabhängig von aller Beziehung auf sein Verhältniß zu ihrer Person, an dem Bilde einer völlig Unbekannten bewundern würde.

Edler, verfeinerter, sittlicher Eigennutz; unsträfliche Wonne der Beschauung; mit der Liebe bestehend, Liebe verstärkend; aber doch von Liebe noch verschieden!

Ich sage mehr! Es sind nicht bloß Wonnegefühle, welche uns an die Person eines andern Menschen ketten. Oft trägt die Lust des Genügens am befriedigten Bedürfnisse dazu bey, die Bande zu verstärken; oft Furcht, Zwang, kluge Ueberlegung! Es beruht auf ausgemachter Erfahrung, daß Personen, die wir anfänglich bloß als Mittel betrachtet haben, um einen gewissen Zweck zu erreichen, uns mit der Zeit um ihrer persönlichen Individualität willen theuer geworden sind. So ist es möglich, daß ein Mensch, dessen Gesellschaft uns lange gleichgültig gewesen ist, bloß dadurch, daß wir durch die Trennung von ihm in unserer gewöhnlichen Lage gestört werden, ein Bedürfniß nach seiner Gegenwart erwecke, unserm Herzen näher trete, und die Verbindung mit seiner Person uns schätzbar mache. So können wir anfänglich bloß aus Eitelkeit liebende Affekte heucheln, und der Mensch, den wir zufällig zum Gegenstande dieses Eigennutzes wählten, kann uns wirklich an eine liebende Stimmung gegen seine Person gewöhnen. Die Erfahrung lehrt es, daß wir strengen Vorgesetzten oft stärker anhängen, als nachgiebigen um unser Wohl bekümmerten Liebhabern. Nicht als ob eine üble Behandlung unmittelbar anzöge; sondern weil durch den Zwang unsere Triebe sich allmählig zu einer gewissen Richtung nach einer bestimmten Person hingewöhnen, und Wonnegefühle der Liebe, der Beschauung und des Eigennutzes sich anschließen.

So entsteht bey dem schwächeren Menschen, der von dem Manne von strengem Charakter beherrscht wird, leicht Achtung für Gerechtigkeit und Festigkeit. So versetzt uns die Aufmerksamkeit auf uns selbst in Gegenwart von Personen, deren Beyfall schwer errungen wird, in eine angenehme Spannung, und die Vorstellung des Schutzes gegen Beleidigungen, und des Anspruchs auf Ansehn, deren wir bey dem Mächtigen genießen, dient dazu, die Bande zu verstärken. Bald vergessen wir, warum wir anhängen: wir fühlen nicht mehr die einzelnen Glieder, aus denen unsere Kette zusammengesetzt ist; ja! wir fühlen sie nicht mehr als Kette, es sind Rosenbande, mit denen wir umschlungen werden. Wonne der Liebe mischt sich zur Wonne von anderer Art; wir hängen der Person an und streben für ihr Wohl. Aber nun treten Augenblicke ein, in denen wir kälter fühlen, in denen Selbstheit und Beschauungshang mit dem Herzen streiten. Hier tritt wieder Furcht, und Zwang, und Bedürfniß und Pflicht hinzu; wir fühlen die Kette, aber sie hält uns, und weil sie uns hält, so gewöhnen wir uns wieder daran, und empfinden bald wieder Anhänglichkeit an der Person, fühlen Liebe!

So verwickelt, aus so mannichfaltigen, oft so widerstreitenden Bestandtheilen ist das Gewebe zusammengesetzt, das uns umstrickt! Alles kommt darauf an, daß unsere Triebe nach Zusammenseyn, gleichviel von welcher Art sie sind, eine gewisse Bewegfertigkeit erhalten, sich nach einer gewissen Person hinzurichten; daß diese Angewöhnung von einigen Wonnegefühlen begleitet werde, und daß wir zuletzt in die Lage kommen, ohne Nachdenken, ohne Ueberlegung, folglich instinktartig, au dieser Person hängen zu können.

Aus dem Ganzen dieser sich unter einander verstärkenden, in einander verwebten Triebe entsteht natürlicher Weise das gewisse Etwas, das je ne sçais quoi, welches der große Haufe Liebe, und welches ich überhaupt Anhänglichkeit an der individuellen Person nenne. Es scheint sogar nothwendig, wenn die Anhänglichkeit nun liebend wird und anhaltend und stark seyn soll, daß der Liebende während der Dauer der Verbindung zuweilen deutlich daran erinnert werde, daß sein Selbst dabey gewinnt, und daß der Gegenstand seiner Liebe auch bey der bloßen fernen Beschauung ihm Wonnegefühle einflößen könne. Ich sage: das Bewußtseyn des begünstigten Beschauungshanges und der befriedigten Selbstheit muß in einem gewissen abgemessenen Verhältnisse mit dem Bewußtseyn des interessierten Herzens stehen: es ist nicht genug, daß sich jene Gefühle ihm unwissend mit einschleichen.

Das Wesen der Sympathie ist wonnevolles Streben nach gemeinschaftlichem Daseyn und Wohl mit einem für sich bestehenden Wesen. Während des einzelnen Affekts, während des einzelnen Akts von Wohlthätigkeit kann es hinreichen, daß wir das Gefühl unsers eigenen Daseyns und Wohls bloß durch das Bewußtseyn erhalten; ich bin froh, weil es mir gelingt, mein anderes Selbst, mein Du, froh zu wissen. Das Bewußtseyn enthält zugleich die doppelte Vorstellung von meinem Selbst und seinem Selbst, von meinem Daseyn und Wohl und von dem seinigen.

In der Höhe der Leidenschaft, worin man sich völlig in den geliebten Gegenstand zu verwandeln strebt, ist es gleichfalls möglich, daß der Liebhaber sich für alle Aufopferung seines eigenen Daseyns und Wohls bloß durch die Vorstellung, der Geliebte sey beglückt, auf eine längere Zeit schadlos halte. Aber in der liebenden Anhänglichkeit, in der bloß zärtlichen Verbindung, ist diese Voraussetzung Chimäre, welche dem Wesen der Liebe sogar gefährlich werden könnte. Wenn wir nicht zuweilen durch das Bewußtseyn: der Geliebte begünstigt meinen Eigennutz, an unser Selbst erinnert werden, so läuft die Verbindung Gefahr, in eine bloße Beschauungsanhänglichkeit, oder gar in ein schwaches Wohlwollen überzugehen; wenigstens artet sie dann in eine bloße Anhänglichkeit an die Gattung aus, und die individuelle Person wird uns gleichgültig.

Gesetzt, ich habe gar nichts von einem abwesenden Helden oder Staatsmanne als dieß, daß ich ein wonnevolles Bestreben fühle, ihn glücklich zu wissen. Seine Siege, das Gelingen seiner Plane, sein zunehmendes Ansehn erfreuen mich, aber das ist auch der ganze Vortheil, den ich aus meiner Verbindung mit ihm ziehe; so isoliere ich ihn nach und nach völlig von mir, und sehe ihn nur als einen Gegenstand aus der Ferne an, dessen Glück meine Aufmerksamkeit als etwas Schönes, Vollkommenes oder Seltenes hervorstechend auf sich zieht, und wobey ich mein Daseyn und Wohl völlig vergesse. Ich hänge ihm folglich an, aber ich liebe ihn nicht, weil ich nicht an ein gemeinschaftliches Daseyn und Wohl auffallend genug erinnert werde.

Gesetzt, ich lebe in der Gesellschaft eines Menschen, der so glücklich organisiert ist, daß er sich über nichts ärgert, über nichts trauert, stets in einer gewissen Gleichmüthigkeit lebt, die ihn für sein Individuum höchst zufrieden mit seinem Zustande macht; ich empfinde Wonne über sein Glück, aber übrigens ist mir der Mensch durchaus in meinen persönlichen Verhältnissen zu nichts nützlich; wird hier das wonnevolle Bestreben, ihn in seinem glücklichen Zustande zu erhalten, auf die Länge wohl ein engeres Band zwischen uns knüpfen? Gewiß nicht! Jene Ordensbrüder und Ordensschwestern, welche vermöge ihrer Bestimmung das Schicksal der Nothleidenden erleichtern, und unter denen es viele giebt, für die es wahre Wonne ist, einem ihrer Mitmenschen in vollem Gefühle der wiedergekehrten Gesundheit das Hospital verlassen zu sehen, hängen gewiß nicht an der Person. Sie hängen an der Gattung. Jeder gerettete Kranke gehört ihnen auf gleiche Art an.

Auf der andern Seite ist es auch nicht genug, wenn das Bewußtseyn der befriedigten Selbstheit neben liebenden Affekten erweckt wird; man muß auch den Beschauungshang begünstigt fühlen, wenn die Anhänglichkeit an der Person wirklich liebend seyn soll. Ich muß fühlen, daß derjenige, an dem ich hänge, etwas an sich trage, das ihn als schön, als edel, als vollkommen, wenigstens als selten auszeichnet, und welches ich, wenn der Mensch mir bloß im Bilde erschiene, mit Wonne oder wenigstens mit Genügen anschauen möchte. Kurz, es muß etwas vorhanden seyn, das meine Aufmerksamkeit zuweilen darauf zurückführe: der Mensch, dessen Daseyn und Wohl dich mit Wonne erfüllt, ist nicht dein Selbst, ist nicht ein Mittel zur Verbesserung desselben. Es giebt Menschen genug, die sich wirklich stark an diejenigen anhängen, denen sie Gutes thun. Aber wenn diese letzten nichts als Gegenstände ihrer Wohlthätigkeit sind, wozu jeder andere Mensch eben so gut dienen könnte; so wird sehr bald das ganze eigennützige Bewußtseyn herrschend werden, daß die Person nur ein Mittel sey, unsere sympathetischen Triebe zu befriedigen, und Selbstheit wird auf Liebe geimpft werden.

Diese Bemerkungen liegen bey den Behauptungen zum Grunde, welche man sehr oft im gemeinen Leben hört: ohne Gegenliebe sey keine dauernde Liebe, ohne Achtung sey keine Liebe. Sie lassen sich schwerlich in der Maße rechtfertigen, wie sie da aufgestellt sind. Aber diese Wahrheit liegt unstreitig darin: daß ohne ein gewisses abgemessenes Verhältniß von befriedigter Selbstheit und begünstigtem Beschauungshange keine dauernde Anhänglichkeit an der Person Statt finden könne.


Viertes Kapitel.
Liebend ist nur diejenige Anhänglichkeit, worin liebende Affekte prädominiren.

Nach diesen Voraussetzungen darf man freylich vom großen Haufen nicht erwarten, daß er bey Beurtheilung der Verbindungen, deren Aeußerungen er im gemeinen Leben wahrnimmt, die liebenden Anhänglichkeiten von den eigennützigen und beschauenden unterscheiden werde. Er nennt jede engere Verbindung Liebe, worin das Wohl des Geliebten sich mit dem des Angehängten verträgt, besonders wenn er sieht, daß dieser letzte sogar thätig zu dem Wohl des ersten beyträgt. Darüber ist ihm auch gar kein Vorwurf zu machen. Denn wie gesagt, Selbstheit und Beschauungshang und Herz müssen in einem gewissen abgemessenen Verhältnisse zu einander stehen, wenn der Begriff der liebenden Anhänglichkeit gegründet werden soll. Und wie kann man von dem gewöhnlichen Beobachter erwarten, daß er ein sicheres Urtheil darüber fällen werde, ob das Herz hier oder dort den überwiegenden Antheil an dem Wohl des Verbündeten nehme?

Demohngeachtet wird jeder einzelne, aufs Gerathewohl aus diesem großen Haufen herausgewählt, wenn er nur seine eigene Lage zu demjenigen, mit welchem er zusammenhängt, unbefangen prüft, und anders nur ein Herz, und die Fähigkeit zum Nachdenken überhaupt hat, gar leicht gewahr werden, ob er geliebt werde und wieder liebe.

Wir dürfen nur die Summe der Gefühle, welche uns eingeflößt werden, und die wir einflößen, reflektierend aufnehmen, und die Menge und die Stärke ihrer verschiedenen Arten gegen einander in Anschlag bringen, um das Resultat über die wahre Natur unserer Anhänglichkeit zu finden.

Allerwärts wo die Summe schwacher Willensregungen, daß es dem andern wohl gehen möge, über die Summe der stärkeren Gefühle, womit uns sein Wohl und sein Uebel afficiert, die Oberhand gewinnt; – da ist gewiß keine Liebe vorhanden, sondern nur ein Wohlvertragen. (Wir vertragen es wohl, daß es dem Andern gut geht.) Unter diesen Begriff passen die meisten Verbindungen, welche in der großen Welt für gute Freundschaften gelten, in den Zirkeln der örtlichen Gesellschaft gestiftet werden, und stark genug sind, um den wechselseitigen Wunsch zu erregen, lieber die alten Gesichter als neue, und die ersten lieber froh als traurig an den Eß- und Spieltischen wieder zu finden.

Allerwärts wo die Summe der Affekte des Genügens am Daseyn und Wohl des andern stärker ist, als die Wonnegefühle über eben diese Vorstellung, – da ist keine Liebe vorhanden, sondern nur ein Gernleiden. (Wir leiden es gern, daß der andere mit uns wohl sey; es macht uns Vergnügen, weil Bedürfniß, Klugheit, Pflicht, u. s. w. uns dazu auffordern.) Unter diesen Begriff passen die mehrsten Verbindungen unter Gatten, welche auf wechselseitiger Convenienz beruhen, und in der Welt für gute Ehen gehalten werden, weil die Verbündeten fühlen, daß sie bey ihrem gemeinschaftlichen Daseyn und Wohl ihren Zustand erträglicher fühlen, als bey der Trennung von einander, oder bey wechselseitigem Leiden.

Allerwärts, wo die Summe der Wonneaffekte der Selbstheit oder des Beschauungshanges an Menge und an Stärke größer ist, als die des Herzens, – da ist keine liebende Anhänglichkeit, sondern nur eine eigennützige oder beschauende vorhanden. Dieser Unterschied ist freylich in manchen Fällen fein und schwer zu fassen, aber nie Subtilität. Wenn Rousseau sich für ein Ideal begeistert, und den Gegenstand in der Natur, unbekümmert um sein individuelles Wohl, vernachlässigt, sich bloß an dem Bilde in seinem Kopfe labet; – – so ist dieß keine Liebe, sondern nur eine beschauende Anhänglichkeit. Wenn der eitle Floricourt im tout ou rien von Marmontel dem Vogel, der seine Geliebte erfreuete, erdrücken wollte, weil er ihr jedes Vergnügen mißgönnte, welches ihm nicht das Bewußtseyn gab, daß er selbst es sey, der sie beglückte; – so ist dieß keine Liebe, sondern nur verfeinerter Eigennutz.

Also nur diejenige Anhänglichkeit ist Liebe, worin ich ohne Rücksicht darauf, ob der Mensch meinen Beschauungshang oder meine Selbstheit befriedigt, in den meisten Augenblicken des verbündeten Lebens wonnevoll nach der Ueberzeugung strebe, daß er sich glücklich fühle; – worin ich selbst in Fällen, wo verschiedene Triebe mit einander in Streit gerathen könnten, den liebenden wonnevoll huldige; – worin die angewöhnte Fertigkeit zu liebenden Affekten gegen eine bestimmte Person bey weitem die herrschende ist, und der Stimmung im Ganzen den Ton, den Charakter des einzelnen liebenden Affekts giebt.

O! Freund meiner Seele, daß deine Bescheidenheit mir nicht in den Weg trete, indem ich die Natur der wahren liebenden Anhänglichkeit durch einen Rückblick auf unsere Verbindung zu entwickeln suche! Ich fühle alles, was ich durch die Vereinigung mit dir gewonnen habe und noch täglich gewinne! die Veredlung meines Charakters, die Erhöhung über mein niedriges Ich; – den Stolz, Dir vor den Augen der Edlen anzugehören, von Dir geachtet, von Dir gebilligt und geliebt zu werden; – sogar die Freude, daß ich es bin, der Dir Freude machen kann; – kurz, eine Menge eigennütziger Wonnegefühle und Begünstigungen meiner Selbstheit, deren ich mir wohl bewußt bin, an die ich oft erinnert werde, ketten mich an Dich. Aber in andern Augenblicken fühle ich auch deutlich, daß die Vorstellung von Deiner Menschenkenntniß, von Deinem unaufhaltsamen Streben nach Wissen und Erkennen, von Deiner Thätigkeit, von Deiner Aufopferung für die Ausbreitung der Wahrheit, für die Bildung des Menschengeschlechts, – von Deinem lichtvollen treffenden Blick, von Deiner Aneignungskraft der entferntesten Verhältnisse, womit Du verschiedene Zeitumstände der Geschichte, so wie die Lage der Dinge um Dich her, gleich treffend hervorzauberst, gleich richtig beurtheilst; – endlich von jener moralischen Strenge gegen Dich selbst und von Deiner liebevollen Beurtheilung anderer; – ich fühle, sage ich, daß alle diese verschiedenen Vorstellungen von Dir mich oft mit Affekten des Schönen und des Edeln erfüllen. Ich fühle, daß sie mich auch dann damit erfüllen würden, wenn Du mir nicht bekannt wärest, wenn eine bloße Darstellung der Geschichte Dich mir im Bilde eines längst verstorbenen Menschen aus der Ferne zeigte. Das weiß ich, aber ich weiß auch, daß in den meisten Augenblicken des zwanzigjährigen Zeitraums, worin ich an Dir hänge, diese Affekte des Eigennutzes und der Beschauung unter denjenigen, welche Du mir eingeflößt hast, bey weitem die geringste Summe ausgemacht haben! Ich bin mir bewußt, daß in den Augenblicken, worin Du mir minder liebend, minder vollkommen scheinst, mein wonnevolles Streben für Dein Daseyn und Dein Wohl nicht abgenommen hat. Ich bin mir bewußt, daß ich Deinen Schmerz mit Dir theilen kann, daß das Glück, was Dir widerfährt, mich entzückt, wenn ich es auch nicht mit Dir theile, und wenn es auch nicht von mir herrührt! Bist Du ein größerer Mann dadurch geworden, weil bey minderer Anstrengung Deine Gesundheit sich gestärkt hat? Habe ich mehr von Deiner Liebe, weil Du an Weib und Kindern hängst? Und dennoch, wie habe ich mich gefreuet, als ich Dich neulich so ruhig, so ausgefüllt im Schoße Deiner Familie fand! Ja! mein Freund, ich fühle es, ich sage es mit innerer Ueberzeugung: könnte die Welt Dich verkennen, könnte Krankheit der Seele und des Körpers Dich in die Klasse gewöhnlicher Menschen zurückschieben; könntest Du sogar – mit Schaudern denke ich daran, – könntest Du mich verkennen und mich von Dir stoßen; meine Thränen würden hauptsächlich die Trauer andeuten, daß Du durch Ungerechtigkeit Dir Reue und Unzufriedenheit mit Dir selbst bereiten würdest. So denke ich heute; so bin ich sicher bis ans Ende zu denken. Auf meinem Todtenlager, wenn ich Dich nicht mehr bewundern kann, beym Uebergange in die Zeit, worin Du mir nicht mehr nützlich seyn wirst, wird dennoch mein Herz von dem warmen Wunsche nach Deinem Glücke überfließen!

Und das sind Gefühle, welche auch der Gatte, der Waffenbruder unter den Wilden haben kann und hat, wenn gleich seine Vorstellungen über Nutzen, Vollkommenheit und die Form der Handlungen, womit er seine Liebe äußert, verschieden seyn sollten.


Fünftes Kapitel.
Endlicher Begriff der liebenden Anhänglichkeit und des Herzens.

Das Wesentliche, das Charakteristische der liebenden Anhänglichkeit kann nicht in der Stärke des Bandes gesetzt werden, welches uns an eine andere Person anknüpft. Die Handlungen von Wohlthätigkeit, welche wir gegen sie äußern, beweisen nichts für ihr Daseyn. Bedürfniß, Pflicht, Zwang, Wonne des feineren und gröberen Eigennutzes können eben diese Wirkungen hervorbringen. Bloß die Oberherrschaft, welche die Affekte des Herzens, die liebenden Gefühle über alle anderen nehmen und behaupten, welche der verbündete Gegenstand zugleich erwecken kann, und deren Mitwirkung sogar zur Verstärkung des Bandes nöthig scheint; diese allein begründet den Begriff der Liebe als Anhänglichkeit betrachtet.

Es kommt auch bey der Festsetzung dieses Begriffs auf die Entstehungsart, auf die nothwendigen Bedingungen zum Daseyn der Sache selbst gar nicht an. Ob also gleich neben jenen liebenden Affekten die selbstischen und anschauenden allerdings als mitwirkend vorausgesetzt werden müssen, wenn wir eine liebende Anhänglichkeit als vorhanden annehmen sollen; so können wir diese doch keinesweges mit in den Begriff aufnehmen, eben weil ihre untergeordnete Mitwirkung nur die liebenden Affekte unterstützt.

Liebende Anhänglichkeit ist folglich angewöhnte Stimmung unsers Wesens, nach der Beglückung einer bestimmten Person außer uns wonnevoll zu streben, um der Ueberzeugung willen, daß diese sich selbst glücklich fühle.

Das Wort Herz nimmt nun auch hier eine weitere, mit dem Begriffe dieser Liebe correspondierende Bedeutung an. Es heißt so viel, als die Fähigkeit, in der Liebe zu einer bestimmten Person, Fertigkeit zu erlangen. Es ist ein Talent von eigener Art, das nicht allen Menschen gegeben ist. Das menschenfreundliche Herz, die Fähigkeit, sich vorübergehend für das Wohl der Gattung ohne alle weitere Rücksicht zu interessieren, gehört, zum Besten der Moral, viel häufiger zum Gemeinsinn.


Sechstes Kapitel.
Uebergang zur Absonderung der liebenden Anhänglichkeit überhaupt von der Zärtlichkeit.

Wenn wir die verschiedenen Arten betrachten, wie leblose Körper mit einander verbunden werden können, so werden wir finden, daß einige sich bloß an einander schließen, ohne sich unter einander zu vereinigen. Die Schale, in welcher die Perle oder das Wasserthier hauset, der Granit, welcher den Porphyr in sich birgt, das unedlere Metall, welches das Gold umfaßt, liefern Beyspiele einer solchen Verbindung durch Anschließung. (Adjunctio.) Dagegen giebt es auch eine Vereinigung lebloser Körper, (conjunctio,) entweder durch Vermengung; wenn ein Körper durch Zuwachs anderer Körper seiner Art vermehrt wird, an Menge seiner Bestandtheile zunimmt, ohne seine ursprüngliche Natur zu verlieren; oder durch Vermischung, wodurch zwey Körper bey ihrer Vereinigung einen neuen Körper von ganz anderer Art, jedoch von der nehmlichen Gattung, hervorbringen. Beyspiele von der Vereinigung durch Vermengung liefert der Anwachs von Land, der sich ans Ufer setzt, das zusammenwachsende Holz, u. s. w. Beyspiele von der Vereinigung durch Vermischung liefern die sauern und alcalischen Salzarten, welche durch ihre Verbindung einen neuen Körper hervorbringen, der ganz andere Eigenschaften erhält, als die vermischten Salze einzeln an sich tragen.

So auffallend es im Anfange klingen mag, so gewiß ist es doch, daß unter den Verbindungen, welche Menschen mit einander eingehen können, sich eine ähnliche Verschiedenheit antreffen lasse, und daß jeder von uns, der eine mehr, der andere weniger, Anlagen zu dieser oder jener Verbindungsart an sich trägt.

Als da giebt es unstreitig bloße Adjunctionen, Anschließungen des Persönlichen an die Person, wie bey den wechselseitigen engeren Verhältnissen zwischen Obern und Untergebenen; es giebt aber auch Conjunctionen, Vereinigungen der Naturen. Unter diesen letzten trifft man wieder Vermengungen gleichartiger Naturen an zur Vervollständigung eines Wesens, einer Art, die schon in jedem der vereinigten Menschen isoliert existierte; Paarung Geschlechtsähnlicher Naturen. Es giebt aber auch Vermischungen ungleichartiger Naturen zur Hervorbringung eines vollkommenen Wesens, das im isolierten Menschen noch nicht existierte; Vermählung Geschlechtsverschiedener Naturen.

Ich werde zuerst den Unterschied zwischen der Anschließung des Persönlichen an die Person und der Vereinigung der Naturen auseinander zu setzen haben. Ehe ich aber weiter gehe, muß ich erst den Unterschied zwischen dem Persönlichen des Menschen und seiner Natur festzusetzen suchen.


Siebentes Kapitel.

Von dem Persönlichen des Menschen überhaupt, und von seiner Natur, seiner engsten Sinnlichkeit insbesondere.

Die Person des Menschen, sein Persönliches überhaupt, ist dasjenige, was den Begriff seines Individuums begründet, was ihn als einzelnen Menschen von allen andern Menschen unterscheidet. Hierbey wird die doppelte Vorstellung in Rücksicht genommen, theils wie andere ihn betrachten, theils wie er sich selbst ansieht. Beydes zusammen macht den Inbegriff seiner Eigenthümlichkeiten, seines Charakters, der Triebe seines Körpers und seines Gemüths, seiner Beschaffenheit, Lagen und Verhältnisse aus. Wie steht er in einem Augenblicke seines Lebens, gegen alle übrige die schon vorausgegangen sind, und die er noch als kommend voraussieht? Wie steht er mit seinem Ganzen gegen die Gegenstände um ihn her? Das alles nimmt er zusammen, das alles schlägt er an, wenn er sich sagt: das ist meine Person, das ist mir persönlich. Ein sehr complicierter Begriff, den die Vernunft nie ganz entwickelt, nie ganz zusammen faßt, den aber das Selbstgefühl eines jeden Menschen sehr leicht verstehen wird!

Unter diesem Persönlichen giebt es aber nun Einiges, was dem Menschen so eng anzugehören scheint, daß er überzeugt ist, es nicht verlieren zu können, ohne daß seine Existenz zugleich mit verloren ginge. Dieß ist eigentlich seine Natur, die engste Sinnlichkeit seines Körpers und seiner Seele!

Freunde! verzeiht auch hier der Armuth der Sprache und der Unzulänglichkeit des Verstandes, wenn das Bewußtseyn von demjenigen, was zu unserer Natur gehört, mit keinem bestimmten Nahmen genannt, unter keinen allgemeinen Begriff gefaßt werden kann. Ich will nur einige Züge ausheben, woran ein jeder das Wesen seiner Natur an sich selbst wird erkennen können.

Der Inbegriff aller körperlichen Triebe, bey deren Kränkung oder Begünstigung der Mensch bis ins Innerste, oder, wie der gemeine Mann zu sagen pflegt, bis ins Mark angegriffen wird; wobey er durch Schmerz oder Wollust aus seinem Daseyn herausgehoben zu werden fürchtet, – dieser Inbegriff macht zuerst einen Theil unserer Natur, unserer engsten Sinnlichkeit des Körpers aus. In so fern die Vereinigung der Naturen in Rücksicht gezogen wird, gehört besonders hierher die körperliche Geschlechtssympathie.

Ferner gehört zu unsrer Natur der Inbegriff gewisser Triebe der Seele, deren Kränkung und Begünstigung uns wieder bis ins Innerste angreift. Sie hängen mit den ersten Grundzügen unsers Charakters, mit dem primitiven Stoff unsers Gemüths zusammen. Diese Natur macht dasjenige aus, was mit dem Menschen geboren zu seyn scheint, (was ihm vielleicht schon vor der Zeit der Selbsterkenntniß eigen war,) und was sich mit den stärksten Zwangsmitteln nicht völlig wieder austreiben läßt. [11] Sie ist jene Nacktheit meiner Seele, wie ich sie entblößt von allen erworbenen Fertigkeiten, von aller Bekleidung, womit Klugheit, Anstand, oft auch Pflicht sie im gemeinen Leben umhüllet, betrachte. Sie ist jenes Selbst, mit allen seinen Erbärmlichkeiten und elenden Neigungen, womit ich es im Augenblicke des Mißmuths erblicke. Sie ist jenes Selbst mit allen seinen Anmaßungen, womit ich es im Augenblicke des Uebermuths als mit eben so viel wirklichen Vorzügen geschmückt, bewundere! Zu ihr, dieser Natur, gehört jene Lage, worin ich mein Selbst zu andern Gegenständen denke, wenn ich im Augenblicke des ausgelassenen Frohsinns mich völlig gehen lasse, und alle Rücksicht auf bürgerliche und häusliche Convenienz vergesse. Kurz, sie ist das Innerste, das Mark meines Wesens, dessen Erschütterung mich vor Schmerz oder vor Wonne aus meinem Daseyn herauszuheben droht. –

Vielleicht läßt sich nun eine allgemeine Bezeichnung der Natur des Menschen geben. Sie ist seine angeeigneteste Reitzbarkeit, seine Sinnlichkeit im engsten Verstande; der Inbegriff derjenigen herrschenden Triebe, über deren Beleidigung hinaus er nur Vernichtung, als das Schlimmere, über deren Begünstigung hinaus er nur Vergötterung, als das Bessere, erkennt. –

Diese Natur des Menschen wird nun auch oft sein Herz genannt, besonders in so fern wir die angeeignetsten Triebe des Gemüths darunter verstehen.


Achtes Kapitel.

Unterschied zwischen liebender persönlicher Ergebenheit oder Anschließung des Persönlichen an die Person, und Zärtlichkeit, oder Vereinigung der Naturen.

Es ist nun ein großer Unterschied, ob ich bey der Verbindung mit einer andern Person bloß etwas Persönliches an diese anzuschließen, oder gar meine Natur mit der ihrigen zu vereinigen strebe.

Der Obere, der seinem Untergebenen, und umgekehrt, der Untergebene der seinem Obern anhängt, beyde verbinden unstreitig sehr viel Persönliches mit einander, besonders wenn diese Anhänglichkeit wirklich den Charakter der Liebe annimmt, und beyde wechselseitig streben sich einander zu beglücken. Aber so lange beyde im Verhältnisse des Obern zum Untergebenen gegen einander bleiben, so lange suchen sie ihre Naturen nicht zu vereinigen, und sich durch diese Vereinigung zu beglücken. Wenigstens wird dieß Bestreben nicht ihre Verbindung charakterisieren.

Beyde, der Herr und der Diener, sorgen wechselseitig für ihren Wohlstand, ihr Ansehn, ihre Bequemlichkeit, die Fortdauer ihres Lebens u. s. w. und opfern dafür selbst vieles von demjenigen auf, was ihre eigene Person beglücken konnte: Ruhe, Vermögen, Leben u. s. w. Aber beyde rechnen weder darauf, sich einander so glücklich zu machen, wie sie es selbst seyn möchten, noch darauf, in diesem Genusse gerade mit einander zusammenzutreffen.

Ihre Verhältnisse und ihr Geschmack sind sich einander nicht gleich. Der Herr, der dem Bedienten mit dem wonnevollen Bestreben, ihn zu erfreuen, ein Trinkgelag nach dessen Geschmack bereitet, für sein Auskommen durch eine einträgliche Bedienung sorgt, u. s. w. versetzt sich gewiß nicht dergestalt an dessen Stelle, daß er den Zustand seines Bedienten zu dem seinigen machen, folglich sich so beglückt sehen möchte, wie sein Bedienter beglückt ist. Umgekehrt, wird der Bediente, der mit dem wonnevollen Bestreben, den Herrn zu erfreuen, dessen Vermögen, dessen Ansehn, dessen Bequemlichkeit durch treue Aufwartung vermehrt, nicht daran denken, daß er die Folgen seiner Wohlthätigkeit mit ihm theilen möchte, daß der Herr gerade so glücklich seyn solle, als er für seine Person es zu seyn wünscht.

Eben dieß wird nun der Fall bey unzähligen Verbindungen seyn, die zwischen Personen von ungleichen Naturen und Verhältnissen Statt finden; zwischen Erziehern und Zöglingen, zwischen Fürsten und Unterthanen, ja, sogar zwischen Gatten, die in solchen Staaten leben, worin dem Manne eine große Präeminenz durch die Sitten eingeräumt wird, und die Ehe sich in Patronat und Clientel auflöset. Hier können einzelne Aufwallungen einer solchen Liebe entstehen, wobey der eine Verbündete mit dem andern wirklich in einem Genusse zusammentreffe, eine und dieselbe Begünstigung ihrer wechselseitigen Naturen zu theilen sucht; aber diese Aufwallungen sind nicht häufig genug, um der Verbindung im Ganzen den Charakter der Vereinigung der Naturen zu geben.

Ich führe nur ein Beyspiel an: der Mann in den republikanischen Staaten der alten Griechen kannte kein höheres Glück, als das, sich vor den Augen seiner Mitbürger durch Verwaltung öffentlicher Angelegenheiten auszuzeichnen. Dieß gehörte zu seiner Natur, zu seiner engsten Sinnlichkeit. Seine Gattin war ganz von diesem Genusse ausgeschlossen. Der Trieb darnach gehörte folglich nicht zu ihrer Natur. Konnte nun der Mann, wenn er seine Frau zu beglücken strebte, sie gerade in seinen Zustand hineinversetzen, und so den ihrigen theilen wollen? Unstreitig nicht! Er hatte noch andere Triebe, die zu seiner Natur gehörten, den Trieb nach traulicher unbefangener Unterhaltung in seinem Hause, nach Freude an seinen Kindern, nach Vermehrung seines Vermögens u. s. w. In allem diesen konnte er einen Genuß mit der Gattin theilen. Da aber diese Triebe dem Hange nach bürgerlicher Auszeichnung bey den Griechen untergeordnet waren, folglich der Haupttrieb seiner Natur in der Verbindung mit der Gattin keinen Genuß fand; so erhielt diese, wenn sie auch noch so liebend war, nie den Charakter einer gänzlichen Vereinigung der Naturen, die schlechterdings entweder Gleichheit oder Uebereinstimmung des Geschmacks und der Verhältnisse voraussetzt.

In den monarchischen Staaten unsers heutigen Europa, wo der Antheil an der Administration der Länder hauptsächlich um der Auszeichnung willen gesucht wird, die er in geselligen Zirkeln giebt, wo die Folgen derselben, Ansehn, Vermögen, Macht, von der Gattin mehr getheilt werden, wo die Natur beyder Geschlechter vorzüglich durch einen solchen Genuß gereitzt wird, an dem sie beyde ungefähr gleichen Antheil nehmen können, in diesen unsern heutigen monarchischen Staaten ist die Vereinigung der Naturen zwischen Gatten eine viel häufigere Erscheinung.

Genug, der Unterschied zwischen den verschiedenen liebenden Anhänglichkeiten, nehmlich denjenigen, welche auf dem Triebe nach bloßer Anschließung des Persönlichen an die Person, und wieder denjenigen, welche auf jenem nach Vereinigung der Naturen beruhen, ist außer Zweifel. Beyde verdienen durch eigene Nahmen unterschieden zu werden. Ich nenne die erste persönliche Ergebenheit, die andere Zärtlichkeit.

Die persönliche Ergebenheit zeigt zwey Arten. Zuerst findet sie Statt zwischen Personen, die in ihren Verhältnissen und Neigungen sehr weit von einander abstehen, dergestalt, daß der Eine wie der Obere, der Andere wie der Untergeordnete erscheint. Die liebende Gesinnung, die dem Obern eigen ist, heißt treue Gunstgeflissenheit: (beneuolentia et studium, bienveillance) hingegen die liebende Gesinnung, die dem Untergeordneten eigen ist, heißt treue Dienstgeflissenheit oder Zuneigung. (Addictio, Devouement.) Das Verhältniß selbst kann man liebendes Patronat auf der einen, und liebende Clientel auf der andern Seite nennen.

Das liebende Patronat findet Statt zwischen Herrn und Diener, zwischen Fürsten und Unterthan, zwischen Eltern und Kindern, zwischen Lehrern und Zöglingen, oft auch zwischen Gatten und sogenannten Liebenden und Freunden.

Die andere Art der persönlichen Ergebenheit findet Statt, wo die Verhältnisse gleich sind, zuweilen auch die Neigungen in einzelnen Stücken, nur daß der Vereinigung der Naturen nicht nachgestrebt wird. Sie zeigt sich zwischen Mitgliedern einer Gesellschaft, eines Hauses, eines Staats, einer Familie, und wird daher von mir genannt: liebende Genossenschaft oder Brüderschaft. (Familiaritas, fraternité.) Ihr auffallendstes Beyspiel zeigt sich freylich in der Geschwisterliebe, in so fern diese nicht in Zärtlichkeit übergeht. Aber auch Gatten, sogenannte Liebende und Freunde, können nur treue Genossen seyn.

Von dieser persönlichen und liebenden Ergebenheit sondert sich bestimmt und deutlich ab: die Zärtlichkeit, jenes angewöhnte wonnevolle Bestreben, die Vereinigung der Naturen unserer eigenen und einer andern bestimmten Person, durch sie beglückend, aber auch durch sie beglückt zu theilen.

Die Zärtlichkeit hat dieß mit der einzelnen liebenden Aufwallung und mit der liebenden Anhänglichkeit gemein, daß wir die Person außer uns beglücken wollen: daß wir an diesem Bestreben unmittelbare Wonne empfinden. Sie ähnelt darin besonders der liebenden persönlichen Ergebenheit, daß es uns zur Fertigkeit geworden ist, unsere liebenden Affekte auf eine bestimmte Person zu richten. Aber darin unterscheidet sie sich deutlich von den beyden vorigen, daß der liebende Mensch angewöhnt ist, den Geliebten so beglücken zu wollen, wie er es selbst durch Begünstigung seiner engsten Sinnlichkeit zu seyn wünscht, und daß er dann mit ihm in einem Genusse zusammenzutreffen strebt.

Was wird leichter zur Lust und Unlust gereitzt, was aber auch mehr geschont, sanfter behandelt, eifriger geliebkoset, als unsere engste Sinnlichkeit, unsre Natur? Sie ist das Zärteste, was wir an uns tragen! Und wenn wir dieß zärteste Selbst in einem andern fühlen, und uns in ihm beglücken wollen, wie zart werden wir ihn behandeln! Daher der Nahme der Zärtlichkeit.

Ich kenne drey Hauptarten von dieser Stimmung unsers Herzens, und von Verbindungen, die darauf beruhen: Freundschaft im eigentlichsten Sinn, Geschlechtszärtlichkeit und Aelternzärtlichkeit.

Die letzte liegt ganz außer meinem Plane. Nur zum Ueberfluß bemerke ich hier, daß die liebende Anhänglichkeit der Aeltern an ihren Kindern in den meisten Fällen nur liebende persönliche Ergebenheit, nicht Vereinigung der Naturen ist. Sie sind treue Gunstgeflissene, treue Genossen ihrer Kinder. Sie schützen, sie pflegen diese, sie nehmen sie in ihre Familienverhältnisse auf: kurz, sie verbinden sehr viel Persönliches mit der Person. Ja! die Verbindung kann große Aufopferungen hervorbringen. Demohngeachtet ist sie nicht immer, ja, nur in seltenen Fällen, Vereinigung der Naturen. Wenn sie es aber seyn sollte, dann lößt sie sich beynahe ganz in Freundschaft, und wohl gar in Geschlechtszärtlichkeit auf, und behält nur eine geringe Mischung vom treuen Patronat an sich, die dann dazu dient, der Verbindung einen besondern Charakter zu geben. Alles dieß wird sich in der Folge noch weiter entwickeln, wenn ich den Begriff der Freundschaft und Geschlechtszärtlichkeit näher bestimmt haben werde. Um so weniger brauche ich hier der Aelternzärtlichkeit eine weitere Erörterung zu widmen.

Neuntes Kapitel.
Endliche Bestimmung der Zärtlichkeit und eines zärtlichen Herzens.

Die Alten haben gesagt: Zärtlichkeit sey das Streben nach Vereinigung zweyer Personen zu einer: der zärtlich Geliebte sey unser anderes Selbst. [12]

Gewiß! dieser Begriff läßt sich rechtfertigen. Die Natur in jedem Menschen ist dasjenige, was er im engsten Sinne zu seinem Selbst rechnet, was daher seine Person am bestimmtesten von andern unterscheidet. Wenn er seine Natur mit der eines andern zusammenzusetzen strebt, so strebt er, das Wesentlichste seiner Person mit dem Wesentlichsten der Person eines andern zu vereinigen.

Inzwischen umfaßt doch der Begriff der Person bald mehr bald weniger als der der Natur, und dann fehlt bey jenem Begriffe der Zärtlichkeit die Bestimmung, daß die Vereinigung gesucht werden muß, um die andere Hälfte mit der unsrigen zu beglücken.

Verlangen wir eine kürzere Definition als diejenige, die ich schon gegeben habe, so laßt uns sagen: Zärtlichkeit sey das angewöhnte wonnevolle Bestreben nach beglückender Zusammensetzung zweyer Personen zu einer, durch Vereinigung der Naturen. Das zärtliche Herz ist die Anlage zu diesem Bestreben; es ist das Herz, das alle Seligkeit des Alleinseyns gern aufopfert, um seine Natur in der vereinigten zu verlieren.

Anhang zum zweyten Buche.

Excurs.
Ueber das Verhältniß der Selbstheit zur Uneigennützigkeit in der Zärtlichkeit.

Die Zärtlichkeit trägt unstreitig etwas an sich, welches sie dem Eigennutze sehr nahe bringt. Wir selbst gewinnen dabey eben so viel, als der zärtlich geliebte Mensch außer uns. Hier ist wahre Theilung eines und des nehmlichen Glücks. Zärtlichkeit setzt folgenden Gang der Gefühle zum Voraus: ich fühle mich mangelhaft in meinem isolierten Zustande, ich kann durch ein Wesen meines Geschlechts, oder nicht meines Geschlechts, aber meiner Gattung, vervollständigt, vervollkommnet werden. Der Mensch außer mir ist ein Wesen meiner Art, er hat gleiche Bedürfnisse, gleiche Ansprüche. Er sucht einen Freund, einen Gatten, wie ich sie suche, und dazu ist uns Beyden nicht jeder Mensch von gleichem Werthe. Nur derjenige, der eine Natur an sich trägt, welche mit der unsrigen im Wohlverhältnisse steht, kann unsern wechselseitigen Hang zur Vervollständigung, zur Vervollkommnung unsers isolierten Wesens befriedigen. Wir bieten uns einander an; die Vereinigung gelingt, und die Vervollständigung, die Vervollkommnung wird von beyden Seiten gefühlt. Wie ist es möglich, daß nicht ein jeder für sich darauf zurückgeführt werde, ich bin es, der beglückt; ich, mit meinem nächsten Selbst, mit meiner engsten Sinnlichkeit, mit meiner Natur! Und nur meine Natur konnte ihn beglücken! Und was ich ihm bin, ist er mir! Ich ergänze, ich verbessere ihn; aber er ergänzt, er verbessert mich gleichfalls!

Dieß sind Gefühle, welche sich bey jeder Zärtlichkeit einfinden; und es ist gewiß, daß, von dieser Seite betrachtet, die Zärtlichkeit mehr Eigennutz enthalte, als die liebende Ergebenheit der Person an die Person.

Dennoch unterscheidet sie sich noch deutlich von der eigennützigen Vereinigung der Naturen, und ist von einer andern Seite betrachtet weniger eigennützig als die liebende Ergebenheit.

Der Mensch, der die Vereinigung der Naturen eigennützig genießt, bezieht alles, was er von dem Vereinigten erhält, nur darauf, wie sein isoliertes Individuum ergänzt und verbessert wird; das Bewußtseyn, daß der andere zugleich dabey gewinnt, ist nur Nebensache, Zufall. Die Vorstellung, daß der andere noch für sich, und isoliert von ihm, einer Zufriedenheit fähig sey, ist ihm sogar widerlich. Er gönnt dem Vereinigten nichts, was er nicht mit ihm theilt, oder was er ihm nicht unmittelbar giebt.

Der zärtlich Liebende hingegen nimmt bey jeder Theilung weit weniger für sich hin, als er dem andern zuzuwenden sucht, und dasjenige, was der andere erhält, erfreuet ihn weit mehr, als was er selbst genießt. Die herrschende Vorstellung bleibt bey ihm immer der Vortheil des Geliebten. Er gönnt dem Vereinigten auch gern jedes Glück, das er einzeln genießen kann; Reichthum, Ehre, Vermögen, Bequemlichkeit, Zerstreuung, Belehrung, Veredlung seines Charakters, kurz, alles, nur die Wollust nicht, welche unmittelbar aus der Vereinigung der körperlichen Naturen entspringt; nur die Wonne nicht, die aus der Vereinigung des Herzens, der Naturen der Seele, fließt. Jene Zufriedenheit, die er einzeln genießen kann, mag ihm geben wer da will; jenes Glück, welches nicht von der Vereinigung der Naturen abhängt, mag er mit allen theilen! Aber diese? Nein! Was diese geben kann, das will er geben, das will er theilen! Und warum? Nur mit ihm kann es vollständig genossen werden! Es wäre selbst für den zärtlich Geliebten nur ein mangelhafter Genuß, wenn er die Vereinigung der Naturen bey einem andern, als bey dem zärtlich liebenden, für ihn ganz geschaffenen Wesen, aufsuchte!

Dieß ist der Eigennutz, dieß ist die Eifersucht der Zärtlichkeit! Welcher Freund wird dem Freunde mißgönnen, daß er sich in größeren Zirkeln von andern unterhalten finde, daß ihm von den Großen der Erde, vom Publico, Ehre bezeugt werde, daß ein Weib seine häuslichen Verhältnisse beglücke! Aber welcher Freund wird es gleichgültig anhören, daß ein dritter gleiche Rechte mit ihm habe, der Vertraute derjenigen geheimsten Gedanken und Empfindungen des Freundes zu seyn, welche der Mann nur dem zärtlich geliebten Manne, das Weib nur dem zärtlich geliebten Weibe anvertrauet! Kann denn ein anderer den Freund eben so verstehen, eben so fühlen? Und wie viel gerechtfertigter steht nicht noch in diesem Punkte der Eigennutz und die Eifersucht der Gatten!

Ach! es ist nur Rausch der Sinne und der Eitelkeit, wenn der zärtlich Geliebte die Umarmungen, die Freuden häuslicher Vertraulichkeit und geselliger Distinktion, bey einem dritten mit dem Gefühle vereinigter Naturen zu genießen glaubt: es ist kein dauerndes Glück! Nur der zärtlich Liebende kann ihm dieß Gefühl, dieses Glück vollständig gewähren! Warum verdirbt er sich seine Freuden?

So denkt, so betrügt sich vielleicht nur die zärtliche Liebe! So stellt sich ihr Eigennutz, ihre Eifersucht vor ihr selbst als uneigennützig dar! Hingegen die wirklich eigennützige Anhänglichkeit ist eifersüchtig auf alles, was dem Vereinigten Gutes widerfährt, sobald sie nicht Antheil daran hat, sobald sie nicht wenigstens das Gefühl erhält: er hat’s von mir!

Die liebende Ergebenheit, welche nicht mit Zärtlichkeit verbunden ist, hat dieß zum Voraus, daß sie überhaupt nicht, oder weniger eifersüchtig ist. Der Diener gönnt dem Herrn jedes Glück, welches ihm nicht durch ihn widerfährt, welches er nicht mit ihm theilt; eben so das Kind seinen Aeltern; umgekehrt der Herr dem Diener, die Aeltern den Kindern, in so fern nehmlich die Anhänglichkeit dieser Personen nicht in Zärtlichkeit übergegangen ist. Dagegen aber opfern diese Personen auch weit weniger von ihrem Persönlichen auf, um den Geliebten zu beglücken; ihr Beytrag zu seiner Zufriedenheit wird nicht so von ihrem Innersten, Engsten, Nächsten genommen, wie bey der Zärtlichkeit. Wie ein mehreres geben der Freund, der Gatte, die zärtlichen Aeltern von ihrem isolierten Wohlstande, von ihrer isolierten Bequemlichkeit, Ruhe, Gesundheit, Vermögen, Erheiterung u. s. w. hin; wie viel näher nehmen sie es von ihrem Selbst weg, um es dem Geliebten zu geben! Gewiß, die Zärtlichkeit ist in diesem Sinne viel uneigennütziger als die liebende Ergebenheit!

Inzwischen nimmt die Zärtlichkeit doch einen besondern Charakter durch die Beymischung des ihr eigenen Eigennutzes an. Sie läßt sich nicht bloß an derjenigen Theilung genügen, wodurch die liebende Ergebenheit die Wonne, den Geliebten glücklich zu wissen, zu ihrem Antheile erhält; nein, sie will zugleich durch Vereinigung der Naturen beglücken, und dabey ein und dasselbe Glück theilen; in einem und demselben Genuß mit dem Geliebten zusammentreffen.

Es ist wahr, die liebende Leidenschaft kann sogar so weit gehen, der Vereinigung der Naturen zu entsagen, nur um der Wonne des Bewußtseyns willen, den leidenschaftlich Geliebten beglückt zu haben. Allein dieser Fall, der den Charakter der Liebe, als wonnevolles Bestreben nach der Ueberzeugung von der Zufriedenheit eines Andern wieder begründet, gehört doch einem ganz andern und höheren Verhältnisse an.

Drittes Buch.
Von der Geschlechtssympathie [13], und der Sympathie mit dem Gleichartigen.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Heiliger Trieb! bestimmt von der Natur zur Erfüllung hoher Zwecke! Holder Trieb! Geber der höchsten sinnlichen Freuden; Geber so vieler andern, die dem innern Menschen gehören! Edler Trieb! Gegengewicht, mildernder Gefährte unserer selbstischen, zerstörenden Triebe! Urstoff der stärksten Bande unter den Menschen! Mittler älterlicher Zärtlichkeit! Beförderer heroischer Freundschaft! Zeuger, Mehrer, Tröster alles dessen, was lebt und webt in der Natur! – Geschlechtstrieb! Warum haben Unverstand und Mißbrauch so oft deine wahren Züge in einem Afterbilde entstellt, und selbst dem Gebrauche deines Nahmens den Vorwurf der Unanständigkeit zugezogen?

Jetzt, da ich tiefer in deine Natur einzudringen suche, zeige dich mir in Begleitung jener deiner Gefährten, Schamhaftigkeit und Anstand, die sich so gern im Menschen zugleich mit dir entwickeln, und nur durch Rohheit oder Ausartung von dir getrennt werden. Und du, Liebe zur Wahrheit! laß mich nie vergessen, daß selbst reine Seelen über die Wahl ihrer Ausdrücke wachen sollen, und daß Unbescheidenheit dir eben so zuwider ist als übertriebene Zartheit! Beyde stehen der Harmonie des sittlichen Charakters, deinem ersten Gesetze und deinem höchsten Triumph im Wege! So werde ich mit jungfräulicher Hand nur den obern Mantel von der Natur abnehmen, und ihr den innern Schleyer nicht entziehen, der ihre Mysterien vor den Augen des Ungeweihten verhüllet, ohne ihre Umrisse dem mehr Erfahrnen zu verstecken! [14]

Es ist ein großer Irrthum, – ein Irrthum, der bisher alle unsere Untersuchungen über die Natur des Unterschiedes zwischen dem Erhabenen und Anmuthigen gehemmt hat, – wenn wir die Verschiedenheit der Geschlechter und ihren gegenseitigen Zug zu einander bloß auf dasjenige Verhältniß eingeschränkt haben, worin sich lebendige Creaturen gegenseitig befinden. Vielleicht können schon leblose Körper in diesem Verhältnisse von Geschlechtsverschiedenheit, und mittelst derselben in einer genaueren Verwandschaft mit einander stehen!

Doch, der Beweis dieses Satzes liegt hier außer den Grenzen meines Zwecks. Offenbar aber stehen schon leblose Körper, welche durch sinnliche Eindrücke auf uns wirken, mit der Reitzbarkeit unserer Sinnenorgane in dem doppelten Verhältnisse der Geschlechtsverwandschaft und des Gleichartigen; und dieser Satz wird mir bereits wichtig genug, um den Beweis davon in der Folge zu übernehmen.

Es ist ein großer Irrthum, – ein Irrthum, der bisher der Untersuchung über die Natur des Unterschiedes zwischen Freundschaft und Geschlechtsliebe sehr im Wege gestanden hat, – wenn wir die Geschlechtsverschiedenheit unter den Menschen in dem Verhältnisse derjenigen Personen gegen einander ausschliessend aufgesucht haben, welche durch Körperverbindung zur Fortpflanzung der Gattung beytragen können, und ihrer äußern Bildung nach als geschickt dazu erscheinen. Oft trägt diejenige Person, welche allgemeinen äußern


daß wir ihren Lehrer nicht verstanden haben. Kurz, ohne die Untersuchung anzustellen, die ich zu unternehmen im Begriff bin, kann man viel Schönes über die Liebe dichten, aber man kann nicht darüber philosophieren.

Kennzeichen nach zu den Frauenspersonen gerechnet wird, mehr männliche Anlagen an sich, als diejenige, welche man im gemeinen Leben zu den Mannspersonen zählt; und eben diese Verwechselung tritt oft bey unserm Geschlechte ein.

Mehr. Es ist falsch, daß nur die Körper eine Geschlechtsverschiedenheit zeigen, und vermöge derselben nach Verbindung streben! Nein! auch Seelen fühlen den Zug der Geschlechtsverwandschaft zu einander, und diejenige Zärtlichkeit, welche darauf beruht, ist weit verschieden von der Freundschaft zweyer Seelen von ähnlichen Geschlechtsanlagen.

Es ist falsch, es ist nicht wahr, daß der ursprünglichen Bestimmung der Natur nach die Triebe nach Körperverbindung sich nur auf solche Körper richten, welche in der Vereinigung mit einander zur Fortpflanzung geschickt sind. – Es ist nicht wahr, daß die Regsamkeit dieser Triebe allemahl an äußern Erscheinungen am Körper wahrgenommen werde, und daß der Zweck und die Begünstigung derselben in derjenigen Handlung bestehe, welche als die letzte Ursach jener Fortpflanzung der Gattung angesehen wird.

Wie wichtig sind alle diese Behauptungen zur wahren Bestimmung der Geschlechtsliebe und ihrer verschiedenen Modificationen, je nachdem Triebe des Körpers oder der Seele darin prädominieren! Wie wichtig zur Wegräumung so manchen Mißgriffs, der sich in die Erörterungen über Begeisterung und Schwärmerey für Schönheit und Vollkommenheit an todten, lebenden und übersinnlichen Gegenständen eingeschlichen hat!

O! daß bey meinen folgenden Untersuchungen die Unbestimmtheit der Begriffe des großen Haufens, oder die falsche Richtung, welche die Bemühungen seiner Wegweiser genommen haben, die Armuth der Sprache, und die Rücksicht auf die Forderungen des Anstandes mir nicht zu viele Hindernisse in den Weg gelegt hätten! Wie schwer ist mir die Wahl des Ausdrucks geworden! Wie sorgsam habe ich gesucht, mich an bekannte Worte zu halten, welche das wahre Verhältniß der Sache wenigstens im Ganzen bezeichneten, und mir nur die Mühe übrig ließen, allgemeine Wahrnehmungen auf bestimmte Begriffe zurückzuführen! Aber wie selten hat mir dieß gelingen können! Ich habe mich nach langjährigen Bemühungen endlich doch begnügen müssen, eigene Bewegungen für neuentwickelte Begriffe zu erschaffen; zufrieden, nur durch eine gewisse Verwandschaft zwischen bekannten Nahmen und dem wahren Gehalt der Dinge der Aufmerksamkeit und dem Gedächtniß zu Hülfe zu kommen!


Zweytes Kapitel.

Vorläufige Bezeichnung der Geschlechtsverschiedenheit und des Gleichartigen, so wie der Sympathien, die darauf beruhen, um der Aufmerksamkeit bey der ferneren Untersuchung zu Hülfe zu kommen.

Die Begriffe von demjenigen, was Geschlecht, was Verschiedenheit des Geschlechts, was Hang zum Geschlechte heißt, sind, besonders nach allen Mißverständnissen die sich in diese Materie eingeschlichen haben, so schwer zu fassen, daß ich mir jedes Mittel erlauben darf, wodurch ich der Deutlichkeit näher zu treten, und der Aufmerksamkeit meiner Leser eine bestimmtere Richtung zu geben hoffen kann.

Der bequemste Weg, diese mit mir zur Erkenntniß desjenigen, was ich in diesen Stücken für Wahrheit halte, zu führen, scheint mir dieser zu seyn, von dem Einzelnen zu dem Allgemeinen überzugehen; mithin die Erscheinungen des Hanges unsers Wesens nach Verbindung mit andern Gegenständen an den verschiedenen Bestandtheilen unsers Wesens, am Körper und an der Seele, so wie an den Aeußerungen ihrer Hauptvermögen und Kräfte im Einzelnen nachzuspüren: dasjenige, was der Geschlechtssympathie gehört, von demjenigen abzusondern, was der Sympathie mit dem Gleichartigen anzugehören scheint, und so zu einem allgemeinen Begriffe Beyder zu gelangen.

Dadurch hoffe ich dem Bedürfnisse nach Verständigung abzuhelfen. Aber es kommt zugleich darauf an, mir die Aufmerksamkeit meiner Leser zu sichern; und dazu scheint es nothwendig, selbst auf die Gefahr, in Wiederholungen zu fallen, sogleich das Resultat der künftigen Untersuchung hier voranzustellen.

Die Anlagen oder Fähigkeiten des Menschen können sowohl dem Körper als der Seele nach auf zwey Dispositionen zurückgeführt werden, deren eine seine Stärke, die andere seine Zartheit ausmacht. Beyde Dispositionen finden sich in jedem Menschen, er mag seinen äußern Kennzeichen nach zur Classe der Mannspersonen, oder zu der der Frauenspersonen gerechnet werden.

Zur Stärke des Menschen gehört sein Vermögen, hart angreifende Reitzungen für die Sensibilität seiner Sinnenorgane zu leiden, die feurige Wallung der Lebenskraft und Anstrengung der Lebenswerkzeuge zu dulden, sein Gemüth erschüttert, seinen Geist empor gehoben zu fühlen. Es gehört aber auch dahin seine Kraft, sich gegen andre Gegenstände hart angreifend zu bewegen, ihnen die Wallung seiner Lebenskraft, die Anstrengung seiner Lebenswerkzeuge mitzutheilen, ihr Gemüth zu erschüttern, und ihren Geist emporzuheben. Mithin hat jeder Mensch ein leidendes Vermögen und eine thätige Kraft in sich, die sich unter dem Charakter der Stärke als eine besondere Disposition seiner Anlagen überhaupt ankündigen. Der Zustand, in den er durch die Wirksamkeit dieser Stärke geräth, ist der einer leidenden oder thätigen Spannung.

Zur Zartheit des Menschen gehört dagegen sein Vermögen, sanfte Reitzungen für die Sensibilität seiner äußeren Sinnenorgane zu leiden, die Allmählichkeit und Auflösung der Lebenskraft und Lebenswerkzeuge zu dulden, sein Gemüth erweicht, seinen Geist in leichter Spannung zu fühlen. Es gehört aber auch dahin die Kraft, auf andere Gegenstände sanft einzuwirken, und ihnen unsre Allmählichkeit, Auflösung, Weichheit und leichte Schwingung mitzutheilen. Mithin birgt jeder Mensch ein leidendes Vermögen und eine thätige Kraft in sich, die sich unter dem Charakter der Zartheit als eine besondere Disposition seiner Anlagen überhaupt ankündigen. Der Zustand, in den er durch Wirksamkeit seiner Zartheit geräth, ist der einer leidenden oder thätigen Zärtelung.

Jeder Mensch birgt, wie gesagt, diese doppelte Disposition seiner Vermögen und Kräfte in sich, die in Rücksicht auf die ganze Gattung seiner Anlagen als zwey Geschlechter derselben anzusehen sind. In so fern aber die Menschen mit dem ganzen Inbegriffe ihrer Anlagen, der sich in jedem Einzelnen von ihnen findet, unter sich, und in Rücksicht auf die ganze Gattung der Individuen betrachtet werden, findet sich bey dem Einen die Disposition zur Stärke hervorstechend vor der Zartheit, bey dem andern aber die Zartheit im Uebergewichte über die Stärke. Dieß begründet dann die Eintheilung der menschlichen Gattung in zwey Geschlechter. Der Mensch, bey dem die Stärke die Zartheit überwiegt, ist Mann: der Mensch, bey dem die Zartheit über die Stärke hervorragt, ist Weib.

Wenn der Mensch, der sich stark fühlt, sich dem starken Menschen nähert, um in der Verbindung mit ihm seine Stärke zu ergänzen; – so empfindet er Sympathie mit dem gleichartigen Starken, oder mit dem ähnlichen Geschlechte in andern, und sein Zustand wird der der reinen aber erhöheten Spannung.

Wenn auf der andern Seite der Mensch, der sich zart fühlt, sich dem zarten Menschen nähert, um in der Verbindung mit ihm seine Zartheit zu ergänzen; – so empfindet er Sympathie mit dem gleichartigen Zarten, oder mit dem ihm ähnlichen Geschlechte in andern, und sein Zustand ist der einer reinen aber erhöheten Zärtelung.

Zuweilen gerathen die beyden Dispositionen im Menschen in Aufruhr, und er strebt nach der vollkommensten Wirksamkeit seiner Anlagen durch gleichzeitige Spannung und Zärtelung. Dann nähert er sich einem andern Menschen, dem er eine verschiedene Mischung der Dispositionen von der seinigen, das heißt ein verschiedenes Geschlecht zutrauet, um in der Verbindung mit ihm nicht bloß die eine oder die andere Disposition seiner Anlagen, sondern ihre Gattung im Ganzen zu verbessern. Er empfindet alsdann Sympathie mit dem Geschlechtsverschiedenen: Geschlechtssympathie, oder, wie man es billig nennen sollte, Gattungssympathie. Der Zustand, dem er nachstrebt, ist der einer gezärtelten Spannung; ein Zustand von überschwenglicher Wollust und Wonne wegen der erhöheten und ausgebreiteten Wirksamkeit beyder Dispositionen unserer Vermögen und Kräfte.

Inzwischen werden sich zwey den herrschenden Dispositionen nach ähnliche Menschen eben so wenig unter einander anziehen, als zwey Menschen, die den herrschenden Dispositionen nach verschieden sind, wenn nicht ein gewisses Wohlverhältniß zwischen ihnen Statt findet, das weder in der Aehnlichkeit noch in der Verschiedenheit ihrer Anlagen allein zu suchen ist. Es beruhet vielmehr in dem Gefühle, daß sie durch wechselseitige Mittheilung ihrer ähnlichen oder verschiedenen Dispositionen die Wirksamkeit ihrer Vermögen und Kräfte auf eine Art erhöhen können, die ihnen isoliert zu erreichen unmöglich wäre.

Sympathie mit dem Gleichartigen ist folglich Neigung des Menschen, seinem Wesen das Geschlechtsähnliche eines andern Wesens anzuarten. Der Starke will sich in der Verbindung mit dem Starken stärker, der Zarte mit dem Zarten zärter fühlen. Jener strebt dem Zustande der reinen erhöheten Spannung; dieser dem Zustande einer reinen erhöheten Zärtelung nach.

Geschlechtssympathie ist die Neigung des Menschen, seinem Wesen das Geschlechtsverschiedene eines andern Wesens anzugatten. Der Starke will sich zugleich zart, der Zarte zugleich stark fühlen. Jener erhält dadurch den Charakter geschmeidiger Stärke; dieser den Charakter hebender Zartheit, und der Zustand, in dem sie beyde zusammentreffen, ist der einer gleichzeitig leidenden und thätigen Spannung und Zärtelung.

Ich will jetzt diese Sätze im Einzelnen näher zu begründen und zugleich zu erläutern suchen. Es wird aber genug seyn, wenn ich die Aeußerungen der Geschlechtssympathie entwickle, die im Ganzen viel auffallender wahrgenommen werden, und diesen die Aeußerungen der Sympathie mit dem Gleichartigen gelegentlich entgegenstelle.


Erster Abschnitt.
Geschlechtssympathie des Körpers.

Drittes Kapitel.
Vorläufige Anzeige der dreyfachen Modificationen der Geschlechtssympathie des Körpers.

So wie wir bereits an leblosen Körpern mehrere Modificationen der Wahlanziehung oder Adfinität wahrnehmen, welche sich bey ihrer Annäherung an einander auf sehr verschiedene Weise ankündigt; so dürfen wir auch bey animalischen Körpern eine dreyfache Modification der Geschlechtssympathie annehmen.

1) Die Anlage zur Ueppigkeit, – zu jenem Zustande einer überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit der Sensibilität unserer äußeren Sinnenorgane, und besonders derer der Tastung, wenn diese durch das Wohlverhältniß ihrer geschmeidigen Stärke zu der hebenden Zartheit der Oberfläche der Körper, in die sie sich einlagern, in eine gleichzeitig leidende und thätige Spannung und Zärtelung gerathen.

2) Die Anlage zur Lüsternheit; – zu jenem Zustande einer überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit der Lebenskräfte unserer ganzen thierischen Organisation, wenn diese durch das Wohlverhältniß ihrer geschmeidigen Stärke zur hebenden Zartheit der Organisation eines angenäherten belebten Körpers in eine gleichzeitig leidende und thätige Spannung und Zärtelung geräth.

3) Der unnennbare Trieb oder die Anlage zum unnennbaren Genusse; – zu jenem Zustande einer überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit der Bildungskraft unserer vegetabilischen Organisation, der unstreitig an ähnliche Gesetze wie die beyden vorigen Arten von Gefühlen gebunden ist, und einen ähnlichen Charakter mit sich führt, welches aber um des Anstandes willen nicht weiter ausgeführt werden darf.

Jene Ueppigkeit, jene Lüsternheit, dieser unnennbare Trieb sind Arten der Geschlechtssympathie, die oft stufenweise auf einander folgen, sich oft in umgeworfener Ordnung unter einander erwecken, oft aber auch in gar keinem Verhältnisse von Ursach und Wirkung zu einander stehen. Ueppigkeit ladet zur Lüsternheit, Lüsternheit zum unnennbaren Triebe ein: das ist der gewöhnliche Fall. Aber es ist auch nichts Ungewöhnliches, daß das Andringen der Bildungskraft die thierische Lebenskraft in Aufruhr setze, und diese wieder die Sensibilität auf eine analoge Weise stimmen. Ja, der unnennbare Trieb kann befriedigt werden ohne Lüsternheit und Ueppigkeit, und diese beyden können wieder jede einzeln und getrennt von ihren Gefährten wirken.


Viertes Kapitel.
Von der Ueppigkeit.

Ich bin bey meinen Studien über die ästhetischen Empfindungen sehr oft auf den Unterschied aufmerksam geworden, den die Berührung verschiedener Körper, wenn diese gleich bey allen angenehm war, auf meine Gefühlorgane hervorgebracht hat. Ich berührte harte, kalte Körper; den polierten Marmor oder Stahl; – allerdings ein wollüstiges Gefühl, das mich aber zum Anschmiegen nicht einlud. Ich erhielt die Wahrnehmung einer undurchdringlichen Glätte, wovon das Tastungsorgan abgleitet. Es schien mir, daß meine Hand sich den Eindruck zwar gern gefallen ließe, aber sich seiner Ausbildung nicht entgegen böte. Ich berührte dann das seidene Haar gewisser Thierfelle, den weichen Stoff gewisser Gewänder; – wieder ein wollüstiges Gefühl, aber von ganz verschiedener Art! Meine Hand ließ sich den Eindruck nicht bloß gefallen, sie bot sich ihm auch entgegen, sie suchte ihn auszubilden! Aber anschmiegen, anlagern, konnte sie sich nicht. Sie fiel durch, und der Mangel an Widerstand gab ihr die Wahrnehmung des bloß Sanften. Endlich berührte meine Hand den weichen, aber aufgebläheten, schnellenden Polster mit seinem sammetnen Ueberzuge und seiner Füllung von Federn; – welch eine ganz verschiedene Empfindung, wollüstiger und zugleich bindender als die beyden vorigen! Hier ward meine Hand zum Anschmiegen und Einlagern aufgefordert; hier erhielt sie durch die Weichheit des Ueberzuges eine Reitzung, sich anzuneigen, und durch die Elasticität der Füllung, die sich ihr entgegen hob, eine zurückwirkende Spannung. Ich fand ferner, daß, je nachdem der Polster mir zu viel Widerstand oder zu wenig leistete, je nachdem die Wahrnehmung des rein Glatten, oder des rein Sanften sich vermehrte, das Ueberschwengliche in meinem Wollustgefühle und der Reitz, mich an ihn zu schmiegen, abnahm.

Was schloß ich daraus? Dieß: daß die Sensibilität, welche mit meinen Tastungsorganen verbunden ist, sich zuweilen gern gespannt, zuweilen gern gezärtelt fühlt, daß aber beyde Reitzungsarten, wenn sie bar und rein für sich wirken, weder so wollüstig noch so bindend an die Körper sind, welche sie erwecken, als jene andere Reitzungsart, wodurch meine Sensibilität zugleich gezärtelt und gespannt wird. Ich schloß ferner daraus, daß dieser letzte Zustand gleichzeitiger Spannung und Zärtelung seinen Grund in einem Wohlverhältnisse zwischen meinem Zustande beym Einnehmen der Empfindung und der Beschaffenheit des Körpers beym Geben haben müsse, und daß der Charakter der letzteren in dem Wohlverhältnisse seiner Nachgiebigkeits- und Widerstandsfähigkeit zu suchen sey.

Ich wandte diese Erfahrungen bald auf meine übrigen Sinne an, und es hat mir geschienen, daß bey ähnlichen Ursachen immer ähnliche Wirkungen erfolgt wären. In einem gleichen Grade von Klarheit konnten sie freylich nicht erscheinen, weil die körperliche Sympathie, oder die sinnliche Wahrnehmung eines Zusammenseyns und einer accordierenden Lage fremder Körper mit dem Zustande des unsrigen, bey der Verbindung ihrer Oberflächen durch die tastenden Organe am schärfsten unterschieden wird. Allemahl aber blieben die Erscheinungen doch klar genug, um sie nach charakteristischen Merkmahlen von einander abzusondern. Der volle Glanz kann wollüstig auf mein Auge wirken; aber er strengt an, und der Blick zieht sich seinem Strahle nicht nach. Ganz etwas Aehnliches erfolgt beym Anblick greller Farben. Hingegen das sanfte Himmelblau und das Mondenlicht laden mein Auge ein, bey ihrem Scheine zu weilen. Aber welch ein erhöheter Reitz in jenem Anblick einer hellen Erleuchtung, deren Glanz ein dünner Schleyer mildert, oder der gebrochenen Strahlen der Sonne im Purpur des Morgens und des Abendhimmels! Hier bietet sich mein Auge nicht allein den Eindrücken gern entgegen; es fühlt sich auch durch die Mischung der Strenge mit der Milde des ergetzenden Schauspiels diesem entgegengehoben und entzückt!

Eine symmetrisch angeordnete Fläche spannt das Sehorgan, indem es ihre abgestufte Ausdehnung auf Ein Mahl auffaßt. Dieß Gefühl kann wollüstig seyn, wenn es von qualvoller Anstrengung frey ist. Aber mein Auge verfolgt nicht die Umrisse der regulär geordneten Fläche; es schmiegt sich mit seinen Blicken nicht an sie an; es läßt sich den anstrengenden Eindruck bloß gefallen. Hingegen verfolgt das Organ die geschlängelten Gestalten, welche eine andere Fläche überziehen, und ich fühle deutlich, daß es durch dieß freye Spiel gezärtelt wird. Wie yiel entzückender aber ist nicht der Anblick eines geründeten Körpers, einer Gruppe, wie sie etwa die Form der Weintraube darbietet! Das Auge schlüpft mit Leichtigkeit an ihren Umrissen weg, verliert sich in den Sinuositäten ihrer Ründung, wird aber zugleich durch die Abstufungen ihrer hinter und unter einander geordneten Theile aufgehalten, und zum Zusammenfassen des Ganzen aufgefordert! Hier erst mischen sich sanfte Gefühle mit anstrengenden, und bringen jene nähere, innigere Verbindung des Auges mit der angeschaueten Form hervor.

Findet sich nicht etwas Aehnliches in der Wirkung der Töne auf mein Ohr! Stehen nicht der gezogene Ton der Flöte und der angreifende der Silberglocke in eben dem Verhältnisse zu einander, wie die Berührung des sanften Körpers zu der Berührung der Körper von undurchdringlicher Glätte? Oder wie das gedämpfte Licht der himmelblauen Farbe zu dem Glanze der rothen? Und ist es nicht der Laut der Menschenstimme oder der Harmonika, der beyde Vorzüge des flötenden Tönens und des silberhellen Klanges mit einander verbindet, und uns dadurch am reitzendsten scheint und am stärksten anzieht? Sind es nicht die ausgehaltenen Züge der Nachtigallskehle, die mit schmetternden Wirbeln wechseln, welche das Ohr zugleich dehnen und aufschwingen, und dadurch diesem Organe die höchsten und zugleich bindendsten Wollustgefühle zuführen?

Verhält sich nicht der Geschmack des brennenden Gewürzes zu dem der schmelzenden Pfirsche[WS 4], wie der durchdringende Klang des einen Instruments zum weichen Tone des andern? Und ist nicht die Ananas darum von so überschwenglichem Wohlgeschmack, weil sie das Anstrengende des einen mit dem Auflösenden des andern verbindet? Eben diese Beobachtungen treffen auf gewisse Wohlgerüche zu, wenn wir den Eindruck, den bloß pikante Salze auf unsre Geruchsorgane machen, mit dem des Rosendufts, und beyde wieder mit dem gewisser wohlriechenden Oehle und Specereyen vergleichen.


Also giebt es unstreitig eine dreyfache Schwingung, in welche die Sensibilität unserer Sinnenorgane versetzt werden, und die dreyfache Wollustgefühle hervorbringen kann: reine Spannung, reine Zärtelung, und eine dritte höhere und bindendere, die aus einer Vermischung oder Vermählung der beyden ersten entsteht. Ich nenne die letzte: üppige Gefühle.

Da ich hier meine Aufmerksamkeit bloß auf diejenige Modification unserer Sinnlichkeit richte, die ich im ersten Buche körperliche Sympathie genannt habe; so will ich mich hier auch bloß auf die nähere Bestimmung derjenigen spannenden, zärtelnden und üppigen Gefühle einlassen, wobey wir ein Zusammenafficiertwerden, entweder eine Theilung des nehmlichen Zustandes mit dem belebten Körper, oder wenigstens eine Uebereinstimmung unsers Zustandes mit der Lage des neben uns bestehenden unbelebten Körpers beachten.

Ich werde jetzt zeigen, daß die rein spannenden und rein zärtelnden Wollustgefühle der Sympathie mit dem Gleichartigen; – die üppigen aber der Geschlechtssympathie angehören.

Die zweyfache Reitzungsart der Sensibilität unserer Organe, [15] gespannt und gezärtelt zu werden, setzt nothwendig zwey verschiedene Dispositionen derselben oder Fähigkeiten zum Voraus, durch äußere Eindrücke zur Lust oder Unlust gereitzt zu werden. Es sey mir erlaubt, die eine unsre Straffheit oder unsere leidende Stärke zu nennen, weil wir vermöge derselben fähig sind, den Angriff zu dulden, ihm eine Art von Widerstand zu leisten, und uns von ihm anstrengen, spannen zu lassen. Die andere nenne ich unsere Zartheit oder leidende Geschmeidigkeit, weil wir vermöge derselben fähig sind, uns sanften Eindrücken zu überlassen, und von ihnen gezärtelt zu werden.

Mit diesen beyden empfangenden Fähigkeiten unserer Sensibilität müssen nothwendig Beschaffenheiten in den äußern Körpern correspondieren, uns auf eine zweyfache Art zu reitzen. Diese werden als thätige Kräfte angesehen, und ich darf das Vermögen, uns zu spannen, dreist durch ihre Spannkraft, das, uns zu zärteln, dreist durch ihre Zärtelungskraft bezeichnen.

Wenn nun der kalte glatte Marmor uns wollüstig reitzt, so ist der Grund offenbar nicht darin zu suchen, weil er uns das Gefühl der Auflösung oder Zärtelung unserer Organen giebt, sondern darin, daß er unsere Organe anstrengt und spannt. Seine Spannkraft wirkt daher nicht auf die Zartheit unserer Sensibilität, sondern auf ihre Straffheit oder leidende Stärke, die Widerstand


das Wort Sensibilität der Organe gewählt, um mich theils auf die Frage nicht einzulassen, wo der Sitz der Reitzbarkeit unserer Sinne zu suchen sey, ob in den Nerven selbst, oder in einem sensorio communi? theils um diese Sensibilität eben so wohl von der Irritabilität oder Lebenskraft, als von dem Gemüthe zu unterscheiden.

zu leisten, und durch Anschauung zur Lust gereitzt zu werden fähig ist.

Wenn dagegen das seidene Haar uns wollüstig reitzt, so ist der Grund wieder nicht darin zu suchen, daß unsre Organe angestrengt, sondern darin, daß sie aufgelößt, gezärtelt werden. Ihre Zärtelungskraft correspondiert daher mit einer Zartheit oder leidenden Geschmeidigkeit in uns, vermöge deren wir uns sanften Eindrücken gern überlassen.

Es beruht aber nun wieder auf ausgemachter Erfahrung, daß nicht jeder Eindruck eines Körpers, der unsre Organe spannt, darum wollüstig sey. Im Gegentheil, manche kalte Glätte, mancher Schlag, manche Klemmung von einem Körper, der sich an den unsrigen anlegt, sind uns widrig. Eben dieß ist der Fall mit mancher Berührung zäher Flüssigkeiten, schlaffer Oberflächen animalischer und vegetabilischer Körper, die uns auf eine ekelhafte Art zärteln. Es giebt Menschen, deren Organe so zart eingerichtet sind, daß jeder spannende Eindruck von andern Körpern ihnen grob vorkommt; es giebt andere, deren Organe so stark geformt sind, daß jeder zärtelnde Eindruck ihnen schlaff scheint.

Zuweilen paßt der Eindruck den wir erhalten, nur nicht in die gegenwärtige Stimmung der Sensibilität unserer Organe, z. B. das Auge umfaßt den Anblick einer ganz geradlinig angeordneten Fläche, und wird dadurch gespannt; auf ein Mahl mischt sich eine Schlangenlinie dazwischen, die es zärtelt; oder umgekehrt, das Auge durchläuft die geschlängelten Linien einer mit Krümmungen überzogenen Fläche; auf ein Mahl mischt sich eine gerade Linie dazwischen; so wird in beyden Fällen die Stimmung, worin gerade die Sensibilität unsers Auges war, auf eine unangenehme Art unterbrochen. Auffallender wird dieß noch, wenn die Tastungsorgane an einem harten Körper hinfahren, und schnell auf Weichheit fallen; oder umgekehrt, wenn sie beym Streicheln eines sanft zu berührenden Körpers den Widerstand der Härte finden. Eben so widrig ist es dem Ohre, wenn ein Mollton in den reinen Duraccord, ein Durton in den reinen Mollaccord eingemischt wird.

Damit also die reitzende Kraft der äußeren Körper unsere Sensibilität zu Gefühlen der Lust auffordere, wird nothwendig ein Wohlverhältniß zwischen beyden zum Voraus gesetzt, vermöge dessen wir nicht anders afficiert werden, als unsere Einrichtung im Ganzen, oder unsre gegenwärtige Stimmung es zuläßt.

Dieß Wohlverhältniß kann von doppelter Art seyn:

Entweder es liegt in der Ergänzung, Vermehrung, Vervollständigung der einen oder der andern reinen Disposition unserer Sensibilität, der reinen Stärke, der reinen Zartheit;

oder es liegt in der Schöpfung einer neuen Disposition, worin Stärke und Zartheit zusammen wirksam sind, ohne sich einander zu stören.

Die Wirkung des ersten Wohlverhältnisses ließe sich mit dem Wohllaut des Einklangs, (Unisons) vergleichen; die des zweyten mit dem Wohllaut des Zusammenklangs, (der Harmonie.) Jene empfinden wir in den rein spannenden und rein zärtelnden Wollustgefühlen, diese in den üppigen.

Zuerst von den rein spannenden und rein zärtelnden Wollustgefühlen.

Wir müssen annehmen, daß wir das Bewußtseyn von einem Vollständigkeitspunkte für unsere Sensibilität und ihre Modificationen haben, der ihr zugleich zum Sättigungspunkte dient. Wir wollen gespannt oder gezärtelt seyn, um unsere Sensibilität in gehöriger Straffheit oder Zartheit zu fühlen. Aber nur bis auf einen gewissen Punkt. So lange dieser noch nicht erreicht ist, fühlen wir einen gewissen Mangel, und nehmen daher gern spannende oder zärtelnde Eindrücke von andern Körpern an. Aber so bald dieser erreicht ist, so sind wir auch gesättigt, und stoßen die ferneren Eindrücke ab.

Gesetzt also, wir kommen mit einem Körper in Verbindung, der uns über den Sättigungspunkt hinaus spannt, so wird der Eindruck übermäßig und widrig; und eben so verhält es sich mit den Körpern, die uns übermäßig zärteln.

Diese Behauptung kann niemand in Zweifel ziehen, der einige Beobachtungen darüber anstellen will, wie uns das Umfassen des kalten, glatten Marmors oder Stahls wollüstig spannt, wie hingegen die Berührung des Eises durch seine übermäßige Kälte uns widrig erschüttert; – wie wir die Berührung des zarten Zobelpelzes lieben, hingegen vor der Berührung der Oberfläche eines schmierigen Körpers mit Ekel zurückschaudern.

Hierauf beruht die Sympathie unserer Organe mit gleichartigen Körpern. Unsere leidende Stärke stößt auf eine ihr wohlgefällige Spannkraft, unsere Zartheit auf eine ihr wohlgefällige Sanftheit. Wir finden zwischen unserm Zustande und der Eigenschaft des äußern Körpers eine Gleichartigkeit, die uns angenehm ist, weil sie durch einen Zusatz von Wirkung auf uns diejenige Modification unserer Sensibilität verbessert, in der wir schon waren, oder in die wir zu gerathen suchen. Nähern wir uns, um gespannt oder gezärtelt zu seyn, Körpern, die uns in den Zustand, dem wir dermahlen nachstreben, nicht versetzen können, so lassen wir sie gleichgültig liegen; wirken sie anders auf uns, als wir es wünschen, oder übertreiben sie die Wirkung, so fliehen wir vor ihnen zurück.

Dieß liegt bey den rein spannenden oder rein zärtelnden Wollustgefühlen zum Grunde, wovon ich oben die Beyspiele angeführt habe.

Ganz verschieden ist hiervon die Ueppigkeit: jener Zustand einer überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit der Sensibilität unserer äußeren Sinnenorgane, und besonders derer der Tastung, wenn diese in gleichzeitig leidende und thätige Spannung und Zärtelung durch das Wohlverhältniß ihrer geschmeidigen Stärke zu der hebenden Zartheit der Oberfläche anderer Körper, in die sie sich einlagern, gerathen.

Der Zustand der Spannung und der Zärtelung unserer Organe hängt offenbar nicht bloß von ihrer leidenden, bloß einnehmenden Wirksamkeit, sondern auch von ihrer thätigen, auf die äußern Körper einwirkenden Kraft ab. Es ist offenbar, daß meine Hand nicht bloß den Angriff des reitzenden Körpers aushalten, und sich dadurch spannen lassen, sondern daß eben diese Hand auch ihn angreifen, in ihn eindrücken, und dabey sich selbst spannen könne. Eben so unläugbar ist es, daß meine Hand sich nicht bloß der sanften Berührung des reitzenden Körpers hingebe, und sich dadurch zärteln lasse, sondern daß sie auch ihn sanft behandeln, und sich dabey zärtlich fühlen könne. Ich nenne diese beyden Dispositionen unserer Sensibilität zur thätigen Spannung und thätigen Zärtelung ihre thätige Stärke und ihre thätige Geschmeidigkeit.

Nun kann es leicht geschehen, daß unsere Organe in den Zustand der gleichzeitigen leidenden und thätigen Spannung gerathen, und dieser Zustand ist unter allen, die wir für die Sensibilität unserer Organe kennen, der vollkommenste. Denn er giebt uns zu gleicher Zeit den Genuß der leidenden und thätigen Wirksamkeit, der Anstrengung und der Auflösung unserer Organe. Das Leidende in diesem Zustande darf man dann sehr wohl mit dem Nahmen der gezärtelten Spannung; das Thätige darin aber mit dem Nahmen der geschmeidigen Stärke bezeichnen. Dieß Thätige nimmt alsdann den Charakter einer inhärierenden Eigenschaft, jenes Leidende aber den Charakter einer Lage, einer Erscheinung an. Die äußere Wirkung ist die engste Verbindung mit dem Körper, das wirkliche oder wenigstens so gefühlte Einlagern in denselben.

Ein harter Körper, mit dem wir uns in Verbindung fühlen, kann diesen Zustand nicht erwecken, oder wenigstens nicht zur Vollständigkeit bringen. Das Umfassen des kalten, undurchdringlichen Marmors hemmt alles Bestreben unserer Muskeln in ihn einzugreifen. Der Eindruck, den er auf uns macht, wird als bloß leidend und als rein spannend beurtheilt, und wenn wir ihn wirklich so streicheln, als ob wir auf ihn einwirken und von ihm gezärtelt werden könnten, so gehört diese Empfindung einer erkünstelten Stimmung, und nicht der unmittelbaren Sensibilität des Tastungsorgans.

Hingegen weiche Körper, die sich leicht eindrücken lassen und uns zärteln, geben unsern Muskeln einen freyeren Schwung nach Außen hin, und fordern diese zum Eingreifen auf. Man darf nur an die unwillkührliche Bewegung, an das Spiel denken, in welches unsre Finger gerathen, wenn wir seidne Haarlocken berühren. Inzwischen wird diese Irritation unserer Muskeln zum Eingreifen sich sehr bald in den bloßen Unison der reinen Zärtelung, und dadurch in den Zustand des ruhigen Einnehmens verlieren, oder wohl gar widerlich werden, wenn der Körper, auf den wir wirken, neben seiner Weichheit nicht zugleich eine Widerstandsfähigkeit, etwas Schnellendes und Hebendes wahrnehmen läßt, das bey uns das Gefühl eines duldenden Entgegenlegens und zärtlichen Zurückwirkens von seiner, und einer allmähligen Anstrengung und eines geschmeidigen Ueberwindens von unserer Seite hervorbringt. Hierdurch entsteht erst die Wahrnehmung einer leidenden Lage in ihm, die mit unserm leidenden Zustande gleichartig ist, nehmlich gezärtelte Spannung; und einer thätigen Eigenschaft in ihm, die von unserer thätigen Eigenschaft verschieden, aber doch mit dieser verwandt ist. Wir legen ihm ein Vermögen bey, zurückzuwirken, das wir sein Hebendes nennen: und eine Fähigkeit, unsre Angriffe zu leiden, die wir seine Zartheit nennen, und finden nun diese hebende Zartheit im Wohlverhältnisse zu unserer geschmeidigen Stärke.

Man darf nur die geringste Aufmerksamkeit auf die Verschiedenheit der wollüstigen Empfindungen wenden, mit denen uns eine straff aufgeblähte Blase, die keinen Eindruck leidet, oder ein schlaffer Schlauch, der keinen Widerstand leistet, oder endlich ein weicher aber schnellender Polster bey der Berührung afficieren, um die Richtigkeit der obigen Bemerkungen zu fühlen. Nur dieser letzte giebt uns eine wirklich üppige Empfindung, und welchen Charakter hat sie? Offenbar den der Beziehung einer Eigenschaft dieses Körpers auf eine Eigenschaft des unsrigen, die mit dieser in Verwandschaft steht, aber ihr nicht gleich ist, der hebenden Zartheit auf die geschmeidige Stärke, die beyde in der übereinstimmenden Lage einer gezärtelten Spannung, die wir empfinden, und dem unbelebten Körper durch Assimilation beylegen, zusammentreffen. Die äußere Wirkung ist das Einlagern in den Polster: die engste Verbindung mit ihm.

Hieraus folgt, daß Ueppigkeit, besonders der Tastungsorgane, den wahren Charakter einer Wollust der Geschlechtssympathie an sich trägt, denn wir vermählen hier in uns Gefühle, die der Art nach verschieden, der Gattung nach aber gleich sind. Sie gehören beyde zu unserer Sensibilität, aber zu ihren verschiedenen Dispositionen. Wir legen dem angenäherten Körper Eigenschaften bey, die wir an unsern Organen finden: Fähigkeit zu empfangen und Kraft zu wirken; leidende und thätige Stärke, die wir sein Hebendes nennen; leidende und thätige Geschmeidigkeit, die wir seine Zartheit nennen. Wir finden aber diese Eigenschaften bey ihm in einer ganz andern Mischung, folglich auch von anderer Beschaffenheit als bey uns. Bey ihm praedominiert die Zartheit, bey uns die Stärke; aber er hat doch Stärke genug, sich uns entgegen zu heben; wir haben Geschmeidigkeit genug, seiner Zurückwirkung nachzugeben. Hierdurch entsteht das Gefühl: wir sind von einer Gattung, aber nicht von einem Geschlecht. Demohngeachtet strebe ich nach Verbindung. Warum? Weil ich meinen Zustand durch Aneignung seiner Eigenschaften und Versetzung in seine Lage verbessern, und indem ich die Vorzüge beyder Arten in mir vereinige, meine Sensibilität zu einer Stufe von vollkommener Wirksamkeit bringen will, die nur der Gattung, nicht dem einzelnen Geschlechte von Empfindungen angehören kann.

Man kann noch folgende Charaktere der Ueppigkeit festsetzen. Sie zieht immer mit einer größern Lebhaftigkeit, mit einem gewissen Grade von Unruhe zu den Körpern hin, die sie erwecken. Das rein Zarte, rein Starke führt diese Unruhe nicht mit sich. Die Wollustgefühle, welche diese in uns erregen, sind viel gemäßigter. Wir bleiben, was wir waren, wir vervollständigen nur unsere Stimmung, und zwar durch leidendes, duldendes Empfangen. Hingegen bey der Ueppigkeit wird die Stimmung unserer Sensibilität zur Stärke oder Zartheit die wir haben, aufgelößt: sie geht in eine andere über, die von beyden etwas an sich trägt: und wir streben, wir wirken ein.

Ueppigkeit ist bindender an die Gegenstände die sie erwecken, als der rein gespannte oder gezärtelte Zustand. Sie strebt stärker nach Dauer der Verbindung und Ausbildung ihres Genusses: Sie lagert sich ein!

Ueppigkeit kommt allen unsern Organen zu, aber dem der Tastung liegt sie am nächsten.

Solchemnach würde es eine völlig unrichtige Vorstellung seyn, wenn wir das Gefühl der körperlichen Ueppigkeit für eine Wirkung der Ideenassociation mit dem unnennbaren Triebe halten, und annehmen wollten, daß der Polster, die Weintraubengruppe, der Ton der Harmonika, u. s. w. uns an die Mittel zur Befriedigung jenes Triebes, oder an die Stimmung, welche wir während desselben empfinden, erinnerten.

Freylich zeigt sich die Ueppigkeit nie auffallender, als in dem Verhältnisse, worin der Mann, der als fähig zum Gatten anerkannt wird, zum Weibe, der Gattin, steht. Aber woran liegt dieß? Bloß daran, daß der Reitz des weiblichen Körpers gerade durch hebende Zartheit, so wie die Sensibilität der Organe des Mannes durch Anlage zur geschmeidigen Stärke charakterisiert wird. Die Temperatur des letzten ist gewöhnlich stark, und der Hang nach Spannung ist ihm vorzüglich eigen. Aber er hat auch eine Zartheit an sich, und der Zustand der Zärtelung, wodurch seine Stärke geschmeidig wird, ist ihm äußerst angemessen. Den Trieb darnach befriedigt nichts so sehr, als der Eindruck des üppigen Reitzes am weiblichen Körper.

Das männliche Auge dehnt sich den geschlängelten Linien der Umrisse des weiblichen Körpers nach, wiegt sich in die sanften Uebergänge seiner Carnation ein, während daß die Windungen der Ründung, die Lebhaftigkeit des Augenglanzes, des Wangenroths und der Haarfarbe, die Sehkraft in steter Regsamkeit erhalten. – Das Organ des Gehörs bey dem Manne zieht sich dem flötenden Tone der weiblichen Stimme nach, deren Silberklang eben dieß Organ zugleich zu stärkeren Schwingungen weckt. – Endlich laden die rundliche Völligkeit des weiblichen Baues, der Sammet der zarten Haut, zum Anschmiegen und Streicheln ein, indem die Muskeln sich zugleich elastisch dem Eindruck entgegen heben.

So hat die liebende Natur, welche die Körperwelt überhaupt an die empfindende Creatur, aber besonders das Weib an den Mann durch Ueppigkeit binden wollte, die hebende Zartheit vorzüglich über den Körper des Weibes ausgegossen, und dem Nervensystem des Mannes in hervorstechender Maße die Anlage zur geschmeidigen Stärke verliehen. Aber der üppige Reitz ist nicht allein dem Weibe eigen, und das Vermögen, dadurch angezogen zu werden, nicht dem Manne allein. Mann und Weib, Greise und Kinder, alle mit Sensibilität begabte Körper huldigen der Ueppigkeit. Seht! wie das Mädchen, noch weit unter der Stufe der Pubertät, unbekannt mit dem unnennbaren Triebe, das aufgeblähte, weiße und zarte Fleisch kleiner Kinder von beyderley Geschlecht zu streicheln, und die Hand mit zärtelnder Spannung in dasselbe einzulagern liebt! Seht! wie Weiber auf jeder Stufe des Alters für die Gestalt einer zartgebaueten Schönheit, es sey in der Natur oder im Bilde, immer mehr Vorliebe empfinden, als für die ernstere des ausgewachsenen Mannes, wenn anders nicht die Lüsternheit erwacht, oder moralische Vorstellungen im Wege stehen. Wo sie sich auf bloße Anschauung der äußern Formen beschränken, da wird der weibliche, üppige Bau des Körpers, Völligkeit der Ründung, Zierlichkeit der Umrisse, lebhafte und zugleich sanfte Carnation, selbst am männlichen Körper, immer das Anziehendste für sie seyn. Die Statue des Apollo von Belvedere rührt sie nicht so stark, als die Statue des Ganymeds und das Mädchen, das als Mann verkleidet ist, erscheint ihnen reitzender als der schönste Jüngling. Was wir Männer weibisch, zu zart, weichlich nennen würden, giebt den Weibern das Gefühl der Ueppigkeit, in Formen, Tönen, Gerüchen, Nahrungsmitteln, u. s. w: und wo dieß nicht der Fall seyn sollte, wo sie etwas schal, abgestanden finden; da ist gewiß entweder das gehörige Verhältniß zwischen der geschmeidigen Stärke ihrer Sensibilität und der hebenden Zartheit des einwirkenden Körpers nicht vorhanden; oder es mischt sich etwas Fremdes ein, was zur Ueppigkeit des Körpers nicht gehört, sondern schon einen Fortsatz der Geschlechtssympathie, Lüsternheit, oder gar den unnennbaren Trieb ahnden läßt.

Und so können uns alle todte und lebendige, belebte und unbelebte Körper in den Zustand der Ueppigkeit versetzen. Denket an die Korinthische Säulenordnung, die Pracht und Weichlichkeit vereinigt, zarter wie die Dorische, pikanter wie die Ionische! Denket an die Lydische Tonart, die Plato aus seiner Republik verwies, weil sie bey ihrer Lebhaftigkeit zugleich zu viel Weichliches an sich trug.

Doch hier kann die Empfindung des Urhebers, welche diese Werke beseelte, vielleicht ähnliche in unserer Seele erwecken, und so auf den Körper zurückwirken. Aber ist dieß der Fall mit der leblosen Natur? Ach! üppig fühlen wir schon das schattige Obdach des Baumes, dessen Gipfel die Sonne beleuchtet, und dessen Fuß einen aufgeblähten Moosteppich zum Lager darbietet! Ueppig fühlen wir so manchen Ton der Bewohner der Lüfte, so manche Temperatur der Luft, so manches Wallen der Gestalten!

O ihr leblosen und belebten Körper unter einander alle! hebende Zartheit, geschmeidige Stärke, sind eure anziehenden Pole! Die Sympathie mit dem gleichartigen Starken oder Zarten ist schwach, ist wenig bindend für alle unsere Sinne. Vielleicht sind sie alle, außer dem der Tastung, dieser sympathetischen Gefühle mit dem Gleichartigen nicht einmahl fähig; sie kennen nur Geschlechtssympathie! Nur durch Ueppigkeit werden ihre Organe zum Zusammenruhen und Anschmiegen eingeladen. Ueppigkeit allein ist der Magnetismus, der Auge, Ohr, Geruchorgan, und selbst den Gaumen an leblose Körper mit lebhafterer Thätigkeit anzieht, und sie noch eine andere Verbindung kennen lehrt, als diejenige, welche gieriges Verzehren oder Ergetzen aus der Ferne mit sich führen. Sogar die Zunge weilt länger bey dem Auskosten der Speise, die mit pikantem Reitze allmählig auf ihr zerschmilzt! Und diese Ueppigkeit! – Ja! sie ist die erste Stufe der Geschlechtssympathie zwischen den Menschen; sie ist eine mit der Lüsternheit verwandte Kraft.


Fünftes Kapitel.
Lüsternheit des Körpers. [16]

Ich wiederhole hier was ich schon gesagt habe: Lüsternheit ist jener Zustand einer überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit der Lebenskraft unserer ganzen thierischen Organisation, wenn diese durch das Wohlverhältniß ihrer geschmeidigen Stärke zur hebenden Zartheit der Organisation eines angenäherten belebten Körpers in eine gleichzeitig leidende und thätige Spannung und Zärtelung geräth.

Es ist also hier nicht bloß von der Sensibilität unserer äußeren Sinnenorgane die Rede, sondern von der Lebenskraft der ganzen thierischen Organisation. Diese geräth bey der Lüsternheit in Aufruhr. Wir streben auch hier nicht mehr nach Verbindung mit leblosen, sondern mit belebten Körpern, denen, so wie uns, eine thierische Organisation, nur von verschiedener Beschaffenheit, eigen ist.

Die Lüsternheit zeigt sich gemeiniglich, aber nicht unbedingt, als Folge der Ueppigkeit, und als Vorläuferin des Triebes nach derjenigen engsten Verbindung der Körper, woran die Natur die Fortpflanzung ihrer Geschöpfe gebunden hat. Sie begleitet oft diesen Trieb bis zu dem Augenblicke, worin er vollständig befriedigt wird. Eine Anstrengung aller Werkzeuge des Lebens, die mit ihrer üppigen Ausdehnung wechselt, ein stärkeres Einziehen und Verhalten des Athems, ein schnelleres Kreisen des Bluts durch beengte Gefäße, und überhaupt eine gleichzeitige Hemmung und Unruhe unsers ganzen organischen Wesens, bezeichnen das Erwachen der Lüsternheit. Ein fieberhafter aber überschwenglich wollüstiger Schauer charakterisiert ihren Genuß, wenn sie den Körper, mit dem sie sich in Verbindung zu setzen wünscht, berührt, und das Erwachen eines ähnlichen Zustandes in ihm gewahr wird.

Diese Lüsternheit gehört, wie gesagt, zur Geschlechtssympathie; sie ist an ähnliche Gesetze mit der Ueppigkeit gebunden.

Unsere Lebenskraft, oder die Irritabilität unserer ganzen thierischen Organisation, [17] setzt eine doppelte Anlage zur leidenden und thätigen Spannung, und zur leidenden und thätigen Zärtelung zum Voraus. Die erste möchte ich die stärkere, die andere die zärtere Disposition unserer Lebenskraft nennen.

Der Beweis dieser doppelten Disposition unserer Lebenskraft läßt sich nicht anders als aus der Verschiedenheit ihrer Wirkungen erkennen; die Kraft selbst entgeht unsern Wahrnehmungen. Aber wer hat es nicht bemerkt, daß wir so gut das Gefühl einer wollüstigen Wallung als das einer wollüstigen Allmähligkeit, so gut einer wohlbehagenden Anstrengung als Auflösung der Lebenskraft und ihrer Werkzeuge fähig sind! Denkt euch in dem Augenblicke nach dem Genusse stärkender Nahrungsmittel, geistiger Getränke, mäßiger Bewegung, – mit welcher Schnelligkeit strömt euer Blut, wie findet ihr alle eure Fibern und Gefäße so schlank, und wie angenehm ist euch dieser Zustand! Denkt euch dagegen in dem Augenblicke des Erwachens nach einem erquickenden Schlafe, oder des Dehnens auf einem sanften Lager, – wie fühlt ihr euer Blut so allmählig fließen und eure Fibern und Gefäße so geschmeidig, so weich! Und auch dieser Zustand ist wohlbehagend! Vergleicht die Wirkung, die ein kaltes und wieder ein warmes Bad, ein schnell erschütterndes, ein sanft allmähliges Reiben, auf den innern Bau euers Körpers machen! Können nicht beyde höchst wollüstig für euch seyn?

So im gesunden Zustande! Aber selbst im kranken, der aus einem Uebermaße von Irritabilität entsteht, giebt


die Sensibilität, die an den äußern Sinnenorganen zunächst empfunden wird.

es eine Ausgelassenheit, die angespannt, und eine andere, die aufgelößt und schmelzend ist. [18]

Laßt uns folglich auch hier den zweyfachen Zustand einer Spannung und Zärtelung unserer Lebenskraft annehmen.

Es ist unläugbar, daß jeder dieser beyden Zustände in unserm Körper durch Annäherung an andere belebte Körper, bey denen sich die eine oder die andere Disposition in Wirksamkeit befindet, erweckt und erhöhet werden könne. Aber eben so gewiß ist es auch, daß wir den Zustand, in dem sich unsere Lebenskraft befindet, in andre übergehen lassen können. Wärme und Kälte, Bewegung und Ruhe theilen sich mit. Seht die Mutter, deren Wange die erhitzte Wange des schlafenden Säuglings berührt, deren Busen das Klopfen seines Herzens fühlt; bald sticht sie eine ähnliche Wallung an, bald fühlt sie ihr Herz dem seinigen mit ähnlichem Aufschlag sich entgegenheben. So nimmt sie leidend seinen Zustand an. Aber sie kann ihm auch den ihrigen mittheilen. Der wallende oder allmählige Zustand ihres Bluts, die heftigere oder mildere Bewegung ihrer Fibern, wird die Lebensgeister des Säuglings bald erhöhen, bald besänftigen. Nicht das allein! Indem sie auf ihn einwirkt, kann sie die eine oder die andere Disposition ihrer eigenen Lebenskraft verstärken, verbessern; sie kann sich feuriger, angestrengter fühlen, indem sie ihn stärker an ihren Busen drückt; sie kann sich milder, ruhiger fühlen, indem sie ihn auf ihrem Schooße einwiegt. So gewinnt sie, indem sie thätig mittheilt. Ja! Oft kann durch die Verbindung der Körper eine Naturalisation der Wirksamkeit der Dispositionen, eine neue Temperatur in jedem Körper für sich entstehen, in der sich Stärke und Zartheit mit einander vermählen.

Jeder Mensch birgt in sich doppelte Disposition zur Stärke und zur Zartheit der Lebenskraft; aber nicht jeder besitzt sie in einem gleichen Verhältnisse zusammen gemischt. Bey dem einen steht die starke Disposition weit über der zarten, bey dem andern die zarte über der starken.

Unstreitig kündigt sich die herrschende Disposition der Lebenskraft, die eine analoge Beschaffenheit der innern Werkzeuge des Lebens voraussetzt, bereits den Sinnen durch die Formen der äußern Hülle an. Da wo die stärkere prädominiert, werden Zellgewebe, Knochen, Haut fester; da wo die zärtere prädominiert, lockerer erscheinen: und es ist höchst wahrscheinlich, daß eine ähnliche Verschiedenheit auch in die Atmosphäre übergeht, die einen jeden Körper umgiebt.

Der Körper, der Stärke und Festigkeit im Uebergewicht über Zartheit und lockerer Beschaffenheit besitzt, wird sich den Sinnen und dem Gemüth bey dem Eindruck und der Vorstellung, die er hervorbringt, als geschmeidige Stärke ankündigen. Der Körper, der im umgekehrten Verhältnisse steht, als hebende Zartheit. Dennoch muß das Verhältniß, worin beyde Dispositionen in jedem Körper für sich stehen, ein Wohlverhältniß seyn, wodurch das Gefühl der freywirkenden Lebenskraft allein erhalten werden kann. Jeder Körper flieht den Zustand eines Mangels an einem gehörigen Zusatze von Zartheit zu seiner herrschenden Stärke, wodurch er sich überspannt fühlen würde; jeder Körper flieht den Zustand eines Mangels an gehörigem Zusatze von Stärke zu seiner Zartheit, wodurch er sich erschlafft fühlen würde. Tritt dieß Gefühl ein, so suchen wir Mittel auf, uns im Zustande der Elasticität unserer Lebenskraft, wenn ich mich so ausdrücken darf, zu erhalten. Seht, wie dem rohen Südländer, der so geneigt zur Auflösung seiner Lebenskraft ist, der Genuß erhitzender Nahrungsmittel zum Bedürfniß wird. Seht, wie der rohe Nordländer, der so geneigt zur Anstrengung seiner Lebenskraft ist, ihre Auflösung in heißen Bädern nachsucht.

Wir lassen uns aber nicht bloß daran genügen, das gewöhnte Wohlverhältniß der beyden Dispositionen unserer Lebenskraft, worauf ihre ungehemmte Wirksamkeit beruht, zu bewahren; nein! wir werden zuweilen übermüthig in dem Gefühle unserer Animalität, und ahnden einen Zustand ihrer vollkommensten Wirksamkeit. Wir wollen zu gleicher Zeit gespannt und gezärtelt, empfangend und thätig, und alles dieß im höchsten Grade seyn. Wenn die thierische Ahndung eines solchen überschwenglichen Wohlseyns erwacht, so geräth unsre Lebenskraft in Aufruhr!

Die Gründe der Entstehung dieses Aufruhrs sind vielfach. Wenn er aber durch die Annäherung an lebendige Körper erweckt wird, so ist er gemeiniglich Folge der Ueppigkeit. Da diese bereits in einer gleichzeitig thätigen Spannung und Zärtelung der Sinnenorgane besteht; so ist nichts natürlicher, als daß das Streben nach einem analogen Zustande sich bald unserer ganzen thierischen Organisation mittheile.

Aus was für Ursachen dieser Aufruhr aber auch immer entstehen mag; der Körper, der ihn erfährt, wird ihn durch Befriedigung seiner Triebe zu stillen suchen. Als Mittel braucht er die Annäherung an andere Körper, von denen er annehme, was ihm zur Gleichmaße und zur Erhöhung der Wirksamkeit beyder Dispositionen, an der einen oder der andern fehlt; an die er abgebe was er zu viel hat, von der einen oder der andern; die ihm das Gefühl einflößen, daß er zugleich leidend und thätig, angespannt und spannend, gezärtelt und zärtelnd sey. Welche Körper aber können ihm das geben? Solche, die gar nichts Aehnliches mit ihm haben? Unbelebte oder belebte, die keine Eigenschaften an sich tragen die er sich aneignen könnte, die keines Zustandes fähig sind, in den er sich mit ihnen zugleich hineinversetzen könnte? Nein! Das ganz Verschiedene, dasjenige, was nicht einmahl zu seiner Gattung gehört, stößt er ab, oder läßt er gleichgültig liegen. Aber sucht er denn gleichartige Körper auf? Auch diese nicht. Was kann er von diesen annehmen, was er nicht schon in gleicher Maße mit ihnen gemein hätte! Was kann er an sie abgeben, dessen sie bedürfen? Und wenn er durch sein Nehmen und Geben ihre Lebenskraft nicht gleichfalls in Aufruhr zu versetzen, und ihr Zurückwirken zu empfinden ahndet, wie wird er seinen Einfluß auf sie, und ihren Einfluß auf sich selbst wahrzunehmen, und so durch Theilung eines Zustandes zu dem vollkommensten Grade der Wirksamkeit seiner gleichzeitig leidenden und thätigen Stärke und Zartheit zu gelangen hoffen dürfen?

Er sucht also Körper auf, die ihm der Gattung nach gleich, dem Geschlechte nach aber verschieden von ihm sind. Der Körper, der sich geschmeidig stark fühlt, wird von dem Körper angezogen, den er gegen sich als hebend zart beurtheilt. Bald strebt er nach unmittelbarer Verbindung mit ihm durch Berührung, und wenn ihm diese gelingt, so nimmt er leidend von derjenigen Disposition in sich auf, die in dem angenäherten Körper prädominiert, und woran er einen Mangel empfindet. Ist er geschmeidig stark, so nimmt er von der hebenden Zartheit des andern einen Zusatz von Zartheit an; er wird gezärtelt, mithin fühlt er sich zärter; ist er hebend zart, so nimmt er von der geschmeidigen Stärke des andern einen Zusatz von Stärke an; er wird gespannt, mithin fühlt er sich stärker. Er greift aber auch an, indem er dem andern Körper nach der verschiedenen Beschaffenheit seiner Organisation bald von dem Ueberflusse seiner Stärke oder seiner Zartheit, etwas abgiebt, und sich so stärker oder zärter fühlt, weil er spannen und zärteln will.

Dieß ist die ursprüngliche, angreifende Lüsternheit, und der Körper der ihr huldigt, ist Erwecker der Lüsternheit. Der Genuß, den sie giebt, ist noch unvollkommen. Aber er steigt zu seiner größten Höhe, wenn der angenäherte Körper nun gleichfalls in Aufruhr geräth. Dieser bietet sich jetzt dem Angriffe entgegen und wirkt sogar thätig zurück. Er, der vorher Leiter, leidender Empfänger war, wird nun Erwecker von seiner Seite, und verstärkt die Empfindungen des andern durch ähnliche mit denen, die dieser schon hatte, und durch solche, die er frisch bekommt und nur in dem andern ahndete. Dieß ist die fremde, zurückwirkende Lüsternheit. Durch die beständige Repercussion der Gefühle werden bald Eigenschaften und Lage völlig unter ihnen gemein, und als einem einzelnen Wesen eigen gefühlt. – Stärke und Zartheit, beyde im höchsten Grade ihrer Wirksamkeit empfunden, mischen sich in vollkommenster Gleichmaße zu einem neubelebten Ganzen zusammen. – Höchste Spannung und Zärtelung empfangend und gebend, wird der Zustand dieses neuerwachten Geschöpfes! – Ein überschwenglich wollüstiger aber fieberhafter Schauer kündigt das freudige aber gewaltsame Zusammentreten in ein neues Daseyn, und das Verlassen des alten isolierten an; – Letzte Stufe, letzter Zweck der Lüsternheit! – Ach! daß nun nichts Fremdartiges dazwischen trete, oder der Funke des Lebens sprüht, und der Zustand seiner überschwenglichen Kraft ist dahin! – Doch! oft erscheint bey der Bewegung, welche das ganze Wesen erfährt, auch die Wirksamkeit seiner vegetabilischen Kraft! Ein Zusatz bebender Ermattung, der nicht mehr der Lüsternheit gehört, vollendet die Summe physischer Entzückungsarten, und der Zauber vereinter Animalität verschwindet.


Die Lüsternheit wird, besonders in den policierten Staaten von Europa, am auffallendsten bey der Annäherung solcher Körper bemerkt, welche ihren äußern Kennzeichen nach in dem Verhältnisse männlicher Körper gegen weibliche stehen, und fähig scheinen, durch vollständige Befriedigung des unnennbaren Triebes die Zwecke der immer fortbildenden Natur zu erfüllen. – Allein man würde sehr Unrecht haben, diese Erscheinung dahin zu deuten, als ob der Mann als Mannsperson, das Weib als Frauensperson, jener bestimmt zum Vater, dieses bestimmt zur Mutter, bloß um diese Bestimmung auszufüllen, der Lüsternheit gegenseitig unterworfen wären. Denn warum würden sonst nicht alle Körper, welche zur vollständigen Befriedigung des unnennbaren Triebes, und dadurch zur Erfüllung der Zwecke der fortbildenden Natur geschickt sind, sich einander anziehen? Warum würden selbst unter den Körpern, welche die Lüsternheit erregen, einige so viel stärker als andere diesen Zustand hervorbringen?

Prüft man die Eigenthümlichkeiten der Organisationen der Manns- und Frauenspersonen, und der davon abhängenden Verschiedenheit ihrer äußern Hüllen genauer nach meinen Bestimmungen, so wird der wahre Grund sich offenbaren. Hebende Zartheit zeichnet die Formen des Frauenzimmers aus, und erweckt den Zustand der Ueppigkeit in der Mannsperson schon bey der fernen Annäherung. Die reife Mannsperson hat der Regel nach nicht das Vermögen, weder auf den Mann noch auf das Weib durch seine todte Form üppig zu wirken. Durch die Ueppigkeit wird die Lebenskraft, wie ich oben gezeigt habe, leicht in Aufruhr gebracht und die Lüsternheit erweckt. Ganz begreiflich also, daß der Mann gemeiniglich der Erwecker der Lüsternheit ist. Er, der sich der Regel nach durch stärkere Organisation auszeichnet, sucht dann nicht die Mannsperson, die eine gleich starke Organisation mit ihm hat, sondern die Frauensperson, welcher, der Regel nach, die zärtere eigen ist, auf. Indem Er, der Regel nach, Erwecker der Lüsternheit wird, wird Sie, der Regel nach, Leiter der seinigen. Da Sie aber eben so wie Er Anlage zu dem nehmlichen Zustande hat, so bietet Sie sich demselben entgegen, und wirkt bald verstärkend eben die Empfindungen auf Ihn zurück, welche Sie kurz vorher von Ihm empfangen hatte.

Es ist folglich das richtige Verhältniß der hebenden Zartheit zur geschmeidigen Stärke, es ist die darauf beruhende Ahndung einer in jedem der beyden Körper hervorzubringenden Gleichmaße der aufs höchste getriebenen thätigen und leidenden Spannung und Zärtelung; es ist das Bestreben nach dem Gefühle einer überschwenglichen Lebenskraft, welche bey der Lüsternheit der Manns- und Frauensperson zum Grunde liegen, und ihre Körper unter sich mehr als zu andern, wiewohl keinesweges ausschließend, anziehen.

Dieß ist so wahr, daß Menschen von roher Sinnlichkeit in der Blüthe des Lebens wechselseitig durch solche Eigenschaften des Körperbaues angezogen werden, woraus sich auf ein Wohlverhältniß der stärkeren Organisation zur zärteren schließen läßt. Männer unter allen roheren Nationen und Ständen fühlen die stärkste Lüsternheit nach Weibern, deren völliger Bau und sanfte Haut ein Uebergewicht der zärteren Disposition der Lebenskraft, und lockere Werkzeuge derselben andeuten; während daß die Weiber unter eben diesen Nationen und Ständen durch die Größe und schlanke Festigkeit der äußern Hülle des Mannes, welche auf ein Uebergewicht der stärkeren Disposition der Lebenskraft und festern Werkzeuge derselben schließen lassen, am leichtesten in den Zustand der Lüsternheit versetzt werden. Daher der Geschmack der Orientaler und so vieler unverfeinerten Männer unter uns an wohlgenäherten Schönen; daher der Geschmack gewöhnlicher Buhlerinnen an Athleten-Figuren.

Dieser Geschmack verändert sich aber, so wie der Mann bey geschwächter Organisation sich nicht mehr so geschmeidig stark fühlt, und das reife Weib nicht mehr so zart gegen sich beurtheilt. Je älter er wird, um desto anziehenden wird für ihn der jugendliche zarte Bau der aufkeimender Rose unter den Mädchen, oft noch unter der Stufe der Pubertät. Hier ahndet er noch eine Organisation gleicher Gattung, die zärter ist, als er, und durch seine Stärke in Aufruhr der Lebenskraft gerathen kann. Die älternde Frau, deren Lebensstoff oft etwas Scharfes, deren Lebenswerkzeuge oft etwas Verhärtetes annehmen, fühlt sich oft mehr stark als zart, und den reifen Mann in einem zu ähnlichen Verhältnisse gegen sich, um bey der Verbindung auf einen verbessernden Zusatz ihrer Dispositionen, und auf den höchsten Grad der Wirksamkeit ihrer Lebenskraft rechnen zu können. Sie zieht daher oft den werdenden Jüngling vor, den sie als hebend zart gegen ihre geschmeidige Stärke beurtheilt. Die weibliche Anlage zur Lüsternheit wird unter diesen Wohlverhältnissen oft erweckend, angreifend. Der Knabe zieht aus einer entgegengesetzten Ursach eine Ceres einer Hebe vor, und das werdende Mädchen einen Mars einem Adonis. Ja! es giebt Mannspersonen, welche vermöge einer ursprünglichen zärteren Organisation ihr ganzes Leben hindurch den Geschmack jener Knaben theilen, und von den männlichen Formen überreifer Landdirnen mehr als von den zarten des sorgsamer erzogenen Frauenzimmers angelockt werden; es giebt Matronen, welche den Geschmack einer Glycera an milchbärtigen Jünglingen nur so lange theilen, bis eine Colossalische Gestalt sie wieder zu ihrem ursprünglichen Geschlechtscharakter, zu dem Gefühle ihrer zärteren Organisation, zurückführt.

Wir würden diese Erfahrungen mit mehrerer Sicherheit und viel allgemeiner machen, wenn nicht in unsern policierten Staaten die Cultur der Seele einen so großen Einfluß auf unsere ursprüngliche physische Organisation hätte. Denn vermöge dieser theilt sich die moralische Stärke oft der physischen Schwäche mit. Auch modificieren die Begriffe des Schönen oft die Ueppigkeit und die Lüsternheit. Inzwischen finden wir doch noch oft den moralischen Helden von riesenmäßiger Natur an dem Mädchen hängen, dessen Reitze nur in Zierlichkeit und Jugend bestehen, finden oft die nervenkranke Dame von starkem Geiste an dem Manne hängen, der eine Messalina bezaubert haben würde.

Am deutlichsten aber zeigt sich die Wahrheit meiner Bemerkungen bey den Aeußerungen der Lüsternheit, welche die Sitten verdammen, indem sie der Schamhaftigkeit und der Bevölkerung so leicht nachtheilig werden können. Denn die Unglücklichen, welche der Lüsternheit auf diese unerlaubte Art huldigen, werden, so lange sie im Gefühl der Stärke ihrer Organisation sind, von zarten Körpern ihres Geschlechts gereitzt, und so wie sie durch Ausschweifungen sich entnervt fühlen, macht das reifere Alter denselben bedauernswürdigen Eindruck auf ihre Weichlichkeit.

Der Anstand verbietet mir mehr hierüber hinzusetzen. [19]

Sechstes Kapitel.
Vom unnennbaren Triebe und Genusse.

Der unnennbare Trieb ist die Anlage zum unnennbaren Genusse; – zu jenem Zustande einer überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit der Bildungskraft unserer vegetabilischen Organisation, [20] der unstreitig an ähnliche Gesetze wie das Streben und der Genuß der Ueppigkeit und der Lüsternheit gebunden ist, und einen ähnlichen Charakter mit sich führt, welches aber hier um des Anstandes willen mehr angedeutet werden muß, als ausgeführt werden darf.

Wenn bey der Ueppigkeit die Sensibilität unserer äußeren Sinnenorgane, wenn bey der Lüsternheit die Lebenskraft unserer ganzen thierischen Organisation in Wirksamkeit geräth; so fühlen wir besonders während des unnennbaren Triebes jene Bildungskraft wirkend, die wir mit allen organischen Wesen ohne Unterschied, folglich auch mit den Pflanzen, gemein haben.

Dieser Bildungskraft verdanken wir das Entstehen, die Erhaltung, die Wiederhervorbringung der organischen aber vegetierenden Masse in uns, die sich nach und nach zur Animalität, zur Sensibilität, und wer weiß zu welchen höheren Zwecken weiter hinauf, entwickelt und veredelt.

Nicht immer wird die Wirksamkeit dieser Kraft bemerkt. Aber zuweilen fühlen wir ihr Andringen, und werden auf ihr Daseyn durch Symptome aufmerksam gemacht, die sogar unmittelbar in die äußern Sinne fremder Beobachter fallen.

Dieß ist besonders da der Fall, wo der Trieb nach dem unnennbaren Genuß erwacht, nach jener Vereinigung der Körper, an welche die Natur die Reprodukzion der Individuen einer Gattung, als an eine nothwendige Ursach, gebunden hat. Dieser Zweck kann nicht erreicht werden ohne Befriedigung des unnennbaren Triebes, und ohne daß wir die Wirksamkeit der Bildungskraft in ihrer deutlichsten Erscheinung und in ihrer höchsten Vollkommenheit finden.

Die Erfahrung die man über dieß auffallendste Beyspiel der Befriedigung des unnennbaren Triebes macht, wird durch andere über die Art, wie er den Zwecken der Natur zuwider durch namenlose Mißbräuche befriedigt wird, unterstützt. Allerwärts wo dem Gefühle der vollkommensten Wirksamkeit der Bildungskraft nachgestrebt wird, wird die geschmeidige Stärke oder die hebende Zartheit ihrer Agenten mit Körpern von verschiedenen aber übereinstimmenden Eigenschaften ins Verhältniß gesetzt, und der Zustand ist gleichzeitig leidende und empfangende Zärtelung und Spannung.

Der unnennbare Trieb gehört folglich zur körperlichen Geschlechtssympathie, und seine Befriedigung zu den wollüstigen Gefühlen dieser Geschlechtssympathie.


Sehr mit Unrecht würde man die Wirksamkeit dieses Triebes einem materiellen Bestreben nach Bildung oder Fortpflanzung zuschreiben. Es hat dieser Irrthum zwar zu sehr reitzenden Bildern von dem Zusammenhange eines instinktartigen Triebes nach Reprodukzion mit einer Neigung nach Fortleben, Unsterblichkeit, u. s. w. Gelegenheit gegeben; allein bey genauerer Prüfung bleibt ein thierischer Zeugungstrieb eine Chimäre oder bloße Bezeichnung einer Begierde, wobey man die zufällige Wirkung mit dem Zweck verwechselt hat. Die Befriedigung des unnennbaren Triebes, und der Zweck seines Strebens besteht nicht im Gefühle der Zeugung, sondern in dem Gefühle der vollkommensten Wirksamkeit derjenigen Kraft, deren sich freylich die Natur zu ihren Zwecken mit bedient. Aber selbst das Bestreben vernünftiger Creaturen in ihrer Nachkommenschaft fortzudauern, hängt von besondern Verhältnissen ab, die nie als nächster Reitzungsgrund des unnennbaren Triebes betrachtet werden können.

Ein anderer Irrthum ist es, die Wirksamkeit der Bildungskraft und ihre auffallenden Symptome allemahl dem unnennbaren Triebe und einer Vorahndung seiner vollständigen Befriedigung durch Körperverbindung beyzulegen. Dieß ist offenbar falsch. Die Wirksamkeit der Bildungskraft und ihre auffallendsten Symptome sind oft Folgen einer bloßen Anstrengung oder auch Auflösung des Körpers, und sogar der Seele. Sie äußern sich oft da, wo an die Vorahndung einer Körperverbindung nicht zu denken ist. Missethäter auf der Tortur, Menschen von reitzbaren Nerven beym Anblick schauderhafter Auftritte, ermattete Wanderer, Personen, die vom Nachdenken ermüdet waren, haben sie gezeigt. Sie sind oft Folgen einer besonders beförderten Vegetation. Man sieht hieraus, wie lächerlich es ist, aus dem Reitze, den die Agenten der Bildungskraft bey der Schwärmerey für unsinnliche Gegenstände oft erfahren, unbedingt auf einen Vereinigungstrieb der Körper, und sogar der Seele, zu schließen.

Eben so falsch ist es, den unnennbaren Trieb als einen unbedingten Fortsatz, als einen unzertrennlichen Begleiter der Lüsternheit anzusehen. Dieser Irrthum hat besonders unsere Begriffe über den Einfluß des Körpers auf die Geschlechtsliebe in Verwirrung gebracht. Beyde unterscheiden sich gleich in ihren Symptomen. Die Lüsternheit zeigt keine solchen, die unmittelbar besonders bey einem dritten in die Sinne fielen, und bestimmt auf ihre wahre Natur hindeuteten. Sie wird zu leicht von Fremden, und sogar von uns selbst andern Gründen zugeschrieben, die theils in der Seele, theils in unserm Körper gesucht werden, und sich ungefähr in unserm Physischen auf die nehmliche Art ankündigen. Aber die Symptome des unnennbaren Triebes, wenn er erwacht ist, sind für uns und jeden Dritten, der Gelegenheit hat, sie zu beobachten, viel unverkennbarer, und sein Streben und seine Beruhigung sind mit sehr auffallenden Erscheinungen verknüpft.

Begreiflich ist es allerdings, daß jenes Andringen des unnennbaren Triebes und der Kraft, die bey ihm zum Grunde liegt, auf die Irritabilität der Muskeln Einfluß haben, und die Lüsternheit erwecken könne; begreiflich ist es, daß bey dem Aufruhre, in dem die ganze Organisation durch die Lüsternheit geräth, die Bildungskraft zugleich in Bewegung komme, und dadurch den unnennbaren Trieb erwecken könne. Aber dieser häufigen Vereinigung und gleichzeitigen Wirksamkeit ungeachtet sind sie nicht von einander unzertrennlich[WS 6].

Die Lüsternheit erwacht lange vorher ehe die Bildungskraft bey uns zur Reife gekommen ist. Die Lüsternheit dauert fort, lange nach dem Verlust jener Reife. Die kleinsten Kinder an der Mutter Brust, Greise, ja die Opfer orientalischer Eifersucht und italiänischer Kunstliebe sind fähig, sie zu empfinden und sogar sie zu erwecken. Wie oft findet sich dagegen der unnennbare Trieb ohne Lüsternheit gereitzt und befriedigt. Ohne Unanständigkeit kann ich kaum an die traurigen Gewohnheiten gewisser Weichlinge, und an die Ausgelassenheit gewisser Wüstlinge erinnern, welche die Befriedigung des unnennbaren Triebes als ein bloßes Bedürfniß betrachten. Und wie viele Männer könnten nicht als Zeugen für die Wahrheit meiner Behauptung auftreten, die so wie der Ritter in Voltairs Erzählung ce qui plait aux Dames, nur in ihrer Jugend die Mittel finden, gewisse Pflichten einer an Jahren ungleichen, an Glücksgütern aber vortheilhaften Ehe ein Genüge zu leisten. Wie viele Weiber, die oft die gefährlichen und lästigen Folgen der Umarmungen widerlicher oder gleichgültiger Gatten tragen, ohne das Vergnügen der Ursach getheilt zu haben.

Wie oft hemmt dagegen nicht bey beyden Geschlechtern die Stärke der Lüsternheit die Wirksamkeit des unnennbaren Triebes. Wie oft wird die erste gerade im Alter der Unvermögsamkeit am stärksten empfunden. Wie oft haben nicht endlich Wollüstlinge durch übertrieben verfeinerte Ideen über die größte Höhe des Vergnügens die Gewalt über sich erhalten, der Lüsternheit ohne Befriedigung des unnennbaren Triebes zu fröhnen.

Wenn daher beyde oft zusammengehen, so stehen sie doch keinesweges im Verhältnisse von Ursach und Wirkung zu einander, d. h. der unnennbare Trieb ist nicht die unablässige Bedingung, damit die Lüsternheit wirke, und die Wirksamkeit dieser letzten ist nicht unbedingte Ursach zu jenem. Eine heftige Reitzung unsers Physischen ist freylich zu beyden erforderlich, und die Natur scheint diejenige, welche der Lüsternheit eigen ist, mit derjenigen, welche der unnennbare Trieb erfordert, darum in genaue Verwandschaft gesetzt zu haben, damit ihre fortbildenden Zwecke desto eher erfüllt werden möchten. Aber so wie der Wohlgeschmack dem Hunger zugegeben ist, um den Trieb zur Selbsterhaltung desto eher zu befördern; so ist die Wollust der Lüsternheit dem unnennbaren Triebe beygegeben, damit einem allgemeinen Bedürfnisse der Natur desto sicherer abgeholfen würde.


Zweyter Abschnitt.
Geschlechtssympathie der Seele [21]

Siebentes Kapitel.
Von der Ueppigkeit der Seele.

Unser Gemüth ist so gut wie die Sensibilität unsrer äußeren Sinnenorgane, einer zweyfachen Reitzungsart fähig. Es hat so wohl eine Disposition zur Stärke als zur Zartheit, und beyde sind leidend und thätig, d. h. das Gemüth kann sich gespannt und spannend, gezärtelt und zärtelnd fühlen.


der verschiedenen Adhärenzen unsers Ich’s festzusetzen, die zum praktischen Gebrauche, und besonders zur Unterscheidung verschiedener Gefühle wichtig seyn können.
Ich habe in den vorigen Kapiteln ein sensitives, ein thierisch lebendiges, ein vegetierendes Wesen als Adhärenzen unsers Ich’s, angenommen. Nicht, weil ich sie für wirklich verschiedene Wesen halte: denn das kann ich nicht beurtheilen; sondern weil ich an meinen Organen, an meiner innern Organisation, und endlich an dem gröbern Stoffe, den ich an mir trage, solche verschiedene Wirkungen wahrnehme, die ich mir unter dem Bilde verschiedener mit Kräften und Reitzbarkeit versehener Wesen, deren Veränderungen das Ich mittelst des Bewußtseyns unmittelbar aufnimmt und vereinigt, am deutlichsten denken kann.
In eben dem Sinne und in eben der Absicht, um nur Merkmahle von den verschiedenen Veränderungen zu haben, die ich an mir bemerke, theile ich nun wieder die Seele, als Adhärenz meines Ich’s, in zwey Wesen ein, die beyde mit Kräften und Reitzbarkeit versehen sind: in das Gemüth und in den Geist. Unter Gemüth verstehe ich dasjenige Wesen meiner Seele, das der Sensibilität der äußeren Organen meines Körpers durch die Art, wie es Eindrücke von Bildern und Vorstellungen einnimmt, sich mit diesen ins Verhältniß setzt, und von ihnen zur Lust oder Unlust gereitzt wird, so ähnlich ist. Es ist der Inbegriff aller Kräfte und aller Vermögen an mir, die ich nur nicht unmittelbar am Körper wirksam fühle, und die ich nicht zu meinem Geiste rechne: Mit einem Worte: das niedere Seelenwesen. Unter Geist verstehe ich hingegen die engste Adhärenz meines Ich’s, das letzte belebende Princip im Gemüthe, mit dem mein Ich gedacht wird, wenn ich im Bewußtseyn ein vermögendes und reitzbares Wesen in mir noch von den Kräften und der Reitzbarkeit meines Gemüths unterscheide: Mit einem Worte: das höhere Seelenwesen. Ich bin mir bewußt,

Denkt an die Emotionen, welche Bilder unserer Abhängigkeit von Gott, Welt, Menschheit, Schicksal, Staat, Pflicht und Bedürfniß hervorbringen; denkt an diejenigen, welche Freyheit und Ruhe in euch erwecken, um Beyspiele spannender und zärtelnder Gefühle zu finden.

Beyde Reitzungsarten können wonnevoll für uns seyn; aber sie sind es nicht unbedingt. Mancher Gegenstand, dem wir uns mittelst der Vorstellung nähern, kann uns durch zu starke Spannung widrig reitzen, mancher andere durch übertriebene Zärtelung.

Oft liegt es an der ganzen Einrichtung unsers Gemüths, wenn ein gewisser Grad von Spannung oder Zärtelung uns widrig afficiert. Es giebt Menschen, die von jeder Sterbescene in einem Trauerspiele auf eine unangenehme Art erschüttert werden; es giebt andere, die den Anblick schauderhafter Hinrichtungen auf Richtplätzen aufsuchen, um in eine wonnevolle Spannung zu gerathen. Manche finden die Darstellung des


daß mein Geist noch ungeschwächt und heiter ist, wenn gleich mein Gemüth viele seiner Kräfte verloren hat, durch unangenehme Vorstellungen verfinstert wird, Krankheit meine Lebenskraft erschlafft, Blindheit und Taubheit die Sensibilität der wichtigsten Organe zerstört, und das Alter meine Bildungskraft gehemmt hat. Ich bin mir bewußt, daß mein Geist bey der Betrachtung dessen, was mein Gemüth und mein Körper waren und wieder werden können, sich erhebt, sich froh fühlt, u. s. w. Man dürfte vielleicht sagen: der Geist sey das innerste Wesen im Gemüthe und verhalte sich zu diesem in der Seele, wie die Lebenskraft zur Sensibilität im Körper. Ich bitte aber nicht zu vergessen, daß ich diese Dinge bloß so darstelle, wie sie sich im Bewußtseyn gegen einander zu verhalten scheinen.

reitzendsten Hirtenlebens in Geßners Idyllen abgeschmackt, während andere das träumende Nichtsthun der Südländer für die Seligkeit der Unsterblichen halten.

Oft liegt es nur an einer vorübergehenden Stimmung des Gemüths, wenn eine gewisse Spannung oder Zärtelung, die wir sonst wohl vertragen haben würden, uns widerlich wird. Wir suchen eine leichte Unterhaltung, und der Gesellschafter will uns in eine gründliche Erörterung verwickeln; die wird quälend: wir suchen ernste Prüfung, und man will uns zum Lächeln zwingen; das wird fade.

Also muß der Gegenstand, dessen Bild unser Gemüth wonnevoll spannen soll, mit der Einrichtung desselben im Ganzen, oder mit dessen jedesmahliger Stimmung im Wohlverhältnisse stehen. Das Gemüth muß sich in der Disposition der Stärke befinden, diese erhöhet zu fühlen wünschen, und der Gegenstand, der sich ihm spannend nähert, muß den Sättigungspunkt nicht überschreiten. Eben so verhält es sich mit der Zärtelung, wenn diese uns wonnevoll reitzen soll.

Hierauf beruht die Neigung der Seele zu gleichartigen Gegenständen, die sich so wohl bey der Selbstheit als beym Beschauungshange so wie endlich auch bey der Sympathie äußert. Mit dieser letzten habe ich mich hier allein zu beschäftigen. Sie zeigt sich da, wo wir dem Gegenstande, dem wir uns mittelst der Vorstellung nähern, etwas Selbstständiges und einen Zustand beylegen, uns seine Eigenschaften aneignen, und uns in seine Lage hineinversetzen. Unser Gemüth stößt dann auf eine Person, durch deren Bild es wonnevoll gespannt wird, weil es sich stark fühlt und noch mehr gespannt seyn will; – so sympathisieren wir mit dem Starken. Oder unser Gemüth stößt auf eine Person, durch deren Vorstellung es wonnevoll gezärtelt wird, weil es sich zart fühlt, und mehr gezärtelt seyn will; – wir sympathisieren mit ihrer Zartheit.

Beyspiele einer solchen Sympathie der Seele mit dem Gleichartigen wird das folgende Buch in Menge aufweisen. Allerwärts wo der Mensch, der sich vermöge seiner innern Einrichtung, oder seiner dermahligen Stimmung aufgelegt zur Stärke fühlt, um noch stärker zu werden, die Annäherung von Personen wünscht, in deren Charakteren und Verhältnissen Ernst, Gründlichkeit, Festigkeit, vordringende Thätigkeit, Macht, Großheit, Unruhe, Mannigfaltigkeit, u. s. w. Hauptzüge ausmachen, – und durch Aneignung ihrer Eigenschaften, durch Versetzung in ihren Zustand seine Spannung erhöhet; – in allen diesen Fällen huldigt der Mensch der Sympathie mit dem gleichartigen Starken.

Hingegen in allen Fällen, worin der Mensch, der sich seiner ganzen Einrichtung oder seiner dermahligen Stimmung nach zart fühlt, um noch zärter zu werden die Annäherung von Personen wünscht, in deren Charakter und Verhältnissen Biegsamkeit, Gefälligkeit, Feinheit, Emsigkeit, Niedlichkeit, Ruhe, Einfachheit, u. s. w. Hauptzüge ausmachen, – und durch Aneignung ihrer Eigenschaften, durch Versetzung in ihren Zustand seine Zärtelung erhöhet; – in allen diesen Fällen huldigt der Mensch der Sympathie mit dem gleichartigen Zarten.

Hiervon ist die Ueppigkeit der Seele verschieden.

Unser Gemüth kann sich den spannenden oder zärtelnden Gefühlen bloß überlassen, mit denen es von dem Bilde eines Wesens angegriffen wird; es kann sich aber auch seinen Angriffen entgegen bieten, auf das Wesen selbst einzuwirken glauben, und sich bey dieser thätigen Bewegung selbst spannen und selbst zärteln.

Indem wir unser Gemüth den Angriffen eines Wesens gern entgegen bieten, so erkennen wir mit Vergnügen unsre Gewalt über dieß äußere Wesen an. Jener erste Zustand wird Hingebung genannt; dieser letzte Beherrschung.

Der reitzendste Zustand für das Gemüth ist der, wenn es sich zugleich überlassend und thätig, zugleich hingebend und beherrschend, und dadurch zugleich gespannt und gezärtelt, spannend und zärtelnd fühlt. Dadurch kommen wir in eine so enge Vereinigung mit dem Wesen, dem wir uns unter diesen Empfindungen nähern, daß wir Besitz von ihm nehmen, und uns mit ihm von der übrigen Gesellschaft der Menschen als ein einzelnes zusammengesetztes Wesen absondern. Ich nenne diese engere Vereinigung das Einlagern des Gemüths.

Er wird aber nicht entstehen, dieser Zustand, wenn das Wesen, dem wir uns nähern, uns mit einer Spannkraft angreift. Alsdann fühlen wir uns in einer bloß überlassenden Lage. Die Kräfte unserer Seele, welche dazu dienen, uns in näherer Verbindung mit dem Wesen zu denken, es ganz in unsere Verhältnisse herüber zu ziehen, es zu besitzen, uns mit ihm von andern Wesen zur Vertraulichkeit abzusondern; – diese Kräfte finden sich in ihrer freyen Wirksamkeit gehemmt. Wir isolieren uns vielmehr von ihm, wir stämmen uns gegen dasselbe an, wir wehren es ab, und die Wonne, welche die reine Spannung mit sich führt, hat allein ihren Grund in der starken Erschütterung des Gemüths, oder in dem Bewußtseyn des Widerstandes, den unser Geist ihm zu leisten im Stande ist.

Es ist unstreitig, daß das Bild des Unermeßlichen, der Ewigkeit, der Allgewalt des Schicksals, der unbedingten Verbindlichkeit, sich für den Staat, für seine eigene Würde, für das bloße Bewußtseyn der bewahrten Pflicht aufzuopfern, unser Gemüth mit Wonne erfüllen könne. Aber wir fühlen sogleich alle seine Kräfte, die sonst dazu dienen, das Wesen in ein anschauliches Bild neben uns zu stellen, und uns in abgesonderter Vereinigung mit ihm zu denken, theils ohnmächtig, theils ruhend. Wir fühlen die Unmöglichkeit des Einlagerns unsers Gemüths, und ziehen uns mit unserm Geiste in Ehrfurcht zurück. Wir sagen uns allenfalls: es wohnt ein Wesen in mir, das Dinge denkt, welche Sinne und Einbildungskraft nicht erreichen: es wohnt ein Wesen in mir, welches zu einem höheren Reiche vernünftiger Geschöpfe gehört, und über das Schicksal dieser Welt und über die Freuden der Sinnlichkeit erhöhet ist. Aber diese Vorstellungen sind nicht auf Verbindung des Gegenstandes mit meinem Gemüthe, sondern auf eine Trennung meines Geistes von dem Eindrucke, den er auf mein Gemüth macht, gerichtet. Ich freue mich mit meinem Geiste von der Vorstellung der Allgewalt des Schicksals und der Aufopferung für Pflicht, nebst allen den widrigen Reitzungen, die sie auf mein Gemüth machen, absondern zu können. Für meinen Geist, sag’ ich mir, ist das Schicksal nicht allgewaltig; mein Geist opfert nichts auf.

Selbst da, wo starke, spannende Gegenstände ästhetisch behandelt werden: wo die Phantasie des Dichters, des Redners, des bildenden Künstlers mir anschauliche Bilder des Großen, Starken, Ungewöhnlichen, Unermeßlichen verschafft; – und durch so manchen Nebenzug auf die Sinnlichkeit meines Körpers und meiner Seele wirkt, – selbst da, sage ich, werde ich bey der Zusammenhaltung dieser Darstellungen mit denen von zärterer Art die verschiedene Wirkung auf mein Gemüth deutlich fühlen.

Ein reguläres Prachtgebäude, – ein Kopf der Juno in der Villa Ludovisi, (das Ideal der Großheit der Formen,) eine Darstellung Gottes vom Psalmisten, oder von Michael Angelo, das Chaos oder der Teufel von Milton, der Heldenvater von Corneille, – wirken auf mich ein Anstaunen. Meine Einbildungskraft kann nicht weiter! Ich überlasse mich in einer Art von Ohnmacht der außer sich wirkenden Kräfte meines Gemüths, der Erhöhung meines Geistes. Und doch liegt in jeder ästhetischen Darstellung spannender Gegenstände noch so manches, wodurch meiner Zartheit geschmeichelt wird.

Jedes rein spannende Bild, das mich wonnevoll reitzen soll, setzt daher, wie schon bemerkt ist, immer die Bedingung zum Voraus, daß entweder unser Charakter im Ganzen, oder eine gewisse Stimmung unsers Gemüths gerade eine Vervollständigung unserer leidenden Stärke erwarte. Wir müssen darauf vorbereitet seyn, Seelenerhöhung zu mögen. Darum haben so wenig Menschen dafür Sinn; – darum ist der Mann hauptsächlich dafür empfänglich; darum sind nur diejenigen unter den Menschen überhaupt dafür gemacht, welche durch Rohheit oder durch Leidenschaft oder durch Ausbildung an Anstrengung gewohnt sind, oder auch zur eigentlichen Begeisterung Anlagen haben; – darum darf man endlich im Gemählde diejenigen Schreckenscenen nicht darstellen, auf die wir im Trauerspiele durch eine abgestufte Tonfolge vorbereitet werden.

Rein spannende Gefühle, wenn sie nicht in Begeisterung übergehen, und dadurch ihre Natur ganz verändern, sind daher nicht einladend zur engeren Verbindung und zur thätigen nach Außen hin wirkenden Lage unsers Gemüths. Dagegen sind Gegenstände, welche uns zärteln, viel einladender und anziehender zur näheren Verbindung und zur thätigen Wirksamkeit unserer Kräfte nach Außen hin. Man denke an Muße, ans süße Nichtsthun, an Unbefangenheit, Gleichheit, Zwanglosigkeit! – Wie die Phantasie das alles sogleich in Bilder zu fassen sucht, und unsre Person mit ihnen in abgesonderte Verbindung setzt! Sogar in der ästhetischen Darstellung bleiben zarte Gegenstände immer die anziehendsten. Unser inneres und äußeres Auge schweift lieber über einen Englischen Garten mit Irrgängen hin, als es die symmetrische Anordnung einer liegenden oder aufgerichteten Fläche mit einem Mahle auffaßt. Ein Madonnengesicht von Fiammingo, eine Nymphe von Boucher reitzt mehr zur Annäherung als die Idealgestalt einer Juno Ludovisi, worin die Uebereinstimmung der Formen mit den Gesetzen der Vernunft in ihrer höchsten Reinheit erscheint. Die dichterische Darstellung des Hirtenlebens im goldenen Zeitalter ist einladender als das Heldengedicht, und die sanften Melodien eines Pergolesi ziehen uns mehr an, als die erhabenen Fugen eines Händel.

Damit unser Gemüth zur Ueppigkeit eingeladen werde, wird Zärtelungskraft in dem Wesen erfordert, dem wir uns mittelst der Vorstellung nähern. Der Charakter unsers Zustandes gehört mehr zur Zartheit als zur Stärke. Aber reine Zartheit ist nicht hinreichend, jene engere Verbindung zu gründen, die ich das Einlagern des Gemüths genannt habe, und mit der überschwenglichen Wonne der Seelenüppigkeit verbunden ist. Wir müssen neben der Biegsamkeit eine Fähigkeit zu widerstehen in dem angenäherten Wesen finden. Sein Charakter muß elastisch seyn, nicht weich. Ist aber die Widerstandsfähigkeit zu stark, im Verhältnisse zu unserer Stärke und zu unserer Neigung, gezärtelt zu werden; so entsteht das Gefühl einer qualvollen Anstrengung, die uns unangenehm ist, weil wir nicht in der Stimmung sind, rein gespannt werden zu wollen. Wir wollen in Ruhe aufgelößt werden, und finden das Gegentheil. Ist auf der andern Seite die Biegsamkeit übermäßig, im Verhältnisse zu unserer Zartheit, und unfähig, uns das Bewußtseyn unserer Stärke durch Ueberwindung einigen Widerstandes zu geben; so wird die Vermählung der Gefühle von verschiedener Art in uns gehindert, und es entsteht bald Gleichgültigkeit bald Langeweile. Es muß daher ein solches Wohlverhältniß von Stärke und Zartheit in dem angenäherten Wesen angetroffen werden, woraus eine Mischung von Dispositionen in ihm entsteht, die wieder mit der Mischung der Dispositionen in uns ins Wohlverhältniß gebracht werden können. Sein Charakter muß dergestalt stark und zart zu gleicher Zeit seyn, daß unser Gemüth bey der Verbindung sich gleichzeitig gespannt und gezärtelt, spannend und zärtelnd fühlen könne. Dann erst entsteht eine wonnevolle Vermählung von Gefühlen in unserm Gemüthe durch gleichzeitige Wirksamkeit seiner zweyfachen Disposition. Dann erst wird das Gemüth zum Besitznehmen, zur Vertraulichkeit, zum Einlagern aufgefordert.

Eine gleiche Mischung beyder Dispositionen in jedem der beyden Gemüther ist völlig unzulänglich, diese Wirkung hervorzubringen. Steht bey beyden die Stärke über der Zartheit, so beurtheilen wir uns beyde als stark, stoßen uns gegenseitig ab, oder verbinden uns nur durch Sympathie mit dem Gleichartigen. Steht bey beyden die Zartheit über der Stärke, so tritt die nehmliche Wirkung ein. Nein! Wir müssen uns geschmeidig stark gegen ein Wesen fühlen, das sich uns zart entgegen hebt; oder umgekehrt: wir müssen uns hebend zart gegen ein Wesen fühlen, das uns geschmeidig stark angreift. Dann treffen wir Eigenschaften in dem Angenäherten an, die mit den unsrigen zusammenpassen, ob sie gleich von den unsrigen verschieden sind; dann theilen wir eine Lage mit einander, deren Reitz durch Mannigfaltigkeit des Beytrags erhöhet wird.

Ueppigkeit der Seele hat folglich die größte Aehnlichkeit mit der Ueppigkeit des Körpers: sie beruht auf den nehmlichen innern Gesetzen, und bringt äußere Wirkungen hervor, die sich jenen sehr nähern.

Ueppigkeit der Seele ist der Zustand einer überschwenglich wonnevollen Wirksamkeit des Gemüths, wenn dieß durch das Wohlverhältniß seiner geschmeidigen Stärke gegen die hebende Zartheit eines andern Wesens, in das es sich einlagert, in gleichzeitig leidende und thätige Spannung und Zärtelung geräth.

Sie zieht immer mit größerer Lebhaftigkeit an, als die rein spannenden und rein zärtelnden Gefühle; sie ist weit bindender als diese. Sie ist weder dem Beschauungshange noch der Selbstheit fremd; aber der Sympathie, (der Geselligkeit) liegt sie am nächsten.

Diese Ueppigkeit ist nun offenbar ein Geschlechtstrieb, denn sie vermählt in unserer Seele Gefühle, die beyde zu einer Gattung gehören; unser Gemüth ist so wohl der spannenden und gespannten, als der zärtelnden und gezärtelten Empfindungen fähig. Aber diese Gefühle gehören nicht einer und der nehmlichen Disposition, nicht einer ihrer Mischungen im isolierten Zustande an; nicht der reinen Stärke, nicht der reinen Zartheit, nicht der einsamen geschmeidigen Stärke, oder der einsamen hebenden Zartheit. Wir müssen uns einem andern Wesen von verschiedenem Charakter nähern, und dieser Charakter muß der Gattung nach dem unsrigen gleich, dem Geschlechte nach aber von dem unsrigen verschieden seyn.

Ich will mich hier nicht dabey aufhalten, zu zeigen, wie Wesen, die nicht Menschen sind, diese Ueppigkeit in uns erwecken können. Ich wende mich zu ihren Hauptarten im geselligen Umgange mit Menschen.


Achtes Kapitel.
Von einigen hervorstechenden Arten der Seelenüppigkeit.
I.

Unter allen Bildern, welche die Seele zur Ueppigkeit einladen, ist keines hervorstechender als das der Häuslichkeit. (Domesticité) – Ich verstehe darunter jenes Verhältniß, worein uns die Absonderung von der größeren Gesellschaft zur Gründung einer engeren mit wenigen Menschen versetzt, die zusammen gegen jene als eine einzige Person betrachtet werden. Die Vorstellung dieses traulichen Zusammenlebens und Zurückziehens von andern, von denen wir uns doch nicht ganz zu trennen im Stande sind; der Begriff dieser Bildung einer Familie, eines Hauses im Staate, zeichnet sich durch eine solche Mischung von Abhängigkeit und Freyheit, von Anstrengung und Muße, von leidendem Empfangen und thätigem Geben, von Spannung und Zärtelung aus, daß unser Gemüth bloß durch das Auffassen dieses Bildes in den Zustand der Ueppigkeit gerathen kann.

Schon dadurch erhält der Trieb zur Häuslichkeit den Charakter eines Geschlechtstriebes; denn die Wonne, welche uns durch dieß Bild zugeführt wird, beruht auf einer Harmonie von Gefühlen, deren Tonarten von zärterer und stärkerer Beschaffenheit sind, mithin nicht einem besondern Geschlechte von Reitzungen des Gemüths, sondern der Gattung im Ganzen angehören. Man kann sie auch nicht hegen, ohne sich eine Verbindung zwischen Menschen zu denken, die der Gattung nach gleich, dem Geschlechte nach verschieden sind, indem ihre Charaktere im Wohlverhältnisse geschmeidiger Stärke zur hebenden Zartheit stehen.

Aber wie viel auffallender wird dieß noch, wenn wir nicht bloß ein Bild der Häuslichkeit in unserer Seele aufsteigen sehen, sondern das häusliche Glück wirklich genießen oder ihm nachstreben.

In jeder Verbindung, die in dieser Absicht eingegangen wird, und worin die Verbündeten den Trieb darnach wirklich begünstigt fühlen, wird der eine sich allemahl durch Eigenschaften auszeichnen, die den Begriff geschmeidiger Stärke, der andere durch solche, die den Begriff hebender Zartheit erwecken. Und sollte dieser Begriff auch nicht vollständig bey fremden Zuschauern entstehen; so werden sich die Verbündeten gewiß in diesem Verhältnisse gegen einander fühlen und beurtheilen.

In jeder Verbindung dieser Art, sie mag unter Personen eingegangen werden, welche ihren physischen Kennzeichen und ihrer bürgerlichen Lage nach zu einerley Geschlechte gerechnet werden, oder unter solchen, die für Personen von verschiedenem Geschlechte gelten; es mögen Mannspersonen mit Mannspersonen, Frauenspersonen mit Frauenspersonen oder endlich Mannspersonen mit Frauenspersonen in Häuslichkeit glücklich zusammen leben; – in jeder Verbindung dieser Art ist einer immer der leitende, herrschende, Wort und That führende, der andere immer der nachgebende aber abgewinnende Theil: einer immer der beschirmende, der andere der pflegende, einer der ernstere, der andere der muntere, einer der schonende, der andre der verzärtelnde, einer der liebkosende, der andre der bewundernde Theil! Der eine fühlt sich folglich immer stark, obwohl geschmeidig gegen den andern; dieser fühlt sich immer zart, obwohl dem andern entgegenhebend! Und welches ist ihr gemeinschaftlicher Zustand? Sanfte Erhöhung, gezärtelte Spannung der Gemüther. Sie geben sich wechselseitig hin, wechselseitig beherrschen sie einander; sie sondern sich zur engern Gesellschaft von der größern ab, sie nehmen Besitz von einander, ihre Gemüther lagern sich in einander ein! So setzen sie eine neue Person aus ihren beyden einzelnen zusammen, und gemeiniglich wird diese nicht allein von ihnen selbst, sondern auch von Fremden dafür anerkannt.

Zwey gleich starke Personen werden schwerlich geschmeidig genug gegen einander seyn, um sich zum häuslichen Zusammenleben glücklich mit einander zu verbinden. Sie können sich einander in weiteren Verhältnissen viel Wonne geben, aber es ist die Wonne des Unisonus, des Einklangs. Rücken sie zu nahe zusammen, so wird der Ton zu rauh. Zwey gleich zarte Personen finden sich in den näheren Verhältnissen der Häuslichkeit gleichfalls nicht glücklich. Der Ton ist zu matt. Auch die Person, deren Begriff Stärke erweckt, die sich selbst stark fühlt, wird mit einer bloß zarten nicht zur Häuslichkeit passen. Ihr Charakter, ihre Stimmung, die gewöhnliche Tonfolge ihrer Gefühle, finden zu starke Disparaten, wenn sie auf einen zu biegsamen Charakter stoßen. Eben dieß ist der Fall mit der bloß zarten Person, in ihren häuslichen Verhältnissen zur blos starken.

Das Wort eines unglücklichen Königs ist bekannt, der zu seiner stets nachgiebigen Gemahlin sagte: haben Sie doch Ein Mahl einen Willen für sich; und eben so bekannt sind die Klagen der sittlichen Weiber des Mittelalters über den störrigen, wilden Charakter der Ritter, ihrer Ehegenossen. Es muß ein Wohlverhältniß von Stärke zur Zartheit seyn, welches das Glück häuslicher Verbindung gründet.

Dreist berufe ich mich darauf, daß selbst da, wo Brüder, Schwestern, Hausgesellschafter von einerley äußerlich anerkanntem Geschlechte, glücklich bey einander wohnen, der eine alle Mahl eine Art von Gattin gegen den Gatten, im moralischen und psychologischen Verstande, vorstellen müsse.

Dieß führt mich dann auf die wahren Gründe der Erscheinung, daß der Trieb zur Häuslichkeit hauptsächlich unter solchen Personen Statt findet, welche nach allen ihren äußern und innern Kennzeichen und nach allen ihren bürgerlichen Verhältnissen in einem verschiedenen Geschlechtscharakter zu einander stehen. Die Mannsperson und die Frauensperson suchen sich zur Befriedigung des Häuslichkeitstriebes wechselseitig vor allen andern auf, und finden wechselseitig diesen Trieb durch ihre Verbindung, vorzüglich vor der mit jedem andern, befriedigt.

Der erwachsene Mann, – der nicht aus seinem Charakter herausgeht, – trägt seinen Anlagen und seinen Verhältnissen nach durchaus mehr von der stärkeren Person an sich, so wohl nach seinem eigenen Selbstbewußtseyn, als nach der Vorstellung, die er bey andern erweckt. Er liebt das Gefühl der Spannung, wozu ihn die Stärke seines Herzens geschickt macht. Er liebt das Gefühl der vordringenden Thätigkeit, die Folge seiner stärkeren außer sich wirkenden Seelenkräfte. Sein Körper trägt den nehmlichen Charakter an sich, in Rücksicht seiner Sensibilität und Lebenskraft, der sich sogar an der äußern Hülle ankündigt. So erscheint seine Person ihm selbst und andern unter dem Bilde und dem Begriff von Stärke, und dieses Bild, dieser Begriff, ist mit einer starken, spannenden Reitzung für alle diejenigen verbunden, welche ihn fassen. Alle seine Verhältnisse gegen die bürgerliche und örtliche Gesellschaft erwecken die nehmliche Vorstellung und die nehmliche Reitzung bey ihm und andern. Seine Pflichten, seine Vorzüge spannen die Seele, und werden schon darum männlich genannt. Vaterlandsliebe, Treue gegen Waffenbrüder, Geschäftsgenossen, Vorgesetzte, fordern manche Aufopferungen von ihm, und setzen Kraft, Hoheit, Gründlichkeit, Adel der Seele und unermüdete Thätigkeit zum Voraus. Das Vollkommene, Außerordentliche, Ungewöhnliche, Unermeßliche, sind Ideen, mit denen er sich vertraut zu machen, und die er bey andern zu erwecken sucht.

Die Frau hingegen, – in so fern sie nicht aus ihrem Charakter herausgeht, – liebt Zärtelung; Folge ihres zärteren Körpers und Gemüths: sie liebt mehr eine besorgende, wachsame, als vordringende Thätigkeit; Folge ihrer schwächeren, mehr im engeren Kreise wirkenden Kräfte. So erscheint die Person der Frau ihr selbst und andern unter dem Bilde und dem Begriff der Zartheit, und diese sind für diejenigen, welche sie fassen, mit zärtelnder Reitzung verbunden.

Die Frau hat Pflichten gegen häusliche Verhältnisse, und gegen denjenigen Theil unserer Person, der geschont und mit Nachsicht behandelt werden muß. Ihre Tugenden, ihre Vorzüge, zärteln die Seele bey der bloßen Vorstellung, und werden daher weiblich genannt; z. B. ausdauernde Geduld, Demuth, Schamhaftigkeit, Sanftmuth, Feinheit, Liebenswürdigkeit, Emsigkeit u. s. w.

Ohngeachtet nun der Mann durch seine Person und seine Verhältnisse den Begriff der Stärke, die Frau in eben diesen Rücksichten den Begriff der Zartheit erweckt; so haben doch beyde zugleich vieles an sich, was den entgegengesetzten Begriff begründen kann. Der Mann ist vieler weiblichen Vorzüge und Tugenden fähig, die Frau vieler männlichen. Der Mann liebt zuweilen eine zärtere Reitzung, die Frau zuweilen eine stärkere. Der Mann kann sich über die Verhältnisse des häuslichen Lebens nicht hinaussetzen; die Frau kann sich von ihrem Zusammenhange mit der größeren bürgerlichen Gesellschaft nicht völlig los machen.

Aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, erweckt der Mann den Begriff der Stärke, welche zugleich geschmeidig seyn kann; die Frau den der Zartheit, welche sich heben mag. Nun steht Lieblichkeit der Großheit, Sanftmuth der Festigkeit, Feinheit dem Gründlichen und Vielumfassenden zur Seite! Nun bieten sich Hoheit und Reitz, Stützen und Anschmiegen, Leiten und Abgewinnen, Arbeitsamkeit und Emsigkeit, wohlthuender Ernst und liebkosende Gefälligkeit, vordringende Kraft und ausdauernde Geduld, brüderlich und schwesterlich die Hände. Aus dem allen aber formt sich für beyde und für jeden dritten ein Bild, welches die Seele mit einer Ueppigkeit erfüllt, die so wohl bey der Bestrebung, als bey der wirklichen Befriedigung des Häuslichkeitstriebes zum Grunde liegt.

Ohne allen Zweifel macht der Trieb nach dieser Art von Seelenwonne, nach diesem pikanten Reitze der häuslichen Vereinigung einen wesentlichen Theil der Geschlechtssympathie aus. Der Mensch ist unstreitig in so fern er zum Thiergeschlecht gerechnet werden mag, von Biberart. Er richtet sich mit mehreren Geschöpfen seiner Gattung zu einem Staate ein, und mit einem oder mehreren Geschöpfen von verschiedenem Geschlechte zu einem Hause, zu einer Familie.

Ich bin überzeugt, daß wenn auch ein Gesetz die völlig freye Befriedigung der körperlichen Geschlechtssympathie mit allen Individuen von verschiedenem Geschlechte ohne Unterschied erlaubte; daß dennoch die größte Zahl der Menschen dieser Vergünstigung entsagen, und mit einzelnen Personen von verschiedenem Geschlechte sich zum Zusammenleben, wenigstens auf einige Zeit einrichten würde. Dieß ist so gewiß, daß Wollüstlingen, die nur irgend auf Vollständigkeit des Vergnügens aufmerksam sind, vor bloß körperlichen Freuden ekelt, und daß sie schlechterdings etwas Genuß für die Seele haben wollen. Und worin besteht dieser? Wollen sie sich die Zeit vertreiben, wie man sie auch im größern Zirkel der örtlichen Gesellschaft hinbringt; nur fröhlich seyn? Nein! sie wollen das Bild des häuslichen Lebens, wäre es nur auf einen Abend, dargestellt sehen, und sie fühlen sich nicht glücklicher, als wenn sie sich recht heimisch, recht wöhnlich bey der Person fühlen, welche vielleicht am folgenden Abend die Gattin eines andern spielt. Es ist auch so gewiß, daß der Reitz einer solchen Seelenwonne in unsern häuslichen Verhältnissen von dem physischen Reitz der Körperverbindung noch verschieden sey; daß selbst Greise, Väter, Brüder, ja selbst die kleinsten Kinder den höheren Genuß fühlen, den das Zusammenleben, die Häuslichkeit mit Personen von verschiedenem Geschlechte vor dem Zusammenleben mit einer Person von gleichem Geschlechte zum Voraus hat. Der Fürst im Julius von Tarent empfand dieß, wenn er sagte: „zu den häuslichen Freuden des Greises gehören durchaus Weiber!“


II.

Als eine besondere Modification unserer Ueppigkeit sehe ich das Wonnegefühl des Heimischen an, das wir in Gesellschaft mit Personen von verschiedenem Geschlechte, besonders mit solchen, die für Manns- oder Frauenspersonen äußern Kennzeichen nach gelten, alsdann empfinden, wenn wir bey ihnen allein sind, und uns überzeugt halten, daß unsre einsame Gegenwart ihnen eben so viel Vergnügen macht, als uns die ihrige. Woher der unerklärbare Reitz, den das Schwatzen, Kosen, Tändeln und oft selbst das trauliche stumme Beyeinanderseyn zwischen dem Manne und dem Weibe mit sich führt, wenn diese sich einander selbst überlassen und gewogen sind? Man wird sagen: es gehört der körperlichen Lüsternheit! Nein! Sie hat in manchen Fällen Antheil daran: in keinem macht sie diese Art der Wonne allein aus. Das Gemüth nimmt immer seinen Theil davon hin. Sogar unter Männern, die im Verhältnisse des stärkeren Gemüths zum zärteren stehen, findet das Gefühl des Heimischen Statt; es findet Statt bey Weibern, deren Formen, deren kränklicher Zustand alle körperliche Lüsternheit niederschlägt. Ach! es liegt dem Gemüthe viel näher! Es liegt darin, daß dieß in Unbefangenheit und Hingebung aufgelöst, und durch das Bewußtseyn, daß man gefällt, daß man beherrscht, sanft angestrengt wird. Welch eine süße Gewalt, die man in diesen Zusammenkünften, frey von aller fremden Beobachtung, leidet und ausübt! Welch ein angenehmes Ueberlassen und wonnevolles Zurückwirken! Welch ein üppiger Reitz in einer Empfindung, in einem Gedanken zusammen zu treffen, den der eine mit dem ganzen Charakter der geschmeidigen Stärke, der andere mit dem der hebenden Zartheit hegt und ausdrückt! Welch ein üppiger Reitz, Richtigkeit mit Feinheit, Vernunft mit Witz, Feuer mit Sanftheit empfangend und mittheilend zu paaren! Sich auszuahnden, aufs halbe Wort zu verstehen, mit bloßen Blicken verständlich zu machen, sich zu bewundern, und sich auf Schwächen zu ertappen, und zu rufen: Also auch du? und pantomimisch zu antworten: Ja! Auch ich! Und nun mit einander zu trauern oder zu lachen über den Menschen, der sich in beyden Personen in seiner Blöße zeigt! Und so mit den Gemüthern in einander greifen, sich absondern zusammen von der übrigen Welt, und sich besitzen, und sich wechselseitig einlagern! Nein! Nein! Die geistreichste Unterhaltung mit dem Manne kommt der Wonne nicht gleich, welche das Geschwätz mit dem verständigen Weibe giebt, das uns wohl will und uns zart behandelt.


III.

Es ist ein wonnevolles Gefühl für den Mann, wenn er bey dem Bewußtseyn der Oberaufsicht, die er über seine Gattin führt, diese dazu nutzen kann, sie durch die nachgiebigste Gefälligkeit gegen ihre Launen und Eigenheiten, und durch die aufmerksamste Zuvorkommung ihrer vorübergehenden Wünsche zur Dankbarkeit zu verpflichten: nicht anders wie zu zärtliche Eltern oder zu gütige Patronen ihre Kinder und Clienten verziehen. Es ist aber auch ein wonnevolles Gefühl für das Weib, bey Anerkennung der Superiorität des Mannes diesem durch die sorgsamste Pflege und eine oft übertriebene Aufmerksamkeit auf jedes seiner kleinsten Bedürfnisse seine Dankbarkeit ganz zu erkennen zu geben, und ihm fühlen zu lassen, daß es ihm gleichfalls etwas werth sey: nicht anders wie gutgesinnte Kinder und Clienten ihre Eltern und Patronen oft verzärteln.

Hierauf beruht ein Verhältniß, das oft mit allen Charakteren der Ueppigkeit und der Geschlechtssympathie gefühlt wird. Der Mann überläßt sich gern der verzärtelnden Pflege der Gattin, und findet sich dadurch und durch das Gefühl seiner hingebenden Geschmeidigkeit in einem Zustande wohlbehagender Auflösung. Auf der andern Seite spornt ihn zugleich das Gefühl, daß ihm als Herrn geschmeichelt wird, daß er sich als Herr herabläßt. Sie, die Gattin, fühlt sich durch das Streben und das Gelingen des Wunsches, den Beyfall des Obern zu erlangen, und ihm die Herrschaft unvermerkt abzugewinnen, angenehm gespannt: sie wird aber zugleich durch die geschmeidige Zuvorkommung des stärkeren Mannes angenehm gezärtelt.

Es ist gewiß, daß der große Haufe der Männer und Weiber in dem wechselseitigen Verhältnisse verzärtelter Eltern gegen verzogene Kinder zu stehen lieben. Aber selbst in den edelsten Verhältnissen zwischen Personen von verschiedenem Geschlecht erlauben sich diese Vieles in ihrer wechselseitigen Behandlung, was sie sich in engeren Verbindungen mit Personen des ihrigen nicht gestatten würden, ohne die gegenseitige Achtung und das Gefühl ihrer Selbstwürde zu beleidigen. Der Liebende huldigt der Geliebten oft auf eine Art, die gegen den Freund herabsetzend für diesen und für ihn selbst seyn würde; die Geliebte sorgt oft für den Liebenden auf eine Art, die gegen die Freundin ins Kindische und Wegwerfende fallen würde. Nun! in der Geschlechtsliebe, selbst in der edleren, giebt das keinen Anstoß, wenn es nicht übertrieben wird und zu häufig wieder kommt.


IV.

Eben hierher gehört auch der Zug nach geselliger Auszeichnung unter beyden Geschlechtern, die ich üppige Eitelkeit (Coquetterie) nennen möchte: das Bewußtseyn, einer Person von verschiedenem Geschlechte in der Gesellschaft durch Vorzüge, welche das Geschlecht charakterisieren, ausschließend zu gefallen. Er führt etwas Ueppiges mit sich, welches der Ehrgeitz und selbst die Eitelkeit, den Beyfall einer Person von dem nehmlichen Geschlechte zu erhalten, nicht an sich trägt. Eitelkeit gehört überhaupt, in seinem Verhältnisse zum Ehrgeitze betrachtet, zu unserer Zartheit. Wir fühlen uns an unserer zärteren Seite gereitzt, und die Wonne, welche dieß Bewußtseyn begleitet, ist ihrem Charakter nach auflösend. Aber diejenige Eitelkeit, welche durch den Beyfall einer Person von anerkannter Geschlechtsverschiedenheit befriedigt wird, trägt den Charakter des Hanges zum Geschlechtsverschiedenen an sich. Was dem Weibe an dem Manne gefällt, ist nicht seine reine Stärke, seine reine Festigkeit, sondern beydes zur Geschmeidigkeit modificiert: die Annehmlichkeit seines festen Charakters. Die Vorstellung dieser gefallenden Eigenschaft führt jene Mischung von Hingebung und Beherrschung mit sich, welche die Seele zu gleicher Zeit spannt und zärtelt. Wenn das Weib die Macht seiner sanften Reitze über die Stärke des Mannes erprobt, so fühlt es sich mittelst seiner Zartheit stark und dem Manne sich entgegenhebend. Wieder ein üppiges Gefühl, wieder eine Mischung von Stärke und Zartheit, von Hingebung und Beherrschung! Beyde Gemüther lagern sich in einander ein!

Es ist überhaupt sehr merkwürdig, daß der Trieb nach geselliger Auszeichnung vom andern Geschlechte, diese üppige Eitelkeit der Seele, mit der Ueppigkeit und der Lüsternheit des Körpers in so genauem Verhältnisse steht.

Es ist für gewisse Weiber kein gefährlicherer Moment, um in körperliche Ueppigkeit und Lüsternheit zu gerathen, als derjenige, wenn ihre Eitelkeit auf eine außerordentliche, ungewöhnliche Art geschmeichelt wird. Bildnißmahler haben die Bemerkung gemacht, daß die Damen in dem Augenblicke, worin ihr Portrait einen großen Zusatz von weiblichen Reitzen bekam, etwa beym Auflegen des Wangenroths, in einen sehr gefährlichen Zustand von körperlicher Erweichung geriethen. Ich habe einen Liebhaber gekannt, der bey seiner Geliebten kein Gehör zur Ausübung gewisser Rechte finden konnte; Dienstleistungen, Geschenke, unbedingte Gefälligkeit, kurz, alles vergebens versuchte; bis eine Schmeicheley von ungewöhnlicher Feinheit und Stärke die Spröde auf einmahl besiegte.

Wenn die Bemühung, zu gefallen, nicht bloß eine vorübergehende Befriedigung der Eitelkeit zum Zweck hat, wenn man auf ihren längern Genuß in dauernder Verbindung rechnet; so tritt auch oft die Idee hinzu, daß die Person vom andern Geschlecht uns diejenigen Verdienste beylege, welche den Gesellschafter in gemischten geselligen Zirkeln und in häuslicher Verbindung auszeichnen. Man setzt seine Eitelkeit darin als eine Person gebilligt und gewählt zu werden, mit der die andern ihre persönlichsten Verhältnisse theilen, und mit der sie künftighin als eine zusammengesetzte Person von andern betrachtet werden will. Eine solche Paarung der Verhältnisse, wie Gatte und Gattin mit einander eingehen, bringt die engste Verbindung zwischen Personen des nehmlichen Geschlechts in der bürgerlichen Gesellschaft nicht hervor, und es ist keine geringe Begünstigung für die Eitelkeit, dazu vor allen andern würdig gefunden zu werden.


V.

Dieß führt mich auf die merkwürdige Habsucht in dem Bestreben, eine Person von verschiedenem Geschlechte zu gewinnen, und auf den eben so merkwürdigen Stolz auf den Besitz dieser Person bey dem Gelingen jenes Bestrebens. Das Gefühl: ich habe die Person, sie ist mein! wird weder als Zweck noch als Genuß bey der Bestrebung, die Zuneigung von Personen unsers Geschlechts zu gewinnen, angetroffen, wenn diese nicht in Leidenschaft ausartet. Hier begnügen wir uns mit dem Bewußtseyn eines vorzüglichen Anspruchs auf das Herz oder die Vereinigung der Naturen! Was heißt hingegen jenes Bestreben, eine Person vom andern Geschlechte ganz zu gewinnen, sich ganz anzueignen, anders, als das Bestreben nach dem Bewußtseyn, daß sie uns eine Zuneigung schenkt, die ihrer Natur nach mit keiner andern Person getheilt werden kann, die folglich den Begriff des ausschließenden Besitzes, und dadurch sogar gewisse Ideen von Rechten über ihr Physisches und Moralisches, und von Eigenthum mit sich führt. Wir entziehen dadurch die Person allen Ansprüchen, die andere in eben der Rücksicht auf sie machen könnten; wir sondern sie zu einer engeren Gesellschaft mit uns von der größeren ab. Es läßt sich nicht läugnen, daß, so viel auch unsere policierteren Sitten die Idee der Dienstbarkeit, in welche sich das zärtere Geschlecht durch Verschenkung seines Herzens gegen das stärkere begiebt, gemildert haben, dennoch Spuren dieses tief in der Natur des Verhältnisses gegründeten Begriffs von Absonderung, Ausschließung und Eigenthum, in jener Habsucht und in jenem Stolze auf den Besitz der Person angetroffen werden, die besonders unserm Geschlechte eigen sind.

Der Charakter der Bestrebung, das Herz einer Person vom andern Geschlechte ganz zu gewinnen, ist an sich höchst eigennützig und interessiert. Eben dadurch wird das Bewußtseyn unserer Abhängigkeit und unserer Erniedrigung begründet, der den Zustand der Gewinnsucht begleitet. Auf der andern Seite zeigt sich aber auch die Aussicht auf Sieg und auf den Zeitpunkt, wo der Stolz des Besitzes die gegenwärtige Sehnsucht krönen wird. Diese Mischung von Affekten begründet die süße Schwermuth, den Zustand der Zärtelung und Spannung unsers Geistes während der regen Bestrebung. Der Moment aber, der das Gefühl ihres wirklichen Gelingens gewährt, der Moment, in dem wir zu der Ueberzeugung gelangen, daß die Person unser sey; dieser Moment führt eine Wonne mit sich, die durch die Vermählung zarter und spannender Affekte, die sich hier in gleichzeitiger und gleichmäßiger Wirksamkeit äußern, der Wollust befriedigter körperlicher Lüsternheit in manchen Punkten ähnelt, und die Wage hält. Auch darf man dreist behaupten, daß in dem Bestreben und in der Befriedigung des Stolzes auf den Besitz der Person bereits eine wahre Lüsternheit der Seele, wiewohl in ihrem untersten Grade, wo sie sich der Ueppigkeit noch sehr nähert, angetroffen werde.

Und glaubt es mir zu: dieß ist nicht bloß Folge unserer geselligen Conventionen, die mit dem Ansehn, das sie dem zärteren Geschlechte in Europa beygelegt haben, auch den Werth ihres auszeichnenden Beyfalls und des Besitzes ihrer Zuneigung erhöhen mußten! Geht in Erziehungsanstalten von Kindern einerley Geschlechts, und ihr werdet sehen, wie die Individuen von zartgebaueten Körpern den auffallenden Trieb bey den übrigen erregen, von ihnen vorgezogen und zur ausschließenden Verbindung abgesondert zu werden. So meldet sich schon dort mit dem ersten Keime zur Ueppigkeit und Lüsternheit des Körpers der Keim zur Ueppigkeit und Lüsternheit der Seele!


Alle diese eben bezeichneten Triebe liegen bey der Eifersucht zum Grunde, welche die Verbindungen zwischen Personen von verschiedenem Geschlechte der Regel nach begleitet, und wenigstens in gleich starker Maße nicht bey Verbindungen zwischen Personen des nehmlichen Geschlechts angetroffen wird. Sie mag Mißgunst seyn, diese Eifersucht, aber sie ist eine Mißgunst, die mit der Geschlechtssympathie des Menschen unmittelbar verbunden ist, und nur durch mehr als thierische Rohheit oder Ausartung davon getrennt werden kann. Aus der bloßen körperlichen Lüsternheit, oder aus dem bloßen unnennbaren Triebe würde sich die Eifersucht allein nicht erklären lassen; denn die Begierden, welche diese körperlichen Gefühle voraussetzen, sind nicht permanent, und es ist nicht in der Natur, dasjenige zu mißgönnen, was wir selbst nicht begehren. Aber die Triebe nach häuslicher Absonderung, nach dem Heimischen, nach dem Clientelarverhältnisse, nach geselliger Auszeichnung, nach dem Stolze auf den Besitz der Person, stehen mit jenem körperlichen Begierden in natürlicher Verbindung, und diese Triebe sind ihrer Natur nach fortdauernd und ununterbrochen fortwährend.

Wenn also einige Philosophen behauptet haben, daß wir im Stande der unausgebildeten Natur, ehe die Begriffe der körperlichen Schönheit und geselliger Auszeichnung sich entwickelt hätten, keine Eifersucht kennen würden; so läßt sich diese Behauptung gewiß nicht rechtfertigen. Die ohnehin unzuverlässigen Nachrichten, welche wir über die abweichende Empfindungsart gewisser roher Völker von der viel allgemeineren Stimmung der übrigen haben, [22] beweisen weiter nichts, als daß unsere Instinkte auf einer Stufe von Rohheit stehen können, welche noch unter derjenigen ist, die wir an Thieren wahrnehmen. Denn schon unter diesen machen einige einen Unterschied unter ihren Gatten, und halten sich vorzüglich an diejenigen, die ihnen am besten gefallen. Selbst diejenigen, welche ihren Trieben ganz ungebunden huldigen, leben mit den Weibchen in der Zeit, welche die Natur zur Fortpflanzung der Gattung bestimmt hat, zusammen. Sie kämpfen bis aufs Leben für den alleinigen Besitz, und leiden nicht, daß sich die Weibchen von ihnen entfernen. Andere aber, welche ihr Instinkt so wie den Menschen auf gebundene Verhältnisse mit einzelnen Weibchen führt, leiden durchaus nur einen Mann, und verlangen ein ununterbrochenes, abgesondertes Zusammenseyn. Das Geflügel und das Bibergeschlecht, welche sich in größern Gesellschaften zu einzelnen Nestern und Häusern paaren, geben den Beweis. Bienen hingegen bilden bloß einen Staat und Zellen nur für einen; bey ihnen hat ein ganzer Stock nur eine Gattin.


Neuntes Kapitel.
Von der Lüsternheit der Seele und ihrer Folge der Besessenheit.

Ich habe vorhin schon das Streben nach dem Stolz auf den Besitz der Person für eine Lüsternheit der Seele ausgegeben. Ein noch mehr auffallender und merklicher Grad derselben zeigt sich aber in demjenigen Zustande, den ich jetzt darstellen und entwickeln will.


Das Streben der Seele, sich den Geist eines andern Wesens ganz anzueignen; die schmelzende und zugleich starrende Lage, in welche alsdann alle Kräfte unsers Gemüths gerathen; die Aehnlichkeit dieses Zustandes mit der Lüsternheit des Körpers, und ihr genauer Zusammenhang unter einander; alles dieß ist aufmerksamen Beobachtern nie entgangen. Die Franzosen haben seit langer Zeit ein doppeltes Temperament des Kopfes und der Sinne angenommen, und das erste in der Eroberungssucht der Herzen, verbunden mit dem Triebe nach dem Außerordentlichen und Neuen, gesetzt. Hemsterhuys[WS 7] und einige andere haben die Aehnlichkeit zwischen dem schwärmerischen Triebe der Seele, sich das Geistige anzueignen, mit der körperlichen Lüsternheit so auffallend gefunden, daß sie sogar einen und denselben Trieb in beyden Fällen als wirksam angenommen haben.

So gewagt, so unbestimmt mir diese Behauptungen zu seyn scheinen, [23] so erscheint doch daraus die allgemeine Bemerkung, daß unsere Seele eines schwärmerischen, begeisterten Aneignungstriebes fähig ist, der seiner großen Aehnlichkeit mit der Lüsternheit des Körpers wegen ihre Lüsternheit genannt zu werden verdient. Hier ist vorläufig meine Erklärung dieser Erscheinung.

Die Lüsternheit der Seele, ihr schwärmerischer Trieb, sich den Geist eines andern Wesens anzueignen, ist allemahl ein Zustand von Begeisterung. Dieß Wort wird aber in sehr verschiedener Bedeutung genommen, so wie das Wort Geist unendliche Bedeutungen hat, von derjenigen an, worin es für jede flüchtige körperliche Materie genommen wird, bis zu derjenigen hin, worin es das Ich im Menschen, und sogar die Weltseele heißt.

Im allgemeinsten Sinne nennt man Begeisterung jede außerordentliche Erhöhung der Wirksamkeit unsers Gemüths: Lebendigkeit unserer Seelenkräfte. In einem etwas engeren Verstande heißt Begeisterung so viel als diejenige Wirksamkeit unsers Gemüths, die wir einer besondern Erhöhung unserer Einbildungskraft zuschreiben, wenn diese die Vorstellungen unsinnlicher Gegenstände, (wohin ich auch das Sinnliche aber Abwesende rechne,) zu anschaulichen Bildern hebt, und sie dadurch den anerkennenden Kräften äußerst nahe bringt. Hier bezeichnet folglich der Ausdruck Begeisterung einen Zustand der Erhebung über die Körperwelt zur sinnlichen Einführung in das Reich des Unkörperlichen, oder der Geister: einen Zustand, der an sich schon mit wonnevollen Reitzungen verknüpft ist, theils wegen des Gefühls jener Lebendigkeit unserer Seelenkräfte überhaupt; theils wegen jener associierten Vorstellungen des Emporstrebens zu dem Uebersinnlichen. Je mehr unsre Phantasie, oder die schaffende zusammensetzende Einbildungskraft dabey geschäftig wird, um desto größer ist unsre Wonne. Wir eignen uns alsdann zugleich das Verdienst des Hervorbringens zu, und damit verbindet sich die Eitelkeit, das Abwesende und Unsinnliche so ungewöhnlich anzuschauen, und so tief in seine Eigenthümlichkeiten einzudringen. Diese Begeisterung ist besonders dem Dichter, dem Künstler und dem Phantasiereichen Philosophen eigen, so lange sie noch nicht daran denken, sich durch ihre Produkte vor andern Menschen auszuzeichnen.

Allein die genauere Vereinigung mit den Bildern der Phantasie und ein höherer Grad der Begeisterung entsteht erst da, wo wir das Bild zugleich in genauerer Beziehung mit einem der herrschenden Triebe unserer Natur oder unserer engsten Sinnlichkeit denken, und es als ein Mittel betrachten, diese dadurch befriedigt zu sehen. Alsdann fängt es erst an, unser Gemüth zu beherrschen, d. h. sich gewöhnlich mit Lebhaftigkeit darin darzustellen, und uns durch seine Erscheinung unmittelbar zur Wonne zu reitzen. Beyspiele davon liefert der geistige Stolz aller Schwärmer, welche durch die Hoffnung geschmeichelt werden, sich einige der Eigenschaften des geistigen Wesens, dem sie sich mittelst einer anschaulichen Erkenntniß nähern, anzueignen, seinen Zustand zu theilen, und sich dadurch über andre Menschen zu erheben. Noch auffallender sind die Beyspiele, wo das Bild des unsinnlichen Wesens auf Beförderung unsers Ehrgeitzes, des leidenschaftlichen Strebens nach dem Besitz einer Person vom andern Geschlechte, der Gefallsucht und anderer noch niedrigeren Triebe bezogen wird. So begeistert man sich sehr leicht für berühmte und vornehme Männer, wenn man glaubt, daß die genauere Kenntniß von ihrem Charakter, und oft nur von ihren äußeren Verhältnissen uns bey der Menge auszeichnen wird. Das Bild ihrer Person und ihrer Vorzüge erfüllt dann unsre Seele, wenn sie auch längst verstorben oder abwesend von uns seyn sollten. Eben diese Erscheinung zeigt sich bey demjenigen, der ein Herz zu erobern, die Aufmerksamkeit einer angebeteten Schönen ausschließend auf sich zu ziehen sucht. Ihr lebhaftes Bild wird unser vertrauter Begleiter, mit dem wir in häuslicher Absonderung zusammen leben, das wir immer mit uns herum tragen. Aehnliche Erfahrungen macht der Alchymist und der Geisterbanner, der Schätze zu heben hofft. Er bezieht das Bild der heiligen Zahl oder des Salomonischen Siegels, oder des mächtigen Kobolds als Mittel auf den Zweck seiner Gewinnsucht, und die Folge ist, daß er sich aufs genaueste mit ihm vereinigt, oder, was einerley ist, daß es herrschend in seiner Seele wird. So wird der Erfinder von dem Bilde seines Produkts begeistert, so die Person von warmen Blute von Bildern, die stark auf die Lüsternheit des Körpers wirken, u. s. w.

Von der Begeisterung in allen diesen Fällen trägt die Lüsternheit der Seele, oder die Besessenheit, wie ich sie nenne, etwas an sich, und beruht gemeiniglich auf ihr. Sie geht aber weiter. Sie vergißt, daß es nur ein Bild ist das sie so anschaulich erkennt; sie vergißt, daß sie sich nur mittelst einer Erhöhung der Phantasie so eng mit ihm vereinigt; sie vergißt die Beziehung, worin das Bild als Mittel zu dem Zwecke, herrschende Triebe zu befriedigen, steht; – und sucht den Geist, für die engste Adhärenz des Ich’s einer andern Person genommen, in sich aufzunehmen, oder, was einerley ist, ihr Ich, ohne allen weitern Zweck und ohne alle weitere Beziehung, unter dem Bilde eines andern Geistes zu denken.

Wenn die Phantasie uns mit dem Gelingen dieser Bestrebung täuscht, so erkennen wir gar keine Trennung zwischen unserm Geiste und dem Bilde des Geistes einer andern Person an: wir verlieren beyde unsre Selbstständigkeit. Unser Gemüth und sein Gemüth, sein Körper und unser Körper, werden als Agenten betrachtet, die ein und der nehmliche Geist beseelt, und weil das Ich nur unter dem Bilde seiner engsten Adhärenz, des Geistes, gedacht werden kann, so theilen wir nur ein Ich. Du bist Ich, Ich bin Du: das ist die Empfindung der Besessenheit.

Diese Schwärmerey ist wahre Lüsternheit der Seele, und zeichnet sich durch Symptome aus, welche der Lüsternheit des Körpers äußerst analog, und wahrscheinlich an ähnliche Gründe gebunden sind, ob sie gleich nicht eine und eben dieselbe Kraft oder Anlage zum Voraus setzen. Den Zustand, in den wir durch Begünstigung dieses Triebes gerathen, habe ich Besessenheit genannt. Ein neues Wort, ich gestehe es, für dessen Bildung mich aber die Armuth der Sprache entschuldigt, und das sich wenigstens auf die Benennung des Aberglaubens stützet, vermöge dessen ein böser Geist uns besitzen kann.

Gehen wir zuerst auf die Untersuchung aus, welchen Personen solche Lüsternheit der Seele eigen zu seyn pflegt; so finden wir, daß es gemeiniglich, so wohl unter Männern als Weibern, diejenigen sind, welche sich durch einen Mangel solcher Seelenkräfte, die wir zur Stärke rechnen, und durch solche Vorzüge der Seele, welche zum Begriff der Zartheit gehören, auszeichnen. Menschen von sehr gesunder Beurtheilungskraft sind zu dieser Lüsternheit der Seele nicht aufgelegt. Der Zustand der Leidenschaft zum Geschlecht macht freylich darunter eine Ausnahme: allein sie bestätigt nur den aufgestellten Grundsatz, weil durch sie die stärksten Menschen auf eine Zeitlang in den Zustand der Zartheit versetzt werden. Dagegen sind solche, welche ein weiches Herz, einen feinen Verstand, und vorzüglich viel Phantasie besitzen, sehr fähig zu diesem Zustande. Gehen wir auf die Wesen zurück, deren Bilder diese Lüsternheit am meisten befördern, so sind sie von Gegenständen hergenommen, welche durch den Begriff der Stärke Bewunderung erregen: das höchste Wesen, Sätze der Moral, erhabene Gegenstände der Natur und der Kunst, außerordentliche Menschen, ungewöhnliche Begebenheiten. Allemahl müssen wir den Gegenständen etwas Geistiges beylegen können, und der Charakter dieses Geistes muß im Verhältnisse der Stärke zu unserer Zartheit stehen. Nie sind wir zu dieser Lüsternheit der Seele aufgelegter, als in der Zeit, worin wir einer starken Leidenschaft zum andern Geschlecht huldigen. Hier nimmt der Gegenstand unserer Leidenschaft, wenn er auch noch so gewöhnlich ist, den Charakter der Stärke vermöge der Abhängigkeit an, worin er uns hält, und wir, wir fühlen uns schwach und zart gegen ihn.

Superiorität, sie mag auf dem bloßen Gefühle unserer Abhängigkeit, oder auf dem des Ungewöhnlichen, Außerordentlichen, Vollkommenen beruhen, wird alle Mahl in dem Gegenstande vorausgesetzt, mit dessen Geiste wir nach Vereinigung in dieser Maße streben. Inferiorität von unserer Seite ist davon unzertrennbare Folge. Aber das Gefühl des Verhältnisses der reinen Superiorität gegen unsere Inferiorität; der baren Stärke gegen unsere bare Zartheit, wird nie ein Streben nach Vereinigung der Geister hervorbringen. Das bloß Männliche, bloß Anstrengende, zieht mich nicht zu sich hin; der unerschütterliche Starrsinn, die unbarmherzige Geistesstärke eines Sylla oder Robespierre, die bloß verderbliche Naturkraft, das höhere, aber nur zum Unheil geartete Wesen, das Geschöpf unserer Imagination, der Teufel, können mich zwar in den oben angeführten Bedeutungen begeistern, d. h. ihr Bild kann immer sehr lebhaft bey mir seyn, und in so fern es mir nützlich scheint, mich beherrschen; aber ich werde mich nicht von ihm besitzen lassen, d. h. meinen Geist unter dem Bilde sehen wollen, welches meine Phantasie mir von ihnen darstellt. – Eben so wenig als ich auf der andern Seite die Bilder des bloß freundlichen Charakters, der flachen bloß heitern Gegend, der Ruhe des Alltagslebens, zu solchen unzertrennbaren Gefährten, zu solchen Formen meines eigenen Geistes machen möchte.

Es muß folglich ein Wohlverhältniß der Superiorität des Geistes außer mir und der Inferiorität des meinigen, seiner Stärke zu meiner Zartheit, vorhanden seyn; ein Wohlverhältniß, wodurch ich mich ihm entgegen, zu ihm hinaufzuheben, ihn zu mir sich herabneigen zu sehen hoffen darf, um dadurch ein neues Wesen in der engsten Vereinigung mit ihm hervorzubringen.

So erscheint uns ein Gott, dem wir neben einer unbegreiflichen Allmacht ein liebendes Herz, wie das unsrige, zuschreiben; so erscheint das moralische Gesetz, das uns neben dem Gefühle der Abhängigkeit unserer Sinnlichkeit von seiner Strenge das Bild einer intellektuellen Freyheit, Würde, Selbstgenügsamkeit, und des Emporschwingens zu einem höheren Reiche von Geistern, darbietet: so erscheint der Glanz der Großen dieser Erde, deren Annäherung Zwang, deren Vertraulichkeit aber Auszeichnung vor allen Mitbürgern verkündigt; so erscheint endlich das bewunderte Wesen an dem leidenschaftlich geliebten Weibe oder Manne, oft nur darum bewundert, weil es schwer zu gewinnen[WS 8] ist, aber das doch endlich gewonnen ausschließlich mit uns vereinigt werden kann! – Diese und ähnliche Gegenstände sind es, welche uns gewaltsam zu sich hinreißen, und uns zum sehnsuchtsvollen Streben nach Vereinigung der Geister einladen, kurz, uns in den Zustand der Besessenheit versetzen.

Richten wir jetzt unsere Aufmerksamkeit auf die Eigenheiten dieses Zustandes! Unsere erste Empfindung bey der Vorstellung eines Wesens, dem wir eine geistige Größe beylegen, ist ein Staunen, eine Bewunderung seiner Superiorität, seiner Stärke, und diese bringt in uns eine Anstrengung hervor, die sehr richtig mit den Worten: Anstarren, Starren unsers Geistes, ausgedruckt wird. Die Folge davon ist Zurückziehen in uns selbst; Gefühl unserer Inferiorität, Schwermuth. Bald aber fühlen wir die Möglichkeit, die Hoffnung, uns ihm entgegen zu heben, einen Punkt zu treffen, worin der bewunderte Geist mit uns vereinigt werden kann. Wir bemerken, daß er ein Herz, daß er zarte Seiten neben den starken hat. An diese wollen wir uns halten; Nachsicht, Dankbarkeit, Achtung für unsre unbedingte Gefälligkeit, für unser Streben ihm ähnlich zu werden, endlich sogar für gewisse zarte Vorzüge an uns, welche ihm fehlen, werden das Band auch von unserer Seite anziehen; wir beyde werden uns zusammen absondern von allen Uebrigen, wir werden ein Wesen ausmachen, wir werden uns gar nicht mehr getrennt von einander denken. Es wird ein neues Wesen entstehen, worin seine und meine Vorzüge zusammengeschmolzen einen höhern Anspruch auf Vollkommenheit haben werden, als wenn wir einzeln gedacht, und einzeln im Bilde dargestellt würden. So entsteht ein sehnsuchtsvolles Streben, eine süße Schwermuth, und das Bewußtseyn, daß die Vereinigung gelingt, es sey durch ein wahres Gefühl, daß wir uns wechselseitig unsre Vorzüge mittheilen, oder daß wir von dem Wesen das uns begeistert, ausgezeichnet werden, oder daß wir uns wenigstens würdig fühlen, ihm vorzüglich anzugehören; – dieß Bewußtseyn überströmt uns mit einem üppigen Schauer, der demjenigen sehr ähnlich ist, welchen die Körper bey der Vereinigung der Organisationen empfinden.

Es scheint mir mehr als wahrscheinlich, daß bey dieser Lüsternheit der Seele das Bestreben des letzten belebenden Princips im Gemüthe, sich in einer überschwenglich wonnevollen Wirksamkeit zu fühlen, zum Grunde liege. So wie die körperliche Lüsternheit ein Uebermuth, eine Ausgelassenheit unserer Lebenskraft ist, so ist die Lüsternheit der Seele ein Uebermuth, eine Ausgelassenheit des geistigen Wesens in uns, das nach dem höchsten Grade gleichzeitiger Spannung und Zärtelung strebt. Wenn unser Geist in diesem Aufruhr ist, so strebt er nach Vereinigung mit einem andern Geiste, von dem er dasjenige nehmen möge, was ihm zu jenem Vollkommenheitszustande abgeht, in den er dasjenige ausströmen lassen könne, was er zu jenem Vollkommenheitszustande zu viel oder überflüssig hat. Daher der Muth und die Weichheit, daher die Kraft und die Ermattung während der Bestrebung; daher der üppige Schauer bey dem Gelingen!

Dieser schwärmerische Aneignungstrieb der Seele äußert sich nun auf sehr verschiedene Art. Oft steckt die Lüsternheit der Seele den Körper mit ähnlichen Empfindungen an, und dieser modificiert sie auf seine eigene Weise zu einer wahren Lüsternheit nach Körperverbindung. Oft aber bleibt es auch bey einer bloßen consensualischen Reitzung der Nerven, ohne eine Bestrebung dieser Art. Doch von allem diesen mehr in der Folge. Ich will hier nur einige der auffallendsten Beyspiele des schwärmerischen Aneignungstriebes der Seele in der Absicht anführen, um zu zeigen, daß nicht bloß Personen, welche für Männer und Weiber anerkannt werden, diesem Zustande unter einander nachstreben, sondern daß er überall angetroffen wird, wo sich ein Wohlverhältniß stärkerer und zärterer Geister zu dem Berührungspunkte einer gezärtelten Spannung unter Mitwirkung der Phantasie voraussetzen läßt.

Junge Künstler werden für große Meister in der Kunst, deren Talent sie zu erlernen hoffen; Schüler für ihre Lehrer in den Wissenschaften; Personen, welche bey vieler Sinnlichkeit zugleich den Trieb nach sittlicher Vollkommenheit in sich fühlen, für Personen, welche auf einer hohen Stufe der Tugend stehen, und sich durch Strenge gegen sich selbst und Nachsicht gegen andere auszeichnen, diesen Aneignungstrieb der Geister empfinden. Er wird sich noch sehr von jenem wackern Enthusiasmus, der rüstig zur Ueberwindung großer Schwierigkeiten durch ein wahres Gefühl der Vollkommenheit im Verhältnisse zu unsern Kräften macht, unterscheiden. Denn der erste ist schmelzend, und eignet sich nicht bloß die Vorzüge des bewunderten Wesens als eine Beschaffenheit des Gemüths an, welche sich von dem Persönlichen des Geistes trennen, und einem andern Geiste mit völliger Bewahrung seiner Eigenthümlichkeit beylegen läßt; sondern er strebt, das ganze Persönliche des Geistes in sich einzunehmen, und sich alle seine Eigenheiten, sogar die Fehler und Hindernisse zu den Vorzügen, denen wir nachstreben, mit der schwärmerischen Ueberzeugung anzudichten, daß wir diesen Geist häuslich, heimisch mit uns herumtrügen, davon besessen würden, und uns in ihn verwandelt hätten. Sehr merkwürdige Beyspiele von diesem Zustande liefern auch junge Personen, die zuerst in der Welt auftreten, und durch den freyen, einnehmenden Anstand gebildeter Gesellschaften hingerissen werden. Sie nehmen, ohne es zu wissen, ohne an Nachahmung zu denken, ihren Ton, ihre Manieren an, und glauben wirklich, ihren Geist in sich übertragen zu haben.

Darauf beruht die schwärmerische Begeisterung der Weiber für Heldentugend, der Männer für makellose Unschuld, der Unterthanen für ihren König, u. s. w. welche wahre Symptome eines Wahnsinns an sich trägt, indem der Anhängende sich das Bild eines Wesens, dessen Verhältnisse er nie zu den seinigen machen kann, dennoch zu einer Art von häuslicher Vertraulichkeit, von Umwandlung zu einem neuen Wesen mit dem Bilde, das er sich von seinem Geiste entwirft, anzueignen sucht.

Wo es nicht Menschen, sondern ein höheres und unsichtbares Wesen ist, welches wir uns zuzueignen suchen, da entsteht die begeisterte Aneignung noch viel leichter, weil sie ganz Werk der Phantasie ist, und kein in die Sinne fallender Umstand die Illusion stört. Das Bild der Tugend, der Vaterlandsliebe, der Freyheit, des höchsten Abstrakts von Vollkommenheit erscheint uns unter einer starken, aber zugleich geschmeidigen Form, der wir die zarten aber hebenden Formen des Bildes von unserm Geiste anzupassen und beyde mit einander zu vereinigen hoffen. Wir gefallen uns in dieser Umwandlung des Bildes von unserm Geiste zu einem neuen Bilde, und das Bewußtseyn des begünstigten oder gar gelungenen Strebens nach jener Vereinigung überströmt unsre Seele mit üppigen Schauern.

Nehmen wir diese Bemerkungen zusammen, so werden wir den Charakter einer Geschlechtssympathie in dem schwärmerischen Aneignungstriebe der Seele nicht verkennen. Denn es liegt offenbar das Streben nach dem harmonischen Wohlverhältnisse geschmeidiger Stärke zur hebenden Zartheit in dem Berührungspunkte einer gezärtelten Spannung, dabey zum Grunde. Wir wollen nicht unsern Geist vermehren, verbessern, ergänzen, wir wollen ein neues Wesen aus ihm schaffen, wir wollen uns ihn unter Formen denken, welche das Bild unsers isolierten Geistes, selbst in seiner höchsten Vollständigkeit nicht darbietet. Die Weiblichkeit unsers Geistes, wenn ich so sagen darf, will sich mit der Männlichkeit eines andern vermählen; unser liebend einnehmender, aber zugleich emporstrebender Charakter, will sich mit dem strengeren, vordringenden, aber zugleich gütig annähernden und nachsichtigen, zu einem neuen Charakter umschaffen, in dem beyde Naturen in der genauesten Gleichmaße des höchsten Grades ihrer Wirksamkeit zusammentreffen.

Die Lüsternheit der Seele findet man am häufigsten bey Personen, deren Geschlechtsverschiedenheit allgemein anerkannt wird; in den Verhältnissen zwischen Männern und Weibern. Diese Erfahrung beweiset die angeführte Entstehungsart: sie kann aber nicht dahin gedeutet werden, als wenn der unnennbare körperliche Trieb und das Verhältniß des Mannes zum Weibe, als solcher Personen, welche ihn am vollständigsten befriedigen könnten, dabey zum Grunde läge. Nein! die beyden anerkannten Geschlechter sind darum so geschickt, den schwärmerischen Aneignungstrieb der Seele zu erwecken, weil der Geist des einen gemeiniglich von stärkerer, der des andern gemeiniglich von zärterer Natur ist, und ihre Verhältnisse in der bürgerlichen Welt den Berührungspunkt beyder in gezärtelter Spannung so sehr befördern. [24]

Der reine Enthusiasmus, vermöge dessen wir mit dem völligen Bewußtseyn unsers isolierten Geistes uns nur gewisse Beschaffenheiten des bewunderten Gegenstandes anzupassen suchen, er mag von der wackern oder schmelzenden Art seyn, wird gegen jene Schwärmerey, wie die Sympathie mit dem Gleichartigen gegen die Geschlechtssympathie stehen.

Der begeisterte Muth, wenn Bilder großer Menschen und großer Thaten uns zu ähnlichen entflammen, weil wir fühlen, unser Geist habe ähnliche Kräfte, welche nur durch das Bild verstärkt werden, ist der Begeisterung von dem Geschlechtsähnlichen Starken zuzuschreiben.

Die begeisterte Empfindsamkeit, vermöge deren uns weinerliche Begebenheiten, zärtliche Charakter zur lebhaftesten Mitempfindung einladen, weil wir selbst uns in ähnlichen Situationen, in ähnlicher Charakterstimmung erblicken, jedoch mit dem völligen Bewußtseyn, daß jene Bilder nur das Bild unsers Selbstbewußtseyns, als etwas Getrenntes von ihnen verstärken, – gehört der Begeisterung von dem Geschlechtsähnlichen Zarten. Wenn aber wirklich die Sehnsucht in uns entstehen sollte, uns unter den Formen eines Cäsar oder Petrarca zu denken, und von ihrem Geiste in unsern Gesinnungen und Handlungen inspiriert zu seyn; und wir glaubten wirklich, daß uns dieß gelänge, – dann wäre gewiß die Begeisterung der Geschlechtssympathie zuzuschreiben; wir würden unsern Geist mit dem ihrigen vermählt fühlen; – wir wären dann gewiß im Zustande der Lüsternheit der Seele, oder ihrer Besessenheit. [25]

Zehntes Kapitel.
Endliche Bestimmung der Geschlechtssympathie und der Sympathie mit dem Gleichartigen.

Aus meinen bisherigen Bemerkungen folgt, daß weder das Aehnliche noch das Verschiedene sich unbedingt anziehe: daß allemahl ein gewisses Wohlverhältniß vorausgesetzt werden müsse zwischen den Körpern unter einander und den Seelen unter einander, die ähnlich oder verschieden sind, vermöge dessen sie in einem gemeinschaftlichen Berührungs- oder Bindungspunkte zusammentreffen können. Dieß Wohlverhältniß beruht bey dem Aehnlichen auf dem Gefühle der Ergänzung, der Vermehrung der ursprünglichen Anlagen durch einen Zusatz des Aehnlichen bis zu dem Punkte, wo das Individuum sich der Art nach, zu der es gehört, vollständig fühlt. Dieß Verhältniß beruht bey dem Verschiedenen auf dem Gefühle der Umwandlung zweyer verschiedener Anlagen zu einem vollkommneren individuellen Wesen der Gattung nach. In beyden Fällen muß der Zustand gleich entfernt vom Mangel und vom Uebermaße seyn.

Der Trieb, sich mit dem Aehnlichen zu vereinigen, in so weit es zur Vervollständigung der Art dienen kann, heißt Hang zum Gleichartigen. Der Trieb, sich mit dem Verschiedenen zu vereinigen, in so fern es zur Vervollkommnung der Gattung dienen kann, heißt Hang zum Geschlechtsverschiedenen.


sollte, daß der Körper gerade den Antheil daran nahm, den Hemsterhuys und andere voraussetzen. Hierüber mehr in der Folge.

Ich weiß nicht ob es bloße Bilder sind, was ich von einem ähnlichen Hange zum Gleichartigen, von einem ähnlichen Hange zum Geschlechtsverschiedenen bereits in den Erscheinungen an unbelebten Körpern antreffe.

Hier finde ich schon eine Anziehungskraft zwischen gleichartigen Körpern, welche die Lehrer in der Chemie der zusammenhäufenden Verwandschaft zuschreiben, und wobey beyde nach der Vereinigung ein eben so gleichartiges Ganzes bilden, als einer der beyden vor derselben war. Hier finde ich eine Anziehungskraft zwischen Körpern von verschiedener Art, wobey diese vermöge der zusammengesetzten Verwandschaft ein Ganzes bilden, welches neue Eigenschaften besitzt, die von den Eigenschaften, welche jedem dieser Körper vor der Verbindung zukamen, völlig verschieden sind. Ich finde bey beyden Verwandschaften einen gewissen Sättigungspunkt, so daß wenn die Körper an gewissen Theilen bereits einen Ueberfluß haben, sie keine gleichartige, keine verschiedene weiter annehmen: nicht dasjenige annehmen, was sie weder der Art noch der Gattung nach verstärken kann. [26]

Ich finde ferner einen großen Unterschied zwischen der Mittheilung der Elektricität von Körpern die elektrisch sind, an solche, die es nicht sind, aber doch die Capacität haben, diese Materie in sich aufzunehmen, und jener Wahlanziehung, womit zwey bereits elektrische Körper ihre entgegengesetzten Elektricitäten mit einander verbinden; und ich bin sehr geneigt, in jener Mittheilung den Trieb zur Vermengung des Aehnlichen; in dieser Wahlanziehung den Trieb zur Vermischung des Verschiedenen zu suchen.

Die Mittheilung der magnetischen Kraft an Körper, die noch nicht magnetisch sind, scheint mir eben so wohl auf einem Triebe nach Vermengung, Zusammenfluß des Aehnlichen zu beruhen; dagegen die Neigung entgegengesetzter Pole zweyer Körper, die beyde magnetisch sind, sich mit einander zu verbinden, auf einem Triebe zur Vermischung des Verschiedenen. Und so wohl die elektrischen als magnetischen Körper haben einen Punkt des Bedürfnisses, der Sättigung und des Uebermaßes; sie sind einem Verhältnisse gegen andere Körper unterworfen, indem sie bald dasjenige gleichgültig liegen lassen, was ihre Kräfte nicht verstärkt; bald das Aehnliche und Verschiedene begierig anziehen um ihre Kraft zu verstärken; bald, wenn sie zur Vollständigkeit oder Vollkommenheit gelangt sind, das Uebermäßige abstoßen.

Und, o Tonkunst! nächstes Bild unserer reitzbaren Einrichtung; wie auffallend finde ich in den beyden Leitern deiner Töne den Hang zum Gleichartigen und zum Geschlecht! Schlagt einen Durton an auf einer reingestimmten Saite; er ruft alle seine Brüder, alle seine Freunde auf der Leiter der Durtöne auf, um seine Schwingung zu verbessern. Und welche sind es, die er ausläßt, die er übergeht, und die, wenn sie sich mit einmischen, den sichersten Beweis einer Unvollständigkeit der Saite abgeben, die den Grundton angiebt? Es sind gerade die Töne, die entweder zu entfernt von ihm liegen, um seine Schwingung verstärken zu können, oder diejenigen, welche durch ihre Nähe ein Uebermaß herbeyführen würden. Und doch giebt es Ausweichungen in der Musik, Auflösungen, Uebergänge, wo die Einmischung eines Molltons in den Grunddurton einen Wohlklang hervorbringt, der nicht mehr die Melodie der vorigen Art vervollständigt, aber die Gattung des Gesanges durch Harmonie vervollständigt. Allein auch hier wird die Beobachtung gehöriger Verhältnisse zwischen den Tönen verschiedener Leitern vorausgesetzt, und durch diese entsteht eine Vermählung stärkerer und zärterer Gatten, die in erhöheter Sanftheit zusammentreffen.

Doch! ich will mir nicht den Vorwurf der Schwärmerey zuziehen, indem ich die Neigungen des Menschen den Gesetzen, denen das Unbelebte huldigt, wirklich unterwerfe! Ich habe zu wenig praktische Kenntnisse in der Chemie und in der Physik, ich bin zu wenig in die höhere Theorie der Musik eingeleitet, um wahre Gleichheit zwischen ihren Grundsätzen und denen, welche bey Entwickelung der Natur des Menschen angenommen werden können, zu finden. Ich stelle also das Gesagte so lange als bloße Bilder auf, bis vielleicht Männer, die in jenen Wissenschaften gründliche Kenntniß mit Genie verbinden, in meinen Ahndungen Spuren der Wahrheit finden mögen.

Aber so viel glaube ich mit Zuverlässigkeit annehmen zu können: jeder Mensch vereinigt in sich die doppelte Disposition zur Stärke und zur Zartheit. Nur in so fern in seinem Wesen Stärke über Zartheit prädominiert, ist er positiver Art, männlichen Geschlechts: nur in so fern die Zartheit über die Stärke prädominiert, ist er negativer Art, weiblichen Geschlechts.

Wo der Mensch, (er mag männlichen oder weiblichen Geschlechts seyn,) seine Kräfte von der stärkern Disposition in höhere Wirksamkeit zu versetzen sucht, indem er stärkeren Eindrücken von andern Körpern, stärkeren Vorstellungen und Bildern der Seele nachstrebt, da empfindet er den Hang zum gleichartigen Starken; wo er hingegen seine Kräfte von der zärteren Disposition in höhere Wirksamkeit zu versetzen sucht, indem er zärteren Eindrücken und Vorstellungen nachstrebt, da empfindet er den Hang zum gleichartigen Zarten.

Wo aber der Mensch seine Kräfte überhaupt durch gleichzeitige Wirksamkeit seiner stärkeren und zärteren Dispositionen zu erhöhen, mithin sich selbst als Wesen einer Gattung zu vervollkommnen sucht, indem er Eindrücken und Vorstellungen nachstrebt, die zugleich stark und zart sind, da fühlt er den Hang zum Geschlechtsverschiedenen.

So wohl der Hang zum Gleichartigen als der Hang zum Geschlechtsverschiedenen ist eines Vollständigkeitszustandes, eines Zustandes der Uebermaße und des Bedürfnisses unterworfen. Was uns stärker oder zärter machen will als wir seyn können, was in uns, wenn wir stark oder zart seyn wollen, diese Stimmung nicht vermehren kann, das ist uns widerlich oder gleichgültig. Was die gleichzeitige Wirksamkeit unserer doppelten Disposition nicht befördert, wo wir sie erwarten, das ist uns widerlich oder gleichgültig.

Der Hang zum Gleichartigen setzt also ein Wohlverhältniß unserer reinen Stärke, oder unserer reinen Zartheit zu den Gegenständen zum Voraus, die uns rein spannen oder rein zärteln. Dieß Wohlverhältniß erkennen wir aus dem wollüstigen oder wonnevollen Gefühle einer erhöheten Wirksamkeit der einen oder der andern unserer Dispositionen bey der Verbindung mit äußern Gegenständen.

Der Hang zum Geschlechtsverschiedenen setzt ein Wohlverhältniß unserer gemischten Zartheit und Stärke zu den Gegenständen zum Voraus, die uns gleichzeitig spannen und zärteln. Dieß Wohlverhältniß erkennen wir aus dem überschwenglich wollüstigen Gefühle einer gleichzeitigen Wirksamkeit unsrer beyden Dispositionen zur leidenden und thätigen Zartheit und Stärke bey der Verbindung mit äußern Gegenständen. Wir fühlen uns geschmeidig stark gegen ihre hebende Zartheit; oder wir fühlen uns hebend zart gegen ihre geschmeidige Stärke, und unser Zustand ist: gezärtelte Spannung.

Wenn wir in den äußern Gegenständen, die uns durch den Hang zum Gleichartigen, oder durch den zum Geschlechtsverschiedenen an sich ziehen, fortdauernde Eigenthümlichkeiten und einen besondern Zustand beachten, und darin den Grund unserer Lust setzen, daß wir mit ihnen Eigenschaften und Zustand theilen; – so modificiert sich der Hang zur Sympathie. Und so giebt es denn eine Sympathie mit dem Gleichartigen und eine Geschlechtssympathie, die besonders in unsern Verhältnissen zu andern Menschen wahrgenommen wird.

Auf diese treffen die nehmlichen Grundsätze zu, die oben aufgestellt sind. Die männliche Person, diejenige, die von positiver Art ist, weil die Disposition zur Stärke in ihren Anlagen prädominiert, vereinigt sich mit der männlichen Person, oder mit derjenigen, bey der die nehmliche[WS 9] Modification der Anlagen Statt findet, wenn sie ihre Kräfte dadurch in Gemäßheit ihrer Art in erhöhete Wirksamkeit versetzt fühlt: sie eignet sich gleichartige Eigenschaften von der Person außer ihr an, trifft mit ihr in einem reinspannenden Zustande zusammen, und bringt dadurch ihr Individuum, als zu einer gewissen Art gehörig, zur Vollständigkeit. Sie huldigt der Sympathie mit dem Gleichartigen. Eben so die weibliche Person, die von negativer Art ist, weil in ihren Anlagen die Zartheit prädominiert, wenn sie sich mit der zartgeformten weiblichen Person vereinigt.

Hingegen vereinigt sich mittelst der Geschlechtssympathie die männliche Person mit der weiblichen, um sich als ein Individuum der Gattung nach zur Vollkommenheit zu bringen, indem beyde durch Vermischung starker und zarter Gefühle, die sie wechselseitig in einander erwecken, sich ungleichartige Eigenschaften aneignen, in einem Zustande von gezärtelter Spannung zusammentreffen, und dadurch ihre Kräfte in Gemäßheit der Gattung zu einer vollkommenen Wirksamkeit heben. Dasjenige, was sie mit einander wirken, kann die Vereinigung des Mannes mit dem Manne, des Weibes mit dem Weibe, nicht ausrichten.

Solchemnach ist Sympathie mit dem Gleichartigen die Neigung des Menschen, seine Stärke mit der Stärke – oder auch seine Zartheit mit der Zartheit – eines andern Menschen zu vereinigen, um sich durch ihre Vermengung in Gemäßheit seines Geschlechts zu ergänzen, und sich als Person seiner Art vollständiger zu fühlen.

Solchemnach ist Geschlechtssympathie Neigung des Menschen, seine geschmeidige Stärke – oder auch seine hebende Zartheit – mit der hebenden Zartheit – oder auch mit der geschmeidigen Stärke – eines andern Menschen zu vereinigen, um durch ihre Vermischung in Gemäßheit seiner Gattung sich als Person dieser Gattung vollkommener zu fühlen.

Kürzer, Sympathie mit dem Gleichartigen ist die Neigung des Menschen, seinem Wesen das Geschlechtsähnliche eines andern Menschen anzuarten.

Geschlechtssympathie ist Neigung des Menschen, seinem Wesen das Geschlechtsverschiedene eines andern anzugatten.

Viertes Buch.
Von der Freundschaft und von der Geschlechtszärtlichkeit. [27]


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Ich darf es ohne Anmaßung behaupten: es hat uns niemand bis jetzt eine Erklärung von der Freundschaft gegeben, die dem Fehler der Unbestimmtheit auswiche, oder den Launen der Sprache des gemeinen Lebens begegnete, welche bald jede Einträchtigkeit bey vorübergehender Bekanntschaft, bald nur leidenschaftliche Aufopferung mit diesem Nahmen bezeichnet. Wenigstens hat man bis jetzt Freundschaft von Geschlechtszärtlichkeit nicht gehörig unterschieden. Man hat gesagt: Freundschaft sey ein schwächerer Grad der Liebe! Aber was heißt hier Liebe? und worin besteht ihre Stärke? Hat man nicht das Wort eines Freundes, der zu dem andern sprach: deine Liebe war mir mehr als Frauenliebe!

Man hat gesagt: Freundschaft sey Gutthätigkeit gegen Personen, die wir uns verbinden wollen. Aber Freundschaft ist angewöhnte Stimmung, nicht ein einzelner Akt; Freundschaft ist nicht selbstisch, sie beglückt nicht um verbindlich zu machen. Wie! der Wollüstling, der das unerfahrne Mädchen, das künftige Opfer seiner Lüste durch Geschenke zu gewinnen sucht: der enthusiastische Liebhaber des Schönen, der den Virtuosen liebkoset; handeln die als Freunde?

Man hat gesagt: Freundschaft sey die Knüpfung zweyer Herzen zu einem gemeinschaftlichen Zweck; eine Verschränkung der Herzen und Hände in Leid und Freude, selbst unter Gefahren. – Schönes Bild einer angewöhnten oft liebenden, oft aber auch fein selbstischen Genossenschaft! Unterscheidest du den Gemeingeist der Sekten, der Parteyen, der Familien, der Mitbürger eines Staats, ja, sogar der Theilnehmer einer Lage, von der Freundschaft?

Man hat gesagt: Freundschaft sey Anhänglichkeit an Menschen, die durch ihre innere Vortrefflichkeit uns selbst Nutzen und Vergnügen zuführen, und den Wunsch in uns hervorbringen, sie wieder zu beglücken. Aber diese Anhänglichkeit, wenn sie auch der Liebe und nicht der Pflicht, nicht dem Beschauungshange und der feineren Selbstheit gehören sollte, unterscheidet Freundschaft weder von dem liebenden Patronat, noch von der liebenden Genossenschaft. Ja, es giebt unstreitig auch Freundschaften unter schlechten Menschen.

Man hat gesagt: Freundschaft sey die Zusammensetzung zweyer Personen zu einer. Richtig! Aber unterscheidet sie sich dadurch von Geschlechtszärtlichkeit?

Endlich hat man gesagt: Freundschaft sey Liebe zwischen Personen von dem nehmlichen Geschlechte. Wahr! Aber wie vieldeutig sind die Worte: Liebe und Geschlecht, in dem Munde des großen Haufens!

Wir haben beydes bisher zu erklären gesucht, und ich hoffe, es wird uns nicht schwer werden, diesem letzten, an sich richtigen Begriffe die nähere Bestimmung zu geben.


Zweytes Kapitel.
Freundschaft ist eine Art von Zärtlichkeit.

Freundschaft ist keine vorübergehende Aufwallung; sie ist dauernde, angewöhnte Stimmung unsers Wesens zur Zuneigung gegen eine bestimmte Person. Wir lachen über das Kind, und über den kindisch gesinnten Menschen, die in einer Stunde, in einer Woche vielleicht, Freundschaften gestiftet zu haben glauben, die in der Stunde, in der Woche darauf, vergessen werden.

Freundschaft ist eine liebende Anhänglichkeit. Das wonnevolle Streben nach der Ueberzeugung, daß der Verbündete sich selbst glücklich fühle, muß unter den Affekten, welche er uns einflößt, die Oberhand behalten. Wir würden wieder über denjenigen lachen, der uns versichern wollte, er sey der Freund des verstorbenen Helden, dessen Vorzüge ihn begeistern; und wir würden denjenigen zugleich verachten, der sich den Freund des Reichen nennen wollte, dessen Schwächen er um seines Vortheils willen schmeichelt.

Freundschaft ist zärtliche Anhänglichkeit, angewöhntes Streben nach der Ueberzeugung, daß man sich durch Vereinigung der Naturen wechselseitig beglücke. Der wohlwollendste Fürst, der von seinen Unterthanen angebetet wird, hat dennoch Mühe, einen Freund unter ihnen zu finden. Es wird zur Freundschaft nothwendig eine solche Uebereinstimmung des Geschmacks und der Verhältnisse vorausgesetzt, daß wir das Ganze der Person des Verbündeten auf die Art glücklich zu sehen wünschen, wie wir mit unserer Person im Ganzen es seyn möchten, und daß wir ihm eine ähnliche Gesinnung von seiner Seite zutrauen. Freunde müssen in ihrer Natur, in ihrer engsten Sinnlichkeit, in ihren herrschenden Trieben Aehnlichkeit mit einander haben, und in einerley Genuß zusammentreffen können. Wo dem anders ist, da bleiben die sogenannten Freunde nur treue Genossen.

Auch von der Zärtlichkeit der Kinder zu ihren Eltern, und dieser zu jenen, sondert sich Freundschaft ab. Ich verlor einen Freund an meinem Sohne! sagte der Vater, dem der Jüngling entrissen wurde, um den Genuß zu bestimmen, den er bereits von seinem Umgange hatte. Mein Vater war zugleich mein Freund! sagt die beraubte Waise, um die Art des Antheils zu bestimmen, den sie an dem Erzeuger nahm. Und diese Zeugnisse sind leider nur Ausnahmen.

Aber hier steh ich nun an der Grenze, welche Freundschaft von der Geschlechtszärtlichkeit absondert. O Freund! o traute selbstgewählte Schwester! daß das Bild des verschiedenen Antheils, den ich an euch nehme, in einem ruhigen Momente wie ein fernes Andenken vor meine Seele trete, damit mein Verstand die Gefühle entwickeln könne, die mein Herz gewöhnlich zu lebhaft empfindet, als daß ich ihre Eigenheiten nach deutlichen Merkmahlen unterscheiden könnte!

Drittes Kapitel.

Freundschaft beruht auf Sympathie mit dem Gleichartigen; Geschlechtszärtlichkeit auf Geschlechtssympathie.

Der wahre Unterschied zwischen Freundschaft und Geschlechtszärtlichkeit liegt meiner Ueberzeugung nach darin, daß jene die Sympathie mit dem Gleichartigen hauptsächlich zur Befriedigung liebender Affekte und einer zärtlichen Anhänglichkeit nutzt; diese hingegen die Geschlechtssympathie.

Wenn ein Mensch, in dessen Wesen Stärke prädominiert, mit einem Menschen von gleichem Wesen, d. h. Mann mit Mann, ihre männlichen Naturen vereinigen, um sich durch den gemeinschaftlichen Genuß der erhöheten Wirksamkeit ihres stärkeren männlichen Wesens wechselseitig zu beglücken; – so bilden sie ein Paar, das in Vergleichung mit allen einzelnen Individuen ihres Geschlechts als eine vollständigere Person der nehmlichen männlichen Art erscheint; und dieß ist – Freundschaft.

Wenn der Mensch, in dessen Wesen Zartheit prädominiert, mit dem Menschen von gleichem Wesen, Weib mit Weib, ihre weiblichen Naturen vereinigen, um sich im gemeinschaftlichen Genuß der erhöheten Wirksamkeit ihres zärteren weiblichen Wesens wechselseitig zu beglücken; – so bilden sie ein Paar, das in Vergleichung mit allen einzelnen Individuen ihres Geschlechts als eine vollständigere Person der nehmlichen weiblichen Art erscheint; und dieß ist wieder – Freundschaft.

Wenn hingegen der Mensch von stärkerem Wesen, der Mann, sich gegen einen Menschen von zärterem Wesen, das Weib, im Verhältnisse geschmeidiger Stärke gegen hebende Zartheit fühlt, und beyde ihre so modificierten Naturen vereinigen, um sich durch den gemeinschaftlichen Genuß einer gespannten Zärtelung wechselseitig zu beglücken; – so bilden sie zusammen ein Paar, das in Vergleichung mit allen einzelnen Individuen eines jeden der beyden Geschlechter, und der gepaarten Personen von einerley Geschlecht, als eine vollkommnere Person der Gattung nach erscheint. Sie vereinigen Vorzüge, welche jene nicht an sich tragen, und welche doch einzeln bey den Individuen der beyden Geschlechter angetroffen werden. Diese, beyde beglückende Vereinigung ist – Geschlechtszärtlichkeit.

Geschlechtszärtlichkeit wird oft Freundschaft zu Personen vom andern Geschlechte genannt; ich würde sie selbst so nennen, wenn ich nicht Mißverständnisse befürchtete. Denn unstreitig hat diese Geschlechtszärtlichkeit alles mit der Freundschaft gemein, bis auf die Art der Sympathie, welche die Verbündeten hauptsächlich an einander zieht.

Auch hier wird eine gewisse Uebereinstimmung des Geschmacks und der äußeren Verhältnisse vorausgesetzt; damit die Verbündeten sich fühlen, sich verstehen, in einem Genuß des Lebens zusammentreffen können. Ich habe es bereits im zweyten Buche gesagt: Freundschaft unter Personen von verschiedenem Geschlechte, Geschlechtszärtlichkeit, kann nicht entstehen, wenn nicht der Mann die Frau so weit zu sich herauf hebt, und sie ihn so weit zu sich herabzieht, daß sie beyde wechselseitig an der Begünstigung ihrer herrschenden Triebe unmittelbar Theil nehmen können. Und zwar nicht bloß in einem oder dem andern Punkte, sondern in solcher Ausbreitung und Allgemeinheit, daß bey beyden das Bewußtseyn entstehe, sie verbinden ihre Personen, ihr Ganzes.

Der Orientaler kann der Regel nach keine Geschlechtszärtlichkeit für seine Gattin empfinden. Er kann sie leidenschaftlich lieben, aber er kann sie nicht als die traute, selbst gewählte Schwester oder Freundin betrachten. Warum? Sie ist eingekerkert; sie theilt nicht die Befriedigung seiner herrschenden Triebe, die auf Macht, Ansehn, Vermögen und gesellige Unterhaltung gehen. Er theilt nicht ihre einsamen oder geselligen Vergnügungen. Zuweilen, aber nur selten, treffen sie im Genuß häuslicher Freuden zusammen. Aber diese Vereinigung geschieht zu einzeln, und das Vergnügen, das sie ihm giebt, ist bey ihm andern Wonnearten zu sehr untergeordnet, als daß das Bild einer Vereinigung im Ganzen daraus entstehen könnte. Der Mann im Orient schämt sich vielmehr eines zu häufigen und anhaltenden Aufenthalts in seinem Harem, und wenn er darin ist, so behandelt er seine Weiber und die Mutter seiner Kinder mit einem Stolze und einem Uebermuthe, die deutlich zeigen, daß er sie nur als Mittel betrachtet, ihm jene häuslichen Freuden zuzuführen. Dieß Verhältniß ist keine Vereinigung der Naturen, keine wahre Zusammensetzung der Personen; es ist eine bloße Anschließung des Persönlichen an die Person, höchstens ein liebendes Patronat auf der einen, und liebende Clientel auf der andern Seite; ein Verhältniß, das gleichfalls zwischen dem Herrn und seinem Sklaven Statt finden kann[WS 10].

Der Republikaner in den ältern griechischen Staaten ging vielleicht nur um einen Schritt weiter als jener Orientaler. Er war, wenn er seine Gattin liebte, der Regel nach nur ihr treuer, liebender Genosse im Hause. Seine herrschenden Triebe gingen nach Bürgerruhm, nach öffentlicher Thätigkeit, nach geselliger Unterhaltung mit Männern. Freuden, die er in der Familie und in größeren gemischten Zirkeln einnehmen konnte, waren diesen theils untergeordnet, theils waren sie ihm unbekannt. Die Matrone nahm freylich an dem Ansehn, dessen der Mann bey seinen Mitbürgern genoß, Antheil. Sie legte Werth auf die Achtung, die ihr für ihre Person von dem Publiko bezeugt wurde; aber der Gelegenheiten waren wenige, worin sie diesen Genuß unmittelbar mit dem Manne hätte theilen können. Sie war beynahe ganz auf das Innere des Hauses beschränkt, dessen Führung ihr anvertrauet war. Der Gatte traf freylich hier in einem Genuß mit ihr zusammen; er freute sich mit ihr des Fortkommens ihrer gemeinschaftlichen Wirthschaft, der Fortschritte ihrer gemeinschaftlichen Kinder, und nahm mit ihr gleichen Antheil an sinnlichen Freuden. Aber alles dieß war doch nur Verbindung in einzelnen Punkten, die der Regel nach nicht hinreichte, das Bild einer Vereinigung im Ganzen bey dem griechischen Manne und seiner Gattin zu erwecken. Die Personen setzten sich nicht zusammen durch Vereinigung der Naturen.

In unsern heutigen moralischen Staaten findet Freundschaft unter beyden Geschlechtern, Geschlechtszärtlichkeit, viel eher Statt. Die Frau lebt mehr außer Hause; sie nimmt einen unmittelbareren und häufigern Antheil an den Auszeichnungen, die ihrem Manne widerfahren. Sie theilt seinen Rang, sein Ansehn im Staate. Sie theilt die Folgen, die dieß für ihn in den geselligen Zirkeln der örtlichen Gesellschaft hat, und sogar die Wirkung, die seine persönliche Liebenswürdigkeit auf diese Zirkel zu seinem Vortheile hervorbringt. Der Mann glänzt dagegen oft durch seine Gattin: wird oft um ihretwillen gelitten und durch sie getragen. Bey vermindertem Reitze der öffentlichen Thätigkeit und des Bürgerruhms, wird höherer Werth auf allgemeine Sittlichkeit, geselligen Anstand, häusliche Tugend und Familienglück gesetzt, und beyde Geschlechter machen ungefähr gleichen Anspruch daran. Beyde Verbündete nehmen häufiger an einerley Unterhaltung Antheil. Kenntnisse, Künste, Gegenstände der Beobachtung, des Nachdenkens, der Beurtheilung, werden gemeinschaftlicher unter ihnen; kurz, die Verbindungspunkte vermehren sich durch eine größere Uebereinstimmung in den herrschenden Trieben beyder Geschlechter, und durch das Zusammentreffen in einerley Genuß ihrer Begünstigung. Der Mann schließt nunmehr nicht bloß Einiges von seinem Persönlichen an die Person des Weibes an: nein, er setzt seine Person mit der der Gattin zusammen, er vereinigt seine Natur mit der ihrigen, und empfindet für sie Freundschaft, oder besser, Geschlechtszärtlichkeit.

Aber wie gesagt, die Natur, die er mit der des Weibes vereinigt, ist nicht die Natur, die er mit der des Freundes verbindet. Die Person die er mit ihr zusammensetzt, erweckt nicht den nehmlichen Begriff, den die Person zweyer Freunde begründet. Hier ist es ein Paar, das sich zusammen durch die erhöhete Wirksamkeit seiner Stärke, – oder wenn es Weiber sind, seiner Zartheit – so glücklich fühlt, wie es kein einzelnes Individuum der nehmlichen Art seyn würde; dort ist es das Paar, das sich durch die gleichzeitige Wirksamkeit seiner Stärke und Zartheit so glücklich fühlt, wie es die einzelne Person der Gattung, oder die aus zwey Wesen gleicher Art gepaarte Person nie seyn könnte.


Viertes Kapitel.
Beweis.

Ich glaube den angegebenen Unterschied nicht besser rechtfertigen zu können, als wenn ich zu den Klassen von Menschen, bey denen sich die Begriffe über ihre geselligen Verhältnisse als bloße Ahndungen darstellen, herab, und dann zu den gebildeteren Klassen wieder hinaufsteige, bey denen mehr geläuterte Vorstellungen vorausgesetzt werden können. Finde ich bey allen die Idee, daß der Freund ein Mensch ist, der die herrschenden Triebe der prädominierenden Disposition zur Stärke oder zur Zartheit in ihrer Natur erhöhet, und daß sie dieß Verhältniß noch genau von demjenigen unterscheiden, worin sich ihre geschmeidige Stärke gegen die hebende Zartheit eines andern Menschen bey der genauesten Verbindung befindet, so wird wohl das Wahre meiner aufgestellten Sätze nicht bezweifelt werden können.

Was gehört zur engsten Sinnlichkeit des Mannes unter den Wilden, in so fern er sich von den Weibern seines Volks in dieser Rücksicht unterscheidet? Er strebt nach dem Bewußtseyn seiner physischen Kraft und nach gewaltsamer Spannung seines Gemüths, im Kriege, auf der Jagd, bey gefährlichen Unternehmungen jeder Art, bey lärmenden Gelagen, wo erhitzende Getränke und erschütternde Auftritte sein Blut in Wallung und seine Einbildungskraft in rege Schwingung versetzen. Das sind seine herrschenden Triebe von der stärkeren Art; das ist seine männliche Natur. Und wer ist nun sein Freund? Derjenige, der ihm zur Seite ficht in der Schlacht und beym Angriff wilder Thiere: derjenige, der an seiner Seite den Schädel des erschlagenen Feindes am häufigsten ausleert und die stärkste Lache neben der seinigen aufschlägt; kurz, der Waffenbruder, der Genosse seiner Gefahren und Belustigungen.

Das Weib unter eben diesen rohen Völkern liebt dagegen das Gefühl physischer und geistiger Allmähligkeit; abwechselnde Beschäftigungen, Emsigkeit ohne Anstrengung. Daher der Geschmack dieses Geschlechts an Besorgung des wirthschaftlichen Details und des Putzes; daher sein Tändeln und Geschwätz bey geselligen Zusammenkünften zur Erheiterung. Daher auch zum Theil die Neigung der Weiber zur Wartung kleiner Kinder, und zum Kosen mit ihnen. Das ist ihre Natur, die engste Sinnlichkeit ihres Geschlechts. Und wen nennt nun die Frau unter den Wilden ihre Freundin? Diejenige, die eben so gefällig als gewandt ihr die häusliche Arbeit mit angreifend erleichtert, beym Geschwätz ihr das willigste Ohr und die geläufigste Zunge leihet, und bey ihren mütterlichen Sorgen und Freuden ihr ein theilnehmendes Herz darbietet.

Was liegt aber bey diesen Freundschaften zum Grunde? Offenbar dieß, daß die Vereinigten, wenn es Männer sind, wechselseitig fühlen, wie das Beyspiel eines ähnlich starken, abgehärteten, ausdauernden Wesens sie selbst stärker, abgehärteter, ausdauernder macht; wie der wilde Ausbruch der Freude des einen die Freude des andern verstärkt; und wie sie beyde bey ihren Vertraulichkeiten darauf rechnen können, daß der andere die Begünstigungen und Versagungen ihrer Lieblingstriebe ganz fühlen und verstehen werde, weil sie vermöge der Gleichheit des Geschlechts auch die seinigen sind. Diese Waffenbrüder, diese Jagdgenossen, machen unstreitig eine vollständigere Person ihres Geschlechts mittelst ihrer Vereinigung aus, als jedes einzelne Mitglied des nehmlichen Volks und Geschlechts. Ihre zusammengesetzte Person vertheidigt sich gegen alle fremde Angriffe wie ein einzelner Mann, greift an wie ein einzelner Mann; aber beydes mit verstärkten Kräften, und wenn der eine fällt, so muß der andere ihn rächen oder sterben.

Unter Modificationen, die ein jeder selbst mit leichter Mühe hinzufügen wird, liegt bey den Freundschaften der Weiber unter den wilden Völkern das nehmliche Bewußtseyn zum Grunde: ein Paar von Weibern, zu einer Person zusammengesetzt, ist mehr und besser daran, als ein einzelnes Weib.

Völker auf dieser untersten Stufe der Cultur behandeln ihre Weiber gemeiniglich wie Sklavinnen. Sie kennen keine wahre Geschlechtszärtlichkeit. Aber einer sehr genauen Verbindung, einer liebenden Ergebenheit, sind sie gegen ihre Gattinnen hin und wieder fähig, und diese wird dann deutlich von der Freundschaft unterschieden. Der Mann vereinigt sich mit der Frau, und diese mit ihm, theils um körperlicher Freuden willen, die beyde der Geschlechtsverschiedenheit ihrer Naturen verdanken, theils zur Gründung einer Familie. Hier bringen sie ihr Eigenthum zusammen; hier erwirbt der Mann außer Hause, während das Weib daheim zusammenhält; hier findet er bessere Pflege und Fürsorge für seine Bequemlichkeit, sie sicherern Schutz und Schirm für sich und ihre Kinder, als jeder von ihnen es in Gesellschaft mit einer Person von seinem Geschlechte finden würde. Zuweilen treffen sie in gemeinschaftlichen Belustigungen beym Tanze, bey Wechselgesängen, bey Mährchenerzählungen zusammen, und diese Unterhaltungen nehmen sogleich einen üppigeren Charakter an, als diejenigen haben, welche der Umgang mit Personen von einerley Geschlechte gewährt. Der Mann findet sie milder und geordneter, das Weib rascher und pikanter. So fühlt jedes Geschlecht, daß es dem Geschlechte des andern bey der Verbindung etwas schuldig ist, was es bey der Vereinigung mit seinem eigenen nicht erwarten kann: nehmlich gleichzeitige Wirksamkeit von Stärke und Zartheit; und diese giebt ihren engeren Verhältnissen einen ganz verschiedenen und bestimmten Charakter.

Geht zu der Klasse unserer Ackersleute über, ihr findet die nehmliche Vorstellungsart aus den nehmlichen Gründen! Der Freund des Bauern ist derjenige, der am Werkeltage ihm am besten in die Hand arbeitet, und am Feyertage am besten den Humpen mit ihm leert und lärmt. Die Freundin der Bäuerin ist diejenige Nachbarin, die ihr am behülflichsten bey ihren wirthschaftlichen Sorgen ist und am besten mit ihr trätscht. Beyde Geschlechter unterscheiden aber diese Art von Verbindungen sehr genau von den engeren Verhältnissen, welche zwischen ihnen und dem andern Geschlechte Statt finden, wenn diese sich entweder zur Ehe, oder zu vorübergehenden Liebesverständnissen vereinigen. Ja, man findet zuweilen eine wahre Geschlechtszärtlichkeit unter dieser Klasse von Menschen, wenn die Aehnlichkeit der Geschäfte und der Lagen eine Uebereinstimmung der herrschenden Triebe befördert, und dennoch in der Art, wie sie befriedigt werden, sich Stärke zur Zartheit mischt. Mancher Bauer findet in seiner Gattin eine Rathgeberin in seinen Unternehmungen, eine Gehülfin bey seinen Arbeiten, eine Gesellschafterin bey seinen Unterhaltungen auf eine Art, die ihm das Gefühl einflößt: sie sey die andere Hälfte seines Wesens. Und dennoch fühlt er, daß ein Freund von seinem Geschlechte neben jener Freundin bestehe; daß diese feiner, jener aber richtiger urtheile; daß diese emsiger, jener aber stärker ihm in die Hand arbeite, und daß die Unterhaltung des traulichen Kosens von der lärmender Gelage noch verschieden sey.

Merkwürdig, höchst merkwürdig ist es, wie schon Kinder die Nahmen des Freundes oder der Freundin denjenigen Gespielen beylegen, die ihnen bey der Befriedigung der Lieblingsneigungen ihres Geschlechts durch solche Kräfte und Neigungen wichtig werden, welche durch Gleichheit die ihrigen verstärken und unterstützen; daß sie hingegen den Unterschied der Empfindungen gar wohl fühlen, den das Kind von verschiedenem Geschlechte ihnen einflößt, wenn sie sich besonders an dasselbe hängen.

Die Lieblingsneigungen, (die Natur) des Knaben, sind rauschende, lärmende Spiele; Krieg, Jagd, Reiten, u. s. w. Wenn er die Wahl unter Knaben und Mädchen hat, wird er gewiß nicht eine der letztern zur Genossin jener Spiele nehmen. Er wählt dazu einen Knaben; dieser muß ihm helfen, diesem vertraut er seine kleinen Plane, Begünstigungen und Versagungen an, und derjenige, den er angewöhnt ist am liebsten zum Gespielen und zum Vertrauten bey seinen lärmenden Vergnügungen zu haben, weil er ungefähr gleiche Kräfte und einen gleichen Geschmack mit ihm theilt, der ist sein Freund.

Das junge Mädchen wählt ein junges Mädchen, um den Putz der Puppe und seinen eigenen mit ihm zu besorgen: um die kleinen Gewährungen und Beleidigungen seiner Eitelkeit ihm mitzutheilen, und Plane auf Neckereyen und muntere Zerstreuung mit ihm zu entwerfen und auszuführen. Seine Freundin ist diejenige, bey der es diesen Genuß am liebsten aufsucht, weil sie ungefähr die nehmlichen Anlagen und den nehmlichen Geschmack mit ihm hat, und weil es an ihren Umgang gewöhnt ist.

Man wird den Hang zum Gleichartigen sehr deutlich bemerken, wenn Kinder von dem einen oder dem andern Geschlechte sich bey öffentlichen Gelegenheiten oder bey Spielen in Paare theilen sollen. Der Knabe sucht sich gewiß an den größten, stärksten, gewandtesten zu drängen, um mit ihm zugleich gesehen, und als gleichartig mit ihm beurtheilt zu werden. Das Mädchen sucht dagegen aus eben dieser Ursach sich neben der zierlichsten unter ihren Gespielinnen zu stellen.

Wenn aber die Kinder von zweyerley Geschlecht in gemischten Zirkeln zum Tanz oder zum Spielen des Witzes zusammenkommen; so lassen sich diese kleinen Menschen wohl einfallen, Liebhaber und Geliebte zu haben, und Symptome solcher Anhänglichkeiten, die auf Geschlechtssympathie beruhen, fangen an sich zu äußern. Und welches sind die Subjekte, die sich hier einander wählen? Diejenigen, welche fühlen, daß die Zartheit des andern mit ihrer Stärke, und umgekehrt, daß diese mit jener ins Wohlverhältniß zusammenkommen, und sich vereinigt wohlgefällig darstellen. Der rascheste Tänzer zeigt sich am liebsten an der Seite der Tänzerin, die sich am zierlichsten bewegt; der unternehmendste, lebhafteste Bube neben dem verschmitztesten Mädchen. Beyde fühlen, daß sie etwas von einander erhalten, was ihnen das Kind ihres Geschlechts nicht zu geben vermag. Dieß geht hoch in die Jünglingsjahre hinauf, und mir sind mehrere sogenannte Freundschaften und Geschlechtszärtlichkeiten unter jungen Leuten bekannt, die auf dem einzigen Bande beruhen, daß der Springinsfeld am liebsten mit dem sogenannten Freunde reitet, und mit der sogenannten Geliebten tanzt; mit jenem, weil er ungefähr einen gleichen Geschmack und gleiche körperliche Gewandheit mit ihm theilt; mit dieser, weil ihre Zierlichkeit mit seinem raschen Wesen im Wohlverhältnisse steht, und beyde ein schönes Paar mit einander auszumachen glauben.

Wenden wir die Augen jetzt zu gebildeteren Völkern, Ständen und Stufen des Alters! Der Begriff ihrer Natur, ihrer engsten Sinnlichkeit nimmt unendliche Modificationen nach Verschiedenheit der Jahre, der bürgerlichen Bestimmungen, der Charaktere und Lagen an. Aber allemahl ist es die Summe der angeeignetesten Kräfte und Neigungen, welche der Staatsmann, der Krieger, der Gelehrte, die aufgeklärte Hausmutter, die gebildete Weltfrau, u. s. w. im zärtlicheren Verhältnisse mit Personen von dem einen oder dem andern Geschlechte vereinigen.

Und in welchen Fällen sucht nun unter allen diesen Verhältnissen der Mann den Mann, das Weib das Weib auf: in welchen andern suchen sich Personen von verschiedenem Geschlechte auf, wenn sie sich zärtlich lieben? Welche Natur vereinigen jene mit einander, welche diese?

Laßt uns vorerst alle Begierden nach Vereinigung der Körper bey Seite setzen: laßt uns an jene Verhältnisse zwischen Brüdern und Schwestern, an jene Freundschaften zwischen Personen von verschiedenem Geschlechte denken, die sich unter den gebildeteren Ständen häufiger antreffen lassen, und die wir zur Vermeidung aller Mißverständnisse: die Vereinigung des selbstgewählten Bruders mit der selbstgewählten Schwester nennen wollen. – Gesetzt nun, wir haben einen Freund, einen zärtlich Geliebten von einerley Geschlechte mit dem unsrigen, wir sind aber auch mit einer zärtlich Geliebten von verschiedenem Geschlechte, mit einer Schwester unserer Wahl verbunden, welche keine körperlichen Begierden deutlich in uns aufregt; wie? werden wir die Natur, die engste Sinnlichkeit unsrer Seele, in den nehmlichen Fällen mit dem Freunde und mit der Schwester zu vereinigen suchen? Wird es uns einerley seyn, ob diese oder jener uns den Genuß der Mitfreude, des Mitleidens, der Mittheilung, des Raths, der Hülfe, u. s. w. bereite? Ich sage: keinesweges!

Ist es eine Vereitelung ehrgeitziger Plane, wie nur Männer sie bilden, welche uns Männer niederdrückt; so hoffen wir eher von dem Manne verstanden zu werden, und wenden uns an den Freund. Ist es Versagung kleiner häuslichen Vortheile, geselliger Auszeichnungen, so suchen wir eher Trost bey der Schwester. Der Freund würde sie weniger achten. Verlangen wir Aufforderung zur Stärke von der vordringenden Art, so giebt sie uns das Beyspiel und der Zuspruch des Freundes: Ermunterung zur Geduld giebt das Wort und das Beyspiel der Schwester. Fühlen wir den Uebermuth des geistigen Stolzes, so rechnen wir auf die Theilnahme des Freundes, und auf die Milderung desselben durch den Zuspruch der Schwester. Ist es Niederwürfigkeit die wir im schmelzenden Enthusiasmus fühlen; so rechnen wir auf die Theilnahme der Schwester, und suchen Aufrichtung bey dem Freunde. Erröthen wir vor Fehlern, zu denen Stärke verführt, so hüllen wir uns an der Brust des Freundes vor uns selbst ein: sind es aber Schwächen, zu denen Zartheit einladet; so suchen wir unser Antlitz im Schooße der Schwester zu verbergen. Wer mag dem Freunde die Verirrungen der Eitelkeit gestehen, wer der Schwester die Folgen der Unmäßigkeit und Hitze?

Wie sehr lassen sich noch die Beyspiele der Fälle häufen, in denen sich die Seelen der Freunde, und wieder die der Trauten von verschiedenem Geschlechte vereinigen! Wenn unser Herz angefüllt wird mit Freude über das Gelingen solcher Plane, wogegen sich der Eigennutz des großen Haufens auflehnt, so hat der Freund den ersten Anspruch auf unsre Mittheilung; ist unser Glück nur gemacht, den Neid der Nachbarn und des geselligen Zirkels zu erwecken, so wird unser Frohsinn gegen die Schwester geschwätzig. Verlangen wir eine Unterhaltung, welche die Erörterung der Wahrheit eines wissenschaftlichen Gegenstandes, eines gründlichen Geschmacksurtheils mit sich führt; so wenden wir uns an den Freund. Von der Schwester erwarten wir dagegen gefällige Behandlung alles dessen, was zur Philosophie des geselligen und häuslichen Lebens gehört: Feinheit in den Bemerkungen über die Begebenheiten des Tages, über die Charaktere der Personen mit denen wir umgehen, u. s. w. Wir suchen hier üppige Unterhaltung der Seele, nicht Gewinn an allgemein nützlichen Kenntnissen auf!

Eben so wird das gebildete Weib den Unterschied zwischen Freundschaft und Geschlechtszärtlichkeit fühlen. Wie behutsam ist es, dem trauten Bruder seine Weiblichkeiten, die übertriebenen Aeußerungen seiner Zartheit zu gestehen! Es verbirgt sich vor ihm, wenn es vor einer fernen Gefahr für das geliebte Kind zittert, von deren Unwahrscheinlichkeit sein Verstand überführt ist, ohne sein Herz beruhigen zu können! Wie viel lieber schwatzt es darüber mit der Freundin aus! Wie viel lieber schüttet es in den Busen dieser letzten seinen Schmerz über mißlungene häusliche oder gesellige Einrichtungen, und sucht bey ihr Hülfe und Rath! Wie ungern gesteht es dem trauten Bruder seine Schwäche für Putz und Schmeicheley der Kinder und Dienstbothen, und wie gern zeigt es sich vor ihm in der Gestalt einer strengen Hausfrau und gerechten Mutter! So hebt sich die Zartheit der Frau der Stärke des Mannes entgegen, während sie sich ganz zur Zartheit im Mitgefühl ähnlicher Anlagen, bey der Freundin hingiebt. Wo sie aber Hülfe, Rath, Trost in ihren Verhältnissen zur größern bürgerlichen Gesellschaft braucht, wo sie Anspruch auf Kenntnisse und gründliche Ausbildung des Geschmacks macht; wo sie überhaupt Wahrheit, Richtigkeit mit Schönheit und gefälliger Behandlung zu paaren sucht; da ist der Beystand, der Beyfall, die Mittheilung des trauten Bruders von einem Werthe, den ihr die Freundin nicht ersetzen kann.

So geben wir denn der zärtlich geliebten Person von verschiedenem Geschlechte, auch ohne Rücksicht auf den Körper zu nehmen, von der Natur unserer Seele ganz etwas anders hin, als der zärtlich geliebten Person von dem nehmlichen. So empfängt das Weib ganz etwas anders von der Natur der Seele des trauten Bruders; der Mann ganz etwas anders von der Natur der Seele der trauten Schwester, als dieser von der des Freundes und jenes von der der Freundin!

Die männliche Seele sucht in der Vereinigung mit der männlichen Vervollständigung ihrer gemeinschaftlichen Männlichkeit: die weibliche in der Vereinigung mit der weiblichen Vervollständigung ihrer gemeinschaftlichen Weiblichkeit. Dagegen sucht die männliche Seele in der Vereinigung mit der weiblichen, und umgekehrt, diese in der Vereinigung mit jener, das Bewußtseyn eines vollkommneren, aus beyden zusammengesetzten Wesens, das noch der Gattung, nicht aber dem Geschlechte weiter angehört.

Beyde, Mann und Weib, suchen beydes Freundschaft und Geschlechtszärtlichkeit, unter ganz verschiedenen Verhältnissen auf; sie nehmen ihre Personen wechselseitig in ganz verschiedene persönliche Lagen ein. An den Neigungen, Beschäftigungen, Planen des Mannes, welche unmittelbare Beziehung auf das Gefühl körperlicher und geistiger Stärke haben, kann und soll die weibliche Seele der Regel nach, weder durch Mitgefühl, noch durch Mithandeln, unmittelbaren Antheil nehmen. Umgekehrt, nicht der Mann an solchen Neigungen, Planen und Beschäftigungen, welche mit der Zartheit des Weibes in unmittelbarer Beziehung stehen. In den stärkeren Verhältnissen sucht daher die männliche Seele Freundschaft bey dem Manne; in den zärteren die weibliche bey dem Weibe. Wo aber stärkere und zärtere Verhältnisse zusammentreffen, und den Begriff einer erhöheten Sanftheit bilden; da binden sich die Seelen von verschiedenen Geschlechtsanlagen zur Geschlechtszärtlichkeit zusammen.

Fünftes Kapitel.
Endlicher Begriff der Freundschaft und Geschlechtszärtlichkeit.

Freundschaft ist angewöhntes, wonnevolles Streben nach beglückender Zusammensetzung zweyer Personen zu einer, durch Vermengung gleichartiger Naturen.

Geschlechtszärtlichkeit ist angewöhntes, wonnevolles Streben nach beglückender Zusammensetzung zweyer Personen zu einer durch Vermählung geschlechtsverschiedener Naturen.


Sechstes Kapitel.
Weder die Geschlechtszärtlichkeit noch die Freundschaft bestehen aus lauter Affekten einerley Art. Die prädominierenden allein geben dem Verhältnisse im Ganzen den Charakter.

Alle Anhänglichkeit besteht aus Affekten von sehr verschiedener Art. Dieß ist schon gesagt worden, es kann aber nicht genug wiederholt werden. Auch die liebende besteht nicht aus lauter Liebe. Gefühle des Beschauungshanges und der Selbstheit, der Wonne und des Bedürfnisses, mischen sich immer mit ein. Die Geschlechtszärtlichkeit beruht nicht auf bloßer Geschlechtssympathie; die Freundschaft nicht auf bloßer Sympathie mit dem Gleichartigen. Der Freund erhält manches von dem Freunde, was ihm die Geliebte gleichfalls geben könnte: der Liebhaber von der Geliebten manches, was er auch von dem Freunde nehmen möchte. Aber diejenige Art von Affekten, welche hervorsticht und herrscht, giebt dem Verhältnisse im Ganzen den Charakter von Freundschaft oder Geschlechtszärtlichkeit.


Siebentes Kapitel.
Semiotik, Zeichenlehre, zur Unterscheidung der Freundschaft von der Geschlechtszärtlichkeit.

Ein zweydeutiges Zeichen, um Freundschaft von der Geschlechtszärtlichkeit abzusondern, ist der Umstand, daß die Personen, welche zärtlich an einander hängen, den äußern Kennzeichen nach nicht zu verschiedenen Geschlechtern gezählt werden, und den unnennbaren Trieb nicht vollständig mit einander würden befriedigen können. Dieß beweiset nicht einmahl etwas für die Abwesenheit der körperlichen Ueppigkeit und Lüsternheit, viel weniger für den Mangel an Mitwirkung der Geschlechtssympathie der Seele.

Es ist freylich gewöhnlicher, daß Personen, die ihren äußern Formen und Verhältnissen nach zu einerley Geschlecht gerechnet werden, Freundschaft als Geschlechtszärtlichkeit für einander empfinden. Denn diese Formen und Verhältnisse wirken sehr viel auf die innere Organisation, und die Seele der Person, die sie an sich trägt, zurück; härten beyde ab, wenn sie stärkerer Art sind, und erweichen, wenn sie von zärterer Art sind. Trifft eine Person, die sich selbst als stark, oder als zart fühlt, weil ihre Formen und Verhältnisse ihr diesen Begriff von sich selbst erwecken, auf eine Person mit ähnlichen Formen unter ähnlichen Verhältnissen; so ist es natürlich, daß die Sympathie mit dem Gleichartigen eher bey ihr entstehe, als die Geschlechtssympathie.

Allein sehr oft ist die innere Organisation des Körpers, und der Charakter der Seele verschieden von den äußern Formen, und im Streite mit den äußern Verhältnissen: oft überwiegt das Innere das Aeußere. Die Beyspiele von Mannspersonen, deren körperliche Konstitution eben so weichlich, als ihre Seele weibisch ist, sind häufig genug. Frauenspersonen von abgehärteten Konstitutionen, vordringenden starken Seelen, werden gleichfalls oft gefunden. Dieß hat freylich auf die äußern Formen einigen Einfluß, aber er entgeht gewöhnlichen Beobachtern, und ist nicht hinreichend, um darnach die Classification der beyden Geschlechter in ihren bürgerlichen Verhältnissen gegen einander für den großen Haufen zu bestimmen. Dazu werden auffallendere äußere Unterscheidungszeichen verlangt, die aber, wie gesagt, oft mit dem Innern im Widerspruche sind. Eben so wenig entscheiden die äußern Verhältnisse, welche nicht immer von der Wahl der Personen abhängen. Selbst die Zeugungskräfte werden nicht unbedingt durch den Mangel der innern positiven oder negativen Natur gehindert. So kann es denn geschehen, daß Personen, die ihrem Aeußern nach völlig zu verschiedenen Geschlechtern zu gehören scheinen, ja, als Gatte und Gattin, als Zeuger und Zeugerin zu einander stehen, dennoch nur Freunde sind, und keine Geschlechtszärtlichkeit für einander empfinden. Es giebt der Fälle genug, worin der Ehemann mit seiner Frau häuslich emsig, d. h. weiblich, oder sie mit ihm öffentlich thätig, d. h. männlich wird. Ich habe Ehen gekannt, worin beyde Gatten Putz, Küche und Hausreinigung zum einzigen Zweck ihres Zusammenseyns machten. Mehrere Gelehrte haben mit ihren Weibern Bücher geschrieben, mehrere Staatsmänner haben mit ihren Weibern regiert. Aller Wahrscheinlichkeit nach haben diese Personen mehr Freundschaft als Geschlechtszärtlichkeit für einander empfunden, wenn anders eine wahre Vereinigung der Naturen unter ihnen Statt gefunden hat. Wenn auch zuweilen Anfälle von Geschlechtssympathie, besonders der körperlichen, bey solchen Verbindungen mit unterlaufen, wenn der unnennbare Trieb zuweilen erwacht, und dessen vollständige Befriedigung die gewöhnlichen Zwecke der Ehe erfüllt; so sind doch diese Aufwallungen zu selten, um der Verbindung im Ganzen den Charakter einer auf Geschlechtssympathie gegründeten Verbindung zu geben. Die Sympathie mit dem Gleichartigen wird darin prädominieren.

Auf der andern Seite giebt es Fälle genug, worin sogenannte Freunde und Freundinnen wahre Geschlechtszärtlichkeit für einander empfinden. Und daran braucht der Körper keinen merklichen Antheil zu nehmen. Aber die Symptome der Ueppigkeit und Lüsternheit der Seele sind hinreichend, die wahre Gattung von Empfindungen zu charakterisieren, welche bey ihrer Vereinigung zum Grunde liegt. Inzwischen nimmt auch sehr oft der Körper einen großen Antheil an dieser Geschlechtszärtlichkeit unter Personen, welche äußern Kennzeichen nach zu einerley Geschlechte gehören. Doch darüber mehr im achten Buche dieses Werks.

Ein noch zweydeutigeres Merkmahl von dem Daseyn der bloßen Freundschaft und von der Abwesenheit der Geschlechtszärtlichkeit, wird von dem Schweigen der Begierden des unnennbaren Triebes hergenommen. Dieß trügliche Kennzeichen ist zugleich äußerst gefährlich, und es verdient daher dessen Unzulänglichkeit besonders dargethan zu werden. Ich verspare aber die Ausführung dieser Materie auf das achte Buch dieses Werks, und führe hier nur an, daß selbst leidenschaftliche Geschlechtsliebe, und noch häufiger körperliche Ueppigkeit und Lüsternheit vorhanden seyn können, ohne daß der unnennbare Trieb sich mittelst deutlicher Begierden und in die Sinne fallender Symptome äußert.

Freylich, wo dieser unnennbare Trieb während der Dauer der Verbindung eine merkliche Rolle mitspielt, da wird an dem Daseyn der Geschlechtssympathie, und wenn diese mit liebender Anhänglichkeit zusammengeht, an dem Daseyn der Geschlechtszärtlichkeit nicht gezweifelt werden dürfen. Denn so viel ist gewiß, daß in der Freundschaft der Zug der Körper zu einander zu schwach ist, um ein körperliches Selbstgefühl eines veränderten physischen Zustandes in uns hervorzubringen. Wir nennen dieß: die Körper ruhen.

Allein, die Körper können in starker Bewegung seyn und der körperlichen Geschlechtssympathie huldigen, ohne gerade ihre Unruhe mittelst des unnennbaren Triebes anzukündigen. –

Das Daseyn und die Abwesenheit der Begeisterung sind eben so zweydeutige Unterscheidungszeichen der Freundschaft von der Geschlechtszärtlichkeit. Der wackere, rüstige Enthusiasmus besteht sehr wohl mit der männlichen, der schmelzende sehr wohl mit der weiblichen Freundschaft. Die Wirksamkeit des schwärmerischen Aneignungstriebes, welche ich Besessenheit genannt habe, gehört freylich der Geschlechtssympathie an: allein er findet sich nicht immer in Gesellschaft der Geschlechtszärtlichkeit, und verwandelt diese bereits in Leidenschaft.

Man sieht hieraus, wie schwer der Unterschied zwischen Freundschaft und Geschlechtszärtlichkeit nach äußeren Merkmahlen zu bestimmen ist. Demohngeachtet bin ich überzeugt, daß weder die Vereinigten selbst, die sich ehrlich prüfen wollen, noch Fremde, welche das Band länger zu beobachten Gelegenheit finden, sich über die wahre Natur des Verhältnisses betriegen werden. Folgende Bestimmungen dienen ihnen vielleicht zu näheren Wegweisern.

Die Geschlechtszärtlichkeit zeichnet sich durch Ueppigkeit aus: durch das Gefühl einer gezärtelten Spannung des Körpers, einer sanften Erhöhung des Geistes, welche die Freundschaft nicht mit sich führt. Ein unruhiges Sehnen nach körperlicher Annäherung, ein beklemmtes Herz in der Abwesenheit des Verbündeten, ein ungeduldiges Erwarten seiner Ankunft, ein extatisches Entzücken über seine Erscheinung, die sich sogar durch Veränderung der Gesichtsfarbe nach kurzen Trennungen ankündigt; ein schmachtender Blick, verbunden mit lebhaftem Glanze des Auges, ein schmelzender, üppiger Ausdruck des Wunsches, zu gefallen, der sich im Ton und Geberden und Reden äußert; das unverwandte Hängen an der Form und den Worten des Geliebten, die stets rege Begierde, abgesondert von andern mit ihm zusammen zu wohnen und immer ungetrennt von ihm zu bleiben; üppige Eitelkeit, Stolz auf den Besitz der angeeigneten Person, ängstliche Eifersucht; dieß sind, meinen Erfahrungen nach, Symptome, die mehr oder weniger in jeder noch so geistigen Geschlechtszärtlichkeit angetroffen werden, und gewiß in sehr grobe Erscheinungen übergehen werden, sobald die Vereinigten sich auf eine unbehutsame Art ihrer Bestrebung nach Vereinigung überlassen, oder auf eine eben so unbehutsame Art darin gehemmet werden.

Der Freund begehrt allerdings die Gegenwart des Freundes, aber nicht so anhaltend, nicht mit so vieler Unruhe: seine An- und Abwesenheit haben keinen so unmittelbaren Einfluß auf seinen physischen Zustand. In der Freundschaft findet kein Herzklopfen, finden keine gepreßten Seufzer, keine Wallung des Bluts, kein Wechsel der Farbe Statt. Das Bild des Freundes und des ununterbrochenen Zusammenlebens mit ihm ist nicht unser unzertrennlicher Gefährte. Gesetzt aber, diese Symptome gehörten bereits der Leidenschaft, so zeichnet sich doch die ruhigste Geschlechtszärtlichkeit durch die sanfte Erhöhung aus, worein wir unsere eigene Seele bey der Vorstellung der Person der gewählten Schwester, und unserer traulichen Verbindung mit ihr, versetzt fühlen, und worein wir sie durch die Aeußerungen unserer Zärtlichkeit zu versetzen suchen. Unsre Vertraulichkeiten, unsre Liebkosungen, unsre Aufmerksamkeiten, unsre zarten Behandlungen haben einen schmelzenden und zugleich pikanten Reitz, den die bloße Freundschaft nicht mit sich führt. Eben so empfindet das Weib für den gewählten Bruder.

Kurz, üppige Gefühle, üppige Aeußerungen, unterscheiden die Geschlechtszärtlichkeit von der Freundschaft, wenn diese auch nicht bis zur Lüsternheit, oder bis zu den Begierden des unnennbaren Triebes, nicht bis zur Leidenschaft fortschreitet.

Mehrere Beobachter haben diesen Charakter gefühlt, ohne ihn bestimmt genug anzugeben.

Madame de Lambert sagt in ihrem Aufsatze über die Freundschaft. In der Freundschaft zwischen Personen von verschiedenem Geschlechte bemerkt man einen Grad von Lebhaftigkeit, der unter Personen von dem nehmlichen nicht angetroffen wird. [28]

Ich kenne, sagt Rousseau, eine Empfindung, die süßer als die Liebe ist. Sie ist nicht so ungestüm als diese, aber tausendmahl köstlicher. Sie verbindet sich oft mit der Liebe, oft ist sie von ihr getrennt. Diese Empfindung ist auch nicht bloße Freundschaft, sie hat etwas wollüstigeres, zärtlicheres an sich, und ich zweifle, daß eine Person vom nehmlichen Geschlechte sie in uns aufregen werde. [29]

Man sieht deutlich, daß in beyden Stellen von der Geschlechtszärtlichkeit die Rede ist, und daß diese der Freundschaft so wohl als der Leidenschaft, ja, vielleicht auch der Zärtlichkeit im Bande mit Symptomen körperlicher Begierde entgegen gesetzt wird. Die Lebhaftigkeit, die süße wollüstige Zärtlichkeit, worin der unterscheidende Charakter der sogenannten Freundschaft unter Personen von verschiedenem Geschlechte hier gesucht wird, ist weiter nichts als die Ueppigkeit des Körpers und der Seele; die feinere Geschlechtssympathie, welche mit ins Spiel kommt. [30]


Achtes Kapitel.
Unter welchen Personen Geschlechtszärtlichkeit und Freundschaft Statt finde.

Geschlechtszärtlichkeit findet Statt zwischen Vater und Tochter, zwischen Sohn und Mutter, zwischen Bruder und Schwester; und dabey brauchen der unnennbare Trieb oder die Lüsternheit des Körpers sich nicht deutlich zu melden. Die Empfindungen, die Aeußerungen der Zärtlichkeit zwischen diesen Personen, sind demohngeachtet sehr verschieden von der Zärtlichkeit zwischen Vater und Sohn, Mutter und Tochter, Bruder und Bruder, Schwester und Schwester.

Geschlechtszärtlichkeit findet Statt zwischen Ehegatten, die nicht mehr leidenschaftlich lieben; zwischen allen Personen, welche die völlige Befriedigung der Geschlechtssympathie zärtlich, aber ohne Gefühl der Unentbehrlichkeit genießen.

Geschlechtszärtlichkeit findet endlich Statt zwischen Personen, die im gemeinen Leben beyde für Männer oder beyde für Weiber gelten, wenn Geschlechtssympathie, oft gröber oder feiner, der prädominierende Trieb ist, der sie an einander kettet.

Unter jungen Leuten giebt es viele sogenannte Freundschaften, welche eher verdienten zur Geschlechtszärtlichkeit gerechnet zu werden, so unschuldig und edel auch die schmelzende Lebhaftigkeit ist, mit der sie an einander hängen.

Freundschaft kann dagegen auch Statt finden unter Personen, die zu verschiedenem Geschlechte äußern Kennzeichen nach gerechnet werden, wenn ihre innern Dispositionen dem Geschlechte nach ähnlich sind, und Sympathie mit dem Gleichartigen in ihrer Verbindung prädominiert. Doch darüber mehr im achten Buche.


Neuntes Kapitel.
Absonderung der Freundschaft und Geschlechtszärtlichkeit von andern liebenden und nicht liebenden Verhältnissen, mittelst Hinweisung auf die folgenden Bücher.

Die einzelne Aufwallung der Sympathie mit dem Gleichartigen oder der Geschlechtssympathie, begründen weder Liebe noch Anhänglichkeit. Nicht jede Anhänglichkeit, welche die eine oder die andere Sympathie zum Grunde hat, ist liebend. Nicht jede liebende Anhänglichkeit ist Vereinigung gleichartiger, oder Vermählung geschlechtsverschiedener Naturen. Endlich hat die Zärtlichkeit mehrere Grade von Wärme und Kälte, aber sie bleibt immer noch von Leidenschaft unterschieden. – Alles dieß ist theils schon deutlich durch dasjenige, was vorangegangen ist; theils wird es durch die folgenden Bücher mehr erklärt werden.


Zehntes Kapitel.
Freundschaft und Geschlechtszärtlichkeit setzen immer einen strebenden Zustand zum Voraus, wenn gleich die Verbündeten sich wechselseitig vereinigt glauben.

Ich habe vorhin Freundschaft und Geschlechtszärtlichkeit für ein Streben erklärt, gleichartige oder verschiedene Naturen zu vereinigen. Inzwischen werden oft beyde Nahmen von denjenigen Verbindungen gebraucht, worin die Liebenden von ihrer wechselseitigen Zärtlichkeit überzeugt sind, sich selbst als wirklich vereinigt ansehen, und in dieser Vereinigung auch von andern als eine zusammengesetzte Person betrachtet werden.

Der Zustand und die Verhältnisse einer solchen wirklich gelungenen Vereinigung verdienen noch eine besondre Bemerkung, theils um meine vorhin angegebene Erklärung zu rechtfertigen, theils um die Eigenheiten dieser Lage der beyden Liebenden unter einander, und gegen jeden dritten, etwas näher zu bestimmen.

Es scheint schon den Plato in Verlegenheit gesetzt zu haben, wie die Liebe den Charakter der Bestrebung beybehalten, und doch den Gegenstand derselben besitzen könne. Dem ersten Anblick nach sollte man auch wirklich glauben, daß der Charakter des Strebens bey dem erwachenden Gefühle der gelungenen Vereinigung wegfallen müsse, und daß daher die von mir gegebene Erklärung der Zärtlichkeit unrichtig sey, oder wenigstens nur so lange zutreffe, als der Liebende das Herz des Geliebten noch nicht gewonnen hat.

Allein der Charakter der geselligen Gefühle überhaupt besteht bereits in dem verweilenden Bestreben nach fortschreitender Ausbildung des Genusses eines gemeinschaftlichen Daseyns und Wohls mit einem uns angenäherten, aber von uns noch getrennten Wesen. In der Zärtlichkeit tritt die Ungenügsamkeit der Selbstheit hinzu. Das Streben nach immer engerer Vereinigung der Personen wird eben so wenig gesättigt, als das Streben nach immer wachsender Glückseligkeit unserer einzelnen Personen. Die Idee, daß der Gegenstand unserer Zärtlichkeit diese ganz theilt, daß unsere Schicksale aufs genaueste verkettet sind, daß wir in einem Genuß des Glücks zusammentreffen; diese Idee, sage ich, mag unser Bestreben nach Zusammensetzung der Personen noch so sehr begünstigen; – es kann nie völlig befriedigt werden, weil der Zweck, den wir vor Augen haben, keine Grenzen hat, und so weit ausgedehnt werden kann, als die Verhältnisse reichen, unter denen zwey Personen sich vereinigt und glücklich denken können. Die zusammengesetzte Person, das Paar der beyden zärtlich Verbündeten, hat eben den Umfang von Wünschen, eben die Ungenügsamkeit, wie der einzelne Mensch. Wann sagt sich dieser: ich wünsche nichts mehr? wie selten sagt er sich nur: mein Zustand genügt mir!

Es bleibt daher die von mir gegebene Erklärung der Zärtlichkeit auch dann stehen, wenn wir sie auf den Zustand und die Verhältnisse wirklich durch Zärtlichkeit vereinter Menschen, der zusammengesetzten Person, des Paars der Freunde, und der des Liebhabers mit der Geliebten, anwenden. Dieser Zustand ist immer Bestrebung, theils das erworbene Bewußtseyn ihrer vereinigten und wechselseitig beglückten Naturen zu bewahren; theils eine immer wachsende Ueberzeugung ihrer Vereinigung und ihres Glücks zu erhalten.

In so fern wir jedoch auf den Genuß, die Rechte und Pflichten der zärtlichen Liebe, so wie auf ihre Veredlung und Verschönerung Rücksicht nehmen, muß der Zustand und die Lage der einseitig zärtlichen, und der durch wechselseitige Zärtlichkeit zusammengesetzten Person, wohl unterschieden werden. Eine nähere Verkettung persönlicher Verhältnisse, ein ruhigerer Genuß von Wonne charakterisieren die begünstigte Zärtlichkeit, und die beyden Liebenden werden nun auch von jedem Dritten in manchen Rücksichten als eine Person angesehen, als ein Paar, das sich von allen Mitgesellschaftern und Mitbürgern absondert. Die Folgen, welche dieß nach sich zieht, werden im zweyten Theile dieses Werks näher entwickelt werden.

Fünftes Buch.
Von der Leidenschaft der Geschlechtsliebe. [31]


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Wenn wir von Kindheit auf das Bedürfniß fühlen, uns an ein gefühlvolles Wesen ganz und ausschließlich zu ketten; wenn die dunkle Ahndung einer mit uns für uns geschaffenen Hälfte, unsre einsamen Tage, einsam mitten im Getümmel der Welt, zu Jahren mißt; wenn bey dem ersten Strahl ihres endlichen Anblicks das Leben einer neuen Schöpfung für uns aufgeht; wenn die Unruhe des unbestimmten Sehnens sich in das deutliche Bewußtseyn der Unentbehrlichkeit des angebeteten Gegenstandes verwandelt; wenn wir ängstlich nach der Wonne der Vereinigung streben, alles aufopfern, selbst das Leben, für die Gewißheit, geliebt zu seyn; – und wenn wir sie nun haben, diese Gewißheit, unser Leben hingeben möchten, um sie immer und immer stärker zu empfinden; hingeben möchten, dieses Leben eher als die Ueberzeugung zu verlieren, an der allein der Werth unserer Fortdauer liegt; getrennt von dem Geliebten keine Wonne, kein Genügen, kein Dulden und kein Daseyn kennen; darum aufsuchen, darum gern genießen jede Freude mit ihm – darum gern entbehren, darum schmacklos finden jede Freude ohne ihn; – sinnen, träumen durch ihn; – weben, leben in ihm; – Ja! dann haben wir ein Herz für Leidenschaft; ja! dann fühlen wir im engsten Sinne Liebe!

Ha l’amore! sagt der Italiener mit der Rührung des Mitleidens. Ha l’amore! der Arme ist krank an Liebe! Mit stolzem Erbarmen sagt der Deutsche: Er ist verliebt; der Thor geht irre durch Liebe! Ach! und wohl ist Leidenschaft der Liebe Krankheit! Krankheit der Seele und des Körpers! Wohl ist sie eine Art von Wahnsinn! Ein fieberhafter Wechsel von Ueberspannung und Ermattung aller Lebensgeister, von finstrer Wuth und extatischer Entzückung! Mit einem Worte: ein Wechsel von Hölle und von Seligkeit! [32]


Zweytes Kapitel.
Semiotik, Zeichenlehre der Leidenschaft der Liebe. Erstes Merkmahl. Unbegreiflicher Werth, den wir auf den geliebten Gegenstand setzen.

Das erste Merkmahl der Leidenschaft der Liebe ist die unerklärbare Vorstellung, die wir uns von der Person des geliebten Wesens machen; der unbegreifliche Werth, den wir auf ein eben so unbegreifliches Etwas an ihm legen.

Man sagt: die Liebe sey blind! Und wahr ist es; sie sieht nur in gewissen Augenblicken, die bald vorüber gehen. Wir können nicht nachdenken über die Fehler des geliebten Gegenstandes, wir können seine Vorzüge nicht vergleichen, nicht erwägen, nicht anschlagen. Alles löset sich in die Empfindung auf: er ist für mich geschaffen! Laß einen Apoll, laß eine Venus vom Himmel kommen, und stelle sie bey dem Geliebten hin; der Gott ist ein Abstrakt von Talenten, so wie die Göttinn ein Abstrakt von Schönheit; sie haben unsere Bewunderung, aber unser Herz gehört dem Wesen, das mehr als Göttlichkeit, mehr als Talente und Schönheit, das jenes Etwas hat, das wir lieben.

Wer hat je leidenschaftlich geliebt, und nicht gefühlt, was es heißt, um sein selbst willen geliebt seyn wollen! Gefühl, das sich schlechterdings in keinen Begriff fassen, kaum einmahl andeuten läßt! Nicht um unsers Ruhms, nicht um unserer Tugend, nicht um unserer Schönheit willen geliebt seyn wollen; ja! nicht einmahl um unserer Zärtlichkeit und Treue, kurz, um der persönlichen Eigenschaften willen; was heißt es anders, als um etwas geliebt seyn wollen, das ohne allen Begriff, ohne alle Beziehung gefällt! Und so wie wir gefallen wollen, so gefällt uns der Geliebte!

Ach! so lange wir noch im Stande sind, ein Bild des Geliebten von seinem Selbst abzusondern, und unserm Selbst vorzustellen; so lange bleibt dem Liebenden die Besorgniß, daß ein anderer Gegenstand eben dieß Bild erwecken, vollständiger darstellen möge, und mit ihm ausgetauschet werden könne. Aber für den, der leidenschaftlich liebt, giebt es keine Schadloshaltung für den Verlust des Geliebten. Und wenn Gottes allmächtige Rechte an des Verlohrnen Statt ein vollkommen ähnliches Wesen schaffte, es wäre für den Weinenden immer nur ein Bildniß!


Drittes Kapitel.
Zweytes Merkmahl der Leidenschaft der Liebe; unbegreiflicher Unwerth, den wir auf unser abgesondertes Selbst setzen.

Eben so unbegreiflich als der Werth, den wir auf den geliebten Gegenstand setzen, ist der Unwerth, den wir auf unser abgesondertes Selbst legen.

Es scheint uns, wir müßten vergehen, wenn wir das Bewußtseyn des Daseyns und des Wohls des Geliebten verlören. Wir fühlen unser Daseyn, unser Wohl nur in ihm. Er wird das Haupt, er wird die Seele unsers Wesens: wir dienen ihm als untergeordnete Glieder, als Agenten seines Geistes. So wie Freud und Leid der Seele auf den Körper, als ihr niedrigeres Organ, zurückwirkt, so wirkt Freud und Leid, das der Geliebte empfindet, auf den Liebhaber zurück. Wo die Seele sich in Wonne fühlt, vergißt nicht da der Körper seine besondern Schmerzen; wo sie, die Seele, in Trauer versinkt, kann da der Körper auf sein Wohlbefinden achten? Wozu ist er da, als um ihr Genuß zu bereiten! Was sind seine Wollustgefühle, wenn die Seele diese nicht durch theilnehmende Wonne veredelt und erhöhet! Darum mag der Liebhaber keinen Genuß, den er nicht mit dem Geliebten theilt; darum rührt ihn unter den getheilten Freuden diejenige allein, welche der Geliebte davon hinnimmt! Ja, wenn das Glück des Geliebten mit dem gemeinschaftlichen Genusse nicht bestehen sollte, so entsagt ihm der Liebhaber, und lebt in der Empfindung fort, daß es dem besseren Theile seines Selbstes, seiner Seele wohl gehe!

Das heißt einen andern mehr lieben als sich selbst! Das ist es, was das Herz des Zuschauers, der sich ähnlicher leidenschaftlichen Aufopferungen fähig hält, unfehlbar zur Mitempfindung hinreißt; das ist es, worauf das Interesse aller Romane und Schauspiele von der zärteren Art beruht; das ist es endlich, was wir auch da bewundern, wo wir die Aeußerungen eines solchen Herzens, einer solchen Liebe, im kälteren Zustande kaum begreifen und kaum billigen mögen.

Darum lieben wir dich, St. Preux, wenn du dem Glück deines Lebens entsagt, um Julien die ruhige Selbstgenügsamkeit, welche Folge eines pflichtmäßigen Betragens ist, zu bereiten![WS 11] Darum bist du unserm Herzen so theuer, edles Mädchen, wenn du, überzeugt den Geliebten an deiner Hand nicht glücklich machen zu können, die seinige mit einer andern verbindest! Darum bist du uns so heilig, halbwahnsinniges Weib, wenn du in dem Bildnisse der glücklichern Nebenbuhlerinn noch diejenige mit Vergnügen betrachtest, die deinen Geliebten auf Kosten deiner beglücket.

Wie ihr euch selbst zertrümmert, damit aus euerm modernden Schutte das Glück des Geliebten aufsprosse! Wie ihr liebt; was ihr für ein Herz habt!

Viertes Kapitel.
Drittes Merkmahl der Leidenschaft der Liebe; das Unbegreifliche des Zwecks, wornach wir streben.

Alle Anhänglichkeit hat einen Zweck, aber die Leidenschaft hat keinen. Was leidenschaftlich Liebende von einander wollen, das wissen sie nicht; was sie durch einander beglückt, das ist ihnen unbegreiflich! Sie wollen bey einander seyn unaufhörlich; auf einander einwirken in grenzenloser Ausdehnung und mit unermeßlicher Stärke. Das fühlen sie. Aber warum? Wozu? Darum fragen sie sich nicht, und wenn sie sich darum fragen, so beantworten sie es nicht.

Leidenschaft der Liebe strebt nach allem, worin Körper und Seele nur immer vereinigt gedacht werden mögen, ohne allen andern weitern Genuß, ohne allen weitern Vortheil; bloß um des Bewußtseyns willen, daß zwey Wesen eins sind.

O Geliebte! welche geheime Kraft entfärbt mein Antlitz, wenn ich dich nur von fern erblicke; welcher Zauber läßt mich deine Gegenwart ahnden, ohne dich zu sehen und zu hören, und treibt mein Blut mit Ungestüm aus meinen Adern dir entgegen. Fühlt denn mein Körper den Zusammenhang mit dir ganz unabhängig von der Mitwirkung der Seele? Und wenn sie, die Seele, es ist, welche die Vorstellung der Nähe allein mit Wonne erfüllt, wie unerklärbar ist auch ihr Zusammenhang mit deinem Wesen! Was hat denn meine Seele davon, daß ich so gern die Luft einathme, die unser beyder Körper im gemeinschaftlichen Raume umfließt? Warum entzückt mich das bloße Geräusch deiner Tritte, die sich nicht zu mir wenden, der Ton deiner Stimme, die nicht zu mir redet; ja, das bloße Licht, das dich umscheint, und aus fernen Fenstern mir entgegen strahlt! Warum ist die Welt für mich in zwey Theile getheilt, deren einer ausgefüllt ist mit deiner Gegenwart, der andere sich in ewiger Leere vor meinen Blicken verliert? Warum fährt mitten im Bewußtseyn, daß ich bey dir bin, dennoch meine Hand konvulsivisch auf, den Saum deines Gewandes zu zupfen? Warum ermüde ich nie, voll von der Ueberzeugung, von dir geliebt zu seyn, die stete Versicherung deiner Liebe zu hören? Warum befriedigt die engste Vereinigung, die sich zwischen Körpern und Seelen denken läßt, nie die unaufhörliche, grenzenlose Sehnsucht nach immer engerer Vereinigung?

Ach! derjenige, der leidenschaftlich liebt, hat eine unbestimmte Unruhe, eine dunkle Ahndung von tausend nie zu befriedigenden Wünschen, die sich alle in das zwecklose Streben nach steter Vereinigung und nach steter Einwirkung auf den geliebten Gegenstand auflösen. Er fühlt vielleicht, er geht dabey zu Grunde; er fühlt zuweilen, seine edelsten Kräfte, seine rühmlichsten Bestrebungen schwinden dahin; der schönste Genuß der Freundschaft und ruhiger Zärtlichkeit, die lockendsten Plane auf Ruhm, Vermögen und häusliches Glück, gehen verloren. Und das alles opfert er auf für die Vorstellung: Eins zu werden; für ein Hirngespinnst, das der Liebende selbst dafür erkennt, das er sogar mit Hülfe der Phantasie nicht einmahl als ein klares Bild fassen kann. An diese Chimäre ist er angezaubert, in diesen Kreis von Begünstigungen, die allemahl wieder zu neuen Reitzen werden, ist er gebannt. So muß er zugleich was er will! Nicht äußere Verhältnisse zwingen ihn, aber die Herrschaft eines Lieblingstriebes, der über alle andere unumschränkt regiert.


Fünftes Kapitel.
Absonderung der leidenschaftlichen Aufwallung von der Leidenschaft selbst.

Leidenschaft setzt einen Zustand heftiger Bewegung unserer Reitzbarkeit zum Voraus. Darin ist man allgemein einverstanden. Aber wenn wir nicht alle Begriffe verwirren, und ganz verschiedene Zustände unsers Wesens mit einerley Nahmen bezeichnen wollen; so müssen wir nothwendig den einzelnen leidenschaftlichen Moment von der Leidenschaft, und in dieser wieder die Zeit ihres Strebens von der ihrer Beendigung durch völlige Ausführung oder Verzweiflung unterscheiden.

Lauter verschiedene Bewegungen unsers Wesens! – Jeder heftige Ausbruch einer Begierde ist ein leidenschaftlicher Moment, aber er ist darum keine Leidenschaft. Und selbst während dieser letzten sind die beyden Perioden, worin wir zugleich fürchten und hoffen – und nichts mehr zu fürchten und zu hoffen haben: das Streben der Sehnsucht, und wieder ihre Stillung durch Sättigung des Genusses, oder Ermüdung des vergeblichen Nachstrebens, ganz verschieden in ihren Wesen und in ihren Wirkungen.

Leidenschaft setzt einen Zustand heftiger aber anhaltender Sehnsucht zum Voraus, die sich durch ihre Dauer noch verstärkt, und in ihrer Höhe alle Kräfte unsers Wesens nach Erlangung eines Gegenstandes hinspannt.

Man hat längst bemerkt, daß in jeder Leidenschaft etwas von Wahnsinn liege, und daß sich die Ideen und Gefühle bey uns figieren. Leidenschaft setzt die Wirksamkeit solcher Triebe in uns zum Voraus, deren Befriedigung uns mit Wonne erfüllt; der Gegenstand muß von der Art seyn, daß wir ihn wollen, daß wir darnach streben würden, wenn wir durch keinen äußern Beweggrund getrieben würden. Wer bloß durch physische oder moralische Nothwendigkeit gespornt wird, nach einem gewissen Zustande zu streben, der ihm außerdem gleichgültig oder unangenehm seyn würde; wer sich aus Hunger, nach unschmackhaften Speisen; aus Furcht, nach einem sichern aber höchst unangenehmen Aufenthalte; aus Zwang, nach qualvoller Beendigung einer Arbeit sehnt; der handelt zwar leidenschaftlich, d. h. seine Aeußerungen ähneln den Wirkungen der Leidenschaft; aber er fühlt nicht, was Menschen im Stande der Leidenschaft fühlen: er handelt nicht aus Leidenschaft.

Demohngeachtet deutet schon der Nahme auf Leiden, auf Bedürfniß hin. Und so ist es in der That! Wir fühlen in der Leidenschaft die Unentbehrlichkeit einer gewissen Wonne. Der innere Reitz des Zustandes, in den wir zu gelangen streben, hat uns überwältigt. Wir wollen nicht mehr dasjenige, was wir auch frey wählen würden, wir müssen wollen, was wir vermöge der Herrschaft unserer Triebe nicht anders können.

Also ist Leidenschaft die figierte Sehnsucht nach einer gewissen Wonne, die wir zu unserm Daseyn und Wohl unentbehrlich fühlen.

Alle diejenigen Begierden, deren Befriedigung Wonne gewährt, sie mögen höchst selbstisch oder liebend seyn, können zur Leidenschaft werden. Darum giebt es eine Leidenschaft des Hasses, – die eigennützigste unter allen, indem wir nach der Wonne streben, uns an dem Verderben, an der Erniedrigung, an der Ausschließung anderer zu weiden; – des Hasses mit allen seinen Modificationen, des Neides, der Eifersucht, u. s. w. Es giebt eine Menge selbstischer Leidenschaften: des Geitzes, der Ruhmbegierde, nach sinnlichen Vergnügen, nach geistiger Unterhaltung, nach Erkennen, Wissen, Wirken. – Aber es giebt auch liebende Leidenschaften: der Menschenliebe, der Vaterlandsliebe, der Dienertreue, der Herrengüte, der Freundschaft, der Aeltern- und der Geschlechtsliebe.

Verschieden von dem Begriffe der Leidenschaft, so wohl der liebenden als der hassenden, in dem eben angegebenen Sinne, ist, wie gesagt, die einzelne leidenschaftliche Aufwallung, der einzelne leidenschaftliche Akt, dergleichen der Zorn und das Mitleiden häufig darbieten. Alexander, der seinen Freund im Zorn erstach, handelte leidenschaftlich; aber die Begierde, ihm zu schaden, die Wonne, ihn vertilgt zu sehen, war bey ihm keine figierte Stimmung, ohne welche er nicht bestehen zu können geglaubt hätte. Der Herzog Leopold, der aus Mitleid sein Leben den Fluthen opferte, um einige Unglückliche aus der Gefahr des Ertrinkens zu retten, handelte leidenschaftlich; aber es war keine Leidenschaft, die ihn dazu antrieb. Es würde ihn geschmerzt haben, sie verloren zu wissen; aber es ist höchst glaublich, daß er ihren Verlust bald verschmerzt haben würde, wenn er selbst den Fluthen entkommen wäre. Man setze an die Stelle der unbekannten Unglücklichen, die er retten wollte, die Herzensgeliebte des Herzogs, um den Unterschied zu fühlen!

Aber selbst in der Leidenschaft unterscheide ich den Zustand der dauernden Ausfüllung und Entzückung, worin wir, ohne weiter etwas zu wünschen oder zu fürchten, nur genießen, und den Zustand der dauernden Verzweiflung, worin wir, ohne weitere Hoffnung leiden, – von dem Zustande des hoffenden Strebens und des Gelingens, der mit weitern Wünschen und mit Besorgnissen des Verlustes verknüpft ist. Dieser letzte Zustand ist eigentlich Leidenschaft: hier erhöht die Mischung des Gefühls der Unentbehrlichkeit mit den Gefühlen der Wollust oder Wonne unsere Begierden: hier ist Bedürfniß mit Genuß, Qual mit Vergnügen verbunden.

So wie ich also hier Leidenschaft betrachte, ist sie ein anhaltender Zustand des Strebens und des Ueberwindens; des Hoffens auf eine künftige Befriedigung, der Besorgniß, daß das Erlangte verloren gehen möge, und des Sehnens nach einer fortschreitenden Ausbildung des Genusses.


Sechstes Kapitel.
Anwendung dieses Begriffs der Leidenschaft auf die Liebe, besonders auf die Geschlechtsliebe.

Die Leidenschaft ist liebend, wenn der Begriff einer wonnevollen Bestrebung nach der Ueberzeugung von dem Glück eines andern Menschen außer uns auf sie zutrifft. Dieß geschieht unstreitig dann, wenn wir ganz aus unserm Selbst heraus in den andern überzugehen wünschen, und unser Schicksal durch das seinige bestimmen lassen. Niemand wird für sich selbst Unzufriedenheit und Unglück begehren, folglich auch nicht für denjenigen, in den er sich ganz zu verwandeln, dessen Eigenschaften und Beschaffenheiten er sich ganz anzueignen strebt.

Die liebende Leidenschaft unterscheidet sich also von dem einzelnen liebenden Affekte und der liebenden Anhänglichkeit nur durch den Charakter der Leidenschaft, durch das Gefühl der Unentbehrlichkeit der Wonne, den Geliebten glücklich zu wissen, zu unserm Daseyn und Wohl. Das Gefühl des Bedürfnisses, der Nothwendigkeit, gesellt sich zu dem Wonnegefühle der Ueberzeugung, daß es dem andern wohl geht.

So macht denn das unwillkührliche, von allem äußern Zwange und aller Ueberlegung unabhängige Streben nach der Ueberzeugung, daß ein anderer Mensch sich glücklich fühle, das Wesen der Liebe in allen ihren verschiedenen Verhältnissen aus. Aber freylich, bey der Leidenschaft ist es nicht Zweck, es ist Folge des Strebens nach gänzlicher Verwebung unsers Wesens mit dem Wesen eines andern Menschen. Wo hingegen die Vereinigung mit der Person als ein Mittel aufgesucht wird, Triebe des Hasses, der Furcht, der Mißgunst, kurz, des Eigennutzes überhaupt zu befriedigen; da ist keine Liebe vorhanden. Man darf nur an die Wirkung derjenigen Eifersucht denken, welche auf bloßer Eitelkeit beruht, und eben so wohl zur steten Annäherung, ja, zur äußersten Aufopferung gegen Gattinnen zwingt, die nach vorübergegangener Gefahr, daß sie einem fremden Liebhaber zu Theil werden könnten, Gegenstände der Gleichgültigkeit oder des Hasses für den selbstischen Gatten werden. Seine Leidenschaft beruht auf dem bloßen Bedürfnisse der Mißgunst. Aehnliche Beyspiele höchstselbstischer Leidenschaften, welche den Anschein der liebenden haben, wird das künftige Buch aufstellen und entwickeln. Das deutlichste Merkmahl, daß wir einer liebenden Leidenschaft huldigen, ist dieß: wenn wir die geliebte Person nicht so wohl in unsere Persönlichkeit ganz aufzunehmen, als die unsrige in ihre Person zu übertragen streben, und noch Wonne an ihrem Wohl empfinden, wo das erste uns mißlingt.

Ich habe es schon gesagt, und ich muß es hier wiederholen: jede Art von Trieben kann sich zuweilen leidenschaftlich äußern: die Zärtlichkeit der Freunde und der Gatten und der Eltern für ihre Kinder kann zuweilen leidenschaftliche Aufwallungen darbieten, obgleich die Verbindung, nach der größern Summe der Momente während ihrer Dauer berechnet, gar nicht zur Leidenschaft gezählt werden darf. Wir finden sogar leidenschaftliche Aufwallungen zwischen Personen, die gewöhnlich gleichgültig gegen einander sind. Z. B. bey einer Mutter, die vielleicht Jahre lang des Anblicks ihres Kindes ungerührt entbehrt, und in dem Augenblicke der Gefahr sich dem Tode muthig entgegen wirft, um es zu retten. Dergleichen Aufwallungen beweisen nichts für das Daseyn einer liebenden Leidenschaft: sie beweisen nicht einmahl etwas für das Daseyn der Liebe. Es muß eine anhaltende Stimmung zur Aufopferung des abgesonderten Daseyns seyn, welche keiner besondern Veranlassung bedarf, um sich wirksam anzukündigen, wodurch das Wesen der liebenden Leidenschaft begründet wird.

Freylich ist es unmöglich, daß der Mensch lauter leidenschaftliche und liebende Affekte während der ganzen Dauer des Verhältnisses hege. Aber die Summe der prädominierenden Momente giebt der Periode seines Lebens im Ganzen den Charakter.

Jede zärtliche Anhänglichkeit kann zur liebenden Leidenschaft werden, so wie überhaupt jede dauernde Neigung zu einem bestimmten Gegenstande. Inzwischen scheint die Zärtlichkeit fürs andere Geschlecht, wenn sie zur Leidenschaft wird, doch etwas Eigenes und Ausgezeichnetes zu haben. Keine kann sich mit ihr an Umfang der Wirksamkeit, womit sie unsere ganze aus Körper und Seele und äußern Verhältnissen bestehende Person umfaßt, vergleichen. Bey keiner ist die Stärke der Wirksamkeit, womit sie uns zu Aufopferungen auffordert, so gewöhnlich. Das leidenschaftliche Streben in der Geschlechtsliebe ragt daher unter allen leidenschaftlichen Stimmungen als das Höchste und Gewöhnlichste hervor, und nach ihm wird alles ähnliche Streben berechnet. Da auch die Rührung des Herzens und die liebenden Affekte auf dieser Stufe am deutlichsten nach außen wirken, und die häufigsten und stärksten Aufopferungen unserer niedrigen Selbstheit zeigen; so wird die Fähigkeit zum leidenschaftlichen Streben nach zärtlicher Verbindung mit dem andern Geschlechte vorzugsweise das Herz, so wie der Zustand, den dieß Streben hervorbringt, vorzugsweise Liebe genannt.


Siebentes Kapitel.
Endlicher Begriff der Leidenschaft der Liebe.

Leidenschaft der Liebe, oder Liebe in der höchsten Bedeutung des Worts ist: figierte Sehnsucht nach der unentbehrlichen Wonne, das Bewußtseyn meines Selbstes, unter dem Bilde des Selbstes eines andern Menschen zu erhalten.

Hier ist also mehr als Zusammensetzung der Personen durch Vermengung oder Vermählung der Naturen; hier ist Uebertragung unsers ganzen Wesens in das Wesen eines andern endlicher Zweck der Bestrebung. Wir sehnen uns, aus Bedürfniß und mit Wonne das Bewußtseyn unserer abgesonderten Persönlichkeit zu verlieren, und uns als unzertrennliche Adhärenz der Person eines andern zu fühlen. Wir wollen und wir müssen der Körper seyn, den der geliebte Mensch als Seele belebt: oder wir wollen, wir müssen gar sein Gemüth, sein Geist seyn, in dem er als das letzte Ich hauset; kurz, wir wollen, wir müssen seine Person seyn: seine Seele, sein Körper, seine Verhältnisse, sein ganzes Selbst.


Achtes Kapitel.
Davon ist liebende Anhänglichkeit, mit leidenschaftlichen Aufwallungen verknüpft, verschieden.

Von dieser Leidenschaft der Liebe ist diejenige liebende Anhänglichkeit verschieden, in der sich mehr oder weniger leidenschaftliche Aufwallungen einfinden. Je häufiger diese eintreten, und je anhaltender sie wirken, um desto mehr nähert sich freylich dieser Zustand der Leidenschaft; je seltener und je vorübergehender sie sind, um desto mehr nähert sich die Stimmung unsers Wesens der ruhigen Zärtlichkeit. Aber immer unterscheidet sich doch die eigentliche Leidenschaft der Liebe von der Zärtlichkeit, die oft leidenschaftlich wirkt, wie der Zustand einer förmlichen Krankheit von dem Zustande einer bloß schwankenden Gesundheit. Denn wahr ist es und bleibt wahr: Leidenschaft ist allemahl Krankheit unsers Wesens, so wie leidenschaftliche Aufwallung Unpäßlichkeit. Jene wird nicht leicht entstehen oder fortdauern, wo die Liebenden durch ihre wechselseitige Neigung und durch äußere Verhältnisse in ihrem Streben nach Vereinigung begünstigt werden. Die leidenschaftlichen Aufwallungen können auch in der glücklichsten Verbindung ihre Macht äußern.


Anhang zum fünften Buche.

Erster Excurs.
Ueber die Entstehungsart der Leidenschaft der Liebe.

Billig fragt man: wie entsteht die Leidenschaft der Liebe? Die Beantwortung dieser Frage ist um so wichtiger, da von ihr die Beantwortung jener andern abzuhängen scheint: ob es in unserer Gewalt stehe, uns zu verlieben, ob diese Leidenschaft plötzlich erwachen könne, und wie sie endige?

Aus der Darstellung, die ich von der Liebe als Leidenschaft gegeben habe, erhellet, daß eine doppelte Anlage dabey vorausgesetzt werden müsse. Wir müssen das Bewußtseyn unserer Person unter dem Bilde einer andern Person aufnehmen können; und das Streben nach dieser Art des Bewußtseyns von unserer Person muß bey uns stets herrschend werden können.

Von diesen beyden Anlagen nenne ich die eine die Selbstverwandlungskraft, die andere[WS 12] die Figierungskraft.

Es ist oben von der Aneignungskraft der Geister, und dem Zustande ihrer gelingenden Wirksamkeit, den ich Besessenheit genannt habe, weitläuftig gesprochen. Selbstverwandlungskraft ist ein höherer Grad derselben. Sie zeigt sich bey gewissen Krankheiten und beym Wahnsinn am auffallendsten, und beruht auf einer Verirrung desjenigen Vermögens in uns, welches wir anwenden, um das Bewußtseyn unsers Selbstes zu erhalten.

Die Selbstverwandlungskraft äußert sich, wenn wir die Verhältnisse, worin die sinnlichen Eindrücke der Körper, und die Bilder der Seele zu unserm Selbst stehen, dergestalt vergessen, daß wir die Trennung zwischen diesem unserm Selbst und jenen Eindrücken und Bildern nicht weiter anerkennen. Wir erhalten das Bewußtseyn unserer Existenz und unsers Wohls mit derjenigen Modification, welche ihm die Eigenheiten der Gegenstände geben, die auf uns eingewirkt haben, und glauben dasjenige zu seyn, was von außen auf unsern Körper wirkt, oder als ein Bild, zwar in unserm Kopfe, aber doch noch getrennt von unserm Selbst, erscheinen sollte.

Die Beyspiele von Menschen, welche sich in Glas, Steine, Strohhalme, kurz, in solche Körper, welche am wenigsten mit dem unsrigen verwechselt werden können, verwandelt glaubten, sind eben so häufig, als die solcher Menschen, welche sich in Könige, Götter, kurz, in Bilder von Personen verwandelt haben, deren Verhältnisse in der auffallendsten Verschiedenheit von den ihrigen standen.

Dieser Zustand ist unstreitig Wahnsinn, wenn er in seiner größten Vollständigkeit anhaltend empfunden wird; inzwischen dürften wenig Menschen seyn, die nicht auf Augenblicke diesen Zustand in ihrem Leben vollkommener oder unvollkommener erfahren haben sollten. Gewisse Aeußerungen des Genies lassen sich ohne diese Selbstverwandlungskraft nicht denken, und vielleicht dürften wenig Meisterstücke der schönen Künste ohne ihre Mitwirkung verfertigt seyn.

Demungeachtet ist sie mit der bloßen Begeisterung, mit dem Enthusiasmus, mit der Verblendung der Phantasie, mit der pathetischen Illusion, und endlich sogar mit der schwärmerischen Aneignung der Geister oder Besessenheit noch keinesweges einerley. Sie scheint nur mit ihnen verwandt, und der höchste Grad von Stärke desjenigen Vermögens zu seyn, welches bey allen diesen Zuständen zum Grunde liegt.

Begeisterung, ich habe es bereits gesagt, ist die Erhöhung der Phantasie, welche die vorgestellten Gegenstände außer uns durch ungewöhnlich lebhafte Bilder unserm Gemüth äußerst nahe bringt. Enthusiasmus, Schwärmerey entsteht aber, wenn eben diese Bilder zugleich unserm Herzen, der Summe herrschender Triebe in uns, auf eine ungewöhnliche Art nahe gebracht werden. In beyden Fällen nehmen wir gern etwas Geistiges von den Bildern an: ihre Lebhaftigkeit, ihr Feuer, oder eine oder die andere Eigenheit, welche sie auszeichnet, und wodurch wir uns wieder auszuzeichnen hoffen. Aber nicht leicht wird die Trennung des begeisternden und enthusiasmierenden Gegenstandes von unserm Selbst vergessen. So begeistert uns zwar die Vollkommenheit einer Statue, eines Gedichts; so enthusiasmieren wir uns, so schwärmen wir zwar für diese Vollkommenheit, wenn sie zugleich einen gewissen ästhetischen Grundsatz, der von unserer Erfindung ist, bestätigt, oder uns das Bild einer Geliebten, einer Situation, welche den Gegenstand unserer Wünsche in der Wirklichkeit ausmacht, ungewöhnlich auffallend darstellt; aber der begeisterte oder enthusiasmierte Beschauer sagt sich nicht: der Körper dieser Statue ist der meinige; ich bin der dargestellte Held in dieser Situation.

Die Verblendung der Phantasie, vermöge deren wir Bilder, die in unserm Kopfe existieren, für wirklich äußere Gegenstände halten, ist gleichfalls mit der Selbstverwandlung keinesweges einerley. Wer eine Erscheinung, ein Gespenst zu sehen glaubt, betrachtet das Bild seines Gehirns als etwas körperliches, das sich von andern Körpern und von seinem Kopfe absondert, und ein für sich bestehendes Wesen annimmt. Er verwechselt die Verhältnisse, worin Körper und bloße Bilder seines Kopfes zu einander, und zu seinem Selbst stehen. Aber wer sich in Glas und Stroh, in einen Gott, in einen Helden verwandelt glaubt, der erkennt keine Trennung, keine Absonderung an, der sieht sich selbst in einer veränderten Gestalt.

So ist auch die pathetische Illusion von der Selbstverwandlung verschieden. Wir können bey der Vorstellung eines Trauerspiels, und noch mehr im gemeinen Leben, dergestalt durch das Leiden oder durch die Freude anderer gerührt werden, daß wir unsere Lage mit der ihrigen verwechseln, und wirklich glauben, wir hätten Ursach, unmittelbar zu trauern, oder uns unmittelbar zu freuen. Allein so geschickt diese pathetische Illusion auch seyn kann, die Selbstverwandlung zu befördern; so ist sie doch keinesweges ein und derselbe Zustand. Wir eignen uns nur ähnliche äußere Verhältnisse mit der Person, an der wir Antheil nehmen, an: nicht ihre Person, nicht ihren Geist, nicht ihren Körper, nicht ihr engeres Selbst.

Dagegen hat die Selbstverwandlung mit der Besessenheit, oder schwärmerischen Aneignung der Geister, eine größere Aehnlichkeit. Sie unterscheiden sich nur dadurch von einander, daß der Besessene den Geist des Gegenstandes, der ihn begeistert, in sich aufnimmt, und sich von diesem beseelt glaubt; der Selbstverwandler nimmt aber auch den Körper und alle Verhältnisse des begeisternden Gegenstandes in sich auf; er sieht sich an, als ob er sein ganzes persönliches Wesen verlassen hätte, um sich in der Persönlichkeit des andern zu verlieren.

Die Besessenheit empfindet oft der Künstler, der einen Helden auf dem Theater darzustellen hat. Die Idee des Außerordentlichen, des Ungewöhnlichen, verbunden mit der Eitelkeit, so zu scheinen, kann wirklich seine Natur auf eine Zeitlang verändern, und ihn überzeugen, daß er von Cäsars oder Richards Geist beseelt werde. Allein so weit schreitet dieser Zustand doch selten vorwärts, daß die Akteurs wirklich römische Dictatoren, oder Englands Könige mit ihrem Körper und mit allen ihren Verhältnissen zu seyn wähnen.

Beyde, die Besessenheit und die Selbstverwandlung, können auch aus ganz verschiedenen Ursachen entstehen. Die erste wird nur da erweckt, wo wir ein Wohlverhältniß zwischen der Inferiorität unsers Geistes und der Superiorität eines andern fühlen, zu dem wir uns hinaufzuheben hoffen. Aber der Selbstverwandlungstrieb entsteht sehr häufig aus ganz zufälligen Ursachen. Sehr oft halten wir uns in dasjenige verwandelt, was gerade der Gegenstand unsers Widerwillens und unsers Abscheues gewesen ist. Ein heftiger Schrecken, der einen Candidaten überfiel, als ihn sein Examinator, ein furchtbarer Orthodox, der Heteroxie beschuldigte, hatte die Wirkung, daß der Erschrockene sich gerade in seinen Feind verwandelt glaubte, und fortan wie dieser dachte, sprach und handelte. Die gleichgültigsten Dinge, welche gerade das letzte Bild in der Seele erweckt, den letzten sinnlichen Eindruck auf uns gemacht haben, als eine heftige Erschütterung in unserm Wesen erfolgte, modificieren forthin das Bewußtseyn, das wir von unserm Selbst aufnehmen. Wir werden zum Strohhalme, zum Glase, halten uns zerbrechlich wie diese, weil wir gerade, als der Donnerschlag zu unserer Seite niederfiel, einen Strohhalm zermalmt, ein Glas zerschmettert erblickten, und dieß das letzte Bild, der letzte sinnliche Eindruck war, der mit in unsere zerrüttete Maschine überging.

Viel häufiger ist inzwischen der Fall, daß wir uns in dasjenige verwandelt glauben, was wir mit körperlicher Lüsternheit oder Lüsternheit der Seele begehren. Daher die so häufige Erfahrung, daß ehrgeitzige Menschen, wenn sie verrückt werden, in Könige, Minister, Personen der Gottheit; daß Menschen von heißem Blute in den Gegenstand ihrer Begierden verwandelt zu seyn glauben. – Beyde, die gewaltsame Erschütterung und die Lüsternheit, können aber auch zusammen wirken. Der Gegenstand unserer Begierde kann zugleich die Veranlassung einer Ueberspannung unserer Organisation und starker Leiden des Gemüths seyn, und sein Bild kann dann aus diesem doppelten Grunde so lebhaft in unserer Seele werden, daß wir die gehörige Beurtheilung des wahren Verhältnisses, worin es zu unserer Seele steht, verlieren, und uns mit ihm verwechseln.

Selbstverwandlung ist also von Begeisterung, Schwärmerey, Verblendung der Phantasie, pathetischer Illusion und Besessenheit, dem Grade der Wirksamkeit unserer Phantasie und Versetzungskraft nach, verschieden. Wo sie vollständig ist, und dauernd wird, da ist völlige Verwirrung des Gemüths, vollständiger Wahnsinn vorhanden. Alsdann hört auch alle Leidenschaft auf; unsere Sehnsucht nach Vereinigung wird durch Ausfüllung gestillt.

Es giebt aber einen Mittelzustand zwischen dem Gebrauch unserer Vernunft und dem Zustande des Wahnsinns. Wir können nur nach jenem Zustande der Selbstverwandlung streben, und es kann uns nur auf Augenblicke und in einem gewissen Grade gelingen, darein zu gerathen. Dieß ist denn der Fall in der Leidenschaft der Liebe zum andern Geschlecht, aus Gründen, die sogleich angeführt werden sollen, wenn ich vorher die Eigenheiten der Figierungskraft entwickelt haben werde.

Daß unsere Kräfte überhaupt, so wohl die des Körpers, als die der Seele, einer gewissen Ueberspannung fähig sind, so daß sie die Richtung, welche sie eine Zeitlang, oder durch eine starke Anstrengung auf einmahl erhalten haben, lange und so dauernd behalten, daß sie sobald nicht wieder in ihre vorige Lage zurückkommen können, bedarf kaum eines Beweises.

Wer lange in die Sonne gesehen hat, behält, nachdem die Ursach gehoben ist, die Empfindung des Strahls bey, und glaubt noch in die Sonne zu sehen, ob er es sich gleich wohl bewußt ist, die Augen weggewandt zu haben. Ist der Eindruck des Scheins sehr heftig gewesen, so mag er sein ganzes Leben hindurch das Flimmern vor den Augen fühlen. Mit dem Gehöre verhält es sich eben so. Man höre lange eine Tanzmusik an; man gehe nach Hause, die Musik summset noch lange nachher in den Ohren. Durch eine heftige Erschütterung des Trommelfells kann man das ganze Leben hindurch ein Brausen in den Ohren behalten. Wer sich lange eingepreßt gefühlt, oder lange etwas in der Hand gehalten hat, glaubt eine Weile nachher noch die Pressung zu empfinden. Den Antheil den die Phantasie daran hat, will ich hier nicht bestreiten. Inzwischen ist es gewiß, daß die bloße Afficierung der Nerven gleichfalls den Betrug unserer Sinne bewirken könne. So erscheint in unsern Augen der Schein des Lichts, wenn unsere Zunge durch Belegung mit gewissen elektrischen Körpern gereitzt wird, oder wenn ein unmittelbarer Druck auf unser Gehirn erfolgt. Mithin wird an der Figierung sinnlicher Eindrücke wahrscheinlich der Körper eben so viel Antheil haben als die Phantasie.

Die Figierung unserer Ideen, so daß ein gewisses Bild auch ohne besondere Veranlassung häufig und anhaltend in unserm Geiste aufsteigt, und mit Lebhaftigkeit auf den Verstand und das Herz wirkt, ist die bekannteste aller Erfahrungen. Daß aber auch gewisse Reitzungen unsers Herzens bey uns figiert werden mögen, häufig als Rührungen wiederkommen, und diejenigen Vorstellungen und Bilder, mit denen wir sie zuerst gehabt haben, jedesmahl wieder erwecken, dürfte eher bezweifelt werden. Es ist inzwischen nichts gewisser. Wir fühlen uns oft traurig, mißvergnügt, oder heiter, fröhlich; und mit dem Tone unserer Reitzbarkeit, welcher uns gewöhnlich geworden ist, steigen die Bilder, welche diesen Zustand oft oder stark erweckt haben, wieder in uns auf. Der Hypochondrist giebt davon den unläugbarsten Beweis. Sein Physisches wirkt auf die Reitzbarkeit seiner Seele; er ist gewöhnlich zur Traurigkeit gestimmt, und diese macht, daß er diejenigen Vorstellungen nicht los werden kann, welche er zufällig während der körperlichen Schmerzen gehabt hat, und sehr oft mit seiner Traurigkeit in keiner weitern Beziehung stehen. Oft erhält er sogleich mit der Erleichterung seines Physischen Vorstellungen von ganz verschiedener Art, so daß er selbst über den Antheil lachen muß, den er an den vorigen genommen hat. Eben so können vermöge einer gewissen Stimmung der Seele zur Traurigkeit oder zur Heiterkeit, lauter analoge Bilder in uns aufsteigen. Darum sieht der Arme, der Bedrängte, alles, was auch in keiner genauen Beziehung mit seinem Zustande steht, im schwarzen; der Heitere hingegen alles im Rosenlichte.

Folglich können unsere physischen und Seelenkräfte eine solche Richtung erhalten, daß sie zu gewissen physischen Gefühlen und Bestrebungen, zu gewissen Bildern und Vorstellungen und davon abhängenden Reitzungen unsers Herzens, ja, zu gewissen anhaltenden Stimmungen des Gemüths ohne vorgängige besondere Vorstellung, oder ohne vorgängigen besondern sinnlichen Eindruck, eine solche Fertigkeit bekommen, daß wir selten das Bewußtseyn unsers Selbstes erhalten, ohne uns jener physischen Gefühle und Bestrebungen, jener Ideen und Aufwallungen des Herzens mit bewußt zu werden.

Dieß ist die Wirksamkeit der Figierungskraft. Sie so wohl, als die Verwandlungskraft, werden beyde auf eine doppelte Art in Bewegung gesetzt. Entweder, indem unsere physischen und Seelenkräfte auf Ein Mahl überspannt werden; oder, indem wir nach und nach ihnen eine nicht leicht wieder abzulegende Richtung geben. Nicht anders, wie wirkliche Schnellfedern entweder auf Ein Mahl überspannt, oder nach und nach zu einer gewissen dauernden Richtung hingebeuget werden können. Eine heftige Betrübniß, ein gewaltsamer Unmuth, können den Menschen eben so gut für beständig traurig und menschenfeindlich machen, als häufige kleine Versagungen und geringer, aber anhaltender Verdruß. Eben so können Menschen durch Schrecken nicht minder in die Lage kommen, sich in Gegenstände außer sich verwandelt zu glauben, als durch häufiges Sinnen und Nachdenken über den nehmlichen Gegenstand. Liegt der Fehler gar in der innern Konstitution, so kann der Krankheitsstoff sich eben so wohl plötzlich als nach und nach entwickeln, und unser Wesen auf einige Zeit, oder auf immer verrücken.

Wenn die Verwandlungs- und Figierungskraft, beyde in ihrer völligen, stärksten, ausgebreitetsten Wirksamkeit zusammentreffen; wenn der Mensch sich ganz in den Gegenstand außer sich, und zwar jedesmahl, wenn er das Bild von seinem Selbst aufnimmt, verwandelt wähnt, so ist vollkommener Wahnsinn vorhanden. Allein dieser Fall ist äußerst selten, und so giebt es der Grade des Wahnsinns unendlich viele. Man kennt Menschen, welche im Durchschnitt ihres Lebens vernünftig sind, und nur unter gewissen seltenen Verhältnissen an solche mit ihnen vorgegangene Verwandlungen glauben. Wieder giebt es Menschen, die nur gewisse Eigenheiten von andern Gegenständen außer sich in das Bild von ihrem Selbst aufnehmen. Wieder andere, die gar nichts von Verwandlung wissen, und bey denen nur gewisse Ideen und Bestrebungen figiert sind, so daß sie entweder beständig an einem Bilde hängen, oder nur zu gewissen Zeiten durch alle Gründe der Vernunft nicht davon abzubringen sind. Kurz, es giebt der Modificationen der Wirksamkeit dieser beyden Kräfte so viele, daß sie sich unmöglich aufzählen lassen.

In der Leidenschaft der Liebe zum andern Geschlecht wird nun nicht so wohl das Gefühl der Selbstverwandlung, als vielmehr das Streben darnach zum fixen Gefühle. Wir nehmen unser Selbstbewußtseyn beynahe immer mit der Vorstellung auf, daß wir mit der ganzen Person des Geliebten eins geworden zu seyn wünschen; und man kann wohl sagen, daß die Leidenschaft der Liebe zum andern Geschlecht weiter nichts sey, als das figierte Streben, uns in den Gegenstand unserer Wünsche verwandelt zu sehen. Die Art, wie dieß zugeht, läßt sich leicht begreifen. Schon die bloße Geschlechtssympathie, wenn sie auch nicht liebend wirkt, führt uns auf die Wahrnehmung, daß wir manches von dem angenäherten Wesen uns aneignen, so wohl von dem was zum Körper, als von dem, was zur Seele gehört. Der Mann fühlt sich physisch und moralisch zärter; das Weib fühlt sich physisch und moralisch stärker, indem sie sich einander zur Körperverbindung und zur Häuslichkeit nähern. Treten liebende Triebe hinzu, so eignen sich beyde viel von ihren gegenseitigen Verhältnissen an. Wird die liebende Geschlechtssympathie zur zärtlichen Anhänglichkeit, so verstärken sich die Bande durch eine Menge von Trieben, welche theils dem Sinn des Schönen, theils der Selbstheit gehören. Alles dieß muß die Selbstverwandlungskraft sehr leicht aufregen, und die Figierungskraft nicht minder. Die körperlichen Fibern bleiben, wenn sie überspannt werden, in der üppigen oder lüsternen Lage, worein sie der starke Eindruck der Annäherung an den Körper von verschiedenen Geschlechtsanlagen gesetzt hat. Der Liebende fühlt seinen Körper beynahe beständig in diesem Zustande. Die Kräfte der Seele, wenn sie überspannt werden, bleiben gleichfalls in einer ähnlichen Stimmung. Dieser zart gespannte Zustand des Körpers und der Seele, was ist er aber anders, als die Folge der Mischung weiblicher und männlicher Anlagen? Indem wir ihn fühlen, was ist natürlicher, als uns zu tauschen, daß wir die Person von verschiedenem Geschlechte in uns aufgenommen haben? Die schwärmerische Aneignung des Geistes tritt nun hinzu: die Eitelkeit, der Trieb nach ausschließendem Besitze, erwachen. – Die Täuschung, wir sind eins, wird durch so manches sinnliche und moralische Symbol bey der Körperverbindung, bey dem Zusammentreffen in einem Gefühle, unterstützt; Hindernisse, welche der Geliebte selbst, oder welche die äußern Umstände in den Weg legen, erschüttern unser Herz so gewaltig. – In der That! Es nimmt mich minder Wunder, daß wir zuweilen die Illusion einer gänzlichen Umschaffung unserer Person in eine andere erhalten, als daß wir nicht an eine völlige Verwandlung glauben und gänzlich wahnsinnig werden.

Zum Glück für unsern Verstand, zum Unglück vielleicht für unser Herz, ist der geliebte Gegenstand eine Person, wie wir, aus Körper und Seele, und unter Verhältnissen bestehend, welche die Illusion der völligen Vereinigung beständig stören. Wir mögen noch so gern uns in diese Täuschung versetzen wollen; die Symbole mögen noch so sinnlich seyn; – kein Liebender, wenn er nicht völlig wahnsinnig geworden ist, wird jemahls glauben, daß sein Körper der Körper seiner Geliebten, seine Seele, seine Verhältnisse völlig die ihrigen sind. –

Die Vorstellung der Selbstverwandlung kann folglich nie zur figierten Idee bey uns werden; aber sie bleibt der geheime Zweck unsers Strebens! Ja, deiner kurzen Dauer und deiner Unvollständigkeit ungeachtet bleibst du uns doch ewig theuer, süßestes, höchstes unter allen Wonnegefühlen, Gefühl der Vereinigung der Wesen! Vorgeschmack jenes seligen Moments, wo die Seele sich wieder in ihren Urquell ergießen wird. Wir streben dir unaufhörlich nach, und dieß Streben wird zum fixen Zustande in uns! Unsere begehrenden Kräfte behalten fortdauernd die Richtung nach diesem Ziele. Indem wir das Bild von unserm Selbst aufnehmen, so erhalten wir es immer mit der Modification eines nach Verwandlung strebenden Selbstes.

Daher nun auch unsere Sehnsucht nach steter Gegenwart und unbestimmter Einwirkung auf den geliebten Gegenstand, daher die ängstlichen Bekümmernisse, und die aufopfernde Sorgfalt für sein Daseyn und sein Wohl. Das Bestreben, unsre Person in die seinige zu übertragen, wäre auf immer vereitelt, wenn er verginge: unser Wohl würde unmittelbar gekränkt, wenn das Wesen litte, an das wir unser Selbst abzugeben wünschen.

Leidenschaft, bey der der Trieb nach Selbstverwandlung figiert wird, ist immer liebend. Aber Leidenschaft die auf Begeisterung, auf Schwärmerey, auf Verblendung der Phantasie beruhet, oder bey der die Lüsternheit der Seele wirksam ist, ist es nicht immer. In diesem Zustande trennen wir oft das Bild von unserm Selbst, und beziehen jenes ganz eigennützig auf einen unserer herrschenden Triebe. Doch, darüber mehr in der Folge!

Die Leidenschaft zum andern Geschlecht ist, aus den bereits angeführten Gründen, am mehrsten geschickt, die Figierung des Selbstverwandlungstriebes zu befördern: sie strebt am leichtesten nach Vereinigung der Wesen; sie ist daher auch am gewöhnlichsten liebend. Oft aber beruht sie auch auf einer andern Art der vereinten Wirksamkeit der Phantasie und des Versetzungsvermögens, und dann hat sie nicht eben den Anspruch auf den Nahmen der Liebe.


Zweyter Excurs.
Beantwortung der Frage: ob es in unserer Gewalt stehe, uns zu verlieben? – ob die Leidenschaft plötzlich entstehe? – wie und wann sie endige?

Vielleicht läßt sich nun die Frage beantworten: ob es in unserer Gewalt stehe, die Leidenschaft der Liebe bey uns selbst zu erwecken? oder uns zu verlieben?

Dreist kann man hierauf antworten: nein! Aber wenn man die Frage so aufstellt: können wir die Disposition, die wir in uns zur Leidenschaft verspüren, befördern? so hat die Frage keinen Zweifel, und sie mag dreist mit ja beantwortet werden. Wer ein leidenschaftliches Herz hat, und auf einen Gegenstand trifft, von dem er ahndet, daß er ihm unter günstigen Umständen eine Leidenschaft einflößen könne, mag allerdings dazu beytragen, diese Umstände herbey zu führen. Aber gegen einen völlig indifferenten oder gar widerlichen Gegenstand Leidenschaft zu hegen, und noch dazu liebende Leidenschaft, – das ist eben so unmöglich, als unserm Nervensysteme, unserer Phantasie und unserm Herzen unbedingte Gesetze vorzuschreiben, oder unserer Sinnlichkeit Wollust und Wonne zu gebieten.

Möglich ist es, daß wir angezogen durch Eitelkeit, durch Habsucht und durch eine Menge von eigennützigen Trieben, die Person vom andern Geschlechte als ein Mittel ansehen, jene Triebe zu befriedigen, und daß wir bey dem Streben nach ihrer selbstischen Befriedigung unvermerkt in liebende Leidenschaft gerathen. Aber dann haben wir nicht die Person, sondern uns selbst leidenschaftlich lieb; und verwechseln wir am Ende beydes mit einander, so ist die Leidenschaft der Liebe nicht Folge unserer Absicht.

Kann die Leidenschaft der Liebe plötzlich entstehen? Dieß leidet bey mir keinen Zweifel. Unsere Kräfte können durch einen Eindruck so stark afficiert werden, daß sie sogleich überspannt werden, der Verwandlungstrieb sogleich erwacht, und das Streben nach dem täuschenden Zustande der völligen Vereinigung der Wesen sogleich figiert wird. Nur darf man keine unerklärbare Ursache dazu aufsuchen. Bey Männern von gesetzten Jahren und gesunder Beschaffenheit des Körpers und der Seele wird dieß nicht leicht der Fall seyn. Aber bey jungen Leuten, welche viel Anlage zur Lüsternheit des Körpers und der Seele haben, sehr eingezogen leben, voll von romanhaften Ideen sind, läßt sich der Fall sehr wohl denken, daß sie unter Umständen, welche stark auf beyde Anlagen ihres Wesens wirken, so gewaltsam angegriffen werden, daß ihre körperlichen und Seelenkräfte sogleich überspannt werden. Aber auch ältere Menschen können durch zufällige physische und moralische Ursachen in eine Disposition kommen, worin sie der plötzlichen Ueberspannung sehr ausgesetzt sind.

Gewöhnlich entsteht aber die Leidenschaft nach und nach, und zwar durch abwechselndes Hoffen und Fürchten, daß die Vereinigung gelinge oder nicht gelinge. Hoffnung und Furcht sind unumgängliche Ingredienzen jeder Leidenschaft, und am mehresten der liebenden. Wo der Mensch nichts mehr hofft oder fürchtet, da hat entweder die Leidenschaft nachgelassen, oder der Mensch ist wahnsinnig geworden.

Die Leidenschaft der Liebe endigt, so bald das Gefühl der gelungenen Vereinigung der Wesen entsteht. Dieß Gefühl kann nun zwar nie völlig vorhanden seyn, so lange der Mensch seinen Verstand behält. Denn wenn er auch noch so genau mit einer andern Person zusammenhängt; so kann er sich doch weiter nichts sagen als dieß; es sind mir viele Symbole der Selbstverwandlung zu Theil geworden; ich hänge in vielen Stücken sinnlich und moralisch mit einem andern Wesen zusammen. Aber zu dem ununterbrochenen Bewußtseyn der gelungenen Wesenvereinigung kann er ohne Verrückung nie kommen. Inzwischen wenn er nur sich dem eben beschriebenen Gefühle nähert, wenn er nur ganz sicher ist, wieder geliebt zu werden, und täglich und stündlich jedes Symbol der Wesenvereinigung genießen kann, so hört die Leidenschaft auf. Hindernisse, Trennung, Entbehrung gewisser Vereinigungsarten werden nothwendig erfordert, wenn die Leidenschaft der Liebe nicht in Zärtlichkeit ausarten soll, die nur mit einzelnen leidenschaftlichen Aufwallungen verknüpft ist.

So endigt die Leidenschaft durch eine Begünstigung unsers Bedürfnisses, die sich der Ausfüllung nähert. Sie endigt aber auch durch Verzweiflung, wenn Unmuth über lange Versagung, oder Betrug das Bedürfniß in unausstehliche Qual auflöst, und wir dadurch zu dem Gefühle unserer Selbstheit zurückkehren. Endlich verliert sich die Leidenschaft allmählig unter Zerstreuungen und in der Entfernung, wenn das Bild der geliebten Person durch Mangel an sinnlicher Unterstützung, oder durch den Wechsel mit andern sinnlichen Bildern geschwächt wird. Es ist nicht zu läugnen, daß wir viel über uns vermögen, diese Mittel zum Triumph über die Leidenschaft mit Vortheil anzuwenden.

Sechstes Buch.
Von dem Entgegengesetzten und dem Aehnlichen der Liebe.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Der allgemeine Charakter der Liebe ist festgesetzt: wir haben ihn in seinen verschiedenen Modificationen verfolgt. Wir haben gesehen, daß überall ein wonnevolles Streben, den Menschen neben uns zu beglücken, um der Ueberzeugung willen, daß dieser sich selbst glücklich fühle, jenen Charakter begründet: daß bey dem einzelnen liebenden Affekte die Wonne am uneigennützigen Wohlthun sich am unvermischtesten zeige: daß bey der liebenden Anhänglichkeit, und besonders bey der Zärtlichkeit, eben diese unmittelbare Wonne an der Beglückung des Verbündeten die herrschende Empfindung ausmachen müsse: und daß endlich in der Leidenschaft der Liebe, dieß wonnevolle Bestreben, das Wohl des andern ohne weitere Rücksicht zu befördern, schon aus der Art fließe, wie sie wirkt, indem wir unser Selbst, unsre Person, völlig an eine andere abzugeben, und uns in dieser zu verlieren suchen.

So unterscheidet sich dann der einzelne liebende Affekt von der liebenden Anhänglichkeit und von der Leidenschaft der Liebe, bloß durch den Zusatz der angewöhnten Richtung jener liebenden Affekte auf eine bestimmte Person, die in einigen Fällen bis zum Gefühl der Unentbehrlichkeit fortschreiten kann.

Zur deutlichern Erkenntniß der Natur der Liebe scheint es inzwischen nothwendig, sie durch den Kontrast zu heben, und dasjenige zu entwickeln, was ihr geradezu entgegensteht. Noch nothwendiger aber ist es, dasjenige von ihr abzusondern, was ihr bloß ähnlich ist, und so leicht mit ihr verwechselt werden mag.

Man wird sich aber in unauflösliche Schwierigkeiten verwickelt finden, wenn man dasjenige, was sich der einzelnen liebenden Aufwallung entgegenstellt, auch der liebenden Anhänglichkeit und der Leidenschaft der Liebe entgegensetzt. Widerwillen und Uebelwollen stehen der einzelnen liebenden Aufwallung; Feindschaft der liebenden Anhänglichkeit; Haß der Leidenschaft der Liebe entgegen. Nicht jeder, der vorübergehend einen Widerwillen oder ein Uebelwollen gegen den Freund empfindet, ist darum sein Feind, oder wird ihn darum hassen. Nicht jeder, der den andern haßt, ist darum unfähig, eine einzelne Aufwallung von Liebe gegen ihn zu empfinden.

Wieder muß bey der Absonderung verschiedener Empfindungen von einander wohl beobachtet werden, in welcher Beziehung wir sie neben einander stellen, und unter sich vergleichen. Ob in Beziehung auf unsern allgemeinen Grundtrieb nach Wohlbestehen unsers Wesens überhaupt: oder in Vergleichung mehrerer Triebe unter einander, die alle den allgemeinen Grundtrieb befördern. Denn die Wonne an Befriedigung des Uebelwollens ist in Beziehung auf den Grundtrieb allerdings der Wonne an Befriedigung des Wohlwollens ähnlich. Beyde geben einen hohen Lebensgenuß. Aber bey ihrer Vergleichung unter einander sind sie sehr von einander verschieden.

Ferner müssen diejenigen Gesinnungen, die als unmittelbare Gegenfüßler der Liebe anzusehen sind, von denjenigen unterschieden werden, die unmittelbarer Weise die Liebe hindern oder zerstören. Der Widerwille der Antipathie steht der Liebe geradezu entgegen. Die selbstischen Neigungen sind ihr nur mittelbarer Weise zuwider, indem sie leicht ein Uebelwollen herbeyführen.

Endlich aber muß diejenige Gesinnung, die der Liebe in ihren Folgen für andre Menschen noch so ähnlich ist, von derjenigen abgesondert werden, die, ihrem innern Gehalt nach, unmittelbare Wonne an Beglückung mit sich führt. Wohlthätigkeit der feinsten Selbstheit ist noch nicht Liebe.

Nach diesen Bemerkungen werde ich dieses Buch in drey Abschnitte theilen: in dem ersten dasjenige entwickeln, was der Liebe, als einzelnen Aufwallung, entgegensteht, und ihr bloß ähnlich ist. Im zweyten, was von ihr, als Anhänglichkeit betrachtet, abgesondert werden muß; und im dritten, was sich von ihr, unter den Begriff der Leidenschaft gebracht, unterscheidet.

Erster Abschnitt.
Von dem Entgegengesetzten und dem Aehnlichen der Liebe, als einzelnen Affekt betrachtet.

Zweytes Kapitel.
Was sich der Liebe in Beziehung auf den allgemeinen Grundtrieb unsers Wesens nach Wohlbestehen entgegenstellt.

Unser Wesen fühlt den allgemeinen Hang nach Wohlbestehen oder nach dem Bewußtseyn, daß sein Zustand seiner Einrichtung angemessen sey. Man nennt diesen Hang oft den Grundtrieb unsers Wesens, weil alle unsre einzelnen Triebe sich endlich dahin zurückführen lassen, daß wir auf eine Art fortdauern wollen, die der Einrichtung unsers Wesens angemessen ist. Kürzer: daß wir mit Lust existieren wollen.

Einige Reitzungen die wir erhalten, begünstigen diesen Grundtrieb auf eine ungewöhnliche Weise, andere in schwächerer Maße, andere lassen ihn nur in Ruhe, andere beleidigen ihn durch Hinderung, andere scheinen seinen Zweck geradezu zu zerstören.

Alles was den Grundtrieb beleidigt oder seinen Zweck zu zerstören scheint, giebt uns das Bewußtseyn eines Zustandes von Unlust, und ist der Liebe entgegengesetzt, in so fern diese für das Bewußtseyn eines Zustandes von Lust genommen wird. Wenn sich jedoch mit dieser Empfindung die Hoffnung auf Beendigung des peinlichen Zustandes vereinigt; so entsteht daraus das Bewußtseyn eines Zustandes von höherer Lust, als diejenige ist, welche bloße Gleichgültigkeit oder schwache Willensregung gewähren mag. Daher ist jedes mit Hoffnung verknüpfte Verlangen, oder jede Lust des baren Harrens, Liebe. Ihr steht in dieser Bedeutung Unlust, Abscheu, Gleichgültigkeit, schwache Willensregung, noch mehr aber Furcht und Verzweiflung rückwärts von der Begünstigung des Grundtriebes entgegen; vorwärts aber der aktuelle Genuß einer bereits eingetretenen Erleichterung unsers peinlichen Zustandes.

Das affektvolle Genügen des fortwährenden Bedürfnisses bey eingetretener Erleichterung der Qual, und bey mehr gegründeter Hoffnung auf Rückkehr in den Ruhestand des Lebens, ist wieder Liebe. Rückwärts steht ihr in dieser Bedeutung die Lust des baren Harrens entgegen, vorwärts die affektvolle Zufriedenheit.

Diese ist das Bewußtseyn eines geendigten Bedürfnisses und der völligen Rückkehr in den Ruhestand des Lebens. Sie ist Liebe in etwas bestimmterer Bedeutung, und so steht ihr rückwärts das affektvolle Genügen des fortwährenden Bedürfnisses, vorwärts Wollust und Wonne entgegen.

Wollust und Wonne ist Liebe in bestimmterer Bedeutung. Unmittelbares Gefühl einer ungewöhnlichen Angemessenheit meines Zustandes zu meiner Einrichtung, ohne auffordernde Ueberlegung, ohne anstrengenden Antrieb, ohne Zusammenhaltung des Gegenwärtigen mit dem Vergangenen und Zukünftigen. Kürzer: Bewußtseyn der Ausgelassenheit des Lebens. Dieser Liebe ist rückwärts entgegengesetzt: Zwang und Geduld. Vorwärts steht ihr entgegen die Wollust und Wonne des verweilenden Bestrebens.

Ruhe ist unserer Natur weit weniger angemessen als Thätigkeit und Bestrebung. Wir lieben das Bewußtseyn der Wirksamkeit unserer Kräfte. Sie allein macht schon eine Art von Genuß für uns aus. Die Wollust oder Wonne der unthätigen Beschauung ist also minder reitzend für uns, als diejenige, die wir im Zustande des Strebens empfinden. Aus eben diesem Grunde übertrifft der Genuß des verweilenden Bestrebens den der endenden Begierde. Das Bewußtseyn, daß wir uns bereits in einem Zustande von Ausgelassenheit des Lebens befinden, verbunden mit der Vorahndung, daß dieser Zustand in seiner Dauer noch immer weiter ausgebildet werden könne, ist angenehmer als dasjenige Bewußtseyn, mit dem wir uns zwar im völligen Besitze eines Zustandes von Ausgelassenheit des Lebens befinden, nach dem wir heftig gestrebt haben, der aber weiter keinen Zusatz leidet. Denn mit diesem letzten Bewußtseyn ist die Vorahndung einer Rückkehr in den Ruhestand des Lebens verknüpft, welche das Gefühl und die Vorstellung des Sinkens und Abnehmens unsers Vergnügens herbeyführt.

Liebe ist daher in Beziehung auf den Grundtrieb unsers Wesens im bestimmtesten Sinne: Wollust und Wonne des verweilenden Bestrebens, und in dieser Bedeutung steht ihr vorwärts nichts entgegen; rückwärts aber jede Wollust und Wonne anderer Art.

Drittes Kapitel.
Was der Liebe, für Zuneigung der Sympathie genommen, in Beziehung auf Abneigung der nehmlichen Art, unmittelbar entgegensteht. Widerwille der Antipathie.

Man setzt der Liebe gemeiniglich Selbstheit entgegen. Dieß hat seine Richtigkeit, in so fern die Selbstheit die Liebe mittelbarer Weise hindert und zerstört. Aber die unmittelbare Gegenfüßlerin der Liebe ist nicht Selbstheit, sondern Antipathie.

Alle einzelnen Triebe sind Ausflüsse des allgemeinen Grundtriebes nach Wohlbestehen unsers Wesens, der sich nach Verschiedenheit der Verhältnisse, die auf ihn einwirken, verschieden äußert. Die allgemeinste Eintheilung, die man von diesen Trieben machen kann, ist die in abneigende und zuneigende. Wir suchen entweder unsre Reitzbarkeit zu hemmen, und dem Eindrucke, den wir von den Verhältnissen erfahren, entgegen zu arbeiten; – oder wir suchen die Wirksamkeit unsrer Reitzbarkeit zu befördern, überlassen uns den Eindrücken, oder bieten uns ihnen gar entgegen.

Nun habe ich im ersten Buche dieses Werks weitläufiger gezeigt, daß wir drey Seiten haben, mittelst welcher wir mit andern Gegenständen ins Verhältniß kommen, und woran wir von ihnen gereitzt werden können. Wir besitzen nehmlich die Fähigkeit, uns andern Gegenständen aus der Ferne mittelst des Auges und des innern Anschauungsvermögens zu nähern, und so von ihnen gereitzt zu werden. Wir besitzen ferner die Fähigkeit, andere Gegenstände mittelst des Tastungsorganes unmittelbar zu berühren, und mittelst des innern Versetzungsvermögens die Eigenthümlichkeiten ihres Wesens und ihrer Lage den unsrigen zu assimilieren. Es ist uns endlich die Fähigkeit eigen, mittelst des Gaumens und mittelst des innern Zueignungsvermögens die äußern Gegenstände völlig in uns über und in Besitz zu nehmen.

Ich habe diese drey Fähigkeiten, in so fern wir dadurch zur Zuneigung gereitzt werden, Beschauungshang, Sympathie und Selbstheit genannt.

Es ist aber offenbar, daß jede dieser drey Fähigkeiten mit Trieben verbunden ist, welche ganz besonders dazu dienen, die Wirksamkeit einer jeden reitzbaren Seite im Einzelnen zu hemmen, und der Einwirkung der Verhältnisse, die gerade auf diese Seite gerichtet ist, entgegen zu arbeiten.

Denn wenn der Beschauungshang unser Anschauungsvermögen dem Außerordentlichen, Vollkommnen, Schönen zuneigt; so zieht eine eigene Beschauungsscheue eben dieß Vermögen von dem Gemeinen, Mangelhaften und Häßlichen ab.

Wenn die Sympathie unsere Tastungsorgane und unser Versetzungsvermögen zur Berührung gewisser Gegenstände, und zur Assimilation mit ihnen auffordert; so zieht die Antipathie uns von der Berührung und von der Assimilation zurück.

Wenn endlich die Selbstheit unsern Gaumen und unser Zueignungsvermögen dem Nahrhaften und Nützlichen zuneigt, so treibt uns ein eigener mit der Selbstheit correspondierender Ekel, eine eigene mit ihr correspondierende Scheue, uns von dem Abschmeckenden und Schädlichen abzuwenden.

Liebe ist nun in bestimmterer Bedeutung allemahl eine Zuneigung der Sympathie; eine Folge derjenigen Reitzung, welche wir durch die Fähigkeit, andere Gegenstände unmittelbar zu berühren und uns ihnen zu assimilieren, mittelst der Tastungsorgane und des Versetzungsvermögens erhalten. Was steht ihr zunächst entgegen? Unstreitig die Antipathie. Diese ist ihre unmittelbare Gegenfüßlerin.

Antipathie ist der Inbegriff derjenigen Triebe, die uns unmittelbar von der Berührung anderer Gegenstände und von der Assimilation mit ihnen abneigen. Sie ist keinesweges einerley mit der abneigenden Wirksamkeit des Beschauungs- und des Zueignungsvermögens. Die Antipathie setzt zum Voraus, daß die Kräfte, mit denen wir andere Körper betasten, und uns in ihren Zustand hineinversetzen, in eine abstoßende Wirksamkeit kommen, und daß wir alle Mittel anwenden, uns der Sympathie mit jenen Körpern und Wesen zu erwehren, die sich den Tastungsorganen und dem Versetzungsvermögen auf eine widrige Art aufdringen.

Körper, vor deren Berührung wir zurückschaudern, wenn sie uns gleich nicht schaden können; colorierte Wachsfiguren, die den Schein des Lebens zeigen, erwecken Antipathie. Antipathie empfinden wir gegen Affen, die mit dem Menschen in ihren Neigungen und Gewohnheiten Aehnlichkeit genug haben, um uns zur Assimilation mit ihrem Wesen und Zustande aufzufordern. Aber es geschieht auf eine so widrige Art, daß wir der sympathetischen Empfindung gegen sie aus allen Kräften entgegenarbeiten,

Antipathie empfinden wir gegen Menschen, die Affen darin ähnlich sind, daß wir mit ihnen nichts gemein haben mögen. Wir empfinden sie auch gegen solche, die, wenn wir ihrer müde geworden sind, uns dennoch zur Mitempfindung ihrer Zärtlichkeit einladen wollen. Sie dringen sich unserer Sympathie auf eine ekelhafte Art auf.

Antipathie empfinden wir endlich gegen gewisse Arten von Leiden, denen wir andre Menschen ausgesetzt sehen, besonders gegen solche, die mit Schmutz, Niedrigkeit, u. s. w. verknüpft sind. Wir suchen uns auf alle Art der Mitempfindung ihres Zustandes zu erwehren, ob wir gleich weder eine wahre Ansteckung noch eine Verwickelung in das fremde Schicksal zu befürchten brauchen.

Der Widerwille der Antipathie ist mit dem Gefühle des Mangelhaften und Häßlichen, mit dem Uebelwollen, mit der Verachtung, dem Neide, der Eifersucht, dem Unwillen und Zorne keinesweges einerley, ob wohl er sich leicht mit diesen Empfindungen vermischt. Wir haben oft eine Antipathie gegen dasjenige, was uns weder durch seine innern Mängel, noch durch seine Häßlichkeit beleidigt. Mancher Ehemann ist seiner schönen und vortrefflichen Frau nur darum müde, weil sie ihn zur Sympathie mit ihrer Liebe auffordert, und sich ihm aufdringt. Wir wünschen dem Narren, der uns mit seinen Andringlichkeiten verfolgt, kein Unglück; wir mißgönnen ihm keine Vorzüge; wir fürchten keine Concurrenz zur Erlangung einerley Zwecks mit ihm; wir zürnen nicht so wohl auf ihn, als wir über ihn lachen; aber wir finden ihn unerträglich, und freuen uns herzlich, wenn wir seiner Gegenwart und der Vorstellung der Aehnlichkeit seines Wesens und seines Zustandes mit dem unsrigen los sind.

Viertes Kapitel.
Was der Liebe für Wollust und Wonne der Sympathie genommen, in Beziehung auf das fortwährende und gestillte Bedürfniß dieser Sympathie entgegensteht. Mitleiden.

Liebe ist Wollust und Wonne der Sympathie. Mitleiden kann folglich nie Liebe seyn. Es setzt eine Unlust zum Voraus, die wir dadurch empfinden, daß wir uns in den unangenehmen Zustand eines andern hineinversetzt haben.

Leiden wir auf eine uns widerliche Art mit; werden wir dadurch aufgefordert, auf alle mögliche Weise uns der Sympathie zu erwehren; so gehört die Unlust des Mitleidens der Antipathie, und das Gefühl, daß uns die Erwehrung gelungen ist, daß wir wieder ruhig sind, ist die Zufriedenheit der antipathetischen Triebe.

Ueberlassen wir uns aber der Wirksamkeit unsers Versetzungsvermögens, ob wir gleich zur Unlust dadurch gereitzt werden, so gehört die Empfindung allerdings der Sympathie; aber sie ist eine Versagung ihres Hanges, mithin keine Lust und auch keine Liebe. Wir empfinden nur das Bedürfniß, mit dem andern in den Ruhestand des Lebens zurückzukehren.

Zeigt sich Hoffnung für das fremde, uns assimilierte Wesen; oder tritt eine wahre Erleichterung seines Zustandes ein; so empfinden wir die Lust des bloßen Harrens, oder das Genügen des Bedürfnisses sympathetisch mit: ja, kehrt der andere völlig in den Ruhestand des Lebens zurück; so fühlen wir sogar die Zufriedenheit der Sympathie. Aber noch immer keine Liebe. Diese tritt erst dann ein, wenn wir in den Zustand der Ausgelassenheit des Lebens gerathen, weil wir diese an dem andern wahrnehmen.

Mitleiden, für Mitempfindung eines fremden Bedürfnisses genommen, ist daher nie Liebe: und selbst die Mitempfindung der Stillung eines fremdem Bedürfnisses, die nur zugleich das Bedürfniß unserer Sympathie stillt, ist nicht Liebe.


Fünftes Kapitel.
Was sich der Liebe als Inbegriff der annähernden und erhaltenden Triebe, in Beziehung auf die abstoßenden und zerstörenden entgegenstellt. Ungeselligkeit und Uebelwollen:

Unter unsern Trieben giebt es einige, die uns zur Annäherung an die Gegenstände, mit denen wir ins Verhältniß kommen, auffordern: andere, welche uns reitzen, diese Gegenstände abzustoßen. Aber selbst unter den annähernden giebt es einige, die uns nur darum mit den Gegenständen in nähere Verbindung bringen, um sie zu zerstören, oder wenigstens herabzuwürdigen.

Liebe ist Wonne der Geselligkeit, mithin Wonne eines Hanges nach Annäherung an die Gegenstände, mit denen wir ins Verhältniß kommen. Sie setzt außerdem Erhaltung dieser Gegenstände als nothwendige Bedingung zum Voraus. Alle Ungeselligkeit, alles Zurückziehen, alles eigennützige Besitznehmen mit Vernachlässigung der Selbstständigkeit des fremden Wesens, noch mehr aber alles Uebelwollen, ist der Liebe in dieser Bedeutung entgegengesetzt. Dahin gehört Rachgier, Neid, Eifersucht, Schadenfreude, Unwille, Zorn; es gehört aber auch dahin der grobe Eigennutz, der Trieb nach Alleinseyn und die Menschenscheue.


Sechstes Kapitel.
Was sich der Liebe, als wonnevollem Streben nach der Beglückung anderer Menschen um ihrer selbst willen, entgegenstellt. Wonne des Beschauungshanges, der feineren Selbstheit und der gröberen Sympathie.

Bis jetzt habe ich diejenigen Empfindungen kurz berührt, die der Liebe dergestalt entgegen stehen, daß eine Verwechselung mit ihr nicht leicht zu erwarten ist. Aber ich komme nun zu einigen andern, die viel schwerer von ihr abgesondert werden. Dieß sind die Wonnegefühle des Beschauungshanges, der feinern Selbstheit und der gröbern Sympathie.

Ich will diese Empfindungen im Einzelnen etwas näher angeben und prüfen.


Siebentes Kapitel.
Absonderung des liebenden Affekts von feinerer Selbstheit; vom Wohlwollen und von der Wohlthätigkeit aus Hoffnung auf Vergeltung, aus Pflicht und Dankbarkeit.

Wer wirklich andern Menschen wohl will und ihnen wohlthut, handelt darum nicht unbedingt aus Liebe. Ohne von jenem grob Eigennützigen zu reden, der wohlthut, um dafür Wiedervergeltung, es sey durch Gegendienste oder bare Bezahlung, zu erhalten: oder von jenem andern, der seiner Wohlthätigkeit wegen bewundert, geliebkoset seyn will; so giebt es Menschen, die ein unmittelbares Vergnügen an dem Gefühle ihrer eigenen Thätigkeit haben, nur darum gern hegen, pflegen, rathen, trösten und aufrichten, mithin die Belohnung ihrer Wohlthätigkeit in dem Gefühle der erhöheten Wirksamkeit ihrer Kräfte finden. Wie sollten Menschen dieser Art lieben? Sie sehen ihre Mitmenschen lieber krank als gesund, lieber traurig als froh, und empfinden Wonne nach der Maße, worin die Lagen und Verhältnisse derjenigen, für welche sie sich interessieren, verwickelt sind, und ihnen mehr Hindernisse zu überwinden, mehr Schwierigkeiten zu heben darbieten. Sie gleichen den Wundärzten, die sich über einen schlimmen Schaden an dem Körper ihres Patienten freuen, weil er ihre Aufmerksamkeit mehr spannt, und ihnen ein erhöhetes Gefühl ihrer Geschicklichkeit bey Ueberwindung großer Hindernisse einflößt.

Wer so handelt, der treibt Tausch mit Thaten, die nur in ihren Folgen mit den Wirkungen der Liebe Aehnlichkeit haben, gegen selbstische Wonnegefühle. Und sollte Jemand wohlthun, weil er in einem künftigen Leben erst Wiedervergeltung seiner Wohlthätigkeit erwartet; der liebt nicht, der empfindet keine unmittelbare Wonne am Wohl seiner Nebenmenschen.

Oft versteckt sich die Selbstheit noch feiner. Mancher trägt, indem er wohlthut, dem einzelnen Mitgliede der Gesellschaft die Schuld ab, die er gegen die Gesellschaft im Ganzen auf sich geladen hat. Sie ernährt, sie beschützt ihn; ihr verdankt er es, mit Sicherheit und Bequemlichkeit froh seyn zu können. Was ist gerechter und billiger, als daß er andere wieder froh und zufrieden mache? Vortrefflich! Höchst verdienstlich! Aber das Wohlwollen, wozu ich mich durch solche Betrachtungen erst auffordern lasse, ist, so verdienstlich es an sich seyn mag, keine Liebe. Das Allmosen, welches ich monatlich in die Armenbüchse werfe, weil ich mir sage: du bist Mitbürger! kommt nicht aus dem Herzen, das mit Heinrich dem Vierten über den Bauern Wonne empfindet, der alle Sonntage sein Huhn in der Suppe haben kann.

Und wenn es auch Achtung für die Harmonie meines Charakters, oder für mein eigenes sittliches Gesetz ist, die mich zwingt, wohlzuwollen und wohlzuthun; wenn ich, ohne natürliche Anlage zur Wonne an dem Glück meiner Mitgeschöpfe, sie dennoch gern froh und zufrieden wüßte, und gern dazu beytrüge, weil ich mir sagte: es ist Recht! – es wäre sehr verdienstlich, verdienstlicher vielleicht, als wenn es unaufgefordert geschähe; aber Liebe wäre es doch nicht.

Strebe ich nun gar nach Wohlthätigkeit, um mir sagen zu können: ich that’s, das konnte ich, ich bin doch eine liebende Seele! – so habe ich so wenig Anspruch auf Liebe als auf moralische Würde.

Auch Dankbarkeit ist nicht Liebe, sobald ich durch die Rücksicht auf mich, der ich empfangen habe, wohlwill und wohlthue. Oft ist sie Folge des Gefühls der Bürde, welche mir die Wohlthat auflegt, oft des Gefühls von Pflicht, von Gerechtigkeit, von Achtung für uns selbst und andere. Mehrerer gröberer und feinerer Entstehungsarten zu geschweigen! Liebe setzt unaufgeforderte Wonne am Wohlwollen und Wohlthun zum Voraus.

Achtes Kapitel.
Absonderung des liebenden Affekts von den Aeußerungen der unthätigen Unschädlichkeit und Wohlerzogenheit.

Wenn ich nicht zerstöre, nicht herabwürdige, die Menschen neben mir gehen lasse wie sie sind, so kann dieß Betragen der Liebe nicht angehören. Ich empfinde kein affektvolles Streben, ihnen wohlzuthun, in meiner Seele. Die unthätige Unschädlichkeit ist nicht Liebe.

Wenn ich aber auch gefällig, dienstfertig, zuvorkommend in meinem geselligen Betragen bin, aber bloß aus Angewöhnung, Folge einer guten Erziehung; so ist dieß nicht Liebe. Das Herz nimmt keinen Antheil daran; kaum daß die Seele etwas dabey denkt.

Gemeiniglich scheinen diese unschuldigen, äußerlich verbindlichen Menschen bloß darum liebend, weil ihre Neigungen sich in einem Kreise herumdrehen, den wenig andere durchkreuzen! Aber wehe demjenigen, der wirklich mit ihrem Eigennutze in Collision kommt! Er wird bald die Wirkungen ihres Neides und kleinlichen Hasses fühlen!


Neuntes Kapitel.
Absonderung des Vollkommenheits- und Schönheitsgefühls von der Liebe.

Die Aufwallungen des Beschauungshanges sind bereits im ersten Buche dieses Werks von der Liebe abgesondert worden. Man darf hier nur daran erinnern. Alle Wonne am Vortrefflichen, Vollständigen, Vollkommnen, Seltenen, u. s. w. ist unthätig; begnügt sich zu wissen, daß der Gegenstand die ihm eigenthümlichen Vorzüge besitze, sucht aber nicht, sich ihm weiter zu nähern, oder gar zu seiner Selbstzufriedenheit beyzutragen. Liebe hingegen setzt unmittelbare Verbindung mit dem Gegenstande, der sie erweckt, voraus, und zwar durch thätiges Bestreben, seine Selbstzufriedenheit zu vermehren.

Das Unbeseelte, längst Verstorbene, unsern persönlichen Verhältnissen weit Entrückte, kann Beschauungswonne erwecken. Liebe hegen wir nur für den Menschen, den Zeit und Raum mit uns so nahe verbinden, daß wir etwas zu seinem Wohl beytragen zu können glauben mögen.


Zehntes Kapitel.
In wie fern Achtung ein liebender Affekt sey?

Die Vielbedeutung des Worts Achtung hat schon zu vielen Mißverständnissen Anlaß gegeben; es ist wohl der Mühe werth, den Sinn näher zu entwickeln.

Nothwendig muß man verschiedene Arten von Gesinnungen, welche um ähnlicher Aeußerungen willen mit einerley Nahmen belegt werden, von einander unterscheiden[WS 13]. Man beträgt sich oft, als ob man aus Achtung handelte, und achtet darum doch nicht.

Unterwürfigkeit, Unterwerfung, (Soumission) ist weder Achtung noch Liebe. Sie wirkt nur Achtsamkeit, Obacht. Ich unterwerfe mich demjenigen, was durch seine Kraft mir zu schaden mich unterjocht, und die Wirksamkeit meiner innern Triebe, mich zu widersetzen, zu beleidigen, mich unbefangen gehen zu lassen, zurückhält. So unterwerfe ich mich den gefährlichen Naturkräften, dem schädlichen aber mächtigen Bösewicht, und dem Strafgesetze. Diese Unterwerfung läßt sich ohne Abbruch für unsere Selbstliebe nicht denken. Sie verlangt durchaus die Unterdrückung der freyen Wirksamkeit vieler Lieblingstriebe, und besonders desjenigen, sich unabhängig zu fühlen. – Nach dieser Erklärung wird wohl kein Zweifel übrig bleiben, daß eine solche reine Unterwürfigkeit weder Achtung noch Liebe sey. Sie beruht auf Zwang, und das Vergnügen, welches damit verbunden seyn kann, die Gunst des gefährlichen Obern gewonnen zu haben, ist allemahl nur eine genügende Lust am gestillten Bedürfnisse, mithin nicht einmahl Wonne. Könnten wir den Gönner dieser Art entbehren, wir würden uns keinen Augenblick bedenken, uns seinem Ansehn über uns zu entziehen. Der Wilde, der seinen Gott als ein bösartiges Wesen anbetet, hat folglich für ihn so wenig Achtung als Liebe.

Von Werth halten, fühlen, daß Jemand uns etwas oder viel werth sey, aber nur uns, andern wenig oder nichts; – heißt gleichfalls weder lieben noch achten. Diese Gesinnung habe ich für das bloß Nützliche, für dasjenige, was mir als Mittel zur Ausführung meiner persönlichen Plane und Absichten dienen kann. Der Gegenstand, welcher diesen Werth für mich hat, befriedigt entweder bloße Bedürfnisse der Selbstheit, oder giebt doch nur eigennützige Wonne. Der Tyrann, der den Meuchelmörder etwas oder viel werth hält, weil er dazu dient, ihm den ungestörten Besitz seiner Gewalt zu sichern, hegt gewiß keine Liebe und keine Achtung für ihn.

Von diesen beyden Gesinnungen sind diejenigen, welche das allgemein Schätzungswerthe, und noch mehr das Verehrungswürdige einflößen, Schätzung und Verehrung, sehr verschieden.

Schätzen, achten, heißt im allgemeinen so viel, als: anschlagen, welchen Werth ein Gegenstand nicht für mich allein, sondern für die ganze Gesellschaft, zu der ich gehöre, in sicherer, dauernder, ausgebreiteter Maße haben kann. Es heißt so viel, als: einen gangbaren Preis auf eine Sache setzen, diesen Preis für etwas bestimmen. In dieser Bedeutung nimmt man Achtsleute, Wardierer, (Aestumatores, Taxatores,) und ihre Bestimmung nennt man schätzen, wardieren, werthachten.

Um dieß mit irgend einiger Zuverlässigkeit thun zu können, muß auf zweyerley Rücksicht genommen werden: auf die innere Bonität, den Gehalt der Dinge, ihre Nutzbarkeit, – und auf die mehr zufällige, aber doch immer einer gewissen Dauer fähige Anwendung ihrer Nutzbarkeit zum aktuellen Gebrauche auf ihr Nützlichseyn oder ihre Nützlichkeit. – Dieß paßt auf Münzen, Früchte, Grundstücke, Mobilien, u. s. w. Ein Gegenstand, dem man keinen innern Gehalt beylegen kann, und bey der Anwendung stündlich abwechselnde Verhältnisse beylegen muß, ist gar keiner Schätzung fähig, und hat keinen gangbaren Preis.

Schon hier zeigt sich der rohe Begriff des Unterschiedes zwischen innerer und äußerer Zweckmäßigkeit, indem die erste, der innere Gehalt, die Sache nur überhaupt fähig macht nützlich zu seyn; die letzte, die Beschaffenheit der äußern Verhältnisse, diese Fähigkeit zur aktuellen Wirksamkeit, oder zur Anwendung des Nützlichseyns bringt. So kann z. B. ein Grundstück vermöge der Güte seiner Erdart fähig seyn, die besten Früchte in großer Quantität hervorzubringen, es ist folglich sehr nutzbar; weil aber weder die Consumption, noch der Verkehr in der Gegend seiner Lage groß ist, so werden die Früchte in keinem hohen Preise stehen, und nicht vortheilhaft gebraucht werden können; mithin wird auch das Grundstück nicht sehr nützlich seyn.

Indem der Mensch einer Schätzung unterworfen wird, kann er eben so wie das Grundstück, ohne alle Rücksicht auf seine sich selbst bestimmende Vernunft, bloß als ein Werk der Natur betrachtet werden. Man kann alsdann bey Bestimmung des gangbaren Preises, den man ihm beylegt, auf die Vollständigkeit und Vortrefflichkeit seiner Anlagen, auf seine Nutzbarkeit, und auf die aktuellen Folgen seiner Wirksamkeit zum Nutzen des menschlichen Geschlechts, auf sein Nützlichseyn, seine Nützlichkeit, zu gleicher Zeit Rücksicht nehmen, und ihm einen schätzbaren Werth beylegen, ohne ihn deswegen zu einem Gegenstande der Verehrung, zu einem achtungswürdigen Gegenstande zu machen.

Diese letzte Gesinnung, die Achtung, hängt davon ab, daß wir sehen, der Mensch hat als ein vernünftiges Wesen sich zur innern Vollständigkeit und Vortrefflichkeit, (zu seiner Nutzbarkeit für alle vernünftige Wesen,) und zur fertigen und zweckmäßigen Anwendung seiner Anlagen, (zum wirklichen Nützlichseyn für alle vernünftige Wesen,) selbst bestimmt und ausgebildet.

Laßt uns zuerst von der Schätzung des Menschen, von dem Gefühle: er hat einen schätzbaren Werth, reden. Ich schätze den Menschen, der bey den gehörigen Anlagen, der Gesellschaft nützlich zu seyn, ihr wirklich nützlich wird, indem er irgend einem physischen oder geistigen Bedürfnisse (sollte es auch nur das seyn, den Menschen vollständig und zweckmäßig zu finden,) abhilft; oder irgend einen physischen und geistigen Trieb, (sollte es auch nur der nach Vollkommenheit, nach dem Außerordentlichen und Seltenen seyn,) in ungewöhnlicher Maße begünstigt. Ob er davon Verdienst habe, ob er dadurch an moralischer Würde gewinne, darauf nehme ich bey der bloßen Schätzung keine Rücksicht. Genug, daß die Gattung, daß die Gesellschaft davon dauernden, sichern Vortheil hat. So ist denn der Mensch mit einem ausgezeichnet schönen Körper, mit einer ausgezeichnet fähigen Seele, ob er gleich zur Ausbildung beyder nichts beygetragen hat, zwar nicht achtungswürdig, aber er hat doch einen schätzbaren Werth, weil die ganze Gattung sich dauernd an ihm vergnügt oder ergetzt. So haben der brave Soldat, der fleißige Richter, die emsige Hausfrau einen schätzbaren Werth, wenn sie sich gleich nicht viel über das Gewöhnliche erheben, bloß den Trieben ihrer Natur folgen, und sich durch keine Selbstbestimmung zur Nutzbarkeit gefertigt, oder der Nützlichkeit gewidmet haben.

Dieß Gefühl, daß ein Wesen einen schätzbaren Werth habe, wird dann auch auf leblose Geschöpfe, auf Naturerscheinungen, auf Anstalten, Maschinen, Kunstwerke, u. s. w. übertragen, ja, auf allgemeine Maximen, Anleitungen, Recepte, u. s. w. Alle diese Dinge haben kein Verdienst und keine Würde. Aber sie haben einen schätzbaren Werth. Sie sind einer innern Bonität, eines innern Gehalts, einer Nutzbarkeit, einer dauernden Bestimmung ihrer Anwendung zum wirklichen Gebrauch, einer äußern Nützlichkeit fähig; und nach beyden wird die Prüfung angestellt, ob sie für die Gesellschaft im Ganzen dauernd nutzbar und nützlich seyn können. Wo dieß der Fall ist, da entsteht das Gefühl der Schätzung.

Bleiben wir hier zuerst stehen! In wie fern ist diese Schätzung Liebe? In so fern ich wonnevoll strebe, daß das schätzbare Wesen sich durch den schätzbaren Werth, den es vor den Augen anderer hat, glücklich fühle! Diese Empfindung kann mir also bloß der Mensch einflößen; denn alles Uebrige hat kein Bewußtseyn seiner Selbstzufriedenheit; mithin gehört die Schätzung, welche ich der Maschine, dem Kunstwerke, der Naturerscheinung widme, schlechterdings entweder dem Beschauungshange oder der Selbstheit.

Aber nicht jede Schätzung, welche mir auch der Mensch einflößt, gehört darum der Liebe. Die Selbstheit, der Beschauungshang, können sich dieser Gesinnung eben so wohl bemeistern, als das Herz. Oft ist die Schätzung des Menschen auch gar keine Wonne, sondern eine bloß genügende Lust am befriedigten Bedürfnisse. Es giebt mehrere Bestimmungen in der Welt, welche ich äußerst nützlich finde, und deren Ausfüllung mich doch bey der Vorstellung des Menschen, der sie übernommen hat, gar nicht mit Wonne rührt. Der Richter z. B. der seine Zeit der Untersuchung von Privatstreitigkeiten widmet, wird sehr geschätzt werden können, ohne uns ein Wonnegefühl bey dieser Gesinnung einzuflößen, weil seine Bestimmung zu wenig Reitz für die Phantasie hat, und das Vergnügen bloß von der Ueberlegung abhängt, daß seine Arbeit die Sicherheit des Lebens und des Eigenthums in der Gesellschaft gründet. Sehr oft müssen bey dieser Schätzung sogar mehrere unserer Lieblingsneigungen vorher unterjocht, sie muß uns oft abgezwungen werden. So schätzt der Schüler Leibnitzens einen Kant, der Oestreicher einen Friederich, der eifrige Catholik einen Luther, ein Hofcavalier einen arbeitsamen Bauern, u. s. w.

Wenn wir aber auch die Schätzung mit Wonne empfinden, so kann diese Wonne zuweilen ganz eigennützig seyn, indem wir nehmlich die Folgen derselben ganz besonders auf unsere Person beziehen, und unsern gröberen oder feineren Eigennutz dadurch geschmeichelt fühlen. Die Bewohner eines Landes, welche den geschätzten Mann unter sich besitzen, seine Thätigkeit und seinen Ruf zur Erleichterung ihrer Bedürfnisse, oder zur Begünstigung ihrer Lieblingsneigungen zunächst in ihren wohlthätigen Folgen empfinden, werden gemeiniglich in dieser Lage seyn. Solche eigennützige Wonne empfindet der Preuße bey der Schätzung, die er seinem Friedrich, der Amerikaner bey derjenigen, welche er seinem Franklin zollt. Die ersten Schüler der Stifter von Religions- und wissenschaftlichen Sekten hegen eine gleich eigennützige Schätzung für den Lehrer, mit dem sie sich durch ein engeres Band von der übrigen Menge zugleich auszeichnen.

Eben so kann die Schätzung eine bloße Beschauungswonne enthalten, indem wir uns von dem Menschen, der seinen innern Anlagen und seiner äußern Wirksamkeit nach allgemein nutzbar und nützlich erscheint, isolieren, und ihn aus der Ferne, ohne alle deutliche Beziehung auf uns, bewundern. So schauet der Deist den Werth eines Luthers, der heutige Deutsche den eines Cäsars, der Geschäftsmann den eines Methaphysikers an. Was sind sie ihnen? Nichts, als sehr vollständig, sehr vortrefflich geschaffene Menschen in ihrer Art, die auf das menschliche Geschlecht einen sehr ausgebreiteten nützlichen Einfluß haben mußten und gehabt haben. Das rührt sie mit der Wonne der Beschauung.

Aber auch die Liebe bemeistert sich, wie gesagt, der Schätzung, als eines Akts von Wohlwollen und Wohlthätigkeit, worin sie sich hervorstechend äußert. Wenn wir streben, den Menschen schätzen zu können, weil dieß seine Zufriedenheit mehren muß; wenn wir wirklich bey der Schätzung weniger an das Außerordentliche, Ungewöhnliche, Vollkommene für unsere Phantasie, weniger an eine Zueignung der Vortheile seines Rufs und seiner Wirksamkeit, als an das Glück denken, welches derjenige empfinden muß, der sich schätzbar und geschätzt fühlt; – ja, dann empfinden wir die Wonne der Liebe.

Solche Wonne flößte ein Alexander seinem Parmenio, ein Friederich seinem d’Argens ein. So findet ein berühmter Mann zuweilen, wiewohl selten, eine Geliebte, einen Freund, welche unbekümmert um den Vortheil, den sein Ruf und seine Talente für ihre eigene Person haben können, darin bloß ein Mittel zu der größern Zufriedenheit des Verbündeten sehen.

Nun zur Verehrung, Hochachtung, Achtung im engsten Verstande! Sie setzt mehr wie Schätzung zum Voraus. Diese kann allenfalls das bloße Werk angeborner Anlagen, zufälliger Umstände seyn; aber Verehrung wird allein das vernünftige Wesen einflößen, das sich aus freyem Willen zu einer nutzbaren und nützlichen Kraft für alle vernünftige Wesen bestimmt und gefertigt hat.

Es ist also die überlegte Fertigkeit, allen vernünftigen Wesen nützlich zu seyn; es ist der tugendhafte Charakter, welcher allein einer Würde fähig, und durch diese auf Verehrung berechtigt ist. Die liebenswürdige Schwäche, zu der sich die Gottheiten Griechenlands und der sinnliche Mensch gehen lassen, flößt keine Hochachtung ein, so nutzbar an sich selbst, und so nützlich durch ihre Wirkungen sie auch immer seyn kann. Auch die wohlverstandene Klugheit, mit der ein jeder darum nutzbar und nützlich zu seyn strebt, damit sein Glück von andern befördert werde, ist kein Gegenstand meiner Verehrung. Ich schätze den Instinkt, der sie blindlings zur Ausfüllung ihrer Bestimmung führt; ich schätze die Vernunft, die sich zu ihrem eigenen Nutzen auf eine so glückliche Art für andere bestimmt: aber die Vernunft, welche sich zur Nutzbarkeit und wirklichen Nützlichkeit für alle vernünftige Wesen bestimmt und fertigt, kann ich nicht in ihnen hochachten. Eben diese Empfindung flößen mir diejenigen Menschen ein, welche bloß einer innern Harmonie ihres Charakters nachstreben, und, unbekümmert um ihre gegenwärtigen Verhältnisse, in dem Reiche der Sinnlichkeit, nach Art ägyptischer Mönche, ihr Leben in unthätiger Beschauung zubringen; denn diese Schwärmer streben nur einem Theile der Nutzbarkeit nach, nehmlich der innern Vollkommenheit, welche aus der Uebereinstimmung und Stetigkeit der Gesinnungen fließt, nicht aber der Nutzbarkeit im Ganzen, und ihrer wirklichen Anwendung, dem Nützlichseyn.

Auch derjenige, welcher nützlich seyn will, und nicht die rechten Mittel dazu wählt, ist meiner Hochachtung nicht würdig. Daher kann derjenige Eigensinn, oder derjenige Unverstand, der, unbekümmert um die Folgen, seine allgemeinen Maximen, wenn sie auch ursprünglich auf das Wohl aller vernünftigen Wesen berechnet sind, unbedingt folgt, und dadurch Unheil anrichtet, mir diese Gesinnung nicht einflößen. Der Unmensch, oder der Thor, der, um die Wahrheit zu sprechen, dem zornigen Verfolger den Aufenthalt des fliehenden Mitbruders verräth, ist ein Gegenstand meiner Verachtung oder meines Unmuths.

Aber ich verehre, ich achte denjenigen hoch, der seine Bestimmung, allen vernünftigen Wesen, so weit er sie ahndet, mithin dem höchsten Wesen, sich selbst und seinen Mitmenschen nützlich zu seyn, anerkennt, seinen Charakter im Ganzen die gehörige Richtung dazu zu geben sucht, sich mithin nutzbar macht, und zu gleicher Zeit, bey der Anwendung seiner Fähigkeiten zum Nutzen für das Reich vernünftiger Wesen, die gehörige Aufmerksamkeit auf alle äußere Verhältnisse anwendet, um wirklich nützlich zu seyn. Ein jeder Mensch, er mag von der Natur Anlagen zu dieser Nutzbarkeit und Nützlichkeit haben oder nicht; seine Verhältnisse mögen sie befördern oder nicht; bedarf einer Kenntniß seiner Bestimmung, einer Ausbildung seiner Fähigkeiten, einer anhaltenden Bestrebung zur Wegräumung äußerer Hindernisse. Ein tugendhafter Charakter wird eben so wenig vollständig geboren als ein großer Künstler. Beyde bedürfen einer Kenntniß von dem Zwecke ihrer Kunst, einer überlegten Fertigkeit, einer anhaltenden Sorgsamkeit. Diese ursprüngliche Kenntniß unserer Bestimmung, zur Beförderung des Wohls aller vernünftigen Wesen beyzutragen, diese überlegte Fertigkeit, dieß stete Bestreben, ihnen wirklich nützlich zu seyn, verbunden mit dem wirklichen Gelingen, welches für denjenigen, der es ernsthaft meint, nie ganz ausbleibt; – die sind es, welche den Begriff der Tugend gründen; und Tugend allein hat Anspruch auf Verehrung, auf Hochachtung, auf Achtung im engsten Verstande.

Ach! wie begreiflich ist es, daß Tugend Achtung im engsten Verstande einflößt! was ist so sicher, so ausgebreitet nutzbar und nützlich als sie? Sie allein behält einen immer dauernden Werth!

Diese Achtung flößt nur der tugendhafte Charakter ein, und nur diejenige Gesinnung und Handlung, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit auf diesen Charakter schließen lassen.

Die höchsten Aufopferungen, welche nur auf eine vorübergehende Aufwallung von tugendhaften Gefühlen schließen lassen, können bloß Schätzung einflößen.

Hochachtung, Verehrung, Achtung im engsten Sinne, kann nun ebenfalls bald der Selbstheit, bald dem Herzen, bald dem Beschauungshange gehören, bald mit dem Genügen des befriedigten Bedürfnisses, bald mit Wonne empfunden werden. Zeigt sich ein tugendhafter Charakter in gewöhnlichen Lagen, so wird er selten eine so starke Wirkung auf meine Einbildungskraft machen, daß eine lebhaftere Reitzung zum Vergnügen mit einem lebhafteren Bilde bey mir erweckt werden sollte. Ich lasse es mir bloß gefallen, den Trieb, den ich hege, den Menschen seiner Bestimmung zur allgemeinen Nützlichkeit für alle vernünftige Wesen eingedenk zu finden, nothdürftig begünstigt, und nicht beleidigt zu fühlen. Ja, ich kann mich zuweilen, wenn die Tugend meinen Lieblingsneigungen entgegen ist, erst durch Ueberlegung ihrer guten Folgen für das Ganze der Gesellschaft zur Hochachtung zwingen müssen. Liegt aber in meinem Herzen kein Hinderniß, die Schönheit des tugendhaften Charakters anzuerkennen, und erscheint er mir dann in einer ungewöhnlichen Lage; bemerke ich an dem Menschen eine große Ueberwindung seiner Sinnlichkeit, eine außerordentliche Thätigkeit und Haltsamkeit im Guten; so entsteht bey mir ein lebhafteres Bild seines verehrungswürdigen Charakters, und die angenehme Reitzung, welche es begleitet, wird zur Wonne.

Diese Wonne kann ihren Grund darin haben, daß ich den tugendhaften Charakter in seiner Beziehung auf mein vernünftiges Wesen besonders betrachte. – Mich hat er gebildet, mir hat er Vertrauen zur Tugend und zu meinen Kräften eingeflößt, mich hat er angenehm erschüttert, mich und meine Mitgeschöpfe hat er mit weisen Lehren und Anstalten versehen; – alsdann ist die Verehrung eigennützig, und so kann sie ein Zögling, ein Unterthan, ein Sohn, ein Sektierer, für einen Fenelon, für einen Rochow, für einen Heinrich, für einen Alworthy, für einen Frank oder Spener empfinden!

Erhalte ich aber die Verehrung mit dem Zusatze der Wonne, den Menschen, der sie verdient, dadurch so glücklich zu wissen; suche ich ihn verehrungswürdig zu machen, um sein Glück zu vermehren; so ist Verehrung Wonne der Liebe. Und so verehrte liebend ein Johannes seinen außerordentlichen Lehrer, ein Agathon seinen Sokrates!

Begnüge ich mich endlich, den verehrungswürdigen Menschen aus der Ferne anzustaunen; – ist der Antheil, den ich an der Ruhe und Zufriedenheit nehme, welche er durch seine Tugend genießt, keine herrschende Empfindung in meiner Seele; fühle ich kein Bestreben, mich ihm zu nähern und mitzuwirken, damit er den Genuß seiner Würdigkeit in voller Maße einernte; so empfinde ich die Wonne der Verehrung wie eine bloße Beschauung. So staunen die meisten Menschen einen Cato oder Regulus an!

Hieraus ergiebt sich nun, in wie fern Achtung mit Liebe zusammengehe, und in wie fern nicht.

Unterwürfigkeit ist nie Liebe: das Werth für sich halten, ist nie Liebe: hingegen können Schätzung und Verehrung alsdann Liebe seyn, wenn wir sie mit dem wonnevollen Bestreben einnehmen, daß der Mensch durch den allgemeinen schätzbaren Werth, den er an sich trägt, und durch seine innere Würde glücklich und zufrieden mit sich selbst sey.


Eilftes Kapitel.
Absonderung der bloßen sympathetischen Aneignung und Mitempfindung, so wie der wonnevollen Beschauung des fremden Glücks, von dem liebenden Affekte.

Liebe setzt nothwendig die Ueberzeugung von der Selbstzufriedenheit eines andern Menschen, als endlichen Grund unsers wonnevollen Strebens nach der Beförderung seines Glücks zum Voraus. Wer also muntere, heitere, selbstzufriedene Menschen in der Absicht aufsucht, von ihrer Freude angesteckt zu werden, sich durch die Form des Frohsinns zur Freude einladen zu lassen; der betrachtet andere Menschen bloß als Mittel, als Instrumente, als Gaukler; der handelt ganz eigennützig. Dieß ist schon im ersten Buche bemerkt worden.

Wer aber auch diese Absicht, sich fremde Wonne zuzueignen, nicht hegt, aber ihren Frohsinn, ihre Selbstgenügsamkeit, ihre Glückseligkeit, als bloße Bestandtheile ihrer Vollkommenheit oder ihrer Schönheit mit Lust, aber unthätig anstaunt, liebt nicht, sondern empfindet Anschauungswonne. Die Seligkeit der Götter, wie sie von den Griechen gedacht und empfunden wurde, flößte diesen nicht Liebe, sondern ein unthätiges Vollkommenheits- und Schönheitsgefühl ein.

Endlich ist auch diejenige Theilnahme an anderer Selbstzufriedenheit nicht Liebe, welche ihre Aeußerungen gleichsam physisch sympathetisch in unserer Seele erwecken. Die Selbstzufriedenheit anderer muß uns nicht mittelst dunkler Rührungen, sondern mittelst klarer, wenn gleich nicht deutlicher Vorstellungen, die allein Ueberzeugung wirken können, zur Theilnahme einladen. Wir müssen wissen, was ihnen wohl thut, wie ihrem Glücke nachgeholfen werden könne, welche Gefahren ihm drohen. Nur dann können wir thätig und mit Wonne streben, es zu vermehren und zu bewahren.

Ich kenne Menschen, die sich sehr lebhaft für anderer Wohl zu interessieren scheinen. Aber ihr Interesse gehört ganz ihren Sinnen und nicht dem Herzen. Sie fühlen das fremde Glück ungefähr auf eben die Art, wie ihr Körper die physische Wollust empfindet, welche ihnen durch das Einströmen der Wärme des angenäherten Körpers zugeführt wird. Worte und Mienen des glücklichen Menschen, bloß die Formen der Selbstzufriedenheit, machen sie glücklich, nicht die Ueberzeugung von seiner innern Empfindung. Wir schlagen die Lache der Verzweiflung auf, und sie lachen mit aus Freude. Wir vergießen vor Freude Thränen, und sie weinen mit vor Betrübniß. Sie errathen nicht unsere Wünsche, als bis wir sie ihnen sagen; sie arbeiten nicht für uns, als bis und so lange sie uns streben sehen. Ich habe einen Richter gekannt, der die Menschen mit dem kältesten Blute zum Tode verdammte, wenn der Advocat die Gründe ihrer Unschuld kalt vorgetragen hatte, und der sie absolvierte, wenn die Vertheidigungsschrift des offenbar Schuldigen beweglich lautete. Menschen dieser Art können bey dieser Weichheit die allergröbsten Egoisten seyn. Denn sobald ihr Eigennutz zur deutlichen Vorstellung wird, – welches der häufigere Fall ist, – so unterdrückt er leicht jene schwächeren Rührungen einer beynahe physisch empfundenen Seelensympathie.

Liebe ist also mehr als bloße Weichheit. Sie ist freylich Wonne, Begünstigung der Sinnlichkeit der Seele, unwillkührlicher, unerzwungener Affekt, und darin ähnelt sie der bloßen Weichheit. Aber sie unterscheidet sich dadurch von dieser, daß sie Ueberzeugung von dem Glück anderer Menschen voraussetzt, nicht bloße dunkle Rührungen, Folge der wahrgenommenen Formen, der Selbstzufriedenheit. Das bloße Mitlachen, weil andere lachen, kann auch darum nicht für Liebe gelten, weil es so leicht in ein bloßes unthätiges Anschauen, oder in eine eigennützige Zueignung fremder Wonne übergeht. Der Mensch, als selbstbestehendes Wesen, wird dabey nicht geachtet, sondern nur das Bild der Freude, das seine Aeußerungen darbieten.

Inzwischen ist diese Weichheit immer eine gute Grundlage zu einem Herzen, welches durch Ausbildung wirklich liebend werden kann.

Zwölftes Kapitel.
Absonderung der Aufwallung der Geschlechtssympathie und der Sympathie mit dem Gleichartigen von dem liebenden Affekte.

Wer ist so verworfen, die vorübergehende Ueppigkeit oder Lüsternheit, welche ihm ein weiblicher Körper einflößt, für Liebe zu halten! Wer so ausgeartet, daß er behaupte: es liebe der Trunkenbold, der am Ende seiner Schwelgerey den unnennbaren Trieb bey der Tochter der Nacht befriedigt, die sein Auge nie sah, nie wieder sehen wird! Ha! so behauptet auch, es liebe jenes Thier, das man an Gestalt und Neigungen so gern zum Menschen herauf heben möchte, um sich selbst seiner Niedrigkeit weniger zu schämen; jene Affenart, welche, der Sage nach, unglückliche Mädchen hascht, sie zu ekelhaften Umarmungen zwingt, und dann mit mörderischem Zahne zerfleischt!

Aber auch die üppige Aufwallung der Seele, welche sie empfindet, wenn der Trieb nach Häuslichkeit bey ihr aufgeregt wird, wenn sie weich und zuvorkommend um den geselligen Beyfall des andern Geschlechts buhlt, nach dem Stolze des Besitzes der Person ringt; ja, selbst die Begeisterung für die Vorzüge einer Person vom andern Geschlechte, sind von der Liebe sehr verschieden. Verschieden ist gleichfalls von ihr die Aufwallung der Sympathie mit dem Gleichartigen.

Wer nur darum seinem Wesen das Geschlechtsähnliche eines andern anarten will, um sich stärker oder zärter zu fühlen; wer sich nur darum das Geschlechtsverschiedene eines andern Wesens angatten will, um sich im Zustande gezärtelter Spannung zu fühlen, unbekümmert um des Andern Zufriedenheit und Wohl; – der liebt nicht, der handelt ganz selbstisch. Wie mag der Stutzer, wie mag das gefallsüchtige Mädchen, die nur auf Befriedigung ihrer üppigen Eitelkeit ausgehen; wie mag der verzärtelte Alte, dem nur unter dem Geschwätz tändelnder Weiber wohl ist; wie mag der leichtsinnige Phantast, der in jeder Schönen eine Göttin anbetet; wie mögen alle diese ihren Aufwallungen von Geschlechtssympathie den Nahmen der Liebe beylegen? Wenn der Jagdliebhaber in dem Fremdlinge den rüstigen Jagdgefährten; der Gelehrte, der Kunstliebhaber, in dem Durchreisenden den Mann von gleichen Kenntnissen und Geschmack; das geschwätzige Weib in der neuen Bekanntin das willige Ohr und die geläufige Zunge gern haben, und sich zu diesen Personen hingezogen fühlen; wird man diese Aufwallungen der Sympathie mit dem Gleichartigen Liebe nennen wollen? Nein! damit die Wirksamkeit der Geschlechtssympathie und der Sympathie mit dem Gleichartigen für Liebe gelten könne, muß das Streben hinzutreten, den Mitmenschen durch Befriedigung dieser Triebe, die wir bey ihm so wohl, als bey uns voraussetzen, zu beglücken. Inzwischen so viel ist gewiß: beyde Anlagen unsers Wesens sind äußerst geschickt, liebende Affekte hervorzurufen. Denn da die Erweckung der Geschlechtssympathie so wohl als der Sympathie mit dem Gleichartigen auf dem Gefühle eines Wohlverhältnisses unserer Naturen beruhet; so rechnen wir darauf, daß der Mensch, von dem wir die Befriedigung derselben erwarten, sich in einer gleichen Lage gegen uns befinden werde; und da diese Befriedigung nie vollständiger ist, als wenn die Wonne, welche wir erwecken, in uns zurückströmt; so ist es schon der kluge Wunsch unsers Eigennutzes, daß das Wesen, mit dem wir uns in Verbindung setzen, unsere Zufriedenheit theile. Dazu gesellt sich die Eitelkeit, zu wissen, daß wir es sind, die so unmittelbar beglücken. Daher ist die Aeußerung der Sympathie mit dem Gleichartigen, und besonders der Geschlechtssympathie des Körpers und der Seele, ohne an und für sich Liebe zu seyn, der Regel nach mit Liebe verknüpft. Und dieß giebt wahrscheinlich zu der häufigen Verwechselung beyder mit einander Veranlassung.


Dreyzehntes Kapitel.
Harte Behandlung zur Beförderung des Glücks eines andern ist, als einzelner Akt betrachtet, nicht Liebe.

Gewisse Handlungen thun dem Menschen weh, gegen den sie unternommen werden, bezielen aber sein Glück in der Folge. Ein solcher Akt kann, als Form eines einzelnen Affekts, nie für Liebe genommen werden. Denn in dem Augenblicke, worin wir den andern quälen, um ihn dereinst zu beglücken, werden wir gewiß keine Wonne empfinden. Es geschieht vielmehr aus Bedürfniß, aus Ueberlegung, und die Handlung kann folglich nur der Vernunft, nicht dem Herzen unmittelbar angehören. Sie kann in die liebende Anhänglichkeit passen, und ein Ingredienz der Liebe in dieser Bedeutung seyn; aber eine einzelne liebende Aufwallung kann nicht dabey zum Grunde liegen. Allein auch in so fern die Härte mit der anhaltenden liebenden Stimmung in Beziehung auf eine bestimmte Person harmonieren soll, kommt alles darauf an: ob wirklich unsre Absicht dahin geht, daß der Mensch mit der Zeit sich selbst glücklich fühlen solle. Nie wird es mit der Liebe übereinstimmen, wenn wir ohne Rücksicht darauf, ob der Mensch in einiger Zeit das ihm bereitete Glück zu fühlen im Stande seyn werde oder nicht, ihn nach unsern Begriffen beseligen, und nach den seinigen quälen wollen. Wir müssen bey einem anscheinend übelwollenden Betragen sichere Rechnung darauf machen können, daß er, so wie wir ihn für eine selbstständige Person erkennen, die Folgen unserer gegenwärtigen Härte bald wohlthätig für sich selbst empfinden werde. Wer sein Kind für Unarten straft, kann darauf rechnen, daß es ihm als erwachsener Mensch dafür danken werde, und diese harte Behandlung, wenn sie gleich an sich nicht die Form einer einzelnen liebenden Aufwallung ist, gehört doch zur liebenden Anhänglichkeit. Wer aber sein Kind verstümmelt, um es vor Versuchungen des Lasters zu bewahren, kann auf seinen Dank, als Mensch, nicht rechnen. Wer ein Volk durch Aberglauben und Abgaben niederdrückt, um es vor den Gefahren einer falschen Aufklärung, oder eines übertriebenen Luxus zu bewahren, liebt es eben so wenig, als derjenige, der ohne Rücksicht auf die Sinnlichkeit und Rohheit der Menschen diese nach Gesetzen regiert wissen will, die nur im Reiche vollkommener Geister gelten können. In diesen und ähnlichen Fällen liebt man nicht die selbstständigen Personen, sondern man begehrt nur den Begriff vom höchsten Gut in Anwendung gebracht zu sehen. Vielleicht fällt die Inculpation des Unrechts bey einer solchen Verfahrungsweise weg: aber für liebend kann sie nicht gehalten werden.

Zweyter Abschnitt.
Von dem Entgegengesetzten und dem Aehnlichen der liebenden Anhänglichkeit.

Vierzehntes Kapitel.
Was der Liebe, als Anhänglichkeit betrachtet, in Beziehung auf andre dauernde Verhältnisse unmittelbar entgegen steht: Feindschaft.

Der Liebe, für dauernde angewöhnte Stimmung genommen, steht nicht die einzelne Aufwallung der Unlust, der Gleichgültigkeit, des antipathetischen Widerwillens, der Ungeselligkeit, des Uebelwollens, des Mitleidens, der Wonne der Selbstheit und des Beschauungshanges, kurz, nichts von demjenigen entgegen, was sich der einzelnen liebenden Anhänglichkeit entgegensetzt. Alles dieß, wenn es selten und vorübergehend wirkt, besteht mit der liebenden Anhänglichkeit.

Aber ihre Gegenfüßlerin ist Feindschaft: jene dauernde angewöhnte Stimmung unsers Wesens, übelwollende Affekte gegen eine bestimmte Person zu richten.

In diesem dauernden Verhältnisse prädominieren abneigende, zurückstoßende, herabwürdigende und zerstörende Triebe.

Funfzehntes Kapitel.
Was der liebenden Anhänglichkeit in Beziehung auf andere Anhänglichkeiten entgegen steht; Verbindungen, in denen Eigennutz und Beschauungshang prädominieren.

Es ist im zweyten Buche dieses Werks bereits hinreichend ausgeführt worden, daß Verbindungen, in denen der Eigennutz prädominiert, (z. B. diejenige, die unter Handlungsgenossen Statt findet,) daß andere, in denen der Beschauungshang prädominiert, (z. B. diejenige, die wir etwa für einen Helden des Alterthums empfinden,) nicht liebend sind. Aber viel schwerer ist es, diejenigen Anhänglichkeiten von der Liebe abzusondern, die wirklich Wohlwollen und Wohlthätigkeit zeigen, und den Verbündeten beglücken, ob sie gleich auf feinerer Selbstheit und einem versteckten Beschauungshange beruhen.

Eine Anhänglichkeit, die aus lauter liebenden Affekten besteht, ist ein Unding. Das Uebergewicht dieser letzten über die des Eigennutzes und des Beschauungssinnes bestimmt allein den liebenden Charakter der Verbindung im Ganzen.

Hier ist es nun für den fremden Zuschauer mißlich, die richtige Rechnung zu ziehen, und selbst die verbundenen Personen sind oft zweifelhaft: ob die Verbindung dem Herzen gehöre oder nicht? Das sicherste Merkmahl, daß ihr liebt und geliebt werdet, ist dieß, wenn ihr in Collisionsfällen den Eigennutz und Beschauungshang der Liebe weichen, und euch in den meisten Augenblicken der Dauer eurer Verbindung weniger bewundernd, weniger zueignend und anmaßend, als liebend findet.

Könnt ihr Wonne darüber fühlen, daß euer Freund, eure Geliebte, Ehre und Glücksgüter erlangen, zu denen ihr nichts beytruget, und die ihr nicht theilt; so seyd sicher, daß ihr liebt. Könnt ihr mit eurem Freunde, mit eurer Geliebten Trauer wie Freude tragen, eure Thränen mit den ihrigen mischen; möchtet ihr ihnen eure Leiden entziehen, lieber ihres Trostes entbehren, als sie betrüben; so seyd sicher, daß ihr liebt!

Könnt ihr zurückgestoßen, vergessen, nicht geachtet, getrennt von dem geliebten Gegenstande, und nach dem Verluste seiner Schönheit und seiner Unterhaltung, mit Wonne für sein Wohl streben; – ja, könnt ihr selbst dann, wenn ihr in die traurige Nothwendigkeit versetzt seyd, ihn als treulos zu verachten, dennoch ungesehen und unwillkührlich bey einer Gefahr, die ihm drohet, zittern, und Wonne fühlen, ihm wohl zu thun, ohne ihn zu beschämen; dann seyd sicher, ihr liebt! Ihr gebt nicht Liebe um Liebe; ihr gebt Liebe aus Liebe!


Sechzehntes Kapitel.
Beyspiele einiger Anhänglichkeiten, die nicht liebend sind, ob sie gleich dafür gehalten werden.

Ich will einige der Hauptarten von Anhänglichkeiten angeben, die von den liebenden überhaupt, und besonders von den zärtlichen abgesondert werden müssen.

Wie manches gefallsüchtige Weib hängt sich hauptsächlich darum an ein gutherziges Geschöpf von einem Manne, um an seiner unbedingten Willfahrung aller seiner Launen die Macht seiner Reitze zu erproben? Wie mancher Tyrann verbindet sich nicht mit einer Gattin, hauptsächlich um des wollüstigen Genusses willen, angebetet zu werden? Herrschsucht ist nicht Liebe!

Wie oft äußert sich nicht Zärtlichkeit und Sehnsucht, nur so lange die Gefahr dauert, den verbundenen Gegenstand zu verlieren? Stolz auf den alleinigen Besitz ist nicht Liebe.

Wie oft hängt sich nicht der gebildetere Theil an den roheren, bloß um ihn zu leiten, zu führen, zu erziehen? Bildungsbelustigung ist nicht Liebe!

Wie oft haben Weiber nicht bloß darum einen Liebhaber, weil es merkwürdig macht, einen zu haben; weil der Gatte sie nun verfolgen, die Menge sie nun bedauern wird! Ach! Begierde, interessant zu seyn, ist nicht Liebe!

Wie oft liebt man bloß darum, damit man etwas um die Hand habe, damit man eine Intrigue führen, Hindernisse überwinden könne! Beschäftigungstrieb ist nicht Liebe! –

Wo solche Triebe hervorstechend wirken, da ist keine Liebe vorhanden, sondern Selbstheit! Es ist unbegreiflich, wie fein sich diese auf unsere geselligen Triebe zu impfen, und in ihrem Boden zu parasieren weiß!

Ich habe Weiber gekannt, die den größten Genuß ihrer Verbindung mit Männern darin setzten, daß diese Gesundheit und Munterkeit des Geistes verloren, um sich sagen zu können: er martert sich aus Liebe zu mir zu Tode.

Auch Männern ist es eigen, daß sie nur Hülfsbedürftige lieben, denen sie helfen können, und diesen jeden Vortheil mißgönnen, den ihnen das Schicksal ohne ihr Zuthun gewährt. Sie wollen nicht die Zufriedenheit der Gattin, sie wollen die Aeußerungen ihrer Dankbarkeit, ihrer Abhängigkeit von ihnen: sie wollen den Stolz, sich sagen zu können: ich that’s! Dagegen habe ich einen andern Gatten gekannt, dem nichts schmerzhafter war, als seine Frau nicht immer heiter und froh zu sehen. Er that alles was er konnte, um sie stets zufrieden zu erhalten. Warum? Weil er, selbst zum Mißmuth sehr geneigt, kein anderes Mittel dagegen kannte, als seine tägliche Gesellschafterin immer lachend und gleich heiter zu sehen. Traf sie ein Unfall, verlor sie eine Freundin, einen nahen Anverwandten, so floh er sie. Das Bedürfniß, welches sie empfinden konnte, gerechte Thränen mit den seinigen zu mischen, das kannte er nicht.

Wie viele seines Gleichen hat dieser Mann! wie gewöhnlich ist jetzt der Grundsatz: alles Unangenehme von sich zu entfernen, um des Lebens besser zu genießen! Er schleicht sich sogar in häusliche und Familienverhältnisse ein, und manches Kind wird unwiederbringlich verdorben, weil der Vater die ersten Nachrichten, die ihm von seinen ersten Ausschweifungen gebracht werden, von sich stößt, um unangenehmen Empfindungen auszuweichen. Geht zu solchen Menschen, die ihr Freunde nennt, und klagt ihnen ein Unglück: theilt ihnen eine Besorgniß mit; ihr werdet es sichtlich bemerken, wie unangenehm ihnen die Stimmung ist, welche ihr ihnen mittheilt, wie sehr sie dieser auszuweichen, sie von sich zu entfernen streben. Sie werden euch sagen, daß ihr die Sache übertreibt, daß ihr zu viel Gewicht auf den Grund eures Kummers legt; und wenn ihr aus Bescheidenheit und Unmuth schweigt, so sind sie schon zufrieden. Genug, daß sie nicht mehr davon reden hören!

Giebt es aber nicht wieder andere Menschen, die sich gern unglücklich, krank, traurig fühlen? Allerdings! und zwar theils um gern gehabt, geliebkoset, verzärtelt, gehegt und gepflegt zu werden, theils aber auch um der bloßen üppigen Spannung willen, womit sie die Vorstellung ihres ausgezeichneten Leidens erfüllt. Solche Menschen denken nicht daran, daß der kränkelnde, winselnde Zustand, in dem sie sich befinden, ihren Gatten und Hausgenossen lästig werde. Sie setzen den Genuß der Liebe allein in dem Gefühle, andern viel werth zu seyn, und das Bedürfniß darnach ist so stark bey ihnen, daß sie alle andern Ansprüche ihrer Selbstheit aufopfern, um diesen einzigen zu befriedigen. Sie sind äußerst gefällig, sanft aufmerksam auf alles, was verbinden kann; aber – sie müssen verzogen werden. Oft ziehen sie gar den Zustand einer unglücklichen und unruhigen Liebe dem einer glücklichen und heitern vor. Jene spannt sie, weckt ihre Lebensgeister, erhebt sie vor ihren eigenen Augen, und gewährt ihnen den Reitz, den Verbündeten über sich weinen zu sehen, und sich dann mit ihm zu versöhnen!

Diese Beyspiele mögen hinreichen, die Schlupfwinkel der Selbstheit aufzudecken. Ich setze noch hinzu, was bereits aus meinen Vordersätzen fließt: daß ein Band, welches bloß oder größten Theils auf Achtung, Mitleiden, Dankbarkeit, ja, selbst auf Angewöhnung beruht, noch keine liebende oder gar zärtliche Anhänglichkeit genannt zu werden verdiene.

Die beschauende, eigennützige Schätzung und Verehrung ist allerdings ein Ingredienz jeder zärtlichen Anhänglichkeit. Ich habe es bereits gesagt; ich werde es in der Folge noch weiter darthun. Aber eine Verbindung, worin sie hervorsticht, bringt die Menschen nie sehr eng zusammen. Sehr leicht verwandelt sie sich in Furcht, und beleidigt die Selbstliebe. Sie legt uns die Pflicht auf, uns beständig zu bewachen, um vor dem geschätzten und verehrten Wesen nicht klein und verächtlich zu erscheinen. Dieß hemmt den freyen Lauf unserer Sinnlichkeit, unserer herrschenden Triebe; dieß hindert die Vereinigung der Naturen. Es wird im Ganzen ein zwangvoller Zustand.

Mitleiden ist äußerst geschickt, unser Herz für die Eindrücke der Zärtlichkeit zu erweichen. In Spanien geißelt man sich bey feyerlichen Processionen vor den Augen der Damen, deren Herz man zu gewinnen sucht. Krankheit, Leiden des Körpers und der Seele, werden oft bey uns aus eben dieser Ursach erlogen. Aber so lange man sich noch daran erinnern muß, daß jemand unglücklich sey, um ihm wohl zu wünschen; – so lange empfinden wir keine Anhänglichkeit an seiner Person; wir hängen nur an seiner vorübergehenden Lage.

Dankbarkeit fesselt oft das Herz. Durch Dankbarkeit für unzählige kleine Aufmerksamkeiten und Gefälligkeiten sucht der feinere, durch Dankbarkeit für Befriedigung des gröberen Eigennutzes sucht der rohere Wollüstling die Herzen der Weiber zu gewinnen. Aber welch ein schwaches Band, so lange wir in demjenigen, der uns interessieren will, nur den Ausspender von Wohlthaten sehen! Wir verbinden uns nur mit seiner einzelnen Eigenschaft, nicht mit seiner Person.

Gewohnheit, Angewöhnung, ist ein nothwendiger Bestandtheil zu jeder Anhänglichkeit, und besonders zu der zärtlichen: eines der größten Beförderungsmittel der Liebe. Durch Gewohnheit habe ich Gegenstände, die Anfangs noch so unerträglich waren, angenehm werden sehen. Gewohntes Beysammenseyn giebt eine Menge von kleinen Vereinigungshaken, in welche das Herz am Ende einfaßt.

Der Italiäner nennt süße Gewohnheit eine strenge Nothwendigkeit. Für Menschen, die der Regel nach höchst selbstsüchtig sind, für Alte und Fürsten, ist Gewohnheit noch das stärkste Band, das sie an andere fesselt. Doch! wenn sie nur allein wirkt, wenn sie von keiner andern liebenden Empfindung unterstützt wird; so ist sie eine schwache, höchst zerstörliche, und noch dazu eigennützige Empfindung, welche eine merkliche Collision mit der gröberen Selbstheit, eine Entbehrung, lang genug, um sich an diese zu gewöhnen, endigt und aufhebt. Wir finden am Ende, daß wir nur unsere Bequemlichkeit, und unsere Neigung zu dem Hergebrachten und einmahl Geordneten in unserer Lebensweise, geliebt haben: also, die Beschaffenheit der Person, die Einrichtung mit ihr, nicht einmahl eine persönliche Eigenschaft an ihr; am wenigsten die Person!

Inzwischen sind bloß liebende Affekte gleichfalls nicht hinreichend, zärtliche Anhänglichkeit zu erwecken. Unsere Selbstheit, unser Beschauungshang, müssen nothwendig zugleich Nahrung und Befriedigung finden. Dieß ist im zweyten Buche dieses Werks weitläufig ausgeführt worden, und bedarf hier nur einer Erinnerung. Wer wird behaupten, daß die uninteressierte Wonne, die ich daran finde, einen Unbekannten froh zu machen, daß die liebende Gastfreundschaft eine liebende Anhänglichkeit sey?

Siebzehntes Kapitel.
Absonderung der einzelnen liebenden Aufwallung der Geschlechtssympathie und der Sympathie mit dem Gleichartigen von den liebenden Anhänglichkeiten, welche aus diesen Trieben fließen.

Eben so ist die Geschlechtszärtlichkeit und die Freundschaft nach meinen vorigen Bestimmungen von dem einzelnen liebenden Affekte zu einer Person von verschiedenem oder ähnlichem Geschlechte zu unterscheiden. Sie setzen Angewöhnung unsers Wesens zu liebenden Affekten dieser Art gegen eine bestimmte Person zum Voraus.

Der Mann, der zufällig ein liebenswürdiges Weib in einer Gesellschaft antrifft, seine Ueppigkeit, seine Lüsternheit der Seele und des Körpers in Aufruhr gesetzt fühlt, mithin den Affekt der Geschlechtssympathie empfindet, kann wahrhaft wünschen, ihr diesen Zustand mitzutheilen, und sie dadurch eben so zu beglücken, als er sich dadurch beglückt fühlt. Er kann von ihr am folgenden Tage zur engsten Vertraulichkeit zugelassen werden, und vielleicht Wochen lang den vollständigen Reitz der Häuslichkeit genießen. Sein Wunsch wird in dieser Zeit dahin gehen können, sie glücklich durch dieß vorübergehende Verhältniß zu wissen, und unstreitig wird dieser Akt in seinem Leben zu den liebenden gehören. Aber gesetzt, er muß weiter reisen; er verläßt das Londoner Mädchen für das Pariser; vergißt in seinen Armen das vorige, und setzt dieß in mehreren Hauptstädten von Europa fort; es wird ihm beynahe zum Bedürfniß, sich in solchen liebenden Rollen zu fühlen; wird, frage ich, der Mann darum zärtliche Anhänglichkeit zu irgend einem von diesen Weibern fühlen? Im geringsten nicht: sein Wesen ist nicht zur Zärtlichkeit für eine bestimmte Person angewöhnt. Er unterscheidet sich von demjenigen, der Empfindungen der allgemeinen Menschenliebe Raum giebt, nur darin, daß dieser die ganze Gattung, er aber die Art, das Geschlecht, liebt. Er möchte alle Schönen beglücken.

Mit der Freundschaft verhält es sich eben so. Wer sie nur empfindet, so lange er den Freund sieht, und ihn leicht mit einem andern vertauscht, der kann auf Zärtlichkeit keinen Anspruch machen.


Achtzehntes Kapitel.
Absonderung der liebenden Anhänglichkeit vom Partheygeiste.

Es ist ein feiner aber höchst wahrer Unterschied zwischen der Liebe in der engsten Bedeutung und dem Partheygeiste, oder der Liebe zum collektiven Ich, welche oft grobe Selbstheit, oft feinere zu seyn scheint.

Jene herrschsüchtigen, heftigen Bonzen an der Spitze einer Sekte; jene kalt intriguanten Häupter einer geheimen Verbindung; jene verzärtelten Abgötter einer schwachköpfigen Familie; jene Koquetten, angebetet von einem Haufen eitler Müssiggänger; sagt! sollten die wohl lieben? Ach! laßt euch nicht durch ihre süßen Worte, durch die Herzlichkeit ihrer Geberden, durch die aufopfernde Wuth, mit der sie ihr Häuflein schützen, hintergehen! Ihr Anhang ist Theil ihres Ich’s: ein collektives, vermehrtes Ich: sie fühlen nur sich selbst in dieser Mehrheit. Herrschen wollen sie, ihre einzelne Unbedeutung durch Anreihung an einen größern Haufen heben; geliebkoset, bewundert, geschmeichelt wollen sie seyn. Kalte, gefallsüchtige Menschen! Die Person ist euch nicht theuer; ihr seht nur in ihr ein Mitglied eurer Heerde! Diese mag ganz aussterben; wenn nur andere schaafartige Individuen sie ersetzen, so werden eure Thränen versiegen.

Partheysüchtige Menschen sind mit ihrem Haufen nur in so fern vereinigt, als sie sich mit diesem allen andern Menschen entgegen stellen. Aber in ihren Verhältnissen unter sich verbinden sie ihre Person nie mit der Person der einzelnen Mitglieder, um diese zu beglücken, sondern um sich durch sie in ihren Neigungen und Zwecken begünstigt zu sehen.


Dritter Abschnitt.
Von dem Entgegengesetzten und dem Aehnlichen der Leidenschaft der Liebe.

Neunzehntes Kapitel.
Von demjenigen, was der Leidenschaft der Liebe in Beziehung auf andre leidenschaftliche Verhältnisse unmittelbar entgegen steht; Leidenschaft des Hasses.

Der Leidenschaft der Liebe, jener figierten Sehnsucht nach der unentbehrlichen Wonne, mit unserer Person in die Person eines andern Menschen überzugehen, ist der Haß entgegengesetzt; jene figierte Sehnsucht nach der unentbehrlichen Wonne, die Person eines andern Menschen durch die unsrige vertilgt zu fühlen.

Der Hassende strebt dem Gehaßten das Leben zu nehmen, oder er fristet ihm dieß, um ihn länger zu quälen, oder er raubt es ihm nach vorgängiger Entsagung auf alles Glück in der Zukunft; oder er stürzt sich mit ihm ins Verderben, um des Bewußtseyns willen, ihn unglücklich gemacht zu haben. In allen diesen Fällen sehnen wir uns nach der unentbehrlichen Wonne, den andern entweder ganz zu vertilgen, oder ihm wenigstens alles zu entziehen, was das Gefühl des Bestehens angenehm machen kann.

Beyde, die Leidenschaft der Liebe und des Hasses, kommen darin überein, daß sie eine figierte Wirksamkeit der Phantasie voraussetzen. Dort werden wir von dem Bilde des Ueberganges unsrer Person in eine andere, hier von dem Bilde des Vertilgens einer andern Person durch die unsrige besessen.


Zwanzigstes Kapitel.
Absonderung der Leidenschaft der Liebe von den leidenschaftlichen Bestrebungen der Lüsternheit des Körpers und der Seele.

Wenn es schwer ist, die liebende Anhänglichkeit von der nicht liebenden, aber wohlwollenden und wohlthuenden, abzusondern, so ist es noch schwerer, die Leidenschaft der Liebe von derjenigen, die auf Selbstheit und bloßer Geschlechtssympathie beruht, zu unterscheiden, wenn diese letzten mit Aufopferungen verknüpft sind.

Jede Leidenschaft, selbst die allerniedrigste der allergröbsten Selbstheit, setzt eine Aufopferung vieler Neigungen zum Voraus, welche dem Menschen, dessen Herz in Ruhe ist, zu seinem beynahe unentbehrlichen Wohlseyn zu gehören scheinen. So erträgt der Geitzige Hunger und Frost, und Nachtwachen und Schande, – nur um einen herrschenden Trieb, nehmlich den der Geldsucht, zu befriedigen. So opfert der Eitle oft allen Genuß des Gaumens und häuslicher Bequemlichkeit auf, nur um in glänzender Kleidung vor seinen Miteinwohnern zu erscheinen. So tauscht der leidenschaftliche Schwelger für die Versagung aller übrigen Triebe die Befriedigung des herrschenden, seiner Gierigkeit, ein.

Diesen ähnlich, nur feiner und edler, handeln der Ehrsüchtige, der das Lob seiner Mitbürger und seiner Nachkommen, und der geistige Stolze, welcher Selbstschätzung in jedem Zeitpunkte seines Lebens, für das höchste Gut halten, dessen Erreichung nicht theuer genug erkauft werden kann. Auf das Verdienstliche, auf das Sittliche der Leidenschaft, kommt es hier nicht an; es gilt nur, den Unterschied der Leidenschaft des Herzens von der der Selbstheit festzusetzen.

Nun ist aber nichts natürlicher, als daß die Leidenschaft, welche jedes Mittel braucht, um zu ihrem Zweck zu gelangen, auch die Handlungen der Liebe nutzt, um sich entweder Glücksgüter, oder Ehre, oder Unterhaltung, – denn es giebt auch einen leidenschaftlichen Trieb nach Belustigung, – zu verschaffen, und dem Stolze Nahrung zu bereiten. Ja, sie betrügt sich alsdann oft selbst, verwechselt das Mittel mit dem Zweck, glaubt aus Liebe zu lieben, da sie doch nur aus Leidenschaft der Selbstheit Handlungen hervorbringt, die in ihren Wirkungen der Liebe ähneln.

Besonders sind Weiber dem Irrthum ausgesetzt, jede leidenschaftliche Aeußerung, jede Aufopferung gewöhnlicher Neigungen für den Wunsch, ihnen zu gefallen, auf Rechnung einer liebenden Leidenschaft zu setzen. Und dennoch ist nichts zweydeutiger als dieser Beweis.

Ein Wollüstling, der ein unschuldiges Mädchen zum Opfer seiner Lüste bestimmt, alles aufbietet, um es zu gewinnen, sein Vermögen, alle Kräfte seines Körpers und seiner Seele aufopfert, um zu seinem Besitz zu gelangen, kann gewiß darum nicht für liebend gehalten werden. Wie oft hat ein solcher Unhold beym Mißlingen seiner Plane der Unglücklichen den Dolch in die Brust gestoßen, oder seine Lust an der widerstrebenden Ohnmacht gebüßt! Seine Leidenschaft begehrt offenbar die Befriedigung seiner Lust, nicht das Glück der Person: er betrachtet diese als ein Werkzeug, als ein nothwendiges Mittel, um zu einem einseitigen Genuß zu gelangen, in den er nur zufällig jene andere Person mit aufnimmt.

Aber ein stolzer Ritter oder Dichter des Mittelalters, die es zum höchsten Ziele ihres Strebens machten, von einer Prinzessin den Sold der Minne durch das Geschenk eines Bandes oder einer Schleife zu erhalten, sich bey der Anrufung ihres Nahmens mitten in die Haufen der Feinde stürzten, oder Jahre lang für sie hinschmachteten, und ihr Leiden in Versen und Prose ausschütteten; – kann man von diesen unbedingt behaupten, daß sie geliebt haben? Ich sage: keinesweges! Die geliebte Person konnte den Glanz, der sie umgab, verlieren, sie konnte in die Reihe gewöhnlicher Weiber treten; ja, sie konnte nur in eine völlig ruhige Lage zu dem Abenteurer kommen, in eine Lage, worin nun kein Ruhm vor ihren Augen einzuernten, kein Stolz auf den Besitz ihres Herzens zu nähren war; – schnell verschwand die Leidenschaft, und Langeweile trat an ihre Stelle. Wunsch nach Annäherung zum häuslichen Beysammenseyn, Wonne an dem Glück der Geliebten in einer ihr angemessenen Lage, war nicht der Zustand dieser höchst selbstischen Verbindung.

Wir haben keine Ritter und Troubadours mehr. Aber wir haben müssige Intriguanten und empfindsame Knaben, die interessant seyn wollen, in Menge. Eitelkeit ist an die Stelle der Ruhmsucht getreten, und empfindelnder Stolz hat immer seine Rechte beybehalten. Es giebt noch Männer und Weiber genug, welche den höchsten Reitz der Liebe darin setzen, andern und sich sagen zu können, daß sie so liebend sind, daß sie nach dem Besitz eines Herzens streben, daß sie ausgezeichnet glücklich oder unglücklich sind. Es giebt, sage ich, Menschen, welche die üppige Spannung der Empfindeley, welche die Führung einer Intrigue, und über alles den Stolz und den Ruhm lieben, als Martyrer der Liebe, oder als unwiderstehliche Herzensbezwinger sich und andern zu erscheinen. Diese Menschen streben nicht nach dem Glück der Geliebten, fühlen nicht die Unentbehrlichkeit seines Wohls zum Bewußtseyn ihrer glücklichen Persönlichkeit. Sie lieben bloß das Verhältniß, als unentbehrlich zu dem Zustande, in den sie sich selbst versetzen wollen.

Ein und zwanzigstes Kapitel.
Absonderung der Leidenschaft der Liebe von der Leidenschaft nach Vereinigung mit der Person, und nach ihrem ausschließenden Besitze.

Dieß sind Beyspiele von leidenschaftlichen Bestrebungen nach einzelnen Verhältnissen mit einer Person von verschiedenem Geschlechte; Verhältnissen, die zur Befriedigung einzelner Triebe der körperlichen Lüsternheit oder Seelenlüsternheit leidenschaftlich, d. h. mit Aufopferungen vieler Neigungen, begehrt werden, die für den kalten Menschen zum unentbehrlichen Wohlbestehen zu gehören scheinen.

Diese unterscheiden sich noch von der Leidenschaft nach dem Besitze der Person selbst.

Wenn wir bloß mit Leidenschaft streben, unsere körperliche Lüsternheit oder unsere Eitelkeit durch eine Person vom andern Geschlechte befriedigt zu sehen; so erscheint uns nicht die Person im Ganzen, sondern sie erscheint uns nur in dem besondern Verhältnisse, worin wir Genuß von ihr erwarten, oder bereits erhalten haben. Wir tragen das Bild einer Umarmung oder einer Auszeichnung mit uns herum. Von diesem Bilde werden wir besessen, und seiner Realisierung opfern wir so vieles auf.

Wir können aber auch den ausschließenden Besitz der Person selbst leidenschaftlich begehren, und dann verfolgt uns das Bild der gänzlichen Zueignung, des völligen, vollkommensten Angehörens. Es ist nicht mehr ein particuläres Verhältniß, in welches wir mit der Person zu kommen suchen; ihr ganzes Wesen macht den Gegenstand unserer Sehnsucht aus.

Dieß ist doch Liebe? Im geringsten nicht. Wir werden bey den Alten eine Menge von Beyspielen finden, worin Männer und Weiber den größten Gefahren getrotzt haben, um mit dem geliebten Gegenstande zusammen zu seyn, und sich sagen zu können: er gehört mein! Andere, in denen sich Männer und Weiber das Leben genommen haben, weil ihnen dieß nach dem Verlust des Geliebten von keinem Werthe weiter geschienen hat. Aber höchst selten findet man Beyspiele, in denen besonders Männer der damahligen Zeit ihr Leben auch dann daran gewagt hätten, wenn es darauf angekommen wäre, eine Geliebte, die sie sich nicht zueignen konnten, weil sie mit einem andern verbunden war, oder ihre Liebe nicht erwiederte, von einer Gefahr zu befreyen; die ihre Begierden aufgeopfert hätten, um die Gewissensruhe des geliebten Weibes zu schonen; die endlich selbst die Leidenschaft, den Besitz der Geliebten zu erlangen, dem Wohl dieser Geliebten, als eines selbstständigen Wesens, untergeordnet hätten.

Auffallend ist es aber, daß derjenige, der sich nur in so fern für einen andern aufopfert, als er mit ihm glücklich und vereinigt seyn, oder ihn sich ausschließend zueignen kann, daß dieser leidenschaftliche Mensch demjenigen ziemlich gleich ist, der sich für den Besitz eines Schatzes oder eines Sklaven aufopfert. Denn auch Geitzige haben oft mit Gefahr des Lebens für die Erhaltung ihrer Reichthümer gekämpft, und ihren Verlust nicht überlebt.

So gehört also zur Selbstheit jede Leidenschaft zu andern Personen, in der das Glück des Geliebten nicht unserm eigenen, und sogar demjenigen, daß wir in der Vereinigung mit ihm aufsuchen, vorgezogen wird. So gehört zur Selbstheit, oder zur bloßen Geschlechtssympathie, jede Leidenschaft, welche den Geliebten nur nach Art und Weise des Liebenden glücklich wissen, ihm nicht gönnen will, es in Gemäßheit seiner Geschlechtsanlagen und Verhältnisse zu seyn. Derjenige liebt nicht, der verlangt, der geliebte Gegenstand solle nur so glücklich seyn, als er es mit ihm zugleich seyn kann. Eine Geliebte, die von dem Manne fordert, daß er als ein Feiger aus der Schlacht fliehen solle, um sich für sie zu erhalten; oder daß er als Geschäftsmann seinen Beruf vernachlässigen solle, um ihr ganz anzugehören; ein Mann, der von der Liebenden die Aufopferung aller Schamhaftigkeit, alles Anstandes, die Vernachlässigung aller Pflichten der Tochter, der Mutter, der Hausfrau verlangt, um ihm das Gefühl zu geben, sie ist ganz mein; beyde lieben, aller Heftigkeit der Leidenschaft ungeachtet, nicht die selbstständige Person, sondern ihr Selbst.

Zwey und zwanzigstes Kapitel.
Gefahren der Begeisterung für wahre Liebe.

Keine Leidenschaft ist ohne Begeisterung: keine, worin nicht die Bilder des begehrten Gegenstandes äußerst lebhaft und anhaltend vor unserer Seele schwebten, auf Lieblingsneigungen träfen, und unsere Kräfte in ungewöhnlicher Maße nach Erlangung des Gegenstandes unserer Begierden hinspannen sollten. Einige Arten der Leidenschaften, vorzüglich diejenige, welche auf Geschlechtssympathie beruht, sind gemeiniglich mit Besessenheit und dem figierten Streben nach Selbstverwandlung gepaart.

Das Bild, welches uns in einem von diesen verschiedenen Zuständen der Begeisterung beherrscht, ist nun niemahls demjenigen[WS 14] Menschen völlig ähnlich, mit dem wir vereinigt zu werden streben. Allein die Grade der Untreue in der Darstellung sind sehr verschieden[WS 15]. Sehr oft ist es ein verschönertes, aber doch wieder zu erkennendes Bildniß; sehr oft aber ist es auch ein Ideal, das nicht die geringste Aehnlichkeit mit der Person hat, deren Vorzüge nur eine sehr entfernte Veranlassung gegeben haben, das Bild, welches uns begeistert, zusammenzusetzen. Diese Person wird bloß das Symbol des idealischen Gegenstandes, den wir anbeten, und dient dem schwärmerischen Verehrer einer unsichtbaren Gottheit zur Versinnlichung des geistigen Wesens.

Hier entdecken sich sogleich die Gefahren, welche der Liebe, die sich ohne Vereinigung mit einer neben uns existierenden bestimmten Person nicht denken läßt, aus der Begeisterung drohen, die durch ein bloßes Bild der Phantasie erweckt wird. Unbekümmert um das wahre Wohl der Person, welche nur den Stoff zu diesem Bilde hergegeben hat, müssen wir darnach streben, ihr nie so nahe zu kommen, um unser Ideal vermöge der Vergleichung zertrümmert, und die Spannung unserer Einbildungskraft geendigt zu sehen.

Der Ton einer Flöte, den ein junges Mädchen zum ersten Mahle bey Nachtzeit hörte, beflügelte seine Phantasie, sich den Spieler als den außerordentlichsten, liebenswürdigsten Sterblichen zu denken. In dieß Bild verliebte es sich, und blieb verliebt – bis es ihn sah.

Das Hinderniß, welches hier dem verliebten Mädchen auf eine Zeitlang physisch im Wege stand, sein Ideal mit dem Geliebten zu vergleichen, das empfinden viele andere geistig. Es liegt in unserer Eitelkeit, in unserm Hange zum Außerordentlichen, und sehr oft auch daran, daß wir den gespannten Zustand um der Spannung selbst willen lieb haben, und uns darin gefallen.

Das glänzende Aeußere, die Gewandheit, die Zuverlässigkeit gebildeter Weltleute pflegen gemeiniglich sehr stark auf die Phantasie des Neulings zu wirken, der zuerst in den geselligen Zirkeln auftritt. Die erste Empfindung ist peinlich; sie stellt den jungen Menschen in ein unvortheilhaftes Licht bey der Vergleichung, welche er zwischen seiner Lage und der des bewunderten Gesellschafters anstellt. Bezeigt ihm aber dieser die geringste Aufmerksamkeit, so trifft das Bild des Außerordentlichen auf seine Eitelkeit, und sogleich erscheint in seiner Seele ein Ideal von Vollkommenheit, mit dem er sich aufs innigste zu vereinigen, dessen Vorzüge und Lage er sich ganz anzueignen strebt. Er erhält inzwischen mehr Kenntniß von der Welt, und den seichten Eigenschaften, welche erfordert werden, um darin zu glänzen, und seine Bewunderung wechselt mit Verachtung.

Noch einladender zur Begeisterung ist bey jungen Menschen erregte körperliche Lüsternheit, die mit Hindernissen zu kämpfen hat. Die ärgsten Buhlerinnen sind oft am allergeschicktesten, jungen Männern zu Symbolen verkörperter Tugend zu dienen, wenn entweder äußere Lagen sich der Befriedigung ihrer Begierden entgegen setzen, oder wenn die gewinnsüchtige Person ihre lang hinausgesetzte Gunst durch manche Opfer vorher erkaufen lassen will.

Ueberhaupt sind Hindernisse, welche sich der Annäherung an die Person, und besonders bis zur körperlichen Gegenwart und Vereinigung entgegen setzen, wichtige Beförderungsmittel der Begeisterung in allen ihren Graden. Sie veranlassen Bilder von einem geistigen und außerordentlichen Verhältnisse, welches bald auf die entfernten Gegenstände unserer Annäherungstriebe übertragen wird. Sie stören nicht die Phantasie durch Vorstellungen des Mangelhaften und Gewöhnlichen. Darum werden diejenigen Personen, welche sich mit Gott, Geistern und Personen weit über ihrem Stande zu vereinigen streben, am leichtesten in Schwärmerey gerathen. Sie finden aber auch am ersten Befriedigung, weil nichts ihre Illusion stört. Eben darum gerathen sie auch so leicht in den wahnsinnigen Zustand einer wirklichen Selbstverwandlung.

Sehr oft wird die heftigste Leidenschaft, die auf Schwärmerey beruht, bloß dadurch geendigt, daß sich die Personen, welche sie für einander empfinden, bis zur nähern persönlichen Bekanntschaft einander nahe kommen. Die Geschichte eines schönen Geistes unsrer Zeit, der mit einer Dame von großem Verstande und vieler geselligen Liebenswürdigkeit in Verbindung stand, ist oft erzählt. Sie glaubten sich einander zu lieben, ihre Verhältnisse aber gestatteten ihnen nicht, sich ohne lästige Zeugen zu sehen und zu sprechen. Das einzige Mittel, welches ihnen zum Austausch ihrer Gefühle übrig blieb, war der Briefwechsel. Wie oft war dieser mit Wünschen angefüllt, sich endlich einmahl einander ganz so darstellen zu können, wie sie wären, und der Last einer langsamen Ueberlieferung ihrer Empfindungen durch Schrift entledigt, durch Geberde und mündliche Unterredung ihre Herzen gegen einander zu ergießen. Er erschien, der längstgewünschte Tag! aber noch ehe er verstrichen war, fanden sich die Geliebten genöthigt, einen Schirm zwischen sich zu stellen, und an einander zu schreiben.

Welch einen Contrast macht diese Geschichte mit der zweyer Liebenden aus dem vorigen Jahrhunderte! Auf gleiche Weise durch Verhältnisse und Lagen vor den Augen der Welt getrennt, hatten sie heimlich in einem Gartenhause ein ganzes Jahr hindurch ihre Zusammenkünfte häufig wiederholt. Am Ende des Jahrs bemerkt der eine, daß die Aussicht schön sey. „Ich bin verloren, ruft der andere, du siehst etwas außer mir!“

Noch weniger mit der Liebe harmonierend ist nun gar das absichtliche Streben, die Phantasie mit einem selbstgeschaffnen Ideale zu täuschen, entweder um im Zustande der Begeisterung und der Spannung der edelsten Kräfte unsers Wesens zu schwelgen, oder den Stolz, daß man das Außerordentliche so außerordentlich begehrt, zu nähren.

Dieser Fall tritt sehr häufig ein bey Dichtern, Künstlern, und überhaupt bey allen Personen, welche durch ihre beschränkten Umstände vom Umgange mit Menschen abgeschnitten leben, aber vermöge ihrer Beschäftigungen und Anlagen eben so sehr zu Träumereyen als zur Eitelkeit und zum geistigen Stolze aufgefordert werden. Unter den Charakteren dieser Art giebt es besonders zwey Arten. Die eine ist von Natur heiter, gesellig, eitel; kurz, sanguinisch, aber durch Umstände melancholisch geworden, und an Zurückgezogenheit gewöhnt. Personen dieser Art suchen Unterhaltung ihrer Einsamkeit in der Nährung von Bildern, welche zu gleicher Zeit ihrer Eitelkeit schmeicheln. Dahin gehören eine Menge von Religiosen, Nönnchen, Mädchen aus dem Mittelstande, junger Leute aus allen Ständen, die unter strenger Aufsicht stehen, u. s. w. Petrarca gehört gleichfalls hieher, wie im dritten Theile dieses Werks näher gezeigt werden wird.

Die andere Art ist von Natur finster, stolz und cholerisch melancholisch. Diese Personen zünden ein Feuer in sich an, das sie selbst, und den unglücklichen Gegenstand, der ihnen Gegenliebe schenkt, mit ihnen verzehrt. Sie suchen nur das Ungewöhnliche in dem Gegenstande ihrer Leidenschaft, in der Art, wie sie lieben und geliebt seyn wollen. Ihr Zustand ist eine Art von Raserey und finsterer Wuth, die aber für sie den Reitz der außerordentlichen Erhöhung ihrer Lebensgeister hat, die ihnen eben so zum Bedürfniß geworden ist, wie dem Orientaler das Opiat. Es giebt dieser Menschen zum Glück nicht viele. Aber eines jeden Erfahrung wird doch leicht ein Paar Beyspiele liefern. Rousseau hatte viel von diesem Charakter.

Beyde kommen darin überein, daß sie das Bild viel mehr als den Gegenstand, der es hergiebt, lieben. Dieser ist wirklich nur ein Mittel, das Bild desto lebhafter in ihrer Seele zu erhalten, indem sie es auf etwas Wirkliches beziehen. Die Person ist ihnen ungefähr das, was dem minder delicaten Weibe der Gatte ist, in dessen Umarmungen es an das Bild des abwesenden Buhlen denkt. Auch suchen sie sich nie dem Gegenstand so sehr zu nähern, daß dieß Gefühl der Individualität ihr Traumbild zerstören könnte. Sie thun wohl gar freywillig auf Gegenliebe Verzicht; verlangen nur, daß die Person sich lieben lasse, d. h. den Stoff zu dem Bilde hergebe, das sie begeistert. Auch sind sie in der Trennung von dem geliebten Gegenstande, worin sie ihn vollkommener ausmahlen können, nicht unglücklich. Ja! diese Trennung wird ihnen wohl gar angenehm, weil sie das Verhältniß um so reitzender finden, je qualvoller es ist. Sie häufen daher oft selbst die Schwierigkeiten, welche sich der gänzlichen Vereinigung entgegensetzen. Ueberzeugt, daß sie sich der Person, ohne Gefahr eines Verlusts der Spannung ihrer Phantasie, nicht weiter als bis auf diejenige Entfernung nähern dürfen, wo ihre Eigenschaften in einem günstigen Halbdunkel erscheinen, suchen sie nur einen solchen Standpunkt auf, worin sie ihn auf diese Art erblicken. Darum werden sie auch beynahe immer das Mittelmäßige dem Hervorstechenden vorziehen, weil jenes ihre Phantasie mehr auffordert, das Mangelhafte zu ersetzen. – Gemeiniglich sind sie das Spiel schlauer Coquetten, oder solcher Männer, die ihre Schwächen zu nutzen wissen.


Drey und zwanzigstes Kapitel.
Absonderung der Leidenschaft der Liebe von der liebenden Anhänglichkeit, die mit einzelnen leidenschaftlichen Aufwallungen verknüpft ist.

Leidenschaft ist figierte Sehnsucht nach der unentbehrlichen Wonne, unsere Person an die Person eines andern Menschen abzugeben, und sich in ihm zu verlieren. Ich habe es schon gesagt, daß dieser Zustand sich bey glücklicher Liebe nicht leicht finden wird; daß er allemahl Hindernisse, Versagungen, Trennungen voraussetzt. Demungeachtet kann die glücklichste Verbindung im ruhigsten Genusse der Vereinigung[WS 16] sehr wohl mit einzelnen leidenschaftlichen Aufwallungen verknüpft seyn, welche vorübergehende Lagen, eine Anwandlung von Eifersucht, eine kurze Trennung, eine kleine Verunwilligung zwischen dem Geliebten, ein heftigeres Andringen der Geschlechtssympathie, u. s. w. hervorbringen. Diese leidenschaftlichen Aufwallungen geben aber der Zärtlichkeit, oder auch der bloßen liebenden Anhänglichkeit noch keinesweges den Charakter der Leidenschaft der Liebe, so wie sie überhaupt für Liebe nichts beweisen.




Ende des ersten Theils.
Kurze Uebersicht
des Inhalts des ersten Theils.

Dieser Theil ist der Naturkunde der Liebe gewidmet.

Die Liebe wird bald für eine einzelne Aufwallung, bald für eine dauernde Anhänglichkeit, bald für Leidenschaft genommen.

In so fern wir mit dem Worte „Liebe“ eine einzelne Aufwallung bezeichnen, sehen wir bey dem Begriffe, den wir damit verbinden, entweder bloß auf die Willigkeit, mit der wir uns einem gewissen Zustande überlassen und entgegenbieten, oder zugleich auf die Art, wie wir uns während dieses Zustandes äußern Gegenständen, besonders vernünftigen Wesen, annähern, und für ihr Wohlbestehen Sorge tragen.

In der ersten Rücksicht heißt Liebe so viel als: jeder Zustand affektvoller Lust; gleichviel, woran und wozu? Sogar die Lust am baren Harren; die Lust am mindern Uebel bey der Wahl unter mehreren unangenehmen Zuständen wird mit diesem Nahmen belegt. Vergleichen wir aber mehrere Gefühle von Lust unter einander, so heißt allemahl der Zustand der höchsten Lust, derjenige, dem wir uns am willigsten überlassen und entgegenbieten, vorzüglich Liebe. Daher ist Liebe – Lust am gegenwärtigen Genusse; und zwar nicht des bloßen Genügens, der bloßen Zufriedenheit mit dem Ruhestande des Lebens; – Nein, Lust an der Ausgelassenheit des Lebens; Wollust und Wonne. – Vor allem aber Wollust und Wonne an fortschreitender Ausbildung des gegenwärtigen Genusses.

Nehmen wir aber zweytens, bey der Bezeichnung dieser angenehmen Zustände unsers Wesens zugleich auf das Verhältniß Rücksicht, in welches wir dadurch zu andern Wesen zu stehen kommen; so erhält der Begriff eine bestimmtere Bedeutung. Liebe heißt dann: wonnevolles Bestreben nach Ausbildung des Genusses eines gemeinschaftlichen Daseyns und Wohls mit einem uns angenäherten, aber von uns noch verschiedenen Gegenstande. Kürzer: Wonne der Sympathie.

Bey der Vergleichung mehrerer Wonnegefühle der Sympathie unter einander ist dasjenige das reinste, unverdächtigste und höchste, welches uns der Mensch einflößt. Wonne der Sympathie mit dem Menschen heißt daher vorzüglich Liebe. Dieß Gefühl setzt zum Voraus, daß wir die Selbstständigkeit und das Wohl des andern unmittelbar als den Grund unserer Wonne ansehen, und zugleich durch das begünstigte Bestreben sein Glück zu befördern, aufmerksam darauf werden, daß wir den Genuß eines gemeinschaftlichen Daseyns und Wohls fortschreitend ausbilden. Liebe, in der engsten Bedeutung, (als einzelne Aufwallung betrachtet,) ist daher wonnevolles Bestreben nach Beförderung des Glücks eines andern Menschen um der Ueberzeugung willen, daß dieser sich selbst glücklich fühle.

Herz ist alle Mahl die Fähigkeit, Liebe zu empfinden.

Der Liebe steht Gleichgültigkeit und schwache Willensregung entgegen, in so fern wir bloß auf die Stärke einer gewissen Reitzung überhaupt, es sey zur Lust oder Unlust, Rücksicht nehmen. Verstehen wir unter Liebe eine stärkere Reitzung zur Lust; so setzt sich ihr Abneigung und Scheu vor einem gewissen Zustande entgegen. Bedeutet Liebe so viel als Wollust und Wonne; so ist ihr bares Harren, Genügen des fortwährenden Bedürfnisses, bloße Zufriedenheit mit dem Ruhestande des Lebens entgegenzustellen. Endlich steht ihr, in so fern Wollust und Wonne an fortschreitender Ausbildung des gegenwärtigen Genusses darunter verstanden wird, der Zustand des bestrebungslosen Vergnügens und der endenden Begierde entgegen.

Der Liebe, für Lust zur Annäherung an äußere Gegenstände und Sorge für ihre Erhaltung genommen, ist Ungeselligkeit und Uebelwollen zuwider. Für sympathetische Lust genommen steht ihr der Widerwille der Antipathie entgegen. Dem wonnevollen Bestreben nach der Beförderung des Glücks eines andern Menschen, um der Ueberzeugung willen, daß er sich selbst glücklich fühle: der Liebe im engsten Sinne, steht das bloße Genügen des gestillten oder auch begünstigten Mitleidens entgegen.

Nicht so wohl der Liebe unbedingt entgegengesetzt, als vielmehr nur von ihr verschieden, erscheint die Wonne der Selbstheit und des Beschauungshanges. Wonne der Selbstheit ist diejenige Lust an der Ausgelassenheit des Lebens, die nach Ueberschlagung unsers persönlichen Vortheils bey uns entsteht, und, in so fern wir dabey auf die Art der Annäherung an andere Menschen Rücksicht nehmen, diejenige Wonne, die erst nach vorgängiger Beziehung des angenäherten Menschen auf unser persönliches Wohl, wie Mittel zum Zweck, in uns erweckt wird. – Wonne des Beschauungshanges ist diejenige Wonne, die bey völliger Ruhe unsers Bestrebungsvermögens, und ohne Beachtung unsers eigenen Zustandes, bloß durch die Bemerkung des Auffallenden der Eigenthümlichkeiten eines Gegenstandes, dem wir uns von ferne nähern, in uns erweckt wird.

Die nähere Ausführung und Bestimmung dieser Begriffe liefern das erste Buch und der erste Abschnitt des sechsten.


Liebe, als Anhänglichkeit betrachtet, heißt angewöhnte Stimmung unsers Wesens, nach Beglückung einer bestimmten Person wonnevoll zu streben, um der Ueberzeugung willen, daß sich diese selbst glücklich fühle.

Liebe in diesem Sinne setzt nicht bloß liebende Affekte, sondern ein Gewebe von Affekten zum Voraus, die Wirkungen der ungleichartigsten Triebe seyn können. Alle Triebe, welche ohne Annäherung an andere Menschen und ihre Erhaltung nicht befriedigt werden können; alle Triebe, die nur um ihrer Folgen willen gesellig genannt zu werden verdienen, dürfen hier mit ins Spiel kommen. Genug, wenn sie eine angewöhnte Richtung zu einer bestimmten Person hin genommen haben, und wenn die Wonne der Sympathie mit dem Menschen, (die eigentliche Liebe,) die Oberhand behält. Daher kann sich bey der liebenden Anhänglichkeit ein gewisser Grad von Zwang mit einmischen, es kann die Selbstheit, es kann der Beschauungshang mit wirksam seyn; ja es scheint, daß beyde mitwirken müssen, wenn die Verbindung enger und dauernder seyn soll.

Es giebt aber mehrere Arten von liebender Anhänglichkeit.

Wir schließen entweder nur etwas Persönliches an die Person des andern Menschen an; oder wir vereinigen gar unsere Natur mit der seinigen.

Die erste Art der Verbindung nenne ich persönliche Ergebenheit; und diese theilt sich wieder in liebendes Patronat gegen liebende Clientel, und liebende Genossenschaft oder Brüderschaft.

Liebendes Patronat gegen liebende Clientel findet Statt unter Personen, die in ihren Verhältnissen gegen einander wie Obere zu Untergebenen stehen. Liebende Genossenschaft findet Statt unter Personen, die sich unter gleichen Verhältnissen verbinden, ob sie gleich ihre Naturen nicht vereinigen.

Die Vereinigung der Naturen setzt zum Voraus, daß der Mensch angewöhnt sey, den Verbündeten so beglücken zu wollen, wie er es selbst in der Ausgelassenheit seines Lebens zu seyn wünscht, und daß er dann in einem Genusse mit ihm zusammen zu treffen strebe. Natur heißt hier die engste Sinnlichkeit. Die angewöhnte Stimmung unsers Wesens, einen andern Menschen in unsre engste Sinnlichkeit mit aufzunehmen, um sich dadurch wechselseitig zu beglücken, heißt Zärtlichkeit. Mit andern Worten: Zärtlichkeit ist das angewöhnte wonnevolle Bestreben nach beglückender Zusammensetzung zweyer Personen zu einer, durch Vereinigung der Naturen.

Herz heißt auch hier wieder die Fähigkeit, sich liebend anzuhängen.

Die Gegenfüßlerin der liebenden Anhänglichkeit ist Feindschaft: jene angewöhnte Stimmung unsers Wesens, übelwollende Affekte gegen eine bestimmte Person zu richten.

Verschieden von der liebenden Anhänglichkeit sind alle engeren Verbindungen, in denen Selbstheit oder Beschauungshang die Oberhand gewinnen.

Die Ausführung und nähere Bestimmung dieser Begriffe liefern das zweyte Buch und der zweyte Abschnitt im sechsten.



Die Zärtlichkeit theilt sich in Freundschaft und Geschlechtszärtlichkeit ab. Um den Begriff von beyden zu fassen müssen die Begriffe der Sympathie mit dem Gleichartigen und der Geschlechtssympathie vorläufig entwickelt werden.

Die Anlagen oder Fähigkeiten des Menschen können so wohl dem Körper als der Seele nach auf zwey Dispositionen zurückgeführt werden, deren eine seine Stärke, die andere seine Zartheit ausmacht. Beyde Dispositionen finden sich in jedem Menschen, er mag seinen äußern Kennzeichen nach zur Classe der Mannspersonen oder zu der der Frauenspersonen gerechnet werden.

Zur Stärke des Menschen gehört sein Vermögen, hart angreifende Reitzungen für die Sensibilität seiner Sinnenorgane zu leiden, die feurigere Wallung der Lebenskraft, und die Anstrengung der Lebenswerkzeuge zu dulden: sein Gemüth erschüttert, seinen Geist emporgehoben zu fühlen. Es gehört aber auch dahin seine Kraft, sich gegen andere Gegenstände hart angreifend zu bewegen, ihnen die Wallung seiner Lebenskraft, die Anstrengung seiner Lebenswerkzeuge mitzutheilen: ihr Gemüth zu erschüttern, ihren Geist emporzuheben. Mithin hat jeder Mensch ein leidendes Vermögen und eine thätige Kraft an sich, die sich unter dem Charakter der Stärke als eine besondere Disposition seiner Anlagen überhaupt ankündigen. Der Zustand, in den er durch die Wirksamkeit dieser Stärke geräth, ist der einer leidenden oder thätigen Spannung.

Zur Zartheit des Menschen gehört dagegen sein Vermögen, sanfte Reitzungen für die Sensibilität seiner äußern Sinnenorgane zu leiden: die Allmähligkeit und Auflösung der Lebenskraft und Lebenswerkzeuge zu dulden: sein Gemüth erweicht, seinen Geist in leichter Schwingung zu fühlen. Es gehört aber auch dahin die Kraft, auf andere Gegenstände sanft einzuwirken, und ihnen unsre Allmähligkeit, Auflösung, Weichheit und leichte Schwingung mitzutheilen. Folglich birgt jeder Mensch ein leidendes Vermögen und eine thätige Kraft in sich, die sich unter dem Charakter der Zartheit, als eine besondere Disposition seiner Anlagen überhaupt, ankündigen. Der Zustand, in den er durch die Wirksamkeit seiner Zartheit geräth, ist der einer leidenden oder thätigen Zärtelung.

Jeder Mensch ist, wie gesagt, mit dieser doppelten Disposition seiner Vermögen und Kräfte ausgerüstet, die, in Rücksicht auf die ganze Gattung seiner Anlagen, als zwey Geschlechter derselben anzusehen sind. In so fern aber die Menschen mit dem ganzen Inbegriff ihrer Anlagen, der sich in jedem Einzelnen von ihnen findet, unter sich, und in Rücksicht auf die ganze Gattung der Individuen betrachtet werden, findet sich bey dem einen die Disposition zur Stärke hervorstechend vor der zur Zartheit: bey dem andern aber die Zartheit im Uebergewicht über die Stärke. Dieß begründet die Eintheilung der menschlichen Gattung in zwey Geschlechter. Der Mensch, bey dem die Stärke die Zartheit überwiegt, ist Mann: der Mensch, bey dem die Zartheit über die Stärke hervorragt, ist Weib.

Wenn der Mensch, der sich stark fühlt, sich dem starken Menschen nähert, um in der Verbindung mit ihm seine Stärke zu ergänzen; – so empfindet er Sympathie mit dem gleichartigen Starken, oder mit dem ähnlichen Geschlechte in andern, und sein Zustand wird der der reinen aber erhöheten Spannung.

Wenn der Mensch, der sich zart fühlt, sich dem zarten Menschen nähert, um in der Verbindung mit ihm seine Zartheit zu ergänzen; – so empfindet er Sympathie mit dem gleichartigen Zarten, oder mit dem ähnlichen Geschlechte in andern, und sein Zustand ist der der reinen aber erhöheten Zärtelung.

Zuweilen gerathen die beyden Dispositionen im Menschen in Aufruhr, und er strebt nach der vollkommensten Wirksamkeit seiner Anlagen durch gleichzeitige Spannung und Zärtelung. Dann nähert er sich einem andern Menschen, dem er eine verschiedene Mischung der Dispositionen von der seinigen, d. h. ein verschiedenes Geschlecht zutrauet, um in der Verbindung mit ihm nicht bloß die eine oder die andere Disposition seiner Anlagen, sondern ihre Gattung im Ganzen zu verbessern. Er empfindet alsdann Sympathie mit dem Geschlechtsverschiedenen: Geschlechts, oder wie man es billig nennen sollte, Gattungssympathie. Der Zustand, dem er nachstrebt, ist der einer gezärtelten Spannung. Ein Zustand von überschwenglicher Wollust und Wonne, wegen der ausgebreiteten und erhöheten Wirksamkeit beyder Dispositionen unserer Vermögen und Kräfte.

Inzwischen werden sich zwey, den herrschenden Dispositionen nach ähnliche Menschen eben so wenig unter einander anziehen, als zwey Menschen, die den herrschenden Dispositionen nach verschieden sind, wenn nicht ein gewisses Wohlverhältniß zwischen ihnen Statt findet, das in der Aehnlichkeit, oder in der Verschiedenheit ihrer Anlagen allein nicht zu suchen ist. Dieß Wohlverhältniß beruht bey der Verbindung zwischen den ähnlichen Wesen in dem Gefühle, daß sie durch wechselseitige Mittheilung ihrer ähnlichen Dispositionen die Wirksamkeit der Vermögen und Kräfte einer Art erhöhen können. In der Verbindung zwischen den verschiedenen Wesen beruht es aber in dem Gefühle, daß sie durch wechselseitige Mittheilung ihrer verschiedenen Dispositionen ihre Vermögen und Kräfte, der ganzen Gattung nach, in vollkommnerer Wirksamkeit fühlen können.

Sympathie mit dem Gleichartigen ist folglich Neigung des Menschen, seinem Wesen das Geschlechtsähnliche eines andern Wesens anzuarten. Der Starke will sich in der Verbindung mit dem Starken stärker: der Zarte in der Verbindung mit dem Zarten zärter fühlen: jener strebt dem Zustande der reinen erhöheten Spannung, dieser dem Zustande der reinen erhöheten Zärtelung nach.

Geschlechtssympathie ist die Neigung des Menschen, seinem Wesen das Geschlechtsverschiedene eines andern Wesens anzugatten. Der Starke will sich zugleich zart, der Zarte zugleich stark fühlen. Jener erhält dadurch den Charakter geschmeidiger Stärke, dieser den Charakter hebender Zartheit; und der Zustand, in dem sie beyde zusammentreffen, ist der einer gleichzeitig leidenden und thätigen Spannung und Zärtelung.

Die Geschlechtssympathie äußert sich so wohl am Körper als an der Seele.

Die körperliche wird eingetheilt in Ueppigkeit, Lüsternheit, und den unnennbaren Trieb.

Die körperliche Ueppigkeit ist die Anlage zu jener überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit der Sensibilität unserer äußern Sinnenorgane, und besonders derer der Tastung, wenn diese durch das Wohlverhältniß ihrer geschmeidigen Stärke zur hebenden Zartheit der Oberfläche der Körper, in die sie sich einlagern, in eine gleichzeitig leidende und thätige Spannung und Zärtelung gerathen.

Die körperliche Lüsternheit ist die Anlage zu jener überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit der Lebenskraft unserer ganzen thierischen Organisation, wenn diese durch das Wohlverhältniß ihrer geschmeidigen Stärke zur hebenden Zartheit der Organisation eines angenäherten belebten Körpers, in eine gleichzeitig leidende und thätige Spannung und Zärtelung geräth.

Der unnennbare Trieb ist die Anlage zum unnennbaren Genusse, – zu jener überschwenglich wollüstigen Wirksamkeit unserer vegetabilischen Organisation, der unstreitig an ähnliche Gesetze wie die beyden vorigen Arten von Gefühlen gebunden ist, und einen ähnlichen Charakter mit sich führt, welches aber um des Anstandes willen nicht weiter ausgeführt werden darf.

Die Geschlechtssympathie der Seele wird theils am Gemüthe, (an dem niedern Seelenwesen,) theils am Geiste, (an dem obern Seelenwesen,) empfunden.

Die Geschlechtssympathie des Gemüths wird ihre Ueppigkeit genannt. Sie entsteht, wenn wir unser Gemüth in seinen Verhältnissen zu andern Gemüthern zugleich leidend und thätig, hingebend und beherrschend, mithin geschmeidig stark gegen hebende Zartheit fühlen. Dadurch kommen wir in eine so enge Verbindung mit dem Gemüthe außer uns, daß wir Besitz davon nehmen, und uns mit ihm von der übrigen Gesellschaft der Menschen als ein einzelnes Paar absondern: oder was einerley ist, unser Gemüth in das Gemüth des andern einlagern. Der Zustand ist auch hier gleichzeitig leidende und thätige Spannung und Zärtelung, und eben dadurch der einer überschwenglichen Wonne.

Haupterscheinungen der Ueppigkeit der Seele zeigen sich in dem Triebe nach Häuslichkeit, nach geselliger Auszeichnung vom andern Geschlechte, im Stolze auf den Besitz der Person: u. s. w.

Der Geist ist gleichfalls einer Geschlechtssympathie unterworfen, die mit der Lüsternheit des Körpers große Aehnlichkeit hat. Er strebt zuweilen darnach, von einem andern Geiste völlig besessen zu werden. In diesem Zustande fühlt sich unser Geist einem höhern Geiste unterworfen, hebt sich aber diesem zart entgegen, und fühlt zugleich dessen Stärke geschmeidig genug, um sich in der engsten Verbindung mit ihm zu denken. Der Zustand während einer solchen Besessenheit ist wieder der einer gleichzeitig leidenden und thätigen Spannung und Zärtelung, und vielleicht unter allen, die dem Menschen zu Theil werden können, der wonnevollste.

Diese verschiedenen Erscheinungen der Geschlechtssympathie können sich alle vereinigt zeigen; sie können sich aber auch einzeln offenbaren. Sie sind Ausflüsse eines allgemeinen Hanges unserer Natur nach Vervollkommnung der Wirksamkeit unserer Vermögen und Kräfte. Sie sind aber gar nicht unzertrennlich mit einander verbunden. Die Ueppigkeit des Körpers kann ohne Erregung der Lüsternheit desselben, diese ohne Erweckung des unnennbaren Triebes geschäftig seyn. Die Seele kann der Geschlechtssympathie huldigen, ohne den Körper in einen ähnlichen Aufruhr zu versetzen: umgekehrt kann der Körper in Aufruhr gerathen, ohne die Seele anzustecken. Inzwischen ist es begreiflich, daß wegen des genauen Zusammenhangs des Körpers mit der Seele, und ihrer verschiedenen Vermögen und Kräfte unter einander, der Aufruhr in dem einen Theile unsers Wesens sehr leicht in die übrigen übergehe.

Die Geschlechtssympathie äußert sich am deutlichsten und vollständigsten in den Verhältnissen zwischen solchen Personen, die ihren äußern Kennzeichen nach für Mann und Weib gehalten werden. Aber auch Personen, die äußern Kennzeichen nach zu einerley Geschlecht zu gehören scheinen, können die Geschlechtssympathie in einander erwecken.

Aus Allem, was zu Bezeichnung der Geschlechtssympathie gesagt ist, erhellet, daß diese bald deutlicher bald versteckter wirke.

Die nähere Ausführung dieser Sätze liefert das dritte Buch.


Nachdem der Begriff der Geschlechtssympathie und der Sympathie mit dem Gleichartigen festgesetzt ist, so lassen sich nun auch die der Freundschaft und der Geschlechtszärtlichkeit leicht angeben.

Beyde haben dieß mit einander gemein, daß sie angewöhnte Stimmungen sind, nach beglückender Zusammensetzung zweyer Personen zu einer, durch Vereinigung der Naturen zu streben. Beyde sind folglich Arten der Zärtlichkeit. Allein darin unterscheiden sie sich von einander, daß die Freundschaft auf Sympathie mit dem Gleichartigen beruht, folglich gleichartige Naturen zu vermengen strebt: daß hingegen Geschlechtszärtlichkeit auf Geschlechtssympathie beruht, und geschlechtsverschiedene Naturen zu vermählen strebt.

Die Zeichen, woran man beyde in der wirklichen Welt von einander auskennen soll, sind sehr schwer anzugeben. Doch darf man sicher da auf Geschlechtszärtlichkeit rechnen, wo Symptome der Ueppigkeit des Körpers und der Seele bey den Empfindungen und Aeußerungen der Verbindung herrschend angetroffen werden. Es ist aber keinesweges nothwendig, daß grobe Symptome der Geschlechtssympathie, besonders des Körpers, dabey erscheinen. Ihre Abwesenheit beweiset folglich nichts für das Daseyn der bloßen Freundschaft.

Nach diesen Bemerkungen kann Freundschaft unter Personen Statt finden, die äußern Kennzeichen nach zu verschiedenen Geschlechtern gehören; und Geschlechtszärtlichkeit unter Personen, die zu dem nehmlichen nach jenen bloß äußern Kennzeichen gehören. Denn da die Geschlechtssympathie mehrere Modifikationen annimmt, und sich sowohl an der Seele als am Körper äußert; so können Personen, welche die letzte gar nicht, oder höchst dunkel bey einander aufregen, dennoch wegen der Geschlechtsverschiedenheit ihrer Seelen in das Verhältniß der Geschlechtszärtlichkeit mit einander treten.

Freundschaft und Geschlechtszärtlichkeit setzen allemahl einen strebenden Zustand zum Voraus, wenn gleich die Verbündeten sich wechselseitig vereinigt glauben. Denn sie suchen die Ueberzeugung ihrer Vereinigung immer zu erhöhen, und die Beweise, die sie sich darüber geben, beständig zu vervielfältigen. Inzwischen unterscheidet sich der Zustand, worin sie durch das Bewußtseyn gerathen, daß ihnen die Vereinigung in vielen Stücken gelungen ist, von demjenigen, worin sie dieß Bewußtseyn noch nicht haben, durch einen höhern Grad von Wonne, und eine engere Verkettung ihrer Schicksale.

Das vierte Buch liefert die nähere Ausführung dieser Sätze.


Die letzte und engste Bedeutung des Worts „Liebe“ ist diejenige, worin es für Leidenschaft der Liebe zum Geschlecht genommen wird.

Leidenschaft überhaupt heißt figierte Sehnsucht nach einer gewissen Wonne, die wir zu unserm Daseyn und Wohl unentbehrlich halten. Das Bedürfniß gesellt sich folglich zur Wonne und die Sehnsucht, welche auf beyden beruht, wird zur herrschenden und anhaltenden Stimmung unsers Wesens.

Die Leidenschaft ist liebend, wenn der Begriff einer figierten Sehnsucht nach der unentbehrlichen Wonne an der Beförderung des Glücks eines andern Menschen auf sie zutrifft. Die Leidenschaft der Geschlechtsliebe übertrifft alle andre an Umfang und Stärke. Hier sehnen wir uns, das Bewußtseyn unserer Persönlichkeit zu verlieren, und uns unter dem Bilde einer andern Person wiederzufinden. Wer sich in diesem Zustande befindet, muß nothwendig das Wohl des Menschen, mit dem er sich auf solche Art zu vereinigen sucht, seinem eigenen vorziehen, weil er seine Existenz und sein Wohl nur in ihm erkennt. Das Bestreben, den andern glücklich zu wissen, der Charackter der Liebe, liegt also bereits in der gänzlichen Aufopferung unserer Persönlichkeit. Man darf sagen: Leidenschaft der Geschlechtsliebe sey figierte Sehnsucht nach der unentbehrlichen Wonne, das Bewußtseyn unsers Selbstes unter dem Bilde des Selbstes eines andern Menschen zu erhalten.

Dieser gewaltsame Zustand setzt die Wirksamkeit zweyer Anlagen in uns zum Voraus, der Selbstverwandlungs- und der Figierungskraft. Vermöge der ersten verirren wir uns bey unserm Selbstbewußtseyn, indem wir die Eigenheiten eines Gegenstandes, der von uns getrennt ist, zu unsern eigenen machen: vermöge der zweyten wird ein gewisser sinnlicher Eindruck, oder eine gewisse Vorstellung der Seele in uns herrschend und dauernd.

Wenn die Selbstverwandlung bey uns bis zur Vollkommenheit steigt, und figiert wird, so geht der Mensch zum völligen Wahnsinn über. Wenn aber die Selbstverwandlung nur unvollkommen und zuweilen geräth, und bloß das Streben nach dem Zustande, worin wir mit einer andern Person eins geworden zu seyn wähnen, bey uns figiert wird; dann entsteht die Leidenschaft der Liebe. Die Leidenschaft der Liebe zum andern Geschlecht hat dieß zum Voraus, daß in ihr unendlich mehr Veranlassungen liegen, die Möglichkeit einer Selbstverwandlung zu ahnden, als in jeder andern.

Der Grund der Wirksamkeit der Selbstverwandlungs- und Figierungskraft liegt in einer Ueberspannung der Kräfte des Körpers und der Seele. Diese hängt nicht von unserer Willkühr ab; mithin steht es nicht in unserer Macht, in Leidenschaft zu gerathen, wenn wir wollen. Aber wir können unsere Anlage dazu sehr befördern. Wir können uns absichtlich spannen, und uns dadurch zur Ueberspannung fähiger machen.

Die Leidenschaft kann aus eben diesem Grunde sehr wohl plötzlich entstehen, weil die Ueberspannung unsrer Kräfte eben so wohl von einer schnellen Erschütterung, als von einer anhaltenden Anstrengung herrühren mag.

Die Leidenschaft hört auf, sobald das Streben nach der unentbehrlichen Wonne aufhört, mit der geliebten Person ein Wesen auszumachen.

Leidenschaft unterscheidet sich noch von der einzelnen leidenschaftlichen Aufwallung und von der Beendigung des leidenschaftlichen Strebens durch völlige Ausfüllung unsrer Wünsche, oder durch verzweifelndes Aufgeben derselben. Liebende Anhänglichkeit, in der sich mehr oder weniger leidenschaftliche Aufwallungen einfinden, ist daher noch von der Leidenschaft der Liebe verschieden, und noch mehr sondert sich von ihr ab jener dumpfe Zustand, der mit der Ueberzeugung von einer gänzlich zerrissenen Verbindung verknüpft zu seyn pflegt.

Der Leidenschaft der Liebe steht unmittelbar entgegen die Leidenschaft des Hasses: jene figierte Sehnsucht nach der unentbehrlichen Wonne, die Person eines andern Menschen durch die unsrige vertilgt zu sehen.

Verschieden von der Leidenschaft der Liebe, aber ihr oft ähnlich, sind diejenigen Leidenschaften, die auf Selbstheit, ja auf bloßer Geschlechtssympathie beruhen. Die Verwechselung ist um so leichter, da jede Leidenschaft eine Aufopferung vieler Neigungen für eine herrschende voraussetzt, die so leicht für völlige Selbstverläugnung um andrer Menschen willen gehalten wird. Allein wir streben dabey entweder gar nicht nach Verbindung mit einer andern Person, und nach ihrem Wohl, oder dieß kommt nur in so fern in Betracht, als wir desselben als eines Mittels bedürfen, um uns zu beglücken

Die Leidenschaft, mit der wir der Befriedigung körperlicher Triebe bey einer Person vom andern Geschlechte nachstreben; – diejenige, mit der wir ihre Schätzung, ihren Beyfall, ihre Auszeichnung zu erwerben, und dadurch unserer Ruhmsucht, oder unserer Eitelkeit Nahrung zu verschaffen suchen, können ungeachtet aller Aufopferungen, die wir an Gütern, Ruhe, Gesundheit und Leben darbringen, nie für liebend gehalten werden. Selbst diejenige Leidenschaft, die Alles hingiebt, um ihren Gegenstand ganz zu besitzen, und durch die Vereinigung mit ihm sich glücklich zu fühlen, ist nicht Liebe, ist Eigennutz, wenn nicht die Sehnsucht nach dem ausschließenden Besitze der Person dem Wohl derselben, als eines selbständigen Wesens, untergeordnet ist, und den Zweck des Strebens ausmacht.

Endlich wird die Begeisterung für das Bild eines andern Menschen, welches unsre Phantasie zu einem Ideale von Vollkommenheit hebt, und worüber unser Herz die Bedürfnisse des Originals vergißt, nur für verfeinerte Selbstheit gelten können, wenn dieser Zustand der Erhöhung über unser niedriges Selbst gleich noch so vortheilhaft für die Veredlung unsers Wesens seyn sollte.

Die Ausführung dieser Sätze enthält das fünfte Buch, und der dritte Abschnitt des sechsten.



Verbesserungen im ersten Band.

Seite 10 Zeile 4 von unten: Ja! für Ja! Ja!
27 11 – – abzeichnen für abziehen.
72 7 von oben: einer Bestrebung für seiner Bestrebung.
91 15 – – den Vogel für dem Vogel.
101 6 von unten: zusammenzutreffen für zusammentreffen.
129 1 von oben: Anspannung für Anschauung.
138 12 von unten: hinter Ganymeds ein (,)
152 11 von oben: Statur für Natur.
163 3 – – Indem wir unser Gemüth den Angriffen eines Wesens gern entgegen bieten, so erkennen wir mit Vergnügen seine Gewalt über uns an: Indem wir gern auf dasselbe einwirken, erkennen wir mit Vergnügen unsre Gewalt über dieß äußere Wesen an. Jener erste Zustand wird Hingebung genannt; dieser letzte Beherrschung.
163 12 von unten: reiner für einer.
172 15 – – sittigen für sittlichen.
215 8 – – monarchischen für moralischen.
243 10 – – persönlichsten für persönlichen.
245 12 – – entsagst für entsagt.
258 12 – – hielten für haben.

Venus Urania.

Ueber die Natur der Liebe, über ihre Veredlung und Verschönerung.

Zweyter Theil.


Von
Fried. Wilh. Basil. von Ramdohr.

Leipzig,
bey Georg Joachim Göschen. 1798.
Zweyter Theil.

Aesthetik der Liebe.
Vorbericht zum zweyten Theile.

Unter Aesthetik verstehe ich den Inbegriff der Vorschriften, welche aus der Anwendung der Gesetze des Verstandes und der Vernunft auf die Verhältnisse des Menschen zu denjenigen Gegenständen fließen, welche seinen Beschauungshang reitzen. Was dem Menschen, ohne vorgängige deutliche Beziehung auf seine sympathetischen und selbstischen Verhältnisse, bey der bloßen Contemplation gefallen soll und darf, das lehrt, meinen Begriffen nach, die Aesthetik.

Suche in den Gegenständen, die auf deinen Beschauungshang wirken, Wahrheit, d. h. Uebereinstimmung mit sich selbst; suche an ihnen Zweckmäßigkeit, d. h. Zusammenstimmung mit den Dingen, die sie umgeben! das ruft der Aesthetiker dem Beschauer zu: das lehrt er ihn finden. Die Folge ist dann Allgemeingültigkeit des Geschmacksurtheils für alle diejenigen Menschen, die Anlagen und Bildung zu Gefühlen des Edeln, Schönen, Vollkommnen haben.

Aesthetik ist also die Theorie des wahr und zweckmäßig Edeln und Schönen; des wirklich Vollkommenen für den Beschauungshang. Mit andern Worten: die Theorie eines geläuterten Geschmacks.

Auch die Liebe kann ein Gegenstand unserer Beschauung seyn, und in so fern die Reitzungen, welche sie uns in diesem Verhältnisse giebt, den Gesetzen der Vernunft und des Verstandes unterworfen werden mögen, ein Gegenstand der Aesthetik. Die Aesthetik der Liebe ist folglich der Inbegriff der Vorschriften, welche aus der Anwendung der Gesetze des Verstandes und der Vernunft auf diejenigen Verhältnisse fließen, in welche wir, vermöge der bloßen Beschauung der Liebe, mit dieser zu stehen kommen. Sie lehrt uns, was uns in der Liebe bey der Contemplation gefallen soll und darf. Ihre Vorschriften sind allgemein gültig für alle diejenigen Menschen, welche Anlagen und Bildung zu Gefühlen des Edeln, Schönen, Vollkommnen in der Liebe haben.

Bey dem Versuche, den ich hier zu einer solchen Aesthetik der Liebe liefere, habe ich besonders auf diejenige Geschlechtsliebe Rücksicht genommen, die sich in der zärtlichen Anhänglichkeit äußert. In dieser Erscheinung stellt sich ihr Bild auffallend und lange genug dar, um es beurtheilen zu können. In dieser Gestalt dürfen wir sie noch der Leitung des Verstandes und der Vernunft fähig halten. Als einzelne Aufwallung betrachtet, offenbart sich die Liebe nicht immer deutlich und anhaltend genug, um sie zum Gegenstande einer Theorie des Edeln und Schönen zu machen: als Leidenschaft wirkt sie mit zu vieler Heftigkeit, um die Beobachtung der Gesetze des Wahren und des Zweckmäßigen von ihr verlangen zu dürfen.

Inzwischen werden die Grundsätze, welche über die Liebe, als zärtliche Anhänglichkeit an einer Person von verschiedenem Geschlechte betrachtet, aufgestellt sind, dennoch leicht auf andere liebende Verhältnisse übertragen werden können; und zwar um so mehr, da die Geschlechtszärtlichkeit aus einer Menge liebender Affekte jeder Art zusammengesetzt ist, und von einzelnen leidenschaftlichen Aufwallungen keinesweges frey gedacht werden mag.




Von der Aesthetik der Liebe ist nach meinen Begriffen verschieden, die Moral, die Politik, die Anstands- und die Klugheitslehre der Liebe.

Die Moral der Liebe ist der Inbegriff der Vorschriften, welche aus der Anwendung der Gesetze des Verstandes und der Vernunft auf die Verhältnisse des liebenden Menschen gegen das Reich vernünftiger Wesen, als solcher, fließen. Diese Vorschriften leiten unsere Liebe nach den Pflichten, die wir dem freyen, über das Leben hinaus fortdauernden, zur Vollkommenheit fortschreitenden Wesen in uns selbst, dem höchsten Wesen und der Menschheit schuldig sind. Sie haben Allgemeingültigkeit für alle Menschen, die ihren Zusammenhang mit einem Reiche vernünftiger Wesen anerkennen, und sich als Mitglieder desselben betrachten.

Die Politik, die Lehre von der Gesetzgebung in Rücksicht der Liebe, ist der Inbegriff der Vorschriften, welche aus der Anwendung der Gesetze des Verstandes und der Vernunft auf die Verhältnisse des liebenden Menschen gegen den Staat, (gegen die bürgerliche Gesellschaft,) fließen. Diese Vorschriften, welche unsre liebenden Triebe nach den Pflichten leiten, die wir dem Staate und unsern Mitbürgern, als solchen, schuldig sind, sind allgemeingültig für alle Bürger.

Die Anstandslehre in Rücksicht der Liebe ist der Inbegriff der Vorschriften, welche aus der Anwendung der mehrgenannten Gesetze auf die Verhältnisse des liebenden Menschen gegen die örtliche Gesellschaft fließen, mit der er durch seinen Wohnort zusammenhängt.

Endlich beschäftigt sich die Klugheitslehre damit, dem liebenden Menschen in seinen Verhältnissen gegen sein abgesondertes, zu sinnlich angenehmen Empfindungen eingerichtetes Wesen, Vorschriften zu geben, die gleichfalls aus der Anwendung des Verstandes und der Vernunft auf diese Verhältnisse fließen. Kürzer: sie ist die Theorie, welche den Genuß des Lebens durch Liebe zu erhöhen lehrt.

Plato in seinem Gastmahle ist Aesthetiker der Liebe: Xenophon in den Oeconomicis Moralist: die Republick des ersten liefert vieles zur Politik der Liebe: die Galanterie des Mittelalters enthält größten Theils eine Anstandslehre der Liebe, und Ovids, Bernards, Manso’s Künste zu lieben sind auf gewisse Weise als Klugheitslehren der Liebe zu betrachten.

Alles dieß zusammen gehört zur Sittenlehre: zu dem Inbegriffe der Vorschriften, welche das Betragen des Menschen gegen sich selbst und andere leiten. In einem vollständigen Traktate von der Liebe müßten alle jene besondern Theile der Sittenlehre in Rücksicht auf dieß Verhältniß des Menschen abgehandelt werden. Ich habe dieß nicht gethan. Ist meinem Werke darum der Vorwurf der Unvollständigkeit und des Mangels zu machen? Ich glaube nicht! Ich habe nirgends eine vollständige Sittenlehre der Liebe versprochen. Ich habe eine Abhandlung über die Veredlung und Verschönerung der Liebe angekündigt, und diese hoffe ich zu liefern. Wenn man darunter etwas gesucht hat, was man nach bestimmten Begriffen von demjenigen, was Edel und Schön ist, zu erwarten nicht berechtigt war, so ist dieß nicht meine Schuld.

Allein wer einmahl gelernt hat, die Gesetze des Verstandes und der Vernunft auf den Beschauungshang anzuwenden, dem kann es nicht schwer fallen, auch die übrigen Verhältnisse darunter zu bringen, in welche der Mensch zu den Gegenständen, die ihn auf andre Art reitzen, zu stehen kommt. Unstreitig ist diejenige Anwendung jener Gesetze auf das Verhalten des Menschen, die ich versucht habe, die schwerste unter allen. Die Aesthetik steht aber auch mit der Moral, mit der Politik, mit der Anstands- und Klugheitslehre in sehr genauer Verbindung. Sie hütet sich nicht allein, die Vorschriften dieser Lehren zu beleidigen, damit die Wonne an der Beschauung nicht gestört werde; sie nimmt auch das Moralische, das Patriotische, das Anständige, das Kluge auf, und bildet es zu einem Gegenstande wonnevoller Beschauung aus. Mannigfaltige Gelegenheit habe ich daher gefunden, in dem Laufe dieses Theils über jene Gegenstände zu sprechen, und noch häufigere werde ich in dem[WS 17] dritten Theile finden, der sich mit der Geschichte der Liebe beschäftigt.

Siebentes Buch.
Vom Veredeln und Verschönern der Liebe überhaupt.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Ihr, die ihr mir bis jetzt in meinen Untersuchungen über die Liebe gefolgt seyd, erntet nun die Frucht eurer Aufmerksamkeit und eurer Geduld ein! Ihr werdet nicht weiter Gefahr laufen, Gefühle und Empfindungen veredeln zu wollen, die der Liebe nicht gehören, oder sie mit Reitzen zu schmücken, die mit ihrem Wesen streiten.

Aber fern von uns sey auch der Irrthum, daß die Liebe bereits an und für sich selbst und unbedingt Anspruch auf unsere Schätzung, und sogar auf unsere Verehrung habe! In unzähligen Fällen ist diese Liebe nichts als gefährliche Schwäche, die Quelle unendlicher Leiden, das Verderben des Körpers und der Seele.

Aber gesetzt, sie erscheint auch nicht in diesem gehässigen Lichte; welcher Adel, welche Schönheit, welche Vollkommenheit, kann darin liegen, einem unwillkührlichen Triebe zu huldigen, sich einer Wonne zu überlassen, die oft in Begleitung des Bedürfnisses erscheint!

O ihr, die ihr Adel, Schönheit und Vollkommenheit der Fähigkeit zu lieben unbedingt beylegt; wißt, daß der rohe Wilde an unwillkührlicher Gutherzigkeit, an zärtlicher und leidenschaftlicher Aufopferung für das Wohl des Geliebten den Weisen unter den aufgeklärtesten Nationen oft übertrifft! Wißt, daß es zur Würde des Menschen gehört, seine liebenden Triebe zu leiten, und daß der überlegte Eigennutz nicht selten einen höhern Anspruch auf unsere Achtung und auf das Gefühl des Edeln und Schönen haben kann, als jene instinktartige Liebe, die oft Armseligkeiten und Laster nutzt, den Geliebten zu beglücken!

Wir dürfen, wir müssen die Liebe veredeln und verschönern! Aber wie vielen Gefahren gehen wir hier wieder entgegen! Statt sie edler erscheinen zu lassen, geben wir ihr vielleicht eine abenteuerliche und ungeheure Form; statt sie zu schmücken, machen wir sie geziert und prunkend! Wie leicht entschlüpft sie während dieser anmaßenden Bemühung unsern Händen, und Triebe, die der Selbstheit oder dem Beschauungshange gehören, bleiben allein zurück! was rettet uns vor diesen Gefahren? Was dient uns zum Leitfaden in diesem Labyrinthe? – Nichts als genaue Bestimmung der Begriffe, aus denen richtige Grundsätze gefolgert werden mögen! In Ansehung der Liebe haben wir uns vielleicht nicht ohne Glück bemüht, diese nähere Bestimmung zu geben! Auf meine Freunde! laßt uns noch einen Ansatz wagen, um den Fels zu erklimmen, der uns zu angenehmeren Gefilden führt! Laßt uns bestimmen, was Edel heiße, und was Schön?

Zweytes Kapitel.
Was heißt Edel?

Beyde Worte: Edel und Schön, bezeichnen Eindrücke und Bilder, die wollüstig und wonnevoll auf unsern Beschauungshang wirken, d. h. auf diejenige Seite unserer Reitzbarkeit, die bey völliger Ruhe unsers Bestrebungsvermögens, bey abgezogener Aufmerksamkeit von unserm selbsteigenen Zustande, bloß durch die Bemerkung des Auffallenden der Eigenthümlichkeiten eines Gegenstandes, dem wir uns von ferne nähern, zur Lust oder Unlust gereitzt werden kann.

Hieraus ergiebt sich sogleich, warum beydes oft mit einander verwechselt wird. Denn beydes setzt etwas Abstechendes, Auffallendes und Hervorragendes zum Voraus, das unmittelbar bey der Wahrnehmung und Erkenntniß, ohne vorgängige Beziehung auf unsre Person, und unsre selbstischen oder sympathetischen Verhältnisse, Wonne erweckt. Die Aufopferung für andere wird daher so wohl edel als schön genannt, in so fern wir sie mit der Klugheit des Eigennutzes, oder mit der sympathetischen Mitfreude vergleichen.

Allein wir unterscheiden das Edle von dem Schönen, wenn wir verschiedene Wonnegefühle, die dem Beschauungshange gehören, unter sich vergleichen. Edel, nicht schön, ist dann das Riesenmonument, das dem Zahne der Zeit seit Jahrtausenden trotzt; schön, nicht edel, ist die niedliche Bauernhütte, deren mahlerische Form die Landschaft belebt. Edel, nicht schön, ist der mürrische Misanthrop, der sein Leben für die Mitbürger aufopfert, die er verwünscht; schön, nicht edel, ist die fein organisierte Seele, die in die gewöhnlichsten Handlungen einen Reitz für Aug’ und Herz zu legen weiß.

Ich will hier gleich die Begriffe von beyden angeben, und sie dann einzeln zu entwickeln suchen.

Edel heißt das Bild von dem innern Gehalte, von dem Geistigen der Dinge, das auf unser höheres Wesen, auf unsern Geist, wonnevoll bey der bloßen Beschauung wirkt.

Schön heißt das Bild von der äußern Form der Dinge, das auf unser niederes Wesen wollüstig und wonnevoll bey der Beschauung wirkt.

Zuerst von dem Edeln!

Das Edle wird allemahl dem Gemeinen und Gewöhnlichen entgegengesetzt! Warum? Einmahl, weil die Empfindung, die wir mit diesem Nahmen bezeichnen, dem Beschauungshange gehört, der nur durch das Auffallende, Hervorragende, Abstechende der Gegenstände die wir aus der Ferne betrachten, gereitzt werden kann; zweytens, weil diese Empfindung dem höheren Seelenwesen in uns gehört: drittens, weil es allemahl Eigenschaften in den Gegenständen sind, die wir zu ihrem höheren Wesen rechnen, deren Bild diese Empfindung bey uns erwecken kann.

Dreist darf ich behaupten, daß jeder Mensch, er sey noch so sehr, oder noch so wenig kultiviert, an jedem Gegenstande, den er wahrnimmt und erkennt, etwas Inneres und etwas Aeußeres; etwas Geistiges und etwas Körperliches; einen Gehalt und eine Form unterscheidet. Dreist darf ich ferner behaupten, daß jeder Mensch an sich selbst ein niederes, dem Instinkte der Thiere ähnelndes Wesen, von einem andern höhern, das ihm als vernünftigen Menschen zukommt, absondert, und es fühlt, daß er mit dem letzten eigentlich in den innern Gehalt der Dinge, in dasjenige, was hinter dem Scheine ist, eindringt, mit dem ersten aber nur die Form derselben wahrnimmt. Denn auch Thiere sind fähig, an bloße Sinnenerscheinungen Erinnerungen eines gehabten, Vorahndungen eines zukünftigen Zustandes zu knüpfen, darnach Unterschiede zu bilden, und darauf Schlüsse zu bauen.

So verschieden nach dem verschiedenen Grade der Ausbildung unter den Menschen die Begriffe von demjenigen sind, was an den äußern Gegenständen zum Gehalt und zur Form gerechnet wird; so verschieden eben diese Begriffe über dasjenige seyn mögen, was wir an uns selbst zu unserm höheren und niederen Wesen rechnen; so unläugbar ahndet ein Jeder diese Dinge und ihren Unterschied, und fühlt die Verhältnisse, die zwischen dem innern Gehalte und unserm höhern Wesen, zwischen der bloßen Form und unserm niedern Wesen Statt finden.

Es sey mir erlaubt, unser höheres Seelenwesen, die letzte Adhärenz unsers Ich’s, wie schon oft von mir geschehen ist, unsern Geist zu nennen. Zwischen diesem unsern Geiste und dem innern Gehalte der Dinge findet nun oft nicht bloß ein Verhältniß, sondern ein solches Wohlverhältniß Statt, daß wir bey seiner bloßen Beschauung unsern Geist mit Wonne erfüllt sehen: und diese Wonne setzen wir dann auf Rechnung des Edeln.

Nichts ist nehmlich natürlicher, als daß wir den innern Gehalt der Dinge unserm Geiste assimilieren, da jener so wie dieser dem Wesen der Dinge am nächsten liegt, und einen unsinnlichen Gegenstand der Erkenntniß ausmacht. Dieß vorausgesetzt, kann das Geistige des Gegenstandes, unsern Geist zuweilen begeistern: theils durch die lebhafte Darstellung, die unsere höhere, mit dem Geiste in näherer Verbindung stehende Phantasie von dem Unsinnlichen auffaßt: theils durch die Verwandschaft, worin diese unsinnlichen, geistigen Eigenschaften mit den herrschenden Trieben unsers Geistes stehen.

Die herrschenden Triebe unsers Geistes, deren Inbegriff seine Sinnlichkeit, wenn ich so sagen darf, ausmacht, sind: die Neigung nach dem Gefühle seiner Stärke, seiner Stetigkeit, seiner Fortdauer, seiner Erhöhung und Herrschaft über andere Geister, und über sein eigenes niedriges Wesen: geistiger Stolz, Ruhmsucht, u. s. w.

Die innern, geistigen Eigenschaften der äußern Gegenstände, deren Bilder mit diesen Neigungen im Wohlverhältnisse stehen, sind Kraft, Dauer, Seltenheit, Fülle, Ansehn, u. s. w.

Wenn wir diese Eigenschaften ausdrücklich auf unser Selbst beziehen, oder sie sympathetisch mitempfinden, so gehört die Wonne, welche sie unserm Geiste gewähren, nicht dem Beschauungshange, mithin nicht dem Edeln. Wenn ich einen Menschen von außerordentlicher Geistesstärke und Festigkeit darum mit Wonne ausfinde, weil ich ein muthvolles Unternehmen sicherer mit ihm auszuführen hoffe; so gehört diese Wonne der baren Selbstheit. Wenn ich mich darüber freue, daß mein Nebenmensch in der Stärke und Festigkeit seines Charakters ein Mittel zu seinem Glücke findet; so gehört diese Wonne der Sympathie.

Es giebt aber Verhältnisse, unter denen die bloßen Bilder des Geistigen, ohne alle eigennützige oder sympathetische Beziehung auf meine Person, unmittelbar in meinem Geiste Wonne bey der Beschauung erwecken, und diese Wonne gehört alsdann dem Edeln. Dieser Fall tritt jedesmahl ein, wo das Geistige unsere geistige Phantasie, (diejenige, welche das Unsinnliche darstellt,) mit lebhaften Bildern erfüllt, und unsre geistigen Triebe dunkel rührt, ohne uns jedoch so nahe zu stehen, um von unserer Selbstheit als ein Mittel zur Befriedigung dieser Triebe beachtet, oder von unserer Sympathie als der Zustand eines andern Wesens gefühlt zu werden, in den wir uns theilend hineinversetzen.

Beyspiele werden die Sache am sichersten aufklären.

Jedes lebhafte Bild einer Aufopferung des Lebens, der Ruhe, der Bequemlichkeit, und überhaupt aller Neigungen, die zu unserm niedern Wesen gerechnet werden, kann uns mit der Wonne des Edeln erfüllen, wenn diese Aufopferung nicht unsern Eigennutz oder unser Mitleiden in Regung setzt.

Jedes lebhafte Bild der Herrschaft eines Menschen über andere Geister, der Erhebung zu Gott, als dem höchsten Geiste unter allen, kann uns mit der Wonne des Edeln erfüllen, sobald wir weder einen selbstischen noch sympathetischen Antheil daran nehmen.

Jedes lebhafte Bild einer außerordentlichen Auszeichnung, die dem geistigen Stolze, ja nur der Ruhmsucht anderer Menschen schmeichelt, kann unter eben den angegebenen Bedingungen die Wonne des Edeln erwecken. Auffallender ist dieß noch, wenn die Auszeichnung auf Nachruhm hinweiset, wenn Ideen von Dauer, von Ewigkeit, sich damit verbinden.

Oft betrachten wir die Bilder des Geistigen gar nicht als Eigenschaften einer besondern Person, oder eines Menschen. Das Unbegreifliche, Furchtbare, Majestätische, Gewaltige, Prächtige, Dauernde, – gleichviel, wo und bey wem es angetroffen wird, – erweckt lebhafte Bilder eines hervorragenden, außerordentlichen Geistigen, und wirkt die Wonne am Edeln.

Wir nehmen diese Bilder sogar von sichtbaren Körpern ab, von deren ausgezeichneten Merkmahlen wir einige zu ihrem Innern, Geistigen, andere zu ihrem Aeußern, Körperlichen, rechnen. So wird das Hohe, das ausgedehnte Ebene, das Gleiche, das abgemessen Wiederkehrende, das Glänzende, u. s. w. zu Bildern des Edeln an Bäumen, Felsen, Gewässern, Gegenden, Gebäuden, Gestalten der Thiere und der Menschen.

In diesen und hundert andern ähnlichen Fällen erweckt das Unsinnliche die Wonne des Beschauungshanges, durch eine lebhaftere Wirksamkeit derjenigen Phantasie, die darum die geistigere genannt zu werden verdient, weil sie Bilder des Geistigen schafft, und durch eine dunkle Rührung, in welche sie die herrschenden Triebe unsers Geistes versetzt.

Allein von diesem Edeln kann einiges den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft unterworfen werden, anderes nicht. Dieß letzte nenne ich das vage, unbestimmt Edle, das erste aber das ästhetisch Edle. Das moralisch Edle macht einen Theil des ästhetisch Edeln aus, wie die Folge sogleich lehren wird.

Unabhängig von den Bedingungen, unter denen ein Bild unsre geistige Phantasie und die herrschenden Triebe unsers Geistes zur Lust, zur Wonne, reitzen kann, existieren in unserm Innern gewisse Gesetze, deren Erfüllung uns nicht so wohl dieses sichert, daß wir in dem gegenwärtigen Augenblicke, und für unser Individuum Lust empfinden, als vielmehr dieß: daß die Lust für die ganze Dauer unsrer Existenz sicherer wiederkehren, und von andern Menschen mit uns empfunden werden wird. Diese Gesetze drücken wir mit den Worten aus: das Edle muß wahr, es muß zweckmäßig seyn.

Wahr ist ein Ding, wenn wir bey seiner Erkenntniß, Zusammenhang der mannigfaltigen Theile woraus es besteht, und bestimmte Absonderung dieses zusammenhängenden Mannigfaltigen von andern Dingen, die mit ihm in Raum und Zeit zugleich erscheinen können, in solcher Maße antreffen, daß wir hoffen dürfen, daß wir selbst es unter allen Verhältnissen als etwas Bestehendes unterscheiden, und daß andere Menschen es mit uns unterscheiden werden. Diese Wahrheit zu finden, ist das Geschäft unsers Verstandes.

Zweckmäßig oder tüchtig, ist ein Ding, wenn es in seinen innern Verhältnissen dergestalt wohlgeordnet, und in seinen Verhältnissen zu äußern Gegenständen diesen dergestalt angemessen befunden wird, daß wir selbst unter allen Lagen das Ding seine Bestimmung ausfüllen zu sehen hoffen dürfen, und uns darauf verlassen, daß andere Menschen es eben so beurtheilen werden. Diese Zweckmäßigkeit oder Tüchtigkeit zu finden, ist das Geschäft der Vernunft.

Um aber über die Wahrheit und Zweckmäßigkeit eines Dinges zu urtheilen, muß nothwendig dieses Ding ein Ganzes seyn, das nach Gattung und Art, wenigstens einem empirischen Begriffe von seinem Wesen und seiner Bestimmung unterworfen ist. Wo dieß nicht der Fall ist, da können wir unmöglich ein Urtheil darüber fällen, ob es alles hat, und es in der Maße hat, um es allemahl wieder zu erkennen, und es allemahl als geschickt zu einer gewissen Bestimmung wieder zu finden.

Diese Gesetze des Verstandes und der Vernunft lassen sich nun auch auf das Edle anwenden, um das Allgemeingültige desselben zu beurtheilen.

Das Aesthetisch Edle ist nehmlich dasjenige Bild eines geistigen Wesens, das meinen Geist unter Leitung des Verstandes und der Vernunft mit Wonne an seiner bloßen Beschauung erfüllt.

Das Bild des Ganzen eines moralisch edeln menschlichen Geistes ist das Ideal, ist eine Art von Regel für alles übrige ästhetisch Edle.

Ein Geist, der sich aus freyer Selbstbestimmung alle Eigenschaften, welche das höhere Wesen des Menschen begründen, in möglichster Höhe, Ausdehnung und Bestimmtheit beyzulegen sucht; ein Geist, der möglichst wohlgeordnet in seinen verschiedenen Verhältnissen zu sich selbst während der ganzen Dauer seiner Existenz, möglichst angemessen den Verhältnissen der Dinge um ihn her, und dadurch geschickt erscheint zur Ausfüllung seiner Bestimmung, das Wohl aller vernünftigen Wesen zu befördern; – ein solcher Geist ist wahr, ist zweckmäßig. Er erweckt nicht bloß für mich, und in einem einzigen Augenblicke meines Lebens, ein lebhaftes Bild in meiner geistigen Phantasie, das zugleich meine geistigen Neigungen wonnevoll rührt; nein! ich bin sicher, daß ich selbst immer so von ihm werde afficiert werden, und daß Andere eben diese Empfindung immer mit mir erhalten müssen.

Dieß Ideal des ästhetisch Edeln, dieß moralisch edle Ganze, schwebt besonders dem kultivierten Menschen beständig vor, und erleichtert ihm das Urtheil über das Wahre und Zweckmäßige alles andern Edeln, das sich nach Verschiedenheit der Gegenstände sehr vielfältig modificieren muß.

Beurtheilen wir nehmlich die einzelne Handlung, die als moralisch edel vor uns aufgestellt wird, so fällt das Urtheil ganz anders aus, als wenn wir den moralischen Charakter, aus dem sie fließen sollte, im Ganzen beschauen. Eine Aufopferung der niedrigeren Triebe der Selbstsucht, die bestimmt auf die Absicht, andern Menschen nützlich zu seyn, zurückweiset, und ihnen wirklich nützlich wird, rechtfertigt das Gefühl des Edeln vor unserm Verstande und unsrer Vernunft. Sie hat alles, was zur Wahrheit und Zweckmäßigkeit einer einzelnen tugendhaften Handlung erfordert wird. Wer uns aber einen tugendhaften Mann schildern, und nur einen einzigen Zug dieser Art in sein Gemählde hineinbringen wollte, den eine vorübergehende Aufwallung von Pflichtgefühl hervorgebracht hat, würde der wohl das Bild und das Gefühl des ästhetisch Edeln erwecken können? Ein Curtius, ein Wollüstling, beschließt ein Leben voll der niedrigsten Ausschweifungen mit einem heldenmüthigen Tode: er stürzt sich in den Abgrund, um seine Mitbürger von der Pest zu befreyen, und er befreyet sie! Was ist hier ästhetisch edel? Curtius, oder seine That? Unstreitig nur die letzte! Der Charakter kann nur ein unbestimmt edles Bild und Gefühl erwecken.

Beurtheilen wir die Stärke des Geistes, abgezogen von ihren Gründen und Folgen, als ein Ganzes für sich; so wird das Urtheil wieder verschieden modificiert. Jede Gewalt des höheren Wesens an uns über das niedrige erweckt das Gefühl des ästhetisch Edeln, wenn sie nur bestimmt auf Stärke zurückweiset, und nicht mit Schwäche verwechselt werden kann; wenn sie wirklich als geschickt erscheint, immer über die Sinnlichkeit zu triumphieren. Der Märtyrer eines Irrthums, den er für Wahrheit erkennt, zeigt eine ästhetisch edle Gewalt über sich selbst, so lange uns nur diese Gewalt, nicht aber das Moralische der Handlung als ein Ganzes im Bilde dargestellt wird. Geschieht dieß, so verliert sich das ästhetisch Edle. Der Mönch, der sich aus Schwärmerey oder aus Eigensinn für die runde oder spitze Kapuze freudig braten läßt, ist kein ästhetisch edler Gegenstand, weil offenbar unser Urtheil nicht bloß die Stärke seines Geistes, sondern zugleich das Moralische der Handlung umfaßt, und zwischen beyden ein auffallendes Mißverhältniß in Rücksicht auf Wahrheit und Zweckmäßigkeit antrifft. Aus eben diesen Gründen kann der Terrorist, der sich willig dem Tode darbietet, um nur eine anarchische Schreckensregierung, die er aus Ueberzeugung für die bestmöglichste hält, unter seinem Volke einzuführen, nie ein ästhetisch edles Bild abgeben. Hingegen werden ein Polyeukt, eine Sophronia, eine Corday, welche die Götzen einer falschen Religion, oder einer verirrten Volksgunst zerstören, und dafür dem Tode mit Muth entgegensehen, ästhetisch edle Bilder abgeben, weil unsre Aufmerksamkeit auf das Ganze der moralischen Handlung nicht hingezogen, und das Unwahre, Unzweckmäßige, was in dieser Rücksicht darin liegen würde, nicht beachtet wird. Diese Personen erscheinen uns wahr und zweckmäßig als starke Geister, und unterscheiden sich in dieser Rücksicht noch sehr von denjenigen, die bloß in einem Anfalle von Leidenschaft oder Verzweiflung, oder gar in ihrem Leichtsinne oder in ihrer Apathie, eine vorübergehende Stärke finden, die mit der Schwäche in ihrem ganzen übrigen Benehmen contrastiert.

Demungeachtet können wieder jede Leidenschaft, jede Gesinnung, jede Handlung, etwas ästhetisch Edles zeigen, in so fern sie nur für sich, und ohne Beziehung auf etwas Weiterliegendes betrachtet, und den Gesetzen des Wahren und Zweckmäßigen unterworfen werden können. Es ist ästhetisch edel, wenn wir den Ruhmsüchtigen, als solchen betrachtet, gern sein Leben aufopfern sehen. Aber der Liebende, der, unbekümmert um das Nachweinen des Geliebten, sein Leben willig hingeben würde, um sich den Nachruhm der Großmuth zu sichern; der würde nicht wahr, nicht zweckmäßig, als Liebender, mithin nicht ästhetisch edel erscheinen. Es ist ästhetisch edel, wenn der Liebende Gewalt und Ansehn aufopfert, um sich ganz dem Glück der Geliebten zu widmen, und in ihren Armen dem Glanze des Throns gern entsagt. Aber in dem Bilde des Ruhmsüchtigen hat dieß nichts ästhetisch Edles. Ja! der Mann, der willig den Thron verläßt, um bey der Geliebten sein Leben zu vertändeln[WS 18], zeigt nicht einmahl als Liebender etwas ästhetisch Edles, wenn das Bild klar auf Selbstsucht der niedrigsten Art, und nicht auf den Wunsch hinweiset, das Geliebte zu beglücken.

Eben so verhält es sich nun mit allen übrigen Gegenständen, die das Bild und das Gefühl des Edeln erwecken können, mit unsinnlichen und körperlichen Gegenständen; mit Naturprodukten und Kunstwerken; mit Gegenden, menschlichen und thierischen Gestalten; mit Gedichten, Gebäuden, Statuen, Gemählden, u. s. w. Ehe diese Gegenstände nicht wenigstens einem empirischen Begriffe von ihrem Wesen und ihrer Bestimmung unterworfen sind, wornach ihre Wahrheit und Zweckmäßigkeit beurtheilt werden mag; ehe kann ihre Kraft, Gewalt, Höhe, Einfachheit, Festigkeit, Dauer, Dunkelheit, Glanz, u. s. w. nur unbestimmt edle Bilder und Empfindungen erwecken. Dann aber werden sie ästhetisch edel, wenn diese Bilder mit dem Wesen und der Bestimmung der Gegenstände, von denen sie abgenommen werden, zusammengehen, und dadurch zugleich wahr und zweckmäßig erscheinen. Ein gewisses Dunkel erweckt leicht das Bild des Unbegreiflichen, Geheimnißvollen, Feyerlichen, Majestätischen, und dadurch Bilder eines Geistigen, das auf unsern Geist wonnevoll wirkt. Es ist unbestimmt edel. Ein düsterer Dohm, der Verehrung der Gottheit geweiht, kann ästhetisch edel seyn. Wer aber ein Odeum, einen Ort, der zu öffentlichen Vergnügungen bestimmt wäre, düster einrichten wollte, um ihm einen edeln Charakter zu geben, würde eine Absurdität begehen. Ausgebreitete Ebenen, Wiederholungen der nehmlichen Gestalten in abgestuften Zwischenräumen, erwecken leicht Bilder des Unendlichen, Unermeßlichen, Ewigen, und dadurch Bilder eines Geistigen, das wonnevoll auf unsern Geist wirkt. Sie sind unbestimmt edel. An Colonnaden und Prachtgebäuden sind sie ästhetisch edel. Landschaften, die auf diese Art angeordnet wären, würden aber widerlich einförmig erscheinen.

Also ist das unbestimmt Edle von dem ästhetisch Edeln verschieden. Dieß letzte ist das Geistige in einem jeden Gegenstande, das unsere geistige Phantasie mit lebhaften Bildern erfüllt, die dunkel auf unsere geistigen Neigungen wirken, und uns dadurch bey der bloßen Beschauung unter Leitung des Verstandes und der Vernunft mit Wonne erfüllen.

Das moralisch Edle ist eine Art des ästhetisch Edeln, in so fern das Bild des Geistigen mit dem sittlichen Charakter des Menschen, dem Ideal des ästhetisch Edeln, in näherem Verhältnisse steht.


Drittes Kapitel.
Was heißt Schön?

So viel über das Edle, nun zu dem Schönen! Ich habe bereits den Begriff im Allgemeinen angegeben; ich habe gesagt, daß wir mit diesem Nahmen die Formen der Dinge bezeichnen, die auf unser niederes Wesen wonnevoll bey der bloßen Beschauung wirken.

Ich wiederhole es: der Begriff von dem, was Form an einem Gegenstande ist, läßt sich schwer im Allgemeinen angeben. Bey der Anwendung auf das Einzelne ist er leicht zu fassen. Der Inbegriff der Merkmahle, die wir bey der Erkenntniß eines Gegenstandes mehr von seinen Verhältnissen mit der Sinnenwelt, als von seinen Verhältnissen mit dem Reiche des Unsichtbaren abnehmen, macht seine Form aus. So ist am Menschen der Körper die Form, die Seele der Gehalt; an dem Körper, die Gestalt die Form, der Ausdruck in Mienen und Geberden der Gehalt; an der Seele das niedere Wesen die Form, das höhere der Gehalt; an jenem niedern Wesen der Seele: die Anlagen zur Empfindung und Bearbeitung dessen, was die Sinne reitzt, die Form; hingegen die Anlage zur Empfindung und Bearbeitung dessen, was die Phantasie und das Herz reitzt, so wie zur Unterwerfung unter die Regeln des Verstandes und der Vernunft, der Gehalt. Betrachtet man das höhere Wesen an uns, den Geist, für sich, so werden Verstand und Vernunft den Gehalt, die höhere Phantasie und das höhere Empfindungsvermögen hingegen die Form abgeben. In dem Verstande und der Vernunft wird wieder Sittlichkeit als Gehalt; Klugheit als die Form angenommen werden können: in der Sittlichkeit wird das Gesetzmäßige die Form; der Zweck, (das Wohl aller vernünftigen Wesen,) hingegen den Gehalt ausmachen: endlich wird in allem diesem das Ich, das immer Bestehende im Menschen, dem alle angezeigte Veränderungen zukommen, wie der Gehalt in der Form erscheinen.

Allemahl wird also das Aeußere dem Innern, das Körperliche dem Unkörperlichen; – das Vergegenwärtigte dem Geahndeten und Anerinnerten; – das Niedere dem Höheren; – der Sinnenreitz dem Reitz des Herzens und der Phantasie; – das Geistige dem Vernunftmäßigen; – das Vernunftmäßige dem Moralischen; – das Zweckmäßige dem Zweck; endlich das Veränderliche dem Bestehenden; – wie Form dem Gehalte entgegengesetzt seyn.

Bey jedem Gegenstande werden diese Begriffe anders modificiert. Oft ist etwas Form an einem Gegenstande, was an dem andern zum Gehalte gehört. Die Stufe der Leiter zum Reiche des Uebersinnlichen, worauf ein jeder Gegenstand steht, giebt darunter die nähere Bestimmung an die Hand. Es giebt Gegenstände, die in Vergleichung mit allen übrigen als Formen erscheinen, und dennoch gewisse Merkmahle zeigen, die als Gehalt von dem Aeußern, der Form, abgesondert werden. So ist die Münze, in so fern sie repräsentatives Zeichen des Vermögens ist, offenbar nur zu den Formen gehörig; und dennoch unterscheidet man an ihr die Form, das Gepräge, von ihrem laufenden Werthe. So sind Statuen, Gemählde nur Formen; aber Farben, Beleuchtung, Umrisse, Aufrisse und Ründung, unterscheiden sich, als Form, deutlich von der Bedeutung und dem Ausdruck, die hier für den Gehalt genommen werden. Das Gedicht ist gleichfalls nur Schein, nur Form; Aeußerung einer Empfindung des Herzens, Darstellung der Bilder der Phantasie; aber die Einkleidung wird deutlich von der Wahrheit der Empfindung, von der Vergegenwärtigung, von dem Süjet selbst, als von etwas Innerem, unterschieden.

Eben so wenig läßt sich im Allgemeinen der Begriff von unserm niedern Wesen mit Leichtigkeit fassen. Bey der Anwendung auf einzelne Fälle, und im Gegensatze gegen das höhere, den Geist, stellt er sich gleichsam von selbst dar. Es ist der Inbegriff von Kräften an uns, die mit dem Instinkte der Thiere in näherem Verhältnisse stehen, als mit der Natur vernünftiger Wesen. Als da sind unsere Sinnen: da ist unser thierisches Wahrnehmungsvermögen, das Erinnerungen eines vergangenen, Vorahndungen eines zukünftigen Zustandes an gegenwärtige sinnliche Eindrücke knüpft, darnach wieder erkennt, und Merkmahle für’s Künftige aufnimmt; da ist besonders diejenige Phantasie, die das Unkörperliche verkörpert, das abwesende Sinnliche mit der Lebhaftigkeit eines gegenwärtigen sinnlichen Eindrucks empfindet; dahin gehören endlich alle diejenigen Triebe und Neigungen, welche zu ihrer Befriedigung körperliche Gegenwart, oder wenigstens Unterhaltung und Genuß für den Augenblick verlangen, das Neue und Abwechselnde dem Dauernden und Bestehenden, das Allmählige dem Anstrengenden, und das Niedliche und Feine dem Großen und Starken vorziehen. –

Inzwischen modificiert sich der Begriff von diesem unserm niedern Wesen ins Unendliche, bey jeder verschiedenen Wirksamkeit, worin wir unsre Kräfte bey der Wahrnehmung und Erkenntniß eines Gegenstandes antreffen. Dasjenige Vermögen in uns, das den Geist der Gottheit fühlt, ist das höhere Wesen, in Vergleichung mit demjenigen, das nur den Geist in der Statue Jupiters empfindet. Immer aber ist das für den Adel in dieser Statue empfindliche Wesen ein höheres, als dasjenige, das nur für den Liebreitz einer Venus Sinn hat: dieß wieder höher, als dasjenige, was bloß von der todten Gestalt gereitzt wird; und dieß ist dennoch wieder höher, als dasjenige, das in der Göttin nur das Werkzeug niedriger Begierden ahndet.

Hieraus folgt, daß kein Gegenstand gedacht werden mag, bey dessen Erkenntniß wir nicht zwey Wesen in uns geschäftig fühlen könnten, von denen wir, beyde gegen einander gestellt, das eine zu dem andern im Verhältnisse des höheren zu dem niederen antreffen sollten. Wir denken uns nicht die Gottheit ohne Erscheinungen ihrer Vollkommenheit, die ein Wesen in uns auffaßt, das im Verhältnisse zu demjenigen, welches die Substanz der Gottheit selbst auszuahnden sucht, das niedere ist. Wir betrachten keine Pflanze, keinen Stein, ohne das Wesen in uns, das diese Körper nach Gattung und Art einem Begriffe von ihrem Wesen und ihrer Bestimmung unterwirft, von demjenigen zu unterscheiden, das ihre körperlichen Eigenschaften wahrnimmt, und über ihre Höhe, Härte, u. s. w. urtheilt.

Genug! Alle Gegenstände haben eine Form, und haben einen innern Gehalt: bey aller Erkenntniß eines Gegenstandes ist ein höheres und ein niederes Vermögen in uns geschäftig. Wenn die Form eines Gegenstandes unser niederes Wesen zur Wollust und Wonne der Beschauung einladet, so nennen wir das Bild und die Empfindung Schön, zur Unterscheidung von derjenigen Beschauungswonne, die wir mit dem Nahmen des Edeln bezeichnen.

Wenn wir sehr bestimmt reden wollen, so dürfen wir das Wort schön, das von Scheinen, Glänzen, herkommt, nur von der sichtbaren Form der Körper gebrauchen, die unmittelbar unsre Sehkraft, unser Auge, zu wollüstigen Gefühlen reitzt, ohne unsern substanziellern Körper, unsern Leib, zu berühren. Allein alle unsere Organe sind Agenten unsers niedern Wesens und des damit verbundenen Beschauungshanges; und überhaupt sind alle Kräfte, die bey der Wahrnehmung und Erkenntniß der Form eines Gegenstandes, er mag materiell oder immateriell seyn, in Wirksamkeit gerathen, als Werkzeuge anzusehen, durch deren Mittel wir Bilder und Gefühle des Schönen erhalten.

Das Wohlverhältniß zwischen den Formen der Gegenstände und unserm niedern Wesen beruht auf sehr vielfachen Gründen. Einiges liegt an der unmittelbar wohlthätigen Wirkung der sinnlichen Eindrücke auf unsre Nerven. Einiges an der angenehmen Wirksamkeit, worein unser thierisches Wahrnehmungsvermögen und unsre verkörpernde Phantasie gerathen; einiges endlich an der dunkeln Aufregung unserer niedern Neigungen nach körperlichem, oder wenigstens gegenwärtigem Genuß, nach allmähliger Thätigkeit, und so weiter.

Damit aber das Wohlverhältniß zwischen der Form der Gegenstände und unserm niedern Wesen eine Wollust und Wonne der Beschauung hervorbringe, wird durchaus erfordert, daß es ein Verhältniß aus der Ferne sey, worein beyde mit einander kommen. Denn sobald meine Organe sich dem Körper dergestalt nähern, daß entweder meine Hand sich in die sanfte Oberfläche einlagern will, oder daß mein Gaumen die Speise, die ihn durch das Auge reitzt, überzunehmen trachtet; so gehört die Wollust nicht dem Beschauungshange meines niedern Wesens, sondern seiner Sympathie und Selbstheit. Eben so verhält es sich mit dem thierischen Wahrnehmungsvermögen und der verkörpernden Phantasie. Wenn ich mich darum von der physischen Gegenwart eines Körpers zu überzeugen, oder mir das Bild des Abwesenden leibhaft darzustellen suche, weil ich einen anschaulicheren Begriff dadurch zu erhalten, oder einen jeden andern weiter liegenden Trieb dadurch zu begünstigen hoffe; so gehört die Wonne nicht dem Beschauungshange, sondern der Selbstheit und Sympathie. Gewiß empfindet der Geitzige, der bey dem Anblick des glänzenden Goldes in Entzückung geräth, nicht die Wonne des Schönen, sondern der Selbstheit. Gewiß hat der Freund, der die blühende Farbe des Freundes darum so gern ansieht, weil sie ihm die sinnliche Ueberzeugung von dessen Wohlbefinden giebt, nicht die Empfindung des Schönen, sondern der Sympathie. Und eben so wenig wird man behaupten mögen, daß derjenige die Wonne des Schönen empfinde, dem es gelingt, sich das Bild eines abwesenden Weibes mittelst der Phantasie zu verkörpern, um dadurch seine Lüsternheit zu begünstigen.

Wenn es gleich nicht geläugnet werden kann, daß viele selbstische und sympathetische Triebe unsers niedern Wesens bey der Wonne am Schönen im Geheimen mitwirken; so muß es doch durchaus unter solchen Verhältnissen geschehen, unter denen eine ausdrückliche, deutliche Beachtung und Beziehung auf unsre Selbstheit und Sympathie der Regel nach nicht Statt findet. Solche Verhältnisse liefern besonders die schönen Künste und die Geschichte längst vergangener Begebenheiten. Früchte, weibliche Figuren, aus Marmor gebildet, oder im Gemählde gesehen, regen höchst wahrscheinlich sehr selbstische Triebe in uns auf; dichterische Darstellungen rührender und unterhaltender Situationen aus dem geselligen Leben laden uns zur Sympathie ein; aber alles dieß liegt uns zu fern, als daß wir dabey an wirklichen Genuß für unsre Selbstheit oder Sympathie denken, und diesen als den Zustand beachten sollten, warum uns das Bild gefiele. Unsre Aufmerksamkeit bleibt vielmehr von unserm wirklichen Zustande ab, und auf die Eigenthümlichkeiten des äußern Gegenstandes hingeleitet. Was bey den Werken der schönen Künste so auffallend ist, das kann auch bey wirklichen Gegenständen Statt finden. Wer wird es läugnen wollen, daß wir eine vegetierende Frucht, ein lebendes Weib, eine Situation im gemeinen Leben unter gewissen Verhältnissen mit Wollust und Wonne beschauen können, ohne Eßlust, Lüsternheit und Begierde nach wirklicher Theilnehmung zu empfinden?

Ich glaube hierdurch den vorhin aufgestellten Begriff des Schönen gerechtfertigt zu haben: es ist die Form, der Schein der Gegenstände, der auf unser niederes Wesen bey der bloßen Beschauung Wollust und Wonne erweckt.

Ehe ich den Unterschied zwischen dem unbestimmten Schönen und dem ästhetisch Schönen entwickle, sey es mir erlaubt, einen bereits bemerkten Umstand noch einmahl in Erinnerung zu bringen. Das Schöne wird nur dann in der angegebenen eingeschränkten Bedeutung genommen, wenn es dem Edeln entgegengesetzt wird. Sonst wird überhaupt alles, was wollüstig und wonnevoll auf den Beschauungshang überhaupt wirkt, mit dem Nahmen des Schönen bezeichnet.

Das Schöne wird aber dem Edeln in einer doppelten Beziehung entgegengesetzt: Ein Mahl, in so fern wir auf das Wesen und die Bestimmung der Bilder, die unsern Beschauungshang reitzen, überhaupt Rücksicht nehmen, und diese unter sich in Formen und Wirklichkeiten eintheilen: dann, in so fern wir an jedem einzelnen Gegenstande wieder etwas Form und Gehaltmäßiges wahrnehmen.

Alle Werke der schönen Künste gehören zu dem Gebiete des Schönen, weil sie in Vergleichung mit wirklichen Gegenständen der Natur und der Künste des Nutzens als Formen erscheinen, und das Wesen in uns, worauf sie wirken, in Vergleichung mit demjenigen, wodurch wir über das wirklich Vorhandene und wirklich Brauchbare urtheilen, zu dem niedern an uns gehört.

Allein an diesen schönen Werken giebt es wieder vieles, das wir ihrem innern Gehalt beylegen, und in Vergleichung mit demjenigen, was unsere Sinne und unsern Instinkt zur Wollust und Wonne reitzt, zum Edeln rechnen. Z. B. die Natur des Apollo von Belvedere gehört zu dem Gebiete des Schönen, in Vergleichung mit dem Charakter eines Cato, der den Untergang der Republik nicht überleben will. Allein die Hoheit des Ausdrucks, die über die ganze Figur des Apollo ausgegossen ist, gehört, in Vergleichung mit seiner todten Gestalt, zu dem Edlen.

Auf der andern Seite haben auch alle Gegenstände, die wir zu dem Edeln rechnen, etwas Formartiges an sich, was im Gegensatze zu dem innern Gehalte als Schön beurtheilt werden muß. Z. B. Aufopferung für andere gehört zu dem Edeln. Aber die Worte, die Geberden, die Handlungen, worin sich diese Aufopferung einkleidet, werden mit Recht zu dem Schönen gerechnet.


So wie man das Edle in das unbestimmte und ästhetisch Edle eintheilt, so muß eben diese Eintheilung bey dem Schönen Statt finden.

Wir können nehmlich auf die Bilder der Formen, welche unsern Beschauungshang zur Wonne reitzen, Gesetze des Verstandes und der Vernunft anwenden, eine Wahrheit und eine Tüchtigkeit an ihnen erkennen, und dadurch auf eine Allgemeingültigkeit unsers Urtheils, daß eine gewisse Form bey der bloßen Beschauung mit Wonne empfunden werden müsse, Anspruch machen. Ohne diese Gesetzmäßigkeit gleicht das Schöne bloß dem Wohlschmeckenden, und ist keiner Beurtheilung zu unterwerfen.

Es ist gewiß, daß die Gesetze des Verstandes und der Vernunft, so immateriell sie an sich seyn mögen, sich dennoch unserer Seele unter Bildern darstellen, und gleichsam zu Regelformen werden können. Die regulären mathematischen Figuren geben davon auffallende Beyspiele. Aber überhaupt wird leicht zu fassender Zusammenhang und Bestimmtheit in den sinnlichen Merkmahlen, die wir von einem Bilde aufnehmen, zur Form der Wahrheit: ein leicht abzumessendes Verhältniß der Theile gegen einander, und des Ganzen des Bildes zu dem Raume und zu der Zeit, worin es erscheint, zur Form der Zweckmäßigkeit oder Tüchtigkeit.

Der freyeste Zierrath kann diesen Regelformen unterworfen werden, ja er muß es werden, wenn er ästhetisch schön seyn soll. Nur in wenigen Fällen ist die Anwendung dieser Gesetze zu fein, als daß wir ihr auf die Spur kommen sollten; aber wir ahnden sie auch da, wo wir sie nicht begreifen. So kann bereits die unbedeutendste Blumenranke einen Umriß zeigen, der sich in allen seinen leicht an einander hängenden Direktionen bestimmt von dem Raume absondert, in dem er erscheint: Bild der Wahrheit; sie kann in ihren Sprossen wohl balanciert, in dem Verhältnisse ihrer Spitze zu ihrem Fuße wohl ponderiert seyn: beydes Bilder des Wohlgeordneten; sie kann endlich mit dem Grunde, von dem sie absteht, leicht wieder vermählt werden; Bild der Angemessenheit, mithin der Zweckmäßigkeit.


Je weiter man zu Arabesken, Cartouschen, und andern sichtbaren Körpern hinauf steigt, die ein sichtbares Ganze ausmachen, desto leichter wird die Anwendung nicht allein der Regelformen, sondern auch gewisser empirischer Begriffe von demjenigen, was die Form dieser Körper zeigen muß, um zu einer gewissen Gattung und Art von Körpern zu gehören, und ihre Bestimmung auszufüllen. Man fängt an Begriffe des Leichten, Natürlichen, Einfachen, u. s. w. auf sie anzuwenden, und nimmt bey ihrer Beurtheilung auf den Ort Rücksicht, wo sie angebracht sind. Eben dieß trifft aber auch auf dasjenige Schöne zu, welches uns durch das Ohr und das innere Wahrnehmungsvermögen zugeführt wird. Jede Tonfolge muß unter sich leicht zusammenhängen, und sich durch ein bestimmtes Zeitmaß von andern Arten von Tonfolgen wohl unterscheiden lassen; Bild der Wahrheit. Sie muß aber auch wohlgeordnete Abstufungen, leichte Uebergänge in andere Tonfolgen darbieten; Bild der Zweckmäßigkeit. – Wenden wir diese Grundsätze noch auf das Mechanische der Poesie an! – Jeder Vers muß durch ein bestimmtes Metrum leicht zusammenhängen, und sich von andern Arten der Einkleidungen unserer Gedanken, und von andern Versarten bestimmt unterscheiden; er muß aber auch seine Cäsur, seine periodische Ründung, seine männlichen und weiblichen Reime haben, die ihm inneres Gleichgewicht in seinen Theilen unter einander geben, und ihn mit andern Versen wieder in angemessene Verbindung setzen.

Man verstehe mich aber nicht unrecht! Ich behaupte nicht, daß es hinreichend sey, Bilder der Wahrheit und Zweckmäßigkeit auf eine Form anwenden zu können, um diese ästhetisch schön zu machen! Nein! Die Formen müssen an sich schon das unbestimmte gemeine Schöne an sich tragen, und sich dann außerdem jenen gesetzmäßigen Formen anpassen lassen, um ästhetisch schön zu werden. Keine geometrische Figur wird durch die Bestimmtheit, den leichten Zusammenhang ihrer Umrisse, und durch das Wohlverhältniß ihrer Theile schön. Aber ein Gesicht wird ästhetisch schön, wenn es zu gleicher Zeit durch seine Form unser niederes Wesen zur Wonne der Beschauung reitzen, und den gesetzmäßigen Formen der Symmetrie, Eurythmie, u. s. w. angepaßt werden kann. Keine Tonfolge wird durch den bloßen Rythmus wohlklingend, das taktmäßige Klappern giebt den Beweis; aber wenn das Wohllautende zugleich unter gesetzmäßigen Formen dem Ohre zugeführt wird, dann ist es ästhetisch schön. Eben so verhält es sich mit dem Verse. Er kann bey dem regelmäßigsten Bau hart und widerlich seyn; aber seine wohlklingende Eigenschaft, unter gesetzmäßige Formen gebracht, giebt ihm Anspruch auf das ästhetisch Schöne.

Gehören nun gar diese ästhetisch schönen Formen Geschöpfen der Natur und der Kunst an, deren Körper als ein Ganzes, nach Gattung und Art empirischen Begriffen von ihrem Wesen und ihrer Bestimmung unterworfen werden können; so treten nicht bloß Formenbilder, sondern sogar Begriffe von Wahrheit und Zweckmäßigkeit hinzu. Man kann dann fragen: hat der Körper die Gestalt, die er haben muß, um immer als Körper dieser Gattung und Art wieder erkannt zu werden? Man kann fragen: hat er alles, was dazu erfordert wird, um ihn immer für geschickt zu halten, seine Bestimmung auszufüllen? Diese Begriffe werden empirisch festgesetzt und instinktartig angewandt: nicht wie der Anatomiker, der Physiker, der Philosoph sie formt, und zur Frage bringt; aber so wie der wohlerzogene Mensch sie von den bekanntesten Körpern, die im gemeinen Leben vorkommen, mit sich herumträgt.

Der menschliche Körper ist das Ideal, die Regel solcher ästhetisch schönen Ganzen, die wir Schönheiten nennen wollen. Er zeigt nicht bloß in seinen schönen Umrissen leichten Zusammenhang und Bestimmtheit; nicht bloß in seinem Aufrisse innere Wohlverhältnisse, und in seiner Ründung, in seiner Farbe, in seinem Helldunkeln Angemessenheit zu den äußern Gegenständen; kurz, es lassen sich nicht bloß auf ihn die Formen der Wahrheit und Zweckmäßigkeit anwenden, wie etwa auf eine gewisse Arabeske; – nein! er kann empirischen Begriffen unterworfen werden, über die Art, wie ein wahres und zweckmäßiges Werkzeug einer lebendigen Kraft und eines vernünftigen Geistes beschaffen seyn muß; er kann als Spiegel einer edlen Denkungsart betrachtet werden. Folglich kann er durch seine ästhetisch schönen Formen das Bild eines schönen Ganzen erwecken, das sich vor der Vernunft und dem Verstande rechtfertigen läßt. Wir dürfen daher auch hoffen, daß unsre Wonne an seiner Beschauung dauernd für uns selbst, und von andern Menschen mit uns werde empfunden werden. Dadurch erhält unser Geschmack etwas Allgemeingültiges; unser Urtheil über ihn ist ästhetisch.

Kein Wunder also, daß wir die Schönheit des menschlichen Körpers zuerst als das Ideal aller sichtbaren Schönheit, dann aber auch für alle nicht sichtbare körperliche, und sogar unsinnliche Formen ansehen, die als solche ein Ganzes ausmachen, das nach Gattung und Art einem Begriffe von seinem Wesen und seiner Bestimmung unterworfen werden kann. Liefert dieß Ganze ästhetisch schöne Bilder und Gefühle, die zugleich mit dem Begriffe von seinem Wesen und seiner Bestimmung in uns aufsteigen, und diesen sogar erhöhen; so ist die Form des nicht sichtbaren, gar unsinnlichen Gegenstandes, eine Schönheit.

Daher giebt es Schönheiten in der Tonkunst, in der Poesie, in der Urbanität, sogar in den Sitten, in so fern wir den Anstand, die äußere Form der innern Gesinnung, als ein Ganzes betrachten.


Viertes Kapitel.
Was heißt Vollkommen?

Unter dem Schönen wird oft das Vollkommne mit begriffen, weil es gleichfalls oft auf den Beschauungshang wirkt. Auch der Ausdruck edel begreift oft das Vollkommne in sich. Man sagt daher verschönern und veredeln für vervollkommnen.

Allein bey genauerer Prüfung läßt sich ein merklicher Unterschied zwischen diesen drey Begriffen antreffen, der nothwendig näher entwickelt werden muß.

Ich habe das Edle für dasjenige erklärt, was durch seinen innern Gehalt unser höheres Wesen zur Wonne bey der bloßen Beschauung reitzt. Ich habe das Schöne für die Form der Dinge erklärt, die unser niederes Wesen bey der bloßen Beschauung zur Wonne reitzt. Ich habe endlich gezeigt, daß wenn das Edle und das Schöne unter Leitung des Verstandes und der Vernunft empfunden, und ihre Gesetze erfüllt werden, das unbestimmt Edle und Schöne ästhetisch werde.

Es kann aber die Uebereinstimmung mit den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft auch unmittelbar Wonne erwecken, ohne daß eine Anwendung auf die herrschenden Triebe, oder die Sinnlichkeit unsers Geistes und unsers Instinktes dabey vorausgesetzt zu werden braucht. Im gemeinen Leben deutet man dieß dadurch an, daß man sagt, es ist schön, aber es hat nichts fürs Herz.

Dasjenige, was auf eine mehr als gewöhnliche Art mit den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft übereinstimmt, nennen wir vollständig, vortrefflich, vollkommen. Alle drey Ausdrücke werden oft mit einander verwechselt. Ich will sie hier gleichfalls zusammenfassen. Inzwischen findet bey einiger aufmerksamen Prüfung ein Unterschied zwischen ihnen Statt, der auch im gemeinen Leben beobachtet wird. Was ausgezeichnet wahr ist, mithin alles zeigt, was wir nach festgesetzten Begriffen von seinem Wesen verlangen, um es in jeder Rücksicht für ein bestehendes Ganze von allen andern Ganzen seiner Gattung und Art abzusondern, und es dennoch als zu ihnen gehörig wieder zu erkennen, das nennen wir vollständig. Es befriedigt die Gesetze des Verstandes auf eine ausgezeichnete Art. So nennen wir eine Geschichte vollständig, wenn wir darin Ursachen und Wirkungen einer Begebenheit in seltener Ausdehnung und im auffallenden Zusammenhange mit dem Kreise unserer Erfahrungen entwickelt finden. Was hingegen ausgezeichnet zweckmäßig ist, mithin alles zeigt, was nach Begriffen von seiner Bestimmung gefordert wird, um es in jeder Rücksicht als ein tüchtiges Ganze wieder zu erkennen, das nennen wir vortrefflich. Es befriedigt die Forderungen der Vernunft in ausgezeichneter Maße. Eine Geschichte ist vortrefflich, wenn ihre pragmatische Anwendung auf den Kreis unserer Bedürfnisse in außerordentlichem Umfange, und mit ungewöhnlicher Wichtigkeit wahrgenommen wird. Was zugleich vollständig und vortrefflich ist, das nennen wir vollkommen. Ich habe inzwischen bereits bemerkt, daß ich hier diese drey Unterschiede nicht weiter beobachten, sondern mit dem Nahmen des Vollkommnen alles dasjenige benennen werde, was die Gesetze des Verstandes und der Vernunft in ungewöhnlicher Maße befriedigt.

Dieß Vollkommne wirkt zuweilen auf unsern Beschauungshang, und reitzt uns, unabhängig von aller Beziehung auf die Sinnlichkeit unsers Geistes und unsers Instinkts, zur Wonne. Es fragt sich: wann?

Die erste Bedingung ist diese: daß die Uebereinstimmung der Gegenstände mit den Gesetzen unsers Verstandes und unserer Vernunft instinktartig erkannt werden muß. Alle Erkenntniß des Vollkommnen, die wir einer Anstrengung unsers Verstandes und unserer Vernunft verdanken, giebt uns entweder keine Wonne, oder sie giebt uns nur die Wonne der Selbstheit. Haben wir ein Bedürfniß der Ungewißheit gestillt, so ist die Lust, sie gestillt zu sehen, bloße affektvolle Zufriedenheit; wir sind wieder ruhig. Liegt ein Bestreben der Ausgelassenheit unsers Geistes zum Grunde, der gern erkennen und wissen will, um sich stark und gewaltig, und erhoben über andere Geister zu fühlen, und dieß Bestreben nun wirklich gestillt fühlt; so ist es Wonne, aber Wonne der feinern Selbstheit, die erst das Vollkommene, was der Geist erkennt, auf unsre Person beziehen muß, um dadurch zur Lust gereitzt zu werden.

Die zweyte Bedingung ist diese: daß das Vollkommene nicht erst durch Beziehung auf meine selbstischen und sympathetischen Verhältnisse mich zur Wonne einladen muß. Die Wonne muß unmittelbar mit der Erkenntniß, ohne weitere Beziehung entstehen. Ein Sammler von Naturprodukten, der ein vollkommnes Exemplar einer Muschel, oder eines Steins, seinem Cabinette mit einer Wonne beylegt, die ihm dieß Produkt, in einem andern Cabinette angetroffen, nicht gegeben haben würde; ein solcher Sammler empfindet offenbar nur die Wonne der Selbstheit. Der Mensch, der sich über die Vollkommenheit eines andern freuet, weil das Bewußtseyn derselben denjenigen, der sie an sich trägt, beglücken wird, empfindet nicht die Wonne des Beschauungshanges, sondern der Sympathie.

Die dritte Bedingung ist endlich diese: daß die Uebereinstimmung mit den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft sich in einem lebhaften, gehobenen Bilde der Phantasie darstellen muß, das die Triebe, welche unmittelbar mit jenen Seelenkräften verbunden sind, ungewöhnlich begünstigt.

Beyspiele werden diesen letzten Satz am sichersten erläutern.

Ich fange mit derjenigen Wonne am Vollkommnen an, die uns bloße Formen zuführen können. Eine reguläre geometrische Figur befriedigt die Triebe des Verstandes und der Vernunft nach dem Uebereinstimmenden und Geordneten durch eine instinktartige Erkenntniß einer Form, welche diese Eigenschaften darstellt. Aber eine solche Figur, auf einer kleinen Fläche hingezeichnet, wird jenen Trieben nur eine sehr schwache Lust bereiten. Man hebe sie durch den Contrast mit mehreren irregulären Figuren, man bringe sie an wirklichen Körpern, besonders an solchen an, die eine große Ausdehnung und eine künstliche Bearbeitung zeigen; schnell erwacht ein lebhafteres Bild des Uebereinstimmenden und Wohlgeordneten; und mit ihm Wonne der Beschauung.

Dieses Mittels bedient sich besonders die Architektur und die Gartenkunst: oft unter Begleitung des Edeln und Schönen, oft allein, ja oft zum Nachtheile dieser letzten. Die reguläre geometrische Figur kann, an Prachtgebäuden und Lustgärten angetroffen, diese oft steif und widrig machen. Gebäude und Gärten, die zum Nutzen bestimmt sind, gewähren oft dem Beschauungshange bloß Wonne durch ihre Regularität. Man denke an große Magazine und Wirthschaftsgebäude. Man denke an große regulär gepflanzte Baumschulen.

Auffallender ist die Wonne am Vollkommnen da, wo das Bild des Uebereinstimmenden und Wohlgeordneten, und weiterhin des Wahren und Zweckmäßigen, von der innern Anordnung und Einrichtung eines Gegenstandes zur bessern Erkenntniß und zum bessern Gebrauche desselben abgenommen wird.

Die Distribution der Zimmer in einem Gebäude, wodurch jeder Platz genutzt, und die Abtheilungen in leichte Verbindungen mit einander gebracht sind, wird diese Empfindung erwecken, wenn der Umfang desselben groß ist, und die Bequemlichkeit stark auffällt. Die innere Einrichtung einer Maschine, deren Theile im leicht zu übersehenden Zusammenhange erscheinen, wird bey der bloßen Beschauung die Wonne am Vollkommenen erwecken, wenn irgend ein Umstand hinzutritt, der das Bild dieses wohlgeordneten Zusammenhangs hervorhebt; es sey die Vergleichung mit andern Maschinen; es sey die Größe des Umfangs und die Stärke der Wirkungen, die wir durch einfache Mittel hervorgebracht sehen.

Hieher gehört die Anwendung der Figuren auf einem Gemählde, die Stellung der Gliedmaßen an einer Statue, in so fern dabey nicht so wohl auf Schönheit, als auf bequeme Uebersicht des Ganzen und Verständniß des Süjets gesehen wird. Beyde Rücksichten sind sehr verschieden: die Wonne am Vollkommenen der Anordnung steht oft der Wonne am Edeln und Schönen entgegen. Die Aegyptischen Figuren mit geschlossenen Beinen, und hart am Leibe liegenden Armen sind steif; die reguläre Anordnung thut oft der mahlerischen Wirkung Abbruch.

Eben hieher gehört die Wonne an der wohlgeordneten Entwickelung der Bilder und Empfindungen in einem Gedichte, an der zusammenhängenden Verkettung der Begebenheiten in einer Erzählung, an der natürlichen Folge der Gedanken in einer philosophischen Untersuchung, wenn die Größe und der Umfang des Werks, verbunden mit der Schwierigkeit des Unternehmens, diese Bilder beleben. Alles dieß ist ganz verschieden von den Gefühlen des Edeln und Schönen. Manche Ode, manches Schauspiel, manches epische Gedicht, sind langweilig, wenn wir gleich die Anordnung darin bewundern müssen. Eben so verhält es sich mit der Geschichte und der Philosophie, deren Werke dem Beschauungshange oft gerade nur diese Wonne bereiten.

Endlich kann jede Gesinnung, jede Handlung, jeder Charakter, die Wonne am Vollkommenen noch unabhängig von der Wonne am Edeln und Schönen erwecken, sobald nur das Bild des Uebereinstimmenden, des Geordneten, des Wahren und Zweckmäßigen durch irgend einen Umstand gehoben wird. Z. B. der Gatte auf dem Throne, der seine Gattin mit Treue und Zärtlichkeit liebt, erweckt an sich weder die Empfindung des Edeln noch des Schönen. Denn seine wahre und zweckmäßige Liebe, die übrigens weder Folge eines hohen Geistes, noch eines verfeinerten Geschmacks ist, würde uns, im Mittelstande angetroffen, höchstens die Zufriedenheit des befriedigten Bedürfnisses, den Menschen wahr und zweckmäßig in seinen ehlichen Verhältnissen zu finden, gewähren. Aber in seiner Lage rührt uns das Bild mit der Wonne am Vollkommnen. Ferner: ein Mensch, der einem gewöhnlichen Berufe, dessen Ausfüllung an sich weder Höhe des Geistes, noch verfeinerten Geschmack voraussetzt, sein ganzes Leben hindurch mit Haltsamkeit und Treue nachgekommen ist, erfüllt uns mit der Wonne am Vollkommnen, wenn er mit andern in Contrast gesetzt wird, die sogar in einzelnen Handlungen Inconsequenzen zeigen, oder wenn seine Stetigkeit durch irgend einen andern Umstand hervorgehoben wird.


Genug! Die Wonne an der Beschauung des Vollkommnen ist außer Zweifel gesetzt. Dieß Vollkommene ist aber von zwiefacher Art. Es ist entweder relativ: in so fern ein Gegenstand in Vergleichung mit andern Gegenständen seiner Gattung und Art vollkommen erscheint; oder sie ist absolut: in so fern der Gegenstand das Bild eines in jeder Rücksicht vollkommenen Wesens erweckt.

Dieß letzte Wesen ist ein bloßes Verstandes- und Vernunftwesen, das[WS 19] keine Anschauung zuläßt, mithin als eine Erscheinung in dieser Sinnenwelt unserer Erkenntniß nicht vorgestellt werden kann. Wir denken uns nur die Gottheit unter diesem Begriffe.

Inzwischen erweckt dasjenige, was seinem innern Gehalte nach moralischen Adel, seiner äußern Form nach Schönheit zeigt, jenen nach Art des Ganzen eines menschlichen Charakters, diese nach Art des Ganzen eines menschlichen Körpers, ein Bild jenes Abstrakts von Vollkommenheit, und die Wonne, die wir beym Anblick eines Bildes dieser Art empfinden, übertrifft alle andere, die der Beschauungshang uns zuführen kann.

Es hat privilegierte Menschen gegeben, die wirklich an ihrer ganzen Person, oder wenigstens an ihrem Innern, das Bild einer solchen absoluten Vollkommenheit gezeigt haben. Häufiger aber ist der Fall, daß ihre Werke es zeigen. Einzelne Meisterstücke der Künste, einzelne Stimmungen des Gemüths, einzelne Handlungen, haben das Vorrecht, unsere Phantasie mit einem Bilde zu erfüllen, das sich dem Verstandes- und Vernunftwesen von absoluter Vollkommenheit nähert, und uns dadurch in den höchsten Zustand der Entzückung zu versetzen.

Von diesem Bilde des absolut Vollkommnen ist das Bild des relativ Vollkommnen verschieden, das nur die Triebe nach dem Uebereinstimmenden, Wohlgeordneten, und weiterhin nach Wahrheit und Zweckmäßigkeit überhaupt begünstigt.

Jene Wonne an dem Bilde der absoluten Vollkommenheit gehört zu dem Edeln und zu dem Schönen: sie vereinigt beydes. Diese Wonne an dem Bilde des relativ Vollkommnen besteht sogar mit dem Niedrigen und Häßlichen. Caricaturen, ausgezeichnete Anekdoten von Dummheit, Niederträchtigkeit und Schädlichkeit können sie erwecken, wenn nur die Wahrheit und Zweckmäßigkeit des Bildes zur Darstellung des Häßlichen oder Verworfenen recht auffallend wird. Man sagt von solchen Bildern: sie sind vollkommen in ihrer Art.


Fünftes Kapitel.
Was heißt nun veredeln und verschönern?

Veredeln und verschönern heißt nun in einer für beyde Handlungen zutreffenden Bedeutung, die auch oft für vervollkommnen gilt, etwas fähig machen, den Beschauungshang in uns zur Wonne zu reitzen.

In so fern diese beyden Ausdrücke sich einander entgegengesetzt werden, heißt veredeln so viel, als den Gehalt eines Dinges fähig machen, den Geist zur Wonne der Beschauung zu reitzen; verschönern hingegen so viel, als die Form eines Dinges fähig machen, das niedere Wesen an uns zur Wonne der Beschauung zu reitzen.

Beydes kann auf eine unbestimmte Art geschehen, ohne daß wir darauf rechnen mögen, die Wirkung bey uns und andern auf beständig hervorzubringen; oder es geschieht auf eine Art, wodurch unser Geschmacksurtheil Allgemeingültigkeit erhält. Dieß letzte heißt ästhetisch veredeln und verschönern, oder was einerley ist, unter Leitung der Gesetze des Verstandes und der Vernunft veredeln und verschönern.

Unter veredeln und verschönern wird oft auch diejenige Handlung verstanden, mittelst der wir ein Ding fähig machen, durch ein auffallendes Bild der Verstandes- und Vernunftmäßigkeit den Beschauungshang zur Wonne zu reitzen. Etwas in seiner Art vollständig und vortrefflich erscheinen lassen, oder vervollkommnen, heißt veredeln und verschönern, wenn das Vervollkommnete unmittelbar auf unsern Beschauungshang wirkt.

Wir veredeln und verschönern aber besonders dann, wenn wir das Bild einer absoluten Vollkommenheit erwecken; und dieß geschieht, wenn wir ein Wesen schaffen, das seinem Innern nach als ein ästhetisch edles Ganze, nach Art des moralisch menschlichen Geistes erscheint, und zugleich seinem Aeußern nach ein ästhetisch schönes Ganze, nach Art des schönen menschlichen Körpers, darstellt.

Ich gehe jetzt dazu über, diese Grundsätze auf die Liebe anzuwenden.

Sechstes Kapitel.
Die Liebe trägt viel unbestimmt Edles und Schönes an sich.

Nichts ist so fähig, uns bey der Beschauung mit Wonne zu erfüllen, als das Bild der Liebe. Der bloße Ausruf Liebe, Liebe! wirkt in uns dunkle Bilder des Vollkommnen, des Edeln und des Schönen.

Woher diese Erscheinung?

Schätzung liegt dabey vor allen Dingen zum Grunde. Ich sage Schätzung; nicht Achtung, welche ich schon mehrmahls in diesem Werke von jener unterschieden habe, und die dem Menschen bloß vermöge seiner sittlichen Würde zukommt. Schätzung ist dagegen Billigung dessen, was seiner ausgebreiteten Nutzbarkeit und seines wirklichen Nutzens wegen im allgemeinen Preise steht. Keine Neigung im Menschen ist der Regel nach so auffallend, so allgemein nützlich, als die Liebe! Was wäre ohne jene Fähigkeit des Menschen, an dem Daseyn und dem Wohl seiner Mitmenschen unmittelbaren Antheil zu nehmen, die größere und die engere örtliche Gesellschaft? Wenn bloße Klugheit des Eigennutzes uns auffordern sollte, diejenigen nicht zu beleidigen, die uns schaden können, denjenigen wohl zu thun, welche uns nützlich werden mögen; wie viele unserer Mitgeschöpfe würden nicht ein Opfer unserer Selbstgenügsamkeit werden! Wer würde besonders in Zeiten, wo die physische Lust des unnennbaren Triebes so leicht gebüßt, das Bedürfniß der geselligen Unterhaltung so leicht befriedigt werden kann, noch an Gatten, Kindern, Freunden hängen mögen! Aber wir müssen lieben, die Natur hat uns so gemacht! Wir müssen anhängen, ohne Rücksicht auf Vortheil und Gewinn! Und dennoch zieht jeder aus dieser liebenden Anlage Vortheil! Der eine, daß er geliebt wird, der andere, daß er liebt und Gegenliebe für sich erweckt! Diese allgemeine Nutzbarkeit und Nützlichkeit der Liebe macht ihre Vorstellung generisch interessant, und setzt uns daher in die Lage, ihr Bild wonnevoll zu fühlen, ohne erst zu fragen: was sie uns, unserer Person, und unsern individuellen Verhältnissen werth sey.

So natürlich aber die Fähigkeit zu lieben dem Menschen ist, so sehr sie zur Wahrheit und Zweckmäßigkeit seines Daseyns gehört; so sehr überwiegt doch bey den mehrsten der Eigennutz, und so häufig hemmt die Einrichtung der policierten Gesellschaft ihre Wirksamkeit. Wo sie also angetroffen wird, da erweckt sie das Bild einer seltenen Wahrheit, – der Vollständigkeit, – einer seltenen Zweckmäßigkeit, – der Vortrefflichkeit, – mithin im Ganzen ein Bild der Vollkommenheit des Innern im Menschen, das mit Wonne beschauet werden kann.

Denken wir uns nun gar die Liebe als zärtliches oder leidenschaftliches Verhältniß, – mit allen den Aufopferungen unserer Selbstheit, der Ruhe, der Bequemlichkeit des Alleinseyns, für die Wonne des Zusammenseyns; mit der anstrebenden rastlosen Thätigkeit, die alle Kräfte anspannt, alle Hindernisse überwindet, um zu einem Zweck zu gelangen, welcher der menschlichen Gesellschaft so manchen zufälligen Nutzen bringt; – mit so vielen seligen Folgen für den Strebenden selbst und für die Verbündeten; so entsteht gar leicht das Bild einer freyen Selbstbestimmung zu einem höchst kraftvollen und zugleich höchst nützlichen Wesen, das unsern Geist begeistert.

Sie führt aber auch unendlich viel Schönes mit sich, diese Liebe, indem wir unsere Aufmerksamkeit mehr auf die Form wenden, unter der sie sich uns darstellt, als auf ihr Inneres. Sie ist es, welche die höchsten sinnlichen Freuden herbeyführt; sie ist es, welche bey ihren Aeußerungen der Gestalt die reitzendsten Mienen und Geberden, dem Munde die wohlklingendsten Töne, dem Herzen und der Phantasie die rührendsten, feinsten, schlauesten, reichsten Mittel lehrt, sich auszudrücken, und zu ihrem Zwecke zu gelangen; sie endlich ist mit den Künsten, mit der geselligen Unterhaltung so genau verwebt, daß wir ihre Vorstellung kaum anders, als unter Formen fassen können, die unmittelbar auf unser niederes Wesen wirken, und dieß mit Wonne der Beschauung erfüllen.

Die Liebe, das mächtigste und sich selbst aufopferndste Wesen in sich selbst, – die Liebe, das Wesen, das sich am reitzendsten und unterhaltendsten einkleidet, – das sind die Bilder, welche bey der Beschauung ihres Innern unsern Sinn des Edeln, und bey der Beschauung ihrer Form unsern Sinn des Schönen zur Wonne reitzen.


Siebentes Kapitel.
Wir glauben aber auch oft edle und schöne Liebe anzuschauen, wo wir nur veredelte und verschönerte gesellige Triebe bemerken.

Wie geneigt sind wir aber nicht, dieß mächtigste, sich selbst aufopferndste Wesen, das sich zugleich so reitzend, so unterhaltend einkleidet, allerwärts wieder zu finden, wo wir Bilder einer großen Anstrengung menschlicher Kräfte nach Befriedigung geselliger Triebe, besonders der Geschlechtssympathie, und einen feinen Ausdruck geselliger Empfindungen antreffen.

Ovid sagt irgendwo: ach! daß ich derjenige wäre, den die Geliebte aus Eifersucht übel behandelte, zu dem sie unter Thränen sagte: ich möchte dich hassen, wenn ich könnte!

Ist dieß der Ausdruck der Liebe? Der Wunsch, im Kummer des andern Genuß zu finden, gehört der zu dem wonnevollen Streben nach der Ueberzeugung von des Geliebten Glück? Nein! es ist der vollkommene Ausdruck üppiger Eitelkeit; es ist ästhetische Veredlung der Geschlechtssympathie.

An einer andern Stelle läßt eben dieser Dichter eine seiner Heldinnen sagen: O mein Geliebter! Mögen dich die Götter vor dem Gedanken bewahren, tapfer zu seyn! Rette dich lieber mit schimpflicher Flucht, um dich für deine Geliebte zu erhalten!

Auch hier ist vollkommener Ausdruck eines heftigen Strebens vorhanden! Aber wornach? Nach Zusammenseyn! Nicht nach der Ueberzeugung von der Selbstzufriedenheit des Geliebten, die sich ohne Selbstwürde nicht denken läßt.

Eben so kann man oft gesellige Triebe durch feinen und reitzenden Ausdruck verschönern, ohne daß darum das Verschönerte Liebe sey! Hero erwartet, bey eben diesem Dichter, den Leander. Sie fragt ihre Amme: kommt er noch nicht bald; wird er noch nicht bald da seyn? Die Amme nickt mit dem Kopfe, aber nicht zum Zeichen der Bejahung; nein, sie ist eingeschlafen, die gleichgültige Vertraute; und dieser Contrast mit der ungeduldigen Hero hebt den Ausdruck der Wachsamkeit, den die Liebe mit jeder Leidenschaft theilt. Hero, die diesen Contrast fühlt und darstellt, giebt dadurch ihren geselligen Empfindungen einen feinen und reitzenden Schmuck; aber der Liebe gehört er nur sehr zufällig an.

Der gefangene Maupertuis wird vor die Kaiserin, Maria Theresia, geführt. Auf ihre Frage: „ist es wirklich wahr, daß die Prinzessin Amalia von Preussen die schönste Dame ihres Zeitalters sey?“ antwortet er: „Bis auf diesen Tag hab’ ich es geglaubt!“ – St. Aulaire wird von der Herzogin de Maine ihr Apollo genannt. „Wenn ich es wäre, antwortete er, so würden Sie nicht meine Muse seyn. Sie würden Thetis seyn, und der Tag würde endigen!“ – Ich brauche nicht zu sagen, daß dieser feine, reitzende Ausdruck geselliger Empfindungen nicht der Liebe gehöre. Es wird daher die Liebe nicht dadurch verschönert.

Minder auffallend wird eine solche Verwechselung veredelter und verschönerter Liebe mit bloßer veredelter oder verschönerter Geschlechtssympathie, oder einem andern veredelten und verschönerten geselligen Triebe in folgenden Beyspielen.

Die Samniter setzen das schönste Mädchen zum Preis für den tapfersten Krieger. – Die Normänner glauben, daß man nur durch tapfere Thaten das Herz des schönsten Weibes gewinnen könne. Wie? ist die Liebe, jenes wonnevolle Streben nach der Ueberzeugung von eines andern Glück, dadurch veredelt? Im geringsten nicht! Jene Samniter betrachten das schöne Mädchen als das Mittel zu einem sinnlichen Genuß, dessen Hoffnung ihren Muth entflammt; diese Normänner setzen an die Stelle des gröberen Genusses den feineren der üppigen Eitelkeit und des Stolzes auf den Besitz. Das Glück, die Zufriedenheit des Geliebten kommt dabey nicht in Anschlag. Nur die Geschlechtssympathie, die sonst auf niedrigeren Wegen ihre Befriedigung sucht, wird veredelt.

Eben dieß gilt nun von einer Menge von Bildern außerordentlicher Aufopferung unserer niederen Selbstheit, die theils Dichter und Romanenschreiber, theils das gemeine Leben liefert, und durch die wir uns leicht verführen lassen, an wahre Liebe zu glauben.

Wir sehen die Henne auf ihren Eyern, den Hund auf der Leiche seines Herrn verschmachten. Unbekümmert darum, daß beyde keiner Ueberzeugung von dem Wohl anderer Geschöpfe fähig sind, entsteht bey uns das Bild eines mächtigen, sich selbst aufopfernden Wesens; wir transferieren es auf die Liebe, und schnell entsteht bey uns die Wonne der Beschauung des Edeln.

Wir lesen, daß Dido die Flucht des Geliebten nicht überlebt, daß sie sich selbst ersticht, die Augen noch einmahl öffnet, und beym Anblick des verhaßten Lichts erseufzt. Unbekümmert darüber, daß die Verlassene vorher alles Unglück von den Göttern auf den Ungetreuen heraberflehet hatte, bleiben wir bloß bey dem Bilde der Königin stehen, die alles, selbst das Leben, nach der Trennung von dem Geliebten aufopfert, und finden in ihrer That die Aeußerung[WS 20] edler Liebe.

Einer meiner Freunde, ein Maltheser-Ritter, macht während seines Aufenthalts in Maltha einer dortigen Dame von Stande aus Langeweile die Aufwartung. Sie, die schon über die Jahre der Reife hinaus ist, nimmt die Sache ernsthaft, und der Liebhaber wird des Verhältnisses überdrüßig. Er wendet eine Eifersucht vor, und zieht sich auf einige Zeit in die Einsamkeit zurück. Drey Tage lang hält die Dame die Trennung aus. In der Nacht auf den vierten entzieht sie sich der Wachsamkeit ihrer Beobachter mit der größten Gefahr für ihren Ruf und ihr Leben, und schleicht, mit der Blendlaterne in der Hand, in die Wohnung des Geliebten. Sie erwartet er werde in rastloser Verzweiflung empörter Liebe wachen. Aber nein, sie findet ihn schlafend in der sanftesten Ruhe. Außer sich vor Schmerz und Erstaunen bey diesem Anblick, läßt sie die Laterne fallen. Der Ritter erwacht, und ruft: Wer da? – „E tu dormi! Du kannst schlafen, spricht das Weib im Tone des jammernden Vorwurfs, und sinkt in Ohnmacht! – Unbekümmert darum, daß diese Stärke der Empfindung größten Theils an der betrogenen Eitelkeit auf die Macht veralteter Reitze lag, schreyen wir auf über vollkommne und edle Liebe!

Ich will jetzt noch einige Beyspiele eines äußern Schmucks anführen, den wir der Liebe beygelegt glauben, und womit im Grunde nur Geschlechtssympathie bekleidet ist.

Sappho findet in dem niedergedrückten Grase noch die Spuren von Phaons ehmahligen Umarmungen, und benetzt sie mit ihren Thränen; – Rousseau theilt im einfältigen süßen Genuß des traulichen Zusammenseyns sein sparsames Mahl auf der Fensterbank im vierten Stock mit seiner Therese; – Rousseau schreyet laut auf beym Anblick der Pervenche, des Immergrüns, das er ehmahls mit seiner Freundin Warens gesucht hatte. – Die Heroine beym Ovid erzählt ihrem Liebhaber eine Menge kleiner Umstände, von denen es unbegreiflich scheint, wie sie zu ihrer Kenntniß haben kommen können, und antwortet auf die Frage: woher sie das alles weiß? – Ich liebe!

Es ist nicht zu läugnen, daß alle diese Züge bey der Beschauung die Wonne am Schönen erwecken. Aber kann ein einziger davon unmittelbar dem Streben nach der Ueberzeugung, den andern glücklich zu wissen, beygelegt werden? Gehören sie nicht alle weit mehr einer auf Sympathie geimpften Selbstheit?


Achtes Kapitel.
Aesthetische Veredlung und Verschönerung der Liebe.

Ich kann keinen Gegenstand ästhetisch veredeln und verschönern, wenn ich nicht vorher den Begriff von seinem Wesen und seiner Bestimmung gefaßt habe. Sonst laufe ich Gefahr, ihm einen falschen Adel, oder einen falschen Schmuck beyzulegen, der ihn in andern Rücksichten gerade erniedrigt und verunziert.

Sobald ich die Anlage des Menschen zu geselligen Trieben überhaupt darstelle; so sind die eben angeführten Beyspiele ästhetisch edel und schön. Die Aufopferung einer Dido ist wahr und zweckmäßig zur Darstellung der Stärke einer geselligen Leidenschaft überhaupt, in Vergleichung mit dem eigensinnigen Entschluß einer Miß Bellarmi, die um einer geringen Veranlassung willen mit dem Geliebten auf ewig bricht, und ihn und sich aus Eigensinn für beständig unglücklich macht. Die Lebhaftigkeit eines Rousseau beym Anblick der Pervenche ist zweckmäßig zur Darstellung einer zarten Empfindsamkeit für gesellige Verhältnisse, in Vergleichung mit dem Könige, der den Leichenzug der Maitresse mit trocknen Augen beobachten konnte. Aber für Liebe, für wonnevolles Bestreben, den Geliebten zu beglücken, beweisen diese Beyspiele nichts: sie sind in dieser Rücksicht weder wahr noch zweckmäßig, mithin auch nicht ästhetisch edel oder schön. Mancher Geitzige hat sich nach dem Verlust seiner Schätze selbst umgebracht, und der ehrgeitzige Cäsar hat beym Anblick eines Bildnisses des Alexanders Thränen vergossen.

Aesthetisch veredelt erscheint die Liebe da, wo die Aufopferung der Selbstheit, als der innere Gehalt der Gesinnung geradezu auf das wonnevolle Streben nach der Ueberzeugung, den Geliebten zu beglücken, zuführt: folglich mit dem Bilde des hohen, mächtigen Geistes, der unsern Geist empor hebt, zugleich das unzweydeutige Bild der Liebe erweckt wird.

Eine verlaßne Geliebte betrachtet ein Bildniß mit begeisterter Freude. Ist es das Bildniß des Ungetreuen? Nicht einmahl das: es ist das Portrait ihrer glücklicheren Nebenbuhlerin. Arme! Das kann dich erfreuen? Ach! antwortet sie: sie macht ihn so glücklich! – Wer kann dieß lesen, ohne mit dem Bilde der Aufopferung zugleich das der vollkommensten Liebe in seiner Seele aufsteigen zu sehen.

Aesthetisch edel erscheint die Liebe in jener Alceste, die ihr Leben hinopfert, ihren Admet zu erhalten: in jener Herzogin der Normandie, die das Gift aus der Wunde des Gatten saugt, um ihn vom Tode zu retten; und am aller unzweydeutigsten in jenen Liebenden, die, überzeugt, den Geliebten an ihrer Hand nicht beglücken zu können, die seinige mit der Hand eines andern verschränken.

Aesthetische Verschönerung der Liebe suche ich da, wo die Zartheit und die Fülle der Empfindung, als äußere Form der Gesinnung auf ein Herz zurückführt, das fähig wäre, das Glück des Geliebten seinem eigenen vorzuziehen, weil es den Werth eines andern Herzens ganz zu fühlen im Stande ist: wo folglich mit dem Bilde des feinsten und üppigsten Instinkts, der unserm Instinkte schmeichelt, zugleich das unzweydeutige Bild der Liebe erweckt wird.

Aesthetisch schön erscheint daher die Liebe beym La Fontaine in jener liebenden Buhlerin, die nach unzähligen Genüssen der bloßen Sinnlichkeit ihre Freuden zum ersten Mahle in den Armen des Geliebten zu kosten glaubt. Zum ersten Mahle? fragt der Dichter. Ja! setzt er hinzu: wer geliebt hat, der antworte! – Vergleicht dieß Bild sinnlicher Freuden, denen das Herz den höchsten Reitz giebt, mit demjenigen, das die niedergedrückten Grasspitzen bey einer Sappho erweckten, um die nähere Uebereinstimmung mit dem Begriffe der Liebe zu fühlen. [33]

Aesthetisch schön erscheint die Liebe in jener Zenie oder Laura, die heimlich die Sprache des Geliebten, eines Ausländers, lernten, um ihm in süßeren Tönen die Sprache ihres Herzens hören zu lassen. Vergleicht diesen Zug mit Rousseaus Unterhaltungen mit seiner einfältigen Therese! Welch ein reitzenderes, aber auch welch ein wahreres Bild der Liebe?

Niemand aber hat wohl die wohlgefällige Form mit dem wahren Ausdruck der Liebe besser zu verbinden gewußt, als Marmontel in nachstehender Erzählung.

Ein eingekerkertes, äußerst bewachtes Mädchen will den Liebhaber, der es nie hat sprechen, der ihm nur durch Zeichen seine Liebe hat offenbaren können, das erste Merkmahl geben: du wirst geliebt! Aber wie fängt es dieß an? Wie entgeht es dem Auge seiner Wächter? wo findet es einen Schleyer vor seiner eigenen Schamhaftigkeit? – Sein Fenster ist dem seinigen gegenüber. Er zeigt sich daran, bekümmert über sein Schicksal, sehnsuchtsvoll nach dessen endlicher Endscheidung. Des


Casta sui thalamo cum surgeret Arria Paeti,
Cujus in amplexu gaudia nox tulerat,
Os illa ore premens, non quod mihi dulce erat, inquit,
Sed quod dulce tibi est, hoc mihi dulce fuit.

Die Feinheit des Ausdrucks dulce geht im Deutschen verloren; sonst ist der Sinn in einer Uebersetzung, die mir ein anderer meiner Freunde mitgetheilt hat, glücklich dahin wieder gegeben:

Als sich Arria wandt’ aus ihres Pätus Umarmung,
Welchem die göttliche Nacht Freuden der Liebe verliehn,
Drückte sie Mund an Mund, und sprach: Nicht was ich genossen,
Dein Genuß, o Gemahl, war mir der schönste Genuß!

Mädchens Augen halten des Geliebten Blick, sein Herz hält die Warnung der jungfräulichen Züchtigkeit nicht aus. O Liebe! du bist erfindsam! Das Mädchen kehrt sich von ihm, aber es fängt sein Bild in einem Spiegel auf, schaut es an, – drückt einen Kuß auf den Abglanz, und entflieht.

Welch eine Form der höchsten Feinheit zur Einkleidung der Liebe! Nein! So etwas lehrt nur sie!

Vergleicht mit dieser Geschichte das lüsterne Mädchen beym Virgil, das den Schäfer mit zugeworfenen Aepfeln neckt, und sich dann, nicht ohne gehörige Vorsicht, vorher gesehen zu werden, hinter Gesträuchen verbirgt. – Auch hier ist ein feiner, reitzender Ausdruck. Aber gehört er der Liebe? Nein! Er gehört der Geschlechtssympathie!


Neuntes Kapitel.
Veredlung des Charakters überhaupt ist darum noch nicht Veredlung der Liebe.

Der Mensch kann in seinen Verhältnissen gegen die Liebe edel erscheinen, aber seine Liebe ist darum nicht edel. Oft zeigt er sich gerade dadurch edel, daß er seiner Pflicht seine Liebe zum Opfer bringt.

Interessanter Streit der Liebe mit der Pflicht! Wie oft wirst du gekämpft! Seht jene Gattin an, das unglückliche Schlachtopfer menschlicher Conventionen, gebunden an einen Gemahl, der, unwerth ihrer Liebe, Bitterkeit auf jeden Genuß ihres Lebens ausschüttet! Eine sichere Flucht kann sie retten, kann sie auf ewig mit dem Geliebten verbinden, der das Glück seines Daseyns von ihr erwartet, und von dem sie das ihrige allein erhalten zu können glaubt. Dieser beschwört sie auf seinen Knieen, dieß einzige Rettungsmittel zu ergreifen! Aber umsonst sind seine Thränen, umsonst ist seine Verzweiflung! Lieber den Tod: lieber ihr gemeinschaftliches Unglück, als von dem verhaßten Gatten und von ihrer Pflicht zu weichen. Edel ist hier der selbständige Mensch; edel war Titus, als er Berenicen verließ, um sein Volk zu beglücken, in seinen Verhältnissen gegen die Liebe. Aber ihre That war keine Liebe, sondern edle Selbstheit.

In wie viel andern Fällen zeigt sich nicht der nehmliche Unterschied! Cimon, der ungebildete rohe Mensch, gerührt durch den Anblick der Schönheit, wird ein rechtschaffner, und an Cultur ausgezeichneter Mensch. Wem strebt er dadurch Gutes zu thun? Sich selbst! Er bahnt sich den Weg zu dem Herzen der Geliebten auf eine edle Weise. Hofft er durch die Veredlung, die er sich selbst giebt, die Geliebte zu beglücken; ja, dann liebt er auf eine edle Art.

Rousseaus Laura, die Römische Buhlerin, ist Zeugin der edlen Liebe Mylords Bomston zu der Marquise. Mit Abscheu sieht sie forthin auf ihren glänzenden aber lasterhaften Lebenswandel zurück, und vertauscht ihn mit klösterlicher Einsamkeit. Edle Danae! eine gleiche Wirkung verdanktest du deiner Verbindung mit Agathon! Glaubtet ihr den Geliebten durch eure Entfernung zu beglücken: waret ihr überzeugt, daß das Weib, das eigne Würde nicht immer geachtet hat, des Mannes der immer verehrungswürdig war, nicht werth sey; dann habt ihr geliebt! Hat aber Ehrgeitz und die Besorgniß des Stolzes, den Geliebten nicht auszugleichen, euch zu dieser Aufopferung vermocht; dann habt ihr nicht geliebt!


Zehntes Kapitel.
Relative Vollkommenheit der Liebe.

Die Liebe kann in ihrer Art vollkommen seyn, ohne Gefühle des Edeln und des Schönen zu erwecken. Antonius opfert ein Reich in den Armen einer Cleopatra auf: ein weichgeschaffener Jüngling fällt in die Netze einer Buhlerin, einer Manon L’ Escaut, und opfert ihr Vermögen, Ehre, endlich wohl gar Tugend und ein Leben auf, das er um ihretwillen aufs Schaffot bringt; unstreitig ist hier vollkommene Liebe vorhanden. Unsere Phantasie wird von einem Bilde gerührt, das mit dem Begriffe der Liebe, als einer Leidenschaft, die ihr Glück in dem Glücke des Verbündeten sucht, ungewöhnlich übereinstimmt; und dieß gefällt uns in der bloßen Beschauung, ohne darum unsern Geist zu edeln, oder unsern Instinkt zu schönen Gefühlen einzuladen.

Oft kann sogar das Bild einer relativ vollkommnen Liebe die Wonne am Edeln und Schönen geradezu zerstören. Man denke sich einen Gatten, der das Glück seiner Gattin so sehr über sein eigenes setzt, daß er sogar in eine Theilung ihres Besitzes mit dem Buhlen, der ihr unentbehrlich geworden ist, einwilligt. Ist es möglich, dieß Bild, das in Rücksicht auf den Begriff der Liebe ungewöhnlich wahr und zweckmäßig erscheint, ohne Ekel anzuschauen?

Eilftes Kapitel.
Einfluß des Standpunkts, aus dem wir beschauen, auf unser ästhetisches Urtheil über die Liebe.

Im Grunde kann die einzelne Gesinnung, der einzelne Ausdruck der Liebe, für ihr Daseyn, für Edelsinn und Sinn des Schönen wenig beweisen. Die leichtsinnigste Buhlerin kann in einem Anfall von Leidenschaft der größten Aufopferungen für des andern Glück fähig seyn; und für ihre Aeußerungen eine reitzende Form finden. Erst dann wird man über das Daseyn wahrer Liebe, des Edelsinns, und des Sinns des Schönen mit Sicherheit urtheilen, wenn man die Person selbst kennt, und sie in ihren liebenden Verhältnissen eine längere Zeit zu beurtheilen im Stande ist.

Freylich wird dann nur selten der Beschauungshang zur Wonne aufgefordert werden. Die Annäherung an die Gegenstände unserer Bewunderung und unserer Schönheitsgefühle pflegt diese gemeiniglich zu endigen. Dichter und Redner wissen dieß, und halten daher die Personen, für die sie uns interessieren wollen, gemeiniglich in einer solchen Entfernung von uns, daß die Phantasie ihr völlig freyes Spiel behält. Sie stellen uns einen König, einen Agesilaus dar, der glücklich im Schooße seiner Familie lebt, und in dem Genusse der Zärtlichkeit die höchsten Freuden seines Lebens findet. Wir nähern uns, und finden einen gewöhnlichen Hausvater, der ganz selbstisch sein Vergnügen in häuslicher Geselligkeit und Zurückgezogenheit von rauschenden Zerstreuungen aufsucht, und übrigens seine Gattin und seine Kinder, als Mittel zu seinem Zweck, gut behandelt. Dieser König bleibt freylich immer schätzungswerth, weil sein Beyspiel nützlich für sein Volk wird. Aber die Wonne der Beschauung des Edeln der Liebe ist dahin.

Sie stellen uns einen Schmidt dar, der aus Liebe zu einer Mahlerstochter zum Mahler wurde. Wir nähern uns, und finden, daß er eben so wohl gethan haben würde, sein voriges Handwerk nicht zu verlassen. Sie schildern uns einen Liebhaber, der seine Geliebte bittet, den gestirnten Himmel nicht schön zu finden, weil er ihr den nicht geben kann! Welche Aufopferung! welche Feinheit! Wir nähern uns. – Es ist ein alter Geck, der in die Netze einer jungen Buhlerin gefallen ist, mit der er sein Vermögen und die schönen Worte verschwendet, die bey den Hoffräulein weiter keinen Eingang finden.

So sehr kommt es bey der Wonne der Beschauung auf den Platz an, wohin wir uns stellen! Der Künstler hat den Vorzug, daß er uns in seinem Reiche immer so weit von sich entfernt halten kann, daß wir den Zauberkreis nicht überschreiten. In der wirklichen Welt kommt es auf Verhältnisse an, die wir nicht immer in unserer Gewalt haben, und dasjenige, was uns Heute edel und schön scheint, ist Morgen vielleicht nur verehrungswürdig, schätzungswerth, interessierend, oder gar verächtlich, gleichgültig und unbedeutend.


Zwölftes Kapitel.
In wie fern die liebende Person als ein Bild absoluter Vollkommenheit erscheint.

Ich habe es schon gesagt, daß ein Ding, das in jeder Rücksicht vollkommen wäre, ein bloßes Verstandes- und Vernunftwesen sey, das keinen Gegenstand der Anschauung in dieser Welt sinnlicher Erscheinungen ausmacht. Aber eine entfernte Ahndung, ein Bild der Phantasie, kann zuweilen von dieser Vollkommenheit in uns erweckt werden. Am sichersten geschieht dieß da, wo wir einen Menschen seiner Seele nach als ein edles Ganze, seinem Körper nach als ein schönes Ganze zu erkennen glauben: kurz, wo sich Seelenadel mit Schönheit paart.

Der liebende Mensch, oder die Person, die sich mit einer andern zusammenzusetzen strebt, um sich mit einander zu beglücken, kann ein solches ästhetisch edles Ganze in dem Geiste der Verbindung, ein solches ästhetisch schönes Ganze in den Formen derselben ankündigen, wodurch wir ein ähnliches Bild von absoluter Vollkommenheit mit demjenigen erhalten, welches der einzelne Mensch durch seinen Seelenadel und seine körperliche Schönheit in unserer Phantasie erweckt.

Liebe, als Vollkommenheit betrachtet, ist das Ganze einer auf Zärtlichkeit beruhenden Verbindung, das seinem innern Gehalte nach Seelenadel, seiner äußern Form nach Schönheit zeigt.

Von dieser Art waren die Verbindungen, welche die Sokratische Schule empfahl, und wenigstens in ihren Schriften darstellte. Hier strebten die Liebenden, sich dadurch unter einander zu beglücken, daß sie sich das höchste Gut, die Tugend, einander zuführten, und die Aeußerungen ihrer Zärtlichkeit in ästhetisch schöne Formen kleideten. Ihre zusammengesetzte Person bildete ein vollkommenes Ganze als Liebe, weil sie beyde ganz von dem Wunsche, sich wechselseitig zu beglücken, ganz von Edelsinn und Sinn des Schönen durchdrungen waren.

Ausgezeichnet wahre und zweckmäßige Liebe, die sich als ein edles und schönes Ganze zeigt, ist vollkommene Liebe.


Dreyzehntes Kapitel.
In wie fern der Moralist die Liebe veredelt.

Wenn wir nicht alle Begriffe verwirren, und dasjenige, was in den Sitten des Menschen, (in seinem Verhalten gegen sich selbst und Andere,) von der Rücksicht auf die Einrichtungen der örtlichen und bürgerlichen Gesellschaft, und auf kluge Besorgung des sinnlichen Genusses an die Hand gegeben wird, – mit dem Moralischen verwechseln wollen; so müssen wir durch diesen letzten Ausdruck nur dasjenige in den Sitten des Menschen bezeichnen, was mit seinen Verhältnissen gegen das Reich vernünftiger Wesen, als solcher, in Beziehung steht.

Dieser Begriff bleibt demungeachtet noch sehr weitumfassend. Es gehören darunter alle Bestimmungen unsers Willens, die aus der Anerkennung unserer eigenen Würde fließen, einer Würde, die uns als einem freyen, sich selbst in jedem Augenblicke des Lebens beherrschenden, und als einem zur Fortdauer und zum Vorschreiten auf ewig bestimmten Wesen zukommt. Es gehören darunter diejenigen Bestimmungen unsers Willens, welche das Gefühl der Abhängigkeit von Gott darbietet: es gehören endlich diejenigen Bestimmungen unsers Willens dahin, welche Achtung und Liebe für das vernünftige Wesen in andern Menschen, und das Bewußtseyn eines innigen, auf gemeinschaftliche Natur und Bestimmung beruhenden Zusammenhangs mit ihnen an die Hand geben.

Alles dieß heißt moralisch in der weitläuftigsten aber bereits bestimmten Bedeutung, worin es sich von dem Patriotischen (gut Bürgerlichen,) Anständigen, (gut Geselligen,) Klugen, (weise Genießenden,) im Betragen des Menschen gegen sich selbst und andere unterscheidet.

In einer engeren Bedeutung aber heißt moralisch, was der Moral gemäß ist. Moral aber ist der Inbegriff der Vorschriften, welche aus der Anwendung der Gesetze des Verstandes und der Vernunft, (Wahrheit und Zweckmäßigkeit,) auf die Verhältnisse des Menschen zum Reiche vernünftiger Wesen, als solcher fließen. Also heißt hier moralisch, was in dem Verhalten des Menschen gegen sein eigenes höheres Wesen, gegen dieß Wesen in andern Menschen, und gegen Gott, den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft gemäß, oder mit andern Worten, wahr, (d. h. übereinstimmend mit sich selbst) und zweckmäßig ist, (d. h. zusammenstimmend mit allen übrigen Verhältnissen, worin das vernünftige Wesen im Menschen hiernieden gesetzt ist.)

Das Moralische in diesem Sinne ist oft sehr verschieden von dem Moralischen in dem zuerst angegebenen. In einem Romane des Johannes Damascenus steigt der junge König Josaphat vom Throne, um sich in einer ägyptischen Einöde der Beschauung des höchsten Wesens zu widmen. Unstreitig war dieß eine moralische Handlung in der weitläuftigsten Bedeutung. Er bestimmte seinen Willen nach Rücksichten auf seine Verhältnisse zu dem Reiche vernünftiger Wesen. Aber seine Handlung war unwahr und unzweckmäßig: Unwahr, weil das vernünftige Wesen im Menschen, schon für sich betrachtet, nicht bloß zur unthätigen Beschauung Gottes, sondern zum Handeln aus Achtung und Liebe für sich selbst und andere Menschen innerlich eingerichtet ist: Unzweckmäßig, weil die Aeußerung des vernünftigen Wesens im Menschen durch bloßes Nachstreben nach der Vereinigung mit dem Uebersinnlichen im Widerspruche mit allen übrigen Verhältnissen steht, in welche der Mensch zu der sinnlichen Welt gesetzt ist. Mithin war die Handlung Josaphats in bestimmterer Bedeutung unmoralisch.

Endlich heißt moralisch in der bestimmtesten Bedeutung dasjenige, was man von allen Menschen, die mit dem Bewußtseyn ihrer höheren, über die Sinnlichkeit hinaus reichenden Bestimmung, und mit der Fähigkeit, Wahrheit und Zweckmäßigkeit zu erkennen, versehen sind, in Rücksicht ihres Verhaltens gegen das Reich vernünftiger Wesen fordern kann: dasjenige, was unter den Vorschriften der Moral für alle vernünftige Wesen, als solche, ohne Rücksicht auf besondere Anlagen und Bildung allgemeingültig ist.

Dieß Moralische ist wieder verschieden von dem Moralischen in den beyden ersten angegebenen Bedeutungen. Wir können von allen Menschen fordern, daß sie andern Menschen nicht schaden, und sie nicht hindern sollen, ihr Daseyn als vernünftige Wesen zu genießen, und sich ihrer Bestimmung als solche zu nähern. Aber nur von sehr wenigen kann man fordern, daß sie mit Aufopferung ihres eigenen Wohls das Wohl anderer um ihrer selbst willen befördern sollen.

Nach diesen drey Bedeutungen des Moralischen nimmt nun auch der Moralist, oder der Lehrer im Moralischen, sehr verschiedene Bestimmungen an. Denn er beschäftigt sich entweder überhaupt mit der Kenntniß der Verhältnisse der Menschen gegen das Reich vernünftiger Wesen, oder er unterwirft diese Verhältnisse den Gesetzen der Vernunft und des Verstandes, oder er stellt endlich nur solche Vorschriften auf, die von allen vernünftigen Wesen, als solchen, begriffen und befolgt werden können.

In diesem letzten Sinne, worin ich ihn allein von dem Aesthetiker, dem Gesetzgeber, dem Anstands- und Klugheitslehrer bestimmt unterscheiden kann, nehme ich den Moralisten bey der Frage: in wie fern veredelt er die Liebe?

Genau betrachtet, veredelt er sie gar nicht, sondern dieß ist Geschäft des Aesthetikers. Freylich hebt auch der Moralist die Liebe über das Gemeine empor, indem er allen Menschen, ohne Unterschied der Anlagen und der Bildung, vorschreibt, was sie thun und lassen sollen, um ihre liebenden Triebe dergestalt zu leiten, daß sie ihrer innern Würde, ihren Pflichten gegen Gott, und denjenigen, die sie gegen alle Menschen zu beobachten haben, nicht nachtheilig werden. Nimmt man das Wort Veredeln in dieser weitläuftigen Bedeutung, worin es bloß das Emporheben, oder auch das Vervollkommnen, das wahr und zweckmäßig Einrichten heißt; so veredelt der Moralist die Liebe allerdings. Denn ein liebender Mensch, der zugleich das vernünftige Wesen in sich selbst, in Gott und andern Menschen ehrt, und sich in seinen liebenden Gesinnungen durch diese Rücksichten, so wie durch die Gesetze des Wahren und Zweckmäßigen leiten läßt; ein solcher Mensch, sage ich, ragt unstreitig über denjenigen hervor, der bloß den Eindrücken der Sinnlichkeit folgt, und liebt, weil er liebend geschaffen ist. Jener weiß Maß in demjenigen zu halten, was er für andere empfindet und thut: er sucht nicht das Wohl des Geliebten auf eine Art zu befördern, wobey er sich selbst verachten muß, Gott über die Creatur vernachlässigt, und die Pflichten, welche er allen Menschen schuldig ist, beleidigt, um einen Einzigen oder Wenige zu beglücken. Allerdings ist also ein Mensch, der so liebt, wie der Moralist es von allen vernünftigen Menschen verlangt, vollkommener, mithin edler, als der bloß sinnlich Liebende. [34]

Aber in diesem weitläuftigen Verstande habe ich das Wort Veredeln nicht genommen. Ich nahm es für diejenige Bemühung, die Liebe ihrem innern Gehalte nach fähig zu machen, unsern Geist zur Wonne der Beschauung zu reitzen: und dieß, in so fern es unter Beobachtung der Gesetze des Verstandes und der Vernunft geschieht, ist nicht das Geschäft des Moralisten, sondern des Aesthetikers. Dieser beschäftigt sich gleichfalls oft mit dem Moralischen, aber nur in der ersten und zweyten Bedeutung, in so fern alles dasjenige darunter verstanden wird, was in unserm Verhalten gegen das Reich vernünftiger Wesen den Gesetzen der Wahrheit und Zweckmäßigkeit unterworfen werden kann. Dieß Moralische nimmt der Aesthetiker auf, und macht es zum Gegenstande der Beschauung für die seltnere Classe von Menschen, die für Edelsinn geschaffen und gebildet ist.

Es finden sich daher mehrere sehr wichtige Unterschiede zwischen beyden, wenn sie das Moralische zum Gegenstande ihrer Bearbeitung nehmen.

Der Moralist will überzeugen; er verlangt, daß wir uns genau mit seinen Lehren und Beyspielen bekannt machen, diese mit Nachdenken, mit Anstrengung erkennen und prüfen sollen; – der Aesthetiker stellt uns ein Bild aus der Ferne dar, und verlangt eine schnelle, leichte, beynahe instinktartige Erkenntniß, und ein eben solches Urtheil. Der Moralist wendet sich nicht bloß an unsern Beschauungshang, sondern hauptsächlich an unsere Selbstheit und an unsere Sympathie; – der Aesthetiker arbeitet nur auf unsern Beschauungshang los. Der Moralist will uns nicht so wohl Wonne, als Genügen des Bedürfnisses, Zufriedenheit gewähren; – der Aesthetiker sucht uns zur Wonne zu reitzen. Der Moralist schreibt allen vernünftigen Wesen, als solchen, Gesetze vor; – der Aesthetiker giebt nur denjenigen Lehren, die für Edelsinn geschaffen und gebildet sind.

Ein Beyspiel wird die Sache klar machen.

Eine liebende Gattin ist von ihrem ungerechten Gatten nach einer Reihe glücklich verlebter Jahre, in denen sie ihm mehrere Kinder geboren hat, auf das schändlichste behandelt, verstoßen, und von ihren Kindern getrennt. Welches moralische Betragen wird ihr der Moralist, welches der Aesthetiker in ihren liebenden Verhältnissen gegen diesen Gatten vorschreiben? – Beyde werden darin übereinkommen, daß wenn alle Hoffnung verloren ist, den Mann zurückzubringen, wenn sogar Gefahr der Erniedrigung und der Verderbniß für die Gattin zu befürchten steht, daß sie dann ihrer eigenen Würde es schuldig sey, sich nicht wieder mit ihm zu vereinigen. Beyde werden es ihr aber dabey zur Pflicht machen, durch ihr nachfolgendes Betragen ihre Unschuld zu bewähren, und so viel es ihr aus der Ferne möglich ist, für das Wohl des unwürdigen Gatten und der Kinder zu sorgen. Alles dieß läßt sich aus Gründen, denen jeder Mensch, der Gefühl für sein moralisches Wesen hat, nach der strengsten Prüfung seinen Beyfall nicht versagen kann, herleiten, beweisen. Ein solches Betragen ist der Selbstheit und der Sympathie des vernünftigen Menschen angemessen: es giebt der Person, die es beobachtet, und jedem vernünftigen Menschen, der es prüft, Genügen des Bedürfnisses und Zufriedenheit: es läßt sich als Regel für alle vernünftige Menschen aufstellen.

Allein weiter geht nun der Moralist nicht. Die verstoßene Gattin darf, sich ihre moralische Aufführung gegen den ungerechten Gatten möglichst zu erleichtern, die Leidenschaft für ihn in einer neuen Ehe zu schwächen, und durch Kinder, die sie dem zweyten Gatten erzieht, ihre mütterlichen Triebe wieder zu befriedigen suchen. Gut! wird aber hier das Bild einer solchen moralisch liebenden Gattin, d. h. einer Gattin, die sich in ihren liebenden Trieben durch Pflichten gegen ihr vernünftiges Wesen bestimmen läßt, unsern Geist begeistern, und diesen in der fernen Beschauung zur Wonne reitzen? Wahrhaftig nicht! Erst dann, wenn der Aesthetiker diese liebende Gattin mehrere Jahre über die Nothwendigkeit, den Geliebten verachten zu müssen, trauern, die unzuverlässigen Aufwallungen von Reue, die er ihr aus bloßer Sinnlichkeit zeigt, um des Bewußtseyns willen, daß sie ihn nicht beglücken kann, sich selbst aber erniedrigen müßte, mit Aufopferung ihres liebsten Wunsches nach Wiedervereinigung zurück weisen, und sie endlich in die Pension, worin die Kinder erzogen werden, als ihre Erzieherin sich einschleichen, und dort bey der Wartung der kranken Lieblinge ihr Leben aufopfern läßt; – dann, dann erwacht die Wonne am Edeln des Moralischen in der Liebe! Aber lassen sich solche Bilder als Regelformen für alle vernünftige Wesen aufstellen? Läßt sich nur ihr Beyfall von allen erwarten? Bedarf es nicht einer seltneren Anlage und Bildung zum Geschmack an demjenigen, was den Geist in der bloßen Beschauung spannt, um eine solche Aufopferung nicht für übertrieben zu halten?

Es ist daher außer Zweifel, daß der Moralist die Liebe genau genommen nicht veredelt. Es ist ihm sogar zu rathen, daß er sich nicht damit abgebe, weil er sehr leicht zu Mißverständnissen und Mißbräuchen Anlaß geben kann, wenn er Lehren, die nur für seltene Menschen passen, als allgemeingültige Vorschriften für alle vernünftige Wesen, als solche, aufstellen will.


Vierzehntes Kapitel.
In wie fern der Gesetzgeber die Liebe veredelt und verschönert.

Heißt veredeln und verschönern so viel, als ein Ding fähig machen, die Wonne der Beschauung zu erwecken; so sollte der Gesetzgeber billig sich mit der Veredlung und Verschönerung keiner einzigen Anlage im Menschen abgeben.

Der Gesetzgeber muß unmittelbar dahin streben, den Menschen und seine Anlagen schätzungswerth durch ihre allgemeine Nutzbarkeit und ihr allgemeines Nützlichseyn zu machen, und zwar so, daß die Selbstheit eines jeden Bürgers, die kluge Ueberlegung seines Vortheils, ihn zur Wonne auffordert, wenn er den Mitbürger so nutzbar und so nützlich für sich und das Ganze erkennt. Der Gesetzgeber wird der Sympathie und dem Beschauungshange nicht entgegen arbeiten: er wird die freye Wirksamkeit beyder durch Wegräumung der Hindernisse, die diesen natürlichen Anlagen im Menschen entgegen stehen, befördern. Aber unmittelbar wird er sich mit ihrer Bildung nicht abgeben.

Die Liebe ist ein Gefühl, das zwar bey dem rohesten Menschen angetroffen wird; aber es ist zu wenig anhaltend, und bey Collisionen des Eigennutzes diesem zu untergeordnet, als daß der Gesetzgeber bey der Menge, welche doch der Gegenstand seiner Bemühungen seyn muß, mit Zuverlässigkeit darauf rechnen könnte. Eben so verhält es sich mit den Gefühlen des Beschauungshanges. Der Einfluß von beyden ist bey einer Menge von bürgerlichen Sitten und Einrichtungen unverkennbar. In der Ehe wird auf jene, bey der Existimation des Geburtsadels auf diese mit gerechnet. Allein alles nur mittelbar, als eine geheime Unterstützung des Schätzungswerthen für die Selbstheit, welche mehr in der guten Sitte, als im Gesetz beruhet.

Es ist sogar gefährlich, wenn der Gesetzgeber darauf ausgeht, den Menschen zur Liebe oder zur Beschauungswonne auszubilden. Er wird ihn sympathetisch weichlich, aber nicht liebend: eitel, aufgelegt zur Begeisterung, aber nicht fähig machen, das moralisch Edle und ästhetisch Schöne zu fühlen. Alles dieß sind Empfindungen, die man bey der Menge, oder bey dem Ganzen der Gesellschaft, nicht allgemein wirksam voraussetzen kann.

Die meisten Gesetzgeber haben die Grenzen ihrer Macht nicht verkannt. Einige haben sich aber so sehr an das allgemeine Beste des Staats mit Vernachlässigung des Wohls der Einzelnen halten wollen, daß sie, um die Geschlechtssympathie allgemein schätzungswerth, d. h. der ganzen Gesellschaft recht nutzbar und nützlich zu machen, ihr die Gestalt eines völlig thierischen Triebes, einer wild umherschweifenden Begierde gegeben haben. Aus Furcht, daß Zärtlichkeit und Leidenschaft zur einzelnen Person der Vaterlandsliebe, dem Ehrgeitz und dem kriegerischen Muthe gefährlich werden könnten, haben sie junge Gemüther früh zur Schamlosigkeit anführen, alle Ideen von Eigenthum der Herzen und der Körper unterdrücken, und eine völlige Gemeinschaft der Weiber und der Männer festsetzen wollen. Ich zweifle, daß diese Ideen in einem policierten Staate je realisiert werden können; sollten sie es aber gewesen seyn, so bin ich überzeugt, daß eine solche Einrichtung, welche den natürlichsten Anlagen des Menschen zur Sympathie und sogar zur Selbstheit widerspricht, schwerlich mit Sicherheit der Personen und des Eigenthums auf die Länge bestanden haben könne.

Andere, welche der Natur getreuer geblieben sind, haben die Geschlechtssympathie dazu genutzt, den Ehrgeitz und den kriegerischen Muth zu entflammen, indem sie den Besitz des Weibes zum Lohne des tapfersten Kriegers gemacht, oder den Beyfall des zärteren Geschlechts zum Preise verwegener Abenteuer aufgesteckt haben. So die Samniter: so die Völker, bey denen die Chevalerie eingeführt gewesen ist. Das Gesetz der Athenienser nutzte eben diese Geschlechtssympathie, die Verbindungen junger Bürger dem Staate nützlich zu machen.

In diesem Allem darf man aber keine Veredlung der Liebe als Absicht der Gesetzgeber suchen. Haben sie wirklich Theil an diesen Anstalten genommen, ist es nicht vielmehr Sitte als Gesetz gewesen, was sie hervorgebracht hat; so ist ihr Zweck nur dahin gegangen, die Geschlechtssympathie schätzungswerth, d. h. allgemein nutzbar und nützlich zu machen. Wir schauen freylich aus der Ferne diese Einrichtungen als edle Liebe an; aber prüft sie nach Gesetzen der Wahrheit und Zweckmäßigkeit, und der Zauber verschwindet!

Wenn die Geschichte dieser Verhältnisse wird entwickelt werden, so wird sich zeigen, warum heut zu Tage nicht einmahl die Geschlechtssympathie auf diese Art von dem Gesetzgeber genutzt werden könne.

Mögen diese nur überhaupt die Möglichkeit zur edeln und schönen Liebe dadurch befördern, daß sie die Hindernisse wegräumen, die der freyen Wirksamkeit der Sympathie und des Beschauungshanges, so wie der Entwickelung der Kräfte des Verstandes und der Vernunft, und dem Hange zur Vollkommenheit entgegen stehen! Mögen sie besonders die Geschlechtssympathie so leiten, daß sie jenen Anlagen des Menschen und der Zärtlichkeit nicht gefährlich werde! Mögen sie der Dauer ehelicher Verbindungen ihren Schutz gewähren, wechselseitige gute Behandlung, wechselseitige Hülfsleistung der Ehegatten, und gemeinschaftliche Sorge für die Erziehung der Kinder gebieten! Dann wird die gute Sitte des Volks und der örtlichen Gesellschaft schon richtige Begriffe über das Wesen der Liebe herbeyführen, und an ihre Veredlung[WS 21] und Verschönerung mit besserem Rechte und Erfolge Hand anlegen.


Funfzehntes Kapitel.
Ueber die Bildung, welche die Liebe von der guten Sitte erhält.

Die Existimation der Gesellschaft, worunter wir als Privatpersonen leben, und welche ich die örtliche nenne, um sie dadurch von der bürgerlichen abzusondern, giebt den Verhältnissen zwischen beyden Geschlechtern gemeiniglich eine besondere Bildung, die von derjenigen, welche ihnen der Gesetzgeber giebt, noch verschieden ist.

Diese Bildung erstreckt sich zuweilen auf alle Stände, gemeiniglich aber nur auf diejenige Classe wohlerzogener Menschen, die den Ton in den gesellschaftlichen Verhältnissen eines jeden Volks angeben. Der Inbegriff der Ideen und der daraus abgeleiteten Regeln, wie die Menschen im geselligen Umgange sich äußern sollen, um auf Duldung, Schätzung, Verehrung, Liebe, ja Bewunderung und Schönheitsgefühl von ihren Mitgesellschaftern Anspruch machen zu können, wird der gute Ton, die gute Sitte genannt. Sie besteht aber eigentlich aus zweyen Gesetztafeln, von denen die eine das Nothdürftige, Gute, unter dem Nahmen des Anstandes; die andere das Edle und Schöne unter dem Nahmen des feinen Tons unter sich begreift.

Es giebt nun auch eine gute Sitte, mit ihren beyden Unterarten, dem Anstande und dem feinen Tone, in den Verhältnissen des geselligen Umgangs zwischen beyden Geschlechtern. Diese Verhältnisse sind bald weiter, bald enger. Nicht bloß einzelne Akte der geselligen Mittheilung sind der guten Sitte unterworfen, sondern auch engere Verbindungen, die auf Zärtlichkeit und leidenschaftlicher Liebe beruhen. Auf beyde finden die Begriffe und Vorschriften des Anstandes und des feinen Tons ihre Anwendung.

Ich lasse die gute Sitte in Ansehung der geselligen Mittheilung zwischen beyden Geschlechtern in ihren weiteren Verhältnissen unberührt. Was aber die engeren Verhältnisse anbetrifft, so verlangt der Anstand, daß ihre Aeußerungen so geleitet werden sollen, daß der Zweck der geselligen Mittheilung in größern geselligen Zusammenkünften und im weitern Umgange dadurch nicht gestört werde. Der Anstand ist daher theils nachsichtiger, theils strenger wie das Gesetz. Was die gesellige Mittheilung befördert, wenn es gleich den Gesetzen zuwider ist, das leidet er; was diese stört, wenn es gleich das Gesetz zuläßt, das leidet er nicht. Der Anstand hat daher verbotene Verhältnisse zwischen Personen, die nicht verheyrathet waren, von jeher geduldet, so lange sie nur nicht durch offenbare Beleidigung aller Achtung für die Sittlichkeit der Uebrigen, die freye Mittheilung in der Gesellschaft hemmten. Er hat aber aus eben dem Grunde keine Nachsicht mit der Eifersucht des Ehegatten, die doch das Gesetz duldet, wenn dadurch die gesellige Mittheilung gestört wird.

Der beobachtete Anstand in der Zärtlichkeit und Leidenschaft kann keine Wonne der Beschauung erwecken. Er wird nur schätzungswerth durch Beziehung auf den Nutzen, den er für die gesellige Mittheilung in größern Zusammenkünften und im weitern Umgange mit sich führt. Aber der feine Ton bestimmt nun auch oft Begriffe, Bilder, Formen, unter denen die Zärtlichkeit und die liebende Leidenschaft edel und schön erscheinen, oder, was einerley ist, auf Reitz für den Beschauungshang bey allen wohlerzogenen Menschen Anspruch machen soll. Er geht sogar so weit, Ideale von Vollkommenheit der Liebe festzusetzen, deren Erscheinung Gegenstand allgemeiner Bewunderung und eines fernen Nachstrebens für die ausgezeichnetsten Mitglieder der örtlichen Gesellschaft seyn soll. Die griechische Männerliebe, die Galanterie des Mittelalters, und die Cicisbeatura der Italiäner liefern darüber auffallende Beyspiele.

So war es edel in den Ritterzeiten, sich im Nahmen seiner Dame und auf ihr Geheiß jeder Gefahr muthwillig entgegen zu werfen. So war es schön, mit der Geliebten aus einem Becher zu trinken, und den Mund wieder anzusetzen, wo sie ihn beym Trunke abgesetzt hatte. So waren Petrarca und Celadon Ideale von vollkommner Liebe, denen ein Paar Jahrhunderte hindurch diejenigen, die sich im feinen Tone auszeichnen wollten, ihre Bewunderung nicht versagen durften.

Wie selten aber gehen diese Begriffe, Bilder, Formen und Ideale, welche der feine Ton festsetzt, mit wahrer Liebe, wahrem Edelsinn, und wahrer Schönheit zusammen! Ausgezeichnete Menschen, die wie Genies in den engeren Verhältnissen der beyden Geschlechter zu einander erscheinen, Philosophen, Dichter und Fürsten begeistern die Menge durch ihr Beyspiel, modificieren ihre Begriffe über Liebe, Adel, Schönheit und Vollkommenheit, und fordern sie zur gutherzigen Nacheiferung von Vorbildern auf, die vielleicht nirgends als in ihrem Kopfe, in ihren Schriften, und in dem äußern Scheine ihrer Handlungsweise existierten! Wie oft aber verliert nicht die Liebe unter der conventionellen Bildung, die ihr der feine Ton giebt, völlig ihr Wesen und ihre Bestimmung! Zu der Zeit, wie es in Frankreich Ton war, sich Liebe als bloße Unterhaltung des Geistes, als Befriedigung einer üppigen Eitelkeit, als verfeinertes physisches Vergnügen zu denken; wer hätte da das wonnevolle Streben nach Beglückung des Geliebten unter der Gestalt wieder erkannt, die ihr die gute Sitte gegeben zu haben glaubte.


Sechzehntes Kapitel.
Es geht der edlen und schönen Liebe wie den schönen Künsten. Wenige sind darin Kenner: noch weniger große Künstler.

Gesetzt aber, die gute Sitte hätte ein Ideal edler und schöner Liebe angenommen, das mit ihrem Wesen wirklich übereinstimmt, etwa das, welches Sokrates von ihr, nach der Ueberlieferung eines Plato und Xenophon, entworfen hat; so werden doch immer nur wenig Menschen es fassen, noch wenigere es mit Erfolge an sich selbst darstellen.

Es gehört bereits ein gewisser Grad sittlicher Ausbildung dazu, um nur überhaupt für innere Wahrheit und Tüchtigkeit eines Dinges Sinn zu erhalten, d. h. von der Erkenntniß, daß ein Ding sein Wesen und seine Bestimmung ausfüllt, zur Lust gereitzt zu werden. Alle Menschen tragen als verständige und vernünftige Wesen die Anlage dazu in sich; aber nicht bey allen wird sie entwickelt. Diese handeln bloß nach einzelnen Eindrücken und Wahrnehmungen der niedern Seelenkräfte. Sie bringen keinen Zusammenhang, keine Bestimmtheit in die Anerkennungsmerkmahle, wodurch sie die Dinge als verschieden von andern absondern. Sie haben keine Ideen von Ordnung, von Wohlverhältniß der innern Bestandtheile eines Dinges, wornach sie beurtheilen könnten, ob in seiner Einrichtung Hindernisse gegen die Ausfüllung seiner Bestimmung liegen. Sie beachten nicht die Angemessenheit der Verhältnisse eines Dinges zu andern die es umgeben, um darnach ein richtiges Urtheil darüber zu fällen, ob es bloß an zufälligen, oder ob es an fortdauernden, unabänderlichen, äußern Verhältnissen liege, daß das Ding keinen Wirkungskreis zu Ausfüllung seiner Bestimmung finde.

Laßt uns diese Grundsätze auf wahre und tüchtige Liebe anwenden! Der Mensch, bey dem der Sinn für Wahrheit und Zweckmäßigkeit nicht entwickelt ist, sieht sie als Begierde an, physische Lust und Unterhaltung für die Seele herbeyzuführen. Das unterscheidet sie aber nicht von der Wollust und der Wonne der Geschlechtssympathie. Es ist folglich kein Zusammenhang, keine Bestimmtheit in den einzelnen Bemerkungen, die er über ihr Wesen macht. Wüßte er, daß sie das wonnevolle Streben nach der Ueberzeugung sey, daß der Mitmensch sich selbst glücklich fühle; wüßte er, daß ihr Charakter in dem zärtlichen oder leidenschaftlichen Streben nach Vereinigung der Naturen noch besonders modificiert wird; so würde er die Liebe leicht von andern verwandten Affekten und anhaltenden Stimmungen absondern und auskennen.

Der rohe Mensch fühlt vielleicht, daß das Wohl des Mitmenschen bey seinem Vergnügen mit in Betracht kommen. Aber er ordnet diese beyden Bemerkungen nicht gehörig gegen einander, er bringt sie in kein Wohlverhältniß: er kann sich daher in Collisionsfällen seiner Selbstheit mit der Liebe nicht heraus helfen. Er glaubt das Wohl des Mitmenschen bloß als ein Mittel betrachten zu müssen, das seinige zu erhöhen, und setzt dadurch seinem Streben nach des andern Wohl und nach Vereinigung der Personen in unzähligen Fällen innere Hindernisse entgegen. Wüßte er, daß in der Liebe das Wohl des Menschen der unmittelbare Grund seiner Wonne ist; so würde er fühlen, daß beyde sich wohl mit einander vereinigen lassen, und er würde zugleich in Fällen, wo der Eigennutz seine sympathetischen Empfindungen überwiegt, einsehen, daß sein dermahliger Zustand nicht die gehörige Tüchtigkeit habe, welche der Zustand des liebenden Menschen voraussetzt. Er würde aber auch fühlen, daß in zärtlichen und leidenschaftlichen Verbindungen der liebende Zustand nur herrschend seyn muß: daß die Selbstheit und der Beschauungshang neben der Sympathie, wiewohl in untergeordneter Maße, wirken dürfen. Diese Bemerkung würde ihn darauf führen, daß, um die Liebe unsern übrigen Trieben angemessen zu erkennen, sie in einen hinreichenden Abstand von der Selbstheit und dem Beschauungshange, und dennoch zugleich in eine solche Correspondenz mit diesen gesetzt werden müsse, damit ein schickliches Wohlverhältniß zwischen ihr und demjenigen, was neben ihr gefühlt und erkannt wird, begründet werden könne.

Wenig Menschen, sage ich, werden diesen Begriff fassen, ja, ihn nur empirisch fühlen. Denn es ist gewiß, daß es in der Natur Wahrheiten giebt, welche wir durch eine Art von Instinkt und ein geheimes Bewußtseyn, womit wir alle begabt sind, ohne uns davon Rechenschaft geben zu können, und ohne daß sie dem Verstande und der Vernunft als deutliche Begriffe zugeführt zu werden brauchen, sehr richtig einsehen und schätzen.

Gesetzt aber, wir fassen den Begriff der Wahrheit und Zweckmäßigkeit, wir empfinden sie mit einer Reitzung zur Lust: wie selten haben wir Sinn für Adel, Schönheit und Vollkommenheit? Es gehört Scharfsinn dazu und Phantasie!

Aber selbst unter denen, die diesen Sinn haben, werden ihn nicht alle gerade auf die Liebe anwenden! Dazu gehören wieder besondere Anlagen! Es gehört ein Herz dazu, und nicht bloß ein Herz für den einzelnen Affekt der Menschenliebe, sondern auch für die Zärtlichkeit, für Leidenschaft! Also Sinn für Wahrheit und Tüchtigkeit, Scharfsinn, Phantasie, Herz; das alles wird erfordert, um das Bild der Vollkommenheit in der Liebe wieder zu finden, und es mit Wonne anzuschauen. Wie selten wird dieß alles zusammen gehen!

Inzwischen hat es von jeher Menschen gegeben, welche diese Vollkommenheit der Liebe, theils dunkler, theils klarer angeschauet und mit Wonne empfunden haben, wenn ihre Darstellung durch die Hand des Genies vor ihnen hingezaubert ist. Aber eine solche Darstellung selbst zu schaffen, oder sie gar an sich selbst zu realisieren; wie wenigen Menschen ist das vergönnt!

Bey vielen würde es sogar mit der Bestimmung streiten, die sie gegen die größere Gesellschaft und gegen den Staat übernommen haben, wenn sie den Vollkommenheitssinn, der ihnen sonst nicht fremd seyn mag, gerade auf ihre Verhältnisse zu der einzigen geliebten Person anwenden wollten! Sie würden sich in dem Streben nach Vollkommenheit in allen ihren übrigen Verhältnissen als Staatsmänner, Gesellschafter, Künstler, Hausväter, u. s. w. gestört sehen, wenn sie eine besondere Sorgfalt darauf wenden wollten, die zärtlich oder leidenschaftlich liebende Person in ihnen zur Vollkommenheit zu erheben.

Es geht daher der edlen und schönen Liebe gerade wie den geselligen Fertigkeiten und den schönen Künsten. Sie muß besonders mit denjenigen verglichen werden, die so wie die Tanzkunst, die Mimik, die ausübende Tonkunst, den Künstler und das Werk zu gleicher Zeit darstellen. Vielleicht hat sie mit der Urbanität die größte Aehnlichkeit. Denn wie hier der Mensch in seinen Verhältnissen zur größern örtlichen Gesellschaft erscheint, so erscheint, der zärtlich und leidenschaftlich Liebende in seinen Verhältnissen zu dem einzelnen Menschen, mit dem er zu einer Person zusammengesetzt gedacht wird.

Alle geselligen Fertigkeiten, alle schönen Künste, die von Personen vor den Augen der Menge, wenn auch nicht in Beziehung auf sie, ausgeübt werden, gewähren ihr Genuß, und berechtigen sie zum Urtheil. Der große Haufe sucht nur Unterhaltung des Augenblicks bey dem Schauspiele, das sie ihm gewähren. Die gute Sitte, die Mode schreibt ihnen einen gewissen Styl vor. Ausgezeichnete Künstler ahnden Vollkommenheit, nähern sich ihr mehr oder weniger, und liefern Produkte, die unter Billigung der guten Sitte auf einige Zeit zu Mustern dienen. Halbkenner vergleichen neuere Versuche mit jenen ältern Meisterwerken, und entscheiden nach Autoritäten. Wahre Kenner prüfen jene Muster nach den Gesetzen der Wahrheit und Zweckmäßigkeit, und setzen nur das als Grundsatz fest, was mit diesen übereinstimmt. Ihre Zahl ist klein. Kleiner noch die Zahl der Künstler, deren Darstellungen jene Prüfung aushalten. Keiner ist zu einer solchen Vollkommenheit gelangt, wie der Kenner sie ahndend denkt, das Genie sie ahndend in Momenten der höchsten Begeisterung anschaut. Jener ist nicht fähig, seine Gedanken darüber ganz deutlich zu machen: dieser seine Anschauungen zum Genuß für andere klar darzustellen. Begünstigtes Streben nach Annäherung an das Ideal, das der Kenner deutlich, aber theilweise, im Kopfe; der Künstler ganz, aber undeutlich, in der Phantasie mit sich herumtragen; dieß muß für unsere endliche Welt Sinn für Vollkommenheit heißen.

Und so ist es denn auch mit der vollkommenen Liebe! Viele sind, die sie zu kennen glauben, aber wenige sind, die wirklich sie kennen; noch wenigere, die ihr mit Erfolg nachstreben. Es gehören dazu Genie, Talent, günstige Verhältnisse, als Bedingungen, um in jeder geselligen Fertigkeit, in jeder schönen Kunst, als Meister zu erscheinen.

Achtes Buch.
Critik der Seelenliebe und ihres Anspruchs auf Adel und Schönheit.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Wer kennt sie nicht, die beyden Sekten, unter den Anbetern der Göttin, der dieß Buch gewidmet ist! Die eine nennt edle und schöne Liebe Verfeinerung und Erhöhung des körperlichen Genusses durch seine Verbindung mit Freuden, an denen die Seele Antheil nehmen kann. Die andere, rein geistiges Vergnügen ohne Mitwirkung körperlicher Triebe. Beyde geben den Verhältnissen, die auf diesen Ideen beruhen, die Nahmen der Seelenliebe.

„Wenn wir, – sagen die ersten, – der Befriedigung des unnennbaren Triebes oft willkührlich Schwierigkeiten entgegen setzen; – wenn wir gern Vorurtheile von Schamhaftigkeit, Ehre, Pflicht überwinden mögen, um unsern Sieg für die Eitelkeit kostbarer zu machen; – wenn wir Freuden des geselligen Umgangs körperlichen Freuden anreihen; – Ach! so ist das alles etwas Fremdes, mühsam Herbeygeholtes, um das höchste aber schnell verfliegende sinnliche Vergnügen dauerhafter zu machen. In dieser Absicht allein spannen wir unsere Einbildungskraft, unsern Witz, unsere Empfindung! Seht! wo ist Liebe, als wo Hindernisse jenem letzten Triebe der Körper entgegen stehen! Mit dem Genuß wird dieser Trieb gesättigt, und sogleich verschwindet die Liebe! Was übrig bleibt, ist Dankbarkeit, Gewohnheit, Mitleiden; kurz, ein Band, das weit unter derjenigen Freundschaft steht, welche Personen von gleichem Geschlechte mit einander vereinigt! O ihr, die ihr die Liebe in ihrer höchsten Feinheit, und am schmackhaftesten zu kosten strebt, sucht den kritischen Moment so lang’ als möglich zu entfernen, und wo möglich des unnennbaren Genusses euch gänzlich zu enthalten! Dann wird eure Seele jenen reitzenden Zustand der Lüsternheit ihres Körpers und ihrer eigenen süßen Sehnsucht lange empfinden, der so geschickt ist alle übrigen Freuden der Geselligkeit und der Sinnlichkeit überhaupt zu würzen. Dieser Zustand allein heißt Seelenliebe!“

Bey diesen Worten sehe ich die Gegner vor Scham erröthen, und vor Unwillen lange keine Worte finden. „Wie, rufen sie endlich, ein Band, das auf Beschauung wechselseitiger Vollkommenheit gegründet, uns mit dem Geliebten, wie mit einem höhern Wesen vereinigt; – keiner körperlichen Annäherung zu seinem Ursprung und Gedeihen bedarf; – im Bewußtseyn gegenseitiger Würde lebt; – im Ruf wechselseitiger Thaten fortdauert; – im Reiche der Ideen seinen vollständigsten Genuß und seine schönste Nahrung findet; – ein solches Band sollte nichts als ein verfeinerter körperlicher Appetit, ein bloßes Mittel seyn, alles gesellige und sinnliche Vergnügen leckerhafter zu machen? Nimmermehr! Es ist der höchste Anreitz zur Tugend, die höchste Belohnung für die Aufopferungen, welche diese fordert! Der unnennbare Trieb gehört nicht zur Liebe, eben weil seine Befriedigung diese Liebe zerstört. Er ist zufällige Schwäche, Aufwallung körperlicher Selbstheit, die uns bey sinkender Liebe erst überrascht. Der Liebende hütet sich vor ihr, weil er den Gegenstand seiner Liebe, und diese selbst nicht erniedrigen will, und so lange er wirklich liebt, wird er das Andringen so grober Begierden nicht bemerken. Seelenliebe ist daher das Streben schöner Seelen nach Vereinigung zu höherer Vollkommenheit, ohne alle Mitwirkung körperlicher Triebe. Und wenn der Körper der geliebten Seele auf uns wirkt, so empfinden wir ihn nur mittelst der Seele, welche in der Schönheit der Gestalt das Symbol der Vollkommenheit des Geistes, der ihn beseelt, bey völliger Ruhe der Begierden bewundert! –“


Jede dieser Sekten hat ihre Anhänger in allen Perioden der Geschichte kultivierter Völker gehabt, und hat sie auch noch jetzt. Jede dieser Sekten hat gleichfalls ihre Convertiten. Zwar ist die Zahl derjenigen, deren geistige Ideen über die Seelenliebe gleichsam verkörpert wurden, viel größer als derjenigen, deren materielle Ideen gleichsam verklärt sind; inzwischen giebt es auch Beyspiele der letzten Art. Hindernisse, welche sich der Befriedigung einer Anfangs sinnlichen Liebe widersetzen, zwingen oft unglückliche Liebhaber, in einem schwärmerischen Ideengenusse Trost für Versagung physischer Vereinigung zu suchen, und, einmahl gewöhnt an diese Ueberspannung ihrer Phantasie, finden sie nicht selten die gesuchte Schadloshaltung.

Beyde Theile fallen aber in Extreme, welche von dem Wesen der Liebe gleich weit entfernt sind. Die egoistische Erhöhung körperlicher Freuden durch geistige Reitze kann unmöglich für Liebe gehalten werden; aber die gänzliche Entkörperung und Vergötterung der Seele beruht gleichfalls auf Selbstheit, und ist überdieß eine Chimäre, die den Zwecken der Natur, und dem Wesen der Liebe eben so zuwider ist, als sie der Unschuld und der Tugend gefährlich werden kann.

Da beyde Verirrungen einen so wichtigen Einfluß auf die Begriffe der veredelten und verschönerten Liebe in verschiedenen Zeitaltern gehabt haben; da unstreitig die Wonne, welche die Seele aus der Geschlechtssympathie zieht, die edlere, ja die einzige ist, die auf den Nahmen Liebe Anspruch machen kann; da aber körperliche Freuden ebenwohl der Seele den Genuß der Liebe zuführen mögen; und da überhaupt die Grundsätze über die Mitwirkung der körperlichen Triebe bey mehreren geistigen Empfindungen eine nähere Bestimmung zu verdienen scheinen; so habe ich geglaubt, zur völligen Erörterung der Fragen, welche mit dem Wesen der Geschlechtsliebe in Beziehung stehen, und zur Vorbereitung auf den ferneren Theil meines Werks, welcher der Veredlung und Verschönerung der Liebe gewidmet ist, den Zusammenhang des Körpers und der Seele in unsern liebenden Verhältnissen zu Personen von verschiedenem Geschlechte einer weitern Prüfung unterziehen zu müssen.

Zweytes Kapitel.
Nähere Bestimmung des Antheils, den der Körper an den einzelnen liebenden Affekten nimmt, die wir für Personen von verschiedenem Geschlechte empfinden.

Nichts ist unbestimmter, nichts unzuverlässiger, als das Urtheil über den Antheil, den unser Körper, und besonders dessen Geschlechtssympathie an den einzelnen liebenden Aufwallungen nimmt, welche ein Mensch von verschiedenem Geschlechte in uns erweckt.

Liebe, jenes wonnevolle Streben nach der Ueberzeugung, daß ein Anderer sich glücklich fühle, – muß allemahl ein Akt der Seele seyn; der Körper ist dieser Vorstellung und der davon abhängenden Empfindung nicht fähig. Wenn wir demungeachtet dem Körper eine Thätigkeit bey der Liebe zuschreiben, so muß diese darin bestehen: entweder, daß der Körper derjenigen Person, welche uns Liebe einflößt, der Grund, die Veranlassung zu diesem Affekt sey; oder, daß die Bewegung unsers eigenen Körpers dem Affekte eine besondere Modification von Lebhaftigkeit, und einen besondern Charakter gebe; oder endlich, daß wir unsern Körper als Agenten brauchen, dem Andern wohlzuthun.

Zugleich werden wir doch nur da eine Mitwirkung des Körpers annehmen können, wo der unsrige während der liebenden Aufwallung entweder unmittelbar von dem Körper außer uns, oder mittelst eines Bildes der Phantasie, welches uns das Körperliche als gegenwärtig darstellt, in Reitzung versetzt wird.

Es bedarf kaum eines Beweises, daß es liebende Affekte giebt, wobey der Körper, nach jenen festgesetzten Begriffen gar nicht einwirkt: wo es lächerlich seyn würde, eine solche Mitwirkung vorauszusetzen. In allen Fällen, wo die Person, an deren Glück wir Antheil nehmen, von uns entfernt ist, und das Bild der glücklichen Menschen aller Wahrscheinlichkeit nach unter keinen körperlichen Formen in unserer Seele aufsteigt, da können wir dreist die liebende Wonne bloß auf Rechnung der Seele setzen.

Sobald aber der Mensch von verschiedenem Geschlechte, für den wir uns interessieren, gegenwärtig ist, es sey körperlich, oder mittelst eines Bildes der Phantasie, das uns seine Gestalt leibhaft darstellt, da wird die Entscheidung schon zweifelhafter. Daß der Körper des andern auf unsre körperliche Geschlechtssympathie einwürke, läßt sich zwar nicht immer annehmen: eben so wenig, als daß die körperlichen Empfindungen unbedingt die liebenden Affekte in uns erwecken sollten. Allein daß der Ausdruck der Zufriedenheit, den wir in dem Körper des Glücklichen bemerken, je nachdem es ein weiblicher oder männlicher Körper ist, unsern liebenden Affekt nicht besonders modificieren sollte, daran läßt sich kaum zweifeln.

Es ist gewiß, wir interessieren uns ganz anders für das Glück einer Person von verschiedenem Geschlechte, als für das einer Person des unsrigen, selbst bey der vorübergehenden Bekanntschaft; und dieß ist nicht allein auf Rechnung des Geistigen zu setzen. Die zierlichen Formen des Weibes, sein süßes Mienenspiel, seine sanft fließenden Geberden und Töne flößen uns zärtere Empfindungen ein, als die bloße Vorstellung seiner beglückten sanften Seele sie zu erwecken im Stande ist. Die Festigkeit und Stärke, die wir in den Formen, Geberden, Gesichtszügen des Mannes beym Ausbruch seiner Freude wahrnehmen, giebt unserm liebenden Affekte einen höheren Charakter von Spannung, als die bloße Vorstellung seiner beglückten stärkern Seele.

Unsere liebenden Affekte werden daher verschieden modificiert zur Zartheit oder zur Stärke, je nachdem ein weiblich zarter Körper, oder ein männlich starker auf unsere Organisation während der Dauer jenes Affekts einwirkt. Wir dürfen diesen Einfluß der Körper auf einander nur da abläugnen, wo wir in den Formen der Person, für deren Glück wir uns interessieren, nichts antreffen, was das Geschlecht charakterisierte. So ist es möglich, daß wir an dem Gelingen der mütterlichen Hoffnungen einer Bäuerin, deren handfester Bau und abgehärtete Constitution auf die Organisation unsers Körpers keinen zarten Eindruck macht, dennoch einen zarten Antheil nehmen, weil hier das Bild des Geistigen an sich uns zur Zartheit einladen kann. So wird sich auch das Weib durch die bloße Vorstellung der geistigen Stärke, welche einen Mann beglückt, bey seinen liebenden Affekten für ihn stark gehoben fühlen, wenn gleich der Anblick seines schwächlichen und zarten Körpers die Stärke seiner Empfindungen nicht unterstützt. Allein da, wo der Körper der Person, welche uns einen zarten Affekt einflößt, selbst zarte Beschaffenheiten an sich trägt; oder da, wo der Körper der Person, die uns zu starken Affekten hebt, starke Beschaffenheiten an sich trägt: da sind wir nicht berechtigt, den Einfluß des Körpers außer uns auf den unsrigen abzuläugnen.

Sehr oft ist der Körper des Menschen, für den wir uns interessieren, die nächste Veranlassung zu liebenden Affekten. Ich habe es schon gesagt, daß die Formen der Freude in andern uns oft unmittelbar zu einem ähnlichen Mienen- und Geberdenspiele, und vermöge desselben zu ähnlichen innern Empfindungen einladen. Diese Sympathie ist nicht Liebe, aber sie bereitet zunächst dazu vor. Das Gefühl der körperlichen Schönheit ist gleichfalls nicht Liebe, aber es befördert sie, und wir sind immer mehr geneigt, den schönen Menschen glücklich wissen zu wollen, als den häßlichen.

Hieraus erhellet, wie wichtig der Körper schon bey den einzelnen liebenden Affekten zu Personen von verschiedenem Geschlechte sey. Aber darf man daraus folgern, daß gerade unsere körperliche Geschlechtssympathie dabey aufgereitzet werde? Im geringsten nicht! Dieß ist gewiß nur der seltnere Fall.

Der zarte Charakter, den ein liebender Affekt gegen eine Person von zarten Formen und Bewegungen annimmt, gehört an sich nicht zur Geschlechtssympathie; eben so wenig, wie der starke Charakter, den die stärkeren Formen und Bewegungen einer andern dem liebenden Affekte geben. Die Ueppigkeit, die Lüsternheit des Körpers entstehen erst da, wo meine Zartheit und meine Stärke in eine gleichzeitige Wirksamkeit gegen Formen kommen, die sich mir sanft entgegen heben. Nun kann aber ein Körper sehr oft zart anziehend, oder stark hebend gebauet seyn, ohne gerade das Gefühl der Ueppigkeit zu erwecken. Man denke sich als Zuschauer der Spiele kleiner Kinder. Wie zart rührt uns ihr Frohsinn, und wie sehr wird diese zarte Rührung durch die Zartheit ihrer Formen und Bewegungen unterstützt! Dagegen denke man sich als Zuschauer der Spiele plumper Lastträger, die sich an Proben ihrer körperlichen Stärke erfreuen. Der Antheil, den wir an ihrer Freude nehmen, gewinnt den Charakter der Stärke durch den Anblick ihrer starken Formen. Aber ist in beyden Fällen unsere körperliche Geschlechtssympathie, unsere Ueppigkeit, unsere Lüsternheit aufgereitzt? Keinesweges!

Ich glaube nach meinen Erfahrungen nur da eine Mitwirkung der körperlichen Geschlechtssympathie annehmen zu können, wo ich eine üppige oder lüsterne Stimmung in dem ganzen Wesen desjenigen, der den liebenden Affekt empfindet, antreffe, besonders wenn diese mit der heftigen Begierde verbunden ist, unsere Liebe durch körperliche Annäherung an den Tag zu legen. Es kann diese Geschlechtssympathie sehr wohl mitwirken, ohne daß wir uns ihrer Reitzung bewußt sind. Grobe Symptome, besonders des gereitzten unnennbaren Triebes, sind gar nicht erforderlich, um ihre Wirksamkeit anzunehmen. Mehr, oft wird die körperliche Geschlechtssympathie bloß durch jene Ueppigkeit oder Lüsternheit der Seele erweckt, welche zu den Begleiterinnen einer stark gereitzten Eitelkeit, oder einer bis zur Besessenheit fortschreitenden Begeisterung gehören.

In den südlichen Theilen von Europa, wo die Imagination feuriger und die Nerven reitzbarer sind, als in unsern nördlichen Gegenden, können Personen, deren Bau den Sinnen widerstehet, bloß durch Talente, welche die Seele in Ueppigkeit und Begeisterung versetzen, verbunden mit der Auszeichnung, deren sie selbst beym Publiko genießen, und worin sie die Person, welche von ihnen wieder ausgezeichnet wird, mit aufnehmen, die körperliche Geschlechtssympathie bis zu den gröbsten Symptomen aufreitzen. Virtuosen, von demjenigen beraubt, was den unnennbaren Trieb befriedigt, können die schönsten Weiber in Lüsternheit versetzen. Virtuosinnen, ohne alle körperliche Reitze, können ähnliche körperliche Begierden bey dem Manne erwecken. Die Stimmung der Seele theilt sich dem Körper mit, und der Aufruhr, den jene empfindet, steckt diesen mit einem ähnlichen Aufruhre an. Die körperliche Geschlechtssympathie wird freylich nur mittelbar erweckt; aber sie wirkt unstreitig mit.

Wenn nun aber gar die Personen, welche durch ihre geistigen Eigenschaften dem liebenden Affekt, den wir für sie empfinden, einen körperlich üppigen Charakter mittelbar beylegen, auch körperliche Formen an sich tragen, welche schon an sich geschickt sind, die Ueppigkeit des Körpers unmittelbar zu erwecken; dann dürfen wir um so mehr behaupten, daß die Geschlechtssympathie des Körpers aufgereitzt sey. Und sollte auch derjenige, der ihr huldigt, es gar nicht wissen, keine grobe Symptome des unnennbaren Triebes an sich bemerken; so sind darum die Ueppigkeit und die Lüsternheit des Körpers nicht weniger mit im Spiele.

Wenn ihr also in einem Schauspiele, oder an jedem Orte, wo der Mann Gelegenheit findet, seine Talente des Geistes und des Körpers zu zeigen, in der Zuschauerin oder Zuhörerin, die er begeistert, den feurigen Glanz im Auge, die klopfende Brust, das abwechselnd glühende und erblassende Antlitz, und besonders die gepreßte Sehnsucht bemerkt, sich dem Virtuosen körperlich zu nähern; so rechnet sicher darauf, die körperliche Geschlechtssympathie ist bey der Bewunderung seiner Talente mit im Spiele. Und eben dieß könnt ihr dreist auch von dem Manne sagen, der ähnliche Symptome gegen die Virtuosin empfindet. Es kommt dabey gar nicht auf die Gestalt, auf die Ueppigkeit des Körperbaues des bewunderten Künstlers an; sein Geist wirkt mit hebender Sanftheit oder anschmiegender Stärke auf den unsrigen; dieser wird üppig und lüstern, und unser Körper wird es mit!

Folgendes ist das Resultat dieser Untersuchung. Ueber die Mitwirkung unsers Körpers bey den einzelnen liebenden Aufwallungen zu Personen von verschiedenem Geschlechte läßt sich nichts im Allgemeinen festsetzen. Alles kommt auf besondere Lagen und Verhältnisse an.

Bey körperlicher Gegenwart der Personen, die uns die liebende Aufwallung einflößen, wird diese durch ihren zarten oder starken Körper, der den unsrigen zärtelt oder spannt, modificiert und unterstützt. Ein lebhaftes Bild ihrer Formen kann eben diesen Einfluß haben. Der mimische Ausdruck, und die physische Schönheit können unmittelbar auf den Körper wirken, und die liebende Aufwallung befördern. Inzwischen ist aus dieser Mitwirkung des Körpers keinesweges auf eine Reitzung unserer körperlichen Geschlechtssympathie unbedingt zu schließen. Diese darf nur da angenommen werden, wo sich die liebende Aufwallung unter Begleitung üppiger und lüsterner Symptome am Körper, besonders gegen Personen äußert, deren Bau entweder an sich üppig und einladend zur Lüsternheit ist, oder deren Talente die Seele desjenigen, dem sie die liebende Aufwallung einflößen, mit Ueppigkeit und Besessenheit anfüllen. Der Körper wird dann durch den Aufruhr der Seele leicht in einen ähnlichen versetzt.

Drittes Kapitel.
Nähere Bestimmung des Antheils, den die Geschlechtssympathie der Seele an den einzelnen liebenden Affekten nimmt, die wir für Personen von verschiedenem Geschlechte empfinden.

So viel über den Antheil des Körpers überhaupt, und besonders seiner Geschlechtssympathie, an unsern liebenden Affekten und andern Wonnegefühlen, welche eine Person von verschiedenem Geschlechte in uns erwecken kann. Jetzt noch über den Antheil, den die Geschlechtssympathie der Seele an unsern liebenden Affekten gegen Personen von verschiedenem Geschlechte nimmt.

Die Geschlechtssympathie der Seele ist eine von den vielen Anlagen zu dem allgemeinen geselligen Bande, welches die Menschen mit einander vereinigt. Aber sie ist noch weit von dem Herzen im eigentlichsten Verstande, und von dessen Wirksamkeit, der Liebe, verschieden. Dieß ist schon mehrmahls gesagt worden.

Es ist nichts Seltenes, daß wir an gewissen Vorzügen oder Schicksalen einer Person von verschiedenem Geschlechte einen liebenden Antheil nehmen, ohne die geringste Ueppigkeit der Seele dabey zu empfinden. Gesetzt, man erzählt mir, daß eine Wittwe meiner Bekanntschaft sich bey einem weitläuftigen Landhaushalte mit einer Klugheit und Geschicklichkeit benommen habe, worin sie von keinem Manne hätte übertroffen werden können, und ich freue mich der Ueberzeugung, daß sie sich selbst dabey äußerst schätzungswerth fühlen müsse; so ist mein Herz, aber gewiß nicht die Geschlechtssympathie meiner Seele, dabey interessiert: denn in der ganzen Vorstellung liegt nichts Ueppiges, nichts, was sich der geschmeidigen Stärke meiner Seele sanft entgegen hebt. Und wenn ich nun auch höre, daß ihr eine reiche Erbschaft zugefallen sey, und mich darüber freue, so liegt darin wieder nichts Ueppiges.

Wenn man mir aber erzählt, daß diese Wittwe dem glänzenden Aufwande, den sie während der Lebenszeit ihres Mannes gemacht hat, freywillig entsagt, um ihren Kindern den Rest des wider ihr Vermuthen sehr verminderten Vermögens zu erhalten, und ihnen eine gute Erziehung zu geben, sich aufs sparsamste behelfe, die beschwerlichsten und langweiligsten Hausarbeiten gern übernehme; kurz, sich völlig für ihre Familie aufopfere, aber dabey in deren Schooße äußerst glücklich sey; so mischt sich in die liebende Aufwallung, welche diese Nachricht bey mir erweckt, wahrscheinlich schon eine Regung der Geschlechtssympathie der Seele. Denn diese Vorstellung geselliger Aufopferung und des häuslichen Glücks dieses Frauenzimmers hebt sich sanft meiner Seele entgegen, und weckt darin Bilder von traulichem Zusammenleben, engen Familienbanden, u. s. w. auf, welche die Seele zugleich spannen und zärteln.

Sagt man mir nun gar, daß diese Wittwe, nachdem sie ihren Kindern alles abgetragen hatte, was sie ihnen schuldig war, ihre Hand dem lange Verlobten gegeben habe, und nun die Früchte ihrer Standhaftigkeit und ihres Edelsinns in vollester Maße genieße; o wie üppig fühlt sich dann mein Herz bey dem liebenden Antheile, den ich an ihrem Schicksale nehme!

Eben so wird das zärtere Geschlecht oft zu liebenden Affekten durch Vorstellungen von den unsinnlichen Vorzügen, und glücklichen Verhältnissen des unsrigen aufgefordert werden, ohne daß ihre Geschlechtssympathie dabey mit ins Spiel komme. Wenn aber die Vorstellungen von der Art sind, daß sie den Mann in dem Charakter geschmeidiger Stärke liebenswürdig und glücklich in seinen Verhältnissen als Liebhaber und Hausvater darstellen; dann wirken diese üppig auf ihre Seele, und die Geschlechtssympathie erwacht.

Hieraus folgt, daß nicht jede liebende Aufwallung gegen eine Person von verschiedenem Geschlechte zur Geschlechtsliebe gehöre. Denn da diese sich von der Liebe überhaupt durch die Mitwirkung der Geschlechtssympathie, sie gehöre dem Körper oder der Seele, unterscheidet; so ist es ganz klar, daß der liebende Affekt, den eine Person von verschiedenem Geschlechte einflößt, wobey aber jene nicht mitwirkt, keine Geschlechtsliebe seyn könne.


Viertes Kapitel.
Die zärtliche Anhänglichkeit und die liebende Leidenschaft gegen Personen von verschiedenem Geschlechte, lassen sich ohne Mitwirkung der Geschlechtssympathie, so wohl des Körpers als der Seele, nicht denken.

Die einzelne liebende Aufwallung gegen eine Person von verschiedenem Geschlechte kann folglich zuweilen frey von aller Mitwirkung der Geschlechtssympathie des Körpers und der Seele angenommen werden: ist folglich nicht immer Geschlechtsliebe. Aber die zärtliche Anhänglichkeit, oder die liebende Leidenschaft gegen diese Personen ist allemahl Geschlechtsliebe; denn allgemein und dreist darf man behaupten, daß da, wo unsere liebende Zuneigung zu einer bestimmten Person von verschiedenen Geschlechtsanlagen zur angewöhnten Stimmung wird, sich auch die Geschlechtssympathie melde. Freylich in sehr verschiedenen Graden! Bald als bloße Ueppigkeit der Seele und des Körpers, bald als unnennbarer Trieb und figiertes Streben nach Selbstverwandlung.

Und hiervon nehme ich keine Art von zärtlicher oder leidenschaftlicher Verbindung zwischen Personen aus, deren körperliche Organisationen, oder deren Seelenanlagen in dem Wohlverhältnisse hebender Zartheit zur geschmeidigen Stärke stehen, wenn sie anders oft der körperlichen Gegenwart, oder des häufigen Austausches ihrer Gefühle genießen, so daß das Bild ihrer Geschlechtsverschiedenen Wesen, so wohl dem Körper als der Seele nach, in ihrer Phantasie lebhaft gegenwärtig wird. Ich sage: ich nehme keine zärtliche Anhänglichkeit unter den angegebenen Bedingungen von dieser Mitwirkung der Geschlechtssympathie aus. Nicht das zärtliche Verhältniß zwischen Bruder und Schwester, zwischen Vater und Tochter, zwischen Mutter und Sohn! Sind auch ihre Körper dem Anschein nach unfähig, Geschlechtsliebe zu erwecken; die Seelen wecken diese in einander auf, und theilen sie einander mit. Ja, wenn es zwey Männer sind, die sich zärtlich oder leidenschaftlich lieben; oder zwey Weiber, und ihre Körper tragen auffallend verschiedene Merkmahle hebender Zartheit auf der einen, geschmeidiger Stärke auf der andern Seite an sich; oder auch ihre Seelen tragen nur diese verschiedenen Charaktere an sich, und sie gehen viel und traulich mit einander um; – ich behaupte dreist: Körper und Seele huldigen mehr oder minder der Geschlechtssympathie!

Wie ist dieß anders möglich? Die zärtliche Anhänglichkeit und die Leidenschaft bestehen beyde aus einem Gewebe unzähliger Triebe, unter denen die liebenden nur die herrschenden sind! Schon in die einzelne liebende Aufwallung mischt sich so leicht die Geschlechtssympathie; schon in die Gefühle des Schönen und Vollkommnen mischt sie sich so leicht ein; ihr Wesen besteht aus einer gezärtelten Spannung, die allemahl erfolgt, wo hebende Zartheit mit geschmeidiger Stärke zusammentrifft; und diese Personen, die in häuslicher Vertraulichkeit, (an sich schon eine üppige Vorstellung!) zusammen leben; durch Formen, mimischen Ausdruck und Beywerke den Sinnen üppige Eindrücke geben; durch Gedanken, Gefühle, Ausdrücke, Wendungen, Charaktere und Verhältnisse der Seele üppige Vorstellungen zuführen; diese sollten dem allgemeinen Gesetze der Natur nicht huldigen? – Unmöglich!

Ein jeder prüfe sich genau! Er wird an der Wahrheit meiner Behauptungen nicht mehr zweifeln. Der Vater umarme den zärtlich geliebten Sohn, und dann die zärtlich geliebte Tochter; – er wird den Unterschied fühlen! Der Bruder umarme den zärtlich geliebten Bruder, und dann die zärtlich geliebte Schwester, er wird den Unterschied fühlen! An grobe Symptome der Lüsternheit und des unnennbaren Triebes ist freylich nicht zu denken. Und dennoch bedarf es oft der ganzen Macht der Erziehung und der Pflicht, um dem Andringen der Begierden, selbst unter Eltern und Kindern und Geschwistern, Einhalt zu thun.

Wird nun aus der Zärtlichkeit zu einer Person von verschiedenem Geschlechte gar Leidenschaft, so ist es ganz unmöglich, daß die körperliche Geschlechtssympathie nicht mit in Wirksamkeit komme. Denn da der Charakter dieser Leidenschaft darin besteht, daß unser ganzes aus Körper und Seele bestehendes Wesen nach Vereinigung mit einem andern, eben so geschaffenen Wesen strebt; so muß unser Körper dieses Streben nothwendig theilen. Immerhin mögen wir an ihm den unnennbaren Trieb nach derjenigen engsten Körperverbindung nicht spüren, wovon die Fortpflanzung unsers Geschlechts abhängt; diese Ruhe entscheidet nichts für die Abwesenheit der Ueppigkeit und der Lüsternheit. Ich habe es schon gesagt, daß durch die Stärke dieser untern Grade der körperlichen Geschlechtssympathie die unnennbare Kraft zuweilen in ihrer Wirksamkeit gehemmt werde. Es kann daher allerdings der Fall eintreten, daß Menschen, welche noch so heftig lieben, keine gröberen Begierden an sich spüren. Aber der Aufruhr, in dem sich ihr Körper im Ganzen befindet, zeigt dennoch einen gewissen Charakter von Ueppigkeit und Lüsternheit, der über die Mitwirkung der Geschlechtssympathie keinen Zweifel übrig lassen kann. Diese wird sich sehr bald durch gröbere Symptome äußern, wenn die Personen häufig und unbehutsam ihre Körper an einander nähern.

Selbst Personen, welche den äußern Geschlechtszeichen nach nicht verschieden gebildet zu seyn scheinen, haben die größte Behutsamkeit nöthig, wenn sie bey ihrer Leidenschaft für einander, verbunden mit einem häufigen und häuslichen Umgange, der Gewalt der körperlichen Geschlechtssympathie entgehen wollen.

Ich habe es schon oft gesagt, die Geschlechtssympathie beruht auf dem Wohlverhältnisse hebender Zartheit zur geschmeidigen Stärke, und die Verschiedenheit der Geschlechter hängt nicht von den Merkmahlen ab, wornach wir diese im gemeinen Leben bestimmen. Fühlen wir jenes Wohlverhältniß, so erwacht zuerst die Ueppigkeit, dann die Lüsternheit, endlich folgt wohl gar der unnennbare Trieb nach. Zuweilen kommt unser Körper unmittelbar in diesen Aufruhr, zuweilen mittelst des Aufruhrs, worin sich die Seele auf ähnliche Art befindet. Und diese Wirkung kann der Mann auf den Mann, das Weib auf das Weib machen, wenn anders ihre Körper, oder auch nur ihre Seelen, in jenem Wohlverhältnisse von ihnen gefühlt werden, besonders wenn leidenschaftliches Streben nach Vereinigung, und häufiger Umgang hinzutreten.

Hierüber habe ich unzählige Bemerkungen, in früheren und späteren Jahren, unter heißeren und kälteren Himmelsstrichen, in Ländern von reineren und verderbteren Sitten, gemacht. Allerwärts die nehmliche Erscheinung! Besonders aber stützt sich meine Ueberzeugung auf einen Vorfall, für dessen Wahrheit ich mit der Ueberzeugung eigener Erfahrung bürgen kann.

Zwey Männer, in den Jahren erwachender Kräfte, trafen auf einer der berühmtesten Academien Deutschlands, auf einer Laufbahn der Vollkommenheit zusammen. Beyde waren frey von gröberen Ausschweifungen, und der eine ganz gewiß, der andere höchstwahrscheinlich, frey von Ansteckung nahmenloser Sünden.

Der Körper des einen war von viel zärterer Beschaffenheit als der des Andern. Noch größer aber war die Verschiedenheit ihrer Charaktere. Der eine abgewinnend, ausdauernd, voller Aufmerksamkeit auf die Verhältnisse die ihn zunächst umringten; begabt mit großer Gewalt, über den Ausbruch seiner Neigungen zu wachen; fähig, den Vortheil des Augenblicks zu nutzen, und nach und nach, aber sicher, das vorgesteckte Ziel zu erreichen. Und dieses Ziel lag nicht fern, es lag im Kreise der Localität seiner Person. Sein Geist war geschmückt mit allen Kenntnissen, welche in der örtlichen Gesellschaft angenehm und unterhaltend machen. Fein im Beobachten des Einzelnen, judiciös in der Wahl des augenblicklich Zweckmäßigen. Der Anhänglichkeit fähig bis zur Verblendung des Partheygeistes, und bis zur anhaltenden Aufopferung der gröbern Selbstheit für die feinere.

Der andere war heischend in seinen Forderungen, rasch in seinen Entschlüssen, unaufhaltsam in seinem Streben, so lange der Enthusiasmus dauerte. Er kannte kein Mittel zwischen Nichts und Allem. Sein Ziel lag immer außer den Grenzen seiner Verhältnisse. Das Ungewöhnliche, das Außerordentliche, diente ihm dabey allein zum Wegweiser, und seine Anlagen erschienen ihm selbst als ausgebildete Kräfte. Unfähig aller klugen Mäßigung, so wie einer wahren Würdigung seiner selbst, stand er zum Gelingen seiner Plane sich immer selbst im Wege. Er hing sich nur an Wenige an; vergaß nie seiner Selbstheit anhaltend, aber auf eine Zeitlang bis zur Aufopferung seiner Existenz.

So standen beyde Männer in ihren frühern Jahren zu einander. Das reifere Alter hat vieles in ihren Charakteren anders modificiert. Genug, so wie sie damahls waren, standen sie unstreitig im Verhältnisse der ausgebildeteren Zartheit zur rohen Stärke zu einander: der eine konnte für ein ungewöhnliches Weib von reiferen Jahren, der andere für einen Jüngling, in moralischer Rücksicht gelten.

Der Jüngling liebte zuerst; das war in der Natur: er betete an, er ward gelitten, geführt, geleitet, und endlich wieder geliebt: auch das war in der Natur. Bald erhielt ihre wechselseitige Zuneigung den Charakter einer häuslichen Zärtlichkeit, bald darauf der Leidenschaft. Sie wohnten bey einander, und selten waren sie getrennt. Aber wenn sie es waren, so erwarteten sie den Augenblick des Wiedersehens mit der heftigsten Unruhe, und mit der lebhaftesten Ungeduld. Ein feines Feuer durchglühte ihre Adern bey jeder zufälligen Berührung; ihr unvermutheter Anblick flößte ihnen unerklärbare Wonne ein. Nächte durchwachten sie zusammen, und wenn der grauende Morgen sie endlich zwang eine Ruhe zu suchen, die der rege Geist dem ermatteten Körper versagte; so dehnte sich ihr Abschied an der Schwelle der Thür noch zu Stundenlangen Unterredungen aus. Wer hätte es vermuthen können, daß andere, als bloß geistige Affekte das Band unter ihnen knüpften! Dachten sie sich doch einander unter dem Bilde edler Geister, die zusammen der Vollkommenheit nachstreben, voll von Begierde nach Weisheit und Tugend! Glückliche Zeit, an welche derjenige, der sie mit empfand, nie ohne Rührung wird denken können! Sie verschwand aber bald, wie ein schöner Traum! Es folgten Eifersucht bey der geringsten Zuvorkommung gegen fremde Jünglinge, Furcht vor Erkaltung, Vorwürfe, Wiederaussöhnung, – und – wer wird es glauben? – bey einer von diesen, welche eine heftigere Umarmung, ein heisserer Druck ans Herz besiegelte, zeigten sich bey beyden so grobe Symptome der erregten körperlichen Geschlechtssympathie, daß diese unschuldigen, schuldlosen, aber nicht ununterrichteten Jünglinge auf eine schreckliche Art über die Einwirkung unerwarteter Triebe aufgekläret wurden. Sie stürzten auseinander, und der Augenblick, der zwey reine Seelen in aller ihrer Klarheit darstellte, schien ihnen der schwarzeste Fleck ihres Lebens. Er endigte zugleich ihre Leidenschaft für einander, an deren Stelle in der Folge der Zeit Zärtlichkeit, auf Achtung gegründet, getreten ist.


Fünftes Kapitel.
Berichtigung der gewöhnlichen Begriffe über die Seelenliebe.

Nach den bisherigen Bestimmungen muß es mir nicht schwer werden, die gewöhnlichen Begriffe über die Seelenliebe zu berichtigen.

Es ist ausgemacht, daß einzelne liebende Aufwallungen gegen eine Person von verschiedenem Geschlechte ohne alle Mitwirkung des Körpers, ja sogar der Geschlechtssympathie der Seele, Statt finden können. Aber davon spricht der große Haufe nicht, wenn er einem Verhältnisse zwischen beyden Geschlechtern den Nahmen der Seelenliebe beylegt: er spricht von zärtlicher Anhänglichkeit und von Leidenschaft.

Versteht man unter diesem Nahmen jene engeren gesellschaftlichen Verhältnisse zwischen zwey Personen von verschiedenem Geschlechte, die unter dem Nahmen des Hofmachens, oder auch der liaisons d’ esprit bekannt sind: Verbindungen, die sich auf wechselseitige Eitelkeitsgewährungen, und eine bald tändelnde, kosende, bald geistige Unterhaltung gründen und beschränken; – so mögen immerhin hierbey gröbere Begierden des Körpers schweigen: die feineren werden demungeachtet mitwirken, und nie wird man einem solchen Verhältnisse barer Selbstheit den Nahmen der Liebe beylegen dürfen.

Versteht man darunter jene verfeinerte Sinnlichkeit, die den unnennbaren Moment weit hinaussetzt, um sich länger in der Spannung gereitzter Lüsternheit zu fühlen, und dadurch zugleich alle Freuden zu erhöhen, welche der Umgang mit einer Person von verschiedenem Geschlechte gewähren kann; so ist offenbar diese eigennützige Anschließung an eine Person vom andern Geschlechte, welche nur als ein Mittel zur Verbesserung eines einseitigen Genusses betrachtet wird, so wenig zur Liebe zu rechnen, als rein von körperlichen Begierden.

Versteht man aber darunter jene Besessenheit der Seele, worin der Begeisterte den Stoff zu einem Ideale von Vollkommenheit, Adel und Schönheit von einer Person vom andern Geschlecht abnimmt, und, unbekümmert um ihre Selbständigkeit, und die wahren Verhältnisse, worin er sich zu ihr befindet, – mithin auch unbekümmert um ihren Körper – sich nur mit dem Bilde seiner Phantasie zu vereinigen strebt; so gehört ein solches beschauendes Verhältniß, worin wieder die Person nur als ein Mittel betrachtet wird, einen einseitigen Genuß zu erhöhen, gleichfalls nicht zur Liebe.

Versteht man aber darunter überhaupt ein Verhältniß, wobey die Geschlechtssympathie sich nicht durch grobe Symptome äußert, worin der unnennbare Trieb abgeleitet oder unterdrückt wird; so kann unter gewissen Bedingungen, die ich gleich angeben werde, ein solches Verhältniß Liebe seyn. Aber Seelenliebe, in dem Sinne, daß der Körper gar nicht dabey interessiert wäre, kann ich es nicht nennen. Der Körper spielt allerdings eine wichtige Rolle dabey mit, nur äußert er diese nicht durch bestimmte Begierden nach dem unnennbaren Genuß, nicht durch grobe Symptome des unnennbaren Triebes.

Es giebt zwey Arten dieser Verbindungen unter beyden Geschlechtern ohne Symptome des unnennbaren Triebes. Die erste beruht auf einem unwillkührlichen Schweigen der körperlichen Begierden nach der engsten Körpervereinigung; theils weil der Liebhaber zu unerfahren, theils weil die Seele zu sehr auf einen Genuß anderer Art aufmerksam und gespannt ist. So empfinden Neulinge sehr oft den heimlichen Einfluß des Körpers, ohne den endlichen Zweck dieser Bewegung zu ahnden. Der junge Rousseau fand sich eine Zeitlang in diesem Falle gegen die Frau von Warens, aus Unerfahrenheit. Hingegen empfand wahrscheinlich Winkelmann für seinen zartgebaueten Freund darum keine deutliche Regung des unnennbaren Triebes, weil seine Seele zu sehr mit dem Bilde seiner Schönheit beschäftigt war. In gleichen Lagen befanden sich, wie ich glaube, zuweilen die griechischen Weisen zu ihren schönen Zöglingen: und aus ähnlichen Gründen muß man es erklären, daß die heftigste Liebe fürs andere Geschlecht in der Zeit, worin sie nach dem Besitze des Herzens strebt, oft frey von Anfällen gröberer Begierden bleibt.

Die andere Art dieser Verbindungen ohne Symptome des unnennbaren Triebes zeigt sich da, wo wir die Begierde nach der engsten Körpervereinigung willkührlich zu unterdrücken suchen, weil ihre Befriedigung mit den Verhältnissen worin wir uns zu dem geliebten Gegenstande befinden, und mit seinem Glücke streiten. Wir wissen es: wir möchten den unnennbaren Trieb befriedigen, aber wir dürfen nicht; physische und moralische Hindernisse treten in den Weg: wir bekämpfen ihn also, und es gelingt uns zuweilen, ihn zu unterjochen. So können Liebende sich durch Entfernung von einander seinem Einflusse auf eine Zeitlang entziehen. So kann der Unterschied des Standes, und die davon abhängende Ehrfurcht, ihn zurückscheuchen. So kann die Achtung für uns selbst, für die Unschuld, den guten Ruf der Geliebten, und die Rechte des Eigenthums des Ehegatten, uns gegen den Anfall unerlaubter Begierden schützen. Ernstlicher Wille, Haltsamkeit bey unsern Grundsätzen und Lagen, welche die Behutsamkeit erleichtern, vermögen zuweilen unsere Triebe völlig zum Schweigen zu bringen. Aber freylich wir dürfen nicht behaupten, daß sie nicht laut werden würden, wenn die Verhältnisse es gestatteten.

Unterdessen kündigt sich in beyden Fällen Ueppigkeit und Lüsternheit durch das schmerzhaft wollüstige Sehnen nach dem Anblick des Geliebten, durch die gezärtelte Spannung in seiner Gegenwart, und besonders auch durch die unbestimmte Begierde nach Vereinigung mit allem an, was in der fernsten Beziehung mit dem Körper des Geliebten steht.

In beyden Fällen glaubt nun der große Haufe Seelenliebe zu finden, und verbindet damit den Begriff des Edeln und Schönen. Ich kann aber einer Verbindung, die eine solche Enthaltsamkeit mit sich führt, diesen Nahmen und diesen Begriff keinesweges vor jeder andern einräumen, die wahre und edle Liebe zeigt, wenn gleich die Körper darin nach der engsten Verbindung streben, und diese genießen. Nur in dem einzigen Falle kann ich sie überhaupt für Liebe, und zwar für edle Liebe halten, wenn die Verbündeten sich aus dem Grunde der Befriedigung körperlicher Begierden freywillig enthalten, weil diese mit ihrem Glück und ihrer Zufriedenheit streitet. Aber eine unwillkührliche Enthaltsamkeit, oder auch eine gezwungene, die nicht aus jener Ursach fließt, haben an und für sich weder Anspruch auf den Nahmen wahrer Liebe, noch auf Vollkommenheit, Adel und Schönheit.


Sechstes Kapitel.
Seelenliebe nach des Autors Begriffen.

Für mich ist alle wahre Liebe Seelenliebe! denn nur die Seele faßt die Vorstellung: der Geliebte ist glücklich; und nur die Seele strebt nach der Wonne, welche von dieser Ueberzeugung abhängt. Die Mitwirkung des Körpers, selbst des unnennbaren Triebes, nimmt dieser Seelenliebe nichts; sie giebt ihr vielmehr zu, wenn wir uns des Körpers als eines Agenten, als eines Mittels bedienen, den geliebten Gegenstand glücklicher zu machen. Mag dann immer der unnennbare Trieb Genuß, die engste körperliche Vereinigung, eine der Formen unserer liebenden Gesinnungen seyn, und einen Akt unserer Wohlthätigkeit ausmachen. Faßt die Seele das Glück des Geliebten darin auf; so ist es die Seele, welche durch den Körper genießt.

Aber freylich, es giebt noch einen höheren Grad der Seelenliebe! Dieser gehört nicht mehr zu ihrem Wesen, sondern zu ihrer Veredlung!

Wenn wir dem Geliebten nicht bloß ein Scheingut zuführen, ihn vorübergehend glücklich zu machen streben; nein, wenn wir darnach streben, ihm das höchste Gut, das dauerndste Glück, zu sichern, welches nur das Gefühl des Vollkommnen, Edeln und Schönen, und vor allem Tugend in der vereinigten Person gewähren kann. –

Ja! dann giebt und genießt die Seele im engsten Sinne! Dann sucht das Geistigste in der Seele des Liebhabers (dasjenige was der Seele am engsten angehört) eben diesem Geistigsten in der Seele des Geliebten den höchsten Genuß dadurch zuzuführen, daß ihre Verbindung als ein edles, schönes, und vollkommnes Ganze, würdig ihrer eigenen und fremder Wonne, bey der bloßen Beschauung erscheinet.

Wie dieß geschieht, wie eine solche Seelenliebe mit dem Wesen der Liebe selbst, mit der Natur, mit der Moral, mit unsern bürgerlichen Einrichtungen vereinbarer sey, als die gewöhnlichen Verhältnisse, welche man mit diesem ehrbringenden Nahmen belegt; – das werden die nächsten Bücher dieses Werks zu zeigen suchen.

Anhang zum achten Buche.

Erster Excurs.
Ueber den Antheil des Körpers und seiner Geschlechtssympathie an den Gefühlen des physisch Schönen, und der Schönheit der Körper von verschiedenem Geschlechte.

Eben so leicht als man die liebende Aufwallung für Personen vom andern Geschlechte mit der Reitzung der Geschlechtssympathie und sogar mit der des Körpers verwechselt; eben so gewöhnlich ist es, daß jene Affekte und diese Geschlechtssympathie mit den Gefühlen des Schönen und der Schönheit verwechselt werden. Ueber den Grund, warum das Schöne und die Schönheit uns anziehen, giebt es dann wieder zwey verschiedene Meinungen. Die eine sucht diesen Grund in der erregten Begierde nach Körpervereinigung, die entweder unmittelbar, oder durch eine Association der Ideen beym Anblick der Schönheit in uns rege werde: die andere glaubt, daß die Schönheit als eine Form innerer Vollkommenheit des Charakters auf uns wirke, und daß wir unter schönen Formen eine schöne Seele ahndeten, welche ganz geistig von uns genossen würde.

Die Verworrenheit, das Unbestimmte dieser Vorstellungen leuchtet von selbst in die Augen. Es scheint mir nothwendig, die Begriffe über den Antheil, den der Körper, und besonders dessen Geschlechtssympathie an den Gefühlen des physisch Schönen und der körperlichen Schönheit hat, näher zu bestimmen, weil diese zur Gründung des Begriffs der Seelenliebe von dem größten und unverkennbarsten Einfluß sind.

Erinnert euch daran, daß der Beschauungshang die Anlage zu derjenigen Reitzung unsers Wesens ist, die ohne merkliche Bestrebung, mithin auch ohne Beziehung auf unsere selbstischen und sympathetischen Verhältnisse, unmittelbar mit dem Anblick isolierter Körper, und mit der Erkenntniß ausgezeichneter Gegenstände verbunden ist.

Erinnert euch daran, daß ich Wollust und Wonne für jene unerzwungene und dennoch unwillkührliche Affekte von Lust erklärt habe, welche uns gewisse sinnliche Eindrücke und Bilder der Seele unmittelbar zuführen, und die man schicklich Gefühle der Ausgelassenheit des Lebens nennen kann.

Erinnert euch daran, daß ich das Schöne überhaupt für Wollust und Wonne des Beschauungshanges: im Gegensatz gegen das Edle aber, für diejenige Wollust und Wonne des Beschauungshanges erklärt habe, welche die Formen der Gegenstände bey ihrer Wirkung unserm niedern instinktartigen Wesen einflößen.

Erinnert euch zuletzt daran, daß ich das Schöne in das unbestimmt, und das ästhetisch Schöne eingetheilt habe. Das unbestimmt Schöne bringt physisch wollüstige Reitzungen für die Nerven hervor, erweckt die Phantasie zu einer leichten und lebhaften Thätigkeit, und versetzt sogar unser Herz, den Inbegriff unserer herrschenden Triebe, in eine dunkle aber wohlbehagende Rührung. Das ästhetisch Schöne ist eben jenes unbestimmte Schöne unter Gesetze des Verstandes und der Vernunft gebracht: es sey, daß wir nur Bilder jener Gesetze auf das Schöne anwenden, oder es wirklich unter gewisse empirische Begriffe von demjenigen bringen, was ein Gegenstand seiner Gattung und Art nach seyn soll, um für ein wahres und zweckmäßiges Ganze zu gelten. Das Schöne das zugleich einem solchen Begriffe unterworfen werden kann, heißt eine Schönheit.

Dieß alles ist gesagt worden. Es gilt jetzt diese Begriffe auf die sichtbare Schönheit des menschlichen Körpers in der Absicht anzuwenden, theils um den Einfluß auszufinden, den dieser Körper auf unsern Körper, und besonders auf unsere Geschlechtssympathie hat; theils aber auch, um den Antheil festzusetzen, den unsere Seele daran nimmt, und die Behauptung zu prüfen, daß sie beym Genuß der Schönheit bloß eine schöne Seele unter schönen Formen ahnde.

Man darf das sichtbare, unbestimmt Schöne am menschlichen Körper das Ergetzende, hingegen das ästhetisch Schöne an ihm die Wohlgestalt nennen. Sind aber meine vorhin aufgestellten Grundsätze richtig, so ist es unmöglich, daß ein sichtbarer Körper schön seyn könne, wenn er nicht zugleich unmittelbar durch seine Formen wollüstig auf die Augennerven wirkt. Es ist aber eben so unmöglich, daß ein sichtbarer Körper ästhetisch schön, oder gar eine Schönheit seyn könne, wenn nicht eben jene auf unsere Augennerven wollüstig wirkenden Formen unter gewisse Bilder oder Begriffe der Wahrheit und Zweckmäßigkeit gebracht werden können, die natürlich nur von der Seele gefaßt werden mögen.

Die Formen müssen die Augennerven zunächst unmittelbar wollüstig reitzen. Wirkt die sichtbare Form zunächst auf einen der andern Sinne, so hört er auf, schön zu seyn, und nähert sich einer andern Klasse von Wollustgefühlen.

Eine sichtbare Form, die uns nur darum gefallen würde, weil sie das Gefühl in uns erweckte, daß sie sich zwar nicht mit Wollust anblicken, aber doch wollüstig betasten oder schmecken ließe; eine solche Form würde nicht dem körperlichen Beschauungshange gefallen, sondern der körperlichen Selbstheit und Sympathie: nicht das Auge würde genießen, sondern die übrigen Sinne genössen durch das Mittel des Auges. Daher ist es gewiß kein Gefühl des Schönen, das wir mit den Worten bezeichnen: diese Speise sieht lecker aus, oder: diese Oberfläche ladet zum Streicheln, zum Einlagern ein. Am wenigsten werden solche Formen hierher gerechnet werden dürfen, welche die Lüsternheit unmittelbar aufregen, indem sich das Auge in die Stelle der Organe der gröbsten Triebe setzt. In dem bekannten Lateinischen Gedichte des Johannes von Nerizan über die dreyßig Schönheiten des weiblichen Körpers kommt vieles vor, was schlechterdings für das Auge keinen Reitz haben kann, sondern als bloß reitzend für die körperliche Lüsternheit betrachtet werden muß.

Formen, welche auf eine so mittelbare Weise dem Auge gefallen, können am allerwenigsten zum ästhetisch Schönen gerechnet werden. Gebildete Menschen werden immer Körper, welche die Lüsternheit oder gar den unnennbaren Trieb erwecken, von denjenigen unterscheiden, welche Schönheit in ihren Formen darstellen; und Herder hat beydes sehr treffend unterschieden, indem er sagt: daß die Natur denjenigen Theil des weiblichen Körpers, wo sie des Bedürfnisses wegen von den Regeln der Wohlgestalt habe abgehen müssen, mit dem Gürtel des Verlangens umschlungen habe. Aus diesem Grunde wird ein fleischiger, ausgeschweifter Bau, wie ihn etwa die Nymphen der Flamländer zeigen, nie für eine Schönheit gehalten werden können, wenn er gleich mit Ueppigkeit und Lüsternheit betrachtet werden sollte. Es ist daher ein großer Irrthum, wenn man die Verirrungen der körperlichen Geschlechtssympathie, zu denen männliche Körper verführen, der größern Wohlgestalt zuschreibt, welche die männlichen Verhältnisse nach den Gesetzen des ästhetisch Schönen und der Schönheit unstreitig darstellen. Denn abgerechnet, daß sich daraus diejenige Verirrung der Begierden nicht erklären lassen würde, welcher Weiber unter einander gleichfalls unterworfen sind; so ist es auch ganz klar, daß gerade die schönsten, regelmäßigsten Körper, wenn sie gleich von verschiedenem Geschlechte sind, weniger auf die Geschlechtssympathie wirken, als die üppig, oft ungestaltet gebaueten. Dieß haben die Rubens, die Bernini und andere sehr wohl empfunden, indem sie von den Regeln, welche die Alten bey der Schöpfung ihrer Venus, ihrer Juno, ihrer Diana, u. s. w. befolgten, abgegangen sind, und wohlbeleibte, feiste Metzen und Ammen in keiner andern Absicht dargestellt habe, als der, auf die Geschlechtssympathie des ungebildeten Haufens zu wirken.

Demungeachtet läßt sich die Mitwirkung aller unserer Sinne, und besonders auch der körperlichen Geschlechtssympathie, bey den wollüstigen Gefühlen für das Auge gar nicht abläugnen. Sie kommen unstreitig mit in Reitzung; aber es muß eine mittelbare und dunkle Reitzung seyn, deren wir uns in dem Augenblicke des Genusses der Schönheit nicht bewußt sind. Sobald beym Anblick einer weiblichen Gestalt die Begierde nach körperlicher Annäherung und Verbindung herrschend wird; sobald diese Begierde und die Beziehung der Form auf die Begünstigung der Lüsternheit der Grund meines Wohlgefallens an dem erblickten Körper wird; sobald ist auch das Gefühl des Schönen dahin; – es wird zum selbstischen oder sympathetischen Gefühle. Allein so lange der Aufruhr der lüsternen Begierde dunkel bleibt, und die Beziehung der Form auf die Begünstigung der Lüsternheit nicht besonders beachtet wird; so lange besteht die Mitwirkung der körperlichen Geschlechtssympathie mit dem Gefühle des Schönen.

Man darf nur an den Unterschied des Eindrucks denken, den die Statue einer Venus von Medices, und wieder das Original, in der Natur gesehen, auf uns machen würde! Und wer wird es läugnen wollen, daß wir zuweilen gegen die lebendige schöne Form in eben das entfernte, beschauende Verhältniß kommen können, worin wir uns gegen eine Statue von Marmor der Regel nach befinden? Das heißt: daß wir, ohne uns deutlicher Begierden nach Körperverbindung bewußt zu seyn, die Wohlgestalt einer schönen Frau in der Natur mit Wonne beschauen mögen! Gewiß, wer dieses läugnen könnte, der wäre Ein für alle Mahl für den Genuß des Schönen verdorben!

Demungeachtet aber unterstützt die körperliche Geschlechtssympathie durch dunkle Mitwirkung den Eindruck der Wohlgestalt in manchen Fällen. Ja, unter dieser Voraussetzung allein kann der Unterschied zwischen der sogenannten anmuthigen, reitzenden, zärtern Schönheit und der ernsteren und unterhaltenden hinreichend festgesetzt werden.

Alle Erklärungen, die man bis jetzt vom Reitz oder von der Anmuth gegeben hat, und die größten Theils dahin gehen, den Ausdruck einer freyen physischen Bewegung, oder eines fertigen moralischen Sinnes darin zu finden, reichen schlechterdings nicht zu, die reitzende Schönheit von der ernsten abzusondern. Wir müssen nothwendig den Unterschied darin setzen, daß die reitzende Schönheit auf die Zartheit unsers Körpers und unserer Seele; die ernste hingegen auf unsere Stärke wirke, und daß in gewissen Fällen sogar unsere Geschlechtssympathie, so wohl des Körpers als der Seele, heimlich mit ins Spiel komme. Ich habe mich hierüber in meiner Charis bereits weitläuftig erklärt. Es kann aber nicht undienlich seyn, die Sache hier nochmahls kurz zu wiederholen, und wo möglich näher zu bestimmen.

Die Schönheit des menschlichen Körpers wird sehr bequem auf drey Hauptklassen gebracht: auf die ernstere, auf die zärtere, und auf eine dritte, welche eine Mischung von beyden enthält, ein Neutrum abgiebt, und die unterhaltende genannt werden mag. Die ernstere bietet besonders der Körper des reifen Mannes und der Matrone dar: die zärtere der Jüngling und das reifende Mädchen, die unterhaltende hauptsächlich das Kind und der Greis.

Die ernsteren Schönheiten des Körpers zeigen große Massen von Formen; und indem das Auge diese zusammenfaßt, werden dessen Nerven gespannt. Eben diese Körper zeigen eine Stellung, worin die Glieder wenig abwechseln, einen starken Knochenbau, eine muskulöse Völligkeit des Fleisches. Alles dieß wirkt spannend theils auf das Auge, theils auf den innern Anschauungssinn, welcher mit Hülfe der Phantasie und des Associationsvermögens Bilder von körperlicher Stärke, Abhärtung, Seelenhoheit, ruhiger Festigkeit und gebietendem Ansehn daraus abnimmt. Diese Bilder führen auf andere von Würde, Männlichkeit, hohem Stande und Reife des Alters, welche die Seele spannen oder stark reitzen. Alles dieß constituirt die ernste Schönheit, wie sie uns die Junonen, der Apollo, der Herkules, u. s. w. an den Statuen der Alten in der größten Vollkommenheit darstellen, und wie sie unter uns, wiewohl in mangelhafterer Maße, zuweilen angetroffen werden.

Schönheiten dieser Art werden, so lange sie als Schönheiten empfunden werden, beynahe gar nicht auf unsere übrigen Sinne, außer dem Auge, und am wenigsten auf unsere körperliche Geschlechtssympathie wirken. Daher die allgemeine Erfahrung, daß diese ernsteren Schönheiten auf ungebildete Menschen nur einen schwachen Eindruck machen, und daß die Achtung, welche der große Haufe ihnen zollt, weniger auf Wollust und Wonne, als auf Unterwerfung gegen das Urtheil der Kenner, und gegen den Ausspruch des gesellschaftlichen Tones beruht.

Schönheiten dieser Art lassen sich ihrer bloßen Zeichnung nach den Bildern der Wahrheit, Zweckmäßigkeit – der Regularität – genauer anpassen, als andere, und darum befriedigen sie ganz besonders das Bedürfniß der Seele, selbst an den bloßen Formen der Dinge die Gesetze ihrer Erkenntniß und ihres Wollens beobachtet zu sehen. Ernste Schönheiten erfüllen die Seele mit Bildern innerer Eigenschaften und äußerer Beschaffenheiten, die mit den Begriffen des Ausgezeichneten in bürgerlichen und sittlichen Verhältnissen zusammenhängen, und flößen ihr also eine Wonne ein, die sie der Befriedigung ihrer edleren Neigungen verdankt. In so fern hat die Seele von Schönheiten dieser Art mehr Genuß als von andern, und mehr als der Körper. Aber hieraus folgt nicht, daß der letzte ganz von ihrem Genuß ausgeschlossen wäre; daß nur die Form der Vollkommenheit uns an diesen ernsten Schönheiten rührte; oder daß wir sie gar als bloße Symbole der vollkommenen Seele, welche sie behauset, bewunderten. Nein, es müssen nothwendig Formen an ihnen wahrgenommen werden, welche unmittelbar wollüstig auf das Auge wirken, und dergleichen bemerken wir an den fließenden Umrissen, an der gewölbten Ründung und wohl contrastierenden Abwechselung der Glieder der edelsten und ernstesten Schönheiten des Alterthums. Ja, sogar die Weiße und das Korn des Marmors tragen zu dem Gefühle von Lust bey, das sie uns einflößen.

Es muß daher das Auge selbst bey der ernstesten Schönheit mit befriedigt werden, und nie dürfen wir annehmen, daß unser Geist in dem Körper der ernsten Schönheit bloß die vollkommene Seele ahnde. Denn die stolze Juno, der strenge Pluto, und der trotzige Ajax, kündigen sich gewiß nicht als schöne Seelen an. Es ist genug, wenn der physiognomische Ausdruck der Unvollkommenheiten der Seele nicht dergestalt hervor sticht, daß wir darüber die Schönheiten der Formen vergessen.

Die zärtere Schönheit besteht hingegen aus vielen einzelnen Eigenschaften und Beschaffenheiten, welche mehreren Sinnen vermittelst des Auges schmeicheln, und zwar auf eine Art, welche äußerst geschickt ist, sogar die Ueppigkeit mit in Reitzung zu bringen. Die zärtere Schönheit zeigt immer mehr Mannigfaltigkeit und ein lebhafteres Spiel von Gestalten. Anstatt daß bey der ernsten Schönheit die Direction der Linien des Umrisses durch mehrere Halbflächen an der Ründung gehindert wird, zeigt sie sich bey der zärteren Schönheit viel wallender und geschlängelter. Anstatt daß bey jener möglichst auf ein geometrisches Wohlverhältniß Rücksicht genommen wird, sucht hingegen die zärtere Schönheit das Ebenmaß und die Ordnung – welche allerdings in der Lage ihrer Theile gegen und unter einander herrschen muß, um ihr den Anspruch auf das ästhetisch Schöne zu sichern – möglichst zu verstecken. Sie ist da, aber man wird nicht so unmittelbar darauf geführt. Endlich, während daß die ernste Schönheit in den Biegungen ihrer Ründung möglichst die Ecken des Quadrats beyzubehalten sucht, sucht dagegen die zärtere in ihren Biegungen sich möglichst der Wölbung des Zirkels zu nähern.

Dieß Spiel der Gestalten wird nun gemeiniglich am menschlichen Körper zugleich durch das Spiel der Farben und des Helldunkeln unterstützt. Der leichte Uebergang der Farben in einander, welche die jugendliche und weibliche Carnation ausmachen, die Mischung des Roths, Paille und Blau; die harmonische Abwechselung der Lichter und Schatten, bringen alle Nerven unsers Auges in eine wollüstige Bewegung, welche sehr geschickt ist, unsere übrigen Sinne zugleich in eine dunkle Reitzung zu versetzen.

Dieß Spiel der Gestalten, der Farben und des Helldunkeln führt das Auge zu einer spielenden, anschmiegenden, eben darum auch strebenden Bewegung des Nachblickens und Blinzelns, die mit derjenigen Wirksamkeit in welche der Gaumen und die Tastungsorgane beym Einnehmen des ihnen angehörenden Genusses gerathen, in einem auffallenden Verhältnisse steht. Es ist ein allmähliges hingebendes Aneignen, es ist ein auflösendes Einnehmen in dem Zustande des Auges, während daß es sich den wallenden Umrissen anschmiegt, die versteckte Ordnung austastet, an der unmerklich abgestuften Ründung hingleitet, den Duft und den Schmelz des harmonischen Farben- und Lichterspiels einathmet und auskostet! Wie ähnlich ist dieser Zustand demjenigen, in welchen Tastungsorgane, Nase und Gaumen, bey den wollüstigen Gefühlen kommen, die ihnen unmittelbar zugeführt werden! Wie treffend die Ausdrücke der technischen Mahlersprache, der Sprache der Dichter und selbst des gemeinen Lebens, wenn wir die Wirkung bezeichnen, welche gewisse spielende Bewegungen und zärtelnde Eigenschaften todter Körper auf uns machen, um ihren Einfluß auf unsere übrigen Sinne selbst bey der Anschauung zu fühlen! So sagen wir, daß das Gewand den Körper üppig umflattert, daß das Haar üppig um den Nacken spielet, daß der Kohl in zwanglosen abwechselnden Schüssen schwelgt, und daß die Flamme die Gegenstände, die sie berührt, leckt! Wir sprechen von dem süßen Schmelz der farbigen Rose, von dem Sanften der Himmelsbläue und von dem Markigen und dem Duft eines Gemähldes. Das Auge setzt sich hier an die Stelle der übrigen Sinne, und eignet sich dunkel den Genuß an, den unser Wesen nur mittelst ihrer besondern Organe vollständig einnimmt. Eben dadurch wird nun auch heimlich die Geschlechtssympathie des Körpers mit aufgeregt: wir werden üppig. Das Zarte und zugleich Hebende, welches den Charakter dieses allmähligen Spieles der Eindrücke auf unsere Sinne ausmacht, kommt sehr leicht mit unserer geschmeidig starken Organisation in das Wohlverhältniß gezärtelter Spannung.

Eben diese zärteren Schönheiten zeigen nun zu gleicher Zeit Formen, welche den innern Anschauungssinn nicht so wohl spannen, als zärteln. Schon an sich führt der Mangel an Bestimmtheit der Umrisse, an Ordnung in den Aufrissen, an Schärfe in der Ründung, auf Bilder einer mindern Strenge der Gesetze des Verstandes und der Vernunft zurück. Ferner gehört dahin die kleinere Gestalt, die Feinheit des Knochenbaues, das schnellere Fortschreiten, und die größere Beweglichkeit in dem Mienenspiele und der Lage der Gliedmaßen, welche Knaben und junge Mädchen auszeichnen: endlich die ihnen vorzüglich eigene Oberfläche der Haut, in der die fettigen, fleischigen Theile bey weitem über die sehnigen prädominieren. Hieraus setzt sich die Phantasie mit Hülfe des Associationsvermögens Bilder des körperlich Zierlichen, Leichten, Schnellen, zusammen, wird durch diese, unterstützt von der Mimik in Mienen und Geberden, und vom Beywerk, auf Sanftheit der Empfindung, Geduld, Geschmeidigkeit des Charakters, Heiterkeit, Unbefangenheit, Emsigkeit, und noch weiter auf Bilder von häuslicher Tugend, Weiblichkeit, glücklichem Mittelstande und Jugend geleitet. Körper dieser Art liefern uns die Venus, der Hermaphrodit, der Ganymed, der Genius der Alten, der Engel, die Madonna, und die Nympfe der Neuern. Körper dieser Art sind es, welche wir im gemeinen Leben jetzt beynahe ausschließend als schön empfinden, weil wir für die ernstere Schönheit keinen wahren Sinn haben. Wir nennen sie gemeiniglich reitzend, und finden ihr Ideal in den Gemählden des Correggio und des Guido.

Es ist nun gar nicht zu läugnen, daß bey der Empfindniß des Schönen, welche uns Körper dieser Art einflößen, alle Sinne mit dem Auge zugleich in Reitzung kommen, daß sogar die Ueppigkeit heimlich erwache und mitwirke. Aber sobald diese Triebe in hervorstechender Maße wirken, sobald sie nicht bloß dazu dienen, den Beschauungshang zu unterstützen, sobald ist auch der Genuß des Schönen dahin, und es entsteht ein sinnlicher Appetit des Körpers. Inzwischen würde es bey Schönheiten dieser Art noch lächerlicher zu behaupten seyn, daß wir bloß die schöne Seele in den reitzenden Formen ahndeten. Der feige Paris, die liebäugelnde Venus, tragen eben nicht den Ausdruck einer schönen Seele an sich, und dennoch finden wir sie sehr reitzend. Auch verlangen wir gerade bey Schönheiten dieser Art nicht die Regularität der Züge, welche doch sonst als die vollständigste und vortrefflichste Form so sehr geschickt ist, auf den Begriff innerer Vollkommenheit und des inneren Seelenadels zu führen. Wir vertragen es schon, daß der Kopf ein wenig groß gegen den übrigen Rumpf sey, daß die Nase sich ein wenig in die Höhe werfe, daß die Augen etwas weit gespalten sind, und daß die Hüften ein wenig ausschweifen; denn alles dieß sind Eigenthümlichkeiten der jugendlich männlichen Person, und des weiblichen Geschlechts. Wenden wir gleich Begriffe von Wahrheit und Tüchtigkeit auf Figuren dieser Art an, weil sie sonst keine Schönheiten seyn könnten, so geschieht es doch mit mehrerer Nachsicht, nach laxern Grundsätzen, und hauptsächlich nach den Erfahrungen, welche uns das zärtere Alter und Geschlecht an die Hand bieten. Wir verlangen die Uebereinstimmung mit den Forderungen des Verstandes und der Vernunft nicht weiter, als wir diese von Jugend und Weiblichkeit erwarten können.

Ich komme zuletzt auf die unterhaltende Schönheit, dergleichen uns Kinder, Greise, und überhaupt solche Personen darbieten, welche wir hauptsächlich in unsern Verhältnissen zur größeren örtlichen Gesellschaft, in der Absicht, uns zu belustigen, aufsuchen. Schönheiten dieser Art spannen uns nicht und zärteln uns nicht. Sie setzen unsere Nerven in eine hüpfende Erschütterung, und unsern Geist in eine leichte Stimmung.

An Schönheiten dieser Art lieben wir das pikante Abstechen der Formen, Farben, hellen und dunkeln Partien von einander. Die Umrisse müssen sich in ihren Directionen ein wenig dem Zickzack, die Anordnung des Aufrisses muß sich ein wenig dem glücklichen Zufall, die Ründung ein wenig den irregulären Vielecken nähern. Die Farben des Haares müssen stark von der Gesichtsfarbe, diese stark von dem Roth der Wangen und Lefzen abstechen. Die Knochen, die Muskeln, oder das feiste Fleisch müssen starke Ein- und Aushöhlungen bilden, in denen das Licht aufgefangen wird, um helle und dunkle Partien in ziemlich grellen Uebergängen darzustellen. Abwechselung ist hier die Hauptsache. Sie reitzt das Auge, wie das Gewürz den Gaumen, und darum nennt man diesen sinnlichen Eindruck pikant. Durch ihn, besonders wenn er, von der Mimik in Mienen und Geberden, vom Beywerk, u. s. w. unterstützt wird, entstehen Bilder des Neuen, Seltenen, Lebendigen, und diese führen weiter auf alle diejenigen Gaben, und Verhältnisse, welche in unsern größern geselligen Zusammenkünften, wo es auf Unterhaltung des Witzes und der Phantasie angesehen ist, wichtig werden.

Dieß alles erweckt Bilder des Talents, besonders eines guten Gesellschafters, des muntern Kindes, des interessanten Alten, des unbefangenen Ausbruchs der Lüsternheit in den niedrigen Ständen, u. s. w.

Figuren dieser Art liefern der Faun, die Bacchante, der Philosoph, der Dichter der alten Kunst; das junge Kind, und der Apostel der neuern. Im gemeinen Leben sind diese pikanten Schönheiten gemeiniglich unter dem Nahmen von irregulären Schönheiten, von Physiognomien, charakteristischen, ausdrucksvollen Figuren, u. s. w. bekannt.

An dem Gefühle des Schönen, welches Formen dieser Art einflößen, haben die Sinne, außer dem Auge, unstreitig Antheil. Aber eigentliche Ueppigkeit oder Lüsternheit wird sich schwerlich mit einmischen. An Abdruck einer vollkommenen Seele, als alleinigen Grund des Schönheitsgefühls, ist gleichfalls nicht zu denken, und der scurrilische Faun, das Kind, das den Becher ausschlürft, u. s. w. zeigen davon keine Spur. Inzwischen verlangen doch auch hier der Verstand und die Vernunft, daß ihre Gesetze auf das Bild ihrer Phantasie angewandt werden.

Die unterhaltenden Schönheiten sind von den belachenswerthen Gestalten, von den Caricaturen, sehr verschieden. Unser Verstand und unsere Vernunft schränken bloß ihre Forderungen ein, und denken weniger an die Gattung und das Geschlecht, als an den Stand und das Alter. Es muß ein vollkommenes Kind, ein vollkommener Greis, ein vollkommener Bauer in seiner Art seyn. Die Schwäche, die Gebrechlichkeit, der Mangel an Ausbildung, in Rücksicht auf die Gattung des Menschen überhaupt, werden zu Gute gerechnet.

Nach dieser Ausführung wird sich nun mit einigem Grade von Zuverlässigkeit bestimmen lassen, welchen Antheil die Sinne, außer dem Auge; und noch mehr die körperliche Ueppigkeit und Lüsternheit an dem Gefühle der physischen Schönheit nehmen.

An der ernsten, darf ich glauben, wenig oder gar keinen. Das Auge ist hier allein Genießer. An der unterhaltenden mehr. An der zarten aber nehmen wahrscheinlich alle Sinne, und auch die unterste Stufe der Geschlechtssympathie, die Ueppigkeit, Antheil. Entsteht Lüsternheit, oder gar der unnennbare Trieb nach Körperverbindung, so ist das Gefühl der Schönheit bis dahin, daß der Körper wieder beruhigt wird, verloren, und es wird ein Gefühl daraus, welches der Selbstheit oder der Sympathie anzugehören anfängt.

Die Seele wendet auf jede Schönheit gewisse Gesetze des Verstandes und der Vernunft an, und beurtheilt die Form nach Begriffen von Wahrheit und Tüchtigkeit, welche über gewisse Gattungen, Geschlechter, Alter und Stände festgesetzt sind, und sich ihr bey der Anschauung instinktartig darstellen. Aber nie sucht die Seele bey dem Gefühle der Schönheit absichtlich den Abdruck einer schönen Seele. Denn abgerechnet, daß sie in unzähligen Fällen sich um den Genuß der Schönheit bringen, den ernsten Pluto, den trotzigen Ajax, die liebäugelnde Venus, den scurrilischen Faun, geradezu aus der Classe der Schönheiten heraus werfen müßte; abgerechnet, daß diese Wahrnehmung einer schönen Seele an den äußern Formen die unbestimmteste und unzuverlässigste Sache von der Welt ist; so besteht auch diese deutlich gedachte Beziehung der sinnlichen Form auf etwas Unsinnliches gar nicht mit der Wonne der Beschauung. Der Körper würde uns dann als ein bloßes Symbol der Seele erscheinen; wir würden ihn als ein bloßes Mittel betrachten, uns einen Geist zu versinnlichen; die körperliche Schönheit würde ein bloß interessierender Gegenstand werden; wir würden uns nicht mehr von dem Körper, als solchem, isolieren, ihn nicht mehr als ein für sich bestehendes, von uns völlig abgesondertes Wesen ansehen; er würde folglich mit Sympathie oder mit Selbstheit genossen werden.


Zweyter Excurs.
Ueber den Antheil des Körpers an der Begeisterung für physische Schönheit der Körper von verschiedenem Geschlechte.

Das ruhige Gefühl der physischen Schönheit, (welches allein Gefühl der Schönheit genannt werden kann,) verträgt also keine hervorstechende Wirksamkeit der übrigen Sinne außer dem Auge, noch weniger der Lüsternheit. Sie verträgt auch kein hervorstechend genommenes Interesse an einer vollkommenen Seele, deren bloßes Symbol der Körper seyn soll. Aber es giebt einen Zustand von Begeisterung für physische Schönheit; und dieser setzt die Mitwirkung der Geschlechtssympathie, so wohl des Körpers als der Seele zum Voraus.

Der Fall ist ziemlich häufig, daß wir von einer schönen Figur, so wohl in der Natur, als im Kunstprodukt, dergestalt hingerissen werden, daß wir das Bild immerwährend mit uns herumtragen, nicht wieder davon los kommen können, ja, nicht wollen, sondern unaufhörlich nach wahrer oder symbolischer Vereinigung mit dem Wesen streben, das sich durch diese Form auszeichnet. Man ist im gemeinen Leben sehr geneigt, diese lebhafte Bewegung, welche die physische Form auf uns macht, sogleich und ausschließend auf Rechnung der erregten körperlichen Geschlechtssympathie, der Lüsternheit und sogar des unnennbaren Triebes zu setzen. Aber dieß scheint sehr übereilt geschlossen zu seyn. Es brauchen gar nicht lebende Menschen, ja, es brauchen gar nicht einmahl Menschen oder Figuren lebendiger Wesen zu seyn, welche diese Begeisterung einflößen. Gebäude wie das Pantheon, die Peterskirche, Gegenden wie der Golfo von Neapel u. s. w. können sie erwecken. Inzwischen wenn es menschliche Figuren sind, so läßt es sich nicht läugnen, daß die körperliche Geschlechtssympathie sehr leicht bey der Begeisterung, welche sie uns einflößen, mit einwirken könne. Nur ist die Art, wie dieß geschieht, nicht immer dieselbe, und die Folge nicht unbedingt. In manchen Fällen erwacht zuerst die Lüsternheit des Körpers, wirkt hervorstechend, zieht die Besessenheit des Geistes nach sich: in andern erwacht diese zuerst, und steckt den Körper zufällig an, so daß dieser zuweilen mittelbar lüstern werden mag.

Wenn es eine ernste Schönheit ist, die uns begeistert, so ist höchst wahrscheinlich der Gang folgender: es entsteht ein lebhaftes Bild einer vollkommenen Form in unserer Seele. Mit dieser verbindet sich das Bild eines vollkommenen Geistes in jener Form, in Vergleichung mit dem wir den unsrigen niedrig, aber doch in einem solchen Verhältnisse fühlen, daß wir die Möglichkeit einer Annäherung oder Vereinigung ahnden. Ist es ein lebender Mensch, so rechnen wir auf seine auszeichnende Zuneigung; ist es ein Kunstprodukt so denken wir uns die Vereinigung unter irgend einem andern Bilde. Wir streben nach dem stolzen Bewußtseyn, seine Vorzüge besonders fein und stark zu fühlen, oder nach dem, uns durch seine Lobpreisung besonders um dasselbe verdient zu machen, oder wir suchen uns gar von seinem Geiste dergestalt zu durchdringen, um Werke, die von diesem Geiste belebt sind, hervorzubringen. Dadurch erwacht der schwärmerische Aneignungstrieb, sogar zuweilen der Selbstverwandlungstrieb; dadurch wird das Streben nach einer solchen Vereinigung in uns figiert. Kurz, wir kommen leicht in den Zustand der Besessenheit.

Dieser Aufruhr der ganzen Sinnlichkeit unserer Seelen geht nun zuweilen auch auf die körperliche Sinnlichkeit über, und erweckt die Lüsternheit und sogar den unnennbaren Trieb in unserm Körper. Inzwischen tritt dieser Fall nicht häufig ein.

Dagegen nimmt nun die Begeisterung für die zärtere physische Schönheit der menschlichen Figur gemeiniglich einen ganz andern Gang. Die Lüsternheit des Körpers erwacht hier der Regel nach zuerst, und zieht die Besessenheit des Geistes nach sich. Vermöge des üppigen Baues dieser Arten von Schönheiten wirkt unsere Ueppigkeit bereits im geheimen bey dem ruhigen Gefühle der Schönheit mit. Nichts leichter, als daß sie eine hervorstechende Rolle zu spielen anfange, und sogar zur Lüsternheit einlade, die nur eine höhere Stufe der Ueppigkeit ist, und mit ihr zur körperlichen Geschlechtssympathie gehört. Symptomen des erregten unnennbaren Triebes brauchen sich nicht zu äußern; aber die gepreßte Sehnsucht nach dem Anblick des zartgebaueten Körpers, die Mischung von Unruhe und Behagen in seiner Gegenwart, der Drang nach üppiger Berührung, kurz, eine Menge von Symptomen, die einzeln aufgezählt wenig, zusammengenommen aber alles beweisen, lassen keinen Zweifel über den wahren Grund unsers lebhafteren Interesse an seinen Formen übrig.

Durch den Aufruhr unserer körperlichen Geschlechtssympathie wird nun die Geschlechtssympathie der Seele sehr leicht in einen ähnlichen verwickelt. Die Hemmung körperlicher Begierden fordert die Seele auf, sich eine geistige Vereinigung zu träumen, und sich das Bild eines vollkommenen Geistes zusammenzusetzen, mit dem der unsrige in häuslicher Vertraulichkeit leben, und den er sich ganz aneignen könne. So entsteht die Besessenheit des Geistes oft aus der körperlichen Lüsternheit nach zartgebaueten Formen.

Beyde Geschlechter sind dieser Begeisterung für die zärtere Schönheit an Personen von beyden Geschlechtern, sogar im todten Bilde unterworfen. Ja, man darf es dreist behaupten, die zarte Schönheit werde an Jünglings- oder an Mädchenkörpern, in der Natur oder im Bilde, angetroffen, so wirkt, wenn eine Begeisterung für diese Schönheit in dem Beschauer entsteht, die körperliche Geschlechtssympathie bald heimlicher, bald offenbarer mit, ohne Unterschied, ob der Begeisterte Mann sey oder Weib.

Die Erfahrung, daß Jünglinge und Mädchen, deren Körper zartgebauete Schönheiten darstellen, bey Personen, welche äußern Kennzeichen nach zu einerley Geschlecht mit ihnen gehören, (wenn anders nur das gehörige Wohlverhältniß hebender Zartheit zur geschmeidigen Stärke getroffen wird,) die Lüsternheit und den unnennbaren Trieb erwecken, ist viel zu allgemein, als daß man sie bloß einer zufälligen Verirrung der Imagination, oder der Verderbtheit und Rohheit der Sitten zuschreiben sollte. In Ländern, wo religiöse und bürgerliche Erziehung den unnennbaren Trieb zum Zweck der Bevölkerung von früher Kindheit an zu leiten suchen, werden sich nur selten gröbere Symptome desselben gegen solche Körper melden, welche die Zwecke der immer fortbildenden Natur nicht erfüllen können. Aber Ueppigkeit, Lüsternheit, als die untern Stufen der Geschlechtssympathie, werden auch hier bey Menschen von reitzbaren Nerven den lebhafteren Eindruck begleiten, den die zartgebauete Schönheit, selbst im todten Bilde auf sie macht.

Diese Mitwirkung der körperlichen Geschlechtssympathie bey der Begeisterung für jugendlich männliche Schönheit kann den Kunstliebhabern, bey denen sie am häufigsten angetroffen wird, nicht zum Vorwurf gemacht werden. Sie ist keinesweges schändlich, denn sie sind sich dieser Mitwirkung oft selbst nicht bewußt. Sie wirkt wie eine geheime Ahndung, und die Art, wie sie nach den Vorschriften der Religion und der Sittlichkeit geleitet wird, veredelt sie in den Augen jedes billigen Beurtheilers.

Ich halte mich überzeugt, daß einer der Hauptgründe, warum der Enthusiasmus für jugendliche Männerschönheit, und noch mehr die Kunst, sie im Bilde darzustellen, in unsern Gegenden nie so allgemein und so hoch getrieben werden kann, als bey den Griechen, mit daran liegt, daß der lüsterne Eindruck, welchen die Zartheit männlicher Formen auf uns macht, nach der heutigen Denkungsart den Anstand beleidigt. Ohne jenen hohen Grad der Begeisterung, der bis zur Besessenheit geht, werden nicht leicht Meisterwerke in irgend einer Kunst hervorgebracht, und zu der Schwärmerey für Ideale zarter Schönheiten trägt die verhaltene Lüsternheit sehr viel bey. Unsere neueren Künstler liefern daher bey uns verhältnißmäßig viel schönere Weiber- als Männerformen. In Griechenland war es der umgekehrte Fall, und selbst ihre jugendlich zarten Weiber haben viel von der Form schöner Jünglinge an sich.

Es ist schon oft gesagt, daß der verewigte Winkelmann bey seiner enthusiastischen Anhänglichkeit von zarten männlichen Schönheiten den Einfluß der körperlichen Geschlechtssympathie dunkel empfunden habe. Man vergleiche die Art, wie er an seinen schönen, jugendlichen Freund schreibt, oder die Schönheit einer jugendlich männlichen Statue des Alterthums darstellt, mit derjenigen, womit er sich über eine männliche Figur von reiferen Alter ausdruckt. Er erscheint wie Pigmalion in den verschiedenen Situationen, worin dieser Künstler sein Werk als Marmorblock und als empfindendes Wesen betrachtet. Aehnliche Bemerkungen sind denjenigen nicht entgangen, die als ruhige Beobachter Augenzeugen des Umgangs dieses edeln Mannes mit seinem schönen Freunde gewesen sind. Ein mehr als himmlisches Feuer ergriff den Lobredner des Apollo bey dem Anblick eines schön gewölbten Knies, welches ein Zufall auf einer gemeinschaftlichen Reise nach Frascati entblößte.

Schande über den, der hier schändlich muthmaßet! Es geschah unbefangen, es geschah öffentlich, zum Beweise der unwillkührlichen, und höchst wahrscheinlich dem Begeisterten selbst unbekannten Regung der Geschlechtssympathie.

Die unterhaltenden Schönheiten werden selten Begeisterung erregen. Wo sie aber entsteht, beruht sie wahrscheinlich auf einer Mischung von körperlicher Lüsternheit und von Besessenheit der Seele. Ich habe keine Erfahrungen darüber gemacht.

Kann man nun diese Begeisterungen überhaupt Wonne des Beschauungshanges nennen? Im geringsten nicht! Wir streben, unsern Körper in das engste Verhältniß mit dem schönen Körper außer uns zu setzen; wir streben, den Geist der ihn belebt, ganz in den unsrigen hinüber zu ziehen; wir isolieren unser Wesen nicht mehr von dem Wesen außer uns, schauen es nicht mehr aus der Ferne an. Es ist nicht mehr ruhige Wonne des Beschauungshanges, es ist leidenschaftliches, wonnevolles Streben der Selbstheit oder der Sympathie. Weit entfernt aber, daß bey diesen leidenschaftlichen Aufwallungen, oder dauernden Stimmungen ein rein geistiger Trieb zum Grunde liegen sollte, spielt vielmehr der Körper entweder unmittelbar oder consentierend eine wichtige Rolle.

Das Resultat der Untersuchung über den Einfluß der körperlichen Geschlechtssympathie auf das Gefühl des Schönen und der Schönheit, fällt folglich dahin aus: daß das Schöne und die Schönheit gar nicht unbedingt auf die Geschlechtssympathie des Körpers wirke: daß es ganz verschiedene Formen und Verhältnisse sind, welche die Ueppigkeit, die Lüsternheit, den unnennbaren Trieb aufregen, als die Schönheit wesentlich voraussetzt. Daß aber auf der andern Seite die heimliche Mitwirkung der Ueppigkeit bey den zärteren Schönheiten sich nicht abläugnen lasse, und daß bey der Begeisterung für die zärtere Schönheit sogar die Lüsternheit eine wichtige Rolle mitspiele, wenn sie sich gleich nicht durch Symptome des unnennbaren Triebes ankündigen sollte.

Die körperliche Geschlechtssympathie dient also, das Gefühl der physischen Schönheit in manchen Fällen zu verstärken, und in keinem wird behauptet werden können, daß die Seele die äußere schöne Form des Körpers als den Abdruck einer schönen Seele betrachte, mithin die Schönheit rein geistig genieße. Allemahl muß wenigstens das Auge durch gewisse sinnliche Eindrücke unmittelbar wollüstig gereitzt werden, wenn wir dem wohlgefälligen Gefühle, welches uns ein Körper einflößt, den Nahmen eines Gefühls des Schönen beylegen wollen.


Dritter Excurs.
Ueber den Einfluß der Geschlechtssympathie des Körpers und der Seele auf die Begeisterung für immaterielle Gegenstände.

Es scheint mir eine ungegründete Behauptung zu seyn, wenn man alle Begeisterung, alle Schwärmerey, für immaterielle Gegenstände, z. B. für Gott, Religion, Tugend u. s. w. auf Rechnung der körperlichen Lüsternheit, oder wohl gar jenes unnennbaren Triebes setzen will, welchem die Natur die Fortsetzung unserer Gattung anvertrauet zu haben scheint. In diesen Irrthum ist Hemsterhuys, sind mehrere mit ihm gefallen. Wie wenig beweisend sind ihre Gründe! Weil in der Exstase, worin sich jene Schwärmer befanden, zuweilen die heftige Reitzung, worein ihr ganzes Wesen versetzt wird, sich sogar denjenigen Theilen des Körpers mittheilt, welche als die eigentlichen Agenten jenes unnennbaren Triebes anzusehen sind? Weil die Ohnmacht, in welche die heilige Therese bey der Berührung des himmlischen Amors fiel, vielleicht unter dem gröbsten Symptomen der Sinnlichkeit empfunden wurde? Was beweiset dieß? Gewiß nicht dieß, daß die körperliche Geschlechtssympathie der Grund der Begeisterung sey, sondern nur so viel, daß jene sehr leicht von dieser mit aufgereitzt werden könne!

Ich habe es bereits ausgeführt, daß der schwärmerische Aneignungstrieb der Geister zur Geschlechtssympathie der Seele gehöre, und daß der Zustand der Besessenheit und des Strebens nach Selbstverwandlung viele Symptome mit der Lüsternheit und dem erregten unnennbaren Triebe des Körpers, so wohl seiner Entstehungs- als Wirkungsart nach, gemein habe. Nichts ist begreiflicher, als daß sich dieser Aufruhr der Seele dem Körper leicht mittheile. Wird nun gar das Bild, welches unsre Seele beherrscht, unter materiellen Formen gedacht, besonders unter solchen, die zu den zärteren Schönheiten gehören; so ist es sehr möglich, daß Menschen von reitzbaren Nerven die gröbsten Symptome des unnennbaren Triebes an sich wahrnehmen, diese nach dem unkörperlichen Wesen, das sie begeistert, hingerichtet fühlen, oder sich wohl gar mit einer wirklich gelungenen körperlichen Vereinigung täuschen können. Dieß mag der Fall bey manchem schwärmerischen Religiosen, bey mancher exstatischen Nonne gewesen seyn, die sich die Bilder der heiligen Jungfrau, der göttlichen Liebe, des himmlischen Bräutigams, der Schutzengel, u. s. w. unter den reitzenden Formen gedacht haben, welche ihnen die Kunst von diesen Personen und personificierten Wesen in ihrer Kirche aufstellte. Beweisen doch sogar die Hexenprozesse, wie die erhitzte Phantasie alter Buhlerinnen die letzten Funken schlecht erloschener Begierden für Wesen, unter den häßlichsten Formen gedacht, zu hellen Flammen hat anzünden, und sie mit Bildern körperlich gelungener Vereinigung hintergehen können.

Aber diese zufällige, und mittelbare Aufreitzung der körperlichen Geschlechtssympathie mag mit nichten als unbedingter Grund, oder als unbedingte Folge jeder Begeisterung, sollte diese auch bis zur Besessenheit fortschreiten, angesehen werden.

Die Böhme, die Swedenborg, die Spangenberg, so mancher andere grübelnde Schwärmer, die sich mit Gott und Christo vereinigt, alles in ihnen zu seyn wähnten, – diese Personen haben ihre Niederwürfigkeit gegen das vollkommenste Wesen als die größten aller Sünder, aber zugleich ihre Annäherung zu ihnen als auserwählte Gnadenkinder gefühlt; – sie haben der Geschlechtssympathie der Seelen gehuldigt. Allein, daß körperliche Geschlechtssympathie mitgewirkt habe, ist nicht allein völlig unerwiesen, sondern auch, nach ihrem ganzen Charakter zu urtheilen, höchst unwahrscheinlich.

Die Bilder, unter denen sich diese Personen die immaterielle Schönheit und Vollkommenheit dachten, haben viel Spielendes und Kindisches an sich; aber sie sind gar nicht von der Art, um durch ihre Formen Ueppigkeit oder Lüsternheit zu erregen. Z. B. Die Form des Dreyecks, oder der Strom des Lebens, das Lamm Gottes, u. s. w. Gesetzt aber, daß die körperliche Geschlechtssympathie bey so ungünstigen Veranlassungen mitgewirkt haben sollte; so scheint sie doch keinesweges gröbere Symptome bey ihnen hervorgebracht zu haben.

Es giebt andere Arten von Begeisterungen, fürs Vaterland, für Gegenstände der Ruhm - und Habsucht, wobey der Körper gar keine Rolle zu spielen scheint. Wenigstens wüßte ich nicht, wie man dergleichen bey so manchen Schwärmern annehmen dürfte, denen Hochmuth, metaphysische Grübeley, Mysticismus, Rosenkreuzerey, und so weiter, den Kopf verdreht haben.

Alles kommt daher auf den geistigen Gegenstand an, der uns begeistert, auf dessen Fähigkeit, uns leicht unter Formen zu erscheinen, welche die körperliche Geschlechtssympathie aufreitzen mögen; auf die ursprüngliche Anlage unserer Organisation, und die günstigen Umstände zur höheren Regsamkeit unserer körperlichen Geschlechtsbegierden. Unbedingt sind diese nicht mit der Begeisterung und Besessenheit für immaterielle Gegenstände verknüpft, weder als nächster Grund, noch als nothwendige Folge.

Inzwischen erhellet bereits aus diesen Bemerkungen die Pflicht zur äußersten Behutsamkeit bey der Beurtheilung, ob ein begeistertes Verhältniß für einen Gegenstand, welcher dem kalten Zuschauer als immateriell erscheint, oder den der Begeisterte wohl selbst dafür hält, dennoch die körperliche Geschlechtssympathie nicht mit ins Interesse ziehe. Die Möglichkeit, daß der Aufruhr der Seele den Körper in einen ähnlichen verwickele, bleibt bey jeder Begeisterung, bey jeder üppigen oder lüsternen Spannung der Seele. Sie wird zur Wahrscheinlichkeit, wenn die Formen des Gegenstandes, den wir als immateriell betrachten, der aber die Hülle eines Körpers in der Natur, oder im Bilde unserer Phantasie an sich trägt, auf irgend eine Art die Geschlechtssympathie unsers Körpers unmittelbar reitzen können. Wenn sich daher gar zwey liebende Personen für ihre wechselseitigen Geistesvorzüge begeistern, und in ihrem Körperlichen verschiedene Geschlechtsanlagen zeigen, so ist es mehr als wahrscheinlich, daß der Körper mit ins Interesse gezogen sey. Es wird nur der günstigen Gelegenheit bedürfen, wo die Körper in engere Verbindung gerathen, oder die Imagination das Bild des körperlichen Genusses auffaßt, um sie über das Daseyn der gereitzten körperlichen Geschlechtssympathie durch unzweydeutige Symptome aufzuklären.

Umsonst beruft sich daher der Begeisterte zum Beweise des rein geistigen Genusses, den er von der Seele des Geliebten zu nehmen wähnt, auf die Abwesenheit deutlicher Regungen des unnennbaren Triebes; umsonst auf den Mangel aller üppigen Reitze an dem Körper des Geliebten! Die Geschlechtssympathie des Körpers hat ihre Grade: der reitzende Gegenstand, der sie erweckt, liegt nicht in dem Gegenstande außer ihm, er liegt in dem Aufruhre seiner Seele, die so genau mit seinem Körper verbunden ist. Unterdessen verbreitet sich das elektrische Feuer im Geheimen in unsern Adern, zieht Körper an Körper an, und es bedarf nur der Berührung, um Blitz und Schlag erfolgen zu sehen.

Woher kommt es, daß die häßlichsten Schwätzer für Weiber von ziemlich roher Empfindung oft die gefährlichsten Verführer werden? Woher kommt es, daß Weiber von Talenten, deren Formen aber den Sinnen eher zu widerstehen, als diese zu erregen scheinen, dennoch bey Männern die lebhaftesten körperlichen Begierden erwecken können? Daher kommt es, daß die gereitzte Geschlechtssympathie der Seele die Geschlechtssympathie des Körpers so leicht mit in Aufruhr versetzt.

Merkwürdig bleibt es dabey, daß die vollständige Befriedigung des unnennbaren Triebes so leicht die Begeisterung und die Besessenheit zerstört und aufhebt. Man könnte daraus schließen, daß bey beyden nur eine Kraft thätig sey, und daß allein die Hemmung derselben auf dem Körperwege die Seele in Aufruhr setze. Begeisterung, Besessenheit, könnte man glauben, wären also bloß unnatürliche Wirkungsarten der körperlichen Bildungskraft, welche sich im natürlichen Zustande durch den unnennbaren Trieb äußern.

Es läßt sich für diese Meinung noch Mehreres nicht ohne Anschein anführen. Denn es ist gewiß, daß Menschen, welche dem unnennbaren Triebe freyen Lauf lassen, eben nicht in Gefahr gerathen, in den Zustand, der Begeisterung oder der Besessenheit zu kommen. Es ist wahr, daß alle Gaukler, welche den unaufgeklärten Menschen durch Erscheinungen von Geistern zu täuschen suchen, dazu ausschweifende Personen auswählen, und diesen die strengste Enthaltsamkeit von dem unnennbaren Genuß auflegen. Es ist wahr, daß nichts die Schwärmerey so sehr befördert, als die Hemmung starker Begierden nach Körpervereinigung, und die Geschichte vieler Verliebten, Mönche und Religiosen, deren Kopf durch Liebe zu wirklichen Personen oder personificierten Wesen verrückt wurde, beweiset, daß heißes Blut, verbunden mit der Unmöglichkeit, es auf die natürliche Weise abzukühlen, der Grund ihrer Verrückung geworden ist. Es ist endlich nicht zu läugnen, daß veraltete Buhlerinnen, reuige Wüstlinge, aus Verzweiflung oder aus Ueberdruß, die Freuden der Körperwelt mit denen des Reichs der Geister vertauscht haben.

Allein, genau erwogen, scheinen mir alle diese Gründe zwar den genauen Zusammenhang des schwärmerischen Aneignungstriebes der Seele und des unnennbaren Körpertriebes, ingleichen der Kräfte, die bey beyden zum Grunde liegen, nicht aber ihre Identität zu beweisen. Beyde Kräfte sind unstreitig Arten einer und derselben Hauptkraft, oder eines Hauptvermögens unsers Wesens, nehmlich der Geschlechtssympathie. Sie können beyde neben einander gedacht, und es kann demnach angenommen werden, daß wenn eine von beyden in unverhältnißmäßige Wirksamkeit gegen die andere gebracht wird, die zurückgesetzte dadurch in ihren Aeußerungen gehemmt; daß hingegen, wenn die eine der andern nur übergeordnet wird, diese durch Mitwirkung der andern ungewöhnlich verstärkt werde.

Wäre in beyden Fällen nur eine Kraft geschäftig, die zuweilen durch eine unnatürliche Wirkungsart verschiedene Aeußerungen hervorbrächte; so müßten wir eine glühende Phantasie nie bey starken körperlichen Begierden und ihrer ausgelassenen Befriedigung antreffen können. Die Erfahrung müßte uns lehren, daß jeder Mensch, der den unnennbaren Trieb in einem großen Grade von Stärke empfände, sobald dieser gehemmt würde, in Begeisterung geriethe; umgekehrt, daß seine Begeisterung jedesmahl endigen werde, wenn er dem unnennbaren Triebe freyen Lauf ließe. Hierüber läßt sich aber keine einförmige Erfahrung annehmen. Ich habe Menschen gekannt, die zu gleicher Zeit dem Anfall der stärksten Begierden, und dem Zustande der Besessenheit ausgesetzt waren. Dieß beweißt auch die Geschichte so vieler Heiligen, die während ihrer Schwärmerey zugleich gegen die Anfälle des Fleisches und Blutes zu kämpfen hatten. Es ist mir mehr als ein Fall vorgekommen, worin Menschen, in Ansehung des unnennbaren Triebes ihre völlige Befriedigung erhalten hatten, und dennoch, weil der schlaue Gegenstand ihrer Leidenschaft ihren Geist in starker Spannung zu erhalten wußte, in völliger Besessenheit erhalten wurden. Wie viele verblendete Ehemänner befinden sich nicht in dieser Lage gegen ihre koquetten Weiber! Ich habe Menschen gekannt, die bey der feurigsten Imagination, selbst in Zeiten, worin diese abgespannt war, wenig von körperlichen Trieben zu leiden hatten; und endlich berufe ich mich dreist darauf, daß man den größten Haufen unter den Wüstlingen und ausschweifenden Weibern zur Enthaltsamkeit zwingen könne, ohne daß sie darum in Begeisterung gerathen werden.

Ich glaube hierdurch das Gewagte in den Behauptungen derjenigen gezeigt zu haben, welche vorgaben, daß die Inbrunst der Schwärmer von ihnen mehr oder minder in denjenigen Theilen gefühlt werde, in die schon Plato den Sitz des Begehrens setzt, daß an allen Schwärmereyen der Körper mehr Theil als die Seele habe; und daß bey aller Begeisterung und Besessenheit Begierden nach körperlicher Vereinigung zum Grunde lägen. Beydes wird zwar oft zusammen angetroffen, aber es steht in keiner unbedingten Vereinigung und Abhängigkeit von einander, und wenn es zusammengeht, so scheint der Fall viel häufiger zu seyn, daß die Lüsternheit der Seele den Körper mit einer ähnlichen ansteckt, als daß die Lüsternheit des Körpers einen ähnlichen Aufruhr in der Seele erwecken.

Vierter Excurs.
Werth des heißen Bluts für das Gefühl der Liebe, des Vollkommenen, des Edeln und des Schönen.

Man kann sittlich gebildete Frauenzimmer nicht stärker beleidigen, als wenn man ihnen ein heißes Blut, (das heißt in der Sprache des gemeinen Lebens, eine ungewöhnliche Anlage zur körperlichen Geschlechtssympathie,) Schuld giebt; man kann ihnen nicht stärker schmeicheln, als wenn man ihnen viel liebende Anlagen und viel Schönheitssinn zuschreibt. Demungeachtet behauptet man sehr oft, daß Wollüstlinge und Buhlerinnen die meiste Gutherzigkeit und den stärksten Sinn für das Edle und Schöne besitzen. Man will bemerkt haben, daß sie nach dem Verlust aller Schamhaftigkeit den geselligen Tugenden der Offenheit, der Zuverlässigkeit und des thätigen Mitleidens treu bleiben. Man sieht es als eine sichere Erfahrung an, daß die größten Künstler, die größten Helden, die ausschweifendsten Menschen gewesen sind, und schließt daraus, das heißes Blut die Anlage zum liebenden Herzen, und zum Sinn des Schönen, des Edeln und des Vollkommnen sey. Die Sache verdient allerdings eine nähere Beleuchtung.

Es ist gewiß, daß die körperliche Geschlechtssympathie der Regel nach keine zerstörende und ausschließende Triebe hervorbringt. Ihr Genuß dient nicht schlechterdings und unmittelbar zur nothdürftigen Erhaltung unsers Lebens, trägt also den Charakter der Wollust, die schon etwas Aehnliches mit der Wonne der Liebe hat, an sich. Sie wird am vollständigsten in der Verbindung mit andern Geschöpfen unserer Gattung befriedigt, deren Mitgenuß den unsrigen nicht hemmt, vielmehr unmittelbar vermehrt, und uns sogar das angenehme, für die Eitelkeit so wichtige Gefühl einflößt, daß wir andern körperlich eben so viel werth sind, als sie uns. Natürlich entstehen dadurch Ideen von Theilnehmung an anderer Freude, selbst bey den rohesten Menschen. Der Trieb nach Häuslichkeit, nach wechselseitiger Unterhaltung, nach Befriedigung üppiger Eitelkeit, und nach dem Stolz auf den Besitz der Person, kurz, die Geschlechtssympathie der Seele, tritt leicht hinzu, und alles dieß, ohne die Liebe selbst zu seyn, bereitet doch unser Herz dazu vor, für das Glück anderer Menschen empfindlich zu werden, und mit Wonne darnach zu streben.

Es läßt sich nicht läugnen, daß eine höhere Reitzbarkeit unserer ganzen Organisation mit der stärkeren Anlage zur körperlichen Geschlechtssympathie verbunden sey. Denn nicht die Stärke der Constitution, sondern die höhere Reitzbarkeit der Nerven und der übrigen Empfindungswerkzeuge giebt den mittäglichen Völkern, und oft den Menschen von schwächerem Körperbaue unter den nördlichen, die heftigeren Begierden. Nun steht mit der Empfindlichkeit der äußern Organe die der innern in dem genauesten Verhältnisse, und so läßt es sich erklären, wie der Mensch, der den Anfällen der Geschlechtssympathie am meisten ausgesetzt ist, den Eindruck des Vollkommenen, Edeln und Schönen feiner und stärker empfinden könne, als ein anderer. Dazu kommt, daß die Einbildungskraft und die Phantasie mit den Kräften, welche bey der Geschlechtssympathie des Körpers wirksam sind, in einem ziemlich genauen Consense stehen; und so wird es um so mehr erklärbar, wie der höchste Reitz des Körpers auch zugleich die Bilder der Seele erhöhen und uns annähern könne.

Ich nehme es daher gern als gewiß an, daß ein stärkeres Maß von körperlicher Geschlechtssympathie, das heiße Blut, den liebenden Affekten, so wie dem Sinn des Schönen, Edeln und Vollkommenen zuträglich seyn könne. Schon Claudian hat die Bemerkung gemacht, daß Verschnittene gemeiniglich den eigennützigsten Charakter zeigen; [35] und meine eigene Erfahrung überzeugt mich, daß sie voller Neid und Eitelkeit sind. Ich läugne ferner nicht, daß galante Weiber viele Anlagen haben, schwärmerische Anhängerinnen an Vollkommenheit zu werden, und daß Liebhaber des physisch und immateriellen Schönen ohne große Disposition zur Ueppigkeit und Lüsternheit selten gefunden werden dürften.

Demungeachtet ist beydes keinesweges in dem Verhältnisse unmittelbarer Ursach zur Wirkung[WS 22] mit einander verbunden, und die Art der Befriedigung der körperlichen Geschlechtssympathie kann sehr oft die Anlage zu liebenden Affekten, und zum Sinn des Vollkommenen, Edeln und Schönen ganz zerstören.

Das heiße Blut führt, wie gesagt, auf eine hohe Anlage zur Reitzbarkeit überhaupt zurück. Eben so gut als diese zur feineren und stärkeren Empfindung der Wonne, der Liebe und der Beschauung hingeleitet werden kann, eben so gut kann sich die Selbstheit derselben bemeistern. Und dieß ist gewiß alsdann der Fall, wenn wir die körperliche Geschlechtssympathie, und besonders den unnennbaren Trieb, als eine bloß körperliche Wollust, oder gar als ein körperliches Bedürfniß betrachten, und als solche zu befriedigen streben. Liebe läßt sich ohne Vorstellung von etwas Immateriellen nicht denken. Liebe ist eine Reitzung für die Seele; denn sie ist das Streben nach der Ueberzeugung von dem Glück eines andern. Wer sich also die Befriedigung der Geschlechtssympathie bloß als eine körperliche Wollust, als ein begünstigtes körperliches Bedürfniß denkt, muß sehr leicht die Person des andern, in deren Gesellschaft ihm beydes gelingt, bloß als ein Mittel ansehen, ein eigennütziges Wohl für sich herbeyzuführen, auf welches er zwar einen Werth, aber nur in so fern legt, als er das Mittel nutzen kann.

Sind wir nun erst dahin gekommen, bey der auffallendsten und so leicht zur Liebe einladenden Verbindung mit andern Menschen unser einseitiges körperliches Vergnügen zu bezielen; so wird diese Selbstheit bey allen entfernteren Verhältnissen mit andern Menschen noch weit mehr die Leiterin unserer Gesinnungen und Handlungen seyn. Wir ziehen uns dann ganz von andern Menschen ab, wir concentrieren uns ganz in uns selbst: und wenn noch etwas in uns übrig bleiben sollte, das einem Herzen von fern ähnelte, so wäre es der Leichtsinn, mit dem wir, gleich unempfindlich gegen den Haß und die Liebe anderer, ihre Achtung und Beleidigungen mit Gleichgültigkeit ansehen. Dieß ist gewiß der Fall in allen großen Städten, wo die Sitten sehr verdorben sind, und eine völlige Schamlosigkeit in dem Genusse der körperlichen Geschlechtssympathie zum allgemeinen Tone geworden ist. Dieß ist gewiß der Fall bey der größten Classe von Buhlerinnen und Wüstlingen, und jenen so genannten Philosophen unter beyden Geschlechtern, welche die Befriedigung des unnennbaren Triebes wie die eines bloß körperlichen Appetits ansehen. Einzelne Ausnahmen, die man uns von der Gutherzigkeit und den Aufopferungen öffentlicher Freudenmädchen und ausschweifender Männer entgegenstellt, beweisen nichts. Man kann weder über den Grad ihrer Sittenlosigkeit zuverlässig urtheilen, noch genau bestimmen, ob nicht Eitelkeit, oder eine vorübergehende Aufwallung von Mitleid der Grund von Handlungen gewesen sey, welche zwar in ihren Folgen liebenden Gesinnungen ähnelten, aber für ihr wirkliches Daseyn nichts beweisen.

Wehe aber, wenn nun gar das heiße Blut dem Hochmuth und der Habsucht untergeordnet wird, und beyde zusammen befriedigt werden sollen! Denkt an jene Tartüffen und Prüden! denkt an manche Fürstin, welche die Befriedigung zügelloser Begierden mit dem Zwange der Etiquette zu vereinigen sucht! Da ihre Lage sich dauernden und zärtlichen Verbindungen mit dem andern Geschlechte gemeiniglich ganz widersetzt; so suchen sie nur diejenigen Freuden bey dem Manne auf, die der Augenblick ohne Aufsehn und weitere Folgen darbietet. Die Heftigkeit ihrer Begierden wird durch die Hindernisse, die sie finden, noch vermehrt; sie verwandelt sich in eine Wuth, die sie ganz auf Kosten des begehrten Gegenstandes befriedigen. Mehr als Einmahl hat das unglückliche Werkzeug ihrer einseitigen thierischen Freuden mit seinem Leben und mit seinem Glück die Spuren ihrer Schande bedecken müssen.

Eben so wenig beweiset das Daseyn des heißen Bluts unbedingt für die Anlage zum Gefühl des Vollkommenen, Edeln und Schönen. Bey einer schamlosen und sogar nur häufigen Befriedigung des unnennbaren Triebes geht die höhere Reitzbarkeit der Seelenkräfte überhaupt, so wie besonders der Phantasie, leicht verloren. Man darf sich hier nicht auf Wollüstlinge berufen, welche gern außerordentliche Dinge sehen und glauben. Dieß sind eigentlich keine Begeisterte und Schwärmer. Sie sehen nur schlecht was man ihnen zeigt, und lassen sich gern berücken. Dennoch sind alle Betrüger, welche übernatürliche Erscheinungen hervorzubringen suchen, so sehr bemüht, den Leichtgläubigen, welche sie täuschen wollen, Enthaltsamkeit auf einige Zeit vor der versprochenen Erscheinung zur Pflicht zu machen. Offenbar in keiner andern Absicht, als um den Geist dieser Schwachköpfe fähiger zu machen, nach dem Außerordentlichen und Seltenen zu streben, und sich die Bilder, die ihnen gezeigt werden, lebhafter darzustellen. Wahre Schwärmer, besonders für Vollkommenheit, wird man selten unter ausschweifenden Menschen finden; gemeiniglich sind es solche, die bey einer großen Reitzbarkeit der Organisation, – deren Folge gemeiniglich das heiße Blut ist, – den unnennbaren Trieb bezwungen oder willkührlich in seiner Wirksamkeit hemmen, und dadurch die Reitzbarkeit der Seele erhöhen.

Der Sinn für Schönheit, es sey der intellektuellen oder physischen Form, geht bey schamloser Befriedigung der körperlichen Geschlechtssympathie gleichfalls leicht verloren. Aehnlich den Trunkenbolden, deren Gaumen am Ende von guten und schlechten Getränken auf gleiche Art gereitzt wird, kommt auch der Schamlose sehr leicht dahin, das Gefällige und Ungefällige gleich anziehend zu finden, wenn es nur die gröbsten[WS 23] Triebe zu erwecken im Stande ist. Es ist eben so traurig als widerlich anzusehen, wie eine lascive Imagination oft durch die entferntesten, schmutzigsten und ekelhaftesten Veranlassungen in förmliche Wuth der Begierden ausbricht.

Wenn man sich dagegen auf Künstler beruft, die bey wahrer Liederlichkeit einen feinen und starken Sinn für das Schöne gehabt haben, so wird zuerst das Talent der Ausführung und Nachahmung sehr oft mit dem Sinne des Schönen, mit der Schöpfungsgabe und mit Geschmack verwechselt, wie dieß bey so manchem Niederländischen Künstler der Fall ist. Wo aber auch beydes zusammen gegangen ist, da muß erwogen werden, daß sich der Beschauungshang und die Schöpfungsgabe des Schönen lange vorher entwickelt, lange vorher in der Seele des Künstlers gegründet hatten, ehe der Hang zur Ausschweifung herrschend wurde. Dieß war der Fall bey Raphael, Guido und andern. Hier konnte der Sinn des Schönen durch den Mißbrauch der körperlichen Geschlechtssympathie nicht mehr zerstört werden.

Aus allem diesen folgt so viel, daß das heiße Blut, als die größere Anlage zur körperlichen Geschlechtssympathie betrachtet, bloß eine begleitende Folge der höheren Reitzbarkeit unserer Organisation sey; daß diese Reitzbarkeit die liebende Disposition unsers Wesens, das Herz, und die Disposition zum Gefühl des Vollkommnen Edeln und Schönen, den Beschauungshang befördere, daß sie aber, wenn der körperlichen Geschlechtssympathie auf eine eigennützige Art, und ohne Mitwirkung der Seele gehuldigt wird, beyden sehr gefährlich werden könne. Man darf daher dreist sagen, daß manche Personen kalte Herzen und kalte Phantasie bey heißem Blute haben; und dieß um so mehr, da sehr oft die heftigen Begierden, besonders nach Befriedigung des unnennbaren Triebes, Folgen der Angewöhnung zu einer gewissen Art von körperlicher Reitzung zu seyn, und nicht einmahl von angeborner stärkerer Maße körperlicher Geschlechtssympathie herzurühren pflegen. Es ist eine gewisse Erfahrung, so sonderbar sie auch klingt, daß der unnennbare Trieb oft ohne wahre Lüsternheit, bloß als Bedürfniß sich gewaltsam meldet. Es giebt daher viele Menschen, die bey einem unwiderstehlichen Hange zu Ausschweifungen von aller liebenden Empfindung, und von aller Imagination entblößt sind, so sehr auch in andern Fällen das heiße Blut, vorzüglich wenn es angeboren ist, und von Herz und Beschauungshang geleitet wird, beyde unterstützen mag.


Fünfter Excurs.
Werth der Geschlechtssympathie der Seele und besonders des schwärmerischen Aneignungstriebes der Geister für Liebe und Beschauungswonne am Vollkommnen, Edeln und Schönen.

Es ist beynahe unbegreiflich, es giebt Menschen, es giebt ganze Nationen, die sich sehr leicht für alles Neue, Seltene, Außerordentliche begeistern, sich mit Schwärmerey gewisse Bilder von erträumter Vollkommenheit aneignen, und dabey von allen liebenden Empfindungen, ja von allem Begriff des wahrhaft Vollkommenen, und von allem wahren Geschmack entblößt zu seyn scheinen. Schreckliche Egoisten, jämmerliche Schöpfer in den Künsten bey der glühendsten Phantasie! Woher das? Warum das?

Daher, darum, weil die Geschlechtssympathie der Seele nichts für Liebe, Vollkommenheits- und Edelsinn und den Sinn des Schönen beweiset.

Liebe ist allemahl wonnevolles Streben nach der Ueberzeugung, daß ein anderer sich glücklich fühle. Es kann also zuerst die Ueppigkeit der Seele, als der unterste Grad ihrer Geschlechtssympathie, jener Trieb nach Häuslichkeit, nach Befriedigung der Eitelkeit, nach Stolz auf den Besitz der Person, u. s. w. erregt seyn, ohne Liebe zu erwecken. Der Mensch, dessen Seele wir aus solchen Gründen uns anzueignen streben, wird bloß als ein Mittel betrachtet, uns diese Art von Genuß zu bereiten; mithin genießen wir ganz eigennützig und unbekümmert um sein Wohl, die Gewährung unsers Häuslichkeitstriebes, unserer Eitelkeit, unsers Stolzes. Darum ist die Galanterie vielleicht nirgends höher getrieben, als in den südlichen Theilen von Europa, und nirgends weniger Liebe anzutreffen gewesen.

Aus eben diesem Grunde kann auch die höhere Stufe der Geschlechtssympathie, die Wirksamkeit des schwärmerischen Aneignungs- und Verwandlungstriebes der Geister nicht für Liebe gelten. Dieß ist oben bereits gezeigt worden. Das Bild in unserer Seele ist keines Bewußtseins seines Glücks fähig: nur das empfindende Wesen, das den Stoff zu dem Bilde hergiebt, kann von uns als selbständig glücklich erkannt werden. Vergessen wir nun über jenem Bilde dieß empfindende Original; so sind wir aller Liebe zu diesem unfähig, so sind wir im Stande, die größten Grausamkeiten gegen das letzte auszuüben, bloß um das erste in seiner phantastischen Consistenz zu erhalten. So verfuhren die Athenienser mit dem Vaterlande und mit der Freyheit. Sic empfanden Wonne an dem Bilde, und mordeten, unterjochten die Mitbürger und ihre wahre Freyheit. Die neuern Franzosen unter Robespierre machten es nicht besser.

Dieser begeisterte Aneignungs- und Selbstverwandlungstrieb ist auch noch weit von Vollkommenheitssinn, Edel- und Schönheitssinn, von Genie und von Geschmack verschieden. Denn jene Triebe setzen weiter nichts zum Voraus, als die Gabe, sich ein gewisses Bild, dem wir einen für uns schätzungswerthen Vorzug, oder eine dunkel empfundene Vollkommenheit beylegen, lebhaft aneignen zu können.

Dieß Bild kann aber, wenn es auf Begriffe von Wahrheit und Zweckmäßigkeit reduciert wird, nichts an sich tragen, was unsern Enthusiasmus rechtfertigt. Ein dunkler Schatten, den wir nur sehr lebhaft auf unsere Lieblingstriebe beziehen, und der uns in einer zur Prüfung unfähigen Minute überrascht, reicht oft hin, unsere Phantasie völlig einzunehmen. Auch brauchen wir dabey unsere schaffende Einbildungskraft in keine große Unkosten zu setzen. Die Bilder können uns ganz fertig geliefert werden. Je weniger klar sie geliefert werden, je weniger sie die Prüfung des Verstandes und der Vernunft aushalten, um desto stärker pflegen sie auf uns zu wirken. Daher die Erfahrung, daß Begeisterte, Schwärmer und Wahnsinnige oft elende Erfinder, geniearme Dichter und Künstler, und geschmacklose Liebhaber des Schönen seyn können.

Demungeachtet enthält die stärkere Anlage zur Geschlechtssympathie der Seele, jene feinere Ueppigkeit, jene höhere Lüsternheit, unstreitig eine sehr glückliche Disposition zu liebenden Affekten, und zu Wonnegefühlen des Vollkommenen, Edeln und Schönen, wenn Herz und richtiger Anschauungssinn damit verbunden sind. Schwerlich wird man sich eine liebende Seele denken können, die nicht hohen Werth auf Häuslichkeit, auf üppige Eitelkeit und Stolz des Besitzes der Person setzt, und nicht zuweilen die geheime Ahndung und den Wunsch fühlt, sich den Geist eines andern ganz aneignen zu können. Schwerlich ist je etwas Edles und Schönes gethan und geschaffen, ohne jene Ueppigkeit der Seele, die sich genau mit der Vorstellung ihres Gegenstandes verbindet, diesen gleichsam häuslich mit sich vereinigt, und sich durch dessen Besitz ausgezeichnet fühlt. Schwerlich sind je hohe Aufopferungen für Vollkommenheit, Adel und Schönheit dargebracht worden ohne Begeisterung, welche diese Anschauungen zum lebhaftesten Bilde der Phantasie hebt; ohne Enthusiasmus, welcher die Eigenschaften dieses Bildes mit dem Lieblingsbilde von unserm Selbst zu vereinigen sucht; endlich ohne jenen schwärmerischen Aneignungs- und Verwandlungstrieb, der sogar den ganzen Geist, das ganze Wesen dieses Bildes in sein Selbstbewußtseyn aufzunehmen strebt.

Das stärkere Maß der Geschlechtssympathie der Seele ist folglich eine glückliche Anlage, der sich die Liebe, der sich der Beschauungshang, zur Beförderung ihrer Triebe mit Vortheil bemeistern können; es kann aber auch eben so gut dem Eigennutz fröhnen müssen. Es befördert oft die Erfindungskraft, das Genie, den Scharfsinn, den Geschmack; aber es ist auch eben so oft der Antheil der Schwachköpfe und der Stümper in allen Fächern.

Neuntes Buch.
Genie, Talent, günstige Verhältnisse zur edeln und schönen Liebe.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Ich habe es schon gesagt, die Liebe kann als eine edlere, gesellige Fertigkeit, als eine schöne Kunst betrachtet werden, deren Werk an der Person erscheint, die sich mit einer andern zärtlich verbindet. Dieß Paar liebender Menschen kann seinem innern Gehalte nach ein ästhetisch schönes Ganze darstellen, und durch beydes das Bild einer absoluten Vollkommenheit erwecken.

Es ist höchster Grundsatz für alle Fertigkeiten und für alle Künste, die für den Beschauungshang arbeiten, Bilder der Vollkommenheit darzustellen, die auf den Geist und auf den Instinkt zugleich wirken, und sogar in der genauesten Uebereinstimmung mit den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft stehen. Solche Werke, solche Schöpfungen sind dann gewiß fähig, bey der Beschauung zu rühren, und das Geschmacksurtheil, das wir darüber fällen, hat mehr Anspruch auf Allgemeingültigkeit, als jedes andere.

Das gegenwärtige und die drey folgenden Bücher dieses Werks sind dazu bestimmt, jenen obersten Grundsatz auf die zärtliche Verbindung zwischen beyden Geschlechtern anzuwenden, und ein Ideal von Vollkommenheit der Liebe darzustellen, das zum Vorbilde ferner Nacheiferung dienen kann.

Ihr, die ihr mich leset, verfehlt nicht den Gesichtspunkt, aus dem ihr mich beurtheilen müßt! Ich bin Lehrer einer Theorie, deren Grundsätze nur bey seltenen Menschen und unter seltenen Verhältnissen ihre Anwendung finden können.

Nie kann ich darauf rechnen, daß die Maxime, die ich vortrage, in ihrem ganzen Umfange werde befolgt werden. Nie kann ich hoffen, daß das Ideal, welches ich aufstelle, in seiner ganzen Höhe werde erreicht werden. Nein, das kann ich nicht, so wenig als der Theorist in irgend einer edleren und schöneren Fertigkeit, von dem Lehrer in den nachbildenden Künsten an, bis zu demjenigen hinauf, der die Grundsätze der vollkommensten Staatskunst oder des höchsten Verdienstes in jeder Tugend vorträgt. Demungeachtet sind ihre Grundsätze und die meinigen nicht unbrauchbar; demungeachtet sind unsere Ideale nicht Chimären.

Allemahl ist die Absicht solcher Theorien dahin gerichtet, ein Ideal aufzustellen, wornach das wirkliche Produkt seltener Menschen an Gesinnungen, Handlungen und Werken beurtheilt werden soll. Jemehr sich das Produkt dem Ideale nähert, um desto mehr erhält es Anspruch auf Vollkommenheit. Dann aber sollen solche Theorien auch Maximen festsetzen, bey deren Kenntniß und Befolgung die Annäherung an Vollkommenheit eher zu erwarten steht, als bey deren Unkunde und Vernachlässigung.

Denkt euch, daß ein Cato, ein Aristides, ein Sülly, ein Richelieu, ein Homer, ein Raphael auftreten, daß sie ihr offenherziges Bekenntniß darüber ablegen könnten, ob sie nach Beendigung einer Situation, worin sich der Adel ihres Geistes entfaltet hat, oder nach Vollendung eines Geschäfts, eines Meisterwerks, wobey sich ihr Genie thätig bewiesen hat, sich nicht immer bewußt geblieben sind, daß, ohne übermenschliche Kräfte und Verhältnisse vorauszusetzen, sie dennoch in ihren Produkten an Gesinnungen, Handlungen und Werken, dem Bilde von Vollkommenheit das in ihrem Kopfe schwebte, näher hätten treten können? Wer kann daran zweifeln! Mangel an Aufmerksamkeit, an Stetigkeit, an Gegenwart des Geistes; Ungleichheiten in der Wirksamkeit derjenigen Kräfte, deren Gebrauch von der Gewalt über uns selbst abhängt, wird sich der edelste, der fähigste, der fertigste Mensch immer vorzuwerfen haben.

Hier geht nun der Aesthetiker von dem bloßen empirischen Critiker ab. Jener stellt das Bild der Vollkommenheit dar, welches jenen großen Genien vorschwebte, und das sie als abhängend von der Willkühr des Menschen geahndet haben. Er entwickelt und stellt es dar, nach Begriffen von demjenigen, was er selbst für möglich hält, wenn die Menschen diejenigen Kräfte, die ihnen zu Gebote stehen, mit anhaltender Aufmerksamkeit anwenden wollten. Der empirische Critiker hingegen sieht die Vollkommenheit nur in demjenigen, was bereits geleistet ist, und spannt seine Forderungen nicht höher, als er weiß, daß sie bereits erfüllt sind.

Ich kann unmöglich diese letzte Verfahrungsart billigen. Sie verführt den Lehrer sehr leicht Unvollkommenheiten und Mängel mit Vorzügen zu verwechseln. Sie ladet den Schüler, vermöge der natürlichen Lässigkeit des menschlichen Geistes ein, sich bereits durch Annäherung an jene mangelhaften Muster für vollkommen zu halten. Gewiß, derjenige, der eine Theorie edler Fertigkeiten und schöner Künste schreibt, muß die Fähigkeiten des Menschen und seine Verhältnisse genau kennen; er muß wissen, was von unserer Willkühr abhängig ist oder nicht; aber nie darf er bloß darauf Rücksicht nehmen, was die bisherigen Erfahrungen als wirklich geschehen liefern. Er muß dem menschlichen Genie das weiteste Ziel vorstecken, was nur in seinen Grenzen liegen kann. Dann wird sich der Aesthetiker noch immer von dem Dichter unterscheiden, der aus der wirklichen Welt völlig herausgeht, und den Menschen, mit idealischen Kräften versehen, unter eben so idealischen Verhältnissen darstellt. Er steht zwischen diesem und dem Moralisten in der Mitte.

Der Moralist setzt gewöhnliche Fähigkeiten, gewöhnliche Verhältnisse zum Voraus: er verlangt von dem Menschen nur diejenige Anwendung des Verstandes und der Vernunft, die jene zulassen, und dieß bestimmt die Regeln die er vorschreibt; er schreibt sie allen vor. Der Aesthetiker rechnet auf seltene Menschen und seltene Verhältnisse; er wendet die Gesetze des Verstandes und der Vernunft nur auf diese an, und bestimmt nur für diese Regeln.

Derjenige, der edel liebt, sagt der Dichter, bewundert in einem schönen Antlitze die glückliche Nachahmung der unkörperlichen Schönheit, das Urbild, nach welchem es gebildet wurde. Edel lieben, sagt der Aesthetiker, heißt dem Geliebten durch Ausbildung seines Sinnes für Vollkommenheit, Adel und Schönheit das dauerndste, sicherste und höchste Gut zuführen, dessen der Mensch hienieden fähig ist. Lieben, sagt der Moralist, heißt das Glück des Geliebten befördern, ohne die Pflichten zu beleidigen, die wir Gott, uns selbst und unsern Mitmenschen schuldig sind. Dieß letzte kann von allen gefordert werden; das mittelste von wenigen; das erste von niemanden.

Die Ideale des Dichters können gar nicht nach den Gesetzen der Wahrheit und Zweckmäßigkeit, wie diese in der wirklichen Welt anwendbar sind, geprüft werden; sein Gebiet und sein Gerichtshof liegen innerhalb den Grenzen der Imagination. Die Ideale des Aesthetikers dürfen mit den Gesetzen der Wahrheit und der Zweckmäßigkeit, wie sie in der wirklichen Welt zur Anwendung kommen, nicht im Widerspruche stehen; nur muß diese wirkliche Welt auf den Haufen seltener Menschen, unter nicht gewöhnlichen Verhältnissen, eingeschränkt werden. Seine Grundsätze, seine Vorbilder können dann auch dem Moralisten in die Hände arbeiten, und dem gewöhnlichen Menschen nützlich werden. Beyde nehmen Verstandes- und Vernunftmäßigkeit zum Leitfaden an. Jener sucht sie nur in ihrer höchsten Vollständigkeit und Vortrefflichkeit zu erreichen; dieser läßt sich an Befriedigung der Nothdurft genügen. Inzwischen ist niemand, der sittliches Gefühl hat, gegen die Wonne an Vollkommenheit gefühllos. Er ahndet sie anfänglich unter dunkeln Bildern, bald klären sich diese Bilder mehr vor ihm auf, der Trieb nach Veredlung und Verschönerung erwacht, und wenn es ihm beym Mangel an Fähigkeiten, und unter ungünstigen Verhältnissen gleich nicht vergönnt seyn sollte, ein edles und schönes Ganze hervorzubringen, so wird er doch einzelne Theile an sich und seinen Werken zu erhöhen und zu schmücken wissen.


Ich werde jetzt vorläufig zu zeigen suchen, welche Fähigkeiten bey dem Menschen, der sich zur Vollkommenheit in der Geschlechtsliebe zu heben sucht, vorausgesetzt werden müssen. Der Mann ist derjenige, der zuerst nach Vereinigung strebt. Von ihm ist zuerst die Rede. Da aber seine liebende Person nicht gedacht werden kann, ohne in Verbindung mit demjenigen Menschen von verschiedenem Geschlechte, mit dem er seine Natur, oder gar sein Wesen zusammenzusetzen strebt; so muß zugleich von der Wahl des geliebten Weibes geredet werden.

Endlich werde ich noch die Umstände berühren, unter denen man sich die liebende Person als handelnd denken muß; die Scene, wo sie am vortheilhaftesten auftritt.


Zweytes Kapitel.
Die erste Anlage zur edeln und schönen Liebe ist ein Herz in allen Bedeutungen.

Ist dein Wesen reitzbar, reitzbar besonders zur Wonne, so hast du schon eine Anlage zur Liebe. Derjenige, den nicht leicht etwas rührt, oder der nur durch die Befriedigung eines Bedürfnisses zur Lust des Genügens gereitzt werden mag, der ist unfähig zu lieben.

Fühlst du leicht Mitleiden mit anderer Unglück, magst du gern mit andern Menschen zusammen seyn, verträgst du dich gern mit ihnen, unterhälst dich gern mit ihren Freunden, eignest dir leicht ihren Frohsinn an, so hast du Sympathie! Ohne diese kannst du nicht lieben.

Liebst du die Freuden der Häuslichkeit, bist du eitel auf den Beyfall des zärteren Geschlechts, fühlst du Stolz auf den Besitz eines Herzens, bist du fähig dich zu begeistern, nach Aneignung eines fremden Geistes schwärmerisch zu streben; bist du überhaupt der Ueppigkeit und Lüsternheit der Seele und des Körpers sehr ausgesetzt; so hast du Geschlechtssympathie, und mit ihr eine Anlage mehr, um zu liehen.

Aber wie wenig Anspruch geben dir diese Eigenschaftten auf den Charakter einer wahrhaft liebenden Seele!

Du, der du stolz sagst: ich bin der liebendste der Menschen, komm her, und höre, was die liebende Seele thut.

Sie handelt nicht, sie treibt keinen Tausch mit Wohlwollen und Gutthaten. Ihre höchste Belohnung ist das Bewußtseyn zu beglücken. Sie erwartet keine Wiedergabe von Gefälligkeiten um gefällig zu seyn. Sie mißt nicht die Schritte ab, mit denen sie dem Menschen entgegengeht. Vernachlässigt, betrogen von einzelnen Menschen, wird sie nicht aufgefordert, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Verkannt, sucht sie in ihrem Betragen zuerst die Ursach davon auf. Hört sie einen andern neben sich loben, so freuet sie sich des lobenswürdigen Menschen, zürnt nur auf sich selbst, dem Gepriesenen nicht gleich zu seyn, und verdoppelt ihre Bemühungen, es zu werden. Jede Ahndung von dem, was anderer Wohl bereiten kann, ist für sie Gesetz; sie verbindet, ohne daß man es erwartet, und bereitet Genuß, ohne zum Dank zu verpflichten. Bey Zwisten will die liebende Seele gern das Unrecht auf sich nehmen, welches sie wieder gut machen kann; sie sucht die Verständigung mit dem Beleidiger nicht auf, um ihn seines Unrechts zu überführen, sondern um ihn minder schuldlos zu finden. Wenn sie belehrt, wie weiß sie dem Belehrten das Gefühl ihrer Superiorität zu ersparen! Wenn sie bestrafen muß, wie weiß sie den Bestraften durch das Gefühl, daß sein Wohl es erheischt, zu schonen! O du! der du über ungerechte Verkennung deines Herzens klagst, frage dich erst, ob du dich dem Ideale eines solchen Charakters von fern gleich stellen darfst, zu dem die Möglichkeit gewiß in eines jeden Gefühle, und ein annäherndes Vorbild in dem Erfahrungskreise eines jeden Menschen liegt.

Fühlst du nun solche Anlagen in dir, so macht deine einzelne Person ein edles und schönes menschenliebendes Ganze aus. Willst du aber, daß dein Wesen in der Vereinigung mit einem andern bestimmten Menschen, als eine zusammengesetzte, gepaarte Person, ein schönes und edles Ganze ausmachen solle; so mußt du auch Anlagen zur Zärtlichkeit haben. Du mußt dich stark und dauernd an die einzelne Person hängen können; du mußt ein Herz haben, im engsten Sinne des Worts.

Ich habe im ersten Theil dieses Werks gesagt, daß die stärkste Anhänglichkeit oft nichts für allgemeine Menschenliebe beweiset. Und das ist wahr! Aber wenn diese Anhänglichkeit zärtlich ist, so ist die Anlage an der Beförderung des fremden Glücks Wonne zu empfinden, vorhanden, und diese wird dann leicht weiter ausgebildet. Ich habe Menschen gekannt, bey denen jene allgemeine Menschenliebe ursprünglich wenig rege war, die aber von früher Jugend an das Bedürfniß fühlten, sich zärtlich an die einzelne Person zu hängen. Sie empfanden es in Jahren, worin andere an Spielen und rauschenden Vergnügungen Gefallen tragen. Sie empfanden es in Jahren, worin andere nur Ruhe und Bequemlichkeit suchen. Ihr Herz, gewohnt sich für den einzelnen Menschen aufzuopfern, sein Wohl über das ihrige zu setzen, dehnte sich nach und nach über mehrere aus. Allgemeine Menschenliebe trat der Zärtlichkeit zur Seite, trat zuletzt an ihre Stelle, und hielt sie für die Versagung, welche die erste erfuhr, einigermaßen schadlos.


Drittes Kapitel.
Die zweyte Forderung ist ästhetischer Sinn.

Unter denjenigen, welche sehen, giebt es dennoch viele, denen die Wollust des Anblicks fremd ist. Sie wissen wenig von der angenehmen Reitzung, welche die Gestalt, die Farben, die Lichter auf die Sehnerven hervorbringen. Ihre Nerven sind, wie ein berühmter Arzt sagt, wie Stricke. Gemeiniglich steht mit dieser Grobheit ihres äußern Sehorgans die Beschaffenheit ihres innern Anschauungssinnes in dem genauesten Verhältnisse. Menschen dieser Art haben nicht einmahl Gefühl für das gemeine Schöne. Alle Bilder, die sich ihnen darstellen, müssen, um ihnen wohlgefällig zu seyn, erst auf etwas Substanzielles an ihnen bezogen werden. Das Licht der Sonne rührt sie, weil es sie erleuchtet und erwärmt; der Glanz des Goldes, weil er sie an Reichthum erinnert. Sie kennen keine Wollust als diejenige, welche der Gaumen oder die Tastungsorgane genießen, und das Auge muß sich erst an die Stelle dieser Organe setzen, wenn sie das Sichtbare angenehm finden sollen.

Inzwischen machen Menschen dieser Art doch nur Ausnahmen aus. Der Sinn für das gemeine Schöne ist ziemlich gewöhnlich. Aber der Sinn für das ästhetisch Schöne ist desto Seltener.

Der Mangel an Interesse für innere Wahrheit und Tüchtigkeit ist unter dem vornehmen und geringen Pöbel sehr gemein, und erstreckt sich auf alle seine Verhältnisse. Ein guter Mensch ist für ihn derjenige, der, uneingedenk seiner wahren Bestimmung, nur unschädlich ist; ein Meisterstück der Kunst ist für ihn jede Erfindung, die ihn unterhält. Diejenigen unter diesem Pöbel, die sich durch Kenntnisse auszeichnen wollen, thun es nur, um ihre Neugier, ihren Stolz, ihren Unterhaltungstrieb zu befriedigen. Die Freude wird ihnen verdorben, wenn die Kenntniß leicht zu erhalten ist, oder wenn ihr Scharfsinn nicht dadurch ausgezeichnet wird. Darum stoßen sie die Mittel zur Aufklärung, die ihnen nahe liegen, von sich, und suchen das Fernliegende auf. Wie kann derjenige, der nicht unmittelbar an der Uebereinstimmung eines Gegenstandes mit den Gesetzen der Vernunft und des Verstandes Gefallen findet; der sich nicht freuet, ein Ding wahr und tüchtig an sich selbst zu finden; der immer erst fragen muß, wozu er es brauchen könne, ehe er sich zum Wohlgefallen daran bestimmt; wie kann ein solcher Mensch, frage ich, diese Verstandes- und Vernunftmäßigkeit sogar im Bilde mit Vergnügen anschauen? Wie kann er an der höheren Ausfüllung dieser Gesetze, an Vollständigkeit, Vortrefflichkeit, Vollkommenheit, Wonne hegen? Wie wird er sogar diese Gesetze auf das bloße Aeußere der Dinge, auf ihre Formen anwenden? Wie wird er sich bis zum Begriff und zum Genuß der Schönheit erheben? Und wie wird endlich sein Geschmack hinreichend geläutert werden können, um nicht das Scheinedle mit dem wahren Edeln, das conventionelle Schöne mit dem allgemeingültigen Schönen zu verwechseln?

Nirgends sind diese Verirrungen leichter, als in der Liebe. Von jeher hat man die absurdesten Anstrengungen, die abenteuerlichsten Aufopferungen, die sinnlosesten Formalitäten, wobey nichts als Stolz und Eitelkeit zum Grunde lag, für edle und schöne Liebe gehalten. Noch jetzt zieht man häufig den Prunk gothischer Galanterie, und die träumende Schwärmerey eines Petrarca der wahrhaft edeln und schönen Liebe eines Socrates vor.

O du, der du edle und schöne Liebe genießen willst, fange früh an, dein Herz und deinen Geschmack zu bilden! Lange, ehe du hoffen darfst, die Liebe in ihrer Vollkommenheit zu erkennen, lerne die sittliche Würde des einzelnen Menschen achten, und die Werke seines Genies und der Natur nach den Gesetzen der Wahrheit und Zweckmäßigkeit prüfen! Laß dich nicht von denjenigen verführen, welche behaupten, die Schönheit könne nicht auf Begriffe zurückgeführt werden. Das kann sie, das muß sie, wenn sie wahren Anspruch darauf haben soll, dir zu gefallen. Freylich, im Augenblicke des Genusses wirst du diese Prüfung nicht anstellen, aber hinterher wirst du deinen Geschmack vor dir selbst rechtfertigen können. Angewöhnt zu einer fertigen Anwendung der Gesetze deines Verstandes und deiner, Vernunft, wirst du bald deinen Beschauungshang dergestalt bilden, daß das Unbestimmte, Unzusammenhängende, Schlechtgeordnete, Unangemessene, selbst im Bilde, dich nicht zur Wonne, sondern zum Widerwillen reitzen wird. Sieh, es giebt wohlerzogene Menschen, deren jungfräulicher Geschmack auch ohne besondere Anleitung zur Kenntniß dieser oder jener schönen Kunst, in jeder das wahre Schöne von dem Häßlichen, was die Mode in Schutz nimmt, unterscheidet! So hängt unser höherer und niederer Anschauungssinn von unserm Verstande und unserer Vernunft ab, wenn wir gleich in dem Augenblicke der Beschauungswonne uns ihrer Leitung nicht bewußt sind. Der Mann von geprüftem Edelsinn, der Mann von gebildetem Geschmack kann nur dasjenige auf die Länge edel und schön finden, was in seinem Innern und Aeußeren mit den Gesetzen der Vernunft und des Verstandes übereinstimmt.


Viertes Kapitel.
Talent und schaffender Genius.

Herz und ästhetischer Sinn sind zureichend, um Adel und Schönheit der Liebe in andern zu empfinden und zu würdigen. Aber um sie an uns selbst zu zeigen, dazu bedarf es eines schaffenden Genius, oder mindestens des Talents.

Talent setzt die Gabe zum Voraus, die Verhältnisse erprobter Erfahrungen zu neuen Aufgaben leicht zu fassen; es setzt Anlagen unserer Kräfte zum Voraus, die Richtung, die wir ihnen haben geben wollen, nach einiger Aufmerksamkeit und Uebung instinktmäßig oder mechanisch zu befolgen: es setzt endlich, wenn es eine höhere Stufe erreicht, Scharfsinn und Erfindungskraft genug zum Voraus, um durch Combinationen der gegebenen Vorschriften mit eigenen Ideen auf neue Ansichten zu gerathen.

Ein Mann von Talent in der edleren und schöneren Liebe wird leicht die Grundsätze auffassen, die in früheren Mustern liegen; er wird sie leicht auf seine Lage anwenden, er wird bald zur Fertigkeit in ihrer Befolgung gelangen, und zuweilen sein Produkt mit Zügen schmücken, die von den frühern Vorbildern nicht entlehnt, sondern in ihrem Geiste gedacht und hervorgebracht sind.

Wer aber schaffenden Genius in seinem Busen trägt, der nimmt aus sich selbst den Begriff und die Grundsätze edler und schöner Liebe; er bedarf keiner Muster, wenig Vorbereitung, wenig Uebung; er stellt sein Produkt als ein neues, vorher unerhörtes Wesen dar, und wenn er der Wahrheit und Zweckmäßigkeit getreu bleibt, so zaubert er Meisterstücke hervor, die dem künftigen Talente wieder zu Mustern der Nachahmung, und zu Quellen ansteckender Begeisterung dienen.

Plato war ein Genie in der Liebe, Petrarca ein Talent.


Fünftes Kapitel.
Energie des Charakters, Festigkeit, Selbständigkeit, Reife des Alters.

Der Mann, der sich auf eine kurze Zeit stark anhängen, sich ganz hingeben kann, aber bald, des Verhältnisses überdrüßig, zu neuen Verbindungen, oder zum Zustande der Gleichgültigkeit hineilt: der Mann, der einer kleinlichen Eitelkeit huldigt, oder in träumenden Schwärmereyen sein Leben hinempfindelt, ein solcher Mann wird nie die Liebe an seiner Person zur Vollkommenheit heben!

Ueberhaupt kann der Mann, von dem es sich voraussetzen läßt, daß er in der engeren Verbindung, der er nachstrebt, die Rolle des Weibes spielen, und sich von der Gattin führen und leiten lassen werde, nie das Gefühl des Adels und der Schönheit durch seine liebende Person erwecken. Es wird ein Mangel an innerm und äußerm Wohlverhältnisse, ein Mangel an Wahrheit und Tüchtigkeit diesem Gefühle stets entgegen stehen.

Der Mann muß Führer, muß Stütze des Weibes seyn: so ist der Begriff ihres Verhältnisses in der Natur, so ist er in unsern bürgerlichen und geselligen Einrichtungen gegründet. Das Frauenzimmer kann nie so vollständig und so vortrefflich Mann seyn, als die Mannsperson, die dem Charakter des stärkeren Geschlechts getreu bleibt. Diese kann nie so vollkommen Weib seyn. Wenn beyde daher ihre Rollen tauschen, so entsteht dadurch ein Mangel an innerm Zusammenhange, an Bestimmtheit und Ordnung. Aber auch der Begriff des Angemessenen, Schicklichen, in Beziehung auf die äußern Verhältnisse, wird dadurch gestört. Das Frauenzimmer, das hier Mann wird, kann der zusammengesetzten Person, dem Paare, nie diejenige Achtung bey der bürgerlichen und örtlichen Gesellschaft sichern, die einen Theil ihrer Würde ausmacht. Die Mannsperson wird verachtet, die sich von dem Mannweibe auf den Schultern tragen läßt; mithin ist es nicht die liebende, die zusammengesetzte Person, die das Interesse auf sich zieht, sondern nur die eine Hälfte derselben, die sich für das Publikum von der andern isoliert.

Es ist kaum zu erwarten, daß der Jüngling diejenige Festigkeit des Charakters besitzen könne, die zur Gründung des männlichen Wesens in der vereinigten Person erfordert wird. Nur der reife Mann scheint wahren Anspruch auf eine Liebe machen zu können, welche die Forderungen der Vollkommenheit ausfüllt.

Mir ist es lächerlich, wenn man Jünglingen, die kaum das Knabenalter verlassen haben, einen Anspruch auf edle Liebe einräumen will. Wenigstens wird dann das Wort in einem sehr laxen Sinne genommen.


Sechstes Kapitel.
Körperliche Schönheit.

Verbindungen zwischen Personen, die dem Körper nach häßlich oder indifferent sind, können sehr achtungswerth, sehr edel, ja, in so fern wir bloß auf den Ausdruck der Seelenvereinigung Rücksicht nehmen, von einer gewissen Seite schön seyn. Aber nie wird man sie als Vollkommenheit einer eben so wohl aus Körpern als Seelen zusammengesetzten Person mit Wonne anschauen können.

Alle Romandichter, die uns vollkommene Liebe dargestellt haben, haben die Liebenden schön von Körper dargestellt, und das mit Recht.

Wir denken uns die liebende Person als ein aus zwey Körpern und aus zwey Seelen zusammengesetztes Ganze. Ist uns dieß gegenwärtig, oder erscheint es uns in einem körperlichen Bilde; wie läßt sich die Aufmerksamkeit allein auf das Geistige der Vereinigung richten? Es ist allemahl ein Mißverständniß zwischen den Theilen, welche das Ganze ausmachen, der eine Mensch mag einzeln, oder die Verbündeten mögen beyde häßlich am Körper seyn. Selbst in dem Falle, wenn die körperlichen Formen beyder Menschen, oder die Formen des einen nur indifferent sind, findet keine Vollkommenheit Statt. Hier genießen wir nur des Vortheils, daß, da unser Sinn für körperliche Schönheit nicht geradezu beleidigt wird, auch unser Sinn für das Geistige weniger in seinem Genusse gestört werde.

Körperliche Schönheit im hohen Grade, selbst an dem Manne, gehört daher zum Ideal vollkommener Liebe. Ein Apollo an der Hand einer Venus; – welch ein Bild! Aber die äußerste Seltenheit einer solchen Erscheinung macht uns schon nachsichtiger, und wir werden bereits zufrieden seyn, wenn der Körper des Mannes nur in einem solchen Wohlverhältnisse zu dem Körper des Weibes steht, daß beyde zusammengestellt, sich als ein schön gruppiertes Paar im liebenden Ausdrucke denken lassen. Die Zärtlichkeit der weiblichen Formen muß durch die Verbindung mit der Stärke der männlichen ohne grellen Kontrast gehoben werden, und diese letzte als ein angemessener Theil der schönen Gruppe erscheinen.

Ein solches Wohlverhältniß wird man da finden, wo der Bau und die Bildung des männlichen Körpers den Ausdruck einer hohen und doch zugleich zärtlichen Seele unterstützt, wo die Größe und das Bestimmte der Formen nicht allein mit dem Begriffe des stärkern Geschlechts übereinstimmen, sondern auch mit der Figur des Weibes, das mit dem Manne zusammengestellt wird, harmonieren: wo endlich die Unvollkommenheiten, die allenfalls der Figur in Ruhe Abbruch thun würden, in der Bewegung, welche liebende Geberden begleiten, verschwinden oder übersehen werden. Körpern dieser Art gestattet man es schon, daß sie der Geliebten gefallen; man denkt sie sich in Verbindung mit dem ihrigen, als anpassende Theile eines schönen Ganzen, wenn sie gleich, einzeln betrachtet, in Ruhe versetzt, und des liebenden Ausdrucks entblößt, für keine Schönheiten gelten könnten. Es sind wohlgruppierende Körper; Körper, die sich an der Seite des weiblichen, und mit ihm verschlungen, wohl ausnehmen, und dem Beschauungshange Wonne gewähren können.


Siebentes Kapitel.
Traurige Folgen der Liebe zu einem unwürdigen Gegenstande.

Ihr, die ihr begabt mit allen Eigenschaften zur edeln und schönen Liebe, alle ihre Süßigkeiten, alle ihre seligen Folgen zu genießen geschickt seyd! Hütet euch, betet, daß Unvorsichtigkeit oder Schicksal euch nicht in die Netze eines unwürdigen Gegenstandes verstricke! Wißt, das Verhältniß, das euch bey glücklicher Wahl zu Göttern heben kann, mag durch ein unglückliches Loos euch zu Teufeln verkehren, oder euch zum Pflanzenleben erniedrigen! Wehe dem, zu dessen Marter ein herrschsüchtiges, gefallsüchtiges Weib die Künste nützt, durch die ein kaltes Herz seine Herrschaft über ein warmes behauptet! Es giebt wenig Frauenzimmer, die nicht empfindlich gegen den Reitz sind, von einem edeln Manne ausschließlich und einzig angebetet zu werden. Es sey der Reitz der Neuheit, es sey bloßer Stolz, es sey wirklich eine Regung des Sinnes für Vollkommenheit, der ihnen die edlere Liebe interessant macht. Genug, sie heucheln entweder die Vorzüge die uns begeistern, oder sie empfinden wirklich auf eine Zeitlang den Trieb edler und schöner Gefühle würdig zu seyn. Aber ihre Eitelkeit, ihr Trieb, allgemeine Aufmerksamkeit zu erregen, ihre Belustigungssucht, ihre Abneigung gegen alle ernsthafte und dauernde Anstrengung, zuweilen auch noch gröbere körperliche Triebe – lassen sie bald in der Ausübung der strengen Pflichten ermüden, welche wahre, edle und schöne Liebe auflegt. Unterdessen wollen sie die einmahl gemachte Eroberung nicht verlieren; sie wollen den Schein des Herzens und der Tugend beybehalten; sie wollen den pikanten Reitz, den das Ungewöhnliche und Seltene mit sich führt, nicht aufopfern. Nun nutzen sie alle Mittel, die schlauer Coquetterie zu Gebote stehen. Durch abwechselndes Geben und Verhalten, durch Zuvorkommung und Zurückziehen, durch erlogenen Stolz und erkünstelte Delicatesse, wird der Arme in steter Unruhe und Ungewißheit, im unaufhörlichen Streben nach einem Gute erhalten, das er nie genießen wird, dessen Aussicht ihn unfähig macht zum Genuß jedes andern, zur Ausfüllung seiner Pflichten, zum frohen Gefühl seines Daseyns! Zerknickt in seinem schönsten Wachsthume, hinwelkend in der Blüthe seines Lebens, verfällt er in jenen Zustand träumender Unfähigkeit, dessen Aeußerungen an kindischen Wahnsinn grenzen!

Wehe auch dem, der wirklich wiedergeliebt wird, aber von einem Geschöpfe, das bey Armuth des Geistes und vernachlässigter Bildung des Herzens, des schöneren Genusses der Liebe unfähig ist, unter verächtlichen, sittenlosen Lagen! Aber wie ist dieß möglich? werdet ihr fragen. Wie kann ein Mann von edelm Geiste in solche Verblendung fallen? Schont, schont den Unglücklichen! Was ihn hinriß, was ihn nun auf immer fesselt, war eine Thräne, geweint zu rechter Zeit; es war ein tröstendes Wort, ein erheiterndes Lächeln, gegeben in Stunden, in denen das Herz seine Leere beseufzt und nach Füllung dürstet! Er hat ein edles Weib hoffnungslos geliebt, er findet das erste Gefühl von wahrer Gegenliebe bey einem minder würdigen! Er kann durch das Geschenk seines Herzens beglücken, durch dessen Versagung eben so unglücklich machen, als er selbst es war! Mitleid, Dankbarkeit, Bedürfniß reißen ihn hin; seine Rechtschaffenheit legt ihm Pflichten auf, welche oft Natur und Gesetze durch neue Bande verstärken.

Glücklich noch, wenn er nun von seiner Höhe ganz herabsinkt. Und oft ist dieß der Fall! Wer liebt, der vereinigt sein Wesen, der theilt mit dem Geliebten Empfindungen und Verhältnisse. Was uns einzeln Erbärmlichkeit schien, das wird in der Vereinigung unvermeidliche Unvollkommenheit; was wir einzeln als Laster verabscheuet haben würden, das scheint uns unter dem Gewande der Liebe unglückliches Verhängniß. Unvermerkt verlieren wir jene Selbstachtung, die Grundlage aller Tugend, jene Schätzung des Anstandes und des Schicklichen, die sie so sehr befördern. Unaufhaltsam gleiten wir auf der schlüpfrigen Bahn der Verdorbenheit so tief hinab, daß fremde Augen die Kluft, die sich zwischen unserer jetzigen Denkungsart und unserer vorigen eröffnet hat, und die wir selbst nicht bemerken, nur mit Schrecken betrachten.

Und unser Geist! Ich weiß es: es liegt in dem bloßen einfältigen Beyeinanderseyn, in dem bloßen Austausch von Liebkosungen, deren Geben und Empfangen kaum die untersten Kräfte unserer Seele spannt, ein Vergnügen, welches auch der edlere Genießer nicht verkennt, nicht verschmäht, aber mit sparsamer Behutsamkeit aufnimmt. Allein wenn der Arme in seiner Verbindung keine andere Nahrung findet, sich durch ihren Genuß für die Entbehrung jeder andern schadlos halten muß; ach! wie elend, wie erbärmlich ist dann sein Loos! Wie gewöhnt sich dann der Geist so leicht, dem Geiste anderer nichts weiter abzufordern, ihm nichts weiter zurückzugeben! Indem unsere natürliche Trägheit jene beschränkten Freuden versüßt, stimmen wir unsere Forderungen so weit herab, um wohl gar in bloßen körperlichen Freuden das Wesen der Liebe und das Glück des Lebens zu suchen!

So gehen Tage, Wochen, Jahre hin! Glücklich noch, wenn dieser Zustand dauern könnte! Aber er dauert nicht! Umstände, Lagen ändern sich, und ein Zufall weckt den edeln Sinn aus seinem Schlummer! Lautpochend melden sich in unserm Busen die Ansprüche auf Adel und Schönheit! Keine ehernen Ketten sind dann so drückend als der Pflaumenarm des Weibes, der sich um den Nacken des Mannes windet, ihn in seinem edeln Emporstreben aufzuhalten! Kein Kerker ist so grausenvoll für den Gatten, welcher die höhere Bestimmung eines vernünftigen Wesens für sich selbst, für den Verbündeten, und die gemeinschaftlichen Früchte ihrer Liebe ahndet, als der Aufenthalt bey einem Wesen, das im Gefühl seiner ängstlichen Zärtlichkeit und seiner Unbedeutung ihn an der Erfüllung seiner Pflichten hindert, weil es nicht mit ihm empor steigen kann. Ich habe sie gekannt, solche zwangvolle Verhältnisse, ich habe sie gesehen, solche Gefangene, die eine traurige Verirrung fesselte! Sie suchten sich aus ihrer Niedrigkeit zu erheben, sie suchten einen bessern Stoff in ihre Unterhaltungen zu bringen, auf den höheren Zweck wechselseitiger Vervollkommnung los zu arbeiten. Umsonst! der Verbündete ohne Lust, ohne Kraft, sich auszubilden, und diesen edeln Trieb des Geliebten von seiner Seite zu unterstützen, suchte alles hervor, um ihn zu hindern. Er versagte dem Geliebten den Umgang mit gebildeteren Menschen, die Lesung vernünftiger Bücher, aus Furcht, daß die Vergleichung ihm schade, und daß ein höherer Grad von Aufklärung in dem andern bey diesem das Gefühl seiner Schwäche vermehren möchte. Selbst die Sorge für die Erziehung ihrer Kinder schien ihm ein Raub an der Zärtlichkeit, die er kindisch allein forderte, begangen.

Und was setzte er an diese Stelle? Tändelnde Liebkosungen, oder gar hervorgesuchte Zänkereyen, deren Entstehen und Beylegung die Langeweile eines unthätigen, aber ununterbrochenen Zusammenseyns lindern sollten!

Ach! wenn in solchen Lagen das Gefühl der Dankbarkeit, jemanden so ganz an uns hängen zu sehen, das Bewußtseyn einzig glücklich zu machen, unsere Thränen bey Tage zurückhält; wie suchen wir die Nacht auf, ihnen ihren stillen Lauf zu lassen!

Achtes Kapitel.
Bestimmung der Freyheit, die wir bey der Wahl des geliebten Gegenstandes behalten.

Aber ist denn das Herz der Leitung der Vernunft unterworfen? Steht es in unserer Gewalt, uns zu verlieben? Wählt man den Gegenstand, dem man zärtlich anhängen will?

Es ist Werk des Schicksals, ruft man mir von der einen Seite zu: es ist unvermeidliches Glück oder Unglück was die Liebe herbeyführt. Ihren Gegenstand aufzusuchen, oder ihm entfliehen zu wollen, ist vergebliche Anmaßung. Noch eh’ ihr geboren wurdet, war ein Wesen geschaffen, zur Vereinigung mit euch bestimmt. Eine unwiderstehliche Sympathie zieht euch an einander. Nicht die eifersüchtige Wachsamkeit zusammengerotteter Wächter, nicht die Entfernung durch Meere getrennter Länder, nicht eure eigene Flucht, wird die Schöne, die für euch ausersehen ist, eurem Anblicke, und euer Herz der Macht ihrer Reitze entziehen! Ihr tragt ihr Bild in eurem Herzen, euch selber unbewußt; ein Ungefähr wird es euch in der Natur darstellen, und ihr werdet diesem unvermeidlich huldigen. Ob zu euerm Glück, ob zu euerm Verderben? – das ist die Sache des Ungefährs, eures günstigen oder ungünstigen Gestirns, oder vielmehr der höheren Vorsehung, die den Lauf eures Lebens regiert. Ueberlaßt euch dieser, und vermehrt nicht das Gefühl eurer Ohnmacht durch vergebliches Widerstreben!

Nein, ruft mir eine andere Partey entgegen, nein! jene Sympathien, jene schnellen Ueberraschungen unsers Herzens und unvermeidlichen Niederlagen unserer Vernunft sind hervorgesuchte Entschuldigungen für unsere Schwäche, fade Huldigungen für das weichere Geschlecht, Moral aus der Oper, romanhafte Chimären. Junger Mann, fühlst du das Bedürfniß zu lieben, so sey deine erste Sorge, diejenige zu finden, die deiner Liebe werth sey. Suche sie auf, und hoffe nicht, daß sie durch die dünnen Lüfte für dich vom Himmel herabsinke. Es steht in unserer Macht, bey einem mäßigen Grade von Selbstbeobachtung, Anstrengung und Vorsicht, uns gegen Anfälle von Trieben, die nur schwache Seelen für unwillkührlich und unüberwindlich halten, in Sicherheit zu setzen. So widerstehen wir dem Reitz des süßesten Giftes, wenn unmittelbarer Tod und Verderben durch den Mund des weisen Arztes auf seinen Genuß gesetzt ist.

Welcher von diesen beyden Lehren wollen wir unsere Beystimmung ertheilen? – Keiner von beyden unbedingt! Laßt uns Leidenschaft von Zärtlichkeit unterscheiden. Diese kann überlegen, diese kann sich für den würdigern Gegenstand bestimmen, und wenn sie in der Folge in Leidenschaft übergeht, so ist der Charakter des Unwillkührlichen, den sie annimmt, nicht weiter gefährlich.

Leidenschaft hängt nicht von unserer freyen Bestimmung ab, und es ist wahr, es ist schon vorhin gesagt, sie kann plötzlich und unvermerkt entstehen, sie kann uns überraschen und überschleichen. Wir können uns nicht immer vor ihr in Acht nehmen, weil wir sie nicht voraus sehen, und in vielen Fällen ist unsere Vorsicht und Wachsamkeit darum nicht anzuwenden, weil wir ihrer nicht zu bedürfen glauben.

Aber gewiß, dieß sind die seltneren Fälle! Oefter sehen wir die Gefahr gar wohl voraus, und suchen uns nur, angekörnt durch den sinnlichen Reitz, der den Anfang jeder Leidenschaft begleitet, absichtlich über die Leiden zu verblenden, die ihre Folgen, unserer völligen Ueberzeugung nach, für unser edleres Wesen mit sich führen werden. Ueberhaupt aber giebt es ein ziemlich sicheres Verwahrungsmittel gegen unwürdige Verbindungen, das nur unter einem ganz besondern Zusammenfluß von Umständen seine Wirksamkeit verlieren dürfte.

Jüngling! veredle deinen ganzen Charackter! Gewöhne dich früh daran, Wahrheit, Zweckmäßigkeit, Adel und Schönheit in allem aufzusuchen, was dich erfreuen soll! Dann wirst du gegen die Reitze des Unwahren, Mangelhaften und Unsittlichen abgehärtet werden, und sollten sie dich dennoch verführen, so wirst du bald von deiner Verirrung zurückkehren, und selbst aus ihr neue Vortheile, neue Stärkung für deinen Edelsinn und Sinn des Schönen zu ziehen wissen! Es wird dir vielleicht gelingen, den unwürdigen Gegenstand der dich hinriß, zu veredeln, oder wenn du daran scheiterst, so wirst du, es koste was es wolle, die Verbindung brechen, und in der wiedererlangten Selbstwürde Entschädigung für die Versagung liebender Triebe finden.

So kann der edle Mensch selbst den Gegenstand seiner Leidenschaft wählen, indem er sich empfänglicher für die Einwirkung solcher Reitze gemacht hat, die es werth sind sein Herz zu besitzen; abgehärteter gegen diejenigen, für welche die Begeisterung ihm zur Schande gereicht.

Zwar ist diese Wahl nicht so abhängig von unserer Willkühr als diejenige, mit der wir Mittel zur Befriedigung eines Bedürfnisses wählen, wenn unsere Vernunft sich nach Rücksichten der Brauchbarkeit bestimmt. Zwar sind die Gegenstände der Verführung zur Befriedigung sinnlicher Triebe, oder der Eitelkeit und der Belustigungssucht, die Ovid und seine Nachfolger in Tempeln und Schauspielhäusern aufsuchen, leichter gefunden. Aber frey ist diese Wahl wie diejenige des guten und gebildeten Geschmacks, der die Wonne der Beschauung weniger von der falschen Schönheit einer Nymphe von Boucher, als von der wahren einer Venus von der Hand des Praxiteles erhält. Und sollten wir uns auch nicht völlig fest gegen die Reitze erlogener Tugend und gezierter Anmuth machen; bleibt immer noch die verletzbare Ferse für den nicht zu verwundenden Achill übrig; so ist doch der größte Theil unsers Herzens gesichert, und die Mittel zur Heilung liegen nicht so fern.

Und du, der du dich auf solche Art gestählt hast, sey sicher, daß die Buhlerin gewöhnlicher Art dich seltener zum Ziel ihrer Angriffe machen wird! In einer Aufwallung von Gefallsucht oder Lüsternheit wird sie vielleicht die Macht ihrer Reitze an dir erproben wollen, aber schwerlich wirst du der Mann seyn, den sie auf die Dauer zu fesseln sucht.


Neuntes Kapitel.[WS 24]
Weise Mäßigkeit bey unsern Forderungen.

Ihr also, denen kein feindliches Schicksal die Freyheit zu wählen raubt, sucht ein Herz auf, das neben allgemeiner Menschenliebe zugleich das Bedürfniß fühlt, sich an einen Einzigen zu hängen! Sucht eine liebende Seele auf! Dieß ist nicht bloß Erforderniß zur edeln und schönen Liebe, es ist unerläßliche Bedingung zu jeder wahren und glücklichen Liebe! Findet ihr ein Wesen, das fähig ist, andern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, wenn gleich ihre Anmaßungen mit den seinigen zusammenstoßen; das im Stillen und ungesehen verbinden mag, auch dann verbinden mag, wenn es nicht geachtet und verkannt, und mit Undank gelohnt wird; das seine Fehler beweinen und abbitten kann; – und ein solches Wesen ist zugleich fähig, alles für einen Einzigen aufzuopfern; o! so liebt, und seyd sicher, daß eure Vernunft in kälteren Augenblicken euch wenigstens nie die Schande einer unedlen und häßlichen Wahl vorwerfen wird.

Vielfältige Erfahrungen haben mich überzeugt, daß ein solches Herz von Natur Anlage zum Gefühl für das Vollkommne, Edle und Schöne hat, und daß diese durch Liebe leicht ausgebildet werden könne. Gesetzt dann auch, die Geliebte mit einem solchen Herzen bleibt von Seiten des Verstandes und der Phantasie in einigem Abstande hinter dem Mann zurück; gesetzt sie erreicht nie völlig die reitzenden Talente, deren gemeinschaftliche Ausbildung das Glück des Lebens so sehr erhöhet; das bloße Streben nach einer Vollkommenheit, deren Werth gefühlt wird, ist schon ein hoher Genuß, vielleicht der höchste den die Liebe darbietet. Was kann interessanter seyn, als einen Geist sich aufarbeiten, seine Schwäche überwinden, alle seine edleren Anlagen ausbilden sehen, um der Liebe willen!

Zehntes Kapitel.
Höheres Glück.

Wo ihr also ein solches Herz, für Menschenliebe und Zärtlichkeit geschaffen, antrefft, da wagt es dreist, eine engere Verbindung in der Hoffnung einzugehen, daß sie veredelt werden könne! Und wagt es nie ohne ein solches Herz, selbst da nicht, wo die größten Anlagen des Geistes und des Körpers die anziehende Person schmücken.

Aber dreymahl glücklich ist derjenige, der in dem Weibe seiner Wahl neben jenem Herzen zugleich jene Unschuld, jenes feine und hohe Gefühl der Ehre und Selbstwürde, jene Energie und Selbständigkeit, jenes Genie und Talent, jene Schönheit der Formen, kurz, jene Anlagen und ausgebildeten Fähigkeiten antrifft, deren Hauptzüge ich jetzt mit schneller Hand entwerfen werde. Was ich vorzeichne läßt sich zusammen finden. Aber gesetzt, diese Vereinigung machte ein bloßes Ideal aus, so wird Annäherung an Vollkommenheit, wie schon oft gesagt ist, in der wirklichen Welt für Vollkommenheit selbst genommen.


Eilftes Kapitel.
Unschuld, Ehrgefühl, Stolz und Selbstwürde in dem geliebten Weibe.

Es ist möglich, ja es ist gewiß, Weiber die vom Pfade der Tugend gewichen sind, können zu ihr, zum Edelsinn und zum Gefühl des Schönen in der Liebe, zurückkehren. Warmes Blut, üppige Eitelkeit, Anlage zur Begeisterung, und vor allen Dingen das Bedürfniß eines leeren Kopfs und Herzens, können, unterstützt von schlechtem Beyspiel und Verführung, den Sinn für das Gute, Edle und Schöne einschläfern, und seine Entwickelung hindern. Dennoch wird der Anblick einer tugendhaften Liebe in andern, der Stolz, einem edeln Manne anzugehören, diesen schlafenden Sinn wecken, und die Bande, die ihn aufhielten, zerreißen. Nicht bloß Romandichter schildern uns solche Charaktere der Danaen, Lauren und Camillen; nein, ich weiß es, sie finden sich auch in der Natur.

Inzwischen, so hebend für die Phantasie, so schmeichelhaft für den Stolz des Mannes, der die schöne Büßende zurückführt, das Bild einer solchen Liebe immer seyn mag, nie wird sie zu der Stufe der Vollkommenheit gehoben werden können, auf der die Liebe zu einer reinen, schuldlosen Seele strahlt, die nie ihre Selbstwürde aus den Augen gesetzt hat. Diese gewährt ein Vertrauen, eine Sicherheit zur Tugend und zur Treue des geliebten Weibes, zu der jene nie gelangen kann. Allemahl bleibt dort die Besorgniß, daß eine lange Gewohnheit ihre vorigen Rechte wieder erlangen werde; daß Zeit und Lagen die vorübergehende Begeisterung endigen mögen; daß es nicht so wohl Achtung für sich selbst, als der Wunsch sey, dem Geliebten nicht zu mißfallen, der die schöne Bekehrte zur Aufmerksamkeit auf ihr Betragen anhält, und daß daher der Schleyer des Geheimnisses, der den Rückfall vor seinen Augen verbirgt, auch dem inneren Auge der Gefallenen die Schwärze ihres Vergehens entziehen werde. Es ist nicht wahr, daß diejenige, die von ihrem Falle wieder aufsteht, ein höheres Vertrauen zu ihrer Festigkeit erweckt, als diejenige, die mit Behutsamkeit sich vor dem ersten Straucheln bewahrt. O Ehrgefühl, o Stolz auf nie gekränkten Ruf, ihr hohen Beförderungsmittel weiblicher Tugend! O Schamhaftigkeit, Offenheit, ihr großen Bürgen der Treue! Wie schwer werdet ihr in ein Herz zurückkehren, aus dem ihr einmahl geflohen seyd! Es ist ein hohes, heiliges, mächtiges Wesen, das Weib das sich selbst respektiert, der Verführung der Sinne und der Eitelkeit widersteht, und seine Umarmung zum Preise für denjenigen allein aufbewahrt, der sein Herz auf ewig gewinnen wird! Es ist ein hohes, heiliges, mächtiges Wesen für andere, noch mehr für das Weib selbst, daß sich dieses Werths bewußt ist. Aber bedarf es, um ihn zu fühlen, nicht einer Blüthe von Empfindungen, welche durch die erste freche Hinwegsetzung über die Gesetze des Anstandes gemeiniglich auf immer welkt! Und läßt es sich hoffen, daß das Bewußtseyn dieses innern Werths jemahls wieder erlangt werden könne, wenn es durch eigene Schuld verloren gegangen ist?

Darum gehört es zur Vollkommenheit der Liebe, ein Herz zu erwärmen, das nie von einem unreinen Feuer geglüht hat, und einen keuschen Körper zu umschlingen, der sich nur für ewig dauernde Liebe hingeben konnte. Zur Vollkommenheit der Liebe gehört es, daß unsere Verbindung mit den Begriffen von Schicklichkeit und Anstand unserer Zeitgenossen, unserer Bekannten und Freunde, vereinigt werden möge, damit sie als ein Gegenstand wohlgefälliger Beschauung erscheinen möge, und die Verbündeten sich selbst des Abglanzes freuen können, den sie von sich wirft. Wie selten wird dieß der Fall seyn, wenn die Person, die mit uns vereinigt gedacht wird, bey aller ihrer gegenwärtigen Vortrefflichkeit, in früheren Zeiten ihren Ruf verloren hat. Seht, eine solche Verbindung ist wie ein schönes Kunstwerk, das nicht zu dem Orte und dem Lichte seiner Aufstellung paßt, und daher unvortheilhaft und falsch erscheinen muß.


Zwölftes Kapitel.
Energie und Selbständigkeit in dem geliebten Weibe.

Es ist barer Egoismus unsers Geschlechts, der dem weiblichen keine andere Energie gönnt, als diejenige, die ihm die Stärke der Leidenschaft einflößt: es ist herrischer Uebermuth in dem Manne, der verlangt, das Weib solle keinen Charakter haben, als denjenigen, den ihm der Geliebte eingiebt.

Liebe verlangt Energie und selbständigen Charakter von beyden Seiten. Es müssen zwey Wesen seyn, von denen jedes seinem Geschlechte nach vollständig und vortrefflich ist, und die in der zusammengesetzten Person ein vollkommenes Individuum der Gattung, Mensch, erscheinen lassen.

Weiber und Männer, die ihr auf diese meine Worte hört, betrügt euch nicht mit dem Gedanken, daß gänzliche Hingebung in die Denkungsart des Geliebten die Liebe erwecken oder dauerhaft mache! Sie schmeichelt dem Eigennutze, aber nur auf kurze Zeit; bald wird die Gleichförmigkeit der Gesinnungen Langeweile und Ueberdruß erwecke. Ich kenne Ehen, in denen das Weib keine Meynung, keinen Willen für sich hat, und wenn es diese vorübergehend faßt, sie bald fahren läßt, um die des Mannes anzunehmen. Ihr schließt daraus auf das Glück, das solche Verbindungen auszeichnet, wenigstens auf die Stärke der Leidenschaft, die die Gattin an ihren Gatten fesselt! Ihr irrt euch! Der Mann legt wenig Werth auf ein Wesen, das er bloß als den Schatten, als den Nachhall des seinigen betrachtet. Er findet keine Unterhaltung bey der immer bejahenden Gattin! Und sie liebt nicht! Wie? Sie liebt nicht? Nein! Ihre Klugheit, unterstützt von natürlichem Pflegma, sucht Anfangs durch unbedingte Gefälligkeit den Hausfrieden zu bewahren. Bald entwöhnt sie sich völlig des Geschäfts, selbst zu sehen und zu urtheilen, und was ursprünglich Wirkung einer eigennützigen Klugheit war, wird hernach Folge der Gewohnheit, Sorglosigkeit, Abneigung gegen alle Anstrengung des Geistes. Sie überläßt dem Manne die Beschwerlichkeit, mit für sie zu denken und zu bestimmen.

Wie viel anders stellt sich dagegen diejenige liebende Verbindung dar, worin das Weib seine eigene Art zu beurtheilen und zu handeln hat. Fern sey es von mir, jenen Irrthum gothischer Galanterie in Schutz zu nehmen, der die Stärke des Weibes mit der Stärke des Mannes verwechselt, und Eigensinn für Selbständigkeit hält. Nein, die Energie des weiblichen Charakters besteht nicht in der Kraft, den Mann zu beherrschen, und ihm Huldigung für alle seine Launen abzudringen. Die Frau setze nicht ihren Ruhm darin, politische Intriguen zu führen, einer Amazone gleich, kriegerische Uebungen zu treiben, oder pedantisch über Kunst und Wissenschaft abzusprechen. So will es nicht die Natur, so wollen es nicht unsere bürgerlichen Einrichtungen. Aber sie glaube an die Würde ihrer Gattung, als Mensch, und an die Würde ihres Geschlechts als Weib! Aber sie wisse, daß sie eine Vernunft hat, die eben so gut, wie die des Mannes, ihren Willen bestimmt, und eine Stärke, die obwohl anders als bey dem Manne modificiert, darum nicht minder mächtig ist, über ihre Sinnlichkeit, und oft über äußere Verhältnisse zu herrschen. Aber sie überzeuge sich endlich, daß sie auf eine gleich freye Wirksamkeit ihrer Kräfte mit dem Manne in allem rechnen darf, was ihre sittliche Veredlung zum Zweck hat, und daß es einen Kreis von Thätigkeit giebt, worin sie sogar vorzüglich vor dem Manne zu wirken berechtigt ist; ihr Hauswesen und die örtliche Gesellschaft.

Die Frau zeigt Energie des Charakters, indem sie ihre Ansprüche mäßigt, den Umfang ihres Gebiets willig einschrankt, und die Grenzen ihrer Herrschaft nach dem Verhältnisse ihrer Kräfte festsetzt. So ist Mäßigkeit ihre erste Stärke, und wahrlich! keine geringe, da sie Selbstkenntniß, Unterdrückung falscher Ansprüche, und richtige Beurtheilung des Localen, voraussetzt.

Die Frau zeigt Energie, indem sie anhaltend auf sich selbst aufmerkt, sich in Obacht und Gewalt behält, damit Aufwallungen von Hitze, Uebermuth, Trotz, oder auch Nachlässigkeiten, und unbehutsamer Verrath ihrer Absichten, diese nicht vereiteln. So ist Zurückhaltung, Mäßigung, ihre zweyte Stärke, und wieder keine geringe, da sie Gewalt der Vernunft über Sinnlichkeit voraussetzt. Die Frau zeigt Energie, indem sie anhaltend auf die Gegenstände um sich herum aufmerkt, diese in Obacht nimmt, keinen günstigen Umstand oder Augenblick versäumt, und nicht leicht an sich selbst, und an dem Schicksale verzweifelt. So ist kluges Abgewinnen, emsige Achtsamkeit, ausdauernde Geduld, ihre dritte Stärke, und wieder der durchsetzenden, die Umstände und die Zeiten zwingenden Gewalt des Mannes sehr oft vorzuziehen. Endlich kann man auch darin einen Zug ihrer Stärke setzen, daß sie sich leicht an die Befolgung gewisser Verhaltungsregeln angewöhnt, und bey ihrer Anwendung schnell zur Fertigkeit gelangt. Bey allem diesem kommt ihr der Instinkt, kommt ihr sogar das Gefühl ihrer Schwäche sehr zu Statten. Sie ist oft mäßig in ihren Forderungen, behutsam in der Wahl der Mittel, und in ihrem Betragen, aufmerkend auf Umstände und Zeiten, geduldig, ausdauernd, geschickt, und gefertigt, eben weil sie schamhaft, bescheiden, emsig, fein, und voll heitern Sinnes von Natur ist. Aber wie leicht kann dieser nicht ungünstige Instinkt zu ihrem Verderben ausschlagen! Wie leicht kann ihre Schamhaftigkeit nicht in Blödigkeit, ihre Bescheidenheit nicht in Kleinmuth, ihre Emsigkeit nicht in Tändeley, ihre Feinheit nicht in List, ihr heiterer Sinn nicht in Leichtsinn ausarten? Und wie sehr bedarf es daher der Leitung der Vernunft, und eigener Bildung, damit jene glücklichen Anlagen zur eigenthümlichen Stärke des Weibes nicht seine Schwäche ausmachen!

Eine Gattin, die ihre Selbständigkeit behauptet, wird den Mann in allem, worin sie, ungeachtet ihrer Vereinigung mit dem Manne, als einzelner Mensch und Weib fortwährend beurtheilt werden kann, nie als Herrscher, sondern nur als Rathgeber betrachten. Und ein Mehreres darf er sich nicht anmaßen zu seyn. Nie wird er ohne Gefahr sie den gefährlichsten Verirrungen auszusetzen, es wagen dürfen, ihr seine Begriffe aufzudringen, über Devotion gegen Gott, Sittlichkeit, Anstand und Pflichten gegen ihre Familie, und die örtliche Gesellschaft. Selbst ihren Geschmack an Meublierung und Putz muß er nicht beherrschen wollen. Er darf dieß alles leiten, aber nicht ohne ihre Ueberzeugung vorher gewonnen zu haben, und nie ohne ihre Selbständigkeit und das Recht, das sie hat, in diesen Stücken ihre eigene Meinung beyzubehalten, anzuerkennen. Sie, die Gattin, wird dann ihrer Seits in denjenigen Verhältnissen, die der Mann nicht mit ihr theilt, sich sogar des Rathgebens enthalten, und in allen ihren gemeinschaftlichen Verhältnissen ihm die Führung, das Vorangehen, die endliche Bestimmung, nicht bestreiten. Sie herrscht mit, aber wie eine untergeordnete, helfende Macht! Sie bewacht den zu raschen Mann, sie hält ihn auf durch ihre Vorstellungen, durch ihre Bitten, durch ihre Thränen! Und muß sie dennoch nachgeben, so geschieht es nie aus blindem Glauben an die Unfehlbarkeit des Geliebten. Sie nutzt vielmehr ihre ganze Eigenthümlichkeit, die schädlichen Folgen des vernachlässigten Raths abzuwenden, und wenn diese dennoch eintreten, sie durch Trost und Heilmittel zu mildern! Wie wichtig wird dem Manne die Beystimmung einer solchen Gattin! Wie ungern wird er für sie beyde allein wählen und allein handeln wollen!

Dreyzehntes Kapitel.
Talent und Genie in dem liebenden Weibe.

Das Talent der Weiber in der Liebe ist der feine Anschlag, der nichts von demjenigen verloren gehen läßt, was die zärtliche Verbindung zweyer Herzen Edles und Schönes mit sich führt; jene Gabe aus ihrer Tiefe neue selbstgefühlte Vorzüge hervorzuholen, und ihre Form mit immer neuen Reitzen zu schmücken. Es giebt nicht viel Weiber, die dieß Talent besitzen. Aber diejenigen, die es haben, vermehren den Genuß der Liebe ins Unendliche. Die geringste Aufmerksamkeit die ihr für sie habt, jede Wendung die ihr braucht, eure Liebe auf eine feine Art darzustellen, jede Bemühung, sie zu veredeln und zu verschönern, wird von ihnen zum Voraus geahndet und ganz gefühlt. Nicht das allein; sie bemächtigen sich des Stoffs, den ihr ihnen darbietet, und liefern ihn euch wieder mit einer Bearbeitung, die an Werth die Materie übertrifft.

Es giebt auch Genies in der Liebe unter den Weibern. Heloise und du portugisische Nonne, wem fallen nicht hierbey eure Briefe ein! Der schöpferische Geist ihrer Urheber sichert ihnen eben so sehr die Verehrung, als der wahre Ausdruck der Liebe. Auch euch, Sappho und Ninon, würde ich hier nennen, wenn eure Originalität mit edler Liebe in näherem Bande gestanden hätte.

Weiber, die Talent oder Genie in der Liebe haben, haben es beynahe in allen Fertigkeiten und Künsten, die zur Unterhaltung des geselligen Lebens gehören. Es hängt nicht allein vom Herzen ab; es erfordert eine feine Sinnlichkeit, Phantasie, Scharfsinn und andere Kräfte, die wir zum Theil nicht einmahl kennen. Sie können dem Herzen fehlen; aber da, wo sie vorhanden sind, wird das gereitzte Herz sie leichter wecken.


Vierzehntes Kapitel.
Kenntnisse, nützliche und edle Fertigkeiten, schöne Künste, Sitten in dem geliebten Weibe.

Der Mann kann während der liebenden Verbindung die Kenntnisse der geliebten Gattin vermehren, sie an gewisse Sitten gewöhnen, sie zu gewissen Fertigkeiten und Künsten anführen, die zur Nothdurft, zur Veredlung und Verschönerung des Lebens und der zusammengesetzten Person gehören. Aber seine Bemühung scheint glücklicher zu seyn, wenn sie nicht so wohl den ersten Unterricht, die erste Gründung dieser Stücke zu bezielen braucht, als vielmehr ihre fernere Ausbildung. Es hält schwer, Vorerkenntnisse, die an sich trocken sind, und ein leicht fassendes Gedächtniß fordern, in spätern Jahren zu erlernen; es hält noch schwerer, in diesen Jahren unsern Geist und unsern Körper zu einer gewissen bestimmten Richtung und zu einer geschmeidigen Folge zu gewöhnen, welche durch frühe Uebung am sichersten erlangt werden.

Unerlaßliche Bedingung scheint es wenigstens zu seyn, daß das Mädchen bereits von Kindheit an zu denjenigen Kenntnissen, Sitten, Fertigkeiten und Künsten angezogen sey, die erfordert werden, um seinen künftigen Stand als Hausfrau und Beförderin der örtlichen Geselligkeit nach dem Verhältnisse seiner Lage auszufüllen.

Ordnung, Reinlichkeit, Kenntniß weiblicher Arbeiten, Wirthschaftlichkeit überhaupt, lassen sich von dem Begriffe des achtungswürdigen Weibes nicht trennen. Diese Stücke werden bey jedem Frauenzimmer vorausgesetzt werden müssen, und nur in ihrer Anwendung unterscheidet sich die reiche Dame von dem Weibe, das selbst Hand an häusliche Arbeiten legen muß. Dieses thut selbst, jene besorgt, daß das Erforderliche geschehe. Beyde müssen wissen was dazu gehört, beyden muß es zur Gewohnheit geworden seyn, darüber zu halten. Der Liebe ist alles möglich; aber schwer, sehr schwer wird es ihr fallen, ein Weib, das an Schmutz, Unordnung, Unrechtlichkeit gewöhnt ist, davon zurückzubringen, ihm diejenigen Kenntnisse mitzutheilen, welche die kluge Wirthschafterin voraussetzt, und ihm besonders Geschmack an derjenigen stetigen Aufmerksamkeit auf ein einförmiges Detail einzuflößen, das allemahl lästig wird, wenn die Fürsorge dafür durch frühe und lange Gewohnheit nicht zur andern Natur und zum Bedürfnisse geworden ist.

Eben so nothwendig scheint es zu seyn, daß das Weib durch frühe Bildung geschickt geworden sey, sich mit Anstand in derjenigen örtlichen Gesellschaft zu zeigen, worin es dereinst an der Hand des Geliebten als Mitglied und Beförderin des geselligen Vergnügens auftreten soll. Es ist schwer, daß die Bäuerin in dem Kreise des wohlhabenden Mittelstandes, daß ein Mädchen aus diesem herausgenommen, in dem Zirkel der reicheren und vornehmeren Classe auftrete, und darin die Gesetze des Schicklichen und der Höflichkeit mit Unbefangenheit beobachte. Glaubt nicht, daß dieser Vorzug unbedeutend sey. Es gehört zur Selbständigkeit des Weibes, daß es in der örtlichen Gesellschaft als ein nützliches Mitglied, nützlich für die gesellige Mittheilung seinen Platz behaupte. Der schönste Anspruch, den es nächst demjenigen auf den Nahmen einer guten Hausfrau haben kann, ist der, auf den Nahmen der Beförderin der Geselligkeit! Und du, Gatte, du machst eine zusammengesetzte Person, Ein Paar mit der Gattin aus! Du kannst dich nicht von der örtlichen Gesellschaft trennen, ohne dieser ein Recht zu rauben, welches sie auf deinen Beytrag hat, und ohne deiner Verbindung manchen Genuß zu entziehen. Trennst du dich aber nicht von der Gesellschaft, willst du mit einer Gattin erscheinen, der es an der nöthigen Bildung für die gesellige Mittheilung mangelt, so erscheinst du im offenbarsten Mißverhältnisse mit der Hälfte deines Wesens, und sogar mit der übrigen Gesellschaft, in der du nicht mehr als eine einzelne Person beurtheilt werden kannst! Man wird die Vollkommenheit deiner Verbindung nicht fühlen, und dir sowohl, als deiner Gattin, wird der hohe Genuß entgehen, zu wissen, daß ihr in eurer zusammengesetzten Person auch für andere der Gegenstand wohlgefälliger Beschauung seyd.

Besser aber freylich gar keine Bildung, als eine verschrobene, als eine solche, die Unwahrheit und Unzweckmäßigkeit in jeder ihrer Aeußerungen zeigt, falsche Ansprüche nährt, und auf Kosten des Herzens und der Sittlichkeit erlangt wird.

Funfzehntes Kapitel.
Schönheit körperlicher Formen in dem geliebten Weibe. Ausbildung der Talente, welche sie zu heben dienen.

Es läßt sich die zusammengesetzte Person der beyden Liebenden nicht als Vollkommenheit und Schönheit denken, ohne schöne körperliche Formen in dem Weibe.

Aber da die ernste Schönheit hauptsächlich den männlichen Körper zieren muß, so ist die reitzende hauptsächlich dem weiblichen zu wünschen, damit die zusammengesetzte Person desto auffallender das Wohlverhältniß gepaarter Geschlechtsverschiedenheiten, selbst bey der Zusammenstellung ihrer Körper im Ganzen, zeige. Wer weiß, ob eine Juno mit einem Apollo zusammengruppiert, anders als Freunde erscheinen würden; ihre Schönheiten ähneln sich zu sehr! Apollo und Venus! Wie viel auffallender hier das Bild der Liebe!

Formen, die etwas üppiges mit sich führen, ohne der Zierlichkeit Abbruch zu thun; Augen, aus denen Liebe, unter Führung der Sittlichkeit hervorbricht; Mienen, die Heiterkeit der Seele, Selbstwürde und Sympathie verkündigen; Stellungen, die keine Ueberlegung, aber doch angewöhnte Aufmerksamkeit auf sich selbst und andere regiert; Bewegungen der Gliedmaßen, die Blumenranken ähneln, welche die geschickte Hand des Künstlers zieht und ordnet; – das sind die Gestalten, die uns an dem zarten Körper des Weibes vorzüglich rühren, die sind es, die wir uns am liebsten an der Seite des Mannes von ernster Schönheit denken.

O daß das Mädchen auch nicht die Talente ganz vernachlässigt habe, welche die angebornen Reitze des Körpers bey der Bewegung heben, und sie mit Beywerk schmücken! Tanz, Mimik, Putz, können einen hohen Sinn für Schönheit, und weil diese sich nicht ohne Wahrheit und Zweckmäßigkeit denken läßt, auch Sinn für diese zeigen. Schwerlich wird in späteren Jahren der Geschmack in diesen Talenten, die dem Körper näher angehören, ausgebildet werden mögen! Früh muß der Geist an Absonderung des Wahren von dem Falschen, und der Körper an Fertigkeit gewöhnt seyn.

Doch auch hier bleibt keine Wahl zwischen Ziererey und Mangel an aller Bildung! Hundertmahl lieber diesen als jene!


Sechzehntes Kapitel.
Günstige Verhältnisse.

Bey aller Fähigkeit, die der Mann zur edeln und schönen Liebe haben kann, bey aller Würdigkeit der Person, auf die seine Wahl gefallen ist, wird dennoch der Begriff von Vollkommenheit nie auf die zusammengesetzte Person zutreffen können, wenn Mangel an Gegenliebe oder äußere Hindernisse die Vereinigung hindern.

Ich werde im folgenden Buche die Mittel angeben, Gegenliebe zu erwecken. Aber es giebt Fälle, worin sie nicht wirksam seyn können, und vielleicht von dem edeln Manne nicht einmahl angewandt werden dürfen. Alsdann bleibt die Liebe allemahl einseitig, mithin die zusammengesetzte Person unvollständig. Die Liebe, so wie ich sie betrachte, ist eine Art von Drama, das seine Exposition in dem ersten Erwachen der Liebe bey dem Manne, seine Verwickelung in dessen Bemühungen Gegenliebe zu erwecken, und seine Auflösung in dem Genuß der Vereinigung findet. Wo dieser letzte Theil wegfallen sollte, da könnte das Drama für kein vollendetes Ganze gelten. Der isolierte Mensch könnte freylich selbst in seiner unglücklichen Liebe vollkommen und schön bleiben. Aber dem gepaarten Menschen ginge doch immer vieles ab, was wir für ihn wünschen, und unglückliche Liebe ist in Vergleichung mit der glücklichen, von Gegenliebe gekrönten, gewiß die unvollkommnere.

Aus eben diesem Grunde wird die Vollkommenheit der Liebe durch diejenigen Hindernisse gestört, welche äußere Umstände der Vereinigung der Liebenden entgegen setzen. Diese können in der physischen Entfernung und in der Trennung liegen, welche die Abhängigkeit von Eltern, Gatten, vom Gesetz, und vom eigenen Bewußtseyn der Pflicht veranlaßt. Personen, die auf solche Art an ihrer Vereinigung gehindert werden, können zwar mit ihren Herzen zusammenhängen, aber da Liebe auch Körper und Verhältnisse zu vereinigen strebt, so geht der Liebe allemahl vieles von ihrem Vollkommenheitszustande ab, wenn sie in der ausgebreitetsten Wirksamkeit ihrer Bestrebung gehindert wird.

Ferner wird nothwendig ein gewisser Grad von Wohlstand und Muße erfordert, um der edeln und schönen Liebe huldigen zu können. Es ist zwar ein großer Irrthum, wenn wir in irgend einer Lage allein für Liebe leben zu dürfen glauben; ein Irrthum, der mit den Pflichten gegen uns selbst, gegen die größere und örtliche Gesellschaft im offenbaren Widerspruche steht; ein Irrthum, der unfehlbar das baldige Ende der Liebe nach sich zieht. Wer inzwischen durch bedrängte Lagen gezwungen wird, für die Bedürfnisse eines jeden Tages mit qualvoller Anstrengung zu sorgen; wer durch eine ehrwürdige Bestimmung angehalten wird, alle seine Kräfte den Bedürfnissen des Staats und dem Beruf eines gewissen Standes zu widmen, der wird weder Mittel noch Zeit finden, auf eine engere liebende Verbindung diejenige Sorgfalt zu wenden, wodurch diese allein zur Vollkommenheit gehoben werden kann.

Wenn nun die Lage einiger Menschen sie unstreitig abhält, der edeln und schönen Liebe ihre Kräfte zu weihen; wenn dieser Abgang einer der höchsten Freuden ihres Lebens, weit entfernt ihnen einen Vorwurf zuzuziehen, zuweilen gerade den Anspruch auf höhere Vollkommenheit ihrer selbständigen Person begründet; so ist es doch gewiß, daß oft bloßer Unverstand und Trägheit die Menschen abhält, den Vorzug, edel und schön zu lieben, zu ihren übrigen hinzuzufügen. Es lassen sich wenig Lagen so drückend denken, daß nicht bey weiser Eintheilung unserer Zeit und unsers Einkommens Mittel übrig bleiben sollten, die zusammengesetzte Person an uns zu veredeln und zu verschönern. Die Schuld liegt, wie gesagt, an unserer Lässigkeit, am Mangel des ästhetischen Sinnes, oft auch an der Unbestimmtheit unserer Ideale, welche uns hindern zu bessern und zu schmücken, wo wir das Bild unserer Phantasie nicht sogleich völlig ausgefüllet finden.

Du, der du klagst, daß dein Vollkommenheitssinn keine Nahrung in dieser Welt finde, wisse, daß dieser in unserer Welt sinnlicher Erscheinungen nie völlig ausgefüllt werden kann. Vollkommenheit ist kein Wesen aus dieser Welt! Was du hienieden so nennst, sind Gemählde, Symbole jenes Originals, das sein Daseyn in demjenigen Reiche unsinnlicher Wesen hat, dem du nur zum Theil angehörst! Diesem geliebten Originale strebst du dich zu nähern! Aber willst du den Genuß verschmähen, den dir sein Schattenriß gewährt, weil du sein treuestes Bild nicht erblicken kannst? Nimm ihn mit! es ist immer ein Funke mehr, der dir von dem göttlichen Feuer zuströmt!

Und so veredle und verschönere dann auch deine Liebe so viel du vermagst! Bilde deinen Charakter und den Charakter deiner Gattin zu einem vollständigen und vortrefflichen Ganzen; bildet zusammen eure Verwandte, eure Hausgenossen, eure Nachbaren, den Ort an dem ihr wohnt, eure Geschäfte, eure Unterhaltungen, nach dem hohen Vorbilde, das euch vorschwebt! Ihr werdet nie endigen! Und wie unermeßlich ist das Gebiet des Schönen! Der Kittel wie der Talar, der Gewächstopf wie der Park, die Hütte wie der Pallast, das ländliche Fest wie das Prachtmahl, alles das bietet Stoff zur Verschönerung dar, und leidet einen geschmackvollen Schmuck! Entfernt von den Wohnsitzen der Gelehrsamkeit und der Künste, ausgeschlossen aus dem Wirkungskreise der großen Welt und politischer Triebfedern, werdet ihr in der Natur, in den Sitten des Mittelstandes und des Landmanns, vorzüglich aber in euch selbst, Gelegenheit genug zu Betrachtungen finden, die euch den Genuß des Schönen und Edeln darbieten. Ihr werdet das Volkslied, das den Ausdruck der Liebe wieder giebt, und das eure Kehlen anstimmen, darum nicht verschmähen, weil kein Naumann und sein Orchester euer Ohr bezaubern können! Ihr werdet die Umarmung zweyer Liebenden, die eure Kreide schafft, darum nicht verachten, weil Italiens und Dresdens Meisterstücke euer Auge zur Erkenntniß höherer Schönheit eröffnet haben! Die gemeinschaftliche Deklamation eines oft gelesenen Dichters wird euch nicht verleidet werden, weil ihr Molé und Schrödern spielen saht, und der freundliche Platz neben eurem Hause, den eure Hand geschmückt hat, wird euch trösten, den Golfo von Neapel nicht wieder zu sehen!

Wer so fühlt, der hat erst echten Sinn für Vollkommenheit!

Zehntes Buch.
Veredlung und Verschönerung der Mittel, Gegenliebe zu erwecken.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Fern von mir, ihr Systeme von Verführung, durch deren Befolgung verworfene Heuchler unbefangene Herzen in Liebe zu verstricken wissen! Fern von mir, ihr conventionellen Verhaltungsregeln, die der wohlerzogene Wüstling beobachtet, um das leichtfertige Weib der großen Welt vor der Schande einer zu leichten Niederlage zu retten! Fern von mir ihr Ränke, durch welche der listige Wüstling, mit Hülfe der Eitelkeit und der Sinne, über die Gewinnsucht der Buhlerin den Sieg davon trägt, und sie um den Genuß betrügt, den sie sonst nur für Gold einräumt. Wer Künste dieser Art kennen lernen will, den werden die Werke eines de la Clos, Crebillon und Ovid unterrichten, der wird sich die Verfahrungsart zu eigen machen müssen, die sie in ihren Schriften lehren. [36]

Ich lehre, wie wahre Liebe durch Verstand und Vernunft geleitet, Gegenliebe gewinnt; ich lehre, wie sie selbst in dieser Bestrebung edel und schön erscheinen kann!

Aber ist es nicht hinreichend zu lieben, um wieder geliebt zu werden? Nein! Erfahrung lehrt es, daß die reinste, treueste, ausdauerndste Liebe, daß Aufopferungen jeder Art zwar Dankbarkeit und Mitleiden erwecken, Angewöhnung hervorbringen, die Sinne mit einem vorübergehenden Aufruhr anstecken, den Geist eben so vorübergehend begeistern, aber nicht zureichend sind, das Herz zu gewinnen!

Wohl! ist es nicht genug zu lieben, so sey zugleich liebenswerth! Der Mann, der unerhört liebt, war vielleicht häßlich am Körper, langweilig in seiner Unterhaltung, verworfen in seinen Sitten? – Du irrst dich, das war er nicht. Ziemlich häufige Beyspiele müssen dich gelehrt haben, daß Menschen, die allgemein ihrer Schönheit wegen bewundert werden; Menschen, welche die Aufmerksamkeit ganzer Gesellschaften durch ihre Unterhaltungsgaben auf sich ziehen; Menschen, die als Muster der Sittlichkeit aufgestellt werden können, vergebens nach dem Besitze eines Herzens streben, das vielleicht dem Manne zu Theil wird, der gleich unvollkommen an Leib und Seele erscheint!

So ist denn der Gewinn des Herzens ein Werk des bloßen Zufalls; eine Gabe, ein Geschenk des Himmels, zu der unsere Kräfte und deren Leitung nichts beytragen? Hier gehst du wieder zu weit! Freylich, Anlagen, die nicht ganz unser Werk sind, werden vorausgesetzt. Aber wir müssen sie kennen, um sie zu entwickeln; sie lassen sich ausbilden, und durch Fleiß und Kunst zum Theil ersetzen. Ihre Anwendung muß gewissen Vorschriften unterworfen werden können, die ihnen ihre freyere Wirksamkeit sichern. Und wenn wir diese befolgen, wenn wir Gelegenheit haben, unsere Vorzüge geltend zu machen, wenn wir stetig in unserm Bestreben sind; o! so laßt uns hoffen, wenn anders das Herz, das wir zu gewinnen suchen, noch frey ist, daß wir es besitzen, und Gegenliebe darin erwecken werden!


Zweytes Kapitel.
Allgemeine Maxime bey der Bemühung, Gegenliebe zu erwecken.

Zwey Fehler werden gemeiniglich von denjenigen begangen, die in ihren Bestrebungen nach dem Besitz eines Herzens unglücklich sind. Sie halten sich zu sehr an die eine Seite der Reitzbarkeit des Weibes, und suchen nur diese zu rühren: dann wissen sie nicht genug die Vorzüge, welche sie besitzen, der Geliebten gerade in den Verhältnissen ihres Geschlechts und ihrer individuellen Person wichtig für die Selbstheit, interessant für die Sympathie und beschauungswerth erscheinen zu lassen.

Jede zärtliche Anhänglichkeit besteht, wie ich oft gesagt habe, und nicht genug wiederholen kann, aus einer Menge der ungleichartigsten Triebe, die ihre Richtung auf eine bestimmte Person genommen haben: aus Trieben der Selbstheit, der Sympathie, des Beschauungshanges. Wer zärtliche Anhänglichkeit erwecken will, darf daher nicht allein auf eine dieser drey Seiten unserer Reitzbarkeit los arbeiten. Er muß sie alle drey zu erwecken wissen!

Werde wichtig für die Selbstheit, werde interessant für die Sympathie, werde reitzend, entzückend für den Beschauungshang, werde alles das zugleich, und werde es gerade vor den Augen des Geliebten, in den Verhältnissen ihres Geschlechts und ihrer Person; – das ist das große Geheimniß, welches den Gewinn der Herzen sichert.


Was hilft dir aller Ruhm, den du bey entfernten Nationen eingeerntet hast, wenn er nicht dazu dient, dir und dem Weibe, das du durch deine Wahl auszeichnest, in der örtlichen Gesellschaft, worin du mit ihm lebst, Ansehn zu verschaffen? Du wunderst dich, daß große Feldherrn, Staatsmänner, Künstler und Gelehrte die Herzen eitler Weiber durch den Abglanz des Ruhms, den sie auf die Geliebte warfen, nicht gefesselt haben! Weißt du denn auch, ob nicht diese großen Genies sich durch gewisse Schwächen und Fehler im geselligen Umgange um ihr Ansehen bey denen gebracht haben, die sie täglich umringten? Die Forderungen des Frauenzimmers sind örtlich, sie erstrecken sich selten über die Grenzen ihres Wirkungskreises hinaus. Ein mittelmäßiger Kopf mit einem ephemerischen Nimbus, auf den sich sein geselliges Ansehen stützt! Große der Erde, deren Mittelmäßigkeit ein beygelegter Schimmer, und eine gewisse Weltklugheit bedeckt; Dichter, deren Produkte keinen Werth haben als den, das Parterre zu füllen; Kriegsmänner, die sich öfter mit ihren Cameraden in Spielgefechten, als mit dem Feinde in Schlachten gemessen haben; alle diese Menschen mit einem bloß localen Werthe interessieren die Eitelkeit der Weiber mehr, als die Solonen, die Türennen und die Rousseaus.

Allein der Mann mag der Selbstheit der Geliebten noch so sehr schmeicheln, sich ihr durch die Beförderung des geselligen Ansehens, durch Geschenke, durch Biegsamkeit in ihre Launen noch so wichtig machen; – wenn er nicht das Talent besitzt, gerade ihrer Person durch seine persönlichsten Eigenschaften wichtig zu werden; wenn er nicht gerade dadurch ihre Geschlechtssympathie zu reitzen weiß; so wird er ihrem Herzen nie sehr nahe treten!

Die Geliebte muß das Gefühl erhalten, daß der Körper des Mannes mächtig auf den ihrigen wirkt, daß sie sich gern mit ihm zur Häuslichkeit absondern, seinen Beyfall für ihre weiblichen Vorzüge ausschließend auf sich ziehen, ihm mit ihrer Person gern angehören, und seinen Geist zu dem ihrigen machen möchte.

Dieß Gefühl zu erwecken ist die wichtigste Angelegenheit des Liebhabers. Es hängt von dem Wohlverhältnisse ab, worin seine Stärke zu der Zartheit der Geliebten zu stehen kommt, von dem Triebe, den er bey ihr zu erwecken weiß, sich ihm sanft entgegen zu heben, und ihre Geschlechtsverschiedenheiten mit den seinigen zu paaren.

Die Anziehungskraft der Körper hängt freylich am wenigsten von unserer Willkühr ab; allein wenn gleich körperliche Ueppigkeit und Lüsternheit nicht unmittelbar erweckt werden können, so entstehen sie doch leicht unmittelbar durch Zurückwirkung des ähnlichen Zustandes, in den die Seele versetzt wird. Und die Seele in diesen Zustand von Ueppigkeit und Lüsternheit zu versetzen, das hängt denn viel eher von der klugen Behandlung des Mannes ab. Seine Sorge muß also dahin gehen, der Geliebten das Gefühl einzuflößen, daß sie mit ihm traulicher und ausgefüllter zusammen leben werde, als mit jedem andern; daß keiner so würdig sey, den Werth ihrer Reitze und der Vorzüge ihrer Person zu schätzen; daß sie in keinem den Führer, das Haupt der Verbindung so gern anerkennen möchte, als in ihm; und daß endlich die Stärke seines Geistes sich dergestalt an die Zartheit des ihrigen schmiegen könne, daß sie in dem Gefühl erhöheter Sanftheit mit ihm zusammentreffen werde.

Wo der Mann auf solche Art den Häuslichkeitstrieb, die üppige Eitelkeit der Geliebten interessieren, und hier gar begeistern kann; da wird die Ueppigkeit und Lüsternheit des Körpers leicht erwachen; da wird er der Selbstheit ihres Geschlechts und ihrer Person wichtig werden. Inzwischen gelangt er dadurch noch nicht zum völligen Besitz ihres Herzens. Er wird nur dieß erreichen, daß sie einen eigennützigen Werth auf ihn legt, den er so lange behält, bis ein anderer ihn ersetzt.

Kann er aber nun zugleich ihre Sympathie interessieren, kann er das Gefühl bey ihr erwecken, daß ihre Gunst zu seinem Glücke unentbehrlich ist, kann er sie zum anhaltenden Mitleiden über seinen Kummer, zur Wonne über sein Glück bewegen; kann er ihrem Beschauungshange die Wonne zuführen, daß der Mann, der ihr so viel werth ist, und den sie so unaussprechlich glücklich oder unglücklich machen kann, den Beyfall oder die Bewunderung eines jeden Weibes verdienen, den ihrigen verdienen würde, wenn sie ihn auch nur aus der Beschreibung kennte; – und kann er sie an alle diese Gefühle gewöhnen; ja, dann darf er sicher seyn, ihr Herz gewonnen zu haben, und wieder geliebt zu werden.

So darf man denn die drey Maximen, deren Befolgung Gegenliebe erwecken, dahin ausdrucken:

Mache deine Person der Person der Geliebten wichtig! – Erwecke das Gefühl, daß sie dir unentbehrlich sey! – Erwecke jenes andere, daß du, unabhängig von allem was du ihr besonders bist, der Gegenstand eines allgemeinen Beyfalls ihres Geschlechts seyn müssest.


Drittes Kapitel.
Gemeine Art, diese Maximen zu befolgen.

Alle Verführungskünste, die in der Welt unter dem Nahmen der Künste zu lieben bekannt sind, alle Müssiggänger, die ihre Sinne, ihre Eitelkeit, ihre Belustigungssucht, durch Eroberung weiblicher Herzen zu befriedigen suchen, gehen von diesen Grundsätzen aus, befolgen diese Maximen, welche sie sich bald deutlicher bald undeutlicher denken.

Nie wird der Eigennutz allein den Besitz des Herzens verschaffen können; nicht der gröbere, nicht der feinere. Die verworfenste Buhlerin giebt ihr Herz nicht für Gold hin; sie giebt es an denjenigen, der durch seine körperlichen Vorzüge auf ihre Lüsternheit am stärksten wirkt, von dem sie zugleich überzeugt ist, daß sie seine Begierden am stärksten rege machen werde, und daß er es werth sey, sie vorzüglich bey allen Weibern ihrer Art zu befriedigen. Sie hat schon das Gefühl, daß sie mehr von ihm will, als daß er ihr bloß wichtig sey; sie will auch ihm wichtig seyn; sie will einen Vorzug an ihm kennen, der allgemeine Schätzung in ihrer Classe verdiene.

Zunächst über der Buhlerin, und vielleicht in manchen Fällen unter ihr, steht die Coquette. Der Wunsch, in der Gesellschaft, worin sie lebt, Ansehn zu genießen, ist die gefährlichste Klippe ihres Herzens. Der Mann, der in den geselligen Zirkeln glänzt, worin sie auf Gewährung ihrer Eitelkeit, auf Zerstreuung, auf Betäubung ausgeht, hat den ersten Anspruch auf ihren Beyfall. Glaubt aber nicht, daß dieser Mann ihr darum Zärtlichkeit einflöße! Es darf nur ein vornehmerer, brillanterer Mann in der Gesellschaft auftreten, so wird der vorige vergessen. Aber er weiß sie zu begeistern, ihr das Gefühl einzuflößen, daß seinen Beyfall zu verdienen der sicherste Anspruch auf allgemeine Bewunderung sey; er weiß Leidenschaft zu heucheln, sympathetische Gefühle in ihr rege zu machen; sein leichtfertiger Egoismus, der ihm eine völlige Gewalt über sich selbst sichert, setzt ihn in den Stand, allen übrigen Weibern in der Gesellschaft liebenswürdig zu erscheinen. – Nun erst erwacht Zärtlichkeit und vielleicht Leidenschaft in ihrem Herzen. Der Mann, der ihrer Eitelkeit so wichtig ist, dem ist sie unentbehrlich, und dieser Mann; – jedes Weib würde sich freuen ihn zu besitzen!

Es giebt freylich Weiber, bey denen das Herz alles zu seyn scheint. Was fragen sie darnach, ob andere Menschen den Geliebten schätzen, ob er schätzungswerth sey; genug er hängt ganz allein an ihnen, er opfert sich ganz für sie auf! Nur dadurch ist er ihnen so werth, daß er so innig lieben kann! Haltet ein! eigennützigste unter allen Geschöpfen! Was euch fesselt, ist freylich das Bewußtseyn, daß ihr geliebt werdet, aber eben so sehr das Gefühl, daß ihr herrschet, daß ihr keinen Widerstand in euren Launen findet, daß ihr gängelt, bildet und leitet! Und gesteht es nur aufrichtig, derjenige Mann, der abgerissen mit euch von der übrigen Welt, bloß dieß Gefühl einflößen könnte, würde euer Herz nicht lange besitzen. Aber was diesem so wohl thut, ist der Gedanke: daß der Mann, der so lieben kann, euch von allen andern Weibern beneidet wird!

Es giebt noch eine Art von Weibern, bey denen scheint der Beschauungshang allein den Schlüssel zu ihrem Herzen zu haben. Sie lieben das Ungewöhnliche, Seltene, Außerordentliche in dem Manne, hängen sich diesem allein an, oft ohne Gegenliebe, mit Aufopferung aller Selbstheit! Doch nein! Sie rechnen darauf, mit der Zeit den Geist, der den ihrigen besitzt, durch sein Herz zu gewinnen, und wenn sie ihn durch Zärtlichkeit zu sich herunter gezogen haben werden, ihrem Herzen und ihrem Stolze einen erhöheten Genuß zu bereiten.

So bleiben also die drey Gefühle: der Mann ist mir wichtig, ich bin ihm unentbehrlich, er ist werth, andern mit mir wichtig zu seyn – Gefühle, die dem Eigennutze der Sympathie und dem Beschauungshange immer zugleich angehören – Ingredienzien zu jeder Zärtlichkeit oder Leidenschaft. Derjenige, der diese erwecken will, muß jene Gefühle in dem Herzen der Geliebten zu gründen wissen.

Viertes Kapitel.
Wie diese Mittel veredelt und verschönert werden können.

Der edel liebende Mann, der Mann, der Sinn für Vollkommenheit, Adel und Schönheit hat, kann dieser Mittel nicht entbehren, wenn er Gegenliebe erwecken will. Er muß die nehmlichen Maximen befolgen. Aber er sucht sie bey der Anwendung zu veredeln und zu verschönern.

Es giebt eine Selbstheit in dem Weibe, die mit Edelsinn und Sinn für Schönheit zusammen geht: dieser sucht er wichtig zu werden. Es giebt eine Sympathie, die unter eben dieser Leitung steht; diese sucht er zu interessieren. Endlich sucht er dem Beschauungshange durch solche Bilder seiner Vorzüge zu gefallen, welche der Prüfung des Verstandes und der Vernunft unterworfen werden mögen.


Fünftes Kapitel.
In wie fern edle und schöne Liebe in dem Manne auf den Eindruck des Körpers rechnet.

Warum soll der edelste Mann, der einen schönen Körper hat, diesen für einen gleichgültigen Vorzug ansehen, um der Geliebten zu gefallen? Sie ist Mensch und Weib! und der Körper spielt eine große Rolle in der Liebe! Darin liegt nichts Niedriges und nichts Schwaches.

Ich kenne Weiber, die eine Art von Ehre darin suchen, die größte Gleichgültigkeit gegen die Figur der Männer vorzugeben, welche sie auch dadurch an den Tag legen, daß sie sich an Männer von häßlichen Formen hängen. Weit entfernt, diese Gleichgültigkeit lobenswerth zu achten, – wenn sie anders nicht durch ein überwiegendes Verdienst in dem Manne gerechtfertigt wird, – schließe ich vielmehr daraus auf einen Mangel an Geschmack bey dem oft sehr unsittliche Gefühle zum Grunde liegen. Nicht selten werden diese Weiber für die Abwesenheit der Wohlgestalt durch körperliche Eigenschaften schadlos gehalten, die viel gröbere Triebe befriedigen, als diejenigen, welche das Auge für schöne Formen empfindlich macht. Noch häufiger ist es übertriebene Vorliebe zu ihrer eigenen Gestalt, die sie blind gegen die Schönheit des Mannes macht.

Andere Weiber sind zwar nicht gleichgültig gegen die Figur des Mannes, aber das, was sie an diesem rührt, ist nicht die Wohlgestalt, die unserm Geschlecht eigen seyn muß; es sind entweder Formen, welche durch den Ausdruck der Stärke die Lüsternheit erwecken, oder solche, die durch ihre Zierlichkeit auf die Ueppigkeit der Weiber wirken. Für ernste Schönheiten haben die wenigsten, besonders in unsern nördlichen Gegenden, Sinn. Ich habe noch keine gefunden, die den Apollo von Belvedere wirklich als Schönheit empfunden hätte. Ein Ganymed, ein Genius, hat selbst bey dem feiner gebildeten Frauenzimmer den Vorzug. Gröber organisierte Frauen erklären sich für den Herkules, und der ungebildete Haufe verwechselt mit einer Gestalt dieser Art die Figur eines Lastträgers und Grenadiers. So etwas nennen sie superb! Andere werden durch die ausdruckslose Form schwammiger Knaben angezogen, welche das Creditiv ihrer Geistesarmuth auf Stirn und Wangen tragen: das nennen sie graciös! Einige sind so tief herabgesunken, daß sie den schamlosen Ausdruck frecher Faunenaugen für interessant, die unbehülfliche Feistigkeit der Silenen für appetissant, und beydes für schön halten. Kein Wunder, wenn Weiber, die einen solchen Geschmack hegen, und dabey Eitelkeit genug besitzen, sich mit ihrem Urtheile über Männerschönheit nicht lächerlich machen zu wollen, lieber eine gänzliche Indifferenz dagegen vorgeben.

Aber Schönheit ist ein wahrer Vorzug, so wohl für den Mann, als für das Weib. Ein Vorzug an sich selbst, weil er vielen bey dem bloßen Anblick Freude macht; ein Vorzug durch seinen Einfluß auf unsere Handlungsweise. Denn eben jener wohlgefällige Eindruck, den die Schönheit selbst auf Unbekannte macht, gewährt demjenigen, der sie an sich trägt, eine Zuverlässigkeit zu sich selbst, von der Freyheit, Leichtigkeit, Gegenwart des Geistes in allen persönlichen Unternehmungen abhängt. Ja, der schöne Mensch trägt an sich selbst ein sinnliches Vorbild des Edeln und Schönen überhaupt, das er sehr leicht auf alles anwendet, was ihm von außen zur Beurtheilung dargestellt wird. Bildende Künstler pflegen, um die Figuren die sie schaffen, zu verschönern, ihnen diejenigen Formen, denjenigen Ausdruck beyzulegen, die sie an sich selbst für schön und reitzend halten. Ungestaltete Menschen, die an einem oder dem andern Theile ihres Körpers wohlgebauet sind, pflegen an andern Menschen gemeiniglich nur diesen Theil schön zu finden. So nehmen wir gemeiniglich von uns selbst die Regel zur Beurtheilung des Wohlgefälligen ab, und bey übrigens gleichen Anlagen wird gewiß die Empfindniß des Schönen bey dem schönen Menschen richtiger und sicherer seyn, als bey dem häßlichen.

Warum soll der edle Mann seine Geliebte gleichgültig gegen diesen Vorzug halten? Das wird er nicht! Aber freylich, er wird ihn bloß als eine Empfehlung betrachten, die ihm eine doppelte Verbindlichkeit auflegt, die gute Meinung die er für sich erweckt, zu rechtfertigen. Er wird seine Geliebte dadurch ehren, daß er diesem zufälligen Vorzuge im Verhältnisse zu den übrigen Vorzügen seines Geistes nur einen untergeordneten Rang einräumt. Die größte Schönheit verliert ihren Werth, wenn sie sich mit einer Anmaßung darstellt, welche auf die bloße körperliche Form alle Ansprüche zu gefallen bauet. Er wird seine Geliebte dadurch ehren, daß er ihr zu viel Geschmack zutrauet, als daß sie Formen, die nur der Buhlerin oder dem ungebildeten Weibe gefallen können, für schön halten sollte, und wenn er nur solche an sich trägt, so wird er gar keinen Werth darauf setzen. Aber er wird seinem Aeußern, welcher Art es seyn mag, einen Ausdruck beylegen, der seine liebende, sittliche, für alles Edle und Schöne empfindliche Seele darstellt; überzeugt, daß dieser auf das Herz des edeln Weibes einen stärkeren Eindruck macht, als die schönste, aber todte, ausdruckslose Form.

Es giebt einen Anstand, es giebt Blicke, Mienen, Geberden, die so gleich verkündigen, daß in dem Körper eine Seele wohnt, die sich ganz für Liebe aufopfern, alle ihre Zartheiten fühlen kann! Dieser Ausdruck ist vor allen andern reitzend. Aber er muß mit einem andern zusammengehen, der Adel der Seele, männlichen Ernst, Freyheit, Festigkeit, Bewußtseyn der Selbstwürde ankündigt. Diese Hoheit und diese Liebe im Bande mit einander, die sind es, welche den stärksten Eindruck auf das zärtere Geschlecht machen. Erwecke die Ahndung, daß du zu den Füßen der Geliebten sterben, aber um keinen Preis erniedrigende Fesseln tragen würdest!

Aber hüte dich vor aller Ziererey! Glaube nicht, daß es hinreichend sey, in dem Augenblicke, worin du Eindruck auf das Herz der Geliebten zu machen wünschest, deinem Körper einen Ausdruck beyzulegen, den du nicht lange vorher dir zu eigen gemacht hattest! Liebst du wirklich, so wirst du ohnehin nicht Freyheit des Geistes genug behalten, um eine solche Rolle gut zu spielen, und der Schein des Adels, mit dem du zu glänzen suchst, wird dich steif, der Schein der Zärtlichkeit, mit dem du rühren willst, wird dich süßlich ekelhaft machen. Von früher Jugend an sey es dein Bestreben, deinen Charakter zu vervollkommnen, dein Herz zu liebenden Gefühlen zu gewöhnen, deinen Sinn für das Edle und Schöne auszubilden, und deine Handlungen nach den Gesetzen, welche dieß Studium darbietet, einzurichten. Dann wird sich die Hauptbeschäftigung deiner Seele auf deine äußern Formen eindrücken, dann werden deine Mienen und Geberden eine ungezwungene Fertigkeit erlangen, sich liebend, edel und schön darzustellen, die zwar ihrem Ursprunge und ihrer Bildung nach Folge der Ueberlegung und der Aufmerksamkeit auf dich selbst ist, aber in ihrer einzelnen Aeußerung nichts mehr von jenem Zwange und von jener Kunst verräth, die so wenig mit der Schönheit als mit der Grazie vereinbar ist.

So zeigt sich denn schon bey der Art, wie wir durch unsern Körper gefallen wollen, die Wirksamkeit des Sinnes für Vollkommenheit. Wir verschmähen nicht den Vortheil, den uns ein schöner Körper, und seine todte Form gewährt, aber wir wollen, daß nur dasjenige an diesen gefallen soll, was wirklich schön ist. Kein üppiger, lüsterner, aber unverhältnißmäßiger Bau, keine weibische Zierlichkeit soll der Geliebten Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Sie soll entweder dasjenige schön an unsern Formen finden, was wirklich männlich wohlgestaltet ist, oder wir legen gar keinen Werth auf unsere Formen. Und selbst wenn wir diesen Werth vor ihren Augen zu haben wähnen dürfen, so betrachten wir ihn mehr als ein Creditiv auf höhere Vorzüge, die sie an uns schätzen lernen wird, als wie ein unbedingtes Mittel, ihr Herz zu rühren. Vor allen Dingen suchen wir unsern Körper denjenigen Ausdruck zu geben, aus dem der edelste Theil unsers Wesens hervor leuchtet. Die Ahndung einer edeln, schönen und liebenden Seele in unsern Formen und Bewegungen darzubieten, das ist es, wornach wir vorzüglich streben, das ist es, wodurch wir vorzüglich zu gefallen hoffen.

Sechstes Kapitel.
Vorläufige Bemerkungen über die Veredlung und Verschönerung der Urbanität überhaupt.

Nächst dem Körper ist nichts, was dem Unbekannten mehr zur Empfehlung gereicht, als dasjenige, was man Artigkeit, Manieren, Urbanität, Courteoisie, Höflichkeit, guten und feinen Ton, Welt u. s. w. nennt. Da das Frauenzimmer besonders Werth hierauf legt, und wie ich unten zeigen werde, vorzüglichen Werth darauf zu legen berechtigt ist, so verdient dieser Gegenstand hier etwas näher aus einander gesetzt zu werden.

Es giebt gewisse Pflichten, welche weder die Moral noch die Gesetze bestimmt vorschreiben; Pflichten, zu deren Beobachtung wir nicht als Mitglieder der menschlichen Gattung überhaupt, nicht als Mitglieder eines Staats, einer Familie, oder einer noch engern Verbindung schuldig sind: sondern Pflichten, welche die örtliche Gesellschaft in weiterm Umgange beym vorübergehenden Zusammentreffen mit Fremden und entfernten Bekannten, bey Zusammenkünften zur geselligen Mittheilung auflegt, Pflichten, die zum Theil auf Anerkennung der wesentlichen Maximen beruhen, wodurch sicheres und bequemes Nebeneinanderseyn befördert, und dem Ausbruche grober und niedriger Neigungen vorgebeuget wird; zum Theil aber auch auf stillschweigender oder ausdrücklicher Uebereinkunft, solche Formen zu bewahren, welche Bilder des Wohlwollens, des Zutrauens, der Schätzung, selbst für Unbekannte, erwecken, und dem Herzen, so wie dem Sinn des Edeln und Schönen wirklich schmeicheln oder schmeicheln sollen.

Man kann ein vortrefflicher Mensch und Bürger und dennoch wenig bekannt mit diesen Pflichten des weitern geselligen Umgangs, wenig fertig in ihrer Ausübung seyn. Wenn wir uns in solchen weiteren Verhältnissen mit andern denken, so erscheint dieser Vorzug wie ein überflüssiger Schmuck. Man kann als Hausvater, als Camerad, als Freund und Geliebter desselben entbehren. Bey einer so nahen Verbindung wird seine Unentbehrlichkeit nicht so auffallend gefühlt. Völker im patriarchalischen Zustande, Völker, deren Staaten aus weit aus einander wohnenden Familien bestehen, scheinen zum bequemen Nebeneinanderseyn ihrer Bürger mit Beobachtung der Pflichten, welche Moral, Klugheit und bürgerliche Gesetze auflegen, auszureichen. Aber da, wo Menschen dicht neben einander wohnen, die in keine so genaue Verbindung mit einander treten können, um sich ihre Schwächen leicht zu verzeihen, und dennoch zu nahe an einander gerückt sind, als daß sie der Furcht ihrer nachtheiligen Ausbrüche überhoben seyn könnten; da fängt dieser Vorzug an, wichtig zu werden. Und hierin liegt der Grund, warum man die fertige Beobachtung der Pflichten des weiteren geselligen Umgangs Urbanität, städtisches Wesen, Höflichkeit, höfisches Wesen, genannt hat. Denn in Städten und bey Hofe fühlt man am auffallendsten den Nutzen dieser Fertigkeit; hier rücken die Menschen näher zusammen, ohne jedoch mit einander vertraut zu werden.

Urbanität – es sey mir erlaubt, diesen Nahmen statt aller andern zu gebrauchen, – Urbanität ist die fertige Beobachtung der Vorschriften, nach denen unsere Person in den Verhältnissen des weitern geselligen Umgangs mit Menschen, ohne vorgängige Bekanntschaft oder Verbindung und ohne Rücksicht auf einen besondern Zweck des Nutzens oder der Unterhaltung, andern auf eine Art erscheinen kann, wodurch die gesellige Mittheilung befördert, und Vergnügen durch das bloße Zusammenseyn erweckt werden mag.

Diese Urbanität gehört zum Theil zu den Künsten oder Fertigkeiten des Nutzens: und in so fern giebt sich die Klugheit damit ab, sie nach den Regeln der Wahrheit und der Zweckmäßigkeit zu bilden. Es muß alles vermieden werden, was den Ausbruch niedriger und schädlicher Neigungen befürchten läßt; es muß in unsere Aeußerungen der Ausdruck des allgemeinen Wohlwollens, der Schätzung und des Zutrauens gelegt werden, die wir jedem Menschen, besonders dem gesitteten, schuldig sind. Dadurch wird für sicheres und bequemes Nebeneinanderseyn, selbst bey der vorübergehendsten Bekanntschaft gesorgt.

Die Aeußerungen, von denen ich rede, umfassen theils alles dasjenige Eigenthum, das von uns gewählt wird, um bey geselligen Zusammenkünften zum Gebrauch oder zur Schau zu dienen; z. B. Kleidung, Wohnung, Hausgeräth, deren Sonderbarkeit und Unzweckmäßigkeit unsern Mitmenschen leicht anstößig seyn kann; theils den Ausdruck unserer Gesinnungen durch Geberden, Mienen, Worte, allgemeine Dienstleistungen, Aufmerksamkeiten, und so weiter.

Nicht alle Menschen haben einen hinreichenden Takt von demjenigen, was wahr und zweckmäßig in der Urbanität ist: und dennoch ist es da, wo Menschen viel und häufig zusammen kommen, ohne sich näher zu verbinden, höchst nöthig, daß darüber einstimmige Begriffe, und eine gleichförmige Verfahrungsart herrschen. Daher jene Conventionen unter allen Völkern, die Städte bilden und örtlichen Umgang pflegen, über die Weise, wie sich die Bewohner einander äußerlich begegnen wollen. Diese Regeln der Urbanität, die durch Convention sanktionirt sind, heißen der gesellige Ton, oder Manieren.

An jedem Orte, wo Menschen häufig zusammen kommen, sind durch ausdrückliche oder stillschweigende Uebereinkunft Regeln festgesetzt, deren Beobachtung die gesellige Mittheilung befördert, deren Vernachlässigung die Ruhe, die Bequemlichkeit, das Vergnügen des Zusammenkommens stört. Es herrscht folglich daselbst ein Ton; und dieser ist der locale Ton.

Dieser locale Ton entfernt sich oft von den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft; dann ist er schlecht: oft aber ist er mit dem Wahren und Zweckmäßigen übereinstimmend: dann ist er gut.

Der schlechteste Ton läßt sich jedoch auf eine Art modulieren, daß die Menschen, die ihn haben, durch die Abweichungen, welche sich der Mann von gutem Tone, wenn er zwischen ihnen auftritt, erlaubt, nicht beleidigt werden. Dieser, indem er ihre Manieren anzunehmen scheint, weiß sie dennoch mit den Regeln des Wahren und Zweckmäßigen in nähere Harmonie zu bringen. Ein Mann der dieß Talent besitzt, und vermöge desselben allerwärts als ein solcher Gesellschafter erscheint, der die Mittheilung befördert, und Vergnügen bey der vorübergehendsten Bekanntschaft erweckt; ein solcher Mann hat Welt, oder er besitzt die Gabe, sich nicht bloß in Stadt und Hof, sondern, so weit es die Bedürfnisse der größeren Gesellschaft an allen Orten erfordern, in die ganze Welt zu schicken.

In so fern gehört die Urbanität den Künsten des Nutzens an. Aber sie kann auch zu den edlen und schönen Fertigkeiten oder Künsten gehören, in so fern sie nicht so wohl der Selbstheit und der Sympathie, als vielmehr dem Beschauungshange durch Bilder des Edeln, und durch schöne Formen Wonne zuführen soll. Auch hierüber haben die guten Sitten gemeiniglich etwas festgesetzt, und die Regeln der schönen Urbanität, die durch Convention sanktioniert sind, heißen der feine Ton, feine Manieren, oder Ton der großen Welt.

Aber wenn der urbane Mensch sich wirklich als eine Vollkommenheit darstellen soll, so ist es nicht genug, daß er sich nach jenen Vorschriften des feinen Tons richte, der oft nichts weniger als übereinstimmend mit den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft ist. Er muß sein urbanes Wesen zu einem harmonischen Ganzen fertigen, das seinem innern Gehalt nach ästhetisch edel, seiner äußern Form nach ästhetisch schön in jeder Rücksicht erscheint. Laßt uns also in der Urbanität die Kunst des Nutzens von der edeln und schönen Kunst wohl unterscheiden, und in jener nützlichen Fertigkeit die drey Stufen festsetzen: localen Ton, guten Ton, und Welt zu besitzen; in dieser schönen aber die beyden: feinen Ton zu haben, oder gar als ein urbanes Wesen zu erscheinen, welches das Bild absoluter Vollkommenheit erwecken kann.

Es ist wohl der Mühe werth, daß ich diese Sätze durch Beyspiele klar mache.

Gesetzt, es wäre an einem gewissen Orte hergebracht, sich gar nicht um die Bezeugungen des allgemeinen Wohlwollens und der Achtung zu bekümmern, die man bey Bewillkommung oder Entlassung eines Menschen unter allen policierten Nationen angenommen findet. Niemand grüßte den andern, niemand bezeugte ihm Aufmerksamkeit bey traurigen oder fröhlichen Gelegenheiten: keiner wollte dem andern bey den Bedürfnissen der Bequemlichkeit, die er bey zufälligen Zusammenkünften mit andern haben könnte, Gefälligkeit erweisen. Auf Geberden, und die Art sich mündlich auszudrucken, würde gar nicht gesehen. Ungezwungenheit wäre der einzige Grundsatz, den man befolgen zu müssen glaubte. Ausgelassenheit, als die höchste Stufe des Vergnügens, wäre der Zweck, auf den man los arbeitete. – Darum wäre es Ton, daß kein Weib freye Scherze unbeantwortet ließe; darum wäre es Ton, daß alle Gesellen sich unter einander lächerlich machen möchten, keiner aber seinen Unmuth merken lassen dürfte. – Ein solcher Ton würde offenbar schlecht seyn, weil er der Sicherheit, Ruhe, Bequemlichkeit auf die Länge nothwendig nachtheilig werden muß. Aber ein Mensch, der diesen Ton sich ganz zu eigen gemacht hätte, so schlecht er an sich ist, würde doch mehr Anspruch auf Urbanität in dieser örtlichen Gesellschaft haben, als derjenige, der bey einem bessern Tone durch seine Steifigkeit oder Empfindlichkeit das Vergnügen der Gesellschaft stören würde.

Oder man nehme ein anderes Extrem! Es wäre an einem Orte hergebracht, sich nicht anders als unter abgemessenen Beugungen des Körpers, und unter auswendig gelernten Complimenten einander zu nähern; eine ängstliche Aufmerksamkeit auf Rang, Anstand, persönliche Neigungen und Verhältnisse verhinderte allen Austausch der Gedanken, alles Spiel des Witzes. Man dürfte keinen Spaß vorbringen, aus Furcht, für satyrisch gehalten zu werden, nichts, was Kenntnisse verriethe, aus Besorgniß, durch Anmaßungen zu beleidigen; man dürfte sich bey den prächtigsten Gastmählern nicht satt essen, ohne den Vorwurf der Unmäßigkeit auf sich zu laden; – so würde dieser Ton, der ehemahls in unsern Reichsstädten gewöhnlich war, und schlechterdings alle gesellige Mittheilung hindert, unwahr, unzweckmäßig, mithin schlecht seyn. Dennoch würde derjenige Mensch, der diesen Ton ganz gefaßt hätte, viel mehr Anspruch auf Urbanität an seinem Orte haben, als derjenige, der durch freye Scherze, oder durch eine Unterhaltung, die Vorerkenntnisse voraussetzt, der Gesellschaft Anstoß gäbe oder Langeweile machte.

Laßt uns eine Gesellschaft aufsuchen, worin der Ton das Mittel zwischen jenen beyden hält. Man ist vergnügt, heiter, offen, unbefangen, aber ohne sich lärmenden Freuden, beleidigenden oder unanständigen Scherzen zu überlassen. Ein jeder beobachtet sich selbst, und achtet andere, ohne Aengstlichkeit, ohne Steifheit. Ein jeder sucht dem andern Antheil, Wohlwollen, Dienstfertigkeit, ohne Andringlichkeit und ohne Anmaßung von Seiten des Gebers und des Empfängers zu bezeugen. Gewiß, in einer solchen Gesellschaft wird man ohne Gefahr vor dem Ausbruche unbändiger Leidenschaften, mit derjenigen Behaglichkeit und Ruhe zusammen seyn, welche schon der bloße Schein der Sittlichkeit einflößt, und mit derjenigen Ungezwungenheit, die zur Einnehmung eines anständigen Vergnügens erfordert wird. Dieser Ton ist also gut: denn er ist wahr und zweckmäßig, tüchtig, um die gesellige Mittheilung und das Vergnügen des Zusammenseyns zu befördern. Der Mensch, der diesen Ton hat, ist urban, nicht bloß nach Conventionen, sondern in Uebereinstimmung mit den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft, wenn er gleich nur der frühen Angewöhnung, nicht seinem eigenen Nachdenken und eigener Selbstbestimmung, diese nützliche Fertigkeit verdanken sollte.

Gesetzt nun, ein Mann, der diesen guten Ton hat, wird in eine der vorhin von mir beschriebenen Gesellschaften verschlagen; – welches wird sein Loos seyn? Wahrscheinlich wird er außer seiner Stelle erscheinen: seine Vernachlässigung des Hergebrachten, sein Rückhalt, seine Verlegenheit, werden die übrigen beleidigen, hindern, stören. Der Ton, der also in sich wahr und zweckmäßig ist, wird, weil äußere Hindernisse seiner Wirksamkeit entgegen stehen, nicht schlecht, aber unbrauchbar seyn.

Wenn aber dieser Mann von gutem Tone nun über den endlichen Zweck der Urbanität nachzudenken anfängt, und es fühlt, daß die Maximen, die er sich gemacht hat, um behaglich neben andern einherzugehen, nach Zeit und Ort besonders modificiert werden müssen; wenn er, vermöge der Biegsamkeit des Charakters, und einer gewissen Uebung, in den localen schlechten Ton einzustimmen weiß, ohne den guten aufzuopfern; dann hat er Welt, oder denjenigen guten Ton, der nicht bloß unter gleichen Umständen immer der wahrste und tüchtigste bleibt, sondern auch unter verschiedenen Lagen die ausgebreitetste Brauchbarkeit verspricht.

So wird der Mann von Welt, wenn er in eine Gesellschaft ausgelassener Bursche tritt, ihre Munterkeit ohne den lärmenden Ausbruch der Lustigkeit, zu theilen wissen; mitscherzen, ohne die Unschuld erröthen zu lassen, und wenn man ihn zur Scheibe eines beleidigenden Witzes machen will, durch eine glückliche Wendung die persönliche Beleidigung ablenken, und der Lachsucht einen allgemein belachenswerthen Gegenstand vorschieben. – So wird der Mann von Welt, der in einen steifen Zirkel tritt, in die Beobachtung der vorgeschriebenen Ceremonien eine gewisse Freyheit und Unbefangenheit bringen, die das Lästige derselben vermindert, ohne gegen die hergebrachten Begriffe anzustoßen.

Wir haben bis jetzt die drey Stufen der Urbanität, als einer nützlichen Fertigkeit, betrachtet; jetzt von eben dieser Urbanität, als einer edeln und schönen Fertigkeit.

Ich habe bereits gesagt, daß die gute Sitte auch über diese edle und schöne Fertigkeit, so wie über alle andre gern etwas bestimmt, und einen Styl, eine Mode einführt, die gemeiniglich mit dem Nahmen des feinen Tons und des Tons der großen Welt bezeichnet wird.

Offenbar liegt bey diesem Tone die Absicht unter, dem Beschauungshange durch Bilder der Vollkommenheit Wonne zuzuführen. Der gesellige Ton soll nicht bloß brauchbar, er soll auch ausgezeichnet durch gewisse Vorzüge seyn, die, ohne Beziehung auf Nutzen, wohlgefällig erscheinen.

So wie es gewöhnlich geht, so geschieht es auch hier: das Seltene wird oft mit dem Edeln, das Gezierte mit dem Schönen verwechselt. Es würde mich zu weit führen, wenn ich die Irrthümer aufzählen wollte, in die man seit Franz des Ersten Zeit bis zu uns herunter durch die Bemühung verfallen ist, der Urbanität einen edeln und schönen Charakter beyzulegen. Bald ist man unerträglich steif und ceremoniös geworden, um erhaben zu scheinen; bald minaudierend, süßlich, sprudelnd, ausgelassen, kindisch einfältig, um sich zart, lebhaft und naiv darzustellen; endlich hat man gar ein tölpelhaftes, freches, sich selbst und andere vernachlässigendes Betragen angenommen, um sich durch diesen falschen Anstrich des Natürlichen und Ungezwungenen von dem großen Haufen zu unterscheiden.

Laßt uns sehen, wie der einzelne Mensch das wahre Edle, das wahre Schöne an seiner urbanen Person darstellt!

Wie! sagt sich dieser, ist es denn um der Brauchbarkeit willen allein, daß ich mich gegen andere Menschen in den weiteren Verhältnissen des geselligen Umganges so betragen muß, daß wir sicher und behaglich neben einander herwandeln können? Nein, die Vollkommenheit, der ich nachstrebe, legt mir auf, in jedem Verhältnisse meines Lebens zu seyn was ich bin, was ich seyn sollte, Mensch: mithin muß ich mich auch so im geselligen Umgange zeigen. Als Mensch bin ich mir selbst Achtung, aber auch andern Achtung und Liebe schuldig. Zeige daher beydes in jeder deiner geselligen Aeußerungen; zeige es auch dadurch, daß du dich in die Conventionen des localen und feinen Tons schickst, und da, wo sie mit deinen Begriffen von Menschenwürde und Menschenliebe nicht übereinstimmen, sie so zu modificieren suchst, daß nicht so wohl Verachtung und Haß gegen diejenigen, die sich anders betragen, als Achtung und Liebe für eure gemeinschaftliche Bestimmung, Verstand und Vernunft zu gebrauchen, aus deinem Betragen hervorblicke!

Nach solchen Grundsätzen sucht sich der Mann, der Sinn für Wahrheit und Tüchtigkeit hat, in seiner Urbanität, der Bestimmung als Mensch eingedenk, darzustellen.

Aber er ist nicht bloß Mensch, er ist auch Person, und steht als solche im Verhältnisse zu Personen. Er denkt also darüber nach, die Achtung und die Liebe, die er für sich selbst und für andere in seine geselligen Aeußerungen legen will, nach seinem besondern Charakter im Verhältnisse zu dem besondern Charakter anderer Personen zu modificieren, und überall Angemessenheit erscheinen zu lassen.

Es ist seine Schuldigkeit als Mensch, in seiner Kleidung, in der Stellung seines Körpers, in seinem Ausdrucke durch Mienen, Worte und Geberden, Achtung und Liebe für sich selbst und für andere zu äußern. Wohl! Aber sollen diese Aeußerungen die nehmlichen seyn, er mag von heiterm oder melancholischem Charakter, er mag Greis oder Jüngling, er mag Hofmann oder Geschäftsmann seyn? Soll er sich eben so kleiden, stellen, geberden, reden, wenn er mit dem Bauer als wenn er mit dem Könige, wenn er mit der Dame aus der großen Welt, als wenn er mit dem Gelehrten zusammen kommt? Nein, er achtet, er liebt seine eigene Persönlichkeit! und die Persönlichkeit anderer neben seiner Menschheit; und dadurch wird er erst ganz wahr und zweckmäßig in seiner Urbanität, daß er in jedem Verhältnisse, worein ihn der weitere gesellige Umgang versetzt, denjenigen Begriff, diejenige Bestimmung ausfüllt, die als Mensch und als Person im Verhältnisse zu andern Menschen und Personen auf ihn zutreffen.

Man denke sich nun einen Mann, der so, wie er ins Zimmer tritt, durch das Tragen seines Körpers, durch seinen Gang, durch seine Stellung, durch seinen Ausdruck in Geberden und Worten, durch seine Aufmerksamkeiten und Dienstleistungen, jedem sogleich ankündigt, ich achte und liebe euch als Menschen und als Personen, so weit ich diese kenne: ich achte mich aber auch selbst, als Mensch und als Person, so weit ihr diese kennen könnt; man denke sich, daß der Mann dieß nicht bloß als eine Rolle treibt, daß er zusammenhängend, bestimmt in jede seiner geselligen Aeußerungen den Ausdruck dieses Charakters legt; und nun frage ich, ob wohl der roheste Zirkel unbärtiger Knaben, oder die steifeste Zusammenkunft abgelebter Greise und Matronen, das Wahre und Tüchtige eines solchen urbanen Mannes verkennen werden? Gewiß nicht! und sollten sie ihn verkennen, so wird die weisere und bessere Classe der Menschen in allen Jahrhunderten ihn dennoch für wahr und zweckmäßig im weitern geselligen Umgange halten.

Diese auffallende Uebereinstimmung der Urbanität mit den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft kann nun an sich bereits den Beschauungshang zur Wonne am Vollkommnen in seiner Art reitzen. Mit diesem Gefühle ist das Edele und Schöne in der Urbanität oft verbunden, oft aber noch von ihm verschieden.

Beywerke, Stellung, Geberden, Ausrede, Wahl der Worte, u. s. w. können auf einen seltenen Geist, hohe Geburt und Stand, großes Vermögen, ausgezeichnete Schicksale, Tugenden und andere geistige Vorzüge des urbanen Mannes schließen lassen, und dadurch Bilder erwecken, die den Geist des Beschauers mit der Wonne des Edeln füllen.

Eben jene Aeußerungen des urbanen Mannes können aber auch die Wonne am Schönen erwecken. Nehmt an, daß sein Gewand, sein Geräth, dem Auge geschmackvolle Gestalten darbieten, daß das Anlächeln seines Mundes dem erheiternden Sonnenblick, das Anbieten seines Arms der geschlängelten Blumenranke gleiche, daß der Wohllaut seiner Worte eurem Ohre mit harmonischen Tönen schmeichle; wird das Wohlgefallen, das ihr an diesen Formen der Urbanität nehmt, nicht noch verschieden von der Wonne an ihrer ausgezeichneten Wahrheit und Tüchtigkeit, und sogar noch verschieden von der Wonne an ihrem edeln Gehalte seyn? Unstreitig!

Gesetzt nun, die Gefühle des Edeln und Schönen, welche der urbane Mann in uns erweckte, zeigten sich unter Begleitung jener ausgezeichneten Vollständigkeit und Vortrefflichkeit, die ich oben angedeutet habe; würde dann nicht sogar das Bild einer absoluten Vollkommenheit in uns erweckt werden können?

Und so darf ich denn bereits hier als ausgemacht annehmen, was ich vielleicht in einem besondern Werke noch weitläufiger ausführen werde, daß die Urbanität, so wie jede andere edlere und schönere Fertigkeit, für den Beschauungshang arbeiten, und einem allgemeingültigen Geschmacksurtheile unterworfen werden kann. Es giebt eine Venus hospita, wie es eine Venus Charis und Urania giebt.

Siebentes Kapitel.
Veredlung und Verschönerung der Urbanität des Mannes in seinem Betragen gegen das Frauenzimmer.

Das zärtere Geschlecht hat besonders Ursache, Werth auf die Urbanität des unsrigen zu setzen. Seine Schamhaftigkeit, seine Schüchternheit, seine Zartheiten jeder Art, verlangen, daß der Mann den Ausbruch seiner Leidenschaften bey zufälligen Zusammenkünften doppelt bewache, und für den Werth des Menschen und der Person im Weibe eine Achtung in seinem Aeußeren bezeuge, die der rohe Haufe so sehr geneigt ist, ihm um seiner Schwäche willen zu entziehen. Darum ist von jeher Urbanität im Betragen gegen das Frauenzimmer als ein Hauptstück in den Lehren dieser Kunst betrachtet worden; darum hat es Zeiten gegeben, worin man Courteoisie, Höflichkeit überhaupt, mit Galanterie, Höflichkeit gegen das Frauenzimmer, für eins gehalten, und letzterer sogar den Anstrich von Zärtlichkeit und Leidenschaft gegeben hat.

Nur Thoren, nur steife oder ungezogene Pedanten können dem weiblichen Geschlechte Vorwürfe darüber machen, daß artige Manieren an dem unsrigen ein vorzügliches Anrecht darauf haben, ihm zu gefallen; daß oft der innere Werth des Mannes darnach angeschlagen wird. Wo sehen unsere wohlerzogenen Mädchen den Mann anders als in größeren geselligen Zusammenkünften, und wie läßt sich da eine so enge Bekanntschaft knüpfen, um über jenen innern Werth des Mannes nach zuverlässigern Gründen zu entscheiden, als diejenigen sind, welche seine Art, sich darzustellen, an die Hand giebt?

Ich behaupte aber, daß diese Gründe keinesweges so unbedeutend sind, als man sie gemeiniglich angiebt. Wie viel liegt bereits in der Wahl der Kleidung, des Hausgeräthes, der Wohnung, kurz, in dem eigentlichen Beywerke, von dem die Person des urbanen Mannes umgeben wird, woraus man auf seinen Geschmack, auf die Achtung und Liebe, die er für sich selbst und andere hat, schließen kann!

Derjenige, der gar keine Sorgfalt darauf wendet, beweiset eine Vernachlässigung seiner selbst und anderer. Derjenige, der diese Sorgfalt übertreibt, beweiset entweder den übermäßigen und falschen Werth, den er auf sich selbst, oder den geringen, den er auf andere setzt, die er durch dieß Nebenwerk zu blenden und zu gewinnen sucht. Einfach, geschmackvoll, angemessen seinem Stande und seinem Charakter, übereinstimmend mit seiner ganzen Person, zusammenhängend mit allen seinen übrigen Aeußerungen, ist derjenige gekleidet, behauset, ausgerüstet, der Sinn für Vollkommenheit mit Geschmack verbindet. Und gewiß, bey dem edeln Weibe thut dieß eine größere Wirkung, als eine unverhältnißmäßige Pracht, oder eine kleinliche Sorge für Dinge, die zu den äußersten Conturen der Person des Menschen gehören.

Nicht leicht wird in irgend einem zur Urbanität gehörigen Stücke so sehr gefehlt, als in dem Anstande, womit sich der Mann in größeren geselligen Zirkeln von Damen darstellt, der Versammlung seine Aufmerksamkeit, seine Dienstfertigkeit, sein Wohlwollen, und zugleich seine Person durch äußere Handlungsweise zu erkennen giebt. Es ist sehr schwer, hier die wahre Linie zwischen Verlegenheit und Bescheidenheit, zwischen Süßlichkeit und Zuvorkommung, zwischen andringlicher Gefallsucht, und dem Wunsche, eine gute Meinung für uns zu erwecken, zu treffen. Und eben so schwer ist es, nicht auf die andere Seite auszuschweifen, Hochmuth mit Selbstwürde, drückendes Zurückziehen, ängstliche, steife Verschlossenheit mit klugem Rückhalt, Verachtung anderer mit Unbefangenheit und Gleichmuth zu verwechseln. Das weibliche Geschlecht, und vorzüglich die edleren Personen unter ihm, haben darin den feinsten Takt. Besonders aber fehlen diejenigen Männer, welche in ihrem Betragen gegen das Frauenzimmer in den entfernteren Verhältnissen des geselligen Umgangs entweder die Rollen unwiderstehlicher Weiberbezwinger oder fader Höflinge, und niederträchtiger Sklaven aller Schönen übernehmen. So wenig derjenige ihnen gefallen kann, der im schnöden Selbstvertrauen bey einer vorübergehenden Bekanntschaft die Rechte einer vertraulichen Verbindung usurpirt, oder sich gar Scherze und Manieren erlaubt, welche die niedrigsten Begriffe von der Sittlichkeit des Geschlechts im Ganzen verrathen; eben so sehr wird derjenige ihnen lächerlich scheinen, der die Bestimmung der weiteren geselligen Mittheilung, und seine Würde als Mensch und Mann so sehr vergißt, um durch steife Galanterie der Ritterzeiten, oder durch andringliche Coquetterie einer neueren Petitmaitrise um den Ruhm der Artigkeit bey ihnen buhlt.

Der wahre Charakter des urbanen Mannes in seinem Verhältnisse gegen das Frauenzimmer ist geschmeidige Stärke. Der Mann darf zuvorkommender, gefälliger gegen eine Person des zärteren Geschlechts seyn, als gegen eine Person des seinigen. Er würde hart erscheinen, wenn er so, wie in dem letzten Falle sich bewachen wollte, um sich nichts zu vergeben. Aber diese Geschmeidigkeit hat ihre Grenzen. Sie darf nicht bis zu einer Niederwürfigkeit gehen, die den Werth seiner Geschmeidigkeit aufhebt, und ihm bloß den Ausdruck der Weichheit giebt.

Diese Urbanität wird dann der edel und schön liebende Mann nicht verschmähen, um dem zärteren Geschlechte zu gefallen. Sie ist bey ihm Folge der edelsten Triebe unter Leitung des Verstandes und der Vernunft. Seine Biegsamkeit in den allgemein angenommenen Ton wird nicht auf Kosten seiner Selbständigkeit erkauft. Was bey dem großen Haufen mechanische Ausübung eines auswendig gelernten und schlecht verstandenen Rituals ist, das wird bey ihm Ausdruck eines individuellen Edelsinns, und eines überlegten und gebildeten Geschmacks.

Der erste Nutzen, den die Liebe aus der Urbanität zieht, ist dieser, daß die Geliebte auf den Werth des Mannes, der ihr zu gefallen sucht, aufmerksam wird, und ihn unter dem großen Haufen, den sie in ihren geselligen Zirkeln antrifft, auszeichnet.

Aber wichtiger noch für die Liebe ist die verschönerte Form, welche sie aus der Hand des urbanen Mannes eben durch diese seine Fertigkeit erhält. Er verbirgt unter dem Scheine des allgemeinen Wohlwollens auf eine Zeitlang seine Zärtlichkeit für eine bestimmte Person, und das gerührte Herz weiß dennoch in diese bloßen Formen der Höflichkeit etwas Besonderes zu legen, das doppelt schmeichelt, wenn es von der Geliebten bemerkt wird, da es neben den Reitzen der Artigkeit zugleich den Werth der Schonung für ihren Ruf, und den Beweis der Feinheit des Liebhabers mit sich führt. [37]

Zwar wird derjenige, dessen Herz stark gerührt ist, seine Kunst mit minderer Freyheit und Unbefangenheit des Geistes ausüben können, als derjenige, der sich ganz in seiner Gewalt hat. Aber von Jugend auf an Wohlgezogenheit gewöhnt, durch eigenes Nachdenken und überlegte Uebung ausgebildet, wird er in der Anwendung seines Talents nie ganz gehindert werden. Er wird so urban bleiben, als die Liebe es zu seyn gestattet, und die Geliebte wird ihm den Abfall, den er durch die Schüchternheit und Verlegenheit der Leidenschaft leidet, selbst noch als einen Vorzug anzurechnen wissen.


Achtes Kapitel.
Veredlung und Verschönerung der geselligen Unterhaltungsgaben.

Eben so wichtig als die Urbanität ist die Gabe der geselligen Unterhaltung, um sich bey dem Frauenzimmer beliebt zu machen; jene Gabe, in geselligen Zirkeln, worin Menschen von verschiedenen Fähigkeiten und Neigungen auf gemeinschaftlichen Beytrag zur Belustigung durch den Austausch der Gedanken und Gefühle rechnen, diesen Beytrag gehörig zu liefern.

Ob diese Gabe der geselligen Unterhaltung gleich oft mit der Urbanität vereinigt zu seyn pflegt, so ist sie doch nicht unmittelbar mit ihr verbunden. Man kann urban seyn, und diese Gabe in keinem hohen Grade besitzen; man kann sehr unterhaltend, und nicht sonderlich urban seyn. Beydes setzt verschiedene Anlagen und eine verschiedene Ausbildung zum Voraus. Mancher Hofmann ist langweilig, mancher Schönsprecher ist ungezogen.

Der unterhaltende Mann will belustigen: das heißt, andern durch das angenehme Bewußtseyn der Wirksamkeit ihrer Seelenkräfte, ohne mühsame Anstrengung, die Zeit vertreiben. Er muß die Langeweile verscheuchen, welche Folge der Aufmerksamkeit auf den unthätigen Zustand unsers Geistes ist; er muß das Bewußtseyn einer ernsthaften Arbeit entfernt halten, welche nur das Vorgefühl eines Bedürfnisses, eines Berufs, eines weiterliegenden Zwecks erträglich oder wohlgefällig machen kann, und welche mit der Bestimmung dieser Art von Zusammenkünften streitet.

Aber der Zirkel den er belustigen will, ist gemischt: er besteht aus Menschen von verschiedenen Neigungen und Fähigkeiten; daher können die Verhältnisse einer genaueren Bekanntschaft oder einer engeren Verbindung eben so wenig den Stoff zu dieser Belustigung hergeben, als Gegenstände, deren Kenntniß und Interesse von einer besondern Richtung des Geschmacks, und einer seltenen Vorübung der Geisteskräfte abhängt, zu dieser Absicht geschickt sind.

Die Menschen die sich hier versammeln, rechnen auf Austausch der Ideen und Gefühle, auf wechselseitigen Beytrag zur Unterhaltung. Sie wollen mithandeln, um sich in einer belustigenden Thätigkeit zu fühlen, nicht bloß aufmerken oder beschauen. Talente, deren Ausübung die Aufmerksamkeit der Menge nur auf einen oder wenige Akteurs zieht, gehören an und für sich nicht zu den Gaben dieser Art geselliger Belustigung.

Dieß sind die Gesetze der Wahrheit und Zweckmäßigkeit für die gesellige Fertigkeit, wovon hier die Rede ist.

Wer folglich in einer gemischten Gesellschaft einen Satz aus der abstrakten Philosophie, aus der Algeber, aus der Rechtsgelehrsamkeit, kurz, aus irgend einer Wissenschaft oder Kunst auf die Bahn bringet, deren Interesse und Kenntniß nicht allgemein seyn kann; der handelt unwahr und unzweckmäßig, denn er verwandelt den gemischten Zirkel in eine Akademie, Sitzung oder Conferenz von Gelehrten, Geschäftsmännern oder Künstlern.

Wer aber auch einen Gegenstand von dem allgemeinsten Interesse, dessen Kenntniß bey allen vorausgesetzt werden kann, auf eine Art behandelt, wodurch die Aufmerksamkeit ganz allein auf ihn gezogen wird; der handelt gleichfalls unwahr und unzweckmäßig, denn er verwandelt das Mitgespräch, die Conversation, in eine Rede.

Inzwischen kann die gesellige Unterhaltung gar wohl für den Ort, wo sie versucht wird, unbrauchbar seyn, ohne deshalb den Vorwurf der Unwahrheit und Unzweckmäßigkeit zu verdienen. Es giebt Gesellschaften, die keinen andern Stoff für die Conversation kennen, als das Kartenspiel, den Tanz, das Gastmahl, das Gespräch über die Vorfälle des Tages. Wollen wir sagen, daß diese Unterhaltung an sich eben so wahr, eben so zweckmäßig, das heißt, eben so übereinstimmend mit den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft, und mit dem Begriffe von dem Wesen und der Bestimmung einer Conversation sey, als diejenige, welche sich mit der Kenntniß des Menschen, seiner geselligen und bürgerlichen Lage, mit den schönen Künsten und andern Gegenständen dieser Art beschäftigt? Im geringsten nicht. Die Belustigung muß allen Menschen angemessen seyn. Aber doch nur denen, die auf diesen Nahmen Anspruch machen können? Kein menschliches Geschöpf verdient ihn, das nicht Gefühl für sittliche Würde hat; das nicht gern auf dasjenige aufmerkt, was allen Menschen zu kennen wichtig ist, weil es allen Menschen nahe liegt.

Kann es Menschen geben, die nicht an der Ausbildung der Anlagen eines Menschen, an der Verwickelung und Auflösung seiner Situationen, an der Verkettung seiner Begebenheiten, an der Abhängigkeit seines Schicksals von seinen Fähigkeiten, Neigungen, Leidenschaften, kurz, an allem demjenigen Antheil nehmen, was seinen Charakter gründet und seine Person ausmacht? Wer liebt nicht Bestimmtheit, Zusammenhang, Ordnung, Angemessenheit in allem diesem zu finden? Wer kann unempfindlich bleiben, wenn er große Beyspiele von Selbstbeherrschung oder Schwäche erzählen hört? Und wenn wir Interesse an Menschenkenntniß bey allen Menschen voraussetzen dürfen, so dürfen wir auch fordern, daß alle Mitglieder geselliger Zirkel, wenn sie an Fähigkeiten und Neigungen auch noch so gemischt sind, aber doch auf Menschheit Anspruch machen, an allem was dahin gehört Antheil nehmen sollen. Wir dürfen fordern, daß die Geschichte, die schönen Künste, die Philosophie des Lebens, welche den Menschen in seinen allgemeineren Verhältnissen darstellen und beobachten, von solchen, die eine vernünftigen Wesen angemessene Unterhaltung wünschen, gekannt und geliebt werden. Aber auch dasjenige, was den einzelnen Menschen nicht so nahe angeht, aber doch alle täglich umringt, Landesverfassung, allgemein nützliche Anstalten, Sitten der Völker, Merkwürdigkeiten angrenzender Länder, Naturgeschichte und Physik, in so fern alles das allgemein verständlich, allgemein interessant seyn kann, gehört zum Stoff einer Unterhaltung, wie sie vernünftigen Wesen ziemt.

Eine solche Wahl der Gegenstände zur Conversation muß zugleich von einer Behandlung begleitet werden, die dem Zweck geselliger Belustigung angemessen, und mit der Würde des Menschen übereinstimmend ist. Diese verträgt keine Alltagsgedanken, keine auffallenden Unrichtigkeiten, die bloß den Wunsch, durch Neuheit Aufsehn zu machen, an den Tag legen; jene läßt keine tiefsinnige Untersuchungen, keine trockenen Discussionen zu. Unser Vortrag sey leicht, faßlich, durch Lebhaftigkeit und Annehmlichkeit gehoben! So werden wir spielend den Verstand und die Vernunft befriedigen, und zugleich das Herz und die Einbildungskraft begünstigen.

Eine solche Unterhaltung ist dann wahr und zweckmäßig an sich und brauchbar in allen Fällen, wo die Personen, zu deren Genuß sie zubereitet wird, sich nicht durch eigene Herabwürdigung untauglich dazu machen. Das Ungenießbare liegt dann nicht in der Sache, es liegt in ihnen.

Es läßt sich aber auch der Begriff des Vollkommnen in seiner Art und des Edeln auf dieß gesellige unterhaltende Wesen anwenden. Wer in allen Fächern, die zum Gebiet der geselligen Unterhaltung gehören, die ausgebreitetsten Kenntnisse, die größte Fülle, Abwechselung, Richtigkeit, Nutzbarkeit der Ideen besitzt, diese mit dem faßlichsten, lebhaftesten, einnehmendsten Vortrage verbindet; wer dem gebildetsten und dem ungebildetsten Denker zugleich Interesse zu gewähren weiß; wer nie andere durch seine Superiorität zurückscheucht, ihnen vielmehr Vertrauen zu sich selbst einflößt, ihren Geist weckt, und ihnen Gelegenheit giebt, sich zu ihrem eigenen und der Gesellschaft Vortheil zu zeigen; – der ist gewiß ein vollkommen geselliger Unterhalter, der zugleich oft das Gefühl des Edeln erwecken mag. Er kann auch schön werden dieser gesellige Unterhalter! Seine Geberden, sein Ton, die Affluenz und der Wohlklang seiner Worte, die Bilder unter denen er seine Gedanken und Gefühle darstellt, können auf den niedern Anschauungssinn wirken, und, ganz unabhängig von dem innern Gehalt, seine Unterhaltung schmücken. Durch dieß Mittel wird oft ein Stoff, der an und für sich für die Conversation nicht passend war, auf den der Begriff des Vollkommenen in keinem Falle zutrifft, Reitze erhalten, die ihn zu dieser Bestimmung fähig machen. Ich habe Schönsprecher gekannt, (und wer hat sie nicht gekannt, der jemahls Paris gesehen hat!) welche die abstraktesten Wahrheiten, die sie selbst nicht verstanden, einem Haufen vortrugen, der sie eben so wenig verstand, aber seine Aufmerksamkeit, vermöge der sonoren und biegsamen Stimme des Sprechers, eines unerschöpflichen Stroms wohlgebaueter Perioden, und der Hervorzauberung „“dunkler, die Phantasie erschütternder Bilder, dennoch gefesselt fand. Ich habe dramatische Erzähler gekannt, die den erbärmlichsten Anekdoten, die in jedes andern Munde wahre Albernheiten geworden wären, eine Einkleidung zu geben wußten, wodurch sie der Aufmerksamkeit des aufgeklärtesten Kopfes würdig wurden. Werden aber nun gar diese schönen Formen zur Behandlung eines Gegenstandes gebraucht, der schon an sich vollkommen für die Conversation paßt, erhöhen, unterstützen sie unmittelbar seinen edeln inneren Gehalt; dann erhebt der gesellige Sprecher das unterhaltende Wesen an seiner Person zu einem Bilde absoluter Vollkommenheit. So erscheint Plato in seinen Dialogen, und in einem verschiedenen Charakter Fontenelle, Voltaire, u. s. w.

Diese Vollkommenheit der geselligen Unterhaltung wird dem edeln Weibe in seinem Liebhaber nicht gleichgültig seyn, und dieser wird allerdings darauf als auf ein Mittel rechnen dürfen, sich dem Herzen der Geliebten näher zu bringen. O! es liegt eine feine und hohe Schmeicheley für das Weib in der Wahl des Stoffs zur Conversation mit ihm, und in der Art, wie wir diesen behandeln. Aber es ist auch schwerer, als man gemeiniglich glaubt, den Punkt zu treffen, wo sich Pedanterie, Geschwätz, Anmaßung, Langweiligkeit, Ziererey, von edler und schöner Unterhaltung scheiden!

Vor allen Dingen hüte dich bey der edeln Frau nicht den Verdacht zu erwecken, als ob du ihren kindischen Geist nur zum Lachen bestimmt glaubtest, oder als ob gar die Fehler und Schwächen ihrer Mitmenschen allein berechtigt wären, sie zu unterhalten. Es ist gefährlich, sage ich, sich boshafte oder auch ehe wir genau gekannt sind, zu feine Bemerkungen über die Mängel anderer zu erlauben. Du belustigst auf einen Augenblick, aber bald empört sich das sittliche Gefühl der Geliebten, oder es erwacht ihre Besorgniß, daß der Mann, der andere so scharf beurtheilt, sie mit gleicher Genauigkeit prüfen, und vielleicht unbillig gegen sie seyn dürfte.

Das zärtere Geschlecht hat eben so viel Anlagen zur Begeisterung für das Edle und Schöne, als Neigung für das Auffallende, Neue, Witzige, Feine; und derjenige geht gewiß den sichersten Weg zu seinem Herzen, der seinen Scharfsinn, seinen Witz, den Reichthum seiner Menschenkenntniß dazu nutzt, das Edle und Schöne von Gegenständen abzuheben, an denen der gewöhnliche Beobachter es übersieht.


Neuntes Kapitel.
Veredlung und Verschönerung unsers Rufs in der bürgerlichen Gesellschaft.

Die örtliche Gesellschaft ist der Wirkungskreis des Weibes: hier gewähren Urbanität und gesellige Unterhaltungsgaben zunächst Ansehn; sie sind daher auch besonders geschickt, den Mann vor den Augen der Geliebten auszuzeichnen. Aber sie ist darum nicht gleichgültig gegen die Schätzung, die der Mann in seinen bürgerlichen Verhältnissen genießt; diese dient oft dazu jenes gesellige Ansehn zu unterstützen.

Noch jetzt hat Tapferkeit ein besonderes Anrecht auf den Beyfall des Weibes. Bey der gegenwärtigen Einrichtung unserer Staaten, wo das zärtere Geschlecht unter dem unmittelbaren Schutze der Gesetze und der öffentlichen Macht steht, kann der Antheil, den es an dem Muthe des einzelnen Mannes nimmt, nicht mehr dem Beystande zugeschrieben werden, den es für seine Schwachheit von dem Helden erwartet. Er liegt in dem Ansehn, das er in der bürgerlichen Gesellschaft, und vermöge desselben in der örtlichen, wozu auch das Weib gehört, genießt. Alles was sich auszeichnet, alles was Ansehn macht, ist dem Frauenzimmer werth! Wie selten sieht es dabey auf Verdienst und innere Würdigkeit! Außerordentliche Talente und außerordentliche Schicksale, wohlerworbener und bloß erschlichener Ruhm scheinen gleiche Ansprüche auf seine Aufmerksamkeit zu haben. Eine hohe Geburt, eine äußere Decoration, ein angeborner Reichthum, machen oft auf die Weiber einen größeren Eindruck, als der Ruf des rechtschaffensten und des brauchbarsten Bürgers!

Der Mann, wie ich ihn mir denke, traut der Geliebten zu, daß sie das Edle von dem Seltenen zu unterscheiden wissen, und auf einen bloß zufälligen Vorzug wenig Werth legen werde. Er verschmäht nicht die Empfehlung, welche ihm die öffentliche Achtung und Dankbarkeit bey der Geliebten geben kann. Aber er will seinen Ruhm wirklich ruhmwürdigen Thaten verdanken; aber er weiß, daß es Bestimmungen giebt, deren Ausfüllung der Belohnung des öffentlichen Ansehns entbehrt, die im Stillen und ungesehen ein Verdienst erwirbt, das nur von wenig Edeln seines Geschlechts erkannt wird, und zu weit von dem Kreise der Wirksamkeit des Weibes entfernt liegt, als daß dieß es selbst anschlagen und beurtheilen könnte. Dann traut er der Geliebten zu, daß sie die Stimme dieser Edeln hören, und ihn darum ihrer Achtung würdig halten werde, daß er seine öffentlichen Tugenden mit geselligen zu paaren weiß, und den Menschen nicht über dem Bürger vergißt.


Zehntes Kapitel.
Veredlung und Verschönerung der Art, sich geschickt zum Glück engerer Verbindungen darzustellen.

Willst du das sicherste Mittel kennen lernen, deine Person auf eine wohlgefällige Art der Geliebten bemerklich zu machen? Erwecke die Ahndung, daß du geschickt seyst in engerer Verbindung zu beglücken!

Nichts ist natürlicher, als daß das unverheyrathete Frauenzimmer, eingedenk seiner Bestimmung, sich dereinst mit einem Gatten von der übrigen Gesellschaft zu einem Paare abzusondern, die Anlage des Mannes vorzüglich in dieser Hinsicht beachte. Gewöhnliche Weiber berechnen die Fähigkeit zum Glück engerer Verbindungen nach der Biegsamkeit des männlichen Charakters in alle ihre Launen, nach seiner unbedingten Gefälligkeit für alle ihre Wünsche, nach dem Gehorsam gegen jeden ihrer Winke. Geistesarmuth, Mangel an Festigkeit und Energie ziehen sie oft an, statt sie abzuschrecken. Sie gründen das Glück der Verbindung auf die Hoffnung, den Gatten zu beherrschen.

Eine solche Ahndung künftiger Abhängigkeit zu erwecken, verschmäht der edle Mann! Sie ist der Würde zuwider, welche ihm Natur und bürgerliche Einrichtungen in seiner Lage gegen das zärtere Geschlecht angewiesen haben; sie streitet mit dem Wesen und der Bestimmung, die seine stärkere Person in ihren Verhältnissen gegen die zärtere des Weibes bey der künftigen Vereinigung einnehmen soll, um diese vor inneren Mißverhältnissen und äußerer Unangemessenheit zu sichern. Er würde sich unwahr und unzweckmäßig darstellen, wenn er die Vorstellung der Schwäche erweckte. Dieß kann der Mann, der Gefühl für sittliche Würde hat, nicht wollen. Er wird sich als die Stütze des Weibes ankündigen, aber als eine Stütze, die sie gern umschlingen wird.

Dein Betragen zeige dich bestimmt, fest, entschlossen in deinen Grundsätzen und deiner Handlungsweise. Aber freylich, willst du durch diese Männlichkeit des Charakters das weibliche Herz zu dir hinziehen, so erwecke wahre Achtung für deinen Charakter. Zeige dich werth, der Führer des Weibes zu seyn, indem du dich selbst zu beherrschen verstehst! Hüte dich, durch Schwäche gegen deine Launen, gegen die Anfälle der Sinnlichkeit und der Eitelkeit den Verdacht zu gründen, daß du nur aus Hochmuth auf dein Geschlecht die Rolle des Stärkeren zu spielen strebst! Sey dir stets selbst gleich! Es sey dein Charakter im Ganzen, nicht die einzelne Handlung, wodurch du den Begriff des männlichen Wesens zu gründen suchst, und nie falle dabey ins Störrische und Rauhe!

Delikatesse, feines Gefühl von dem, was verbinden und wohlgefallen kann, Billigkeit, Schonung gegen anderer Fehler, gehen sehr wohl mit jenem männlichen Ernst und jener Festigkeit und Entschlossenheit zusammen. Vergiß es nicht: nur der geschmeidigen Stärke hebt sich die Zartheit gern entgegen!

Durch Befolgung dieser Grundsätze wirst du wahr und zweckmäßig als ein Wesen erscheinen, das in zärtlicher Vereinigung beglücken soll. Dein Schönheitssinn kann seine äußern Formen schmücken. Der edeln Geliebten wird es nicht entgehen, wenn Eltern, Geschwister, Freunde in dir den zuverlässigsten Beystand, den sichersten Führer verehren, den zärtlichsten Genossen lieben, den feinsten Schmücker jeder ihrer Freuden mit Wonne beschauen! Der edle Sohn, Bruder, Gefährte, ist allemahl der bessere Gatte.


Eilftes Kapitel.
Veredlung und Verschönerung der Mittel, das Herz der Geliebten zu gewinnen, und zwar erstlich durch Erregung ihrer Sympathie für unsern liebenden Zustand.

Es ist dem Mann gelungen, die Aufmerksamkeit der Geliebten auf sich zu ziehen. Ihre Selbstheit findet ihn wichtig; ihre Sympathie interessiert sich für ihn; ihr Beschauungshang betrachtet ihn mit Wonne. Aber ihre Person hängt noch nicht an der seinigen, sie empfindet noch keine Zärtlichkeit für ihn. Ihr Herz ist noch nicht gewonnen. Eine jede andere Person seines Geschlechts, mit eben den Vorzügen ausgerüstet, hat einen gleichen Anspruch auf ihr Interesse und auf ihren Beyfall!

Hier bedarf es also eines bestimmten Angriffs auf ihre Person von Seiten des Mannes. Neue Grundsätze treten hier ein, ein anderes Betragen muß beobachtet werden.

Die erste Bemühung des Mannes muß nun dahin gehen dem geliebten Weibe zu erkennen zu geben, daß es geliebt wird.

Unstreitig ist es dem Weibe schmeichelhaft, den schnellen und starken Eindruck zu bemerken, den sein erster Anblick auf uns macht. Aber du, der du ihm huldigst, hüte dich, daß die innere Bewegung, die sich an deinem Aeußeren zeigt, nicht auf Rechnung einer zu großen Reitzbarkeit gegen das Geschlecht überhaupt gesetzt werde. Hüte dich, sie mit Unbescheidenheit zu äußern. Das edle Weib will die Wirkung seiner Schönheit spüren, es will sich die Beweise nicht aufdringen lassen.

Es war nicht bloß steife Sitte gothischer Galanterie, wenn das Frauenzimmer in früheren Zeiten Werth auf die Gewalt legte, welche sich der Liebhaber anthat, ihm seine Liebe zu verbergen, und wenn dieser fürchten mußte, durch die unbehutsame Aeußerung seiner Leidenschaft zu beleidigen. Es ist tief in der Schamhaftigkeit der Frauen, tief in der Sorge für ihren Ruf, tief in der Achtung für ihren sittlichen Werth gegründet, daß sie nicht durch die Huldigungen jedes Unbekannten gerührt werden. Wie leicht setzen sie sich dadurch dem Verdacht aus, daß sie einen zu hohen Werth auf jene zufälligen Vorzüge legen, die bey vorübergehender Bekanntschaft auf unser Geschlecht Eindruck machen! Lüsternheit, Eitelkeit, die ein edles Weib nicht zu reitzen sucht, sind eben so oft der Grund dieses schnellen Eindrucks, als die Macht der Schönheit oder die Ahndung höherer Vorzüge! Der Mann, der zu dreist seine Gesinnungen zu äußern wagt, verräth, daß er entweder die Schöne für lüstern oder eitel halte, oder daß er zu sicher sey, ihr zu gefallen. Wahre Liebe ist eben so unzertrennlich von Besorgniß als von Hoffnung, und Mangel an jener setzt allemahl Mangel an Achtung für den geliebten Gegenstand zum voraus. O Weiber! ihr die ihr den großen Haufen der Männer in steter Aufmerksamkeit auf eure Reitze zu erhalten sucht; ihr, die ihr sie zu verwegenen Handlungen durch eure Gefallsucht auffordert; wißt, wir fliehen euch nicht, aber es ist weder Liebe noch Achtung, die wir in unserm Busen für euch nähren.

Laß dich errathen, wenn du kannst! Verbirg so lange du es vermagst, unter dem Schleyer der Urbanität die zärtlicheren Gesinnungen, die du für das geliebte Weib hegst. Fürchte nicht, daß es ihren wahren Gehalt zu lange verkennen werde! Das Frauenzimmer hat einen sehr leisen Anschlag für die Natur der Empfindungen, die es unserm Geschlechte einflößt, und es wird dir allemahl Dank wissen, wenn du seines Rufes schonst, und wenn die Besorgniß, durch ein übereiltes Geständniß deiner Wünsche zu mißfallen, die Schätzung seines seltenen Werths an den Tag legt. Das lehrt die Schönen bereits ihr Stolz, und es bedarf dazu keines edleren Sinnes.

Aber wenn du dich deutlicher erklären darfst, wenn du durch längeren Umgang berechtigt wirst, dich um das Herz der Geliebten zu bewerben; so hüte dich dennoch, durch anmaßende Aeußerungen deiner Leidenschaft dem Rufe der Geliebten zu schaden, und den Verdacht zu erwecken, daß Eitelkeit mehr Antheil daran habe, als wahre Liebe. Verworfen ist das Weib, das mit seinem Siege zu prangen und der Welt seinen Triumph zu verkündigen liebt. Es liegt in seiner Bestimmung, die öffentliche Aufmerksamkeit so wenig als möglich beschäftigen zu wollen. Es liegt in der Zartheit seiner Denkungsart, den Mann, den es noch nicht entschlossen ist, zu erhören, dem öffentlichen Urtheile nicht Preis zu geben. Entehre also nicht die Geliebte, indem du ihr andere Gesinnungen zutrauest: erniedrige nicht dich selbst, indem du deine Huldigungen zu öffentlich zur Schau trägst. Oft ist es nicht die Gottheit, die der Anbeter bey den Opfern liebt, die er ihr darbringt; es ist nur das Feyerliche, Auffallende, Außerordentliche seiner Stimmung und der äußeren Umstände, die er liebt und die er gern verkündigt.

Du mußt das Gefühl erwecken, daß die Geliebte dir unentbehrlich sey, daß dein Schicksal von ihrer Gegenliebe abhänge! Aber wie behutsam mußt du dabey verfahren, wenn du nicht bloßes Mitleiden, wohl gar Verachtung statt Gegenliebe erwecken willst! Du mußt ihre Sympathie interessieren, aber nie auf Kosten ihrer Selbstheit und ihres Beschauungshanges; du wirst jene viel zweckmäßiger interessieren, wenn du sie häufiger zur Mitfreude als zum Mitleiden einladest.

Macht dich deine Leidenschaft völlig unbrauchbar für alles was die Geliebte, was andere von dir als Bürger und Gesellschafter fordern; so erweckst du das Gefühl des Unbrauchbaren und des Unvollkommnen, und schwerlich wird das Mitleiden mit deinem kranken elenden Zustande die Mängel, die er mit sich führt, ersetzen. Darum strebe, so viel du kannst, die Vorzüge, die dich zuerst der Aufmerksamkeit der Geliebten würdig machten, beyzubehalten. Mehr; zeige, daß gerade durch deinen liebenden Zustand deine Kräfte erhöhet werden, daß du gerade, weil du liebst, viel fähiger, aufgelegter, stärker zu allem bist, was dich schätzbar und beschauungswerth machen konnte. Dann wird sich bey der Geliebten eine feine Selbstheit zu ihrer Sympathie mischen. Sie wird sich an deine Stelle setzen, sie wird den Zustand, den Liebe gehoben hat, theilen, und unvermerkt davon angesteckt werden. Sie wird sich sagen, daß deine Zufriedenheit mit dir selbst das Werk der Liebe zu ihr ist, und sie wird deine Ungewißheit zu endigen suchen, um der Wonne willen, dich ganz beglückt zu sehen!

O es ist eine gefährliche Lage für das weibliche Herz, zu fühlen, der Mann, den sein liebender Zustand über sich selbst erhöht, könnte durch das Bekenntniß der Gegenliebe zum Glücklichsten der Sterblichen gehoben werden. Eine ganz andere Lage als diejenige, wenn es fühlt, daß der Mann, der tief durch Liebe unter sich selbst herabgesunken ist, durch eine Zuneigung, die Mitleiden erpreßt, wieder emporgehoben werden kann! Jenes giebt Wonne, dieß giebt nur das Genügen des befriedigten Bedürfnisses, der Pflicht oder des Mitleidens!

Die Abhängigkeit, worin uns die Geliebte von dem Besitz ihres Herzens sieht, muß nie stärker seyn, als die Abhängigkeit von unserer Selbstachtung. Wir müssen das Gefühl erwecken, daß wir alles aufopfern könnten, um mit ihr vereinigt zu werden, nur nicht unsere sittliche Würde. Bewahren wir diese, so gründen wir die Ueberzeugung, daß uns nach verlorner Hoffnung auf Gegenliebe noch immer ein Trost übrig bleibt, eine Schadloshaltung, die uns unsere Einsamkeit erträglich machen wird.

Die Befolgung dieser Vorschriften wird jene Regeln überflüssig machen, welche die List erdacht hat, die aber mit Liebe und Edelsinn im Widerspruche stehen; jene Regeln, die Ovid und seine Nachfolger uns geben, den Ausdruck der Verzweiflung zu heucheln, durch Andringlichkeit zu erobern, durch die Furcht der Erkaltung, des Abfalls, der Untreue zu schrecken, u. s. w. Edle Liebe spielt nicht mit Empfindungen, die der Scharfsinn des Weibes, das nicht durch Eitelkeit geblendet wird, zu leicht durchschauet; sie verschmäht den Besitz desjenigen, was nicht das gewonnene Herz darbietet, und sie weiß, daß Ermüdung dieses nicht gewinnt, sondern nur unsere Person erträglich macht, und einzelne Gunstbezeugungen abpreßt; sie sucht zu sehr die Geliebte durch die Ueberzeugung treuer Zärtlichkeit zu beglücken, als daß sie diese durch erlogene Kälte und Untreue schrecken könnte!

Nein! edle Liebe ist weise, aber sie ist nicht hinterlistig und nicht falsch. Sie sucht nicht zu berücken. Ohne eine Rolle zu übernehmen, zeigt sie sich, wie sie ist, abhängig von Gegenliebe, standhaft in ihrer Bewerbung. Aber nur so wie es dem edeln Manne ziemt, für den es Grenzen in seiner Hoffnung, in seiner Verzweiflung, in seiner Bestrebung giebt; der immer Herr über sich bleibt, wenn das Glück seines sinnlichen Lebens mit der Würde seiner übersinnlichen Existenz in Streit geräth, und dieser allemahl jenes zum Opfer bringt. Ein solcher Mann wird in der gepaarten Person immer die Selbständigkeit bewachen, ohne welche sich keine liebende Vereinigung zwischen zwey Menschen denken läßt, und deren Mangel gerade der Gegenliebe am stärksten entgegen steht.

Zwölftes Kapitel.
Veredelte und verschönerte Aufreitzung der persönlichen Selbstheit der Geliebten.

Schmeicheleyen, unbedingte Nachgiebigkeit, Geschenke, Auszeichnungen, das sind die Mittel, wodurch gewöhnliche Liebhaber die Selbstheit des Weibes körnen. Der edle Liebhaber lobt, ist gefällig, bereichert, verkündigt den Ruhm der Geliebten; aber wie das alles auf so verschiedene Art!

Es ist schwer, dem edeln Weibe etwas über seine Schönheit zu sagen, das weder in Abgeschmacktheit noch in gesuchten Witz verfiele. Die faden Complimente eines kindischen Höflings aller Schönen erregen Ekel statt Vergnügen. Der Geist eines Fontenelle belustigt, ohne zu überzeugen. Der Witzling denkt mehr an die Schönheit der Wendung und des Ausdrucks seiner Schmeicheley, als an die Schönheit ihres Gegenstandes. Nur das Herz kann wirklich rühren!

Mahle nicht die Schönheit, ruft Lessing dem Dichter zu: stelle die Wirkung dar die sie hervorbringt! Du, der du dem edeln Weibe gefallen willst, thue mehr! Stelle den unauslöschlichen Eindruck dar, den das echte Gefühl seiner Schönheit auf dein Herz wie auf kein anderes gemacht hat! Tausende können von ihm gereitzt werden, du allein kannst fühlen was er wirklich Schönes an sich trägt; du allein paarst Achtung, Liebe, mit Bewunderung! Zu diesem Ausdruck bedarf es keiner Worte; die Darstellung deiner Empfindungen liegt in deinem Betragen. Du sprichst vielleicht am vernehmlichsten, wenn du da schweigst, wo andere noch Worte finden! Aber, wenn du sprichst, o! so laß dein Herz reden, und den Sinn des Edeln und Schönen über deinen Ausdruck wachen!

Nur dem Kärner kann es hingehen, wenn er seine ausgelöschte Pfeife an den blitzenden Augen der Herzogin wieder anzustecken wünscht. Nur die eitle Elisabeth kann es wohl nehmen, wenn der Holländer eine Nacht in ihren Armen mit seinem Leben zu erkaufen bereit ist! Du wirst der Geliebten sagen, daß sie andern ihre todte Form leihen könne, und daß dich noch der bloße Ausdruck ihrer Seele bezaubern würde! Du wirst ihr sagen, daß ihr Herz und ihr Schönheitssinn sich in jeder ihrer Bewegungen mahle, daß man sich ihr mit Staunen nahe, aber sie mit Rührung verlasse! Du wirst es ihr in Augenblicken sagen, worin sich ihre Gestalt am vortheilhaftesten zeigt, worin sie sich selbst ihrer Reitze bewußt seyn kann; das Zusammentreffen eures beyderseitigen Urtheils wird ihr Gewähr für deinen Geschmack und deine Wahrheitsliebe leisten, und du wirst sicher seyn zu überzeugen.

Höheren Werth lege auf ihre Talente! Aber lobe so, daß sie Werth auf deinen Beyfall legen kann! Zeige, daß du Gefühl für die Eigenthümlichkeit ihres Geistes, für die Zartheit der Empfindung hast, die sie in alles bringt, was sie angreift. Nur dasjenige Lob kann rühren, was Kenntniß des Lobenswerthen zeigt! Verschwende es nicht; Sparsamkeit erhöht hier die Gabe! Lobe mehr durch Aufmerksamkeit als durch Worte, und wisse selbst mit Bescheidenheit zu tadeln!

Daß aber vor allen dein Beyfall diejenigen Handlungen treffe, die den sittlichen Werth deiner Geliebten gründen! Sag’ ihr, daß du sie nicht so wohl darum bewunderst, daß sie der Jugend deines Geschlechts gefalle; aber daß alle vernünftige Mütter sie als Muster für ihre Töchter aufstellen, das sey dir an ihr so werth! Solch ein Lob gründet zugleich den Ruhm ihres Charakters und des deinigen! Laß dir hier nichts entschlüpfen, nichts gleichgültig seyn, was durch den Werth der Tugend Anspruch auf das Mitgefühl deines Herzens hat! Wie glücklich wirst du seyn, wenn sie einen doppelten Lohn für jede gute That in sich selbst und in deinen Augen findet!

Einst aß ich an der Tafel eines Großen in Gesellschaft eines liebenswürdigen Mädchens, das edel geliebt wurde. Es saß an der Seite des Fürsten, seinem Liebhaber gegenüber. Am Ende des Mahls wurden seltene Früchte aufgetragen. Der Fürst ließ sie herumgeben, als aber die Reihe an einen der Gäste kam, einen Greis, dem er nicht wohl wollte, so befahl er laut dem Bedienten, diesen zu übergehen. Alles staunte, alles schwieg! Das edle Mädchen faßte allein den Muth, die unerhörte Beleidigung zu versüßen. Es blickte den Geliebten an, und sandte dem übergangenen Greise seinen eigenen Antheil an den Früchten zu. Der Fürst sah es, erröthete und schwieg. Keiner wagte es, dem Mädchen seinen innern Beyfall zu bezeugen. Aber im Auge des Liebenden zitterte die Thräne der Achtung, der Dankbarkeit, der Bewunderung! Er sagte nichts, aber er sagte alles, und wie hielt sich die Edle dadurch belohnt!

Es ist ein Irrthum, wenn man glaubt, daß Weiber denjenigen am stärksten lieben, der ihren Schwächen am stärksten huldigt. Es ist nicht wahr! Eine solche unbedingte Gefälligkeit ist ein Mittel, geduldet, gelitten zu werden, aber nicht das Herz an sich zu ketten. Willst du dieß fesseln, so erwecke Achtung für deinen festen, hohen männlichen Charakter, der den Besitz des geliebten Wesens über alles, aber nicht über seine sittliche Würde setzt, und lieber einsam in dem Bewußtseyn seiner Selbstgenügsamkeit trauern, als in einer Verbindung, die mit Aufopferung der Achtung für die gepaarte Person erkauft wird, ein bloß scheinbares Glück genießen will. Lasse dreist das Mißfallen merken, welches dir eine Schwäche, eine Uebereilung, eine Unvorsichtigkeit der Geliebten einflößt! Freylich muß dein Unmuth keine mürrische Strenge, keine Herrschsucht zeigen; freylich muß die Geliebte fühlen, daß es dich um ihretwillen schmerzt, daß sie deiner Achtung minder würdig erschien; freylich mußt du bey aller deiner Strenge zart zu behandeln wissen. Aber wenn Edelsinn und Liebe dich leiten, so sey sicher, die Edle wird in deinem Ernst den Wunsch, sie ununterbrochen zu achten, nicht verkennen. Sie wird ihren Fehler in Geheim verbessern, sie wird die Freude, die sie darüber in deinen Augen blinken sieht, mit Wonne wahrnehmen, und das Gefühl deiner Gerechtigkeit, die Ueberzeugung, daß dein Beyfall nur durch wahren Werth errungen werden muß, wird sie mit stärkerer Gewalt an deine Person anziehen.

Künste zu verführen, nicht Künste zu lieben sind es, die den Liebhaber lehren, Schleichwege zu gehen, um das Herz der Geliebten zu fangen; ihre Zofen zu bestechen, die Gespielinnen lächerlich zu machen, Zwistigkeiten in den Freundschafts- und Familienverbindungen zu stiften, um als Vertrauter wichtig zu werden, u. s. w. Alle diese Mittel einer elenden Intrigue verschmäht die Liebe, und besonders die edle. Sie traut dem Dienstbothen nicht die Gewalt zu, das Urtheil oder das Herz des edeln Weibes zu lenken. Sie nimmt dreist die Vertheidigung der verkannten Unschuld über sich, wenn gleich der Ausspruch der Geliebten sie verdammt; überzeugt, daß sie zu stolz sey, um ihren Vorzug auf Herabwürdigung ihrer Gespielinnen zu gründen. Sie sorgt endlich zu sehr für das Glück der Geliebten, als daß sie das ihrige auf Kosten des Genusses erkaufen sollte, den Freundschaft und häusliche Einigkeit dem angebeteten Gegenstande gewähren.

Aber gütig, herablassend, höflich wird der edel Liebende gegen die Dienstbothen der Geliebten allerdings erscheinen. Dieß sind Folgen seiner Denkungsart überhaupt, und es ist natürlich, daß diejenigen, welche die Geliebte zunächst umringen, sie besonders erfahren. Behutsam in seinem Urtheile über Menschenwerth wird er seyn, wo es von dem der Geliebten abweicht, und schonend und bescheiden in seinem Widerspruche. Er wird sein Ohr gern gerechten Klagen über unglückliche Verhältnisse engerer Verbindungen leihen, und Vertrauen verdienen, ohne Anvertrauung zu erpressen.

Durch Geschenke, welche die Habsucht und die Eitelkeit befriedigen, wird die Gunst gewöhnlicher Weiber gewonnen. Aber die edle Geliebte verschmäht jedes Geschenk, das nicht seinen Werth durch das Herz erhält das es darbiethet, und je unzweydeutiger dieser Werth und ihre Uneigennützigkeit bey der Annahme erscheint, um desto kostbarer wird die Gabe.

Wem ist die Geschichte des edeln Friedrichs nicht bekannt, die uns Bocaz aufbewahret hat! Er hatte sein ganzes Vermögen aufgewandt, um das Herz einer schönen Wittwe durch prächtige Feste und schimmernde Huldigungen zu gewinnen. Umsonst! Sie wollte fernerhin nur zärtern Empfindungen als Mutter Raum geben, sie wollte für ihren einzigen Sohn leben. Nichts blieb dem verarmten Friedrich übrig, als ein kleines Gütchen, dessen höchster Werth in der Jagdgerechtigkeit bestand, die er durch einen treuen Falken ausübt. Die Geschicklichkeit, womit dieser das Wildpret fing, diente, ihn kümmerlich zu ernähren. Der Ruf des seltenen Vogels kommt vor die Ohren des Sohnes der schönen Wittwe; dieser wünscht so eifrig ihn zu besitzen, daß er vor Begierde darnach erkrankt. Die Mutter, einzig bekümmert um die Erhaltung ihres Sohns, besucht unsern Friederich, in der Absicht, ihn um dieß sein Letztes zu bitten. Aber verlegen, ihr unbescheidenes Gesuch anzubringen, verschiebt sie es bis ans Ende des kärglichen Mahls, das sie bey ihm einnimmt. Nun tritt sie damit hervor! O Erstaunen! Der Arme hat den Falken schon hingegeben, um ihr, die alles für ihn ist, ein Gericht, einen vorübergehenden Genuß davon zu bereiten. So viel Aufopferung kann nicht unbelohnt bleiben. Mag der Knabe sterben: die Mutter verspricht dem edeln Friederich die Hand und das Herz, die sein ganzer voriger Aufwand nicht hatte gewinnen können.

Wie vollkommen gab hier die Liebe! Und dennoch giebt es noch edlere Gaben! Noch edlere? Ja! Die Veredlung unsers Wesens um der Liebe willen; die Veredlung des Wesens der Geliebten aus Liebe! Jenes Bestreben, uns der Geliebten immer würdiger zu zeigen, jene erhöhete Kraft, jene regsamere Lebendigkeit, mit der wir unsere sittliche Würde zu erhöhen streben: jene Opfer, die wir der Liebe durch Beherrschung eingewurzelter Schwächen darbringen; jene Beständigkeit, jenes Ausdauern unter allen Hindernissen, die weibliche Zartheit und äußere Umstände der Vereinigung entgegen setzen; jener Zusammenhang in unserm Betragen, woraus die anhaltende und feine Aufmerksamkeit auf das Wohl der Geliebten hervorscheint; jene Aufforderung der Geliebten zu allem was gut und schön ist, durch unser Beyspiel, durch unsern Rath, durch unsern Beystand; – das sind die Gaben, das sind die Geschenke, die ein edles Herz am sichersten rühren, die so schwer zu geben sind, und woran der Arme oft vermögsamer ist als der Reiche.

Glücklich derjenige, der, noch ehe er auf den Nahmen des beglückten Liebhabers Anspruch machen darf, der Geliebten einen Trauten, einen Bruder in seiner Person darstellen kann, dessen sicherer Umgang, dessen Rechtschaffenheit, Billigkeit, Einsicht, ihr Trost, Rath, Leitung und Stütze gewähren! Welch ein edles Geschenk macht er ihr mit seiner Person! Ein Geschenk, das länger dauert als seine Leidenschaft währt, und ihr auch dann, wenn diese, unter verlorner Hoffnung ihr Herz zu gewinnen, verschwunden ist, noch immer den Mann sichert, der ihrer Achtung und ihres Vertrauens werth ist!

So giebt die Liebe edel! Sie giebt schön, wenn die Form der Einkleidung die Gabe schmückt. Man kann schön geben, ohne Wahrheit und ohne Adel. Aber das höchste Ideal einer Gabe ist das edle und schöne Opfer aus liebendem Herzen.

Rousseaus Freundin gab ihm den Rock, den sie selbst getragen hatte, um sich ein Leibchen daraus machen zu lassen. So giebt wahre Liebe! Sie lehrt die feinen Beziehungen zwischen demjenigen, was uns persönlich war, und andern persönlich werden soll. Aber in der Gabe lag nichts, was den Sinn des Edeln oder des Schönen verrathen hätte.

Alexis will die Geliebte an ihrem Geburtstage mit einem Geschenke erfreuen, das ihres Herzens würdig sey. Er macht eine nothdürftige Familie wohlhabend, für die sie sich interessiert hat. Alexis, ruft sie, als die Glücklichen ihr als der Urheberin ihres Wohlstandes danken, Alexis! nur Sie konnten so liebend und so edel zugleich geben! O Freundin! antwortete er, welchen Dank kann ich verdienen! Ich habe mein Daseyn vermehrt, da ich die Herzen vermehrte, die sich des Ihrigen freuen! Alexis schmückt noch seine liebende und edle Gabe!

Edler als durch gewöhnliche Geschenke wirbt der Mann um die Gunst der Geliebten durch ruhmvolle Thaten. Aber wenn es nicht Liebe ist die ihn leitet, wenn es einzelne unzusammenhängende Handlungen sind, wodurch er vor den Augen der Menge glänzen, und sich vor der Geliebten auszeichnen will; was hat das Herz davon, was der Sinn des Edeln und Schönen?

Laß den verwegenen Abenteurer den Stier in den Schranken der Hetze bekämpfen, um von der schönen Königin zur Ehre des Handkusses gelassen zu werden; laß den Staatsmann Krieg und Verheerungen beschließen, den Feldherrn sie ausführen, um die Gunst der Buhlerin zu erwerben, deren ehrsüchtiges Geheiß als Grund dieser Greuel dereinst von der Geschichte verkündigt werden wird; – was geben diese Edles und Schönes durch Liebe? Und wenn der Ritter unter dem Anruf seiner Dame Mauern erstiege, wenn Petrarca den Nahmen seiner Laura unsterblich machte, was könnten diese einzelnen abgerissenen Thaten und Werke, die eben so wohl der Eitelkeit, dem Ehrgeitz und der Begeisterung angehören können, für Liebe und Adel der Seele beweisen?

Nein! derjenige allein verkündigt den wahren Ruhm seiner Geliebten durch seinen eigenen, der den Ruf eines Charakters gründet, der durch Liebe zu einem edeln Gegenstande ganz veredelt ist.

Man lieset einen Zug in den Romanen der Asträa von d’Urfé, der mir vortrefflich zu seyn scheint. Zwey Nymphen finden den Leichnam eines Schäfers von ihrer Bekanntschaft. Sie treffen Briefe bey ihm an, die von Liebe athmen. Wie, fragt die eine, dieser Schäfer liebte? Das habe ich nicht bemerkt. Wie konnte Ihnen das entgehen? sagt die andere: er war ein so rechtschaffener Mann!

O ihr, die ihr dem Ruhme nachstrebt, wodurch ein edles Herz gewonnen werden mag! daß man von euch sage: er ist ein so würdiger Mann, er hängt an einem so würdigen Weibe!


Dreyzehntes Kapitel.
Veredelte und verschönerte Begünstigung des Beschauungshanges der Geliebten bey der Contemplation des liebenden Mannes.

Weiber, die ihr dieses leset, sagt, ist nicht das Bild eines Mannes in eurer Phantasie entstanden, dem ihr, unabhängig von aller weitern Rücksicht, ob es eurem Anbeter gleiche, ob sein Original in der Natur neben euch existiere, euren Beyfall, eure Bewunderung nicht versagen könnt! dem ihr eine allgemeine Würdigkeit, von jedem Weibe geliebt zu werden, zutrauet? Ich darf es hoffen! Und glaubt es mir, wenn ein solcher Mann nun wirklich neben euch existierte, und euch anbetete, so würdet ihr dennoch in gewissen Augenblicken eure Aufmerksamkeit ganz von der besondern Beziehung, worin er zu euch stände, abziehen, sein Wesen wie ein Bild mit Wonne anschauen, und euch sagen: wenn ich den Mann auch nicht von Person kennte, wenn er mir besonders nicht so interessant wäre; ich müßte ihn nach der bloßen Beschreibung meiner eigenen und aller meiner Gespielinnen Bewunderung werth achten! Wohl demjenigen, der dieß Gefühl erweckt! der häufig der Geliebten diesen uneigennützigen, aber mit den selbstischen Empfindungen des Stolzes und der Eifersucht auf seinen Besitz, so wie mit der sympathetischen der Freude an seinem Wohl so nah verwandten Genuß für den Beschauungshang bereitet! Dadurch allein entsteht jene Begeisterung, ohne deren Mitwirkung schwerlich warme Zärtlichkeit, am wenigsten Leidenschaft entstehen kann! Und wehe dem, der seiner Geliebten nie dieß Gefühl einflößt; der nur durch Eigennutz, nur durch Sympathie ihrem Herzen interessant wird! Es wird ein Haupteinschlag in dem Gewebe der Zärtlichkeit fehlen, womit er sie an sich zu hängen sucht, und nie wird dieß den gehörigen Grad der Festigkeit erhalten.

Eilftes Buch.
Veredelter und verschönerter Genuß der Liebe.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Unsterbliches Andenken, selige Gegenwart, begeisternde Hoffnung! Bilder dessen, was ich durch Liebe empfand, empfinde, zu empfinden möglich ahnde! stellt euch in aller Klarheit und Stärke vor meiner Seele dar, und daß die Wärme, die mein Wesen durchströmt, in meine Worte dringe!

Wer wagt es, die Freuden der edeln Liebe zu schildern? Ach! hat sie nicht unzählige Kräfte Wonne zu geben, unzählige Wege Wonne zu empfangen? Sie, die ungebunden an Zeiten, ungebunden an Oerter, im Glück und im Unglück, beym Streben und im Besitz, im Reiche der Wirklichkeit und der Chimäre, alles beseligt, alles veredelt, alles verschönert! – Halt ein Verwegener! Kein endlicher Geist mißt ihren erhabenen Gehalt, kein sterbliches Auge faßt ihre schönen Formen zusammen!

O du, der du so mit mir fühlst, ich will dich nicht über Empfindungen belehren, die du längst gekannt hast, und die keine Darstellung denjenigen kennen lehrt, der sie nicht gehabt hat! Ich bin nicht anmaßend genug, zu glauben, daß ich ein Bild, würdig der Göttlichen, die wir beyde verehren, liefern könne! Aber vereinige dich mit mir: folge den Zügen, die ich vorzeichne, mit deiner Erfahrung, mit deiner Phantasie und deinem Herzen! So werden wir ein Gemählde der Wohlthaten, die wir von der Göttin empfangen haben, in ihrem Tempel wie eine tabula votiva, wie ein Gelübde aufhängen dürfen, dessen kunstlose Form durch die frommen Gesinnungen des Gebers geheiligt wird: ein Denkmahl unserer Dankbarkeit, eine labende Erinnerung für eine eherne Zukunft!

Noch darf ich von Liebe reden: noch kann ich ihre Wonne fühlen; aber das Schicksal ist veränderlich, die Natur gebrechlich, und das Alter übereilend! Bald werde ich nur ein Herz für Freundschaft, für Menschen- und Bürgerliebe übrig behalten! Bald werde ich den Myrthenkranz, der noch mein Haupt umschlingt, mit der Krone des Epheus und des Eichenlaubs umwinden müssen! Für diesen Zeitpunkt will ich den gegenwärtigen, wenn auch mit schwachen Umrissen, aufbewahren, damit ich beym Rückblick auf diese Blätter mit edelm Stolze und süßer Schwermuth mir sagen kann: Auch ich war in Arkadien!

Zweytes Kapitel.
Erwachen unsers Wesens zur Liebe.

Dumpf und träge, ohne wahren Antheil an seinem eigenen Daseyn und an allem, was ihn umgiebt, irrt derjenige umher, in dem die Anlage zur Liebe ihre Bestimmung noch nicht erreicht hat. Leere des Herzens, undeutliche Ahndungen, unbestimmte Wünsche nach Ergänzung seines Wesens treiben ihn auf: er sucht er verwickelt sich in Schlingen, die Eitelkeit und Sinne seiner Unerfahrenheit legen. Aber sein edler Geist erkennt die Verirrung: er reißt sich los, und kehrt zu sich selbst zurück. – Zu sich selbst? Ach! was ist er ohne jene Anhänglichkeit an einem Wesen außer ihm, wozu das Bedürfniß mit ihm geboren wurde; ohne jene Energie eines gespannten Zustandes, an deren Gefühl seine Seele gewöhnt ist! Er wirft sich in die Arme eigennütziger Leidenschaften: Ehrgeitz soll forthin sein ganzes Wesen ausfüllen. Umsonst! Bald erblickt er sich mit Schrecken unter dem Bilde des selbstsüchtigsten Wesens; er schaudert vor dem Spalt zurück, der ihn von Natur und Menschen trennt, und sehnt sich nach dem matten Scheine des Glücks, der die vorigen Irrungen seines Herzens begleitete. Er will dieß mit seiner Vernunft, mit der Wirklichkeit vereinigen; er verlacht die Ideale seiner Jugend, er verwechselt den Trieb nach Häuslichkeit und Sinnlichkeit mit Liebe, und hängt sich, um an Etwas zu hangen, an ein harmloses Geschöpf, das jene Triebe begünstigt. Nicht lange, so führen ihn Langeweile, wehmüthiges Trauern über den Abstand von dem verbündeten, aber nicht mit ihm vereinigten Wesen, Gefühl einer zwangvollen, immer herabsinkenden Lage, mit der verglichen seine vorige Einsamkeit ihm noch erträglich dünkt, an den Rand der Verzweiflung. Jetzt tritt sein guter Genius hinzu! Er zeigt ihm das Wesen, bestimmt das seinige zu ergänzen, und eine neue Schöpfung hellt sich vor seinen Augen auf: ein neues Leben durchdringt ihn, er glaubt wieder an Liebe, er glaubt wieder an Adel und Schönheit! O Mutter Natur, du sammelst den Verlornen zu deinen Kindern!

Wie fühlt er sich nun so ausgefüllt, so verwandt, so genügend mit allem, so muthig, so vertrauend zu andern und sich selbst! Welche erhöhete Beweglichkeit und Reitzbarkeit in jeder Muskel und in jedem Nerven. Welche verjüngte Animalität in dem schneller kreisenden Blute! Welcher Reichthum von Bildern in der gespannten Phantasie! Welcher Scharfsinn in dem verfeinerten Geiste! Und vor allen welche Fülle des wieder erweiterten Herzens!

Zwar hat dieser Zustand auch seine Ungewißheiten, seine Bekümmernisse, seine Niedergeschlagenheit, seine Ermattung. Aber sie wechseln mit sanftem Genügen an kleinen Vortheilen, mit hoher Entzückung über einen Gewinn, der wichtige Aussichten eröffnet, mit Träumen künftiger ganz ungemischter Seligkeit; und eben dieser Wechsel von Furcht und Hoffnung, von Versagung und Genuß, von Bedürfniß und Wonne, erhöht den Reitz der Situation des Liebenden. Eine süße Schwermuth, Folge des Gefühls unserer Abhängigkeit von dem geliebten und noch nicht gewonnenen Wesen, in welchem wir uns selbst mit der ganzen Welt um uns her verlieren, gesellet sich zu jener rastlosen Thätigkeit, die den Geist so angenehm beschäftigt, wenn er das allmählige Fortrücken seiner Plane bewacht, und jene Schwierigkeiten überwindet, die sich ihm bey der Eroberung eines Herzens, an dessen endlichem Besitz er nicht verzweifelt, entgegensetzen!

So führt schon die einseitige Liebe ihre großen Süßigkeiten mit sich, und es giebt viele Menschen, welche die Periode der Bewerbung für die glücklichste in der Liebe halten. O ihr Egoisten! wie verkennt ihr das Wesen dieser Liebe und die höheren Freuden, welche die Vereinigung der Herzen mit sich führt. Dieser Zustand von Spannung und Erhöhung eurer Kräfte ist Anfang des Verhältnisses, worunter die zusammengesetzte Person erscheint, ist Theil ihres Ganzen, und in so fern gehört er mit zur Liebe, in so fern wird euch dessen Genuß gegönnt. Aber glaubt nicht, daß er unbedingte Folge der Liebe sey; die eigennützigste Leidenschaft kann ihn mit sich führen! Glaubt nicht, daß er der süßeste Genuß sey, den sie darbiethet! Für denjenigen, der wahrhaft liebt, ist die Gewißheit gelungener Vereinigung der Herzen ganz anders reitzend, als das Gefühl des Nachstrebens! Sucht ihn daher nicht willkührlich zu verlängern, diesen Zustand, durch Hindernisse, die ihr der Vereinigung selbst in den Weg legt, euch in der edlen Bestimmung gemeinschaftlich glücklich zu seyn, aufzuhalten, und durch eine Unruhe, die euch einseitig angenehm ist, die Ruhe der Geliebten zu stören! In diesen Irrthum sind viele Schwärmer gefallen; diesen Fehler begehen viele müssige Intriguanten. Aber Liebe ist mehr wie eine Belustigung, wie ein Spiel, das mit dem Bekenntniß der Gegenliebe endigt; mehr wie ein schaler Roman, dessen Interesse hinschwindet, sobald die Hindernisse überstiegen sind, welche die Herzen der Liebenden trennen!

Du, den das Schicksal ohne dein Verschulden länger in dieser gespannten Bestrebung erhält, such ihr eine edle und schöne Richtung zu geben! Fühle dich dadurch gestärkter zu großen Gesinnungen und Thaten, erweichter für die Eindrücke allgemeiner Menschenliebe! Laß die Welt um dich her in schönerer Gestalt erscheinen, laß jedes deiner Werke, deiner Worte, deiner Handlungen von dem Geiste athmen, den nur die Liebe zu einem edlen Gegenstande, und der Wunsch seiner würdig zu seyn, ihnen einhauchen kann. Dann wirst du dich mit Rousseau über dein niedriges Selbst heben; dann wirst du mit Petrarca in den Blüthen der Bäume Liebesgötter flattern, in deiner Geliebten das Ideal weiblicher Sittlichkeit und Anmuth sehen, und mit Plato, Raphael und Milton dich zu dem Urbilde der Schönheit hinauf schwingen! Dein Beyspiel wird die Geliebte zur Tugend entflammen, und zu einer Zeit, worin sie noch nicht das Glück der Liebe mit dir theilt, wirst du bereits durch die erweckten Gefühle der Achtung und Nacheiferung ihr ein hohes Gut und einen süßen Genuß bereiten.


Drittes Kapitel.
Erstes Ausfinden der Gegenliebe.

Herder sagt: den höchsten Grad der Entzückung in der Liebe suche ich in dem ersten glücklichen Finden, in dem über alle Beschreibung glücklichen Augenblicke, in dem die Geliebten gewahr werden, daß sie sich lieben!

Freylich ein hoher Grad der Entzückung, ein ewig merkwürdiger Augenblick! Aber warum der höchste Grad, warum der einzige Moment in der Liebe, dessen Glück unbeschreiblich wäre? Ach! Vollständigkeit und immer wachsende Sicherheit des Bewußtseyns, daß wir geliebt werden, sind der Neuheit wohl werth! Welche Wonne, sich nach unzähligen Beweisen immer bey dem letzten sagen zu können: so ward ich noch nicht geliebt, ich werde ewig geliebt bleiben!

Und wenn nur die Entzückung über dieß erste Ausfinden der Gegenliebe wirklich immer der Liebe, nicht so oft der befriedigten Eitelkeit gehörte! O Weiber, harmlose Opfer der Ränke ausgelernter Verführer, wie geb’ ich euch die Kennzeichen an, welche den Uebermuth des Siegers von der Freude des erhörten Liebenden unterscheiden? Jener denkt nur an die Verherrlichung seines Triumpfs; er schont nicht eurer Zartheit, achtet nicht der innern Bedenklichkeiten, der Selbstüberwindung, die euch das Geständniß kostet, daß ihr überwunden seyd. Sein Auge funkelt von Selbstgefühl und Anmaßung, seine Gestalt hebt sich und schauet auf euch herab, wie auf eine schwer errungene Beute. Seine Wonne an dem gegenwärtigen Gewinn ist vorübergehend; neue Forderungen nach vollständigeren Beweisen eurer Gunst folgen bald auf den Schein der Befriedigung. Aber der wahrhaft Liebende, mehr bekümmert um euer Wohl als um sein eigenes, theilt mitten in seiner Entzückung die Mühe, die euch euer Bekenntniß kostet. Er weiß, wie viel ihr über eure Schamhaftigkeit gewinnen müßt, ehe ihr es gestehen könnt, daß ihr liebt. Er weiß es, daß das edle Weib dadurch einen Vertrag eingeht, den es sein ganzes Leben hindurch nicht wieder brechen wird, und wobey es gemeiniglich mehr giebt und einbüßt, als es wieder erhält. Er fühlt weit weniger die Rechte, die er dadurch bekommt, als die Verbindlichkeit, die ihm aufgelegt wird. Glücklich soll er machen; von ihm will man das Schicksal des ganzen künftigen Lebens erwarten! Wird er es machen, wird er es geben können? Diese Besorgniß mischt sich in seine Freude. Darum erniedrigt er sich selbst in dem Augenblicke seiner Erhöhung. Er läßt der Geliebten das beglückende Geständniß nicht vollenden. Das Verhüllen des Hauptes, der Druck der Hand, der gepreßte Seufzer, die der Rede vorangehen, sind ihm genug. Er stürzt zu ihren Füßen, er verbirgt sein Antlitz in ihrem Schooße, und Thränen, Thränen der Freude, des Antheils und der Bekümmerniß verkündigen in ihm das Gefühl des feyerlichen, wichtigen Moments, der über Glück und Unglück des Lebens entscheidet!

O Sinn für Wahrheit, Adel und Schönheit! Wie unmittelbar steht dieser Augenblick unter deiner Obhut und Leitung! Bey dem Liebhaber, bey der Geliebten! Wie viel kann auch diese letzte davon in ihr Bekenntniß legen!

Wenn das wonnevolle Bestreben, den Liebenden zu beglücken, sich unverdächtig ankündigt; wenn das Hinreißende, alles Ueberwindende, alles Aufopfernde dieses Bestrebens ohne Zweydeutigkeit und Ziererey aus dem Betragen der Geliebten hervorleuchtet; wenn dieß Betragen Achtung für die sittliche Würde der vereinigten Person verräth; wenn die Form reitzend erscheint; dann ist das Geständniß der Gegenliebe wahr, edel und schön!

Sophie, arm und ohne Vermögen, geliebt von einem Manne, der bey einem sparsamen Einkommen in der Verbindung mit ihr seinen Zustand verschlimmern würde, hält mit dem Bekenntnisse ihrer Gegenliebe zurück, um seiner Leidenschaft keine neue Nahrung zu geben. Sie wird reich, und der erste Gebrauch den sie von der Verbesserung ihrer Lage macht, ist der, dem Liebenden ihr Herz und ihre Hand anzubieten. Dieß Geständniß der Liebe ist wahr und zweckmäßig.

Louise hat lange heimlich geliebt, aber die Ueberzeugung, daß ihre Eltern ihre Empfindungen mißbilligen würden, hält ihre Aeußerungen zurück. Ihr Geliebter wird von seinem Nebenbuhler beleidigt; es geschieht vor ihren Augen, in Gegenwart ihrer Eltern und anderer angesehenen Personen. Die Entzweyeten wollen sich entfernen, um ihren Streit mit den Waffen zu endigen. Die Liebe bricht durch. Schont seines Lebens, ruft sie, das meinige hängt daran! Auch hier äußert sich die Liebe wahr und zweckmäßig.

Nehmt eine andere Liebende, die sich gleichfalls noch nicht erklärt hat, in eben der Abhängigkeit von äußern Verhältnissen steht! In ihrer Nachbarschaft, vor ihren Augen geräth ein Haus in Brand. Der untere Theil ist von der Flamme ergriffen, aus dem obern Stockwerke strecken Unglückliche ihre Arme nach Hülfe aus, und schreyen ängstlich um Rettung. Die Liebende sieht um sich her, ob sich kein Retter finde, und erblickt den Geliebten, der sich unaufgefordert durch die Flammen stürzt. Sie unterdrückt die Stimme, die ihn aufhalten könnte, aber eine Ohnmacht verkündigt ihre Besorgnisse. Als sie daraus erwacht, stellt ihr der edle Geliebte die geretteten Unglücklichen vor. Sie stürzt vor aller Augen an seinen Hals. Ich darf dich lieben, ruft sie; meine Liebe ist mein Stolz! So zeigt sich die Gegenliebe edel in ihrem Geständnisse!

Wie edel zeigt sie sich noch in jenem Bekenntnisse das Julie that, als sie ihr Herz mit ihrer Unschuld in St. Preux Hände gab, und von seiner Großmuth, von seiner Tugend, von seinem Ehrgefühle Schutz gegen ihre eigene Schwäche erwartete! Ich weiß es, schrieb sie ihm, ich brauchte mich nur mit einiger Klugheit verächtlich zu machen, um dich zu beherrschen. Freund! ich überlasse sie dir, diese eitle Oberherrschaft: laß mir dagegen das Gefühl meiner Unschuld! Ich will lieber deine Sklavin mit reinem Herzen seyn, als deine Abhängigkeit mit dem Verlust meiner Ehre erkaufen!

Der Reitz, den das Geständniß der Gegenliebe durch die Form der Einkleidung erhalten kann, ist von der Wahrheit und dem Adel ihres innern Gehalts verschieden. Sie ist schön, diese Einkleidung, wenn sie dem niedern Beschauungshange schmeichelt; sie ist ästhetisch schön, wenn dieß unter Leitung der Gesetze des Verstandes und der Vernunft geschieht.

Die Naivität, mit der ein unbefangenes Mädchen dem schönen Jünglinge, der ihm gefällt, bey der ersten Zusammenkunft sein Herz anträgt, kann, unterstützt von Anmuth der Gestalt, des Tons und der Geberden, auf unsere Phantasie und unser Auge wohlgefällig wirken. So schauen wir das Geständniß einer Gurli in der Indianerin in London mit Vergnügen an. So kann eine Zelie, in der Entfernung von allen Mannspersonen, außer ihrem Wohlthäter, erzogen, in dem Gesellschaftstheater der Marquise de Genlis, schön erscheinen, wenn sie mit der Stärke der Leidenschaft diesem Wohlthäter bloße Freundschaft zu bezeugen glaubt. So können die Babets, Annetten und Agnesen auf unsern niedern Beschauungshang angenehm wirken, wenn wir uns gleich bey einiger Prüfung sagen, daß diese Zeichen innerer Empfindungen unwahr und untüchtig an sich selbst sind, und nur auf Albernheit und Ziererey zurückweisen. Crebillon will die unschuldige Zeneis schildern. Ihr Liebhaber wirft ihr vor: daß wenn sie ihn liebte, sie nicht suchen würde, der Einsamkeit, worin sie sich zusammen befanden, zu entfliehen; daß sie nur besorgt für Störung seyn würde. Ach! wer sagt Ihnen denn, antwortet Zeneis, daß ich etwas anders fürchte! Wer wird bey einigem Nachdenken in dieser vermeinten Naivität den decenten Witz einer ausgelernten Buhlerin verkennen?

Jene hochherzigen Weiber in den Romanen eines d’Urfe und Scüdery, jene Heldinnen in den Trauerspielen des Corneille, glauben sich durch das Geständniß ihrer Liebe etwas gegen den Liebhaber zu vergeben, und verfahren dabey wie Renomisten, die sich bey einem Ehrenhandel in Vortheil zu setzen suchen. Demungeachtet reitzen sie durch den Schein des Erhabenen. Sylvander in der Asträa will sein Leben aufopfern, um die Freundin seiner Geliebten zu retten. Schonen Sie ihres Lebens, sagt die stolze Phylis, und wissen Sie, daß ich Sie nicht hasse! Wie unwahr! und dennoch liegt etwas Reitzendes für den Beschauungshang in der Einkleidung dieses Geständnisses, vorzüglich wenn wir es aus dem Munde einer Juno, und von ihrem Anstande begleitet denken!

Welch ein ganz anderes Bild für Phantasie und Auge liefert die Oper le Magnifique. Der Liebhaber liegt auf den Knieen vor der Geliebten. Bewacht von einem eifersüchtigen Vormunde darf diese sich nicht durch Worte erklären. Aber sie hält eine Rose in ihren Händen, und der Liebhaber will in dem Falle der Blume das Zeichen seines Glücks und der Ergebung ihres Herzens erkennen. Lange bleibt die Rose bey allem Flehen des Liebhabers unbeweglich; jetzt fängt sie an in der zitternden Hand zu wanken; sie sinkt, sie hebt sich wieder auf, aber endlich fällt sie nieder! Wie anziehend diese Blume, dieses durch Liebe belebte Wesen! Und zugleich wie bestimmt, wie zusammenhängend, wie innerlich wohlgeordnet, wie angemessen zu den äußern Verhältnissen dieß Zeichen einer innern Empfindung! Welch ein schönes Ganze, als bloße Form betrachtet!

Deutlicher auf Liebe zurückweisend erscheint eben diese Form in der Erzählung von Marmontel, le Connoisseur. Celicour steht bey Agathen, als ein Feuerwerk vor dem Hause ihres Onkles abgebrant wird, an der Oeffnung eines Fensters. Die übrige Gesellschaft, aufmerksam auf das Schauspiel, bemerkt nicht unser Paar. Seine Hand findet die ihrige, und sein Zittern verräth die Bewegung, welche die zufällige Berührung in ihm hervorbringt. Sie will ihre Hand zurückziehen, er wagt es sie aufzuhalten. Ihre Augen begegnen sich; die seinigen bitten um Gnade. Sie fühlt, daß sie ihm wehe thun wird, wenn sie ihren Entschluß ausführt, und läßt ihre Hand liegen. Aber sie ist geschlossen, diese Hand; Celicour darf sie nach und nach entfalten, er darf sie zärtlich drücken; Sie erwiedert nicht den Druck, aber sie leidet ihn, und der Liebende, dreister nach dieser Gefälligkeit, zieht die geliebte Hand an sich. Er beugt ihr seine Brust entgegen, er führt sie an sein Herz! Nun will sie entwischen, aber er hält sie so lange gefangen, bis das schüchterne Wesen das Klopfen seines Herzens fühlt. O der magnetischen Kraft! o des Triumpfs! des Entzückens! Celicour braucht nicht mehr diese Hand anzudrücken; sie bietet sich selbst spähend seinen Herzschlägen entgegen! Ihre Blicke schmelzen schmachtend in einander, und legen das rührendste Bekenntniß ihrer gelungenen Vereinigung ab. Doch nun geht ein großer Kranz von Raketen in die Luft und das Feuerwerk naht sich seinem Ende. Während daß alles um sie her die Pracht des Schauspiels bewundert, drückt Agathe noch einmahl stärker ihre Hand an das Herz des Geliebten, und ein brennender Seufzer, in dem sie beyde zusammen treffen, verkündigt ihren Schmerz über die zu frühe Trennung.

Ich will die Gemählde nicht weiter häufen. Leset die Darstellung einer Gabrielle de Vergy, einer Prinzessin von Cleve, und jene nicht genug gekannte Episode der Liebe des Brutus zur Lucretia in der Clelie, um zu fühlen, wie der Ausdruck erhabener Liebe durch die Einkleidung ihres Geständnisses gehoben werden könne.


Viertes Kapitel.
Genuß physischer Gegenwart.

Ihr Glücklichen! Ihr wißt nun, daß ihr euch wechselseitig liebt! Neue Wünsche, neue Wonne, neues Bedürfniß, neue Befriedigung heben für euch an!

Ihr strebt nach der sinnlichsten und ununterbrochensten Ueberzeugung, daß eure Wesen vereinigt sind, daß zwey Menschen, die gewaltsam getrennt waren, jetzt zu einer Person zusammengesetzt sind! Das sucht ihr euch wechselseitig anhaltend zu bezeugen? Ja, aber nicht mit der Anmaßung, es deutlich zu machen. Es bricht durch, es geschieht, ohne es zu wollen, zum Theil ohne es zu wissen.

Willst du das eitle gefallsüchtige Wesen, das Wesen, dem mehr an Beschäftigung als an Ausfüllung seines Herzens gelegen ist, von dem zärtlich liebenden unterscheiden, so prüfe sein Betragen in denjenigen Augenblicken, worin es sicher zu seyn glaubt nicht von dir bemerkt zu werden. Ueberrasche es da, wo es auf sich selbst nicht achtet, sein äußeres Betragen nicht bewacht! Ja, sieh nicht auf die einzelne Handlung, sieh auf das Betragen im Ganzen. Der unwillkührliche, anhaltende, stets rege Wunsch, sich mit dir in Vereinigung zu denken, das Streben nach Zusammensetzung der Personen, das sich oft unverdächtiger in Kleinigkeiten als bey wichtigen Vorfällen äußert, das bürgt allein für die Wahrheit der Gegenliebe. Alle andere Beweise sind unzuverlässig, sind trüglich. Die Kunst macht sie alle nach, und wenn du gar eine Ziererey bemerkst, diese Beweise recht auffallend für dich und andere zu geben, so sey sicher, daß das Herz kalt und ungerührt ist. Ich habe eine Dame gekannt, die in der Gesellschaft mit mehreren Personen zuweilen mit einer Art konvulsivischer Zuckung nach dem Gewande oder nach der Hand des Geliebten griff, und dann mit der Anmaßung, bemerkt werden zu wollen, um sich her sah. Der Sinn des Wahren ward dadurch eben so beleidigt, als der Sinn des Schönen.

Der erste Genuß, dem die Vereinigung der Herzen nachstrebt, ist das Gefühl physischer Gegenwart. Unerklärbar für jeden, unbegreiflich und lächerlich für alle, die nicht lieben, ist diese Begierde, sich zu sehen, und zusammen zu seyn, welche Liebende auszeichnet. Wo sie dieser Gegenwart nicht wirklich theilhaftig werden können, da symbolisieren, da allegorisieren sie diese durch Bilder, die oft nur ihnen verständlich seyn können. Seht, der Mensch, der sich der Geliebten zuletzt genähert hat, ist ein Auserwählter, der des Anblicks einer Gottheit theilhaftig wurde! das Gewand, das sie abgelegt hat, ist die Relique einer Heiligen. Die Locke von ihrem Haupte ist ein Theil ihres Wesens; das Licht das sie umscheint, die Luft die sie einathmet, das Zimmer, die Stadt die sie umgeben, die Wege die dahin führen, alles das sind Theile von ihrem Selbst! Nach dem Grade der Annäherung zu der Person der Geliebten mißt der Liebende alle Formen. Ist er mit ihr unter einem Dache, so fühlt er sich glücklicher, als wenn nur die nehmlichen Stadtmauern ihn mit ihr umschließen, und muß er auch aus diesen weichen, so fängt die ganze Schreckniß der Einöde erst da an, wo er die Thurmspitze ihres Wohnorts aus dem Gesichte verliert. Was liegt dabey zum Grunde? Was anders, als daß die Liebenden sich besitzen, die sinnlichste Ueberzeugung empfinden wollen, daß ihr ganzes Wesen, daß alle ihre Verhältnisse möglichst vereinigt sind!

Wo dieser Trieb nach physischer Gegenwart, dieser Geschmack an Symbolisierung der geliebten Person bey den entferntesten Veranlassungen nicht vorhanden sind, da ist auch keine warme Zärtlichkeit, und am wenigsten leidenschaftliche Liebe vorhanden. Diese suchen ihren Gegenstand auf, auch da, wo sie sicher sind ihn nicht zu finden. Wer vor der Wohnung der Geliebten, die sie längst verlassen hat, vorbeygehen kann, ohne einen Blick, ohne einen Seufzer nach den öden Fenstern hinauf zu schicken, der liebt nicht die Person, der liebt nur das Verhältniß, worin er mit ihr steht.

Rousseau läßt seine Julie ausrufen: welch ein trauriger Zufluchtsort für zwey Liebende, der einer Assemblee! Welche Qual, sich vor lästigen Zeugen unter unaufhörlichem Zwange zu sehen! Dafür besser der Gegenwart ganz entbehren!

Ach! das ist die Sprache des Unmuths solcher Liebenden, die sich in ungestörten Zusammenkünften vereinigen. Aber für denjenigen, der kein anderes Mittel kennt, der Gegenwart der Geliebten froh zu werden, für den bleibt die zwangvolleste Zusammenkunft noch immer Bedürfniß und Genuß! dem werden die langweiligsten Gesellschaften, der unbedeutendste Zeitvertreib unterhaltend durch die Annäherung an die Hälfte seines Wesens! Eine Luft mit ihr einzuathmen, ihre Gestalt zu erblicken, den Ton ihrer Stimme zu hören; das ist mehr, als alle Einbildungskraft zu geben vermag! Aber freylich nur für das Herz! Der begeisterte Egoist ist glücklicher in der Einsamkeit mit seinen Bildern.

Aber soll die Liebe in diesem Streben nach Vereinigung wahr und tüchtig erscheinen, o so verwechsele sie es nicht mit jenem Instinkt, der auch Thiere antreibt, sich einander aufzusuchen, unbekümmert um das Wohl des Gefährten! Liebe strebt nach Ueberzeugung, daß der Geliebte sich glücklich fühle. Sie beseelte eine Briseis, die als Sklavin ihrem Geliebten in den Krieg folgen wollte, ihn vor Gefahren zu warnen, seinen Schweiß zu trocknen, ihm jede Wartung und Pflege zu beweisen; sie war aber jener Laodomeja fremd, die den Protesilaus bat, sich durch Flucht aus der Schlacht zu entehren, um sich nur an seiner Seite zu fühlen!

Wo die physische Gegenwart auf Kosten der Ruhe und des Glücks des Geliebten erkauft werden muß, da unterdrückt sie diesen Trieb, und giebt durch Entfernung den größten Beweis ihres Daseyns und ihrer Wirksamkeit! So fleht Hero ihren Leander bey aller Ungeduld, die sie ihn zu sehen empfindet, daß er zurückbleibe, und sein Leben nicht in Gefahr setze. So trennt sich St. Preux von Julien, um die Ruhe ihres Gewissens wieder herzustellen! So fliehst du, edle Gabrielle, deinen Coucy, um dich und ihn ferner zu achten!

Es giebt ein Bestreben nach Annäherung, das zu gesucht ist, als daß es wahr und zweckmäßig seyn könnte. Beyspiele davon liefern viele Sonnette des Petrarca, denen man nicht so wohl wahre Darstellung eines leidenschaftlichen Zustandes, als den des liebenden Strebens nach Vereinigung mit der Person der Geliebten absprechen darf. Wenn er sich über den Tod seiner Laura freuet, weil er sie nun unter den Sternen sieht, wer erkennt hierin nicht den Dichter der in sein Ideal verliebt ist! Mehrere Gleichnisse und Beziehungen beym Ovid, die gleichfalls jenen Trieb nach physischer Annäherung ausdrücken sollen, verrathen mehr Witz als Empfindung.

Je zusammenhängender, je bestimmter, je wohlgeordneter und angemessener das liebende Streben nach Zusammenseyn sich ankündigt, je mehr es mit sich selbst übereinstimmt, um desto mehr paßt das Bild der Vollkommenheit auf dessen innern Gehalt. Welch ein Opfer bringt nicht St. Preux, der von Paris nach Vevay eilt, seine Julie, die an Blattern krank darnieder liegt, zu sehen, durch seinen Anblick vielleicht ihr Leiden zu mildern, und der sich selbst der Gefahr der Ansteckung und des Todes aussetzt!

Oft besteht aber diese Vollkommenheit nicht mit den Forderungen, die unser Edelsinn an diese Proben der Liebe macht, die Liebe ist dann nur vollkommen in ihrer Art. Es ist vielleicht ein eben so großes Opfer, als dasjenige, was St. Preux seiner Julie brachte, wenn der Mann mit Anlagen geboren, seine Zeitgenossen aufzuklären und seinem Vaterlande zu dienen, seine schönste Zeit verschwendet, um unter den Augen beschwerlicher Zeugen, bey dem langweiligsten Zeitvertreibe, die Geliebte mit seiner Gegenwart zu erfreuen! Aber kann unser Edelsinn dieß billigen? Es mag immer in dem unthätigen, und wenn ich den Ausdruck brauchen darf, dummen Beyeinanderseyn ein Reitz liegen, der dadurch geheiligt wird, daß er die vereinte Person beglückt. Aber edel erscheint doch nur derjenige Trieb nach Annäherung, dessen Befriedigung nicht auf Kosten unserer Würde, als vernünftiger Wesen erkauft wird, und am edelsten erscheint er dann, wenn er Ermunterung, Stärke, Belohnung für jede gute That[WS 25] in den Anblick des geliebten Gegenstandes sucht, und der Liebende sich nicht bloß behaglicher, sondern auch besser an der Seite derjenigen fühlt, die ihm das versinnlichte Bild der Tugend auf dieser Erde darstellt. So sehnte sich Heloise nach ihrem Abelard, um von seiner Gegenwart Stärkung in ihrem strengen Berufe zu erhalten.

Auch der Sinn des Schönen muß über den Aeußerungen dieses Triebes nach Vergegenwärtigung des Geliebten wachen. Es giebt Formen desselben die ekelhaft, es giebt andere, die ärmlich, albern, bey der Beschauung erscheinen. Rousseau ißt mit Madame von Warens. In dem Augenblicke, wo sie bereits einen Bissen im Munde hat, ruft er, er sähe ein Haar daran, und sie läßt ihn fallen. Er wirft sich darauf und verschlingt ihn. Das Bild ist widrig, wenn es gleich als Symbol der Vereinigung wahr und tüchtig ist.

In einem neueren Romane erscheint ein Liebhaber, der mit keinem andern Messer essen will, als mit dem Taschenmesser seiner Geliebten. Das Bild ist wahr, aber es ist von der Vorstellung einer kindischen Denkungsart unzertrennlich.


Fünftes Kapitel.
Genuß der Vereinigung durch bloße Ideen.

Oft sind die Geliebten weit von einander entfernt; Schicksal oder Menschen haben sie getrennt, haben ihnen alles entrissen, was ihre wechselseitige Gegenwart versinnlichen könnte; dennoch sind sie bey einander.

Kurzsichtige, ohnmächtige Gebieter der Herzen! vergebens strebt ihr durch Entfernung der Oerter, durch Wächter und Riegel zwey vereinigte Wesen aus einander zu reißen! Welchen Winkel der Erde könnt ihr so verborgen wählen, den nicht die Phantasie des Liebhabers ausfände! Welches Behältniß könnt ihr so hermetisch versiegeln, wo hinein nicht das Bild des Geliebten, und die Ueberzeugung von seiner Treue und Würdigkeit dränge! Nehmt den Liebenden alles, ihr nehmt ihnen nicht die Erinnerung, nicht die Phantasie, nicht den Stolz auf sich selbst und ihre gepaarte Person!

Hoher Genuß an sich selbst, einzige Schadloshaltung für den Verlust alles übrigen! Wie suchen dich zärtliche Herzen auf in dem Dunkel der Nacht, in den Schrecknissen der Einöde! Aber du kommst ungerufen zu ihnen, wie ein dienstfertiger Schutzgeist, spiegelst dich ihnen in beglückenden Träumen vor, und begleitest sie auf allen ihren Wegen!

Glücklich derjenige, der viel von den persönlichen Verhältnissen der Geliebten weiß! Der kleinste Umstand wird zur Nahrung für das Herz. Die Bekanntschaft mit dem Wohnzimmer der Geliebten, mit ihren Beschäftigungen, mit allem was sie umgiebt, ist ein wichtigeres Eigenthum in dem Reiche der Liebe, als der Besitz einer Provinz für den Welteroberer. Hier sitzen wir neben ihr, hier stehen wir bey ihr, hier begleiten wir sie bey jeder Bewegung, hier beginnen und endigen wir mit ihr jedes Geschäft! So strebt die Seele immer nach sinnlichen Bildern persönlicher Vereinigung!

Ach! aber vor allen seyd ihr uns theuer, Bilder dessen, was wir zusammen erlebt, zusammen erfahren haben! Freude und Leid, jedes Verhältniß wird unzählige Mahl ins Gedächtniß zurückgerufen, mit täuschender Wahrheit ausgemahlt, mit Wonne und zugleich mit Schwermuth empfunden! Bald nimmt die Phantasie einen höheren Flug. In ihrem Zauberspiegel erscheint die Geliebte mit neuen nie gesehenen Reitzen; die trübe Zukunft hellt sich auf, die zusammengesetzte Person stellt sich unter den glücklichsten Verhältnissen dar; allen Hindernissen entrückt, theilen wir in seliger Träumerey Freuden, wie die vortheilhafteste Wirklichkeit sie nie darbiethen kann! So ist der liebende Mensch erhaben über Schicksal, und Natur und Gewalt anderer Menschen! Stolzer Gedanke! du vollendest die Summe unsers Glücks!

Noch einen edleren Genuß giebt es in dieser Lage, und vielleicht ist er der einzige, der wahre Liebe, das Streben, den Geliebten zu beglücken, unverdächtig verkündigt! Welch eine Mittheilung, im lauten Getön glorreicher Thaten, oder im sicheren Gelispel des stillen sich nie verleugnenden Verdienstes durch Länder hin zu einander zu reden, und in dem Ruhme des würdigsten Bürgers, des sittigsten Weibes, dem vereinten Wesen das Daseyn, die Würde, das Wohl eines andern Wesens zu verkündigen, das sich zu dem allen durch Liebe und Treue gestärkt fühlt! Wie labt eine solche Nachricht, wie rechtfertigt sie unsere Wahl, wie stärkt sie unsern Vorsatz, unsere Bemühung durch fortschreitende Ausbildung unsers sittlichen Charakters des Geliebten würdig zu bleiben! Ja, dann, dann wird das Andenken an ihn ein Penat, ein Genius, für den man alles leidet, alles duldet, den man in den verwickeltsten Lagen anruft, auf den man jedes günstige Schicksal zurückführt; Leiter, Tröster, Ermunterer auf dem Pfade der Liebe und des Lebens!

Dieser Genuß, den die Liebe selbst bey der Trennung darbiethet, eingegeben von ihrer Wahrheit und Zweckmäßigkeit, durch ihren Edelsinn, kann von dem Sinn des Schönen noch geschmückt werden!

O Freundin, möchte ich es darstellen können, wie dein Geliebter an dich denkt! Noch schläft alles um mich her; ein glücklicher, aber durch die Lebendigkeit seiner Erscheinungen zu früh geendigter Traum hat mich früh von meinem Lager geweckt! daß mein Geist auf den Rosenflügeln dieses lieblichsten der Söhne des Schlafs zu dir hinüber eilen könnte! – Ich sehe dich! Noch schlummerst du, hingegossen in der Ruhe deines reinen schuldlosen Gewissens, mit allen Reitzen deiner Gestalt, und ach! mit dem Ausdrucke des liebenden Herzens, den selbst dein Schlaf nicht verleugnet! – daß mein sanfter, bescheidener Kuß dir den Traum einhauchen könnte, der mich entzückte! – Ich Glücklicher! es gelingt. Dein Busen fängt an sich mächtiger zu heben, deine Athemzüge folgen sich geschwinder, du lächelst! Ha! mein Bild steht vor deiner Seele! Schon streckst du deine Arme nach mir aus, rufst meinen Nahmen, – und erwachst! – Seufzend erblickst du das Licht des anbrechenden Tages, der dich in deine Einsamkeit zurückbringt. Du schließest deine Augen noch einmahl, die geliebte Täuschung umzuholen, aber vergebens! Unfähig den Flüchtling zu erhaschen, erflehst du jetzt vom Himmel Segen für uns beyde, und erneuerst die Gelübde ewiger Liebe und Tugend! O Correggio, o Guido! Von euern Madonnen entlehne ich die Gestalt meiner betenden Geliebten! O Fielding, o Rousseau, eure Sophien erscheinen mir, wenn ich sie jetzt in der Ausübung mühsamer Pflichten, oder unterhaltender Talente sehe! Ueberall leiht ihr die Liebe neue Stärke und einen reitzenden Ausdruck! Ja, sie wähnt, mein Ohr horche auf ihren Gesang, mein Auge prüfe das Werk ihrer Nadel, meine Hand leite sie in die Hütte des Armen, den ihr Zuspruch mehr als ihre thätige Hülfe erfreut! So schmücke ich dein liebes Wesen, Freundin, und o! der seligen Zukunft, die uns wieder vereinigt! Ein goldenes Zeitalter, ein Eden, aus allem zusammengesetzt, was Natur und Kunst, was Erfahrung und Ahndung reitzendes darbiethen, bildet sich mein schaffender Genius zum Wohnort für uns beyde! Komm, komm hier in meine Arme! Ewige Huldigungen sind dir hier bereitet, unaussprechliche Lust an edler Geselligkeit, und vor allem Wonne der Liebe, ohne Furcht vor Sättigung, und ohne Besorgniß gewaltsamer Störung!

Sechstes Kapitel.
Genuß der Liebe durch schriftliche Mittheilung.

Die beste Schadloshaltung, welche die Liebe für den Verlust der persönlichen Gegenwart geben kann, ist die schriftliche Mittheilung. Man sagt, die Liebe sey es, welche die Mahlerey erfunden habe. Aber gewiß! früher als Dibutade den Schatten des nahen Geliebten abnahm, hat das Bedürfniß getrennter Liebenden eine Bilder- oder Zeichenschrift erfunden. Ja, es ist unvermeidliches Bedürfniß zu wissen und zu sagen wie wir leben, und dieß hat dem Menschen den ersten Griffel in die Hand gegeben, dieß bindet noch jetzt in jenem an Werken der bildenden Kunst so armen Orient den beredten Blumenstreuß!

Ich habe dein Bildniß, Freundin, meine Hand hat es entworfen! Kein Künstler würde es so geliefert haben, ich nahm es aus meinem Herzen! Aber ich selbst mahle dich nicht wie ich dich sehe! Der treueste Abglanz deiner Züge bleibt immer nur ein schwaches Symbol von dem Bilde, das mein Busen von dir in sich schließt! Aber ein Brief! ein Brief nach lang entbehrter Mittheilung, nach langem Harren! Wie ganz anders theuer ist der dem Herzen! Briefe leben, Briefe sprechen! Sie tragen den Ausdruck des Herzens über, sie athmen von unsern feurigen Gefühlen. Sie sagen oft mehr, als der Mund, schüchtern oder gespannt durch die Gegenwart des Geliebten, sagen kann. Sie sind ein dauernderes Monument der Liebe, als gesprochene Worte! Wie findet sich das Herz erleichtert, wenn man nur schreiben kann; oft ohne Hoffnung, daß der geliebte Gegenstand unser Geschriebenes erhalten werde. Aber wenn sie abgegangen sind, diese Briefe, wie ausgefüllt fühlen wir uns durch die Hoffnung, daß sie rühren werden! Und dann die ungeduldige Erwartung, welche die Phantasie so mächtig hebt: die unaussprechliche Wonne bey dem Empfange! O wie zählen wir Tage und Stunden und Augenblicke bis zu demjenigen, der das lang ersehnte Gut unserer Rechnung nach herbeybringen wird! Er kommt, und bey dem Anblicke des wohlbekannten Siegels erfahren wir alle Symptome der Bewegung, die der Anblick der geliebten Person selbst hervorbringen würde. Wir reißen den Brief an uns, verzehren ihn, lernen ihn auswendig! Kostbare Documente unsers Glücks! unschätzbare Kleinodien unsers Stolzes! Wer kann sich von euch trennen! Wir tragen euch auf unserm Herzen, so gleichgültig euer Inhalt jedem andern scheinen mag, so gefährlich die Aufbewahrung vielleicht wirklich ist!

Briefe machen ein wesentliches Ingredienz in jeder liebenden Verbindung aus. Briefe gehören in jeden Roman. Niemand hat ihren Werth besser empfunden, als die edle aber unglückliche Heloise. O Abelard, schreibt sie, ich will deine Briefe immer bey mir tragen, ich will sie ohne Unterlaß küssen. Du sollst keine Eifersucht kennen, als diejenige, welche die Liebkosungen, die ich an sie verschwende, dir erwecken könnten! Ich kann nicht ohne Versicherung deiner Liebe leben! Schreib mir ohne Sorgfalt! Laß nur dein Herz reden! Wie leicht, wie natürlich muß dir der Ausdruck werden, daß du mich liebst!

Anders zeigt sich die Liebe in Briefen wahr, anders edel, anders schön. Die bekannten Briefe der portugiesischen Nonne sind vielleicht das Wahreste, was wir in dieser Art kennen. Nichts unwahreres dagegen als die Briefe, die sich in den meisten Romanen, und besonders in denen der Mademoiselle Scuderi finden. Aber selbst in Rousseaus Heloise sind viele Briefe, besonders von Julien, die zwar durch den Ausdruck der Sittlichkeit, durch die Ermunterungen zum Guten, die sie enthalten, edel, aber als Ausdruck der Liebe unwahr sind. Sie würden dem Pädagogen besser ziemen, als dem liebenden Weibe. Unter den Heroiden des Ovid giebt es viele Briefe, die wohlgefällig durch ihre Form, aber ohne wahren und ohne edeln Gehalt sind.

Dagegen trifft man im gemeinen Leben viele Briefe an, die weder von Seiten der Sittlichkeit, noch des schönen Styls unsern Beyfall verdienen, aber durch den Ausdruck eines tief gerührten Herzens hinreißen. Und es ist unbegreiflich, wie die Leidenschaft den Menschen von den mittelmäßigsten Anlagen selbst in ihrem Style nachhilft. Daher kommt es, daß Schriftsteller, die sonst höchst mittelmäßige Produkte geliefert haben, in Werken, welche ein gerührtes Herz eingegeben hatte, sich selbst übertroffen haben. Die lettres de Babet von Boursault können zum Beweise dienen. Wie viele andere höchst berühmte Nahmen könnte ich neben diesem nennen! Wieder aber sinken geistreiche Menschen, die sonst den Styl ganz in ihrer Gewalt haben, unter sich selbst herab, wenn sie bey kaltem Herzen eine Leidenschaft in ihren Briefen heucheln!

Alles Gesuchte, alles Weithergeholte ist dem Charakter der Liebe zuwider! Aber es läßt sich bey dem wahrhaft Liebenden eine frühere Bildung denken, die sich selbst im Ausdruck der höchsten Leidenschaft nicht verleugnet, und diesem Reitze leihet, die ihm der ungebildete Geist nicht zu geben vermag!


Siebentes Kapitel.
Gefahren des Genusses durch Bilder und schriftliche Mittheilung für die Liebe.

So giebt uns denn die Liebe Genuß selbst bey physischer Trennung durch Bilder und schriftliche Mittheilung! Der Reitz dieses Genusses ist an sich so hoch, so süß; – der Geist fühlt sich dabey so gespannt; – das Thierische im Menschen scheint daran so wenig Antheil zu nehmen; – das Herz ist dabey so sicher vor der Gefahr des Ueberdrusses und der verminderten Begeisterung, daß viele Menschen die Freuden der Liebe willkührlich darauf beschränken, und dasjenige, was bloß Schadloshaltung seyn sollte, für ihre höchste Wonne ansehen! Eine Dame von großem Geiste sagte mir einst: das Beste was die Liebe giebt, ist, daß man an einander denkt und an einander schreibt.

Aber wer fühlt es nicht, daß diese Beschränkung, wenn sie weder Pflicht noch Schicksal auflegt, wenn bloße Klugheit sie anräth, ein Spiel der Eitelkeit und der Phantasie, eine Befriedigung des Triebes nach Beschäftigung und Unterhaltung ist, und der Natur eben so sehr, als dem Wesen der Liebe zuwiderläuft!

Achtes Kapitel.
Genuß der Liebkosungen.

Nein, ich vereinige sie wieder die Menschen, welche die Bestimmung, ihr Glück in der Zusammensetzung ihrer Personen zu fühlen, in möglichster Ausdehnung erfahren sollen. Ich befreye sie von allem Zwange, den nicht Schicksal oder Pflicht ihnen auflegen. Sie dürfen beysammen seyn, sie dürfen zusammen leben! die äußern Umstände erlauben es und ihr Gewissen!

Ihre Freuden sind jetzt von doppelter Art: einige nimmt die Seele unmittelbar von der Seele hin: andere erhält sie mittelbar von den Körpern und den näheren und den entfernteren Verhältnissen der gepaarten Person!

Worin liegt die Seligkeit jener Augenblicke, in denen die Rede schweigt, um das wechselseitige Gefühl glücklicher Liebe durch Liebkosung sprechen zu lassen? Worin die Wonne jener stummen Entzückung, wenn Liebende, fest von einander umschlungen, von einander durchathmet, in Blicken, Händedruck, Umarmung ihre innigste und grenzenloseste Vereinigung genießen! Sie liegt, wer wird es läugnen, zum Theil in jenem sympathetischen Reitze, den sich die Körper unmittelbar durch ihre Annäherung zuführen; sie liegt aber eben so sehr in der Wonne der Seele, die in dieser Mimik das Symbol des Strebens nach Einswerden erkennt. Der Sinn des Edeln und Schönen zieht dann oft aus diesen Liebkosungen neue, nur höheren und feineren Geistern sichtbare Freuden!

Ueppigkeit, Lüsternheit, ist nicht Liebe! Welch ein Unterschied zwischen der lasciven Betastung und dem treuen Druck der Zärtlichkeit! Umarme mich, und ich will dir sagen, ob Liebe, Begierde oder Kälte in deinem Busen wohnt! Unaussprechlich sind freylich diese Kennzeichen, aber nicht unbemerkbar. Herrscht zu wenig Inbrunst in der Liebkosung, so ist sie die Larve der Gleichgültigkeit; herrscht mehr Unruhe der Erwartung als Wonne an dem gegenwärtigen Symbole der Vereinigung darin, so gehört sie der Lüsternheit, und ist eine zweydeutige Probe der Liebe!

Wie abwechselnd, wie reich, wie stark kann die Bedeutung dieser Mimik werden! Der Mann sinkt zu den Füßen des Weibes und umfaßt ihre Knie. O Bild der Stärke, die gegen Zartheit geschmeidig wird! Das Weib schmiegt sich an den Geliebten, hängt an seiner Schulter, wird von ihm aufgehoben mit mächtigem Arme. O Bild der Stütze, die Zartheit bey der Stärke sucht und findet! Warum verhüllet die Liebende ihr Haupt an seinem klopfenden Busen? Hier will sich ihre Schamhaftigkeit vor ihrem Stolze bergen, hier will sie die Rechtfertigung für ihre Schwäche finden. O wie fein und wie deutlich zugleich! Sie führt die geliebte Hand an ihr Herz, tastet spähend das seinige aus, und spricht mit dieser Handlung und mit ihrem Blicke: du bist mir so viel werth, ach möchtest du mich eben so fühlen!

Wie viel wird diesem Ausdruck verziehen! Wie kann es nicht rühren, wenn die Liebende in der Höhe ihrer Entzückung die Grenzen der Schamhaftigkeit und des Anstandes beynahe überschreitend streift, und in dem Augenblicke darauf durch höheres Erröthen, durch Verhüllung des Antlitzes und strengeres Verwehren, den ganzen Adel ihrer Seele und die ganze Uebermacht ihrer Empfindungen verkündigt!

Daß aber dennoch der Sinn des Edeln über diesen Ausdruck vollkommener Liebe im Ganzen wache! Hütet euch, keinen Lucretz [38] zu berechtigen, euern Liebkosungen den Vorwurf thierischer Wuth und eigennütziger Vorliebe für euer einseitiges Vergnügen zu machen. Der edlere Mensch wird auch hier aus seinem Charakter nicht heraus treten, und Wahrheit mit Würde zu vereinigen wissen! Der ernste Mann darf sich nicht wie das Kind geberden: das sanfte Weib nicht wie das muthwillige Mädchen. Förmlichkeit ist der wahren Liebe zuwider, aber eben so sehr widerspricht ihr Ausgelassenheit und Empfindeley. Harmonie, Schicklichkeit, Ordnung, Angemessenheit, Uebereinstimmung mit uns selbst, kann auch der kosende Ausdruck der Liebe zeigen.

Ach! und wenn nun gar der Sinn des Schönen hinzu tritt! Doch! um diesen befriedigt zu fühlen, müssen die Liebenden selbst Formen an sich tragen, die der sichtbaren Anmuth fähig sind. Aber wenn sie diesen Vorzug wirklich besitzen; – o! des seltenen und vielleicht einzigen Genusses in seiner Art, sich mit der Geliebten zu einer Gruppe vereinigt anzuschauen, die von des Künstlers Hand in Marmor gebildet, schon jedem fremden Zuschauer Gefühle der Schönheit einflößen würde! Und nun gar diese Gruppe lebend; – und sich selbst in dieser Gruppe; – und liebend, und wiedergeliebt! – O Gedanke ohne Ausdruck!

Doch! wo Ziererey hinzu tritt, die Anmaßung schöne Formen zu zeichnen hervorsticht, Eitelkeit überherrschend wird über Liebe; – fort mit dem widerlichen Anblick!

Neuntes Kapitel.
Der Kuß.

O Kuß, du wirst geschändet, wenn man in dir eine armselige Nachbildung des unnennbaren Genusses sucht! Du hast deinen dir eigenthümlichen Reitz; du bist eines der auffallendsten Symbole der Vereinigung der Wesen!

Doch! was kann die arme Rede sagen, deine Wollust und Wonne auszudrücken, da die sinnlichste aller Darstellungen, jene Gruppe des Alterthums, welche die Umarmung Psyche’s und Amors bildet, nur so mangelhaft an deine Freuden erinnert! Seht, wie die Liebende den Geliebten umschlingt, gleich dem Epheu, der den freundlichen Stamm umwindet, um sich nie wieder von ihm zu trennen! Seht, wie sie sich an ihm hinauf hebt, damit Herz auf Herz, Mund auf Mund passe! Seht, wie seine Rechte, verstrickt in ihre Seidenlocken, das Hinterhaupt an sich preßt, während die schmeichelnde Linke ihren zarten Kinn an den seinigen andrückt! Das, oder ungefähr das mag die Kunst des Bildners liefern! Aber ach! welche Kunst mag den Ausdruck der innern Regungen darstellen, die das ganze Wesen der Liebenden durchströmen! Nicht bloß den feinsten Geist der Animalität, mit dem ihre Körper hoch beladen sind, suchen sie einander mitzutheilen. Mehr; ihre Arme pressen aus den Körpern selbst die Seelen hervor, die getheilt zwischen Verlangen und banger Erwartung des Momentes harren, wo sie in das geliebte Wesen übergehen werden.

Schwellend und niedergedrückt von ermattender Begierde und Aengstlichkeit öffnen sich die Augenlieder halb und mühsam. Der schüchterne, wonnetrunkene Augapfel verbirgt sich hinter ihrer Hülle, und eine Thräne, der Thau der Wollust und der Zärtlichkeit, schimmert auf den zitternden Wimpern. Jetzt ermannt sich die Liebende! ihr Blick, der ihre ganze Seele in sich faßt, sucht die ganze Seele des Geliebten, der ihr mit den Strahlen seines Blicks entgegenkommt, in sich aufzufangen. Aber gleich einer neuen Semele trägt sie nicht den Sonnenglanz des Gottes! Gebrochen zieht sich ihr Auge mit ihrer Seele in sich selbst zurück, und nimmt nur das Bild der Entzückung mit sich über, die sie erregt, und die sie selbst empfindet!

O! der halbgespaltenen Lippen, die sich nun an einander saugen, um auf diesem Wege den kostbaren Geist, der auf der Oeffnung des Mundes schwebt, zu empfangen! O des Einschlürfens ihres feurigen Hauches, des Auffangens ihrer brennenden Seufzer! Seele, wie hältst du deine Entkörperung aus? Körper, wie verweilst du auf dieser Stufe deines vollkommensten Zustandes? Und du Herz! wie trägst du die Fülle des gegenwärtigen Genusses, und die Ahndung eines höheren der deiner wartet!

Welch Wunder, wenn Wollüstlinge, die die höchsten Freuden der Liebe in verfeinerter Lüsternheit setzen, unter allen dem Kuß den ersten Rang eingeräumt haben! Bey ihm, sagen sie, fällt die Gefahr des Ueberdrusses weg. Unzählige Küsse folgen auf unzählige Küsse ohne Sättigung und Ermüdung! Die gegenwärtige Wollust ist mit der Ahndung einer noch höheren verknüpft, mit einer Entbehrung und Erwartung, die schon an sich Vergnügen ist, und jedes andere erhöhet und würzt. Indem der Mensch willkührlich der höchsten Stufe der Lust entsagt, fühlt er sich freyer, stolzer auf sich selbst, strebender und gespannter. Ja, die Seele bleibt hier noch im Gleichgewicht mit dem Körper; sie nimmt mit ihm noch gleichen Antheil an den Freuden der Liebe; sie bewacht, sie leitet diese zu ihrem Vortheile. Einen Schritt weiter, und die Seele verliert sich im Uebermaße körperlicher Entzückung, sie theilt nicht mehr mit dem Gefährten, sie erniedrigt sich unter ihm. Psyche, das Bild der Seele durfte den Cupido nur küssend umarmen!

So räsonniert die feinere Lascivität. Aber wahre Liebe hat nur Ein Gesetz: beglücke den Geliebten! Wenn die Umarmung ihn beglückt, so umarmt sie ihn! kennt sie einen höheren Genuß für ihn, so eilt sie, ihm diesen zu geben! Wahre Liebe fürchtet keinen Ueberdruß, keine Ermattung! Sie weiß auch den unnennbaren Genuß zu veredeln, und ihn der Seele würdig zu machen!

Und wie verschieden ist nicht der Kuß, den wahre Liebe auf unsere Lippen drückt, von demjenigen, den die Lascivität, selbst die feinere, von diesen Lippen für sich hinnimmt! O Raphael, leih’ mir deinen Pinsel; ich will wahre Liebe in einer Umarmung mahlen! O Julio Romano! du sein Schüler, leih’ mir den deinigen; ich will eine andere Umarmung zum Gegenstücke mahlen, in der niemand die eigennützige Begierde verkennen soll!

Vollkommene Liebe äußert sich also schon im Kusse, den sie als Ausdruck ganz vereinigter Herzen nutzt. Der Sinn des Edeln kann ihn als Symbol der Vereinigung achtungswürdiger Wesen brauchen. Er entfernt von ihm alles, was auf den Mangel zarter sittlicher Empfindungen schließen läßt; er nutzt ihn zur Belohnung der Tugend, und zur Ermunterung in dem Kampfe gegen unser niedriges Selbst! Soll ich noch hinzufügen, welche Reitze der Sinn des Schönen ihm leihen kann? Ach! seht Ciprianis Medor und Angelica an: seht an die Gruppe der Psyche und des Amors!


Zehntes Kapitel.
Der unnennbare Genuß.

Es giebt einen Genuß! Edel Liebende ahnden ihn kaum, wenn ihre Herzen zuerst nach Vereinigung streben. Sie nennen ihn nicht, wenn sie ihn ahnden! Seine Natur scheint ihnen eben so unaussprechlich als seine Freuden, und bey der Ohnmacht oder Verdorbenheit unserer Sprache würden sie ihn durch jeden Nahmen zu entheiligen glauben!

Unnennbarer Genuß! Heilige Mysterien der Natur, an die sie die Fortdauer aller Gattungen lebendiger Wesen band! Es hat Schwärmer gegeben, die sich deiner enthielten, im Wahn, du gehörtest weder der Liebe noch den edleren Menschen! Es hat Elende gegeben, welche den physischen Reitz, der dich begleitet, für das Höchste achteten, was die Liebe darbiethet! Beyde gleiche Thoren! Beyde gleich unwissende Genießer! Du bist wenig, wenn das Herz dich nicht empfängt und giebt, wenn der Sinn des Edeln und Schönen dich nicht leitet; du bist viel, sehr viel, aus jener Quelle, unter dieser Führung!

Unzählige Bande laufen hier zusammen; ich möchte sagen, alle, die sich unter Menschen denken lassen, welche freye Wahl aneinander knüpft. Schon als Symbol der innigsten Verwebung unserer Wesen, Symbol, angenommen von allen Völkern, um daraus Begriffe und Gesetze herzuleiten über Besitz, Eigenthum freyer unabhängiger Menschen, Kränkung dieses Eigenthums, Ausdehnung der Bande der Blutsfreundschaft; – wie wichtig für das Herz, wie hebend für die Imagination!

Und dann wirkliche, unmittelbare Quelle so vieler glücklichen und unglücklichen Folgen nach dem Laufe der Natur, nach dem Irrgange unserer Conventionen, physisch und moralisch, für Mann und Weib! Aber besonders für das Weib, Quelle von Freuden und Schmerzen, von Ehre und Schande! Folgen, welche durch die Unbeständigkeit und Undankbarkeit der Männer noch wichtiger werden, so daß dieser Genuß, leider, oft verdient hat, der letzte genannt zu werden.

Wie viel räumt das keusche, ehrliebende Weib ein, wenn es sich zum ersten Mahle so seinem Liebhaber hingiebt! Welche Verbindlichkeiten nimmt dieser auf sich, wenn ein Herz in ihm schlägt, empfindlich für Pflicht, Rechtschaffenheit und Liebe! Verbindlichkeiten, welche oft das Ende der Liebe nicht aufhebt, und die so lange dauern als das Leben! Es ist daher die erste Vereinigung dieser Art für edle Menschen nicht so wohl eine Wonne, als eine Feyer, die ein ewiges Bündniß, am Altare der Liebe geschworen, besiegelt! Auch hat das Weib unter so vielem Kampf, Schrecken und Besorgnissen wenig oder keine Freuden, und darum ist dieser erste Genuß auch unvollständig für den Mann!

Aber wenn die Geliebte nun den Liebenden zugleich so genügsam in seinem Siege, und so bescheiden in seinem Triumpf, so froh gerührt und so schonend dankbar sieht, – dann, dann fängt er an, der hohe Genuß dieser Art! Er faßt es auf, der edel liebende, das Weib seiner Wahl, seiner Wünsche, seiner Sorge, seiner langen Bewerbung; faßt es auf, drückt es an sich, und fühlt und ruft: du bist mein, und ich bin dein! mit Körper und Seele und allem was dein ist, und allem was ich habe! Wehe dem der hintergeht, der sein Glück von dem Glück des andern trennt! Er sagt’s und überzeugt, und die Geliebte vergißt nun den vorigen Kampf und die vorigen Besorgnisse, und das Mißtrauen, und stürzt, nicht mehr überwunden, nein, ausgefüllt durch Liebe, zur höchsten Entzückung in seine Arme!

Unbeschreibliches Gefühl einer so vollkommenen Zusammenwebung! Glückliche! nun ist nichts mehr an euch was ihr nicht mit und durch einander habt! Und doch, was habt ihr? Euer Herz! Dieß ist es, was ihr in dem Körper sucht und besitzet, dieß ist es, was den Genuß eurer Körper hauptsächlich schätzbar macht! Seht, wie jeder der beyden Liebenden seiner eigenen Wonne unterliegt, und doch nur des andern Wonne zu genießen, nur diese zu erhöhen sucht! Seht, wie alles das Gefühl der Schätzung und der Dankbarkeit ausdrückt, daß ihr einander so viel werth seyn könnet! Ihr Armen! ihr verliert im vereinigten Entzücken der Selbstheit, der Beschauung und der Liebe das Bewußtseyn eurer selbst! Ihr täuschet euch mit dem Bilde der Auflösung eurer einsamen Wesen und der Zusammensetzung zu einem neuen, das eure Seelen auf immer vereinigt! – Aber ach! nur auf einen Augenblick! Ihr schnellt bald in euch selbst zurück, und findet, nicht ohne Mischung von Wehmuth, nur die Körper innigst vereinigt!

Kurzsichtige! sagt darum nicht, der unnennbare Genuß sey nur ein kurzer vorübergehender Moment! Ich sage euch, er ist der Anfang einer Ewigkeit! Wie vielfache Freuden führt er in seinem Gefolge! Jenes süße Versinken in dem Gefühle eines so vollkommenen Besitzes, – jene köstliche Ermattung, Folge eines theuer erkauften Sieges, – jene zärtlichen Liebkosungen, jene Herzergießungen, jene täuschende Ruhe unserer Begierden, jenes Vorgefühl einer Seligkeit ohne weitere Wünsche, unter denen das Verlangen bald mit neuer Stärke erwacht! – Nun die zitternde Wiederannäherung an die Wohlthäterin, von der man so viel empfing und noch so viel erwartet. – Endlich, o wem schwindelt nicht bey dem Gedanken! jenes erste Erwachen einer Hoffnung, daß vielleicht ein Keim zu einem Wesen, in dem beyde auf immer zusammenschmelzen, – ein ewiges Denkmahl ihrer Verbindung, – ein empfindendes, – zu unzähligen Reprodukzionen unter gleichen Freuden bestimmt, – ewige Erinnerung an eine Art von Liebe, – Gegenstand, Quelle einer andern, der elterlichen, – die oft jene aufnimmt, immer verstärkt; – Dieser Genuß sollte die Männer aus den Armen der Geliebten los winden, diese allein fester in die unsrigen einschlingen? Es ist nicht wahr! Nur dann wahr, wenn er als ein rohes Opfer auf dem Altare der irdischen Venus ohne Liebe, ohne Sinn des Edeln und Schönen dargebracht wird! Nicht aber wenn das Herz ihn darbiethet, und Venus Urania mit weiser Mäßigkeit und wahren Reitzen seine Freuden austheilt!

Inzwischen mag ich nicht leugnen, daß dieser Genuß zugleich eine der höchsten Prüfungen ist, womit die Göttin die Wahrheit und Heiligkeit der Gesinnungen ihrer angeblichen Anbeter zu erforschen strebt! Zu welchen Entdeckungen physisch und moralisch giebt er Anlaß! Wie viel glaubt man für Herz und Charakter des geliebten Gegenstandes aus seinem Betragen in diesem kritischen Momente schließen zu können! Wie viel mehr aus demjenigen, der ihm vorhergeht und darauf folgt! Aus der Art des Angriffs, aus der Art wie man wehrt, aus der Art wie man noch Vieles behauptet, indem man Vieles einräumt, Vieles erspart, was man nehmen könnte, und das Abgewonnene theilt! Wie oft haben der zu leichte Sieg, oder die zu gänzliche Hingebung, die zu starke oder zu schwache Mitempfindung, erlogene Thränen, oder unanständiger Leichtsinn, Ziererey oder Ausgelassenheit den feurigen Liebhaber erkaltet! Wie oft haben auf der andern Seite Mangel an Dankbarkeit, Ausdruck des Uebermuths und Frevel in dem Manne, dem gewonnenen, aber nicht unterjochten Weibe Muth und Kräfte geliehen, die Gabe, welche nur das Herz verdient, der thierischen Begierde zu versagen!

O! Liebe zeigt sich auch wahr, auch edel, im unnennbaren Genuß! Vielleicht nirgends so deutlich als hier, Lascivität ist nicht Liebe! Der Schamvergessene liebt nicht die Person, er liebt nur das Geschlecht und sein Vergnügen. Er sieht den Theilnehmer seiner Freuden nur als ein nothwendiges Werkzeug eines einseitigen Genusses an, der durch die Mitempfindung des andern zu seinem Vortheile erhöhet wird. Selbst der feinere Egoismus, der Stolz, dem Geliebten so viel werth seyn zu können, ihm so viel Vergnügen zu geben; ein Stolz, worin feinere Wollüstlinge den ganzen Antheil setzen, den die Seele an dem unnennbaren Genuß nehmen könne; dieser Stolz gehört weder dem Herzen noch dem Edelsinn! Und wie oft artet er in eine niedrige Eitelkeit auf Vorzüge aus, deren Schätzung man dem edleren Weibe nicht zutrauen kann, ohne es zur Buhlerin zu erniedrigen! Nein, suche dem Vereinigten das Gefühl zu geben, daß du nicht durch sein Geschlecht, sondern durch seine Person, und durch den Besitz seines Herzens beglückt wirst; unendlich beglückt, mehr als du je wiederbeglücken zu können glaubst! Suche ihn zu überzeugen, daß wenn du einen Werth auf dich selbst legst, du ihn in deinem Herzen findest, das besser als jedes andere das seinige zu schätzen weiß!

Der Sinn des Schönen leiht dem unnennbaren Genusse mancherley Reitze, die oft dem Herzen, oft dem Edelsinn, und oft selbst der Vollständigkeit des Vergnügens gefährlich seyn können! Vielen Menschen ist die Grazie so eigen, daß ihre Handlungen selbst in den Augenblicken, wo sie sich ganz vergessen, diese an sich tragen. Nur bey diesen mag der Sinn des Schönen mit der Liebe im Bande gehen, nur hier wird er selbst die Freuden des unnennbaren Genusses erhöhen. Aber wo Wahrheit fehlt, wo man in dem Benehmen bey einer Gelegenheit, die alle überlegte Selbstbeachtung ausschließt, die Sorge, sich schön zu zeigen, wahrnimmt, da wird alles Glück gestört!

Es ist eben so merkwürdig als traurig anzusehen, wie der Mensch, der die wahren und nahe liegenden Mittel zu seinem Glücke verkennt, auf die ausschweifendsten Verirrungen der Imagination verfällt, um den Reitz des unnennbaren Genusses immer neu und dauernd zu erhalten. Bald hat er in den abenteuerlichsten Abwechselungen der Art, ihn einzunehmen, ein Mittel gegen den Ueberdruß gesucht, bald hat er durch unvollständige Befriedigung des unnennbaren Triebes seine Lüsternheit zu verlängern, und der Abstumpfung seines Geschmacks vorzubeugen gesucht!

Thor! verkenne nicht die einfachen und süßen Gesetze der Natur! Rotte sie nicht aus, jene Wärterinnen deines sinnlichen Vergnügens, Schamhaftigkeit und Achtung für deine sittliche Würde! Erschöpfe nicht durch Unmäßigkeit seine Quellen! Aber vor allen nimm und gieb nichts als Liebe!


Eilftes Kapitel.
Genuß der Beschauung körperlicher Schönheit und der Ahndung einer schönen Seele aus schönen Formen des Körpers und seiner Beywerke.

Die letzte Sprosse in der Leiter von Freuden, welche die Körper der gepaarten Person ihren Seelen zuführen, ist der Genuß, den die Beschauung der physischen Schönheit, so wie die Ahndung einer schönen Seele aus schönen Formen des Körpers und seiner Beywerke gewährt!

Ja, es giebt Augenblicke, in denen wir die Wohlgestalt des ganzen Körpers, gleich einem todten Kunstwerke, mit Wonne ohne Bestrebung und ohne Begierde, selbst während des leidenschaftlichen Verhältnisses beschauen mögen. Jene Bestimmtheit der Züge, jener leichte Zusammenhang des Umrisses, jenes Wohlverhältniß der Hauptabtheilungen des Körpers unter einander, jenes Gleichgewicht der Gliedmaßen gegen einander, jene Harmonie der Farbe und des Helldunkeln, jene Einstimmung des Ganzen mit dem Ur- oder Regelbilde seines Standes, Alters und Geschlechts, jene Angemessenheit desselben zu den Körpern, die mit ihm zusammenstehen, können, wenn Zeichnung, Farbe und Helldunkles dem Auge und dem niedern Beschauungshange zugleich angenehm sind, unmittelbare Lust bey der Auffassung der Form in Ruhe erwecken.

Zunächst an diesen Genuß der Schönheit der Form des Körpers in Ruhe schließt sich der Genuß der Ahndung der schönen Seele an, die sie in sich faßt. Ich wiederhole es hier, ich werde es noch öfter sagen, es ist mehr als Vorurtheil, wenn wir aus schöner Gestalt auf einen edeln Geist schließen. Der schöne Mensch trägt einen angebornen Adel an sich, der ihm die Aufmerksamkeit seiner Mitmenschen sichert, leicht ein Sporn zu höherer Ausbildung werden kann, und ihm jene Zuversicht zu sich selbst erleichtert, in der, wenn sie nicht in Uebermuth ausartet, der Keim zu hohen Tugenden liegt. Vermöge des Bewußtseyns seiner Schönheit, und des Werths der darauf gelegt wird, wächst er auf mit Bildern von Vorzügen, die durch ihre Seltenheit uneigennützig gefallen; diese werden leicht zu Bildern des Vollkommenen und Edeln gehoben, und gehen dann unvermerkt in seine ganze Beurtheilungs- und Handlungsweise über. Mögen unsere Erfahrungen uns noch so oft das Gegentheil zeigen; es bleibt immer wahr, daß die Anlagen zu einer schönen Seele, bey übrigens gleichen Fähigkeiten und Verhältnissen, sich glücklicher in einen schönen als häßlichen Körper hüllen. Nur durch Verwahrlosung des Charakters wird die Wohlgestalt gefährlich: nicht anders wie Weichheit des Herzens und feurige Imagination glückliche Dispositionen zu einem edeln Geiste, aber auch gefährliche Klippen für die Tugend werden können!

So gewährt denn die Schönheit des Körpers in Ruhe feiner organisierten Seelen einen hohen Genuß; theils durch sich selbst, theils als Symbol einer schönen Seele. Aber allgemeiner und auffallender ist derjenige, den die Schönheit in Bewegung mit sich führt. Der Anstand beym Einhergehen, das Spiel des Auges und aller Gesichtsmuskeln, die Bewegung der Glieder, können anmuthig durch sich selbst, und noch mehr durch den Ausdruck des Geistes werden, der sie leitet. Unsere Nerven und Muskeln theilen so gern das freye Spiel dieser Mienen und Geberden, so wie sie sich gern der leckenden Flamme, dem flatternden Segel, den schwankenden Baumästen nachbewegen. Aber wir schließen auch gern aus diesen Aeußerungen eines lebendigen und vernünftigen Wesens auf jede glückliche Anlage des Herzens, über die der Sinn des Edeln und Schönen wacht, und mit denen wir völlig sympathisieren. Diese Anmuth, dieser reitzende Ausdruck, gereichen dem Menschen, den wir zum ersten Mahle sehen, zur Empfehlung, und entschädigen oft für den Mangel an Schönheit. Selbst nach der längsten Bekanntschaft bleiben sie ein gefälliges Bild des Charakters, den wir lieben und verehren!

Alles dieß kann nun selbst der Liebende in ruhigen Momenten von dem Körperlichen der Geliebten mittelst der Contemplation hinnehmen. Mit welcher Wonne faßt er oft ihre Wohlgestalt auf! Wie gern gleitet sein Blick mit ihren Bewegungen fort! Wie süß ist es, sich zu sagen: in diesem Blicke liegt ihre Sanftmuth, in diesem Lächeln ihre himmlische Heiterkeit und Milde! In jedem ihrer Tritte und Züge, in jeder Geberde liegt das unaussprechliche Sie, das nicht uns allein wohlgefällig ist, das es jedem seyn muß der sie sieht. Und von diesem uneigennützigen Gefühle ist Begierde nach körperlicher Vereinigung, ist Stolz des Besitzes noch verschieden. Selbst in Augenblicken der Erschöpfung, nach der vollkommensten Befriedigung des unnennbaren Triebes, bleibt das Wonnegefühl: sie ist so schön, so reitzend! Selbst nach dem Tode, oder in den Armen des Nebenbuhlers gesehen, muß dieß Gefühl unsern Schmerz und unsern Grimm vermehren.

Zu den körperlichen Verhältnissen der gepaarten Person gehört auch das Beywerk womit sie erscheint: das Eigenthum, was zu den Bedürfnissen, der Bequemlichkeit, der Gesundheit, so wie zum Schmuck gehört. Der Anzug, der Putz, die Wohnung, die Geräthschaften, sind als Theile des Ganzen anzusehen, welches die beyden Liebenden in ihrer Vereinigung bilden.

Sie können schön durch sich selbst seyn, diese Nebenwerke, sie können es dadurch werden, daß sie die Schönheit des Körpers, den sie umringen, heben. Wie theuer aber werden sie uns dadurch, daß ihre Wahl und Einrichtung auf Geschmack, Erfindsamkeit, und ein feines Gefühl des Sittlichen und Anständigen in dem Besitzer schließen läßt! Wie sehr beleidigt dagegen der Mangel an Nettigkeit, Ordnung, Zweckmäßigkeit, Eleganz, in diesen Nebensachen, besonders bey dem zärteren Geschlechte, an welches wir wegen seines ihm einwohnenden Verschönerungstriebes, und seiner ihm angebornen Emsigkeit, doppelte Forderungen in dieser Rücksicht machen. Eine Frau, die kein Verhältniß in ihre Außenseite zu ihrer Lage und ihrem Charakter, keine Harmonie in das Ganze ihres Schmuckes zu bringen weiß, jeder Mode ohne Auswahl dessen, was sich für sie schickt und ihr kleidet, huldigt; eine solche Frau erweckt die größte Vermuthung wider sich, daß sie weder für Vollkommenheit und Schönheit, noch für Wahrheit und Zweckmäßigkeit Sinn habe. Hingegen pauscht diejenige, welche diesen Sinn hat, kein Tuch, legt keine Falte, steckt keine Nadel, aus der er nicht hervorleuchten sollte.

In welchem erhöheten Lichte sieht nun noch der Liebende diesen Vorzug an der Hälfte seines Wesens! Nein, das Gewand der Farnesischen Flora kann den Kenner des Schönen nie so rühren, wie den Liebenden die einfache Rose entzückt, von der geschmackvollen Hand der Geliebten in das Gewebe ihrer Haare geflochten. Vor seinen Augen kann sich die Colonnade des Louvres an Wirkung nicht mit dem Blumentopfe messen, den eben jene Hand zur Vase von gefälliger Form umgeschaffen hat!


Zwölftes Kapitel.
Hieroglyphie der Liebe.

Unzählig sind die kleinen Gefälligkeiten und Aufmerksamkeiten, wodurch der Liebende das Gefühl der Wesenvereinigung auszudrücken und zu erwecken, und dadurch die unbedeutendsten Gegenstände, die alltäglichsten Vorfälle interessant zu machen weiß! Ein Genuß, der vielleicht jedem andern an Reitze beykommt, wenn er schon nicht in jedem Augenblicke mit gleicher Stärke empfunden wird. Wie süß ist es, mitten unter einem Haufen kalter Zuschauer aus Zeichen und Handlungen, die diesem ganz gewöhnlich, ganz gleichgültig scheinen, die Gewißheit zu nehmen, daß man unaussprechlich geliebt werde.

Es giebt keinen Gegenstand in der Welt, so unbeträchtlich er auch scheint, der unter den Händen der Liebe nicht zum Instrumente würde, um liebliche Töne für das Herz daraus zu ziehen! Das Gefühl der Wesenvereinigung duftet uns entgegen aus jeder Blume, die das liebende Mädchen an seinen Busen steckt; es leuchtet uns entgegen aus jeder Nadel die sein Gewand heftet, oder den Bau seiner Locken fesselt!


Dreyzehntes Kapitel.
Geschwätzigkeit der Liebe.

Aber wovon reden sie denn, diese Liebenden: was haben sie sich so unaufhörlich zu sagen? Daß sie sich lieben, davon reden sie: daß sie sich lieben, das haben sie sich unaufhörlich zu sagen!

Sonderbar! Die Süßigkeit dieser Rede nimmt nie ab. Wir haben sie unzählige Mahl gehört, sie ist uns unter den feyerlichsten Betheuerungen wiederholt worden; – und dennoch bleibt unersättlich das Bedürfniß, zu fragen: liebst du mich auch? unermüdet die Geduld, zu antworten: ja, ich liebe dich! Mitten im Taumel der Liebe, mitten in ihren höchsten Entzückungen spricht unaufgefordert der Liebende: ach! wie ich dich liebe!

Aber wenn sie auch das Wort nicht sagen, so reproduciert sich doch das Geständniß und die Ueberzeugung ihrer innigsten Verwebung unter unzähligen Gestalten. Wer macht sich im ruhigen Zustande einen Begriff von der unerschöpflichen Erfindsamkeit der Liebe in dieser Sprache der Herzen! Wer von dem Reichthum der Wendungen, womit sie ein einziges, allein herrschendes Gefühl ausdrückt! Die bloßen Benennungen, welche sich die Geliebten einander geben, machen ein eigenes Wörterbuch unter ihnen aus, und nicht zufrieden, aus der wirklichen Welt die Bilder ihrer Wesenverwebung zu entlehnen, eröffnet sich für sie ein neues Reich von Chimären, worin Erscheinungen, Vorgesichter und Träume der Lebhaftigkeit ihres Ausdrucks zu Hülfe kommen!

So hat jedes Symptom, das von einem innigst nach Vereinigung strebenden Herzen zeugt, ein unmittelbares Anrecht auf Wichtigkeit und Unterhaltung. Einen so umständlichen und zugleich so unterhaltenden Annalisten, als die Liebe, giebt es nicht. Sie bewahrt genau auf den glücklichen Tag, und die glückliche Stunde, und den glücklichen Ort, wo sich die Liebenden zuerst gesehen haben. Ihre Zwiste, ihre Aussöhnungen, ihre glücklichen und unglücklichen Augenblicke, sind Epoquen, Revolutionen in der wichtigsten unter allen Geschichten, in der Geschichte ihrer Herzen. Sie ist aber auch die kühnste Prophetin, diese Liebe! Welche Ahndungen, welche Erwartungen, welche Gewißheit, hat sie nicht von einer Zukunft, in der die Verbündeten ganz vereinigt jeder Störung des Schicksals, jedem Einflusse der Zeit, in ungetrübter Seligkeit trotzen werden!

Man hat Recht zu sagen, Liebe spreche immer von sich selbst! Liebe sey der größte aller Egoisten. Sie spricht von dem vereinten Selbst, sie führt alles auf das gepaarte Ich zurück.

Vierzehntes Kapitel.
Genuß der schönen Künste.

So genießt sich die Liebe selbst! So nimmt das Gefühl der Wesenverwebung von den gleichgültigsten Gegenständen Freuden ab, die kalten Zuschauern zum Theil langweilig erscheinen müssen. Aber wie sehr werden die Mittel, wodurch jene Gefühle erweckt werden und sich ausdrücken, veredelt und verschönert, wenn sie unabhängig von dem Interesse, das ihnen die Liebe gewährt, durch das genaue Verhältniß, worin sie mit unserer sittlichen Würde stehen, den höchsten Anspruch auf Unterhaltung für alle vernünftige Wesen haben.

Musen, Künste! Ihr, das Labsal und der Trost meines Lebens, ihr! denen ich die dauerndsten und reinsten Freuden meines Daseyns verdanke! Wie könnt’ ich eurer hier vergessen! Ihr leiht dem Ausdruck der Liebe den reitzendsten Schmuck, so wie sie euch vielleicht das höchste und allgemeinste Interesse leihet!

Der Tanz ist das Talent der Jugend, das beym Erwachen, beym Wachsthum und beym Genuß der Liebe von unendlicher Wichtigkeit ist. Sein Ursprung, seine geheime Bedeutung, darf bey den meisten Nationen in einer Darstellung der Liebe gesucht werden, und er erhält nach den verschiedenen Stufen der Kultur, worauf die Völker stehen, bald den Ausdruck gröberer Sinnlichkeit, bald feinerer Galanterie. Der Fondango, die Tarantela, der deutsche Tanz, die Menuet können zum Beweise dienen. Jene allmählige, wechselseitige Annäherung, jene Uebereinstimmung der Bewegungen und der Schritte, jene Verschlingung der Arme in einander, endlich jene Harmonie der Töne, die beyde führt und beseelt, welch sprechendes Symbol der Sympathie der Herzen! Dieß fühlen Liebende bey ihrem Tanze. Aber unabhängig von dem Genuß des Herzens kann der edlere Ausdruck in Stellung und Geberden, und der wallende Reitz der Formen jedem kälteren Zuschauer und den Liebenden selbst, Wonne der Beschauung gewähren.

Der Triumf der Musik ist der glückliche Ausdruck der Liebe. Keine andere Kunst ist so nahe verwandt mit ihr als diese! Das Vergnügen welches der Spieler oder Sänger genießt, theilt sich unmittelbar denen mit, die seine Töne anhören, und reißt sie zu der nehmlichen Rührung hin, die ihn selbst beseelt. Keine Kunst ist daher mittheilender, keine liefert ein so auffallendes Symbol der Wesenverwebung! Nie sind wir empfänglicher für Liebe, nie fühlen wir ihre Freuden und ihre Schmerzen stärker, als beym Anhören der Musik! Und wenn nun gar eine liebende Seele diese Töne hervorruft, sie mit ihrem Ausdrucke belebt; wenn sie an den geliebten Zuhörer gerichtet werden, und dieser wohl gar mit harmonierenden Tönen, und gleichem Ausdrucke einstimmt! – O! ich behaupte es dreist, eine zärtliche Arie läßt sich vor kalten Zeugen von Liebenden nicht singen, ohne den Anstand zu beleidigen oder die Musik zu verderben. Ein Duo ist die Erfindung der Liebe, ein Vorbild der Art, wie himmlische Geister sich ihre Empfindungen mittheilen!

Poesie! Alles was Liebende sich sagen, trägt für kalte Herzen schon deinen Hauptcharakter, Begeisterung, an sich! Alle Liebenden sind mehr oder weniger Dichter! Schon bey rohen Völkern finden wir Lieder der Liebe, welche das Herz ins Interesse ziehen, und oft selbst den Sinn des Schönen befriedigen. Aber ein Gedicht ohne Declamation und Musik ist ein kalter Buchstabe der selten zum Herzen dringt! Warum hat die neuere Zeit getrennt was die Natur verband, und die Alten mit Recht vereinigten? Laßt beydes im Bande gehen, und ihr werdet die Gewalt erfahren, die der Ausdruck wahrer Gefühle, durch die Reitze der Phantasie und wohlklingender Rede erhöht, über die Herzen ausübt. Sie ist so groß, daß sie selbst den Mangel körperlicher Reitze in dem Künstler ersetzen kann.

Das Talent der schönen Declamation, besonders der dramatischen, ruht unter den höheren Ständen, besonders in Deutschland, noch in seinen Windeln! Ach! wie vielfachen Genuß gewährt es der Liebe! Wie erhöht es das Gefühl jeder Art von Schönheit! Welch ein Genuß, die reitzendste Geberde, die wohlklingendste Modulation der Stimme bey dem richtigsten Verständniß des Gelesenen, und bey der wärmsten Empfindung anzutreffen! Laut aufzuschreyen bey vortrefflichen Stellen, die durch einen angemessenen Vortrag noch gehoben werden, aufzustürzen, in seine Arme fassen, – und nicht weiter lesen!

Die Ausübung der Talente, welche zur Führung einer schönen Nadel gehören, kommt dem zärteren Geschlechte zu. Aber der Mann mag mannigfaltigen Antheil daran nehmen. Der Stückrahmen ist ein Altar, auf dem der Zärtlichkeit schon manches interessante Opfer dargebracht ist. Bey jedem Faden, den das holde Weib einfädelt, erspart es sich einen Seufzer nach dem Geliebten hin. Jeder Nadelstich ist eine Pendel, welche die Zahl der Augenblicke anschlägt, die noch bis zu seiner Ankunft verfließen müssen. Er kommt! O der reitzenden Stellung und Bewegung der Arme und der Hände! O der traulichen Unterredung, wodurch die Arbeit versüßt wird, die schon an sich den Reitz des Schönen mit sich führt! Aber was seh ich! Es ist das Werk der Liebe, welches unter der Hand der schönen Künstlerin entsteht! Der Blumenstrauß, den ich ihr gab, in unendlichen Windungen mit seinem Nahmen durchflochten – ein Gewebe unserer gemischten Haare – zum unnöthigen, aber doch so schätzbaren Denkmahle unserer Liebe bestimmt! – Ich vergesse, daß ich verlorne Freuden beschreibe und mein Auge füllt sich mit Thränen!

Die Mahlerey scheint dem ersten Anblick nach der Liebe nicht nahe anzugehören. Sie giebt dem Beschauer nicht in gleicher Maße mit dem Künstler Freude und Genuß. Aber die Liebe, diese allgewaltige Schöpferin, weiß auch sie zu ihrem Vortheile zu nutzen. Geht mit mir in die Villa Olgiati, in den heiligen Wohnort Raphaels und seiner Geliebten! Unter unzähligen Gestalten findet ihr dort ihr Bildniß, verwebt mit Amorinen, deren reitzende Spiele das Glück seiner Verbindung noch spätern Jahrhunderten sympathetisch verkündigen. Seht, wie Rubens von seiner Gattin bald die Formen der Venus, bald einer Madonna, die mit ihrem lieblichen Kinde koset, entlehnt! Ach! und denkt euch, daß der Liebende mahlt, und sie, die Liebende, an seiner Seite seinen Pinsel durch eine gefühlvolle Declamation aus einem Dichter begeistert! Sie vergessen die Welt um sich her, und verlieren sich in einer neuen Welt von Formen und Gedanken! Die Erfahrung einer ähnlichen Situation hat mir ehemahls oft den Pinsel aus der Hand gebracht; bey der Erinnerung lasse ich hier die Feder fallen! –

Funfzehntes Kapitel.
Fortsetzung.

Allen diesen Talenten giebt nur Eigenthümlichkeit der Erfindung, oder wenigstens des Ausdrucks, wahren und dauernden Werth. Und hier zeigt sich der große Einfluß der Liebe; Sie ersetzt oft die Originalität des Genies!

Der Liebende nimmt alles, was er giebt, aus seinem Herzen, aus seinen individuellen Verhältnissen, um es einem Herzen unter gleichen Verhältnissen zuzuführen. Er giebt sich folglich selbst in seinem Talente, und zwar nicht zur Bewunderung, sondern zur Rührung. Aber eben darum, weil er aus dem Umfange der Kunst nur dasjenige aufnimmt, worin er sich selbst wiederfindet, weil er es in der unmittelbaren Absicht anwendet, um ein Herz, das er ganz kennt, zu rühren; eben darum giebt er oft mehr als der Virtuose, der nur aus Gewinnsucht oder aus Eitelkeit, seine Talente ausübt. Der Stümper kann zuweilen im Ausdrucke der Liebe als Genie erscheinen!

Ohne diese Eigenthümlichkeit sind alle schönen Künste ein elendes Unterhaltungsmittel für Geist und Herz, wenn sie gleich mit der größten Fertigkeit ausgeübt werden. Das Angelernte, Anempfundene, setzt in Bewunderung, aber nur dasjenige, was aus uns selbst hervorgefühlt ist, rührt.

Liebe spannt die Phantasie, Liebe erhöht die Vorahndungsgabe, das Vermögen entfernte Verhältnisse an das Gegenwärtige anzuknüpfen, welche bey der Schöpfungsgabe so wichtig sind. Liebe schärft den leisen Anschlag für das Zusammenhängende, Wohlgeordnete, Schickliche, worauf der Geschmack beruhet. Liebe spornt uns endlich, des Geliebten würdig zu seyn, vor seinen und anderer Augen. Liebe ist folglich eine mächtige Beförderin der Talente in jeder Rücksicht. Es ist unmöglich, daß der Dilettante, der sich nicht von Jugend auf, und ausschließlich auf eine schöne Kunst hat legen können, je in irgend einer zum Virtuosen werden möge! Aber es giebt eine Art, sich aus Liebhaberey mit den schönen Künsten zu beschäftigen, die einen Schönheitssinn verkündigt, der sich über alles verbreitet, was wir angreifen, und einen Trieb, der selbst in demjenigen, was nur zur Unterhaltung dient, nach einem gewissen Grade von Vollkommenheit strebt. Diesen Geschmack, dieß edle Streben, schärft und spornt die Liebe!


Sechzehntes Kapitel.
Genuß des Austausches der Ideen im traulichen Gespräch.

Der dauerndste Genuß, den die Liebe zur wechselseitigen Unterhaltung darbiethet, ist der Austausch der Ideen im traulichen Gespräch über alles, worüber Liebende von verschiedenem Geschlechte sich einander verstehen und begreifen mögen. Man musiciert, man zeichnet, man dichtet und tanzt sich bald müde; aber nie hört man auf, gern seine Bemerkungen zusammenzutragen, sich darüber zu erklären, ihre Richtigkeit festzusetzen. Der Stoff ist unerschöpflich, er reicht so weit, als das Gebiet des Verstandes, der Vernunft, der Imagination und des Gefühls, unter gemeinschaftlichen Verhältnissen reichen kann.

Vor allen Dingen gehört hieher, was zur Menschenkenntniß und zur Philosophie des Lebens beyträgt, Beurtheilung der Charaktere, einzelner Kräfte des Menschen, seiner Pflichten, seiner Schicksale, seiner geselligen und häuslichen Verhältnisse, seiner Werke, vorzüglich in den schönen Künsten. Darüber mit Beobachtungsgeiste, Scharfsinn, Streben nach wechselseitiger Aufklärung, und besonders mit der traulichen Unbefangenheit zu räsonnieren, auf welche ganz vereinigte Herzen allein Anspruch machen können; welch ein Genuß!

Die Wahl des Stoffs kann veredelt werden, verschönert die Einkleidung. Je ausgebreiteter die Gegenstände geselliger Unterhaltung werden, je größer der Reichthum der Ideen ist, die uns zufließen, je näher sie ins Verhältniß mit allgemeiner Wahrheit und Schätzbarkeit treten, je angemessener und gefälliger der Vortrag wird, um desto befriedigender ist dieser Austausch der Ideen für den Sinn des Edeln und Schönen! Doch, darüber, und besonders über den Gewinn, den die Liebenden aus der Verschiedenheit der Geschlechter in dieser Rücksicht ziehen, mehr in dem Kapitel von der Ausbildung des Geistes.

Siebzehntes Kapitel.
Genuß der Natur und ländlicher Scenen.

Laßt Liebende aus den Mauern der Stadt in die offenen Gefilde eilen! Dort geht erst ihr wirkliches Leben an! Hier schmeicheln sie sich von der ganzen Welt vergessen zu seyn, wie sie diese vergessen. Hier schweigen alle eigennützigen Triebe, hier machen Eitelkeit, und die Lust vor andern zu glänzen, wohlwollenden Neigungen und der Liebe Platz. Hier finden sie alles gepaart, alles vereinigt, vom Thiere an bis zur Pflanze, von dem scheinbar Belebten, bis zum scheinbar Unbelebten! Aufs Land und in Gärten haben alle Dichter die Scenen glücklicher Liebe gelegt. Milton schuf für die ersten Eltern ein Paradies; Tasso zauberische Gärten für Rinald und Armiden, und Rousseau wählte die reitzenden Ufer des Genfersees zum Aufenthalt für St. Preux und Julien.

Milton, Tasso, Rousseau! Es bedarf nicht eurer Zaubergärten, eures Edens, eures Elysiums, um denen, die durch Liebe selig sind, einen angemessenen Wohnort zu bereiten! Eine reinliche Bauerhütte, eine Laube, ein Kornfeld, und darüber weg eine Aussicht auf ein Dorf, neben einem Bach und Hölzchen! Himmel, wie glücklich könnt ihr machen! Ich habe die Ufer des Rheins, der Loire, der Donau und des Genfersees befahren, ich habe den Lago maggiore und den Golfo von Neapel gesehen! Aber ich sahe sie allein, und fühlte erst an der Seite der Geliebten den ganzen Reiz der Natur in einer Heide.

O des Glücks, den geliebten Gegenstand zuerst in das Gütchen zu führen, das von unsern Voreltern auf uns vererbt, der Ort unserer Geburt und unserer Spiele war! Ihm hier zu sagen: es ist wenig, aber es ist mein alles! Nimm es hin! Sey hier Herrscherin! Lange ehe du es kanntest, war es voll von dir! Lange habe ich hier um dich geweint: und dennoch hat dein Bild, das Bild des Glücks, das nun meiner wartet, diesem Orte erst seinen höchsten Reitz gegeben!


Achtzehntes Kapitel.
Genuß der Liebe von der Freundschaft.

Es ist Liebenden ein großes Bedürfniß und ein hoher Genuß, von ihrer Liebe gegen einen dritten zu sprechen, von dem sie wissen, daß er an ihren Schicksalen Theil nimmt, und in ihre Freuden und Leiden hineingeht. Ein Freund ist daher Liebenden ein höchst schätzbarer Fund! Aber freylich auch ein höchst seltener, und sein Besitz ist gewiß mit großen Gefahren umwunden.

Man pflegt zu sagen: jeder Vertraute des Liebenden sey sein Nebenbuhler. Dieß ist zu viel gesagt. Aber daß nichts sympathetischer ist, als der Anblick glücklich Liebender, um ähnliche Empfindungen in uns zu erwecken; daß diese leicht gegen die Person unsers Geschlechts Neid und Mißgunst hervorbringen; daß Männer vorzüglich es selten gleichgültig ertragen, wenn sie von dem Glück eines sehr geliebten Mannes hören; das ist gewiß, und nicht selten hat bloß darum Liebe die Freundschaft geendigt. Aber es lassen sich noch andere Ursachen angeben, warum beyde nicht immer einem und demselben Menschen zu Theil werden. Der ruhige Freund kann sich zu selten in die Lage des Verliebten, und dieser wieder in die seinige versetzen. Dieser möchte von nichts als von seiner Liebe mit ihm reden; glaubt, daß ihn alles darin interessiert, und schwatzt ihm unaufhörlich von Begebenheiten vor, die jener höchst unbedeutend findet. Die Sorglosigkeit, mit der sich Liebende den Ausbrüchen ihrer Leidenschaft vor dem erprobten Freunde überlassen, ekelt diesem oft an, macht ihm Langeweile, und bringt ihn wohl gar auf den Wunsch, daß dieß Verhältniß geendigt werden möchte. Der Freund des Verliebten, vorzüglich des unruhig Verliebten, ist daher gewiß nicht der glücklichere Freund!

Unter dem zärteren Geschlechte scheint die Liebe das Band der Freundschaft weniger zu lösen. Die Freundin nimmt engeren und stärkeren Antheil an der Herzensvereinigung der Freundin, und hört gern von ihr das Detail aller glücklichen und unglücklichen Schicksale, die ihr die Liebe bereitet.

Beynahe alle Romanschreiber haben der zärteren ernsteren Liebenden eine muntere, beynahe närrische Vertrautin zugegeben, die denn natürlich auch die Freundin des Geliebten geworden ist. Ich kann mir denken, wie diese Mischung auf vielfache Art zum Glück der Verbindung ausschlagen könne; wie diese Mittelsperson durch ihre muthwilligen Neckereyen die Liebenden oft in ihren Liebkosungen stören, den Reitz ihrer Verbindung dauerhafter machen, wie sie durch ihre gutherzige Fröhlichkeit die ernstere Stimmung der Liebenden erheitern, und ihre kleinen Zwiste durch lächerliche Darstellung der Veranlassungen geschwinder endigen und seltener machen könne. Vielleicht enthält ein solches Trio die höchste Stufe glücklicher Geselligkeit.

Neunzehntes Kapitel.
Genuß größerer und kleinerer geselligen Zusammenkünfte.

Liebende suchen nicht die Freuden größerer Zusammenkünfte auf. Sie leihen nichts sagendem Geschwätz ungern ihr Ohr, noch ungerner ihre Zunge. Sie fürchten von der Menge bemerkt, belacht, durchkreuzt und gehindert zu werden! Dennoch giebt es einige Freuden für sie, die nur in Versammlung mit mehreren Menschen eingenommen werden können, und diese läßt die Liebe nicht verloren gehen.

Das Schauspiel hat den Vorzug, daß die gemeinschaftliche Unterhaltung, welche es gewährt, eine Menge von Menschen vereinigt, von denen ein Jeder, unbekümmert um den andern, für sich genießt. Unter allen Vergnügungen, welche größere Zusammenkünfte gewähren, biethet keines den Liebenden so vielen Vortheil an. Sie sehen und hören nur für sich allein.

Das Schauspiel, das Werk der Kunst, dem alle Künste zu Gebothe stehen, das sich der Wirklichkeit am meisten nähert, alle Kräfte der Seele in Bewegung setzt, ist besonders auch darum den Liebenden so wichtig und so theuer, weil sie hier ihr Verhältniß unter unzähligen Gestalten reproduciert sehen. Welch ein Glück, Hand in Hand auf die Meisterstücke der Bühne zu horchen, die Wahrheit des Ausdrucks der Liebe zugleich in den Akteurs und in den Blicken und Thränen der Geliebten zu prüfen, und gleichsam des doppelten Schauspiels, der darstellenden Kunst und ihrer wahren Wirkung auf das geliebte Wesen zu genießen.

Größere Zusammenkünfte, in denen von einem jeden ein Beytrag zur gemeinschaftlichen Unterhaltung gefordert wird, haben minderen Werth für die Liebenden, und dennoch bleiben sie nicht ohne Nutzen für ihre vereinigte Person. Welche Ausbeute von Bemerkungen zur Kenntniß der Welt und der Menschen tragen sie nicht für ihre Einsamkeit daraus zusammen! Mit welcher Freude vergleichen sie nicht ihre edlere Verbindung mit jenen Verhältnissen, die gemeiniglich für Liebe in der großen Welt gehalten werden, und sagen sich: o wie lieben wir so anders! Wie freuen sie sich der Achtung, deren jeder von ihnen, und beyde in der zusammengesetzten Person, bey bloßen Bekannten genießen! Wie theuer werden ihnen die feinen Aufmerksamkeiten, die sie sich, unbemerkt von andern, auch da einander zu bezeigen wissen, wo gewöhnliche Menschen sich selbst unter Zerstreuungen vergessen!

Ruhige Liebe nimmt oft große Freude auf in jenen engeren Zirkeln erprobter Bekannten, wo man laut denken und empfinden, und sich zeigen darf wie man ist; wo man keine Larve in andern, und seine eigene Offenherzigkeit zu fürchten braucht! Hier weiß sie kleine Mahle und Feste zu bereiten, bey denen anständige Heiterkeit und guter Geschmack den Vorsitz führen, wobey Alles für einen geschieht, ohne die übrigen durch den Vorzug zu beleidigen!

O Winter! Auch du giebst der Liebe wahre, und dir eigenthümliche Freuden! Ein glückliches Häufchen rückt an deinen langen Abenden in einem wöhnlichen Zimmer näher zusammen. Wie ist hier alles so freundlich! Wohl verwahrte Thüren und Fenster, bestimmt den Einfluß rauher Lüfte abzuhalten, scheinen zugleich jedem Ueberlästigen den Eintritt zu wehren. Ein weicher Teppich, der das Geräusch unbescheidener Tritte mildert, scheint jeder lästigen und vorlauten Anmaßung Stille zu gebiethen, und das Gesumse des ziehenden Kamins, das Geflüster des kochenden Wassers zum ausländischen Getränk, scheint den zutraulichen Ton angeben zu wollen, der in der ganzen Unterhaltung herrschen soll!

Wie man hier über sich selbst und andere ausredet! Wie man hier den Stoff zum geselligen Vergnügen vervielfältigen und veredeln kann, ohne Furcht, den eingeschränkten Geschmack der Mitglieder des geselligen Zirkels zu beleidigen, oder das kränkende Gefühl mangelnder Fähigkeiten zu erwecken!


Zwanzigstes Kapitel.
Genuß wechselseitiger Geistesausbildung.

Ich habe bis jetzt gleichsam die Form entworfen, in welche sich die zusammengesetzte Person der beyden Liebenden beym Genuß einkleidet. Ich habe sie dargestellt, wie ihr niederes Wesen auf mannigfaltige Art zur Wollust und Wonne unter Leitung des Sinnes für das Edle und Schöne aufgefordert wird. Jetzt ist es Zeit, daß ich ihren innern Gehalt zeige, daß ich sie in einem ernsthafteren Charakter auftreten lasse, wie sie den Bedürfnissen ihres höhern Wesens abhilft und diesem Wonne zuführt.

Eine der höchsten Freuden der Liebe ist unstreitig das Gefühl des Antheils, den die Vereinigten an der wechselseitigen Ausbildung ihres Geistes nehmen.

Ich habe bisher den Geist des Menschen für sein höheres Wesen überhaupt, für seine engste Adhärenz, dann aber auch in einer damit correspondierenden Bedeutung, für das letzte belebende Princip im Gemüthe, gleichsam die Lebenskraft der Seele, genommen. Hier verstehe ich besonders darunter jenen Inbegriff von Anlagen, Kenntnissen, Fertigkeiten, wodurch das höhere Wesen des Menschen zur Wirksamkeit geschickt wird.

Dieser Geist kann auf eine doppelte Art ausgebildet werden; theils indem wir seine innere Tüchtigkeit überhaupt vermehren, theils indem wir ihm eine bestimmtere Richtung auf Zwecke geben, die eines vernünftigen Wesens, daß sich selbst und andern nützlich seyn soll, würdig sind. Beydes zusammen heißt Kultur des Geistes.

Nichts ist interessanter, als die Entwickelung dieses Geistes zu verfolgen, mit seinen Fortschritten sympathetisch weiter zu streben, und ihn endlich auf der Höhe, wozu er gelangt, mit Bewunderung anzuschauen. Die Menschheit im Ganzen, einzelne Nationen, einzelne Individuen, können uns dieses Schauspiel gewähren. Stärker muß es uns rühren, wenn wir den Freund, oder die geliebte Hälfte unsers Wesens unter unserer Führung empor streben sehen; aber nichts kommt der Wonne bey, uns dadurch zugleich an Geisteskultur mit gehoben, und die zusammengesetzte Person dadurch veredelt zu fühlen.

Laßt uns untersuchen, wie Personen von verschiedenem Geschlechte in einer liebenden Verbindung sich um die Ausbildung ihres Geistes wechselseitig verdient machen können?

Nach meiner Ueberzeugung sind die Geistesanlagen beyder Geschlechter bereits ursprünglich verschieden. Gesetzt aber, dieß könnte bezweifelt werden, so scheint es doch unleugbar zu seyn, daß bey der Verschiedenheit der Kenntnisse, deren Aufbewahrung, und der Geschäfte, deren Ausführung bald diesem bald jenem Geschlechte nach unsern bürgerlichen Einrichtungen, und nach unserer geselligen Denkungsart seit so langen Zeiten anvertrauet sind, die Geisteskräfte des Mannes und des Weibes eine ganz verschiedene Richtung erhalten müssen. Diese verschiedene Richtung erscheint bereits so früh in jedem Kinde, daß sie der ursprünglichen Anlage völlig gleich kommt.

Nach unsern Begriffen gehört der stärkere Geist dem Manne, der zärtere dem Weibe. Alle Wissenschaften, alle Künste, alle Geschäfte, die eine anhaltende Uebung im Denken, Abstrahieren, Schließen, einen vielumfassenden und tief eindringenden Blick, ein ausgebreitetes Sachgedächtniß, ein reifes, von den gegenwärtigen Verhältnissen unabhängiges Urtheil, eine Phantasie und ein Herz erfordern, die unter strenger Leitung des Verstandes und der Vernunft stehen, gehören beynahe ausschließend dem Manne. Er ist Metaphysiker, Mathematiker, Staatsmann, Heerführer, Schöpfer weitläuftiger Compositionen der Kunst.

Dem Weibe legen wir dagegen diejenigen Kenntnisse, diejenigen Künste und Beschäftigungen bey, die eine leichte Fassungskraft, einen feinen Beobachtungsgeist, ein schnelles Auffassen des Zunächstliegenden, die Gabe, das Schicklichste für den Augenblick zu wählen, Zeichengedächtniß, Emsigkeit, behende Sorgfalt, Reichthum, Glanz, Irritabilität einer Phantasie und eines Herzens voraussetzen, die mehr mit dem Reiche der Sinnlichkeit, als mit dem übersinnlichen zusammenhängen. Das Weib ist Hausfrau, Führerin geselliger Zusammenkünfte und Verhältnisse, Mutter, endlich Künstlerin in allen Werken des schönen Talents und des Genies, die mehr zur Befriedigung des Geschmacks an leichter aber edlerer Unterhaltung, als zu Mustern der Vollkommenheit selbst in den Spielen der Imagination bestimmt sind.

Dieß ist die Regel. Es kann seyn, daß das Gefühl des Außerordentlichen zuweilen unsere Forderungen anders modificiert, daß wir es lieben, das Weib mit den Vorzügen des Mannes, den Mann mit den Vorzügen des Weibes ausgerüstet zu sehen. Aber ich fürchte, daß früh oder spät das Unpassende einer solchen Ausbildung des Geistes zu unsern Begriffen von den wesentlichen Vorzügen des einen und des andern Geschlechts unsere Bewunderung hemmen, und uns wünschen lassen wird, daß die Frau, die außerordentlich erscheint, weil sie sich durch ihren Geist zur Stärke des Mannes erhebt, lieber als ein zartes Weib außerordentlich und zugleich vollkommen geworden seyn möchte.

Die Stärke des Geistes, die ein Leibnitz, Newton, Richelieu, Cäsar, Homer, Raphael zeigten, scheint über der Zartheit zu stehen, welche eine Cornelia, Sappho, Heloise, Sevigné, Kaufmann, Siddons u. s. f. ausgezeichnet haben. Allein dürfen wir darum behaupten, daß die Julien, die Zenobien, die Elisabeth, u. s. w. auf einer höheren Sprosse über den vorhergenannten Personen ihres Geschlechts auf der Leiter vollkommener Geister stehen? Ich zweifle! Wer in seiner Art vollkommen ist, steht über demjenigen, der seine Art verläßt, und indem er einer Vollkommenheit nachstrebt, die bey der Vergleichung beyder Arten unter einander als die höhere zu betrachten ist, in beyden Rücksichten unvollkommen bleibt.

Gewiß aber ist es, daß das Ideal eines menschlichen Geistes, die Vorzüge, welche wir vorhin unter dem Nahmen der Zartheit dem Weibe beygelegt haben, neben den Vorzügen erfordert, die wir unter dem Nahmen der Stärke zusammengefaßt haben. Nur dann vereinigt der Mensch alles in sich, was wir in unserer Welt sinnlicher Erscheinungen von seinem Geiste fordern, wenn die Feinheit und Gewandheit seines Geistes dessen Tiefblick und Gründlichkeit unterstützt, und ein glücklicher Instinkt den Operationen seiner höheren Seelenkräfte zu Hülfe kommt. Gesetzt also, wir könnten einen vorzüglichen weiblichen Geist mit einem vorzüglichen männlichen zusammensetzen, so würde dieses neugeformte Wesen die Vorzüge der ganzen Gattung in sich fassen, und gewiß den höchsten Anspruch auf Geistesvollkommenheit haben.

Nach diesen Bemerkungen dürfte es nicht schwer werden, den wahren Gesichtspunkt anzugeben, aus dem der Antheil beurtheilt werden muß, den beyde Geschlechter an ihrer wechselseitigen Ausbildung nehmen können.

Laßt uns zuerst sehen, in welchen Fällen der Geist des Mannes durch die engere Verbindung mit einer geistreichen Frau gewinnen kann! Ich denke ihn mir im handelnden Leben als Verbreiter der Wahrheit und Wissenschaft, als Beförderer nützlicher Anstalten, als Künstler, als Gesellschafter. In allen diesen Fällen kommt es ihm oft darauf an, gegenwärtig auf den größeren Haufen zu wirken, die öffentliche Meinung zu seinem Vortheile zu leiten, der Wahrheit und Zweckmäßigkeit Eingang zu verschaffen, das Schöne reitzend, das Unterhaltende belustigend darzustellen. Wahl des Gehalts und Einkleidung werden ihn dabey gleich wichtig, und hierzu, ich behaupte es dreist, kann ihm die Bildung des Geistes, die er von dem zärteren Geschlechte erhält, von unendlichem Nutzen seyn.

Vergebens würde sich derjenige schmeicheln, einen starken Eindruck für den Augenblick auf die Menge zu machen, der nur an den Verstand und die Vernunft reden, und nicht die Sympathie und die Einbildungskraft zu rühren suchen wollte. Gerade hierin aber besitzt das Weib seine Stärke. Es hat außerdem ein entschiedenes Talent, die Schwächen eines jeden Menschen bey dem ersten Blick aufzufassen, und dessen kleine aber allgemeine Leidenschaften, besonders dessen Eitelkeit zu seinem Vortheile zu behandeln. Es hat den feinsten Takt für dasjenige, was nach Zeit und Umständen Wirkung thut. Es setzt von Jugend auf einen zu hohen Werth auf die öffentliche Meinung, um nicht die Mittel zu kennen, wodurch diese geleitet wird. Es hat eine große Gewalt über sich selbst, die Kunst zurückzuhalten, gegenwärtigen Schwierigkeiten auszubeugen, und den Vortheil durch Ueberraschung zu gewinnen. Es besitzt einen großen Reichthum an Bildern, wenn gleich nicht an klaren Ideen. Daher seine große Fruchtbarkeit an Erfindung von Auswegen. Vor allen Dingen aber steht ihm jene allgemeine Verschönerungsgabe, und jene gesellige Liebenswürdigkeit zu Gebothe, deren Mangel oft dem wahren Verdienste in den Weg tritt, und deren Besitz Natur und Erziehung seinem Geschlechte mehr als dem unsrigen sichern.

Weltklugheit und Schmückungsgabe sind daher ausgezeichnete Geistesvorzüge des Frauenzimmers, und beyde kann der Mann aus dem Umgange mit ihm lernen und zu seinem Vortheile nutzen. Er kann sicher seyn, daß dasjenige, was in seinen Schriften, in seinen Reden und Handlungen den Augen einer geistreichen Frau Thränen entlockt, oder ihre Aufmerksamkeit ununterbrochen fesselt, oder sie gar begeistert, die Wirkung auf den großen Haufen nicht verfehlen werde. Er wird hinreißen, wo er nicht überzeugen kann; er wird gefallen, wo man allenfalls fühlt, daß seine Produkte die Prüfung der Kritik nicht bestehen dürften. Vor allen Dingen aber wird er lernen, Schwerfälligkeit und alle diejenigen Klippen zu vermeiden, woran sich die Schwäche und der ekle Geschmack des Zeitalters stoßen. Kurz, er wird lernen, wie die Stärke seines Geistes in ihren Aeußerungen sich mit Feinheit und Zartheit paaren könne.

Auf der andern Seite kann der Geist des Weibes an Richtigkeit, an Gründlichkeit, an Umfang von Kenntnissen in dem Umgange mit dem geistreichen und gebildeten Manne sehr gewinnen. Das Frauenzimmer ist oft zu einseitig, zu sehr geneigt aus einzelnen Fällen aufs Ganze zu schließen, zu leicht, zu hüpfend in seinen Sätzen. Hier tritt der Mann hinzu, lehrt von mehreren Seiten und im Ganzen zu übersehen, bringt mehr Zusammenhang in die Gedankenreihe, und lehrt zu unterscheiden und zu prüfen.

Gelehrsamkeit ist nicht die Sache der Weiber, aber auf Kenntnisse haben sie so gut Ansprüche wie wir, weil sie den Trieb nach Wahrheit mit uns theilen, und sich keine wahre gesellige Liebenswürdigkeit unter kultivierten Menschen ohne einen gewissen Vorrath von Kenntnissen denken läßt. In der gebildeten Unterhaltung kommen beständige Anspielungen auf Begebenheiten, Nahmen, Charaktere der Geschichte und der Fabel vor. Die Länderkunde, die öffentlichen Angelegenheiten, die Meisterstücke der Kunst, die Naturgeschichte, die Sitten der Völker, die Philosophie des Lebens und des Geschmacks, liefern den Stoff zum Gespräch unter Menschen von besserer Erziehung. Wie drückend ist der Mangel an den nöthigen Kenntnissen in diesen Stücken, den der Liebende an dem geliebten Weibe antrifft. Es werden so viele Gegenstände von der Unterredung ausgeschlossen! Man muß sich so sehr hüten, durch die Erinnerung daran den heimlichen Vorwurf vernachlässigter Geistesbildung zu erwecken und zu machen! Es werden so viel Freuden genommen, die man mit der Geliebten theilen möchte! Und dann, wie reitzend ist die Unterhaltung, welche die edlere Frau aus einer zweckmäßigen Aufklärung ihres Geistes für sich selbst zieht! Wie sehr hält sie diese Beschäftigung von gefährlichen Zerstreuungen ab! Ich glaube sogar, daß eine gewisse Gründlichkeit in denjenigen Kenntnissen, die den weiblichen Geistesanlagen angemessen sind, zu den Vorzügen des zärteren Geschlechts gehören könne. Ich glaube, daß das Frauenzimmer, seiner Liebenswürdigkeit unbeschadet, die Geschichte, die Länderkunde, die Naturkunde, die Botanik, die Theorie der Künste, die Sprachlehre, ja, die Philosophie des gemeinen Lebens in einem gewissen Umfange und Zusammenhange inne haben könne, und daß es zu seinem Bestreben nach Vollkommenheit gehöre, es darin so weit als möglich zu bringen. Nur muß es nicht dabey vergessen, daß es alles zu einem praktischen Gebrauche, und keinesweges um des leeren Wissens Willen erlerne; daß es die Sache des Mannes sey, die Wahrheit aufzufinden, die seinige aber, sie sich anzueignen, sie faßlich und gefällig darzustellen, damit sie frappanter und eindringender werde. Ich möchte sogar dem Weibe unter gewissen Lagen nicht das Recht absprechen, Schriftstellerin zu werden, und unter seinem Nahmen als Lehrerin in der Weltklugheit und Moral, und als Künstlerin in Werken des Genies und des Talents aufzutreten.

Diejenigen, welche das zärtere Geschlecht so gern auf die bloße Bestimmung der Hausfrau, oder gar der Haushälterin einschränken möchten; diejenigen, welche ihm höchstens Anspruch auf oberflächliche Bekanntschaft mit den Künsten eingeräumt haben, in so fern diese zu den Reitzen der Unterhaltung dienen können, diese haben nicht bedacht, daß das Weib so gut wie wir den Trieb nach Wahrheit in seinem Busen trägt; sie haben nicht bedacht, daß es Lagen giebt, worin das Frauenzimmer aus den höheren Ständen in dieser Ausbildung seines Geistes das einzige Verwahrungsmittel gegen gefährliche Verirrungen des Herzens und der Einbildungskraft findet, und daß es lächerlich sey, von einer Frau, die in großem Wohlstande lebt, die eigene Besorgung wirthschaftlicher Angelegenheiten zu fordern, die nur dann mit gehöriger Sorgfalt getrieben werden, wenn Bedürfniß und Nothwendigkeit dazu auffordern.

Aber, wird man sagen, wie leicht wird auch diejenige Frau, die billig nur Wirthschafterin seyn sollte, ihren Geist mit Kenntnissen bereichern wollen, und unterdessen die ihr viel näher liegende Sorge für ihr Hauswesen versäumen; wie leicht werden alle nur lernbegierig seyn, um zu schimmern, und die Gelehrten spielen wollen, statt daß sie nur aufgeklärt seyn sollten? Allerdings läßt sich dieser Mißbrauch besorgen. Allein, dieß ist kein hinreichender Grund, eine an sich gute Sache zu verwerfen. Es werden wenig Lagen so drückend seyn, daß bey einer weisen Eintheilung der Zeit nicht einige Muße zur Ausbildung des Geistes übrig bleiben sollte, und dann ist es die Sache des liebenden Mannes, den Studien des geliebten Weibes die gehörige Richtung zu geben, und es vor den Gefahren der Anmaßung und der Uebertreibung zu bewahren. Auf solche Art tragen also beyde Geschlechter zur wechselseitigen Vervollkommnung ihres Geistes bey! Und selbst da, wo ihre Bestimmung, wo ihre Kräfte zu weit von einander abliegen, als daß sie sich unmittelbar zu Hülfe kommen könnten, wie viel können sie sich noch da durch wechselseitige Ermunterung und Anfeuerung einander werth werden. Es liegt ein hoher Antrieb zur Veredlung unserer Geisteskräfte in dem Gedanken, daß der geliebte Gegenstand uns auch darum achtet, daß wir in unserer Art schätzbar sind, unserer eigenen Achtung genießen, und der Achtung anderer Personen unsers Geschlechts! Dieß Gefühl flößt der Gelehrte, der Held, der Staatsmann seiner Gattin, die kluge Hausfrau, die geschätzte Regentin der örtlichen Gesellschaft, dem Gatten ein, wenn gleich beyde nicht völlig beurtheilen können was dazu gehört, um in den angezeigten Verhältnissen einen ungewöhnlichen Geist zu zeigen.

Eben diese Bemerkungen zeichnen nun aber auch die Grenzen vor, worin sich die wechselseitige Sorge für die Ausbildung des Geistes unter den beyden Liebenden von verschiedenem Geschlechte halten muß.

Nur zu häufig ist der Fehler, daß die Liebenden sich in der ihrem Geschlechte angemessenen Ausbildung hindern, weil der eine verlangt, daß der andere die Kräfte seines Geistes ganz allein zur Behandlung solcher Gegenstände anwenden soll, worin sie beyde mit ihrer Wirksamkeit zusammentreffen können. Es ist gar nicht selten, daß der liebende Mann die Geliebte von aller weiblichen Sorge und Beschäftigung abziehen will, damit sie nur mit ihm über die Verhältnisse seines Geschlechts, oder ihrer zusammengesetzten Person Ideen wechseln, und darauf ihre ganze Aufmerksamkeit wende. Eben so gewöhnlich und vielleicht noch häufiger ist der Fall, wo die Geliebte von dem liebenden Manne verlangt, daß er vergessen soll, was er von seinem Geiste dem Staate und den Wissenschaften schuldig ist, um mit ihr zu kosen, und das Glück des häuslichen und geselligen Zusammenseyns ununterbrochen zu genießen.

Edel Liebende finden in dem Gedanken, daß der Geliebte durch Ausbildung und Anwendung seines Geistes nach der Bestimmung, die ihm sein Geschlecht giebt, sich achtungswürdiger und dadurch glücklicher fühle, eine Schadloshaltung für die Einsamkeit und Trennung von ihm, die jene Bemühung ihnen zuweilen auflegt.

Eben hieraus fließt aber auch die Vorsicht, daß die Liebenden, indem sie wechselseitig ihren Geist auszubilden suchen, ihm nicht solche Vorzüge beyzulegen streben, die für sein Individuum gar keine Vorzüge sind. Der Gelehrte, der seine Frau in abstrakte Wissenschaften, der Staatsmann, der seine Gattin in politische Intriguen zu verwickeln sucht, und umgekehrt, die Gattin, die von ihrem Manne verlangt, daß er in das Detail der häuslichen Wirthschaft, oder der geselligen Fürsorge hineingehen soll; alle diese handeln der wahren Bestimmung der Liebe entgegen, die den andern in Gemäßheit seiner Selbständigkeit zu beglücken sucht.

Ein und zwanzigstes Kapitel.
Genuß der Vereinigung zu einem Schicksale.

Liebende haben nur Ein Schicksal mit einander, und dieß Bewußtseyn macht einen neuen hohen Genuß für sie aus. Himmel! welch ein tröstender, welch ein hebender Gedanke: es ist ein Herz in der Welt, das von meiner Freude lebt; ein Herz, dessen Theilnahme alle meine Leiden lindert!

Die Vereinigung zu einem Wesen unter gleichen Verhältnissen gegen alles, was außer der zusammengesetzten Person gedacht wird; zu einem Wesen, auf welches nur eine und die nehmliche Beziehung alles Aeußeren Statt findet; das Bewußtseyn, daß es für zwey Individuen nur ein Eigenthum, einen Wohlstand, eine Ehre, ein Glück, ein Unglück giebt: kurz, das Zusammenschmelzen zu einer Reitzbarkeit, zu einem Herzen, ist eines der erhabensten Gefühle, deren der Mensch fähig ist. Der Arme! Es ist nicht genug, daß er, für sich abhängig von Bedürfnissen, das Spiel eines eigensinnigen Schicksals sey; er ladet noch die Bedürfnisse und die Leiden eines andern Wesens auf sich! Aber wird er wirklich ärmer? Nein! Er vermehrt sein Wohlseyn, indem er sich alle Freuden, alle Vortheile des andern aneignet; er vermehrt die Stärke, womit er dem Schicksale die Stirn biethet, indem die andere Hälfte seines Wesens einen Theil der Last auf sich nimmt, die ihn allein zu Boden drücken würde!

Aber was seinen Zustand wirklich verschlimmert, ist die Ueberzeugung, daß sein eigenes Leiden die Ruhe des vereinigten Wesens stört! Welcher Streit in der Seele des Liebenden in solchen Augenblicken! Er möchte den Schmerz, der ihn verzehrt, vor den Augen des Geliebten verbergen, und doch fürchtet er einen Raub an der Zärtlichkeit durch sein Verhehlen zu begehen! Er fürchtet mit Recht! Denn nichts betrübt edle Seelen so sehr, als eine Schonung, welche dem leidenden und zu bescheidenen Geliebten die Labung ihres Mitgefühls entzieht!

Das sicherste Merkmahl, daß wir nicht lieben, ist dieß, wenn bey glücklichen Begebenheiten nicht eines unserer ersten Gefühle dieses ist: der Geliebte wird mit mir theilen; und bey unglücklichen dieses: ach! möchte ich ihm den Schmerz der Theilnehmung ersparen dürfen!

So fein, so schnell, so mächtig wie die Liebe Glück, Trost und Hülfe zu bereiten weiß, giebt sie nie die Freundschaft. Diese überlegt und denkt, ehe sie handelt; die Liebe fühlt und handelt zugleich! Ihr Scharfsinn im Ausspähen des wahren Sitzes des Uebels, der dringendsten Bedürfnisse, und der Stellen, deren Berührung am empfindlichsten schmerzt, ist eben so unbegreiflich, als ihre Erfindsamkeit in den Mitteln zu lindern, zu befriedigen, zu schonen. Man könnte auf eine vorahndende Sympathie, auf eine himmlische Inspiration rathen! Es ist wahr, das weibliche Geschlecht übertrifft darin bey weitem das unsrige, und seine sorgfältige Uneigennützigkeit möchte uns sogar die Freude zu danken, grausam durch zu viel Güte, entziehen. Seine Aufmerksamkeiten sind feiner, dauernder und anhaltender. Aber auch der Mann weiß zu theilen und zu helfen. Er sieht nicht so leicht und so schnell die Gelegenheit dazu ab, allein einmahl aufmerksam gemacht, ersetzt er durch Stärke und Aufopferung, was ihm an leichtem Anschlage und an Emsigkeit abgeht. Er giebt ein Weniges, aber Viel: das Weib Viel durch Vieles! Auch hier zeigt sich der Vortheil, den die Vereinigung Geschlechtsverschiedener Personen hervorbringt!

Aber ach! es theilt, es lindert nicht jeder, der es will! Es ist nothwendig, daß dieser sich ganz in unsere Lage hineinversetzen, und ihre Individualität ganz ausfühlen könne! Oft haben wir das Bewußtseyn, daß der Geliebte uns gern helfen, wenigstens trösten würde; aber die Furcht, in unsern Bedürfnissen, in unsern Leiden nicht verstanden zu werden, oder gar die Besorgniß, daß die unbesonnene Wahl seiner Hülfsmittel unsern Zustand noch verschlimmern könne, verschließt unser Herz vor ihm! Er fühlt, daß wir uns in uns selbst zurückziehen, er ahndet den Grund, und leidet selbst durch das Bewußtseyn seiner Unzulänglichkeit! Eine harte Lage für beyde, der aber freylich nur edlere Seelen unterworfen sind!

Oft sind es Schwächen des Charakters, die uns unsere größten Leiden bereiten! Wie schwer wird hier eine Schonung von Seiten des stärkeren Liebenden, die das wahre Mittel zwischen erniedrigender Härte und unedler Nachgiebigkeit hält! Hütet euch vor der Handlungsart gewisser Tröster, die euch stolz zurechtweisen, oder auch gar mit euern Klagen lächerlich machen wollen! Diese Verfahrungsart ist der Liebe zuwider! Hütet euch aber eben so sehr vor jener schmeichlerischen Gefälligkeit, die jede Grämeley in dem Geliebten billigt, und ihn wie ein verzogenes Kind behandelt. Dieß ist der Würde unsers sittlichen Wesens zuwider. Der weisere und edlere Mensch schont die ersten Aufwallungen der Laune des Verbündeten, ohne ihn durch Beyfall darin zu bestärken: und in dem Augenblicke, wo seine Vernunft wiederkehrt, weiß er ihm durch verdoppelte Aeußerungen der Liebe ein heimliches Erröthen abzugewinnen, ohne ihn durch anmaßende Ueberführung seines Unrechts zu nöthigen, daß er der fehllosen Größe des Strafenden förmlich huldige!

Es giebt eine Art, glückliche Verhältnisse mit einander zu theilen, die aller Pflicht dankbarer Erwiederung überhebt. Wir nehmen den Geliebten in unsern Wohlstand, in unser Ansehn auf, und lassen ihm fühlen, daß es eine Wohlthat sey. O wie schwer ist es, wirklich zu verbinden! Wie leicht erwecken wir selbst durch Aufopferungen das Gefühl, daß wir genug dadurch belohnt sind, uns ihrer rühmen zu können! Wie leicht treten wir jeder zärtlichen Empfindung dadurch in den Weg, daß wir Dankbarkeit erkaufen wollen! Ach! Alles was du giebst, gieb aus Liebe, mit einem Herzen, das nichts schätzbar findet, was es nicht mit dem Geliebten theilt, mit einem Herzen, das nichts schenken zu können, und bey dankbarer Erwiederung nicht einmahl vergelten zu können glaubt.


Zwey und zwanzigstes Kapitel.
Genuß der Leiden, die sich Liebende selbst bereiten.

Die Liebe, sagt man, nährt sich von Thränen! Und wahr ist es, selten ist treue, edlere Liebe glücklich! Aber oft durch die Schuld der Liebenden. Sie schaffen sich selbst zum Theil die Leiden, die sie dulden; das sollten sie nicht thun!

Oft liegt dabey hervorstechende Selbstheit zum Grunde. Man quält sich, um sich das Gefühl zu bereiten, daß man ganz von einander abhängt. Man mißgönnt dem Geliebten jede frohe Empfindung, die er nicht von uns empfängt, und die uns den Stolz raubt, einzige Schöpfer seines Glücks zu seyn. Man sucht durch den Schein der Kälte, oder gar der Untreue, die Stärke mit der wir geliebt werden zu erproben, oder durch Vorwürfe, deren Ungerechtigkeit wir selbst fühlen, den Grad des Werthes zu erforschen, der auf unsern Beyfall gesetzt wird.

Diese Art zu denken und zu handeln gehört der Liebe nicht; sie gehört der Herrschsucht und der Eitelkeit. Aber näher liegt jener die Besorgniß, daß zu große Ruhe in dem Geliebten der Vorbote der Gleichgültigkeit sey, und daß das Glück, welches er zu anhaltend einseitig genießen mag, uns entbehrlich machen, und Trostgründe für eine künftige Trennung herbeyführen dürfte!

Wer mag von der Liebe alle Eifersucht trennen? Wer mag sich zuweilen den geheimen Wunsch verleugnen, daß der Geliebte fürchten könne, uns zu verlieren? Ach, wie natürlich ist jener Ausruf der portugiesischen Nonne: „Oft finde ich dich nicht glücklich genug durch meine Liebe, oft finde ich, daß du zu glücklich bist, als daß ich mir allein die Ursach davon beymessen könnte!“ Wer wird selbst einen St. Preux verdammen können, wenn er die rührende Blässe zurück wünscht, die Juliens Antlitz ehemahls überzog; das kostbare Unterpfand der Leidenschaft, mit der sie an ihm hing!

Schonung verdient das alles, aber keinen Beyfall! Nein! Die Liebe soll nicht grausam seyn, die Liebe soll nicht quälen! Aber wenn es unwillkührlich geschieht, o so erweckt wenigstens nicht den Verdacht, als wenn ihr an unserer Qual, an unsern Thränen Gefallen nähmet! Hütet euch vor Ungerechtigkeit, und wenn ihr darein verfallt, so laßt uns wenigstens die Ueberzeugung, daß die Gewalt einer liebenden Leidenschaft euch hingerissen hat, und daß ihr nicht in der Freude eures Herzens uns durch erlogene Kälte und hervorgesuchte Vorwürfe mißhandelt! Dann, dann dulden wir gern! Dann sind uns selbst die Thränen theuer, die wir unverschuldet vergießen!

Und wie hält die Wonne der Wiederversöhnung für alle Martern des kurzen Mißverständnisses schadlos! Man sollte glauben, diejenigen, welche diesen Augenblick nicht kennen, hätten die Freuden der Liebe nicht völlig ausgekostet! Wer beschreibt die frohe Wahrnehmung der unbefangenen Unschuld, oder auch der innigen Reue, neben der liebenden Schonung, die gern selbst das Unrecht auf sich nehmen möchte, das der Schuldige anerkennt! Wer die himmlische Ahndung der Zärtlichkeit, die durch den Unmuth durchbricht, und der endlich alles besiegenden Liebe, wenn sich jetzt das Auge der Geliebten sanfter zu euch wendet, und ihre Hand sich dem Druck der eurigen nicht länger versagt! Jetzt sinken sie an einander, die Liebenden, die Wiedervereinten! Auf ihren Wangen, die zugleich von der erlöschenden Hitze des Zorns, und der empor steigenden Wärme sanfterer Affekte glühen, mischen sich Thränen des Kummers unter Thränen der Freude! Der gepreßte Seufzer des Schmerzens verliert sich in den süßathmenden Hauch der zärtlichsten Wonne, und das Herz deutet mit lauten Schlägen das Gefühl einer Seligkeit an, das durch kurze Entbehrung noch erhöhet ist.

Drey und zwanzigstes Kapitel.
Höchste Veredlung der Liebe; Zusammenstreben nach Tugend.

Wenn es wahr ist, daß Liebe das wonnevolle Bestreben ist, den Geliebten zu beglücken, welcher Genuß kann ihr dann näher angehören, als das Gefühl, ihm, diesem Geliebten, das höchste Gut, Tugend, und dadurch Achtung für sich selbst, und Achtung bey andern zuzuführen! Dadurch bringen wir die Liebe auf den höchsten Gipfel der Veredlung, und bereiten uns selbst, wo nicht den lebhaftesten, doch gewiß den dauerndsten, sichersten Genuß, den das Herz mit der Vernunft im Bande zu gewähren vermag!

Glaubt es mir zu: wenn eure Geliebte alle Reitze des Körpers und der Seele in sich vereinigte, die den berühmtesten Freundinnen Griechenlands und Frankreichs jemahls eigen gewesen sind; wenn sie schön wäre wie eine Phryne, geistreich wie eine Aspasia oder Ninon; wenn sie an euch hinge wie eine Sappho, – und ihr fändet in ihrem Herzen Lieblosigkeit gegen ihre Mitmenschen, Mangel an Sanftmuth und Bescheidenheit, kurz, keine der Grundlagen weiblicher Tugend; sie hätte keinen Sinn für Vervollkommnung ihrer Moralität; – euer Herz würde sich nicht gerechtfertigt finden, sie zu lieben, und früh oder spät würdet ihr das Drückende der Schlinge fühlen, in der sie euch zu fangen gewußt hätte.

Aber wohl dem, der sein Auge aufschlagen mag vor seinem edleren Ich, indem er sich sagt: ich liebe! Wohl dem, der in seiner Verbindung einen neuen Grund findet sich selbst zu achten! Selige Stunden, in denen der gemeinschaftliche und doppelte Bund geschlossen wird, der Liebe und der Tugend ewig treu zu bleiben! Himmlischer Ausdruck des weiblichen Mundes, der euch unter Thränen beschwört, das Herz vor dem Vorwurfe zu retten, daß es einen Unwürdigen liebt! Heiliger Schwur des Mannes, der das Leben eher als die Tugend verlassen, und die erste lasterhafte Handlung als eine stillschweigende Entsagung auf das Recht geliebt zu werden, betrachtet wissen will!

Wer mag die stolzen süßen Gefühle beschreiben, die den Liebenden das Bewußtseyn einflößt: sie sind tugendhafter durch Liebe, als sie es ohnedem seyn würden! Und gewiß, sie steht mit der Tugend in naher Verwandschaft! Durch sie wird das Herz weich und geöffnet für alle sympathetischen und geselligen Empfindungen, ohne deren freye Wirksamkeit sich keine Tugend denken läßt. Sie erweckt Mitleiden, Sanftheit, Duldung, Mittheilung, Uneigennützigkeit. Wenn wir lieben, sind wir überhaupt reitzbarer und empfindlicher gegen das Schicksal anderer. Es scheint, als ob wir besser fühlten, was der Antheil, das Wohlwollen des einen Menschen dem andern werth seyn könne. Ausgefüllt durch einen einzigen Gegenstand, auf dessen Beyfall wir den Werth unsers Wesens und Handelns beynahe allein zurückführen, legen wir weniger Gewicht auf die Befriedigung der Eitelkeit, des Ehrgeitzes und der Habsucht. Die Versagung dieser eigennützigen Neigungen macht uns minder bitter. Der Liebende ist genügsam in allem, was nicht die Vereinigung der Wesen befördert. So lange wir noch in einem Herzen herrschen, so lange scheint uns das Regiment der Welt, so wie ihr Besitz, ein entbehrlicher Vorzug.

Und dann tritt so leicht die Begeisterung hinzu, die aus dem Geliebten ein verkörpertes Bild der Vollkommenheit schafft! Wer kann vor seinen Augen schlecht handeln! Sein Beyfall ist eine hinreichende Belohnung für alle Aufopferungen, die wir der Tugend bringen, die Krone des Sieges, die wir über unsere Sinnlichkeit davon tragen! Endlich giebt die Achtung, welche die zusammengesetzte Person durch den vereinigten Adel der Denkungsart beyder Verbündeten bey allen Edeln im Volke erweckt, einen neuen Anreitz, nur dem Lobenswerthen nachzustreben!

Wer wird nicht gern mit Yorick ausrufen: „nie war meine Seele so sehr im Einklange mit der Tugend, als wenn ich liebte! Nach einer genauen Prüfung, die ich mit mir selbst angestellt habe, sind alle meine schlechten Handlungen in die Zeiten gefallen, worin mein Herz über Leere seufzte!“ [39]

Nicht mit Unrecht sagt Rousseau: [40] „jene Begeisterung, welche die Liebe in ihrem Gefolge führt, bildet sich ein chimärisches Wesen aus dem geliebten Gegenstande. Aber opfern wir diesem Bilde nicht eben so wohl unsere Lieblingsschwächen auf? Füllen die Vorzüge, womit wir den Geliebten schmücken, darum weniger unser Herz? Suchen wir uns darum minder von unserm niedrigen Selbst loszuwickeln?“

Aber ach! meine Freunde! meine Freundinnen! ihr, die ihr so gern an Tugend glaubt, hütet euch, daß euch keine ränkevolle Buhlerin, kein listiger Wüstling, mit ihrem Scheine täusche! Worte, einzelne Handlungen, beweisen nichts! Erst, wenn ihr den anhaltenden rüstigen Kampf gegen Lieblingsschwächen wahrnehmt, erst wenn ihr die Fertigkeit im Siegen über die Sinnlichkeit bemerkt; erst dann dürft ihr glauben, daß der Geliebte eurer würdig ist!

Mehr! wollt ihr wirklich dem Geliebten das höchste Gut zuführen, um ihn zu beglücken, so lehrt ihn die Tugend um ihrer selbst willen lieben, nicht um des Ideals willen das er sich von eurer Vollkommenheit bildet, nicht um eures, nicht um des Beyfalls willen, den ihm die Welt zollt!

Was ist Tugend? Nicht der glückliche Instinkt allein, der uns zu einem Betragen führt, das andere beglückt, und uns selbst Zufriedenheit für die ganze Zeit unsers Daseyns sichert. Nicht die Anwendung des Verstandes und der Vernunft allein, die uns in unsern Verhältnissen zu andern vernünftigen Wesen, und zu unserm eigenen fortdauernden vernünftigen Wesen Zufriedenheit sichert! Nein, es ist beydes zusammen, und überher wird noch Fertigkeit, und Liebe zu dieser Fertigkeit im Guten erfordert. Die geliebte, von Verstand und Vernunft geleitete Fertigkeit in der Erfüllung unserer Pflichten gegen das Reich vernünftiger Wesen, die ist Tugend: und als solche ist sie noch weit verschieden von jener Scheintugend, die wir glücklichen Anlagen, oder zufälligen Verhältnissen verdanken!

Es ist der Liebe erlaubt, den geliebten Gegenstand als ein Idol, als ein sinnliches Bild aller Vollkommenheit zu betrachten, um seinetwillen gegen unser niedriges Ich anzukämpfen, und in seinem Beyspiele, in seinem Beyfalle einen neuen Antrieb zu allem Guten zu finden! Aber derjenige, der edel liebt, wird nicht wünschen, daß der geliebte Gegenstand nur so mittelbar durch ihn an der Tugend hänge! Er weiß, daß Begeisterung nicht dauert, daß die Vernunftidee von Vollkommenheit mit keinem Gegenstande in der Welt sinnlicher Erscheinungen übereinkommt, und daß, früh oder spät, Gewohnheit oder unwillkührliche Schwäche, über die er sich nicht erhoben fühlt, weil er Mensch bleibt, das Traumbild, zu dem er den Stoff hergiebt, und damit zugleich die Anhänglichkeit an der Tugend bey dem Geliebten endigen werde!

Es ist der Liebe, es ist der Tugend vergönnt, in der Achtung, die sie dem Geliebten einflößen, ein neues Beförderungsmittel ihres edeln Strebens zu finden. Es ist kein gleichgültiger Genuß, wenn die Achtung, die wir für uns selbst, und für die zusammengesetzte Person hegen, auch von den Menschen, die es werth sind, uns zu würdigen, erkannt wird. Allein höher, sicherer ist der Genuß, den die Selbstachtung unmittelbar, und auch da mit sich führt, wo wir nicht erkannt, auch wohl gar unrecht beurtheilt werden!

Es sey also das Bestreben der edelsten Liebe, dem Geliebten Liebe zur Tugend einzuflößen! Diese wird länger dauern, als das Idol von Vollkommenheit, das die Begeisterung schafft; ja, länger als selbst die Liebe zu dem Geliebten! Daß lange nach geendigter Vereinigung der ehemahls Verbündete sich noch sagen könne: von der Zeit meiner Liebe an rechne ich die Heiligung meines Charakters; ewig werde ich ihm dankbar seyn, dem Liebenden, er hat mir das höchste, das sicherste Gut gegeben, das Menschen zu Theil werden kann!

Laßt uns noch sehen, wie beyde, Mann und Weib, sich darunter wechselseitig, und auf eine ihrem Geschlechte eigenthümliche Art zu Hülfe kommen können.

Tugend, ich habe es schon mit andern Worten gesagt, ist das anhaltende Wohlgefallen an unserer Bestimmung, dem vernünftigen Wesen in uns und in andern für die ganze Zeit unsers und ihres Daseyns nützlich zu werden, verbunden mit überlegter, durch Gesetze der Wahrheit und Zweckmäßigkeit geleiteter Fertigkeit, diese Bestimmung auszufüllen.

Jede Kunst setzt in dem Künstler Fähigkeiten, Liebe zu seiner Bestimmung, Kenntniß der Zwecke und der Mittel, sorgsame Behandlung, und eine durch Nachahmung und Uebung erlangte Fertigkeit zum Voraus. So auch die Tugend.

Unsere geselligen, unsere selbstliebenden Triebe, in so fern sie auf Erhaltung und Fortbildung unsers vernünftigen Wesens gehen, sind die Fähigkeiten, die Anlagen zur Tugend. Sie machen gleichsam den Stoff aus, den Verstand und Vernunft bearbeiten, indem sie ihm eine innere Wahrheit und Tüchtigkeit, (Nutzbarkeit,) und eine äußere Brauchbarkeit, (ein Nützlichseyn,) anweisen und geben. Dann müssen Fertigkeit und Liebe zum Dinge hinzutreten.

Der Stoff ist bey dem Weibe weit besser als bey dem Manne, weit geschickter die Zwecke der Vernunft zu erfüllen; das sogenannte gute Gemüth ist dem zärteren Geschlechte der Regel nach angeboren. Es ist von Natur mitleidig, sanft, zuvorkommend, aufopfernd. Es ist vorsichtiger, mäßiger im Genuß des Gegenwärtigen, geduldiger bey Erwartung der Zukunft, weniger übermüthig im Glück, weniger niedergedrückt durch Unglück. Auch hat das Weib weit mehr Anlage zur Liebe an seiner Bestimmung, wohlzuthun, zu helfen, zu trösten, als der Mann: weit mehr Fähigkeit zur Begeisterung für alles, was mit Aufopferung für andere, Ewigkeit, Uebersinnlichkeit und Gottheit in Beziehung steht; weit mehr Gefühl für Anstand und Ehrbarkeit. Zuletzt ist auch bey ihm die Anlage zur fertigen Anwendung einmahl angenommener Richtungen des Willens viel stärker, theils weil es minder durch schädliche Neigungen gestört wird, theils weil der Nachahmungstrieb viel mächtiger bey ihm wirkt, theils endlich, weil es leicht zu einer mechanischen Gleichförmigkeit in seinen Handlungen übergeht.

Dagegen besitzt das zärtere Geschlecht weit weniger von jenem höheren Triebe nach Wahrheit, Tüchtigkeit und Vollkommenheit, vermöge dessen der Weise dahin strebt, aus seinem Charakter ein mit sich selbst in allen seinen Theilen und Verhältnissen übereinstimmendes, der Menschheit in ihm selbst und andern, nutzbares Ganze zu bilden. Ein Ideal, das zwar hienieden nie erreicht werden kann, zu dem kein Muster unter den Menschen angetroffen wird, dem sich aber einige mehr als andere nähern, und das demjenigen, der ihm am nächsten steht, einen unstreitigen Anspruch auf Selbstzufriedenheit und Schätzung von andern, unabhängig von aller Rücksicht auf die Folgen seiner Handlungen und ihre wirkliche Brauchbarkeit sichert. Das zärtere Geschlecht besitzt auch weniger Kraft, den Zweck seiner Anlagen, das allgemeine Nützlichseyn für unser und anderer vernünftiger Wesen Daseyn und Wohl, auf immer zu fassen: es hält sich zu sehr an das Gegenwärtige und Einzelne; thut entweder andern und sich selbst für den Augenblick wohl, und verdirbt dadurch andere und sich selbst für die Zukunft; oder hält sich bloß an diese Zukunft, und übersieht das Bedürfniß des Augenblicks. Es fehlt auch oft in der Wahl der zweckmäßigsten Mittel, und in ihrer klugen Behandlung. Kurz, die guten, zum Besten der Menschheit abzweckenden Handlungen des Weibes sind gemeiniglich mehr Folgen des Instinkts, als freyer und vernünftiger Selbstbestimmung. Bey dem Manne wird diese mehr angetroffen; aber weniger von seinem Instinkte unterstützt, handelt er dennoch viel unzusammenhängender, und oft viel unsicherer zum Besten der Menschheit in ihm selbst und andern!

Nun kann die einzelne Handlung, abgerissen von dem Reste des übrigen Lebens der Person, die sie begeht, dieser unmöglich den Nahmen eines tugendhaften Charakters, bar und für sich betrachtet, sichern; wenn gleich jene Handlung in dem einzelnen Falle aus wahrer Ueberzeugung der Pflicht entspringt, andern Menschen nützlich zu seyn, oder wenn sie dem Triebe nach der vollkommensten Harmonie eines der Menschheit nutzbaren Charakters angehört, oder wenn sie auch vermöge eines richtigen Gebrauchs unserer Vernunft, der Menschheit im größten Umfange wirklich nützlich wird. Ein Sokrates, der aus Achtung für die Gesetze seines Vaterlandes den Giftbecher leert; ein Cato, der den Verlust der Freyheit nicht überleben zu dürfen glaubt, ohne die Menschheit an sich und andern zu entehren; ein Luther, der die Wahrheit mit seinem Tode zu besiegeln bereit ist, und ihre Ausbreitung durch diese Standhaftigkeit befördert; alle diese Personen, sage ich, können nur in so fern um dieser Thaten willen für tugendhaft gehalten werden, als die Stimmung, welche in ihrem ganzen übrigen Leben die herrschende war, sie dazu aufgefordert hat. Wie viele ähnliche sind nicht während der französischen Revolution von den verworfensten Wollüstlingen in einem vorübergehenden Anfall von Achtung für Pflicht und Menschenwerth geschehen! Auf der andern Seite kann die anhaltendste Wirksamkeit eines gutgearteten Instinkts, der zufällig die besten Folgen für die Menschheit hervorbringt, nicht für Tugend gelten, wenn Verstand und Vernunft ihn nicht leiten. Wer wird die leichtgestimmte, gutherzige Buhlerin eines Fürsten, darum tugendhaft nennen wollen, weil ihre Gesellschaft den Herrscher über ein großes Volk zur Milde, zur Mäßigung, und zu friedliebenden Gesinnungen stimmt, wodurch Wohlstand und Aufklärung befördert wird?

Zur Begründung der Tugend muß daher natürliche Anlage zum Guten mit überlegter Fertigkeit bey der Ausübung zusammengehen, und zu dieser Mischung werden die vereinigten Vorzüge beyder Geschlechter die glücklichste Veranlassung geben! Der Instinkt des Mannes wird durch den steten Umgang mit dem gutgearteten Weibe gebessert; er wird sanfter, duldender, mäßiger, billiger, mittheilender. Er legt höheren Werth auf Anstand und Ehrbarkeit; und das Beyspiel der Geliebten, ihre gleichförmigere Handlungsart, fordern ihn zur Nachahmung und anhaltenderen Uebung auf; dadurch gewinnt er zugleich an Fertigkeit. Er von seiner Seite wird sie lehren, ihre gute Gemüthsart nach Grundsätzen zu leiten, und in ihre Fertigkeit mehr Ueberlegung zu bringen.

Vier und zwanzigstes Kapitel.
Genuß der Liebe von Elternzärtlichkeit.

O Kinder! Lebendige Darstellungen der Liebe, der sie ihr Wesen verdanken! Wahre Mittel zur Unsterblichkeit unsers leiblichen Daseyns, das sich durch sie in allen künftigen Generationen der Körperwelt reproduciert! Emanationen unserer geistigen Natur, die den nächsten Fortsatz in der Reihe übersinnlicher Wesen bilden! Unserer Fürsorge anvertrauet, unser Werk, unser Stolz! Erben unsers Nahmens, unserer Güter, unsers Ansehns, und ach! vielleicht unserer Tugenden und Schwächen, unserer verschuldeten und nicht verschuldeten Schicksale! – O ihr neuen süßen und heiligen Bande zwischen den Mitzeugern und Mitbildern, und den gemeinschaftlichen Theilnehmern an hohen Pflichten und großen Verantwortungen! Ich ahnde nur, was der Vater, was die Mutter den Liebenden zugiebt, und meinen Gefühlen fehlt zugleich Erfahrung und Ausdruck!

Zwölftes Buch.
Veredelte Dauer und Beendigung der Liebe.


Erstes Kapitel.
Einleitung.

Gehört die Dauer der Liebe zu ihrem Wesen und zu ihrem Adel? Diese Frage hat von jeher Anlaß zu vielen Streitigkeiten gegeben. Einige haben die Flatterhaftigkeit derjenigen in Schutz genommen, die sich in der Dauer ihrer Anhänglichkeit durch die bloßen Launen des Geschmacks und der Sinnlichkeit bestimmen lassen: andere stellen die Schäfer am Ufer des Lignons zum Muster dar, die ihr Leben um spröde Schäferinnen verseufzen, und noch als Gatten die Rollen schmelzender Liebhaber bis ans Ende ihres Daseyns fortspielen. Jene verlachen den Werth, der auf die Dauer der Liebe gesetzt wird, wie ein Vorurtheil, und verspotten die Erzählungen von ewiger Liebe entweder als Mährchen, oder als Beyspiele einer seltenen Verrückung des Gemüths. Diese appellieren an unsere Imagination und unser Herz, und wissen uns oft zu ihrem Glauben mit sich fortzureißen, wenn sie uns auch nicht durch wirkliche Erfahrungen überzeugen. Wer kann die Geschichte Philemons und Baucis anhören, die am Abend ihrer Tage keine andere Belohnung für ihre Tugenden, von den Göttern zu erflehen wußten, als die Wohlthat, zusammen zu sterben, ohne von dem Gefühle ihrer Möglichkeit und Wahrheit, so wie von denen des Edeln und des Schönen durchdrungen zu werden.

Für uns, die wir von dem Begriffe der Liebe jenes bloße Streben nach Befriedigung körperlicher oder auch geistiger Geschlechtssympathie, alle jene Verhältnisse, die sich auf Lüsternheit, Eitelkeit, gesellige Belustigungssucht, u. s. w. gründen, sorgfältig abgesondert haben; für uns, sage ich, kann die Beantwortung der Frage, ob Dauer zum Wesen der Liebe gehöre, so zweifelhaft nicht seyn. Wir nennen nur diejenigen Verbindungen mit diesem Nahmen, die auf dem Gefühle zärtlicher oder leidenschaftlicher Anhänglichkeit beruhen, und es versteht sich von selbst, daß diese über den Zeitraum einiger Tage und Wochen hinausreichen müssen.

Allein daraus folgt keinesweges, daß diejenige Liebe, die nach dem Verlauf einiger Monate und Jahre geendigt wird, keine wahre, wenigstens keine edle Liebe gewesen sey. Der Zustand, in dem wir uns während dieser Zeit befunden haben, kann allerdings als ein Abschnitt aus der Geschichte unsers Lebens angesehen werden, der, für sich betrachtet, ein Ganzes ausmacht, auf welches Begriffe von Wahrheit, Zweckmäßigkeit, Vollkommenheit, Adel und Schönheit zutreffen. Inzwischen gehört es doch unstreitig zur Veredlung dieser Liebe, wenn ihre Dauer verlängert wird, und wenn Zeit und Veränderung der äußeren Verhältnisse die schönste Neigung des edelsten Wesens in uns nicht schwächen.

Alter und lange Fortdauer haben schon an sich durch ihre genaue Verwandschaft mit unsern Lieblingstrieben nach langem Leben und Unsterblichkeit ein hohes Anrecht darauf, uns in eine unbestimmte, aber wohlgefällige Rührung zu versetzen. Diese Ideen erhalten einen erhöheten Reitz, wenn der Gegenstand, der sie erweckt, an sich vergänglich zu seyn pflegt, und durch sein langes Bestehen Bilder des Seltenen und Ausgezeichneten erweckt. Wie interessieren uns nicht die zerbrechlichen Eyer, und die leicht zu verwischenden Kohlenstriche, die sich zu Pompeji seit Jahrtausenden erhalten haben! Welch einen höheren Anspruch auf Wohlgefälligkeit für den Beschauungshang bekommt aber das Unzerstörbare durch das Gefühl der innern Kraft, welche dabey zum Grunde liegt, der innern Vortrefflichkeit, der äußeren Nutzbarkeit! Dauernde Liebe führt auf die edelsten Neigungen, auf die schönsten Vorzüge des menschlichen Geistes und Herzens zurück. Festigkeit, Muth, Standhaftigkeit, Erhebung über Zeit und Schicksal, werden hier auf mannigfaltige Art bewährt. Dauernde Liebe befördert das häusliche Glück jener Ehen, die zum Anstande, zur Ehrbarkeit der Sitten, so wie zum Wohl des Bürgers so viel beytragen. Sie erleichtert und verlängert endlich die Sorgfalt der Eltern für die Erziehung ihrer Kinder. Und so erscheint eine Liebe die den Rest unsers Lebens hindurch dauert nicht bloß interessant und schön; sie ist auch schätzbar in Beziehung auf das gemeine Beste!

Zweytes Kapitel.
Die Dauer warmer Zärtlichkeit, nicht aber die Dauer der Leidenschaft, gehört zur veredelten Liebe.

Ihr, die ihr dem Vorzug nachstrebt, unvergänglich zu lieben, sucht nicht das verzehrende Feuer der Leidenschaft zu nähren, sondern verlängert die Wärme der Zärtlichkeit! Jener gewaltsame Zustand kann nicht dauern, und wenn er dauert, so wird er auf Kosten wahrer Liebe, und des Glücks des geliebten Gegenstandes erkauft!

Es ist besonders Weibern der Irrthum eigen, daß Liebe in jener Begeisterung beruhe, die an Wahnsinn grenzt, in jener Besessenheit, die in ihren Wirkungen sich der Wuth nähert. An dem Gefühle unserer Anbetung und unserer Abhängigkeit sich zu laben, in dem Selbstbewußtseyn ihrer Erhebung und ihrer eigenen leidenschaftlichen Spannung sich zu gefallen, das scheint ihnen der einzige und höchste Genuß zu seyn, den die engere Verbindung mit dem Manne darbiethet. Darum lassen sie uns zwischen Furcht und Hoffnung schweben; darum halten sie sich in jener Entfernung, in jenem Halbdunkel, welche die Phantasie zur Entwerfung trügender Bilder von ihren Vorzügen auffordern; darum suchen sie uns endlich durch Veranlassungen zur Eifersucht zu quälen, unser Bestreben nach dem Stolz ihres Besitzes, und unsere Besorgniß das Gewonnene zu verlieren, in stets reger Wachsamkeit zu erhalten! Leider sind die meisten Männer nichts bessers werth! Ohne Herz, ohne Gefühl für häusliche Freuden, streben sie nur nach Befriedigung ihrer Lüsternheit, ihrer Eitelkeit, höchstens nach Spannung ihrer Phantasie. Das zärtere Geschlecht wird nur als ein Werkzeug betrachtet, diese eigennützigen Triebe zu erwecken und zu stillen. Sobald dieser Zweck erreicht ist, hört das Mittel auf ihnen schätzbar zu seyn. Warum soll denn das Weib seine Herrschaft nicht verlängern? Warum soll es sich nicht an dem Despoten rächen, der seine Selbständigkeit verkennt?

Aber wie unsicher ist gemeiniglich diese Herrschaft, und wie wenig vereinbar mit dem Wesen der Liebe? Ein schwacher Augenblick entwindet den Reitzen der Gestalt jenen Scepter, der nur auf Versagung unserer Begierden seine Macht gründet! Ein unvorhergesehener Lichtstrahl, der einen mühsam versteckten Fehler erhellet, zerstört das Zaubergemählde, das unsere Phantasie unter Begünstigung eines heiligen Dunkels geschaffen hatte! Wie leicht wird die Qual der Ungewißheit übertrieben, die Abhängigkeit zu fühlbar gemacht, und dadurch das Band zerrissen, das uns mit zu starker Anstrengung fesseln sollte! Ja! Unmuth und Verzweiflung haben schon eben so oft das Idol zertrümmert, in dessen Dienst fruchtlose Aufopferungen geschahen, als Sättigung und Aufklärung seine geborgten Züge verwischt haben.

Aber gesetzt, dieser leidenschaftliche Zustand könnte dauern; gesetzt, wir könnten unser ganzes Leben hindurch in dem träumenden, ungewissen Zustande zwischen Furcht und Hoffnung, zwischen Illusion und Realität hingehalten werden; – und es giebt Beyspiele der Art, so selten sie sind; – ist eine solche Verlängerung der Liebe von Seiten desjenigen, der sie befördert, nicht bare Selbstheit? O gewiß! Derjenige der so geliebt seyn will, zieht seinen Genuß aus unserer Qual und unsern Thränen! Unbekümmert um unsere Selbständigkeit und unser Glück, liebt er nicht unsere Person, sondern nur das Verhältniß, worin er sich mit uns versetzt glaubt. Er schließt sich an den Leibeigenen an, aber er gleicht nicht den Geliebten mit sich aus. Und wie entehrend ist eine solche Verbindung für denjenigen, dessen Schwäche und Verblendung die Herrschaft des andern stützt! Der Sinn des Edeln, der Sinn des Schönen geht unter dem Druck der Fesseln und bey fortdauernder leidenschaftlichen Spannung verloren. Einzig und allein bekümmert, ein Gut zu erhaschen, das uns immer gezeigt und nie gewährt wird, werden wir endlich gleichgültig über die Wahl der Mittel, wodurch wir uns ihm zu nähern hoffen, unfähig jener heitern Ruhe, die den Geschmack am Schönen befördert; unbekümmert um die Pflichten, die unsere übrigen Verhältnisse als Mensch und Bürger uns auflegen, und deren genaue Beobachtung allein unsere Selbstachtung begründet.

Aber nein! Läßt sich nicht glückliche Liebe mit einem leidenschaftlichen Zustande vereinbaren? Auf kurze Zeit, ja! aber auf die Länge unmöglich! Die wirkliche Welt hat noch kein Beyspiel aufzuweisen, daß zwey Liebende im völligen ungestörten Genusse ihrer Vereinigung sich mit eben dem Feuer, mit eben dem unablässigen Gefühle der Unentbehrlichkeit jener Wonne, sich immer vereinigt zu denken, Jahre lang geliebt haben. Nein, nur Hindernisse, welche das Schicksal oder die Liebenden selbst ihrer Vereinigung entgegengesetzt, und wodurch sie den Zustand der Furcht und der Hoffnung verlängert haben, hat solche ewige Leidenschaften hervorgebracht. Selbst Romanschreiber wagen es nicht, eine solche Lage darzustellen; sie deuten sie nur an, wenn sie nach Verheirathung des glücklichen Paars am Schlusse ihres Werks versichern, daß die Liebenden mit eben der Leidenschaft, mit eben dem Feuer bis ans Ende ihrer Tage an einander gehangen haben, die sie in den ersten Wochen ihrer Verbindung beseelte. Keiner hat es gewagt das Bild einer solchen Ehe darzustellen, und es durch hinreichende Motiven wahrscheinlich zu machen!

Ihr also, die ihr mit mir dem hohen Vorzuge nachstrebt, der Liebe eine unzerstörbare Dauer in diesem Leben zu sichern, gebt sie auf, die trügerische und Gefahr bringende Hoffnung, die Leidenschaft zu verewigen! Sucht eure Verbindung in jenes ruhige Gleis einzuleiten, worin allein Wahrheit der Liebe mit Vollkommenheits- und Schönheitssinn zusammengeht! Warme Zärtlichkeit, d. h. anhaltendes Streben nach Vereinigung der Naturen, um sich gemeinschaftlich zu beglücken, herrsche in euerm Herzen! Sie ist nicht frey von leidenschaftlichen Aufwallungen, diese warme Zärtlichkeit, aber sie zeigen sich nur bey besondern Veranlassungen; aber im Ganzen ist ihr Charakter sanft, nicht wild; aber im Ganzen wird sie von Vernunft geleitet. Sie fühlt sich innig vereinigt, und strebt sich immer mehr zu vereinigen; aber ihr Bestreben gleicht nicht den Trieben eines stets wachen Bedürfnisses; aber sie läßt einen wahren und verweilenden Genuß des Gegenwärtigen zu, und fühlt sich in den meisten Augenblicken ihrer Dauer ruhig, ausgefüllt und zufrieden in dem Bewußtseyn wechselseitiger Liebe und Treue!

Wie diese warme Zärtlichkeit dauernd werden könne, das unternehm’ ich euch zu lehren! Genügt euch dieses nicht, so wendet euch zu denen, die besser unterrichtet sind; ich habe euch nichts zu sagen.

Drittes Kapitel.
Liebende dürfen sich einander nicht zu gewöhnlich, aber auch nicht ungewohnt werden.

Zwey Gefahren drohen dieser warmen Zärtlichkeit. Die Liebenden werden sich leicht einander zu gewöhnlich, oder sie gewöhnen sich zu leicht von einander ab. Jenes geschieht, indem sie sich dem Genuß ihrer Vereinigung zu sehr überlassen: dieß indem sie sich moralisch oder physisch zu weit von einander entfernen.

Nichts häufiger als die Erfahrung, daß Menschen, die lange leidenschaftlich nach Vereinigung gestrebt haben, nun, wenn sie sich im ungestörten Besitz ihrer Personen fühlen, Gleichgültigkeit, Haß sogar, an die Stelle der Liebe treten lassen. Sie erschöpfen zu schnell den Genuß, den Sinne, Herz und Geist darbiethen, und übersättigen sich aus Mangel an weiser Mäßigkeit mit den Freuden, die, auf einen längern Zeitraum vertheilt, die höchste dauerndste Wonne ihres Lebens ausmachen würden.

Eben so häufig sind die Beyspiele, daß Menschen, denen die Vereinigung zu leicht gelungen ist, sich zu wenig um ihren Genuß und ihre Erhaltung bekümmern. Sie überlassen sich zu sehr den Zerstreuungen der größeren Gesellschaft, sie widmen sich beynahe ausschließend den Geschäften ihres Berufs, gewöhnen sich von einander ab, und lernen sich entbehren.

Es giebt noch Gefahren einer dritten Art, die freylich nur edleren Seelen drohen. Diese fehlen durch eine zu große Wachsamkeit über sich selbst, die leicht in Zwang und Steifheit ausartet. Sie wollen sich immer vortheilhaft zeigen, und erwecken den Verdacht einer angenommenen Rolle, oder die Besorgniß, nicht ausgeglichen werden zu können. Sie suchen die größte Feinheit der Denkungsart und der Gesinnungen in die Aeußerungen ihrer Zärtlichkeit zu legen, und laufen Gefahr, nicht verstanden zu werden, oder sich nicht verstanden und getheilt zu fühlen. So findet die Liebe ihr Ende in übertriebener Delicatesse!

Liebende, die ihr mit unvergänglicher Zärtlichkeit an einander hängen wollt, hört auf diese wenigen Worte, welche eine Haupmaxime enthalten, die Liebe dauerhaft zu machen. Hütet euch, einander zu gewöhnlich, und einander zu ungewohnt zu werden!


Viertes Kapitel.
Liebe ist nicht einziger Beruf unsers Lebens, aber sie ist mehr wie Zeitvertreib; sie ist ernstes Geschäft.

Liebe ist die Stütze und das Labsal unsers Lebens: sie bereitet uns die höchsten Freuden zu, die sterblichen Menschen vorbehalten sind. Aber dieser Mensch kann und soll seiner ganzen Bestimmung nach sich der Besorgung und dem Genuß dieser Liebe nicht dergestalt überlassen, daß er darüber alle andere Pflichten und alle Annehmlichkeiten vergesse, die ihm als selbständigen Menschen obliegen und zukommen. Die Liebe muß vielmehr dazu dienen, ihm seinen Beruf zu erleichtern, und alle Freuden des Lebens zu erhöhen.

Es ist möglich, daß man Wochen lang die Liebe zum einzigen Beruf des Lebens mache. Aber nur Romane können uns den Zustand zweyer Liebenden schildern, die Jahre lang keine andere Beschäftigung haben, als die, sich ihre Zärtlichkeit zu bezeugen, und darin den einzigen Genuß des Lebens zu suchen. Die Augenblicke, worin sie dazu Gelegenheit finden, sind bey weiten die wenigern. Die Zwischenakte sind immer länger als die wirklichen Auftritte der Liebe. Sie ist darum nicht weniger anhaltend wirksam. Das Gefühl der Wesenverwebung, der innigsten Herzensvereinigung, mischt sich in alles was wir unternehmen. Wir nähren heimlich und ohne darauf besonders zu merken, das Gefühl, daß ein großes Bedürfniß unsers einsamen Wesens ausgefüllt ist. Dieß giebt uns eine gewisse Ruhe, deren Süßigkeit unbeschreiblich und unmittelbare Wirkung der Zärtlichkeit ist. Das Bewußtseyn: ich lebe in einem Herzen außer mir, gesellt sich zu der Vorstellung, daß der Geliebte auf mannigfaltige Art Antheil an den Bemühungen hat, die wir anwenden, unsere Pflicht zu erfüllen. Wir erscheinen würdiger vor seinen Augen, der Gewinn unserer Arbeiten wird mit ihm getheilt, wir erwarten Beyfall, Erholung in seinen Armen, und dadurch werden Freuden, die an sich schon alle andere übertreffen, noch erhöhet. Vergnügungen, die wir allein einnehmen, verlieren dadurch ihre Einseitigkeit, daß wir des Antheils sicher sind, den der Geliebte an unserer Zufriedenheit nimmt, und daß wir den stets regen Wunsch fühlen, mit ihm theilen zu können.

Nichts ist folglich irriger als der Wahn, daß die Liebe nur da wirksam sey, wo sie sich dem Verbündeten unmittelbar deutlich macht. Nein! Der Geschäftsmann, der Gelehrte, der Soldat, die Hausmutter, die Führerin der größeren örtlichen Gesellschaft, kurz, alle diejenigen, die einem Beruf nachgehen müssen, den die andere Hälfte ihres Wesens nicht theilen kann, bleiben selbst in dieser Trennung auf mannigfaltige Art durch Liebe vereint. Sie haben an ihr einen gemeinschaftlichen Wegweiser, Schutzgott und Belohner, ob sie gleich auf verschiedenen Wegen wandeln, und sich einer anscheinend verschiedenen Bestimmung widmen. Sie treffen doch in ihrem Bestreben, die zusammengesetzte Person achtungswürdig zu machen, so wie in dem Bewußtseyn, daß sie durch ihre Vereinigung vollständiger und vortrefflicher geworden sind, als sie es einsam waren, wieder zusammen. Sie fühlen unaufhörlich, daß ihre Thätigkeit einen erhöheten Schwung erhalten hat, und daß sie auf eine Muße rechnen dürfen, die dem isolierten Menschen nicht zu Theil wird.

Die meisten Liebenden fehlen, indem sie diese Wahrheit aus den Augen setzen. Für die Liebe leben, heißt ihnen diese unaufhörlich bezeugen. Sie werden sich dadurch einander lästig. Es kommt ein Mißverhältniß in ihre Lage zu der ganzen übrigen Welt. Sie fühlen, daß sie nicht dasjenige sind, was sie als selbständige Menschen seyn sollen, und daß sie nicht dasjenige seyn können, was das Ideal einer ganz zusammengesetzten Person voraussetzt. Man fängt an sich peinigende Vorwürfe über den Verlust der Zeit, über seine vernachlässigte Bestimmung zu machen; dann schleicht sich Langeweile hinzu, und man hört damit auf, sich entweder gezwängt bey einander zu fühlen, oder sich ganz von einander zu trennen.

Diese Gefahr ist da nicht zu besorgen, wo Liebende sich bestimmten, von der Zärtlichkeit noch unabhängigen Geschäften widmen; und eine der Hauptregeln, um die Liebe dauerhaft zu erhalten, ist diese: arbeite! Die glücklichsten Ehen finden sich im Mittelstande, wo die Gatten durch angewiesene Geschäfte gezwungen werden, sich zuweilen zu trennen, um sich mit erhöheter Freude wieder zu vereinigen. Wo dieß wegfällt, da werden sie sich oft quälen und sich entzweyen müssen, um nur in dem Geschäfte der Wiedervereinigung Mittel gegen Einförmigkeit und Langeweile zu finden.

Es ist aber nicht genug, daß man sich überhaupt etwas zu thun mache, etwas um die Hand nehme; die Beschäftigung muß von der Art seyn, daß unsere Kräfte auf einen bestimmten Zweck hingeleitet werden, der mit der edleren Bestimmung des Menschen, Wahrheit und Vollkommenheit zu suchen, und Glück zu verbreiten, im Verhältnisse steht. Jene unbestimmte Thätigkeit, die nichts als ein süßes Nichtsthun in sich faßt, ist dem Charakter und der Liebe eben so gefährlich, als eine völlige Unthätigkeit. Aus diesem Grunde sind so viele Ehen unter den Reichen und Vornehmen unglücklich. Die Gatten fühlen daß sie Geschäfte haben müssen, aber sie machen sich dergleichen aus Zerstreuungen, die eigentlich nur zur Erholung dienen sollen. Sie lesen ein wenig, sie treiben ein wenig die schönen Künste, sie verschönern ein wenig ihr Gut und ihren Garten; alles ohne Zweck, ohne Regsamkeit des Triebes nach Vollkommenheit. Aber dieß reicht nicht hin, uns vor den Gefahren der Langenweile, und vor dem quälenden Bewußtseyn einer verfehlten Bestimmung zu bewahren. Nein! Wollen wir lesen, so geschehe es um uns zu unterrichten, um eine gewisse Vollständigkeit in unsere Kenntnisse, eine größere Richtigkeit in unsere Urtheile zu bringen: wollen wir uns den schönen Künsten widmen, so sey es, um in ihrer Ausübung, oder in unserm Geschmack einen gewissen Grad von Vortrefflichkeit zu erreichen. Die edelste Bestimmung werden wir aber dann unserm Thätigkeitstriebe geben, wenn wir durch unsere Arbeiten und Bemühungen den Mitbürgern, den Miteinwohnern eines Orts oder eines Hauses nützlich zu werden streben.

Bey unserm Geschlechte findet sich ein solcher bestimmter Zweck schon leichter. Bey dem zärteren Geschlechte ist es oft schwer, ihn vor Augen zu setzen. Inzwischen wird die Frau, bey der einmahl der Trieb nach Vollkommenheit erwacht ist, und die der Stimme der Vernunft Gehör giebt, gleichfalls ein bestimmtes Ziel ihrer Emsigkeit zu finden wissen. Es muß die Hauptsorge des Mannes seyn, dieß mit ihr aufzusuchen, und ihr einen Reitz darin anschaulich zu machen, der sie fesselt. Hat sie mehrere Kinder, besonders Töchter, wie ist ihr dann auf einmahl geholfen! Welch eine dankbare Erinnerung wird sie nach sich lassen durch das Verdienst, das sie sich um ihre Bildung erworben hat! Fällt dieser Zweck weg, so kann ein weitläuftiger Haushalt ihre emsige Besorgung an sich ziehen. Fehlt auch dieser, so haben die Armen des Orts, so hat die Oberaufsicht über die weiblichen Arbeiten einer Fabrik, oder einzelner Handwerkerinnen Anspruch auf ihre Thätigkeit. Hat sie entschiedenes Talent zu den schönen Künsten, so wird das Bestreben, es darin zu einem gewissen Grade der Vollkommenheit zu bringen, einen großen Theil ihrer Zeit füllen. Die Sorge für die Einigkeit und das Vergnügen der größeren örtlichen Gesellschaft, für die Bildung ihres eigenen Geistes zur Unterhaltung engerer geselliger Zirkel, ist wieder eine ihr angemessene Bestimmung. Fühlt sie den Affekt des Wissens, so suche sie in diejenigen Kenntnisse, die zu den Kräften ihres Geistes passen, Vollständigkeit und Vortrefflichkeit zu bringen. Ist ihr endlich gar schriftstellerisches Talent verliehen, so wird auch dieß ein Ziel seyn, das nicht unter allen Umständen verdammlich und tadelnswerth ist. Jede bestimmte Beschäftigung, die mit Wahrheit und Tüchtigkeit vereinbar ist, und, nach einem wohlgeordneten Plane eingerichtet, auf einen scharf ins Auge gefaßten Zweck losarbeitet, ist lobenswerth, füllt Geist und Herz, sichert vor tausend Fehlern und Verirrungen, und macht uns zufrieden mit uns selbst und andern.

Müssiggang, und du, zweckloser Zeitvertreib! Ihr seyd die Pest der Seele und der Liebe! Durch euch verfällt der Mensch auf den gefährlichen Ausweg, ein Herz zu tyrannisieren, um der Unruhe einer quälenden Unthätigkeit zu entgehen, und sich eine bestimmtere Beschäftigung zu verschaffen! Durch euch wird der Mensch verleitet, in der Annahme fader Huldigungen, die seiner Eitelkeit schmeicheln, eine Ausfüllung der Leere seines Geistes zu suchen, oder die Zeit mit kindischen Tändeleyen zu tödten! Wie ich sie hasse, jene Weiber, deren rastloser Geist in der Qual ihrer Liebhaber Frieden vor sich selbst sucht! Wie sie mir unerträglich sind, jene sogenannten artigen Weiber, die ihrer Angabe nach nicht ohne Liebe leben können, aber im Grunde nur einen Gespielen an ihrer Seite haben wollen, mit dem sie ihre Zeit zwischen Liebäugeln, Schäkern und Trällern verbringen! Wie unerträglich! aber auch wie unbegreiflich! Nein, ich sage es dreist: hätte ich zwischen diesen Geschöpfen, so voller Geist und Talente sie seyn mögen, und einer Nätherin zu wählen, die bey ärmlichem Verstande nach einer arbeitsamen Woche am Sonntage mir ihr volles warmes Herz zubrächte; ich hielte es länger aus mit dieser als mit jenen!

Aber hütet euch nun auch, euch dergestalt mit Geschäften des Berufs zu überladen, euch dergestalt den Zerstreuungen der größern Gesellschaft zu überlassen, daß ihr entweder gar keine Muße übrig behaltet, die der Liebe geweihet werden könne, oder daß ihr dem Geliebten nur die Hefen eures Geistes zubringen müsset. Die Veredlung des Genusses, welchen die Zärtlichkeit darbiethet, die Veredlung der Mittel sie dauerhaft zu erhalten, verlangt allerdings ein gewisses Studium, eine gewisse Vorbereitung, eine gewisse Aufmerksamkeit auf uns selbst und den Geliebten, die weder von demjenigen zu erwarten sind, der sich ganz von Berufsgeschäften niedergedrückt fühlt, noch von demjenigen, der in dem Strome der großen Welt völlig aus einander fließt. Sagt nicht daß die Liebe ein zu spielendes Verhältniß sey, um ihr eine anhaltende Sorgfalt zu widmen: sagt nicht, daß die Ehe, die billig auf Zärtlichkeit gegründet seyn sollte, ein zu ernsthaftes Verhältniß sey, um für Unterhaltung und Belustigung zu sorgen. Was kann ernsthafter seyn, als das Geschäft, einen andern Menschen mit uns zu beglücken! Wer kann den Anspruch ableugnen, den die zärtlich zusammengesetzte Person auf eine schön ausgefüllte Muße zu machen berechtigt ist! Ja! ich behaupte es dreist, edel Liebende müssen auf alles aufmerken, müssen alles sammeln, was ihnen einzeln aufstößt, um den Stoff der Unterhaltung für ihre Zusammenkünfte zu vervielfältigen. Sie müssen sich darauf vorbereiten, die Stunden ihrer Vereinigung schmackhafter zu machen: sie müssen sich zusammenfassen, um die Pflichten der Liebe besser zu erfüllen, und ihre Gestalt zu verschönern. Daß diese Bemühung nicht in Steifigkeit ausarte, nicht das Gefühl der Behaglichkeit beym traulichen Zusammenseyn störe, dafür sichern die fremden Geschäfte, welche den Uebermuth des Geistes zügeln; dafür sichert ein tiefgerührtes Herz!


Fünftes Kapitel.
Mittel, um sich immer neu zu bleiben, ohne einander unbekannt zu werden.

Neuheit ist eines der wirksamsten Mittel, wodurch die Sinnlichkeit des Menschen gereitzt wird. Auf dieser Erfahrung, verbunden mit jener, daß das Bedürfniß jeden Genuß würzt, beruht die Richtigkeit der Maxime: entbehre und genieße!

Ich habe oft bemerkt, daß Verbindungen zwischen ehelosen Personen, die nicht bey einander wohnen, und sich wenigstens durch den Anstand in ihrer Neigung, sich täglich und stündlich zu sehen, beschränkt fühlen, länger von warmer, mit leidenschaftlichen Aufwallungen verbundener Zärtlichkeit beseelt werden, als Ehen, die den Verbündeten das Recht geben, ganz mit einander zu leben. Ich habe daraus geschlossen, daß es vielleicht nützlich seyn könnte, wenn in den höheren Ständen die Gatten verschiedene Häuser bewohnten, und zwey Haushaltungen ausmachten. Allein eine solche Einrichtung streitet zu sehr mit der Natur der Geschlechtssympathie, und mit unsern bürgerlichen Einrichtungen, hindert überher zu sehr die Angewöhnung, auf welcher die Anhänglichkeit der Gatten unter einander, und zwischen Eltern und Kindern beruht, als das ich im Allgemeinen dazu rathen könnte. [41]

Inzwischen führt mich doch jene Erfahrung auf die Maxime, den Genuß des häuslichen Zusammenlebens und der Absonderung von aller andern Gesellschaft mit weiser Oekonomie einzunehmen, damit sich die Liebenden nicht zu gewöhnlich werden.

Junge Personen, die nach Ueberwindung einiger Hindernisse, welche sich ihrer Verbindung entgegensetzten, vereinigt werden, pflegen sich, verführt durch den Wahn, als wenn sie sich nun ganz allein genug waren, in die Einsamkeit zurückzuziehen, und ohne Unterlaß bey einander zu seyn. Dieser süße Genuß dauert nur eine Zeitlang. Man verliert sehr bald das Gefühl, daß die Person, mit der wir nach Vereinigung streben, ein selbständiges Wesen für sich sey. Wir betrachten sie bald als ein uns zugeeignetes Gut, und mit der Sicherheit des Besitzes geht das Streben der Zärtlichkeit verloren. Man wird sich einander gewöhnlich: man fühlt wieder das Bedürfniß, sich an etwas zu hängen, was von uns getrennt sey: man sucht sich von dem beständigen Begleiter zu isolieren, und das Gefühl, ihn nicht los werden zu können macht ihn unerträglich. Schon an sich gehört die Macht, zuweilen einsam seyn zu können, zu dem Gefühle der Freyheit, das kein Mensch ungestraft auf die Länge aufopfert. Außerdem ist es unmöglich, bey einem solchen ungetrennten Zusammenleben nicht manche Schwäche zu zeigen, welche die Achtung, die so wichtig zur Dauer der Liebe ist, unvermerkt schwächt. Es ist unmöglich, sich dem Ausbruche gewisser Launen, welche das Glück des Verbündeten so leicht stören, immer mit Vortheil zu widersetzen. Es ist unmöglich, nicht in eine gewisse Einseitigkeit zu verfallen, wenn man sich von anderer Gesellschaft ganz abzieht, und sich bloß auf den Austausch der Ideen unter einander beschränkt.

Diesen Gefahren entgeht man bey einer weisen Oekonomie in dem Genusse des ungetrennten Zusammenlebens. Es ist nothwendig, daß man sich zuweilen die Wonne des einsamen Beyeinanderseyns versage; daß man sich zuweilen durch Fremde stören lasse, um Abwechselung in dem Gange unserer Ideen hervorbringen, und das Gefühl rege zu erhalten: es ist doch nirgends besser als in unserer Einsamkeit!

Auf eben diesen Gründen beruht die Maxime: den Genuß physischer Freuden mit Mäßigung einzunehmen. Es treten noch andere Gründe herzu, die sie empfehlen. Dasjenige, was wir uns in diesem Punkte zuweilen versagen, schlägt gewiß zum Vortheil der Liebe und unserer Zufriedenheit aus. Die gehemmte Lüsternheit erhöht ihren Reitz und verstärkt die Einbildungskraft. Weiber die ihr unserm Ungestüm durch eben so schamhafte als kluge Weigerungen begegnet, laßt euch durch unsern vorübergehenden Unmuth nicht irre machen! Am Ende erhöht ihr doch immer die Achtung, die wir für eure Klugheit, Festigkeit und weibliche Zartheit hegen müssen, wenn wir anders überzeugt sind, daß nicht Kälte des Bluts und des Herzens bey eurer Handlungsart zum Grunde liege! Unbescheidenheit des Mannes, gar zu große Willfährigkeit des Weibes in diesem Stücke, sind gefährliche Klippen, an denen die Zärtlichkeit scheitert.

Sucht Abwechselung in alle Freuden zu bringen! Wählt nicht immer einerley Unterhaltung! Die schönste Belustigung ermüdet, wenn sie täglich wiederholt wird. Es sey eure Sorge, die Mittel zum Zeitvertreibe zu vervielfältigen, und den Reichthum der Gefühle und Ideen, die ihr dem Verbündeten in der Unterredung zuführt, zu vermehren!

Aber vergeßt nun auch nicht, daß, wenn kleine Trennungen die Liebe erhöhen, größere sie aufheben! Daß der Geliebte sich nicht daran gewöhne, einsam zu seyn, oder nur in größeren Gesellschaften Unterhaltung zu finden, oder gar das traulichere Zusammenseyn bey einem Dritten aufzusuchen! Uebertreibt nicht die Sorge für Abwechselung; selbst das immer Neuseyn kann alt und ermüdend werden! Uebertreibt nicht das Interesse der Unterhaltung, die ihr mit und bey einander aufsucht. Ihr müßt sogar zuweilen dumm bey einander seyn können! Der Geist hält die Spannung nicht aus, die ihm durch ein anhaltendes und stets wachsendes Interesse der geselligen Mittheilung zugeführt wird. Auch hierin versehen es oft junge zur Begeisterung aufgelegte Gemüther. Sie haben sich dergestalt an die Süßigkeit und den hohen Schwung gewisser schwärmerischer Unterhaltungen gewöhnt, daß ihnen nachher alles andere schmacklos scheint, und dennoch verliert sich selbst der Reitz des Höchsten durch oft wiederholten Genuß. Sie gleichen dann in ihrer Abspannung dem Orientaler, der sich in Opium berauscht hatte, und nun das ganze Widrige der Nüchternheit und der Erschlaffung fühlet. Sie werden sich in ihrem gewöhnlichen Zustande unbekannt und müssen sich trennen, um bey andern eine neue Anspannung und Füllung ihrer Phantasie zu suchen, worunter sie sich und den Genuß der Liebe allein wieder erkennen mögen.


Sechstes Kapitel.
Mittel, um immer schön zu bleiben.

Die Sinne haben einen großen Antheil an der Zärtlichkeit; einen noch größern hat daran der niedere Beschauungshang. Es ist unmöglich, daß die körperliche Wohlgestalt nicht ein Raub der Jahre werde; es ist unmöglich, daß sich nicht der üppige Körperbau verliere, der die Lüsternheit unmittelbar aufreitzt. Aber es ist möglich, daß unser Aeußeres, das sich nicht auf die körperliche Wohlgestalt allein beschränkt, dennoch fortdauernd die Wonne des Schönen erwecke, und dadurch mittelbar den Geist in eine Ueppigkeit und Lüsternheit versetze, die wieder in dem Körper ähnliche Wirkungen hervorbringt.

Ich habe schon oft in diesem Werke auf den genauen Zusammenhang des Schönheitssinnes mit der Geschlechtssympathie, und der Stimmung des Körpers mit der der Seelen aufmerksam gemacht. Ich wiederhole es hier: Weiber, die weder wohlgestaltet noch üppig gebauet sind, können noch Gefühle des Schönen, ja der Ueppigkeit und Lüsternheit erwecken; oft in stärkerer Maße, als wirklich wohlgestaltete, wirklich üppig gebauete Schönen! Wodurch? Durch Formen, die nicht unmittelbar ihrem Körper gehören, die aber, weil sie ihm nahe liegen, oft mit ihm verwechselt werden, durch die Nettigkeit, durch die Ueppigkeit, durch den Geschmack, der in ihrer Kleidung, in ihrem Putze herrscht; durch den gefälligen Ausdruck ihrer Geberden und Mienen, kurz, durch alles, wodurch sich die Person des Menschen in seinem Aeußeren ankündigt.

Nichts ist gewöhnlicher, als daß Liebende nach der Ehe ihre Außenseite entweder ganz vernachläßigen, oder durch eine verkehrte Sorge dafür die unvermeidlichen Mängel, welche die Jahre in der Gestalt herbeyführen, noch auffallender machen. Beydes ist höchst unweise, und besteht weder mit den Pflichten die wir uns selbst, noch mit denen, die wir der zusammengesetzten Person schuldig sind.

Es ist bemerkenswerth, in welchem genauen Verhältnisse Reinlichkeit und ihr Bild, die Weiße, mit den niedrigen Sinnen steht. Schmutz ist der Tod der Begierde bey Menschen, die nur bis zu einem gewissen Grade von Verfeinerung gekommen sind. Nachlässigkeit im Anzuge und im Geräthe schließt sich hart an jenen Fehler an, während daß Sorgfalt in diesem Stücke den Reitz, den das Reinliche für die niedrigsten Sinne hat, mit einem andern für den Beschauungshang, unter dem mehrbedeutenden Nahmen der Nettigkeit, verbindet. Ordnung, Geschmack, Eleganz im Anzuge hebt dann das Nette zu einem wahren ästhetisch schönen Gegenstande, indem Formen, die den niedern Beschauungshang reitzen, unter Gesetze des Wahren und Zweckmäßigen gebracht werden. Dieser schöne Anzug, an einem weiblichen Körper angetroffen, regt leicht verwandte Ideen von wahrer Wohlgestalt der zärteren Art auf, und ladet nicht selten die Seele zugleich zu üppigen und lüsternen Gefühlen ein, die sich dem Körper um so leichter mittheilen, wenn sie durch dankbare und angewöhnte Erinnerungen vormahliger Wohlgestalt unterstützt werden. Daher kommt es, daß die abnehmende Schönheit der Weiber durch den Putz unterstützt wird, und daß uns oft die sorgfältig gekleidete Gattin zu Begierden einladen kann, welche die unsorgfältig gekleidete nicht mehr einflößen könnte.

Diese Sorge für den Anzug und den Putz, wenn sie mit Geschmack verbunden seyn soll, setzt allemahl Uebereinstimmung mit dem Charakter und den Lagen der Person voraus, und läßt sich mit sittlicher Würde sehr wohl vereinigen. Sie ist kein gleichgültiges Mittel, um die Zärtlichkeit dauerhaft zu machen. Demjenigen, der dieß leugnen wollte, würde ich entweder Mangel an Erfahrung, oder an Verfeinerung der Sinnlichkeit zuschreiben.

Eben so wichtig als die Sorge für den Anzug und den Putz ist die Sorge für alle Beywerke, die uns umringen. O! diejenigen, welche die Freuden der Sinnlichkeit in ihrer ganzen Feinheit ausgekostet haben, wissen, welchen Einfluß Zimmer, Meublen, Geräthschaften aller Art, durch Nettigkeit, Wohlgestalt, Ueppigkeit ihrer Formen, und durch die Lieblichkeit ihrer Atmosphäre auf die freyere Wirksamkeit unserer Begierden, auf die höhere Behaglichkeit des Körpers überhaupt, und besonders auch auf die Wonne des Beschauungshanges haben! – Bis ins späteste Alter hinauf erhält sich der Reitz des lieblichen Ausdrucks in Mienen und Geberden. Er modificiert sich anders in der Jugend, anders im reiferen Alter, anders bey eintretender Abnahme der Kräfte. Aber in allen ihren verschiedenen Erscheinungen werden Lebhaftigkeit, Heiterkeit des Geistes, Wohlwollen, Menschenfreundlichkeit des Herzens, Schönheitssinn sogar, sich offenbaren können. Ich habe Frauen im hohen Alter gekannt, die dadurch ihre Runzeln vergessen machten, und diesem Ausdrucke hat Ninon gewiß hauptsächlich die heftige Sensation verdanken müssen, die sie noch in späten Jahren auf die Sinnlichkeit der Jugend gemacht hat.

So wichtig die Sorge für unser Aeußeres ist, so sehr hat man sich zu hüten, nicht in Coquetterie und Ziererey zu verfallen. Es ist nichts, was so leicht Ekel erweckt, als das Alter, das im Anzuge, im Anstande, im ganzen Betragen sich der Jugend gleich stellt; es ist nichts, was den guten Geschmack so leicht beleidigt, als wenn jede Mode, ohne Rücksicht darauf, ob sie sich für die individuelle Person paßt, unbedingt mitgemacht wird. Eine übertriebene Sorge für den Anzug und den Putz, die Verlust an Zeit und Vermögen nach sich zieht, verträgt sich in keinem Alter mit einer edlen Denkungsart, und das sicherste Mittel, lächerlich zu werden, ist dieß, Ansprüche in unserm Aeußeren anzukündigen, die mit dem Charakter unserer Gestalt, unserer Seele und unserer Verhältnisse streiten!


Siebentes Kapitel.
Mittel, um immer interessant und wichtig zu bleiben.

Es ist den Liebenden hoher Genuß, das Unglück das dem einen von ihnen widerfährt, gemeinschaftlich zu tragen, und sich zu einem Schicksale zu verbinden. Aber es kann unserm Herzen auch zu viel aufgelegt werden, und das Gefühl, den Verbündeten immer leidend, immer trauernd zu sehen, erkältet leicht das Streben nach Vereinigung der Wesen, wenn gleich unsere Pflicht uns fernerhin zum Mitleiden und zur Hülfe auffordert. Inzwischen hängt Glück, Gesundheit, Frohsinn nicht von uns ab. Ist es möglich, daß wir dem Verbündeten den Anblick unserer Leiden ganz entziehen können? Gewiß nicht! Aber was wir können, was uns zu Gebote steht, ist jene Geduld, jene Fassung, jene Ruhe, womit wir unsern Geist über das Zufällige hinaus heben, und allen Angriffen des feindlichen Schicksals einen gefaßten Sinn entgegensetzen. Nichts interessiert die Sympathie so sehr, als dieser Anblick, verbunden mit der Ahndung, daß der Geliebte dem Liebenden einen Theil seiner Leiden aus Delicatesse entzieht, und ihn nicht durch ewige Klagen ermüdet. Diese kluge Vorsicht erhöhet zugleich das Gefühl der Selbständigkeit und der Achtung.

Eine andere Vorsicht, welche Liebende anzuwenden haben, ist diese, sich nicht durch übertriebene Fürsorge, und übertriebene Aeußerungen des Antheils, den sie an einander nehmen, lästig zu werden. So wohlthuend es ist, ein Wesen neben uns zu sehen, das alle unsere Bedürfnisse ahndet, eifrig bemüht ist, ihnen abzuhelfen, und wenn es keine Hülfe zu geben weiß, uns wenigstens aufrichtige Theilnehmung schenkt; so leicht kann doch ein andringliches Ausspähen, eine kindische Aengstlichkeit, ein unruhiges Umhertreiben, widrig werden. Es ist schwer, hier die wahre Mittelstraße zu halten. Aber Delicatesse der Empfindungen, und Kenntniß des individuellen Charakters des Verbündeten wird sie zu finden und zu bewahren wissen.

Coquetten nutzen oft das Mittel, die Eifersucht anzufachen, um durch die Furcht, daß ihr Herz verloren werden könnte, den Geliebten zu fesseln. Ein trauriges Mittel für ein zärtliches Herz, das gequält, das geängstigt werden soll, um erhalten zu werden! Wahre Liebe wird es nie gebrauchen. Demungeachtet ist die Vorsicht nicht zu tadeln, dem Liebhaber fühlen zu lassen, daß unsere Treue nicht von dem Bewußtseyn abhängt, daß unser Herz von andern verschmähet werden dürfte; ihn fühlen zu lassen, daß unsere gesellige Liebenswürdigkeit den Zirkel, der sich um uns herum versammelt, eben so sehr anzieht, als das Gefühl unserer Würde ihn in achtungsvoller Entfernung hält. Dadurch wird der Stolz auf unsern Besitz erhöhet, und das Bestreben gestärkt, ihn zu erhalten.

Höchst wichtig zur Dauer der Liebe ist noch die Erkenntniß, daß wir durch unsere Verbindung mit dem Geliebten an Ansehn, an Glücksgütern, an Bequemlichkeit, u. s. w. gewinnen. Wir bleiben Menschen, wir haben eine Selbstheit, die früh oder spät durchbricht! Der edelste Mensch braucht sich weder der Freude zu schämen, daß er durch das Ansehn, welches die Hälfte seines Wesens genießt, selbst an Ansehn gewinne, noch derjenigen, daß sein Wohlstand durch ihre haushälterischen Sorgen zunimmt. Das Gefühl der Werthschätzung verträgt sich mit der Liebe!

Achtes Kapitel.
Ohne Achtung besteht keine Liebe. In wie fern dieser Grundsatz wahr sey? Nöthige Vorsicht bey seiner Anwendung.

Ohne Achtung besteht keine Liebe, pflegt man gemeiniglich zu sagen. Allein dieser Grundsatz ist nicht allgemein wahr, wenn man den Sinn des Wortes Achtung genau faßt. Richtiger würde man sagen: es giebt auf die Dauer keine Liebe, wo das Gefühl der Neuheit, des Schönen, des sympathetisch Interessanten, und des Schätzungswerthen für die Selbstheit wegfällt. Denn wie ich oft gesagt habe, alle diese Empfindungen, welche von den liebenden noch verschieden sind, machen doch Ingredienzen der zärtlichen oder leidenschaftlichen Anhänglichkeit an der Person aus.

Wie viele Männer habe ich nicht gekannt, die an ihren Weibern mit dauernder Zärtlichkeit hingen, so sehr sie von ihrem moralischen Unwerth überzeugt waren! Achtung war es nicht was sie fesselte! Aber Sinnlichkeit, der oft Versagungen entgegengesetzt wurden, Eitelkeit auf den Besitz einer schönen, vornehmen und allgemein artig gefundenen Genossin ihrer Verhältnisse, Befriedigung des Eigennutzes, der sich von der unterhaltenden Gesellschafterin belustigt, oder von der klugen Rathgeberin wohlgeleitet fühlte, endlich Angewöhnung an die Person hielt sie in ihren schimpflichen Banden auf. Wie häufig sind die Erfahrungen, daß auch das zärtere Geschlecht bey aller Ueberzeugung von der Ausgelassenheit des Geliebten eine Leidenschaft, vor der es selbst erröthet, nicht zu überwinden vermag!

Der Satz: ohne Achtung besteht keine Liebe, ist also nicht bey allen Menschen überhaupt, sondern nur bey edleren Seelen wahr. Diese fordern Befriedigung der Forderungen der Sittlichkeit durch die Aufführung des geliebten Genossen. Diese müssen den Menschen, an dem sie hängen, strebend nach Nutzbarkeit und Nützlichseyn für die Menschheit in ihm selbst und andern finden. Zwar ist Tugend eben so wenig für sie als für alle andere Menschen ein unbedingtes Mittel Liebe zu erwecken. Zwar ist Tugend allein und für sich kein hinreichendes Mittel, sie dauerhaft zu erhalten; Achtung ist noch von Liebe unterschieden; aber sie ist eines der größten Beförderungs- und Erhaltungsmittel der Zärtlichkeit für diejenigen, welche ihren Werth zu schätzen wissen, und für diese gilt der Grundsatz: ohne Achtung besteht auf die Länge keine Liebe!

Nicht alle Schwächen, nicht alle Fehler beleidigen auf gleiche Art: ein jedes Geschlecht besitzt gewisse wesentliche Vorzüge, deren Abwesenheit bey dem andern leichter Verachtung herbeyführt, als der Mangel anderer, die ihm minder eigenthümlich zu seyn pflegen. Das Weib verzeiht dem Manne eher einen gewissen Stolz und Uebermuth, als eine kleinliche Eitelkeit und einen Mangel an Stärke und Festigkeit des Charakters. Der Mann verzeiht dem Weibe eher eine gewisse Eitelkeit, eine gewisse übertriebene Zartheit, als den Mangel an Schamhaftigkeit, Sanftmuth, wohlwollenden Neigungen und Häuslichkeit. Wo diese Fehler unbekämpft wirken, oder zu stark eingewurzelt sind, als daß wir darüber Herr werden könnten, da geht am Ende gewiß Achtung, und mit ihr Liebe verloren.

Nichts fesselt edle Seelen so sehr, als die Wahrnehmung der Perfektibilität, jenes begünstigten Strebens, immer besser, immer aufgeklärter zu werden, in dem geliebten Genossen! Sie ist der höchste Ruhm, sie ist die höchste Würde des Menschen! Wo wir sie finden, da werden wir durch die Hoffnung auf höhere Vollkommenheit des Geliebten zur Nachsicht mit seinen gegenwärtigen Fehlern aufgefordert; da werden wir zum sympathetischen Mitstreben nach dem höchsten Gute eingeladen; da wird unser Stolz auf mannigfaltige Art befriedigt. Wo aber diese Perfektibilität fehlt, wo der geliebte Genosse sich bereits vollkommen fühlt, oder aus Trägheit die Hände in den Schooß legt; da mag er auf einer noch so hohen Stufe der Moralität stehen, er wird immer Fehler behalten, er wird sie durch seine Selbstgenügsamkeit und Apathie vermehren und auffallender machen; er wird mit jedem Tage an innerm Werthe und in unserer Achtung sinken!

Oft wird Achtung für Beobachtung des Anstandes und jener äußern Formen genommen, wodurch man selbst Unbekannten den Werth, das Wohlwollen und die Aufmerksamkeit ankündigt, die wir dem Menschen und der Person in ihnen und uns schuldig sind. In diesem Sinne sagt man gleichfalls nicht mit Unrecht: ohne Achtung, d. h. ohne Beobachtung des Anstandes, der Ehrbarkeit, der Urbanität, besteht auf die Länge keine Liebe!

Es ist ein sehr gewöhnlicher, aber zugleich ein sehr gefährlicher Fehler, daß Freunde, daß Liebende, nach ihrer näheren Verbindung sich nun alles neben und gegen einander erlaubt halten, was nicht die Sittlichkeit und die Liebe unmittelbar beleidigt. Allein es giebt gewisse Handlungen, die ohne an sich sträflich zu seyn, es dadurch werden, daß sie leicht sträfliche Gesinnungen herbeyführen, und die Geringschätzung, so wie unsern eigenen Uebermuth, die Vernachlässigung der Pflichten gegen den Genossen, so wie die Sorglosigkeit, über unsere eigene Schwächen zu wachen, befördern. Es giebt gewisse Ausdrücke, gewisse Geberden, es giebt ein gewisses Betragen, die den Sinn des Schönen geradezu, und den Sinn des Edeln in feineren Beziehungen beleidigen, und die der wohlerzogene Mensch, selbst in der Einsamkeit, entweder sich nicht erlaubt, oder denen er sich, durch Bedürfniß dazu gezwungen, mit abgewandter Aufmerksamkeit von sich selbst überläßt.

Es ist höchst nöthig, daß Liebende diese Zartheit der Empfindungen in ihr äußeres Verhalten gegen einander bringen. Sie wird ihnen in mancher Rücksicht vortheilhaft seyn. Sie begünstigt den Sinn des Schönen; sie schärft die Aufmerksamkeit auf ihr sittliches und liebendes Betragen gegen einander; sie gewöhnt sie zur Uebereinstimmung ihrer äußeren Handlungsart mit ihren innern Gesinnungen; sie beugt den Ausbrüchen der Schwächen des Charakters vor, und erhält sie endlich in jener Entfernung von einander, die dem Gefühl der Neuheit, der Selbständigkeit, des Schätzungswerthen und selbst der Achtung so zuträglich ist.

So sicher die Beobachtung dieser Grundsätze bey einer behutsamen Anwendung die Dauer der Liebe befördert, so leicht kann sie durch Uebertreibung den Tod der Liebe nach sich ziehen. Man kann sich und andere zu sehr bewachen. Wer sich immer achtungswürdig zeigen will, fällt leicht in Anmaßungen, erweckt oft ein Gefühl zurückschreckender Superiorität, und die Besorgniß, daß er nicht ausgeglichen werden könne. Wer zu viel von der Perfektibilität des Genossen verlangt, bringt diesen oft zur Verzweiflung, und erweckt den Verdacht, daß es ihm weniger darauf ankomme, uns das höchste Gut der Tugend zuzuführen, als sich den Stolz und die Unterhaltung uns zu bilden, zu verschaffen. Der Ton der kalten Urbanität verscheucht alle Vertraulichkeit, und verwandelt das behagliche Zusammenseyn in zwangvolle Repräsentationsbesuche. Eine zu ängstliche Aufmerksamkeit auf das Betragen des Geliebten und unser eigenes macht uns empfindlicher gegen eingebildete Vernachlässigungen, und heischender nach kleinlichen Auszeichnungen.

Ich fühle die ganze Schwierigkeit der Befolgung meiner Lehren! Ich fühle das Unzulängliche meiner allgemeinen Vorschriften bey der speciellen Anwendung! Demungeachtet muß ich warnen! Vergeßt nicht, daß selbst die engste Vertraulichkeit ihre Grenzen hat. Vergeßt nicht, daß Achtung und Anstand nach den Verhältnissen der Zärtlichkeit und Häuslichkeit besonders modificiert seyn wollen:

Eine Menge von auffallenden Schwächen und Fehlern verlieren sich durch Angewöhnung. Man richtet sich zu einander ein, man behandelt sich gegenseitig mit der Nachsicht, worauf zum Theil die Liebe und ihr Glück beruhen. Aber manche Schwächen und Fehler werden um so unerträglicher, je häufiger und näher man ihre Folgen empfindet, je mehr man Nachsicht damit hat. Gegen diese Fehler und Schwächen seyd auf eurer Hut!

Neuntes Kapitel.
Maximen zur Erhaltung der Einigkeit.

Selbst in den zärtlichsten Verbindungen muß Selbständigkeit der Meinungen und der Handlungsweise jedem der beyden Genossen eigen seyn. Das Streben nach Vereinigung und nach gemeinschaftlichem Glück, nicht wirkliche Vereinigung, die gar nicht möglich ist, macht den Charakter der liebenden Anhänglichkeit aus. Selbständigkeit setzt Verschiedenheit in gewissen Punkten voraus, und diese muß zuweilen Zwiste herbeyführen. Es giebt keine zärtliche Verbindung, worin sich die Verbündeten nicht dann und wann uneinig fühlen sollten. Die Sorge edel Liebender geht aber dahin, die Veranlassungen zu diesen Uneinigkeiten ohne Aufopferung ihrer Selbständigkeit, möglichst zu vermeiden, und das Unangenehme welches sie mit sich führen, durch ein zartes Betragen zu mildern.

Die Hauptveranlassungen zu Zwisten in der engeren Vereinigung geben die innere häusliche Einrichtung, das Verhältniß der zusammengesetzten Person gegen die größere Gesellschaft, der Grad der Wärme, den die Geliebten in den Aeußerungen der Zärtlichkeit von einander fordern, die Erziehung der Kinder und gewisse Launen an die Hand, denen jedermann mehr oder weniger ausgesetzt ist.

Die allgemeinste und sicherste Regel, um Zänkereyen über diese Gegenstände zu vermeiden, und ihre Folgen zu schwächen, beruht darin, daß beyde Theile ihre Selbständigkeit wechselseitig anerkennen, daß jeder für sich diese Eigenthümlichkeit nach den Forderungen seines Geschlechts bewahre, und daß sie zugleich beyde von einander überzeugt sind, daß der Wunsch, die zusammengesetzte Person zu beglücken, nicht aber Selbstheit, Nachgiebigkeit von dem andern verlange.

Es liegt in der Natur der Sache, daß dem Manne die endliche Bestimmung des Charakters, den die zusammengesetzte Person in der örtlichen und bürgerlichen Gesellschaft behaupten soll, zukomme. Mich dünkt, es ist der höchste Ruhm des Weibes, wenn es durch seinen Rath den Willen des Mannes nicht ändern kann, sich in diese Bestimmung zu schicken, und dann bey der Ausführung seiner Plane die nachtheiligen Folgen derselben durch kluge Behandlung zu mindern. Es wird der Frau leicht werden, wenn sie überzeugt ist, daß der Genosse ihres Schicksals sein Wohl nicht von dem ihrigen trennt, und dieß mehr als das seinige vor Augen hat. Aber zuweilen kann ihre Selbstheit die liebenden Absichten des Mannes verkennen: und welches ist dann des letztern Pflicht? Bey einer zarten Behandlung sich dennoch unerschütterlich und fest zu zeigen! Die Frau muß sehen, daß es dem Manne wehe thut versagen zu müssen, aber sie muß zugleich die Hoffnung verlieren, ihn von dem wohl überlegten, ihr verständigten Entschlusse abzubringen. Es ist gewiß, daß die erste Schwäche, die der Mann bey einem Zwiste zeigt, worin er von seinem Rechte überzeugt ist, die Gelegenheiten und die Lust zu ferneren Zwisten mehrt, daß hingegen ein Beyspiel von Energie des Charakters, verbunden mit Liebe, dem Weibe auf lange Zeit die Lust nimmt, sich in einen ähnlichen Kampf einzulassen.

Dann ist es aber auch Pflicht des Mannes, sich um das Detail desjenigen nicht zu bekümmern, was ohne Nachtheil für die vereinigte Person der Gattin als einzelnem Individuo ihres Geschlechts, allein oder vorzüglich zu bestimmen zukommt. Nichts scheint mir lächerlicher, als wenn der Mann den Putz seiner Gattin anordnen, sich in die Führung des innern Hauswesens handelnd mischen, und sie gleichsam abrichten will, wie sie sich gegen ihre Freundinnen und gegen die örtliche Gesellschaft betragen soll. Er darf ihren Geschmack im Ganzen bilden, er darf den Fuß angeben auf dem sie leben wollen, er darf ihr vernünftige Grundsätze über ihre Würde als Mensch, als Hausmutter, als Gesellschafterin einflößen, aber er darf sie nicht wie ein Kind, wie eine Eleve, wie eine Haushälterin behandeln; er muß ihr Vertrauen zeigen, und sie dadurch auffordern, es verdienen zu wollen.

Nichts Zweckwidrigeres, nichts Empörerenderes als jener inquisitive Argwohn, jene kindische Neugierde, jene kleinliche Emsigkeit, womit der eine Gatte von allem was den andern angeht, unterrichtet seyn will! Ich kenne Familien, worin die Eheleute sich durch feyerliche Versprechungen anheischig machen, sich einander alles zu entdecken; keinen Besuch anzunehmen oder zu geben, ohne sich davon vorher zu unterrichten, ohne die Genehmigung des andern darüber zu erhalten; keinen Brief zu empfangen, ohne ihn dem andern lesen zu lassen. Alle dergleichen Mittheilungen, wenn sie zur Verbindlichkeit gemacht werden, führen am Ende das Gefühl des Zwanges, die Neigung sich dagegen aufzulehnen, Zank und wohl gar den Tod der Liebe herbey. Die Klugheit erfordert es, selbst da, wo das Herz gern Rechenschaft von den kleinsten Handlungen geben möchte, es mit einer gewissen Mäßigung zu thun, damit nicht ein Fehler der Vergessenheit für Vernachlässigung oder gar für absichtlichen Betrug gehalten werde!

Leidenschaftlich Liebende sind besonders der Gefahr ausgesetzt, sich einander unverdiente Vorwürfe über Erkaltung und Mangel an zärtlicher Aufmerksamkeit zu machen. Mit Recht behauptet man, daß Verliebte hierin den Kindern gleichen! Ich weiß kein Mittel, welches leidenschaftlich Liebende vor dieser Gefahr retten könnte. Aber in Verbindungen, welche mehr auf warmer Zärtlichkeit als auf leidenschaftlicher Stimmung beruhen, kann den Scenen welche solche Zweifel an der Wärme des Genossen hervorbringen, durch ein weises Betragen vorgebeugt werden. Gemeiniglich liegen bey solchen Unzufriedenheiten weit mehr Anmaßungen der Eitelkeit als Besorgnisse wahrer Liebe zum Grunde. Kämpfe gegen diese Schwächen an, vergiß dich selbst, laß dich von dem Begriff der Liebe ganz durchdringen, du, der du den Geliebten mit oft wiederholten Vorwürfen über geschwächte Liebe quälst! Und du, der du dadurch leidest, setze vernünftige Vorstellungen, unzweydeutige Beweise der Zärtlichkeit aber auch der Festigkeit seinen ungerechten Klagen entgegen! Es giebt einen Mittelweg zwischen unbedingter Nachgiebigkeit und kalter, stolzer Abweisung anmaßender Forderungen, und diesen schlage ein! Besonders in den ersten Zeiten der Verbindung wird dieß Betragen wichtig! Wenn du einmahl den Geliebten an Huldigungen seiner Eitelkeit gewöhnt hast, dann wird es schwer dem Verdacht zu entgehen, daß die Veränderung in deinem Betragen nicht einem Wechsel in deinen Gesinnungen zuzuschreiben sey!

Das zärtere Geschlecht ist vermöge der Weichheit seines Herzens sehr geneigt, die Kinder, die Früchte der Liebe, zu verzärteln, und durch Mangel an Festigkeit fehlerhafte Neigungen in jungen Gemüthern Wurzel fassen zu lassen. Der Mann ist dagegen von seiner Seite dem Fehler ausgesetzt, zu viel von dem Kinde in früheren Zeiten zu verlangen, und dabey nicht selten mehr auf seine Ruhe und die Ausführung seiner Grundsätze, als auf das Beste des Kindes Rücksicht zu nehmen. Auch hierin ist der Keim zu manchen Zwisten unter Gatten zu suchen. Wie leicht wird die Frau eine vernünftige Strenge auf Rechnung egoistischer Härte setzen! Wie leicht wird der Mann eine eben so vernünftige Langmuth einer Schwäche des Charakters zuschreiben! Gegenseitige Achtung und Liebe werden diese Gefahren mindern, aber schwerlich ganz aufheben. Jeder Theil hält sich um so mehr berechtigt, hier seiner Ueberzeugung zu folgen, da er einen gleichen Antheil an dem Wohl des gemeinschaftlichen Gegenstandes ihrer Pflichten und ihrer Sorgen nimmt. Verzeiht es, ihr weichgeschaffenen Mütter! Am Ende bleibt doch auch hier dem Vater das Recht zu bestimmen, und der Mutter nur das, bey der Ausführung das Fehlerhafte seiner Grundsätze zu mildern. Sie kann es mit desto größerer Sicherheit thun, da, nach allen meinen Erfahrungen, ein Uebermaß von Strenge immer weniger schadet, als übertriebene Nachgiebigkeit. Aber wie wird auch der Mann, wie ich ihn mir denke, sanften und vernünftigen Vorstellungen der Geliebten seines Herzens, der Genossin seines Schicksals, der Mitzeugerin, der Mitbilderin seiner Kinder nicht gern Gehör geben! Sollte ihn aber die Hitze übereilen, o Weiber, laßt die Mutter einen Augenblick der Geliebten nachstehen, um jener im folgenden ihren Sieg zu sichern! Welcher Mann würde dem Beweise der Zärtlichkeit widerstehen, den ihm die Geliebte durch Aufopferung der Ausbrüche der Mutterliebe bringt; welcher Unmensch würde einen wiederholten Beweis dieser Art ohne die höchste Noth fordern können!

Oft liegt der Grund zu Zwisten unter den Liebenden in gewissen Launen, deren Aeußerungen kaum ohne Widerwillen und Auflehnung von dem Verbündeten getragen werden mögen. Der Zustand des Körpers hat gemeiniglich einen großen Antheil daran. Aber unser moralisches Wesen bleibt darum nicht frey von Vorwürfen, wenn wir uns ihnen überlassen, und ihre Folgen dem Gefährten unsers Lebens nicht ersparen.

Eben jene Vorsicht, die ich vorhin empfohlen habe, sich zuweilen zu trennen und in die Einsamkeit zurückzuziehen, gewährt den Vortheil, in Stunden, worin wir dem Anfall jener Launen ausgesetzt sind, uns dem Anblick und der Gesellschaft des Geliebten zu entziehen. Es ist auch unstreitig gewiß, daß unsere Seele, wenn sie es ernsthaft will, über die traurige Stimmung, in welche uns der Körper versetzt, manchen Sieg davon tragen mag. Wir sehen dieß, wenn wir auf das Betragen der Hypochondristen und selbst der Wahnsinnigen merken die in Gegenwart solcher Personen, denen sie Ehrfurcht schuldig zu seyn glauben, sich zwingen können, und ihrer übeln Laune oder ihrer Narrheit Einhalt thun. Eben so wird der Ton der Urbanität, der unter Gatten eingeführt ist, und noch mehr die Achtung, mit der sie sich einander ergeben sind, die Ausbrüche des Unmuths, der auf körperlicher Indisposition beruht, hemmen, und vielleicht eben dadurch lindern mögen, weil wir ihm nicht nachhängen dürfen.

Wie viel häufiger aber ist nicht der Fall, daß diese Launen ihren Grund in unbestimmten und übertriebenen Anmaßungen, in Versagungen einer kleinlichen Eitelkeit haben! Und dann liegt die Schuld ganz an uns, wenn wir über sie nicht Herr werden, und andere darunter leiden lassen. O wie wohlthätig wird hier jene Arbeitsamkeit, die das schwelgende Aufschießen unserer Kräfte beschneidet und leitet, und uns das Gefühl innerer Würdigkeit zum Halt und zum Troste darbiethet!

Und du, der du durch diese Launen des Genossen leidest: komm ihm zu Hülfe! Schone seiner, wenn du ihn aufrichtig gegen seine Schwächen ankämpfen siehst; trage ihre unwillkührlichen Ausbrüche mit weiser, sanfter Nachsicht! Aber verzärtele ihn nicht, wenn du bemerkst, daß er sich ihnen ohne Widerstand überläßt. Freylich wirst du ihn nicht in dem ersten Anfalle seiner übeln Laune durch Kälte und Spott erbittern dürfen! Aber dein gekränktes Herz wird ihm doch, wenn dieser Anfall vorüber ist, es bemerklich machen müssen, daß selbst die Liebe es dir zur Pflicht macht, den Frevel der an ihr begangen wird, nicht ungeahndet zu lassen.


Zehntes Kapitel.
Mittel, um den Gefahren der Eifersucht vorzubeugen.

Schrecklichste der Qualen, Quelle der höchsten Leiden für denjenigen, der sie empfindet und wenn er zärter fühlt, auch für denjenigen, der sie erregt, Eifersucht! warum muß ich mich hier deiner erinnern, warum darf ich von dir nicht schweigen! Du verführst uns oft zu Ungerechtigkeiten, die entweder die Liebe auf einmahl endigen, oder ihr allmähliges Hinsterben befördern!

Es ist gewiß, daß nicht alle Eifersucht Folge der Liebe ist. Oft geht diese Leidenschaft sogar mit Haß und Verachtung zusammen. Es giebt Menschen, welche nicht die Gewißheit von der begangenen Untreue, sondern den Gedanken scheuen, daß sie betrogen werden können; daß ihr Scharfsinn fehl sehen möge. Es giebt andere, die aus bloßem Neide andern den Besitz eines Herzens mißgönnen, das sie selbst verschmähen. Es giebt wieder andere, die nur die Folge der Untreue für ihre Existimation in der Gesellschaft, und für ihr häusliches Verhältniß fürchten. Endlich ist die Classe derjenigen die häufigste, die aus kleinlicher Eitelkeit und Selbstsucht zum Argwohn aufgelegt, jede Auszeichnung die einem andern widerfährt als einen Raub der Huldigungen betrachten, die sie für sich ausschließend verlangen.

Diesen niedrigen Arten der Eifersucht werden edle Seelen keinen Raum in ihrem Herzen, geben. Aber werden sie überhaupt Eifersucht empfinden, wenn sie den Gegenstand ihrer Zärtlichkeit achten, und von seiner Liebe gewiß sind? Wenn es wahr ist, daß es Eifersucht ohne Liebe giebt, ist es denn auf der andern Seite auch wahr, daß keine Liebe ohne Eifersucht bestehe?

Billig muß man die einzelnen Aufwallungen der Besorgniß, daß ein anderer durch höhere Talente zu gefallen, wenn gleich nicht durch höhere Aufopferungen, das Herz, auf dessen Besitz wir stolz sind, an sich ziehen möge, von der leidenschaftlichen Stimmung zum Argwohn leichtsinniger Untreue unterscheiden. Jenen einzelnen Affekten der Eifersucht wird auch das edelste Herz, bey der festesten Ueberzeugung von der Liebe und Treue des Verbündeten zuweilen unterworfen seyn; es wird ihnen um so mehr unterworfen seyn, wenn es leidenschaftlich liebt, und die Verbindung noch nicht den ruhigen Gang der Zärtlichkeit genommen hat. Aber überhaupt ist jede wahre Liebe schüchtern und bescheiden, und gewisse Anfälle von Furcht, das gewonnene Herz zu verlieren, es wenigstens erkaltet zu sehen, lassen sich von ihr nicht trennen.

Ganz verschieden von diesen einzelnen Aufwallungen der Eifersucht ist aber jene anhaltende Stimmung der Seele zum Argwohn, die zur Leidenschaft geworden ist. Können edle Seelen dieser gleichfalls ausgesetzt seyn? Ja! Es giebt Fälle, es giebt Lagen, wo sie daran erkranken, und worin keine Macht der Vernunft, sondern allein ein glückliches Schicksal, das sie von dem Gegenstande ihrer Eifersucht völlig trennt, sie zu heilen vermag.

Es giebt gewisse Charaktere, welche in einer gewissen Rücksicht uns rechtfertigen, eine zärtliche Verbindung mit ihnen eingegangen zu seyn, in einer andern aber zu unserm Unglück und zu unserer Qual geschaffen sind, und uns dem Vorwurfe der unbehutsamsten Wahl mit Recht bloß setzen. Eben jene Eigenschaften, welche zur edleren und schöneren Liebe am meisten geschickt machen, jene Weichheit und Wärme des Herzens, jenes Feuer der Phantasie, jene feinere Reitzbarkeit der Sinne und des Gemüths, sind oft mit Fehlern verknüpft, welche die Verführung so sehr begünstigen: mit jener Eitelkeit, mit jener Vorliebe für das Neue, Seltene, Außerordentliche, endlich mit jener Lüsternheit der Seele und des Körpers, welche schwache Augenblicke für die Vernunft und die Unschuld herbeyführen. Während der ersten Spannung, welche die Leidenschaft der Liebe Charaktern dieser Art giebt, werden sie diesen Fehlern weniger ausgesetzt seyn. Aber sie wandeln nichts desto weniger auf einer schlüpfrigen Fährte, und bey der ersten Veranlassung, die den Halt der Leidenschaft schwächt, verstärkt sich die Gefahr des Fallens.

Wehe nun gar, wenn ein solcher Charakter, aufgewachsen in der großen Welt, an Huldigungen der Eitelkeit, oder gar an Führung von Intriguen bereits einmahl gewöhnt gewesen ist; wenn er sich durch Unvorsichtigkeit in früheren Zeiten in der Verlegenheit gesehen hat, dem übertriebenen Rufe von seinen Vergehungen zu trotzen; wenn die Personen, denen er vorhin seine Zuneigung geschenkt, oder deren Aufwartung er gelitten hatte, seine Wahl oder seine Nachgiebigkeit nicht verdienten, und dadurch unsere Besorgniß unterstützt wird, daß er weder unsern Werth ganz zu schätzen wissen, noch ekel genug in seinen ferneren Neigungen seyn werde! Wehe uns dann noch mehr, wenn wir nun zuweilen durchbrechende Gefallsucht, Mangel an Wahrheitsliebe und an zärteren Empfindungen von dem was gesehen oder nicht gesehen Recht und Unrecht ist, kurz, Mangel an Scheu vor sich selbst in seinem Betragen antreffen! Wehe uns dann am allermeisten, wenn selbst in der Art, wie sich der geliebte Gegenstand an uns gehangen, oder sich uns ergeben hat, Uebereilung, Eitelkeit und Sinnlichkeit hervorgeleuchtet haben. – Armer, was wird dich retten? Nichts als die Ueberzeugung der gänzlichen Verworfenheit der Geliebten! Erhältst du diese, so wirst du dich mit allem deinem Stolze wapnen, um dich von der Unwürdigen loszureißen; aber gerade diese Gewißheit wird dir nicht gewährt. Du fühlst, es fehlt nur die Gelegenheit, aber du zitterst, daß sie herbeykomme, du bewachst, du beugest der Gefahr vor, sie wird vermieden, und dennoch kannst du nie beruhigt werden, weil eben mit dieser deiner Ruhe wieder Sorglosigkeit von Seiten der Geliebten, wieder die Herrschaft ihrer alten Fehler, und mit ihr die stündliche Möglichkeit der Niederlage eintritt.

Schreckliche Nächte, an welche diejenigen, die sie durchwacht haben, ohne convulsivische Erschütterung nie zurückdenken werden. In denen Schlaflosigkeit mit gräslichen Träumen wechseln, und die Vorstellung der Geliebten sich bald unter der Gestalt eines unseligen, zur Qual unserer Tage geschaffenen Plagegeistes, bald unter dem Bilde der makellosen und gekränkten Unschuld darstellt. Wo wir von Vorwürfen gegen das gefallsüchtige Weib, von dem Vorsatze, uns ganz von ihm loszureißen, zu Vorwürfen gegen uns selbst und zu dem Entschlusse übergehen, ihm ganz zu vertrauen, und es ewig anzubeten! Welch ein Kampf gegen uns selbst! Welche Marter, sich sagen zu müssen, daß man das Glück der Geliebten stört, daß man durch seinen Verdacht, durch seine Wachsamkeit, den Reitz zur Untreue nur vermehrt, und den Gegenstand, der die Besorgniß erregt, wichtiger macht; unbrauchbar zu Geschäften und zur geselligen Mittheilung wird, sich selbst ein Greuel, andern ein Gegenstand der Verachtung und des Gelächters!

Aber ach! verachtet, verlacht sie nicht, diese Armen, welche die Hoffnung auf Besserung lange gefesselt hält! Was sie leiden, macht sie eures Mitleidens werth, und der Wunsch, den leichtsinnigen Gegenstand ihrer Liebe zur Tugend und der Festigkeit zurückzuführen, giebt ihnen sogar einigen Anspruch auf eure Achtung!

Gut! aber wie ist den Unglücklichen zu helfen, wie ist ihnen zu rathen? Will der Gegenstand ihrer Liebe und ihrer Eifersucht durchaus sein Betragen nicht ändern, und durch Arbeitsamkeit, Aufmerksamkeit auf sich selbst, erhöhete Behutsamkeit den Zweifeln zu denen seine vorige Aufführung und die ursprüngliche Anlage seines Charakters berechtigen, begegnen; so bleibt nichts anders übrig als zu brechen, und die Verbindung zu endigen. Glücklich werden Menschen dieser Art nie mit solchen seyn, die ein zärteres Gefühl mit hohen Ansprüchen an Tugend und Treue vereinigen; und wo man überzeugt ist, nicht glücklich machen zu können, und sich selbst vergebens aufzuopfern, da ist es Pflicht, die Verbindung aufzuheben. Man behauptet zwar oft, daß man weiblicher Gefallsucht und männlicher Lüsternheit vieles nachsehen müsse. Daß nicht jede Frau, die gern die Aufmerksamkeit anderer Männer auf sich zu ziehen liebt, darum die Treue der Gattin breche; daß nicht jede Verirrung, zu denen die Sinne den Mann verführen, sein Herz der Geliebten raube. Allein diese Regeln der Klugheit, welche auf Ehen gewöhnlicher Art, für Menschen von gröberen Empfindungen passen, werden feiner organisierten Seelen nie annehmlich werden können. Für den Mann, der edel liebt, giebt es nur eine Frau auf der Welt: für die Frau die edel liebt, nur einen Mann. Beyde werden durch die Zärtlichkeit, mit der sie an einander hängen, unempfindlich gegen die Reitze und die Schmeicheleyen aller übrigen Personen von dem nehmlichen Geschlechte werden. Sollte es aber wahr seyn, daß selbst die treueste Liebe vor dem Andringen rascher Triebe nicht sichern kann; so stärkt die Liebe wenigstens unsere Vernunft bis zu dem Grade, um jene Anfälle der Eitelkeit und Sinnlichkeit mit Glück zu bekämpfen.

Es leidet auch keinen Zweifel, daß Personen, die wirklich lieben, nicht im Stande seyn sollten, einen Charakter, der darum eifersüchtig ist, weil er liebt, und den Geliebten zu achten wünscht, zu beruhigen. Es kommt nur darauf an, ihm Bürgschaft für ihre Festigkeit und Haltsamkeit an ihren Grundsätzen zu geben. Eine große Sicherheit gewährt jene Arbeitsamkeit, jenes Anhängen an einem bestimmten Zwecke der Thätigkeit, die ich schon so oft empfohlen habe, und durch die wir vor tausend Gefahren einer wild umherschweifenden Phantasie, und eines unbestimmten Treibens unserer Kräfte bewahrt werden. Ein anderes Sicherheitsmittel giebt die Wahl des Umgangs mit Personen von anerkannter Tugend und wohlbefestigtem Rufe, so wie das Bestreben, ihres Beyfalls werth zu seyn. Ein drittes und das größte gewährt das Mißtrauen gegen uns selbst, mit dem wir Gefahren, die unsern Schwächen drohen, auszuweichen suchen; die Achtsamkeit auf unser Betragen und unsern Ruf: endlich die Unbefangenheit, die Offenheit, die Wahrheitsliebe, mit der wir selbst in solchen Fällen zu handeln suchen, die dem Herzen des Geliebten keine Besorgnisse erwecken können.

Durch diese Mittel haben selbst Personen, die durch die Anlagen ihres Charakters und ihre frühere Aufführung zu keinem Vertrauen berechtigten, dieß in der Seele des Eifersüchtigen zu erwecken gewußt. Und eben dieß, daß die geliebte Person diese Mittel, die so ganz in ihrer Gewalt stehen, nicht anwenden will, eben dieß ist es, was den edel Liebenden so sehr kränkt, und seiner Eifersucht so viele Nahrung giebt. Er fürchtet nicht so wohl die Vorstellung eines gefallenen Wesens, das allen Anspruch auf Wiedererlangung der Achtung verloren hat; er fürchtet die Vorstellung eines Wesens, das sich durch seine Schuld in der steten Lage erhält, an die Möglichkeit und Leichtigkeit seiner Niederlage glauben zu müssen. – Dreymahl glücklich aber wirst du seyn, wenn du mit einem Weibe verbunden bist, das von Eltern geboren, in einem Hause auferzogen ist, die sich durch Sittlichkeit und Anstand auszeichneten; das nie durch ein unbehutsames Betragen den Schmähungen der Welt einigen Grund geliehen hat; das selbst, bevor es dir sein Herz geschenkt hat, dich lange prüfte, und sich nicht aus Schwäche, oder auf eine undelicate Art hingab; das während der Verbindung mit dir Gleichgültigkeit gegen die Versuchungen der Eitelkeit, Offenheit, Unbefangenheit, Festigkeit in seinem Betragen zeigte, und selbst in den Augenblicken, worin die Sinne ihre höchste Gewalt äußern, diese durch Schamhaftigkeit zu zügeln weiß! O wenn du so verbunden bist, wie leicht wird es dir werden, dich mit ganzem Vertrauen hinzugeben, und wenn dir ja noch Besorgnisse übrig bleiben, die von dem Streben nach zärtlicher Vereinigung unzertrennlich sind, sie durch Vernunft und Liebe zu besiegen!

Was ich hier von der Wahl des Weibes gesagt habe, an dessen Hand ich meinem Geschlechte Ruhe und Glück verspreche, das gilt, bis auf wenige Einschränkungen noch, auch von der Wahl, die das Weib zu treffen hat. Zärteres Geschlecht, kannst du von dem stärkeren gleich nicht jungfräuliche Reinheit erwarten, so hüte dich wenigstens vor Männern, die in verworfener Sittenlosigkeit gelebt, oder mit Leichtigkeit Verbindungen geknüpft und gebrochen haben!

Ihr aber, die ihr ein reines Herz, Sittlichkeit, und ungekränkten Ruf euren Geliebten zubringt, setzt dann auch seinem Hange zum Argwohn, seinen Ungerechtigkeiten und übertriebenen Forderungen einen edeln Stolz und das Bewußtseyn eurer Würde und Festigkeit entgegen. Diese sind von Sorglosigkeit verschieden. Die verdächtige Person hat kein Recht, sich auf das Bewußtseyn ihrer Unsträflichkeit in dem gegenwärtigen Augenblicke zu berufen. Ihre vorigen Unbehutsamkeiten, die fortdauernde Möglichkeit des Rückfalls bringen sie um diesen Vorzug. Aber der Mensch, der nie Gelegenheit zu Zweifeln an seiner Sittlichkeit und Ehrbarkeit gegeben hat, darf Vertrauen fordern, und muß sich durch den Gebrauch der Rechte, welche ihm die Tugend giebt, ihren völligen Genuß sichern. Es geht mit dem Hange zur Eifersucht wie mit allen Schwächen des Charakters: je mehr ihnen geschmeichelt wird, desto tiefer wurzeln sie ein, desto mehr verlieren wir das Gefühl ihrer innern Unwürdigkeit und ihrer unseligen Folgen.

Ihr aber, die ihr diesen Hang in euch spürt, vergeßt auch nicht, daß man oft nur dann andere wegen gewisser Fehler in Verdacht hat, wenn man sich selbst ähnlicher schuldig fühlt! Wacht über euer eigenes Betragen! Wacht früh darüber, und seyd sicher, der ruhigere Gatte ist gewiß derjenige, der andere Gatten nie betrogen hat, und sich unfähig fühlt, seine Gattin zu hintergehen.

Eilftes Kapitel.
Wann wird die Treue gebrochen?

Nirgends zeigt sich der Unterschied zwischen feinerer und gröberer Denkungsart, zwischen Selbstsucht und Liebe auffallender, als bey den Forderungen, die wir auf Treue an uns selbst und an den Gegenstand unserer Liebe machen. Während daß einige nur dann die Rechte des verbündeten Theils zu kränken glauben, wenn sie einen Verrath begehen, den selbst die Gesetze ahnden würden, verlangen andere eine gänzliche Abgezogenheit von allem Umgang mit andern Personen von verschiedenem Geschlechte als Beweis der Treue.

Ob nun gleich in der guten Gesellschaft diese beyden Extreme einer zu laxen und einer zu strengen Denkungsart ziemlich allgemein gemißbilligt werden; so scheint man doch die wahre Linie, welche die Verbindlichkeit zur Treue umschreibt, bisher verkannt zu haben.

Mir scheint es, daß diese jedesmahl gebrochen werde, wo wir mit Vergnügen dem Gefühle nachhängen, daß ein Dritter der Vereinigung geschlechtsverschiedener Naturen mit uns nachstrebe. Jedesmahl wo wir uns der üppigen Eitelkeit überlassen, durch Reitze und Vorzüge, welche uns als einer Person von einem gewissen Geschlechte eigen sind, (durch unsere Geschlechtseigenthümlichkeiten) auf die Geschlechtssympathie eines andern zu wirken: jedesmahl, wo wir uns der Wonne überlassen, üppige, lüsterne Gefühle in seinem Körper oder seiner Seele zu erregen; jedesmahl, wo wir den Stolz fühlen, Huldigungen von einer Person von verschiedenem Geschlechte, die nur der erregten Geschlechtssympathie zugeschrieben werden können, zu erhalten, und wohl gar der Wunsch bey uns erwacht, uns diese ausschließend anzueignen; da brechen wir die Treue, die wir dem einzig Geliebten schuldig sind. Gehen wir gar so weit, uns das Herz, die Person eines Dritten aneignen zu wollen, leisten wir seiner Zärtlichkeit oder seiner Leidenschaft dadurch Vorschub, daß wir ihm und andern glauben lassen, daß seine Bemühungen, unser Herz zu gewinnen, uns nicht gleichgültig sind; so steigt unsere Untreue zu einem noch höheren Grade.

Darum scheinen mir nun auch alle jene Aufwartungen, alle jene Unterhaltungen der Gefallsucht, welche sich Liebende in der größeren Gesellschaft neben der Hauptempfindung die sie im Herzen tragen, erlauben, ein Verrath an der Zärtlichkeit zu seyn, die sie dem Einzigen schuldig sind. Man sagt, sie sind gleichgültig, sie sind unschuldig! Aber in der Liebe ist nichts gleichgültig und unschuldig, was mit ihrem Begriffe und ihrem Zwecke streitet.

Diese Grundsätze entschuldigen feiner organisierte Seelen wegen einer Eifersucht, die ihnen von gröber gestimmten Menschen zum Vorwurfe gemacht wird. Ihre Rechte sind von höherer Art, und werden feiner, aber darum nicht minder lebhaft gekränkt.

Aber wie soll das schöne, das reitzende Weib es machen, wenn es wider seinen Willen von der Andringlichkeit der Müssiggänger zu leiden hat? Leere Entschuldigungen! Wir Männer haben einen sehr feinen Takt darüber, wo unsere Aufwartungen wohl angebracht und aufgenommen werden, und das Weib hat es unstreitig in seiner Gewalt, einen solchen Ton gegen die Ueberlästigen anzunehmen, wodurch diese auf immer zurückgeschreckt werden.

Dagegen ist es aber nun auch lächerlich, und beruht auf einer wahren Anmaßung der Selbstheit, wenn wir der Geliebten den Beyfall anderer Personen von unserm Geschlechte mißgönnen, oder ihr verwehren wollen, diese schön, unterhaltend und achtungswerth zu finden. Es kommt nur darauf an, wie dieß geschieht. In Worten läßt sich dieß freylich nicht, und am wenigsten im Allgemeinen angeben. Aber ich frage euch alle, Männer und Weiber, die ihr dieses Buch leset, ob ihr am Ende eines Tages, den ihr abwesend von dem Geliebten in Gesellschaft mit Personen von verschiedenem Geschlechte zugebracht habt, euch nicht ganz genau zu sagen wißt, ob ihr eure Empfindungen ganz zu seiner Kenntniß gebracht wissen möchtet; mehr, ob ihr wünschtet, daß euer Geliebter ähnlichen Gefühlen Raum gegeben hätte. Diejenigen, von denen ihr dieß nicht wünscht, enthalten unstreitig eine Untreue!

Zwölftes Kapitel.
Wann der edle Mensch zum Bruch berechtigt ist? Sein Betragen bey und nach demselben.

Die Dauer der Liebe gehört zu ihrer Veredlung. Aber es giebt Fälle, worin sie erkalten muß, worin selbst edle Seelen entschuldigt, ja verbunden sind, alles zu versuchen, um über ihre Neigung den Sieg davon zu tragen, und sich von schimpflichen Fesseln loszumachen.

Die Person des geliebten Gegenstandes kann zuweilen dergestalt verändert werden, daß der Begriff und das Bild der zusammengesetzten Persönlichkeit ohne Ekel und Widerwillen nicht gefaßt werden können. Es wäre lächerlich, in solchen Fällen selbst dem edelsten Menschen die Fortdauer der Liebe zur Pflicht zu machen, oder sie ihm nur als einen besondern Vorzug zum Ruhm anzurechnen.

Es kommt inzwischen sehr auf eine genauere Bestimmung der Fälle an.

Wenn der Geliebte den Gebrauch seiner Geisteskräfte verliert, in Raserey, in Wahnsinn, in Abstumpfung geräth, so wird der edle Mensch nie die dankbare Erinnerung an die Vorzüge verlieren, die ihn ehemahls beglückt haben. Diese wird das Gefühl der Pflichten allgemeiner Menschenliebe erhöhen, und ihm einen nahen und thätigen Antheil an dem Schicksale des Unglücklichen einflößen. Aber lieben wird er nicht mehr, und mit Recht. Zwar täuscht sich die Zärtlichkeit zu der Person eine Zeitlang mit der Hoffnung, daß diese Veränderung keinen Einfluß auf die Standhaftigkeit unserer Zuneigung haben könne. Aber die Täuschung kann auf die Länge nicht dauern, und würde selbst mehr für Schwäche als Stärke des Charakters zeugen.

Minder nachsichtig sind wir gegen eine Erkaltung, die ihren Grund in der Veränderung des Physischen des Geliebten findet. Aber auch hier hat unsere Strenge Grenzen, und Gebrechen, die Ekel oder Widerwillen erwecken, geben allerdings hinreichende Gründe ab, die Zärtlichkeit, das Streben nach dem Bewußtseyn vereinigter Persönlichkeit in bloße treue Anschließung an die Person zu verwandeln. Hingegen wird der Verlust der Schönheit, der mit keinem widerlichen Eindrucke auf die Sinne verknüpft ist, die Veränderlichkeit des Menschen, der auf Edelsinn Anspruch macht, nicht entschuldigen.

Der Mangel schöner Formen hindert die Seele nicht im Genusse dessen, was sie von der Seele des andern nehmen kann, und selbst die körperliche Lüsternheit wird bey gehöriger Vorsicht, die ich schon empfohlen habe, nicht völlig niedergeschlagen.

Untreue ist ein hinreichender Grund, eine liebende Verbindung zu trennen, wenn sie dem Begriff der Liebe auf eine Art widerspricht, daß ihr Zweck nicht mehr erreicht werden kann. Nicht alle Grade der Untreue geben darauf den nehmlichen Anspruch, und es ist gewiß, daß selbst bey dem stärksten Grade die Pflichten beyder Geschlechter sich hierunter nicht gleich sind.

Die Liebenden von beyden Geschlechtern, die sich alles Zuredens des Verbündeten ungeachtet von ihrer Gefallsucht nicht befreyen können, Intriguen anknüpfen und fortführen, heben selbst die Rechte auf, die sie auf den Besitz des Herzens des Geliebten haben, wenn sie gleich nicht bis zur Beleidigung derjenigen Pflichten fortschreiten, die sie in Ansehung der Reinheit ihres Körpers auf sich genommen haben. Sie lösen durch eine Untreue des Herzens die Bande, mit denen sie an andern hängen, oft stärker auf, als durch diejenige Verirrung, welche ein schwacher Augenblick für ihre Sinne herbeyführt. Eine vorübergehende Schwäche, zu der Eitelkeit und Phantasie verführen, und von der Besserung zu hoffen ist, berechtigt dagegen keines von beyden Geschlechtern zum Bruche.

Für den Mann ist es Pflicht zu brechen, so bald er dem Weibe Mangel an Schamhaftigkeit und Ehrgefühl vorwerfen kann. Ein liebendes Weib kann sich ohne die größte Verworfenheit nicht zu Gunstbezeugungen verleiten lassen, die ihm immer leicht zu verweigern werden, wenn das Herz es nicht dazu verführt. Fehlt es, so ist es wahre Untreue, böser Wille! Man darf dreist behaupten, daß der Mann, der einen solchen Fehltritt seiner Geliebten weiß, und dennoch sie zu lieben fortfährt, den Anspruch auf Edelsinn verliert. Er kann fortfahren, sich an ihre Person anzuschließen: an ihrem Schicksale Antheil zu nehmen, für ihr Wohl zu sorgen. Aber nie darf er sich zu Aeußerungen der Zärtlichkeit wieder verleiten lassen, und am wenigsten den Körper wieder berühren, der durch willkührliche Uebertretung der heiligsten Pflicht auf immer geschändet ist.

Das Weib hat die nehmlichen Rechte zum Bruche, wenn der Mann sich durch Sinnlichkeit hinreißen läßt, einen thierischen Genuß in den Armen einer andern aufzusuchen. Aber der Bruch ist nicht Pflicht für die Liebende; sie kann entschuldigt werden, sie kann sogar einen Anspruch auf Edelsinn erhalten, wenn sie dem Irrenden und Reuigen verzeiht! Der Grund ist offenbar! Bey unserm Geschlechte hängen dergleichen Vergehungen weit weniger vom Herzen ab, setzen weit weniger Mangel an Schamhaftigkeit, Ehrgefühl und Liebe zum voraus, und stehen in einem entfernteren Verhältnisse mit der Verworfenheit unserer Denkungsart. Diese Nachsicht muß aber ihre Grenzen haben. Wenn das liebende Weib einem immer wiederkehrenden Leichtsinne verzeiht, wenn es gar eine anhaltende Untreue duldet, und dennoch zu lieben fortfährt, so wird uns seine Gutherzigkeit verdächtig, und sein Streben nach dem Bewußtseyn zusammengesetzter Persönlichkeit verliert allen Anspruch auf Adel!

Pflicht ist es zu brechen, wenn der Charakter des Geliebten sich dergestalt verschlimmert, oder nach abgelegter Maske sich so verworfen darstellt, daß wir eine Verschlimmerung unsers eigenen Charakters, ein fortwährendes Hinderniß in der Ausübung unserer sittlichen Pflichten von der Fortsetzung der Verbindung befürchten müssen. Es giebt Männer, die durch entehrende Neigungen fortgerissen, ihre Gattinnen zu Genossen ihrer Trinkgelage, zu Theilnehmerinnen an der Befriedigung der schändlichsten Lüste machen wollen. Dieß zu dulden, wäre unedel. Es giebt Weiber, die ihre Neigung zu Zerstreuungen, welche den Geist verschwemmen, nicht mäßigen wollen, und zugleich von dem Manne unbedingte Huldigung ihrer Launen, Theilnehmung an allen ihren kindischen Zeitvertreiben als Beweise der Liebe fordern. In diesen und in allen Fällen, worin Achtung für den geliebten Gegenstand unmöglich ist, worin die Fortdauer der Liebe auf Kosten unserer Selbstachtung erkauft werden muß, sind wir nicht allein berechtigt, sind wir schuldig zu brechen.

Bloße Erkaltung des einen Theils ist kein hinreichender Grund für den andern, zu brechen, so lange noch die Hoffnung bleibt, sein Herz wieder zu erwärmen. Es ist vielmehr ein sicheres Zeichen, daß derjenige, der bricht, seiner Seits erkaltet sey, oder bloß aus Selbstsucht und Eitelkeit liebe, wenn er bey Wahrnehmung des erkalteten Herzens sich sogleich zurückziehen kann. Ach! wer wirklich liebt, dem ist dieß unmöglich: der versucht alles, und harret lange, ob er nicht den Verlornen zurückbringen könne, und er giebt die Bemühung nicht eher auf, als bis er an der Hoffnung dazu verzweifelt!

Ist es Pflicht für denjenigen, der sich erkaltet fühlt, den veränderten Zustand seines Herzens dem Verbündeten zu offenbaren, oder darf er noch Zärtlichkeit vorgeben, wenn er keine mehr empfindet? Es ist gewiß, daß Aufrichtigkeit auch hier des edeln Menschen Pflicht ist, und zwar um so mehr, weil er dem andern dadurch Gelegenheit giebt, sich auch von seiner Seite auf einen völligen Bruch vorzubereiten. Inzwischen müssen wir völlig sicher seyn, daß unser Herz nie wieder für den Gegenstand, den wir geliebt haben, erwärmt werden könne. Oft treten Zeiten ein, in denen wir minder warm, minder lebhaft fühlen. Hier sogleich den Geliebten mit der Nachricht zu schrecken, daß wir uns kälter gegen ihn fühlen, scheint mir unweise. Ist aber unser Herz ohne Hoffnung der Wiederkehr für ihn verloren, dann dünkt mich müssen wir sprechen, und nicht die Früchte seiner Zärtlichkeit ohne Gegengabe und unwürdig genießen. Am wenigsten kann ich es billigen, wenn wir bey erkaltetem Herzen eine Ursache zum Bruche, welche die Schuld desselben auf den Geliebten werfen soll, hervorsuchen, und uns gegen ihn in Vortheil zu setzen suchen.

Wenn aber der Bruch geschehen ist, so behalten wir dennoch Pflichten gegen den geliebten Gegenstand auf uns. Ist der Bruch durch unsere Schuld herbeygeführt, wie elend, wie verworfen würden wir nicht handeln, wenn wir Haß und Feindschaft auf ihn würfen, und ihn vor den Augen der Welt als den schuldigen Theil darzustellen suchten! Aber selbst in dem Falle, wo der Bruch von ihm veranlaßt ist, wo er unsern Haß, ja unsere Verachtung auf sich gezogen hat, sind wir es uns selbst schuldig, unsere ehemalige Liebe möglichst zu ehren! Er hat einen Theil von unserm Wesen ausgemacht! Der liebende Zustand gehört zu der Geschichte unsers Lebens!

Du, der du den vorigen Gegenstand deiner Zärtlichkeit mit Schmähungen verfolgst, du schändest dich selbst, weil du dich von ihm hintergehen ließest, weil du an ihm hingest! Unverantwortlich handelt derjenige, der sich heimlicher Gunstbezeugungen rühmt, die er während der Verbindung genossen hat, um diejenige, die sich dazu verleiten ließ, zu entehren. Er bricht das Siegel des Vertrauens, das jedem edeln Manne heilig ist: er enthüllt Geheimnisse, die ihm nicht gehören, und zeugt zu seiner eigenen Schande von Vergehungen, die er selbst herbeygeführt und getheilt hat!

Aber sind wir es uns nicht selbst schuldig, der Welt zu zeigen, daß wir nicht den Bruch veranlaßt haben, daß unser Betragen nicht dazu berechtigt hat? Allerdings giebt es Fälle, worin diese Pflicht uns obliegt! Allein dazu giebt es bessere Wege, als Schmähungen und Indiscretion. Unser vorhergegangenes und nachheriges Betragen wird uns schon rechtfertigen, und die Welt wird es uns gewiß zum Verdienst anrechnen, wenn wir den ehemahligen Verbündeten möglichst schonen.

Am glücklichsten, am edelsten endigt aber die Liebe, wenn sie in traute Freundschaft übergeht, und das kann, das wird sie, wenn diejenigen, die sich geliebt haben, während ihrer Verbindung einander achtungswürdig erschienen sind, und auch nach derselben wechselseitig achtungswürdig bleiben.




Ende des zweyten Theils.
Kurze Uebersicht
des Inhalts des zweyten Theils.

Dieser Theil ist der Aesthetik der Liebe gewidmet.

Veredeln und Verschönern heißt in einer auf beyde Ausdrücke zutreffenden Bedeutung: ein Ding fähig machen, den Beschauungshang zur Wonne zu reitzen.

Unser Beschauungshang ist, wie schon im ersten Theile ausgeführt ist, diejenige Seite unserer Reitzbarkeit, die bey völliger Ruhe unsers Bestrebungsvermögens, bey abgezogener Aufmerksamkeit von unserm selbsteigenen Zustande, bloß durch die Bemerkung des Auffallenden der Eigenthümlichkeiten eines Gegenstandes, dem wir uns von ferne nähern, zur Lust oder Unlust gereitzt werden kann.

Dieser Beschauungshang ist nun theils mit unserm höhern Wesen, mit unserm Geiste, theils mit unserm niedern instinktartigen Wesen verbunden.

Die Gegenstände, welche auf unsern Beschauungshang wirken können, tragen theils einen innern Gehalt, etwas Geistiges; theils eine äußere Form, eine Hülle, an sich.

Das Bild des innern Gehalts, des Geistigen der Dinge, das auf unser höheres Wesen, auf unsern Geist, wonnevoll bey der bloßen Beschauung wirkt, – heißt Edel.

Das Bild der äußern Form, der Hülle der Dinge, das auf unser niederes Wesen wollüstig und wonnevoll bey der bloßen Beschauung wirkt, – – heißt Schön.

Beyde Ausdrücke bezeichnen daher Gegenstände, die unsern Beschauungshang zur Wonne reitzen, beyde aber sondern sich als Arten einerley Gattung von reitzenden Gegenständen für unsern Beschauungshang wieder von einander ab.

Bey den Gefühlen des Edeln scheint eine lebhaftere Wirksamkeit derjenigen Phantasie, welche das Unsinnliche schafft und darstellt, verbunden mit einer dunkeln Rührung, in welche die herrschenden Triebe unsers Geistes, Stolz, Ruhmsucht, Herrschsucht, u. s. w. versetzt werden, – – hauptsächlich zum Grunde der Wonne zu liegen, mit der sie uns erfüllet.

Bey den Gefühlen des Schönen scheint dagegen eine wohlthätige Wirkung der sinnlichen Eindrücke auf unsre Nerven, eine angenehme Wirksamkeit unsers thierischen Wahrnehmungsvermögens, und derjenigen Phantasie, die gern verkörpert, verbunden mit einer dunkeln Aufregung unserer niedern Neigungen nach körperlichem oder wenigstens gegenwärtigem Genusse, angenehmer Unterhaltung, u. s. w. hauptsächlich zum Grunde zu liegen.

Bey beyden wird inzwischen immer dieß zum Voraus gesetzt, daß das Wohlverhältniß, in welches wir mit den reitzenden Gegenständen kommen, ein Verhältniß aus der Ferne sey, und daß wir ihre angenehmen Einwirkungen unmittelbar bey der Beschauung, und ohne vorgängige Beziehung auf unsere selbstischen und sympathetischen Verhältnisse mit dem angeschaueten Gegenstande erfahren.

Beydes, das Edle sowohl als das Schöne, muß aber eingetheilt werden in das vage, unbestimmte Edle und Schöne, und in das aesthetisch Edle und Schöne.

Unabhängig von den Bedingungen, unter denen ein Bild unsern Beschauungshang zur Wonne reitzen kann, giebt es nehmlich gewisse Gesetze des Verstandes und der Vernunft, denen jenes gemeine Edle und Schöne unterworfen werden mag, und deren Erfüllung unserm Geschmacksurtheile Anspruch auf Allgemeingültigkeit giebt. Diese Gesetze drücken wir dahin aus: das Edle und Schöne muß wahr, und tüchtig oder zweckmäßig erscheinen. Wahr ist ein Ding, das übereinstimmend mit sich selbst ist, und daher unter allen Verhältnissen von mir selbst und andern als etwas für sich Bestehendes von andern Dingen unterschieden werden mag. Zweckmäßig ist ein Ding, das zusammenstimmend mit seinen äußern Verhältnissen, und daher unter allen Lagen von mir und andern für geschickt erkannt wird, seine Bestimmung auszufüllen.

Aesthetisch Edel oder Schön ist daher dasjenige Bild, das unter Leitung des Verstandes und der Vernunft unsern Beschauungshang zur Wonne reitzt.

Das Ideal des ästhetisch Edeln ist das Bild des Ganzen eines moralisch edeln menschlichen Geistes; und moralisch edel heißt alles dasjenige, was mit diesem in näherem Verhältnisse steht. Das Ideal des ästhetisch Schönen ist das Bild des Ganzen eines schönen menschlichen Körpers.

Von dem Edeln und Schönen ist noch das Vollkommene unterschieden, dasjenige, was uns durch seine auffallende Uebereinstimmung mit den Gesetzen des Verstandes und der Vernunft unmittelbar zur Wonne der Beschauung reitzt. Hier liegt der Grund der Lust nicht an der lebhaftern Thätigkeit einer mit dem herrschenden Triebe, oder der Sinnlichkeit unsers Geistes und unsers niedern Wesens in Verbindung stehenden Phantasie; sondern an der lebhafteren Thätigkeit derjenigen Phantasie, die sogar Bilder der Gesetze des Verstandes und der Vernunft zu schaffen, und diese unserm Geiste auf eine Art darzustellen weiß, wodurch der Trieb nach Erkenntniß der Wahrheit und Zweckmäßigkeit überhaupt, ungewöhnlich befriedigt wird.

Es giebt aber zwey Arten des Vollkommnen: das relativ und das absolut Vollkommne. Jenes befriedigt nur überhaupt den Trieb nach dem Uebereinstimmenden, Wohlgeordneten, und weiterhin nach Wahrheit und Zweckmäßigkeit in gewisser Rücksicht: der Gegenstand ist vollkommen in Vergleichung mit andern Gegenständen seiner Gattung und Art.

Das letzte, das absolut Vollkommne, befriedigt den Trieb nach Wahrheit und Zweckmäßigkeit in jeder Rücksicht; es liefert das Bild eines ohne alle Vergleichung vollkommnen Wesens. Dieß ist nun freylich eine bloße Vernunftidee, die nie in ein klares Bild gefaßt werden kann. Aber ein Wesen, das seinem innern Gehalte nach moralischen Adel, nach Art des Ganzen eines menschlichen Charakters, und zugleich seiner äußern Form nach Schönheit, nach Art des Ganzen eines menschlichen Körpers, zeigt; ein solches Wesen wird für uns das Bild eines Abstrakts von Vollkommenheit, und erfüllt uns bey seiner Erkenntniß mit der höchsten Wonne, welche der Beschauungshang, und vielleicht alle reitzbaren Seiten des Menschen überhaupt, darbiethen können.

Wir veredeln und verschönern folglich auf sehr verschiedene Art. Entweder wir legen dem Dinge, das auf unsern Beschauungshang wirken soll, nur etwas unbestimmt Edles und Schönes bey: oder wir legen ihm etwas ästhetisch Edles und Schönes bey: oder wir machen es fähig, uns durch seine bloße Vernunft- und Verstandesmäßigkeit zur Wonne der Beschauung zu reitzen, wir suchen es zu vervollkommnen: oder wir erwecken gar das Bild einer absoluten Vollkommenheit durch dasselbe, indem wir es seinem Innern nach als ein ästhetisch edles Ganze, nach Art des moralisch edeln menschlichen Geistes, und zugleich seinem Aeußern nach als ein ästhetisch schönes Ganze, nach Art des schönen menschlichen Körpers, erscheinen lassen.

Die Liebe trägt nun an sich viel unbestimmt Edles und Schönes an sich. Wir glauben aber auch oft edle und schöne Liebe zu beschauen, wo wir nur veredelte und verschönerte gesellige Triebe bemerken. Die Liebe wird nur da ästhetisch veredelt, wo der innere Gehalt der Gesinnung, die Aufopferung der Selbstheit, geradezu auf das wonnevolle Streben nach der Ueberzeugung, den Geliebten zu beglücken, zurückführt, folglich mit dem Bilde eines hohen mächtigen Geistes, der unsern Geist empor hebt, das unzweydeutige Bild der Liebe erweckt wird.

Die Liebe wird nur da ästhetisch verschönert, wo die Zartheit und die Fülle der Empfindung, als die äußere Form der Gesinnung, auf ein Herz zurückführt, das fähig wäre das Glück des Geliebten seinem eigenen vorzuziehen, weil es den Werth eines andern Herzens ganz zu schätzen weiß: mithin wo mit dem Bilde des feinsten und reitzendsten Instinkts, der unserm Instinkte schmeichelt, zugleich das unzweydeutige Bild der Liebe erweckt wird.

Die Liebe wird relativ vervollkommnet, wenn wir in einer Handlung oder Gesinnung einen auffallenden Beweis des Strebens finden, den Geliebten zu beglücken.

Die Liebe wird aber zum Bilde einer absoluten Vollkommenheit, wenn das Ganze einer auf Zärtlichkeit beruhenden Verbindung seinem innern Gehalte nach Seelenadel, seiner äußern Form nach Schönheit zeigt. Ausgezeichnet wahre und zweckmäßige Liebe, die sich als ein edles und schönes Ganze zeigt, ist vollkommene Liebe.

Der Moralist veredelt die Liebe nicht in dem Sinne, worin ich das Wort genommen habe. Er hebt sie freylich über das Gewöhnliche, er vervollkommnet sie, indem er sie so leitet, daß sie mit den Verhältnissen des Menschen gegen das Reich vernünftiger Wesen, dessen Mitglied er ist, übereinstimmend, und diesen angemessen wird. Aber seine Absicht ist nicht, ein Bild von ihr zu liefern, das den Beschauungshang unter Leitung des Verstandes und der Vernunft zur Wonne reitze: eine Wirkung, die er sich nur bey Menschen von seltnerer Anlage und Bildung versprechen darf, und der er daher nur mit Gefahr, seines wahren Zwecks zu verfehlen, nachstreben dürfte. Nein! er stellt Lehren auf, die für alle Menschen, die ihren Zusammenhang mit dem Reiche vernünftiger Wesen anerkennen, allgemeingültig sind: er sucht diese von der Pflicht, seine Grundsätze zu befolgen, zu überzeugen, und die Billigung, die er ihnen abnöthigt, giebt nur die Zufriedenheit, welche das befriedigte Bedürfniß mit sich führt, nicht Wonne.

Der Gesetzgeber für die bürgerliche Gesellschaft wird die Liebe gleichfalls nicht veredlen können noch wollen. Er sucht nur die Möglichkeit dazu zu befördern, indem er die Hindernisse wegräumt, welche der Entwickelung des Sinns für Adel und Schönheit, so wie der richtigen Erkenntniß des Wahren und Zweckmäßigen entgegen stehen. Er wird besonders die Geschlechtssympathie so zu leiten suchen, daß ihre Befriedigung den Zwecken der Natur und des Staats nicht zuwider laufe.

Die gute Sitte sucht hingegen bereits die Liebe zu veredeln und zu verschönern, indem sie gewisse Begriffe darüber festsetzt, wie die engeren Verbindungen liebender Personen beschaffen seyn müssen, um dem Beschauungshange der Menge Wonne zuzuführen. Ja! sie entwirft sogar Ideale von Vollkommenheit der Liebe, die sie als Gegenstände der Bewunderung und des Nachstrebens für die edelsten Mitglieder der örtlichen Gesellschaft aufstellt.

Inzwischen ist es immer nur sehr wenigen Menschen vorbehalten, das Edle und das Schöne in der Liebe vermöge eigner Kraft zu fühlen, es den Gesetzen der Vernunft und des Verstandes zu, unterwerfen, oder gar die Verbindungen, welche auf ihr beruhen, zum Bilde absoluter Vollkommenheit zu heben.

Die Ausführung dieser Sätze liefert das siebente Buch.


Da die Veredlung und Verschönerung der Liebe so oft in der Befreyung von allem Einflusse des Körpers gesucht wird, andere aber in diesem Einflusse des Körpers das Wesen der Liebe selbst setzen, und nur durch Anreihung einer üppigen Unterhaltung für den Geist für ihre Veredlung und Verschönerung sorgen zu können glauben; so haben diese Begriffe vorläufig geprüft, und überhaupt der gegenseitige Einfluß des Körpers und der Seele in der Liebe selbst, und in einigen mit ihr verwandten Affekten, näher bestimmt werden müssen.

Alle Liebe ist ein Akt der Seele; mithin ist es ein Mißbrauch, wenn man von körperlicher Liebe spricht. Der Körper kann also bey der Liebe nur als Mittler in Betracht kommen, der entweder die Seele zum Lieben auffordert, oder ihrer liebenden Stimmung eine besondere Modification giebt, oder ihr endlich zum Agenten dient, ihre liebenden Gesinnungen in einen Akt der Wohlthätigkeit für die Sinnlichkeit des Andern einzukleiden.

Die Mitwirkung des Körpers bey der Liebe zu einer Person von verschiedenem Geschlechte ist verschieden, je nachdem dieser Zustand als liebende Aufwallung, oder als zärtliche Anhänglichkeit und Leidenschaft betrachtet wird.

Die einzelne liebende Aufwallung, welche uns eine Person von verschiedenem Geschlechte einflößt, kann ohne Zweifel frey von aller Mitwirkung des Körpers angenommen werden, wenn die Person selbst, oder das Bild ihrer körperlichen Formen, dem Liebenden während der Dauer des Affekts nicht gegenwärtig sind. In allen übrigen Fällen wird die Mitwirkung schon problematischer. Die Verschiedenheit der stärkern oder zärtern Formen der Geschlechter, ihr verschiedener mimischer Ausdruck, können die liebenden Gesinnungen verschieden modificieren, und ihnen bald den Charakter der Stärke, bald der Zartheit geben. Die männliche Schönheit so wohl als weibliche ladet das Herz zu liebenden Affekten ein, und diese Gefühle sind vom Einflusse des Körpers nicht zu trennen. Inzwischen folgt daraus keinesweges, daß durch diese Mitwirkung des Körpers die Liebe zu einer Person von verschiedenem Geschlechte zur Geschlechtsliebe modificiert, und noch weniger, daß dadurch die körperliche Geschlechtssympathie erweckt werde. Den Einfluß des Körpers auf die Geschlechtssympathie überhaupt, (nehmlich so wohl des Körpers als der Seele,) darf man nur da annehmen; wo der üppige Charakter dieser Empfindung durch den sinnlichen Eindruck unterstützt wird: Aufwallung der körperlichen Geschlechtssympathie aber nur da, wo sich bey dem Liebenden zugleich Symptome von körperlicher Ueppigkeit und Lüsternheit besonders gegen solche Personen äußern, deren Bau und Verhältnisse jene Triebe befördern.

So zeigt sich dann die Möglichkeit, daß der einzelne liebende Affekt zu Personen vom andern Geschlechte frey von aller Mitwirkung der Geschlechtssympathie, so wohl der Seele als des Körpers, mithin keine Geschlechtsliebe seyn könne. Aber die zärtliche Anhänglichkeit und die Leidenschaft zu Personen von verschiedenem Geschlechte können nicht frey von Geschlechtssympathie seyn. Diese äußert sich wenigstens immer in ihren untersten Grade als Ueppigkeit des Körpers und der Seele. Beyde müssen der Natur des Verhältnisses nach mitwirken, jedesmahl wo Stärke und Zartheit ins Wohlverhältniß kommen. Davon sind weder zärtliche Verbindungen zwischen Verwandten von verschiedenem Geschlechte ausgenommen, noch[WS 26] Leidenschaften unter Personen, welche bloß den äußern Kennzeichen nach zu einerley Geschlecht gerechnet werden.

In dem Sinne also, wornach die körperliche Geschlechtssympathie gar nicht mitwirken sollte, giebt es keine Zärtlichkeit oder Leidenschaft der bloßen Seele zu Personen von verschiedenem Geschlechte. Was man gemeiniglich Seelenliebe nennt, ist ein Verhältniß, worin grobe Begierden nach dem unnennbaren Genusse sich nicht melden, oder verhalten und unterdrückt werden: entweder weil der Liebende zu unerfahren ist, oder weil er aus Grundsatz und unter günstigen Lagen seine Triebe glücklich bekämpft. Allein der Körper behauptet demungeachtet seinen Einfluß, indem er in einer feineren Gestalt, als Ueppigkeit und Lüsternheit, erscheint. Billig aber sollte man diejenigen Verhältnisse mit dem ehrwürdigen Nahmen der Seelenliebe nicht belegen, bey denen entweder ein verfeinerter körperlicher Appetit, oder ein bloßer Austausch von Gewährungen für Eitelkeit und Unterhaltung, oder endlich eine bloße Begeisterung für ein idealisches Wesen zum Grunde liegt.

Der Verfasser hält alle wahre Liebe für Seelenliebe, und glaubt, daß dieser kein Abbruch dadurch geschehe, wenn sie in den Freuden des Körpers eines von den Mitteln sucht und findet, wodurch das Glück des Geliebten befördert wird. In einem erhabenern Verstande aber nennt er diejenige Liebe mit diesem Nahmen, welche dahin strebt, dem Geliebten das höchste Gut, das dauerndste Glück, zu sichern, welches nur der Sinn für das Vollkommne, Edle und Schöne, und vor allen Tugend, in der vereinigten Person gewähren kann. Denn hier sucht das Geistige in den beyden Verbündeten in dem geistigsten Genusse, der sich denken läßt, zusammenzutreffen, und sich dadurch wechselseitig zu beglücken.

Da die Gefühle der physischen Schönheit, und die Begeisterung, mit der sie genossen wird, so leicht mit Liebe verwechselt werden, ob sie gleich nur diese erwecken mögen, und da der Grund des Anziehenden der Schönheit bald dem bloßen Einfluß auf unsere körperliche Geschlechtssympathie, bald einem rein geistigen Genuß der Form einer vollkommenen Seele zugeschrieben wird; so nimmt der Verfasser Gelegenheit, jene Ideen in einigen Excursen zu berichtigen. Er zeigt, daß der Eindruck, den die physische Schönheit auf uns macht, von der Mitwirkung des Körpers nicht getrennt werden könne, daß sie aber gar nicht unbedingt auf unsre körperliche Geschlechtssympathie einwirke: daß es ganz andere Formen sind, welche diese aufregen, als diejenigen, welche das Gefühl der Schönheit erwecken: daß man jedoch dabey einen Unterschied zwischen verschiedenen Arten der Schönheit machen müsse, indem die zärtere die Mitwirkung des untersten Grades der körperlichen Geschlechtssympathie, nehmlich der Ueppigkeit, in untergeordneter Maße zuläßt; endlich daß bey der Begeisterung für diese Art von Schönheiten sogar die Lüsternheit eine wichtige Rolle mitspiele, wenn sich gleich keine grobe Symptome des unnennbaren Triebes äußern. Bey dem Gefühle der ernsteren und unterhaltenden Schönheit, so wie bey der Begeisterung dafür, nimmt er hingegen keine unmittelbare Einwirkung der Körper auf körperliche Geschlechtssympathie des Beschauers an. Diese dient folglich nach seinen Erfahrungen nur dazu, das Gefühl der Schönheit in gewissen Fällen und auf gewissen Stufen zu verstärken. Ein völlig falscher Satz aber bleibt es, daß die Schönheit in irgend einem Falle rein geistig, und bloß als Abdruck einer vollkommenen Seele genossen werden könne. Vielmehr ist es klar, daß allenthalben, wo nicht dem Auge und dem niedern Beschauungshange unmittelbar geschmeichelt wird, die wohlgefälligen Empfindungen, welche uns die körperliche Gestalt einflößt, den Nahmen schöner Gefühle nicht verdienen.

Sehr oft werden die Begeisterung für das immaterielle Schöne und Vollkommne, und ihre höheren Stufen, die Besessenheit und der Selbstverwandlungstrieb, mit Liebe verwechselt, und was noch sonderbarer ist, der körperlichen Geschlechtssympathie zugeschrieben. Auch diese Ideen sucht der Autor zu berichtigen. Er läugnet zwar nicht, daß der Aufruhr unserer Seele, welcher der erregten Geschlechtssympathie der Seele gehört, den Körper sehr leicht in einen ähnlichen verwickeln könne, und zwar besonders da, wo die Bilder geistiger Schönheit und Vollkommenheit uns unter körperlichen Formen erscheinen, welche schon an sich zur Ueppigkeit und Lüsternheit einladen könnten. Aber er hält es unerweislich, daß diese mittelbare Regung des Körpers als unbedingter Grund, oder als nothwendige Folge der Schwärmerey angesehen werden könne.

Hier scheint zugleich der Ort zu seyn, den Werth des heißen Bluts für Liebe, Sinn des Edeln und Schönen, zu bestimmen. Der Autor zeigt, daß die höhere Reitzbarkeit der Organe, welche mit der stärkeren Anlage zur körperlichen Geschlechtssympathie verbunden[WS 27] zu seyn pflegt, dem Herzen und dem Beschauungshange förderlich, aber auch eben so leicht gefährlich werden könne.

Zuletzt wird noch gezeigt, daß die stärkere Anlage zur Geschlechtssympathie der Seele, (dasjenige, was die Franzosen Seelentemperament nennen,) jener Hang zur üppigen Geselligkeit, Eitelkeit, Schwärmerey, u. s. w. für Herz, Geschmack, Genie und Talent nichts beweisen, so sehr sie das alles unterstützen, wenn es außerdem vorhanden ist.

Diese Sätze werden im achten Buche weiter ausgeführt.


Der Verfasser geht nunmehro zu einer praktischen Analyse des obersten Grundsatzes der edeln und schönen Fertigkeit oder Kunst zu lieben, über. Dieser besteht darin, die Liebe als das Bild einer absoluten Vollkommenheit erscheinen zu lassen, und dieß wird erreicht, wenn ausgezeichnet wahre und zweckmäßige Liebe sich als ein edles und schönes Ganze darstellt.

Bey der Theorie, die hier entwickelt wird, liegt nicht so wohl die Erfahrung von demjenigen, was wirklich geleistet ist, als vielmehr die Abhandlung von demjenigen zum Grunde, was seltenen Menschen unter seltenen Verhältnissen bey anhaltender Anstrengung und Aufmerksamkeit zu leisten möglich wäre. Der Aesthetiker unterscheidet sich daher vom empirischen Critiker und vom Dichter. Der empirische Critiker entlehnt seine Grundsätze aus der Verfahrungsart früherer Muster, welche den Sinn des Edeln und Schönen gereitzt und befriedigt haben. Der Dichter rüstet die Menschen mit idealischen Kräften aus, und läßt sie unter eben so idealischen Verhältnissen auftreten.

Zuerst werden die Anlagen angegeben, mit denen der Mann ausgerüstet seyn muß, um edel und schön zu lieben: es wird das Weib geschildert, das seiner Liebe würdig ist: es werden die Verhältnisse festgestellt, unter denen jene Anlagen ihre freye Wirksamkeit erhalten können.

Der Mann muß ein Herz, in jedem Sinne des Worts, haben. Er muß reitzbar, reitzbar für Sympathie, besonders zum Geschlecht, Menschenliebend, fähig zu starker und zärtlicher Anhänglichkeit seyn. Mit diesem Herzen muß er ästhetischen Sinn, Talent, Genie, und besonders noch jene Energie des Charakters, jene Festigkeit und Selbständigkeit verbinden, welche der Verbindung Dauer versprechen, und ihn würdig machen, der Führer und der Beschützer der Gattin zu seyn. Diese Vorzüge werden nicht leicht angetroffen werden, wo der Mann nicht zu einer gewissen Reife des Alters gekommen ist. Von Seiten des Körpers werden wenigstens solche Formen bey ihm vorausgesetzt die an der Seite des Weibes als ein wohl gruppierender Theil eines schönen, Liebe darstellenden Ganzen erscheinen.

Ein solcher Mann muß eine Geliebte wählen, die ihren Anlagen nach den nöthigen Beytrag zur Vollkommenheit, oder zu dem edeln und schönen Ganzen der liebenden Verbindung verspricht.

Es giebt seltene Fälle, in denen eine solche Wahl unmöglich ist, und worin die Leidenschaft auch den edelsten Mann überrascht oder überschleicht: aber diese Fälle machen nur Ausnahmen. Zwar wird unsere Wahl nie so frey seyn können, als da, wo die Vernunft sich in der Wahl der Mittel zu Abhelfung eines Bedürfnisses bestimmt; aber so lange wir im Zustande der Zärtlichkeit bleiben, und nicht in Leidenschaft übergehen, werden Herz und Phantasie sich der Leitung der Vernunft nicht entziehen. Ueberhaupt aber können diese Kräfte unserer Seele durch Bildung unserer Denkungsart im Ganzen empfänglicher für Reitzungen und Bilder werden, welche die Vernunft billigt, abgehärteter gegen solche, welche diese verdammt.

Auch bey dem Weibe macht ein Herz, für Menschenliebe und Zärtlichkeit geschaffen, das erste aller Erfordernisse aus. Wo wir es antreffen, da läßt sich schon auf Veredlung und Verschönerung der Verbindung hoffen. Aber ein höheres Glück verspricht diejenige Gattin, welche aus Achtung für ihre eigene Würde, aus Schätzung ihres Rufs, der Verführung der Sinne und der Eitelkeit stets widerstanden hat, und dem Manne das vollkommenste Vertrauen zu ihrer Tugend und Treue, so wie ein hohes und heiliges Gefühl ihrer Würde einflößt. Sie muß außerdem Energie des Charakters und Selbständigkeit genug haben, um sich da, wo sie der Verbindung mit dem Manne ungeachtet als einzelner Mensch, und als einzelnes Weib beurtheilt werden kann, in den Gründen ihres Wollens und Handelns selbst zu bestimmen, und den Mann nur als Rathgeber zu betrachten. In denjenigen Verhältnissen aber, wo sie als zusammengesetzte Person mit dem Manne erscheint, muß sie diesen zwar als Führer und endlichen Bestimmer ansehen; aber sie darf sich ihre Rechte als Rathgeberin und Mithelferin nicht nehmen lassen. Auch dem geliebten Weibe ist Talent und Genie in der Liebe zu wünschen. Zu gewissen Kenntnissen, Fertigkeiten, Künsten, Sitten, besonders zu denjenigen, die in den Begriff der Hausfrau und der Beförderin örtlicher Geselligkeit gehören, wird eine frühe Anleitung erfordert. Die körperliche Schönheit der Geliebten wird mehr von der reitzenden als ernsten Art seyn müssen, damit bey ihrer Zusammenstellung mit dem Manne der Charakter einer wohlgepaarten Geschlechtsverschiedenheit in den gruppierten Körpern bewahrt werde.

Wenn die liebende Verbindung als Vollkommenheit erscheinen soll, so läßt sich der Begriff einer durch Gegenliebe und möglichste Vereinigung der Verhältnisse glücklichen Situation nicht davon trennen. Außerdem wird ein gewisser Grad von Wohlstand und Muße erfordert, um die gehörige Sorgfalt auf die Veredlung und Verschönerung der Liebe zu wenden, und die Mittel dazu, in so fern sie nicht allein in uns selbst liegen, herbeyzuschaffen. Inzwischen sind die Umstände, unter denen wir lieben, selten so ungünstig, daß der echte Trieb nach Vollkommenheit dadurch gänzlich niedergeschlagen werden könnte. Gemeiniglich sind unsere Herzlosigkeit, unsere Trägheit, unsere unbestimmten und übertriebenen Forderungen die wahren Hindernisse, die sich edler und schöner Liebe in den Weg stellen.

Die Ausführung dieser Sätze liefert das neunte Buch.


Derjenige, der das Herz der Geliebten gewinnen will, muß zu gleicher Zeit ihre Selbstheit und ihre Sympathie interessieren und ihrem Beschauungshange Wonne zuführen: er muß seine Person der Person der Geliebten wichtig machen, aber zugleich das Gefühl erwecken, daß sie ihm unentbehrlich sey, und sich überher als einen Gegenstand des allgemeinen Beyfalls ihres Geschlechts darstellen. Von diesen Maximen gehen alle Verführungskunste aus, und der edel liebende Mann muß sie gleichfalls befolgen, wenn er Gegenliebe erwecken will. Aber er sucht sie auf eine andere Art anzuwenden.

Körperliche Schönheit ist kein gleichgültiger Vorzug in dem Manne. Dieser wird den Vortheil, den sie ihm gewährt, um die Aufmerksamkeit der Geliebten für sich zu erwecken, nicht verschmähen. Aber er wird nur dann Werth auf seine Formen legen, wenn diese wirklich schön sind. Er traut seiner Geliebten zu viel Geschmack zu, als daß ihr ein unverhältnißmäßig kolossalischer Bau, oder weibische Zierlichkeit der Formen gefallen könnten. Immer wird er seine Schönheit mehr wie ein Creditiv auf höhere Vorzüge betrachten, als wie ein unbedingtes Mittel, ihr Herz zu rühren. Vor allen Dingen aber sucht er seinem Körper denjenigen Ausdruck zu geben, wodurch sich eine edle, schöne und zugleich liebende Seele ankündigt.

Urbanität überhaupt, und besonders gegen das Frauenzimmer, ist ein anderes wichtiges Mittel, um sich vor seinen Augen auszuzeichnen. Sie ist die fertige Beobachtung der Vorschriften, nach denen unsere Person in den Verhältnissen des weiteren geselligen Umgangs mit Menschen, (ohne vorgängige Bekanntschaft oder Verbindung, und ohne Rücksicht auf einen besondern Zweck des Nutzens oder der Unterhaltung,) andern auf eine Art erscheint, wodurch die gesellige Mittheilung befördert, und Vergnügen durch das bloße Zusammenseyn erweckt wird.

Urbanität ist theils eine nützliche Fertigkeit, theils eine edle und schöne, je nachdem sie bloß nach den Gesetzen der Wahrheit und Zweckmäßigkeit eingerichtet und ausgeübt wird, oder in so fern wir zugleich dem Beschauungshange dadurch schmeicheln wollen. Daher der Unterschied zwischen dem bloß guten und feinen Ton. Von beyden ist der bloß brauchbare oder locale Ton verschieden. Der Hauptgrundsatz der Urbanität ist dieser: daß wir Achtung für uns selbst, Achtung und Liebe für andere auf eine unserm Charakter und dem Charakter anderer angemessene Art in den Verhältnissen des weiteren geselligen Umgangs durch unsere äußere Handlungsweise darlegen.

Die Urbanität gegen das Frauenzimmer heißt besonders Galanterie. Diese hält selten das Mittel zwischen einem zu steifen und zu freyen Ton. Ihr wahrer Charakter ist Geschmeidigkeit ohne Niederwürfigkeit; Würde, Selbstbeachtung ohne Hochmuth.

Eben so wichtig als die Urbanität ist die Gabe der geselligen Unterhaltung, um sich dem Frauenzimmer bemerklich zu machen. Sie ist die gesellige Fertigkeit, in Zirkeln, worin Menschen von verschiedenen Fähigkeiten und Neigungen auf einen gemeinschaftlichen Beytrag zur Belustigung durch Austausch der Gedanken und Gefühle rechnen, diesen Beytrag gehörig zu liefern. Auch hier findet eine bloße Brauchbarkeit, und wieder eine innere Wahrheit und Zweckmäßigkeit Statt: je nachdem wir nehmlich bloß auf dasjenige Rücksicht nehmen, was örtlich belustigen kann, oder was alle vernünftige Menschen billig belustigen sollte. Die gesellige Unterhaltung kann ebenfalls edel und schön erscheinen, und dadurch auf den Beschauungshang wirken.

Unser öffentlicher Ruf als Bürger ist dem edeln Weibe nicht gleichgültig: wichtiger ist ihm aber die Ahndung, daß wir zum Glück engerer Verbindungen gemacht sind. Diese giebt ihm unser ganzes Betragen, besonders aber unser Ruf als Sohn, Bruder und Freund!

Durch diese Mittel richten wir die Aufmerksamkeit der Geliebten auf unsere Person: aber um die ihrige an uns zu hängen, um ihr Herz zu gewinnen, bedarf es eines bestimmteren Angriffs!

Wir müssen ihr sympathetisches Interesse für unsern liebenden, von ihrer Gegenliebe abhängenden Zustand erwecken. Der edle Liebhaber wird dabey mit Bescheidenheit und weiser Vorsicht verfahren. Eine zu frühe Entdeckung unserer Gesinnungen, und ein zu auffallender Ausbruch der Wirkungen unserer Leidenschaft, beleidigen aus Gründen, die tief in der Natur der weiblichen Zartheit und der Sittlichkeit überhaupt liegen. Es ist sicherer, die Sympathie der Geliebten zur Mitfreude an unserm durch Liebe erhöheten Zustand einzuladen, als Mitleiden mit unserm durch Liebe herabgesunkenen Zustande bey ihr zu erwecken. Sie muß mehr die Wonne ahnden, uns auf den höchsten Gipfel der Glückseligkeit durch ihre Gegenliebe zu heben, als das Bedürfniß des Mitleidens und der Pflicht fühlen, uns zum Ruhestande des Lebens zurückzuführen. Bey aller Ueberzeugung, die wir ihr von der Abhängigkeit unsers Schicksals von dem Besitz ihres Herzens geben; müssen wir ihr zugleich das Gefühl nicht nehmen, daß wir noch abhängiger von dem Bestreben nach Achtung unsers vernünftigen Wesens sind, und daß wir in der Bewahrung unserer sittlichen Würde Trost und Schadloshaltung für die verlorne Hoffnung ihres Besitzes finden könnten.

Daneben werden wir auch die persönliche Selbstheit der Geliebten zu interessieren suchen. Der edle Mann thut dieß durch Lobeserhebung des wirklich Lobenswerthen, durch eine Gefälligkeit, die sich von aller Niederträchtigkeit weit entfernt hält; besonders aber dadurch, daß er sich selbst durch Liebe veredelt darstellt, und zu ihrer eigenen Veredlung beyträgt. Nichts kann den Ruf der Gattin mehr verherrlichen, als wenn die Würde des Mannes zum Theil der Würde des Gegenstandes zugeschrieben wird, dem er anhängt.

Durch alles dieß wird zugleich der Beschauungshang der Geliebten wonnevoll gereitzt, indem sie den Mann, der ihre edlere Sympathie und edle Selbstheit interessiert, zugleich als einen Gegenstand des allgemeinen Wohlgefallens betrachten kann.

Das zehnte Buch liefert die Ausführung dieser Ideen.


Jetzt folgt eine Reihe von Darstellungen des Genusses, den ausgezeichnet wahre und zweckmäßige Liebe, die als ein edles und schönes Ganze erscheint, darbiethen kann. Die gepaarte Person im begünstigten Streben nach Vereinigung ist die Einheit des Begriffs, worunter diese mannigfaltigen Bilder zusammengefaßt werden. Um sie gehörig unter und gegen einander zu ordnen, sie wohl unter sich zusammen zu hängen, und dadurch den Ueberblick des Ganzen zu erleichtern, hat man einen gewissen Plan bey ihrer Aufstellung befolgen müssen.

Zuerst erscheint der Liebende durch das Erwachen der Liebe, durch sein Streben und Hoffen bereits beglückt; dann glücklicher durch das Bewußtseyn, wieder geliebt zu seyn, endlich beseligt durch persönliche Vereinigung mit der Geliebten. In dieser letzten Lage, welche immer der Zweck des Strebens der Liebenden ist, und die sie sich wenigstens mit Hülfe der Imagination vergegenwärtigen müssen, wenn sie Freuden der Liebe genießen wollen, sind sie besonders Gegenstände unserer Beschauung.

Die Hauptwege, auf denen den Liebenden Genuß zugeführt wird, sind der Körper, das niedere und dann das höhere Seelenwesen. Der Körper und das niedere Seelenwesen machen an der gepaarten Person, wie sie im Genuß der Liebe gedacht wird, gleichsam die Hülle aus: das höhere Seelenwesen gleichsam ihren innern Gehalt.

Die Freuden, welche durch das Mittel des Körpers genossen werden, erhalten nur dadurch Anspruch auf den Genuß wahrer und zweckmäßiger Liebe, wenn die Ueberzeugung des gemeinschaftlichen Glücks der Verbündeten ihnen den höchsten Reitz giebt; und nur in so fern können sie Bilder des Edeln und Schönen erwecken, als Seelenadel und Schönheitssinn aus der Art, sie zu geben und einzunehmen, hervorleuchtet. Dieser Gesichtspunkt wird bey allen folgenden Gemählden festgehalten, welche von dem mannigfaltigen Genusse geliefert werden, die dem niedern Seelenwesen aus dem traulichen Umgange, aus den schönen Künsten, der ländlichen Natur, den größern und engern Zusammenkünften der örtlichen Gesellschaft zufließen.

Darauf werden die Freuden geschildert, welche das höhere Seelenwesen aus der liebenden Verbindung einnimmt. Hieher gehört der Genuß, der aus der wechselseitigen Ausbildung der Kräfte des Geistes überhaupt, seiner Vermehrung mit Kenntnissen, u. s. w. fließet: derjenige, welchen die Vereinigung zu einem Schicksale mit sich führt: endlich und hauptsächlich derjenige, welchen das gemeinschaftliche Nachstreben nach Tugend hervorbringt, und der billig als der höchste unter allen betrachtet werden muß.

Mit diesen Sätzen beschäftigt sich das eilfte Buch.


Die Dauer der Liebe gehört unstreitig zu ihrer Veredlung, wenn sie den Begriff ihres Wesens nicht aufhebt. Liebe soll die zusammengesetzte Person beglücken. Dieß vermag die Leidenschaft nicht, wenn sie fortwährend wirkt: sie verdankt ihr anhaltendes Daseyn nur Hindernissen, die sich der Vereinigung der Liebenden entgegen setzen. Alle Erfahrungen widersprechen der Möglichkeit, daß eine Leidenschaft, in der sich die Liebenden dem ungestörten Genuß ihrer Verbindung überlassen können, durch den Lauf der Jahre nicht geschwächt werden sollte. Warme Zärtlichkeit kann hingegen bey dem Gefühle eines begünstigten Strebens nach Vereinigung das ganze Leben hindurch fortdauern. Wie dieß erreicht werde, wird in dem Folgenden gelehrt.

Eine Hauptmaxime ist diese: die Liebenden müssen sich weder einander zu gewöhnlich, noch zu ungewohnt werden. Sie müssen viel arbeiten, und dabey einen von dem Genuß ihrer Zärtlichkeit noch unabhängigen Zweck ihrer Thätigkeit vor Augen haben, auf den sie, jeder für sich, loszustreben. Dieß wird ihre überflüssigen Kräfte dämpfen, und ihre wild umherschweifende Phantasie zügeln. Aber sie müssen auch Muße genug übrig behalten, den Genuß ihrer Liebe zu besorgen. Liebe ist nicht unser einziger Beruf, aber sie ist mehr wie ein Zeitvertreib, sie ist ein ernstes Geschäft.

Liebende müssen sich neu bleiben, ohne sich einander unbekannt zu werden. Gänzliche Absonderung von der größern Gesellschaft, beständiges Zusammenseyn, Unmäßigkeit in dem Genuß körperlicher Freuden, Einförmigkeit in den Unterhaltungen, sind eben so gefährlich, als lange Trennungen, übertriebene Sorgfalt für Abwechselung, die nur zerstreut, und ein überspanntes Interesse, das in den Austausch der Gefühle gelegt wird.

Liebende müssen schön für einander bleiben. Die Abnahme der Reitze des Körpers kann durch Nettigkeit, Ordnung, Schicklichkeit, und Geschmack in den äußern Beywerken, und durch die Anmuth des Ausdrucks der innern Empfindungen in Mienen und Geberden, zum Theil ersetzt werden. Anmaßung und Ziererey sind hier aber eben so wohl zu vermeiden, als Vernachlässigung

Liebende müssen sich einander interessant und wichtig bleiben. Unsern eigenen Leiden einen gefaßten Muth entgegen setzen, den Leiden anderer ohne Andringlichkeit zu Hülfe kommen, lehrt die Klugheit überhaupt, und besonders diejenige, welche die Dauer der Liebe zum Zweck hat. Ohne das Herz, das wir zu fesseln wünschen, in Unruhe zu setzen, dürfen wir doch dem Liebenden fühlen lassen, daß das Unsrige keine Verschmähung zu befürchten habe, wenn wir es anderweit verschenken wollten. Auch das Gefühl, daß wir durch die Verbindung an Ansehn und Wohlstand gewinnen, verträgt sich mit der Liebe, und befördert ihre Dauer.

Ohne Achtung besteht keine Liebe für edlere Seelen. Doch muß sie rein von dem Gefühle der Anmaßung und zurückschreckender Superiorität gehalten werden. Zur Beförderung dieser wechselseitigen Achtung, so wie zur bessern Befolgung aller Regeln, durch deren Beobachtung die Liebe verlängert wird, ist besonders auch der äußere Anstand im Betragen der Liebenden gegen einander zu empfehlen.

Eine ununterbrochene Einigkeit läßt sich von der zärtlichsten Verbindung nicht erwarten. Doch können die Veranlassungen zu Zwisten sehr vermindert, und ihre Folgen geschwächt werden, wenn beyde Theile ihre Selbständigkeit wechselseitig anerkennen, bewahren, und zugleich von einander überzeugt sind, daß der Wunsch, die zusammengesetzte Person zu beglücken, die herrschende Stimmung in ihren Herzen sey.

Eifersucht hat oft die zärtlichsten Verbindungen getrennt. Es ist nothwendig, Mittel anzugeben, wodurch ihren traurigen Folgen vorgebeugt werden könne. Kaum aber weiß man dem Unglücklichen zu rathen, der an einer Person hängt, die durch ihre frühere Aufführung keine Bürgschaft für ihre Treue darbiethet, und durch ihr leichtsinniges Betragen die Furcht vor der Möglichkeit eines Rückfalls nährt. Der Autor, der sich überzeugt hält, daß es demjenigen, der Veranlassung zur Eifersucht giebt, leicht sey, den Liebenden zu beruhigen, wenn er es ernstlich will, räth demjenigen, dessen Ruhe immer willkührlich aufs Spiel gesetzt wird, zum Bruch. Glücklich ist derjenige, der mit einer Person verbunden ist, deren feineres Ehrgefühl nicht bezweifelt werden mag! Demungeachtet giebt es Charaktere, die aus Selbstsucht, und aus Bewußtseyn eigener Schwäche die makelloseste Unschuld durch Argwohn kränken werden. Diesen muß mit edelm Stolze, Selbstvertrauen, und Festigkeit begegnet werden.

Die Grenzen der Treue sind für gröbere Seelen lax: für feiner gestimmte werden sie bereits dann überschritten, wenn der eine der Verbündeten dem Wunsche Raum giebt, die Geschlechtssympathie, oder gar die Zärtlichkeit und die Leidenschaft einer dritten Person von verschiedenem Geschlechte auf sich zu ziehen.

Der edelste Mensch ist zum Bruch berechtigt, sobald er überzeugt ist, daß er die Person, die mit ihm verbunden ist, nie glücklich machen könne, daß vielmehr die längere Dauer der Verbindung zu ihrem beyderseitigen Unglück ausschlagen müsse. In einigen Fällen ist es sogar Pflicht, zu brechen. Der andere Theil mag aber den Bruch verschuldet haben, oder nicht; so bleibt es selbst für den Gekränkten Schuldigkeit, seinen Charakter in Beziehung auf das geendigte Verhältniß durch ein großmüthiges Betragen zu ehren.

Die Ausführung dieser Sätze enthält das zwölfte und letzte Buch in diesem Theile.


Verbesserungen im zweyten Band.

Seite 12 Zeile 7 von oben: ein dem weg.
34 15 – – der unser niederes Wesen bey der bloßen Beschauung zur Wollust und Wonne reitzt. für der auf – – erweckt.
117 10 von unten: haben für habe.
127 4 von oben: Lustigkeit für Lüsternheit.
143 1 – – steter für starker.
149 15 von unten: bezwingen für bezwungen.
156 14 von oben: Maximen für Maxime.
161 2 – – Freuden für Freunden.
184 6 von unten: erwecken für erwecke.
202 9 – – (;) für (!)
204 10 von oben: so für hier.
248 6 von unten: es für er.
253 3 von oben: ausübte für ausübt.
272 10 – – Fernen für Formen.
371 10 von unten: (!) für (:)
409 5 von oben: Ahndung für Abhandlung.

  1. Es existirt in keiner mir bekannten Sprache ein Wort, das die Liebe in derjenigen Bedeutung, die ich ihr in diesem Buche gegeben habe, bestimmt ausdrückte. Das Griechische Εὔνοια, das Lateinische beneuolentia, das Deutsche Wohlwollen, bezeichnen zwar die einzelne Aufwallung des Wunsches, daß ein anderer Mensch glücklich sey. Allein sie fassen weder das Bestreben nach Beförderung dieses Glücks, noch den Charakter der Uneigennützigkeit in sich, die ich in den Begriff der Liebe mit aufgenommen habe.
  2. Lust und Unlust sind Worte, die durch jede Erklärung nur undeutlicher werden. Wenn man inzwischen eine verlangt, so würde ich Lust das Bewußtseyn der Angemessenheit meines Zustandes zu der Einrichtung meines Wesens; Unlust das Gefühl der Unangemessenheit meines Zustandes zu der Einrichtung meines Wesens nennen. Vergl. 6tes Buch.
  3. In dieser Bedeutung nähert sich die Sinnlichkeit zwar dem Instinkt, sondert sich aber dennoch von ihm, als Folge von der Ursach, und als Art von der Gattung ab. Instinkt heißt: 1) Vermögen, etwas wahrzunehmen und zu unterscheiden, ohne sich einer auffallenden Anstrengung des Nachdenkens bewußt zu seyn. Hier heißt Instinkt so viel als das niedrige Erkenntnißvermögen, und wird dem höheren, besonders dem Verstande, entgegen gesetzt. Man verwechselt oft diesen Instinkt mit dem Ausdrucke: Sinnlichkeit, z. B. sinnliche Erkenntniß, etwas versinnlichen u. s. w. Diese Bedeutung ist derjenigen, die ich annehme, und wobey ich bloß auf die Fähigkeit, zu einer gewissen Art von Willensbewegung gereitzt zu werden, Rücksicht nehme, nicht entgegengesetzt. Beyde vertragen sich vielmehr als Ursach und Wirkung neben einander. Denn die Sinnlichkeit, für Anlagen zur instinktartigen Wahrnehmung und Erkenntniß genommen, liegt beynahe immer bey der Sinnlichkeit, für Anlage zur Neigung nach Ausgelassenheit unserer herrschenden Triebe genommen, zum Grunde, und bringt die letzte hervor. 2) Versteht man unter Instinkt die Fähigkeit, zur Lust oder Unlust gereitzt zu werden, und seinen Willen zu bestimmen, ohne vorgängige auffallende Operation des Vergleichens und Beziehens auf einen gewissen Zweck. Hier wird Instinkt für das niedrige Willensvermögen genommen, und dem Vermögen der Vernunft, unsern Willen zu bestimmen, entgegengesetzt. Von dem Instinkte in dieser Bedeutung ist Sinnlichkeit eine Art. Denn jedesmahl, wo wir erst von der Vernunft aufgefordert werden müssen, etwas zu wollen oder nicht zu wollen, da läßt sich keine Wirksamkeit unserer herrschenden Triebe im ausgelassenen Genusse ihrer Begünstigung, [22] mithin auch kein unwillkührlicher und unerzwungener Affekt von Lust denken. Es giebt inzwischen auch eine instinktartige Empfindung eines nothwendigen Ruhestandes des Lebens, von dessen Begünstigung ein instinktartiges Genügen, eine instinktartige Zufriedenheit abhängt, wie wir dieß an Thieren deutlich bemerken. Die Anlage zu diesen Gefühlen nehme ich nicht mit in den Begriff der Sinnlichkeit auf: ich verstehe darunter nur: den instinktartigen Hang nach Ausgelassenheit des Lebens, oder nach ungewöhnlicher Begünstigung unserer herrschenden Triebe.
  4. Zur völligen Verständniß dieses und des folgenden Kapitels muß ich bitten, das sechste Buch mit zu Rathe zu ziehen.
  5. Vergleiche das siebente Buch dieses Werks.
  6. Ueber die nähere Bedeutung dieses Worts siehe den ersten Excurs am Ende dieses Buchs.
  7. Reche von der humanen Sympathie nennt diese: die Neigung des Menschen, seine Gefühle den Gefühlen anderer Wesen, deren Zustand ihm äußerlich oder auch innerlich erscheint, vermittelst der Vorstellungen von diesem Zustande zu assimilieren und dadurch den Willen bestimmbar zu machen.
  8. Vergleiche sechstes Buch, drittes Kapitel.
  9. Hiermit kommt der Begriff des Griechischen Worts Φιλια, und des Lateinischen amicitia in dem weitläuftigeren Sinne überein, worin man es oft bey den Alten gebraucht findet.
  10. Unter mehrern Beyspielen solcher Anhänglichkeiten von Hunden an ihren Herrn, welche mehr oder weniger glaubwürdig sind, führe ich eins an, das mir von einem Augenzeugen erzählt ist, in dessen Wahrheitsliebe ich nicht den geringsten Zweifel setzen kann.
    In Landau lag ein Officier in Garnison, der einen häßlichen aber sehr treuen Hund hatte. Der Herr ward erstochen und heimlich verscharret. Der Hund fand den Ort aus und gab ihn durch sein Geheul und sein Kratzen denen zu erkennen, welche nach ihm suchten. Da der Officier im Duell erstochen war, so [79] konnte er kein ehrliches Begräbniß erhalten. Man begnügte sich also, ihn an dem Orte, wo er zuerst verscharret gewesen war, tiefer unter die Erde zu bringen. Der Hund war demohngeachtet nicht zu bewegen, die Stelle zu verlassen. Die Einwohner der Stadt wurden durch diese Treue gerührt. Man baute dem Thiere eine kleine Hütte, und brachte ihm täglich seine Nahrung. Der Hund blieb bis an seinen Tod auf der Stelle, welche die theuren Reste seines Herrn in sich faßte.
  11. Naturam expellas furca, tamen usque recurrit.
  12. Cic. de amicitia. c. 21.
  13. Άφροδίτη, Venus, bey den Griechen und Römern. Es ist mir unbekannt, ob der Begriff der Sympathie mit dem Gleichartigen bey den Alten und Neuern durch einen besondern Nahmen bezeichnet gewesen sey.
  14. Ich hoffe diesen Grundsätzen getreu geblieben zu seyn, und wirklich hat die Sorge für den Ausdruck mir mehr Arbeit verursacht als der Inhalt selbst. Sollte aber demohngeachtet irgend Jemand so unbillig seyn, mir einen Vorwurf darüber zu machen, daß ich diesen Gegenstand überhaupt berührt habe; für den habe ich nicht geschrieben. Und wirklich würde ich auf die Bedingung, ganz über den Geschlechtstrieb zu schweigen, das Werk nie unternommen haben. Zur Gründung des wahren Begriffs der edleren Liebe war es nöthig, den Begriff des Antheils, den der Körper daran nehmen muß, näher zu erörtern. Mit unserer übertriebenen Zartheit haben wir es verwirkt, daß die Unschuld sich selbst hintergangen, und der Spötter alle Seelenliebe verlacht hat. Unsern unbestimmten Begriffen über den Grad der körperlichen Geschlechtssympathie, der bey der Liebe, wie sie Plato darstellte, mitwirken darf, haben wir es zu verdanken, [114] daß wir ihren Lehrer nicht verstanden haben. Kurz, ohne die Untersuchung anzustellen, die ich zu unternehmen im Begriff bin, kann man viel Schönes über die Liebe dichten, aber man kann nicht darüber philosophieren.
  15. Empfindungsvermögen, Nervenkraft, Reitzbarkeit der Organe. Vergleiche Iths Versuch einer Anthropologie. Plattners neue Anthropologie. Sömmering vom Seelenorgan. Plouquet Skizze der Lehre der menschlichen Natur. Ich habe [128] das Wort Sensibilität der Organe gewählt, um mich theils auf die Frage nicht einzulassen, wo der Sitz der Reitzbarkeit unserer Sinne zu suchen sey, ob in den Nerven selbst, oder in einem sensorio communi? theils um diese Sensibilität eben so wohl von der Irritabilität oder Lebenskraft, als von dem Gemüthe zu unterscheiden.
  16. Das eigentliche Wort ist Lascivität. Allein da dieß so wie der Deutsche Ausdruck, der jene Lateinische Benennung völlig wiedergiebt, eine unsittliche Nebenbedeutung erhalten hat, so habe ich mich dessen enthalten müssen. Ohnehin haben Thümmel und einige andere unserer klassischen Schriftsteller das Wort „Lüsternheit“ bereits in ähnlicher Bedeutung gebraucht.
  17. S. Iths Versuch einer Anthropologie. 1. Theil, 2. Hauptstück[WS 5] §. 41. Ich nehme das Wort: Lebenskraft oder Irritabilität für das Princip der Bewegung der thierischen Organisation, das offenbar vom Mechanismus verschieden ist. Uebrigens lasse ich mich nicht darauf ein, woher sie rührt, und worin sie liegt. Genug, die Lebenskraft äußert sich anders als das Empfindungsvermögen, [142] die Sensibilität, die an den äußern Sinnenorganen zunächst empfunden wird.
  18. Plattners N. Anthropologie §. 665. 724. und 1305.
  19. Mit diesem Kapitel, so wie mit diesem ganzen Buche, muß das 8te Buch verglichen werden.
  20. Vergleiche Blumenbachs Abhandlung über den Bildungstrieb und das Zeugungsgeschäft. – Ith’s Versuch einer Anthropologie. §. 37.
  21. Ich verstehe unter Seele alles, was nicht Körper, und nicht solche Kraft und Reitzbarkeit ist, die wir unmittelbar am Körper wirksam spüren, und sich dennoch von dem Ich als Subjekt aller Veränderungen, die an mir vorgehen, im Bewußtseyn unterscheiden läßt. Ich gebe gern zu, daß dieser Begriff nicht metaphysisch ist, aber darauf kommt es hier nicht an. Es wird mir nur wichtig, solche Bestimmungen [159] der verschiedenen Adhärenzen unsers Ich’s festzusetzen, die zum praktischen Gebrauche, und besonders zur Unterscheidung verschiedener Gefühle wichtig seyn können.
    Ich habe in den vorigen Kapiteln ein sensitives, ein thierisch lebendiges, ein vegetierendes Wesen als Adhärenzen unsers Ich’s, angenommen. Nicht, weil ich sie für wirklich verschiedene Wesen halte: denn das kann ich nicht beurtheilen; sondern weil ich an meinen Organen, an meiner innern Organisation, und endlich an dem gröbern Stoffe, den ich an mir trage, solche verschiedene Wirkungen wahrnehme, die ich mir unter dem Bilde verschiedener mit Kräften und Reitzbarkeit versehener Wesen, deren Veränderungen das Ich mittelst des Bewußtseyns unmittelbar aufnimmt und vereinigt, am deutlichsten denken kann.
    In eben dem Sinne und in eben der Absicht, um nur Merkmahle von den verschiedenen Veränderungen zu haben, die ich an mir bemerke, theile ich nun wieder die Seele, als Adhärenz meines Ich’s, in zwey Wesen ein, die beyde mit Kräften und Reitzbarkeit versehen sind: in das Gemüth und in den Geist. Unter Gemüth verstehe ich dasjenige Wesen meiner Seele, das der Sensibilität der äußeren Organen meines Körpers durch die Art, wie es Eindrücke von Bildern und Vorstellungen einnimmt, sich mit diesen ins Verhältniß setzt, und von ihnen zur Lust oder Unlust gereitzt wird, so ähnlich ist. Es ist der Inbegriff aller Kräfte und aller Vermögen an mir, die ich nur nicht unmittelbar am Körper wirksam fühle, und die ich nicht zu meinem Geiste rechne: Mit einem Worte: das niedere Seelenwesen. Unter Geist verstehe ich hingegen die engste Adhärenz meines Ich’s, das letzte belebende Princip im Gemüthe, mit dem mein Ich gedacht wird, wenn ich im Bewußtseyn ein vermögendes und reitzbares Wesen in mir noch von den Kräften und der Reitzbarkeit meines Gemüths unterscheide: Mit einem Worte: das höhere Seelenwesen. Ich bin mir bewußt, [160] daß mein Geist noch ungeschwächt und heiter ist, wenn gleich mein Gemüth viele seiner Kräfte verloren hat, durch unangenehme Vorstellungen verfinstert wird, Krankheit meine Lebenskraft erschlafft, Blindheit und Taubheit die Sensibilität der wichtigsten Organe zerstört, und das Alter meine Bildungskraft gehemmt hat. Ich bin mir bewußt, daß mein Geist bey der Betrachtung dessen, was mein Gemüth und mein Körper waren und wieder werden können, sich erhebt, sich froh fühlt, u. s. w. Man dürfte vielleicht sagen: der Geist sey das innerste Wesen im Gemüthe und verhalte sich zu diesem in der Seele, wie die Lebenskraft zur Sensibilität im Körper. Ich bitte aber nicht zu vergessen, daß ich diese Dinge bloß so darstelle, wie sie sich im Bewußtseyn gegen einander zu verhalten scheinen.
  22. Ich werde mich im dritten Theile noch weiter darüber äußern.
  23. Vergleiche das achte Buch dieses Werks.
  24. Vergleiche das achte Buch.
  25. Wie wichtig die Entwickelung des Zustandes der Besessenheit zur Erklärung mancher Phänomene in den ehemahligen Hexenprozessen sey, zeigt sich von selbst. Der Glaube an die geistige Vereinigung mit dem bösen Feinde war Folge des heftigen Verlangens, sich seine vermeinten Kräfte anzueignen. Der Glaube an die körperliche Verbindung wieder Folge von jener, theils als sinnliches Symbol der engsten Vereinigung, welches die Phantasie zu einer Wirklichkeit umschuf; theils als consensualische Einwirkung eines heftig gereitzten Geistes auf die physische Organisation. Beydes zusammen brachte die Ueberzeugung bey der Person hervor, sie werde von dem fremden Geiste beseelt. Auf eben die Art sind die Aufwallungen himmlischer Entzückungen einiger heiligen Therese, Armella, Güyon, u. s. w. zu erklären. Das Körperliche regte hier nicht das Geistige auf, sondern umgekehrt: der geistige Zustand brachte einen ähnlichen in dem Körper hervor, wenn es anders bereits ausgemacht seyn [200] sollte, daß der Körper gerade den Antheil daran nahm, den Hemsterhuys und andere voraussetzen. Hierüber mehr in der Folge.
  26. Vergleiche Morveau von der chemischen Affinität. Deutsche Uebersetzung. Berlin 1794.
  27. Φιλία, amicitia im engeren Sinne. Ob die Alten einen Begriff von der Geschlechtszärtlichkeit gehabt haben, das wird im dritten Theile dieses Werks untersucht werden. Einen besondern Nahmen scheinen sie wenigstens für das Verhältniß nicht gehabt zu haben.
  28. Il y a toujours dans l’ amitié entre les personnes d’un Sexe different un degré de vivacité, qui ne se trouve pas entre les personnes d’un même Sexe.
  29. Je connois un sentiment plus doux que l’amour, moins impetueux, mais plus delicieux mille fois, qui quelquefois est joint à l’amour, et qui souvent en est séparé. Ce sentiment n’est pas non plus l’amitié seule; il est plus voluptueux, plus tendre, je n’imagine pas, qu’il puisse agir pour quelqu’un du même Sexe: du moins je fus ami si jamais homme le fût, et je ne l’éprouvai jamais prês d’aucun de mes amis. Confessions T. I. Liv. III.
  30. Wichtig in eben dieser Rücksicht sind auch einige Stellen bey den Alten, worin sie diese Freundschaft von der Liebe zu unterscheiden gesucht haben. Man vergleiche das dreyzehnte Buch dieses Werks, worin die hieher gehörigen Stellen aus dem Xenophon, Plato, Cicero, u. s. w. angeführt werden.
  31. Ἔρως, amor bey den Alten.
  32. Sehr treffend drückt der Lateiner den Zustand eines Verliebten durch amore deperditus aus.
  33. Einem meiner Freunde, der Gelehrsamkeit und Geschmack mit einem Herzen verbindet, das sich im spätern Alter noch gleich wirksam und lebhaft bey ihm erhält, und mit dem ich oft über meinen Begriff von der Liebe geredet hatte, verdanke ich folgendes Epigramm, in dem gewiß die Liebe in einer ästhetisch schönen Form erscheint: [60]

    Casta sui thalamo cum surgeret Arria Paeti,
    Cujus in amplexu gaudia nox tulerat,
    Os illa ore premens, non quod mihi dulce erat, inquit,
    Sed quod dulce tibi est, hoc mihi dulce fuit.

    Die Feinheit des Ausdrucks dulce geht im Deutschen verloren; sonst ist der Sinn in einer Uebersetzung, die mir ein anderer meiner Freunde mitgetheilt hat, glücklich dahin wieder gegeben:

    Als sich Arria wandt’ aus ihres Pätus Umarmung,
    Welchem die göttliche Nacht Freuden der Liebe verliehn,
    Drückte sie Mund an Mund, und sprach: Nicht was ich genossen,
    Dein Genuß, o Gemahl, war mir der schönste Genuß!

  34. Sehr oft versteht man unter moralischer Veredlung der Liebe weiter nichts, als Leitung der Geschlechtssympathie nach moralischen Vorschriften. Dieß beruhet aber auf einem Mißbrauche des Worts Liebe, den ich schon so oft gerügt habe, daß ich hier füglich darüber schweigen kann.
  35. Saevius in aurum aestuat succisa libido.
  36. In den Liaisons dangereuses, Sopha, Ecumoire, und in der arte amatoria.
  37. Eben darum, weil die Urbanität der Liebe so oft zum Schleyer dient, ist es von jeher schwer gewesen, den Ausdruck beyder zu unterscheiden, und nicht zärtlich zu werden, indem man bloß höflich seyn will. Das, was man Galanterie nennt, fällt oft in diesen Fehler, und Lessing hatte daher Recht, zu sagen: in ihr klingt Alles wie nichts, und nichts wie Alles. Aber eine solche Galanterie ist ein verfehlter Ton in der Urbanität gegen das Frauenzimmer.
  38. Et stimuli subsunt, qui instigant laedere id ipsum,
    Quodcunque est, rabies unde illae germina surgunt.

  39. Alexander’s History of Woman. T. II. p. 142.
  40. Emile L. V.
  41. In einzelnen Fällen dürfte gewissen Charakteren dennoch diese Einrichtung anzurathen seyn.
  1. Vorlage: affektvller
  2. John Howard (1726–1790), englischer Philanthrop.
  3. Vorlage: inVergleichung
  4. die Pfirsche: der Pfirsich
  5. Vorlage: Haupstück
  6. Vorlage: unzertrennnlich
  7. Frans Hemsterhuis (1721–1790), niederländischer Philosoph.
  8. Vorlage: zugewinnen
  9. Vorlage: nemliche
  10. Vorlage: kaun
  11. In Rousseaus Julie ou la Nouvelle Héloïse (1761) verläßt der Hauslehrer Saint-Preux seine Geliebte Julie d’Étanges, um ihr den Schmerz einer unstandesgemäßen Beziehung zu ersparen.
  12. Vorlage: anderen
  13. Vorlage: unterschieden
  14. Vorlage: demjenigeu
  15. Vorlage: verschiedeu
  16. Vorlage: Veinigung
  17. Vorlage: dem dem
  18. Vorlage: vertändelu
  19. Vorlage: daß
  20. Vorlage: Aeußeruug
  21. Vorlage: Verededlung
  22. Vorlage: Wirkurg
  23. Vorlage: grödsten
  24. Vorlage: Neunzehntes Kapitel.
  25. Vorlage: Thut
  26. Vorlage: nach
  27. Vorlage: vrbunden