Beschreibung des Oberamts Herrenberg/Kapitel B 23
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Von dem Kirchberge, auf dem sich gegenwärtig noch, zur großen Beschwerlichkeit der Ortsangehörigen, der Begräbnißplatz befindet, genießt man eine sehr freundliche Aussicht in das Ammerthal, an einem Theil der Alp und an dem Schönbuch, an dessen Rande sich die beiden Schlösser Hohen-Entringen und Roseck besonders gut ausnehmen.
An der gekandelten Hauptstraße, beinahe in der Mitte des Orts, steht die Pfarrkirche, welche ursprünglich eine herrschaftliche Kelter war, die 1575 erbaut und 1760 zur Kirche umgewandelt wurde. Ihre ursprüngliche Bestimmung nicht verläugnend, entbehrt sie jeder architektonischen Ausstattung, welche ihr nur annähernd das Ansehen einer Kirche verleihen würde. Das Innere ist zwar geräumig, übrigens durch Emporen verdüstert. Auf der vordern Giebelecke sitzt ein sogenannter Dachreiter, in welchem zwei Glocken, die eine sehr alt, mit den Namen der vier Evangelisten, die andere 1767 gegossen, hängen. Das Gebäude ist ursprünglich Eigenthum des vormaligen Kirchenraths, und dessen Dachböden dienten bisher noch als kameralamtlicher Fruchtkasten.
Das im Jahr 1822/23 erbaute Pfarrhaus, welches der Staat zu unterhalten hat, liegt ziemlich entfernt von der Kirche am östlichen Ende des Orts. Das an der Straße nach Entringen ebenfalls am Ende des Orts gelegene Schulhaus wurde im Jahr 1792 neu erbaut und enthält zugleich die Wohnung des Schulmeisters und Lehrgehülfen; seit einigen Jahren besteht eine Industrieschule.
In der Mitte des Dorfes steht von allen Seiten frei das ansehnliche 1773 erbaute Rathhaus.
Eine dem Staat gehörige Zehentscheuer steht hinter der Kirche. Ein Gemeindewaschhaus und seit 1855 auch ein Gemeindebackhaus, ist vorhanden.
Der Ort hat drei Pumpbrunnen, die in trockenen Jahrgängen etwas nachlassen, dagegen liefert ein 100 Schritte unterhalb des Ortes gelegener laufender Brunnen das ganze Jahr hindurch gutes| Trinkwasser in hinreichender Menge. Bei anhaltendem Regenwetter tritt häufig Wasser in die Keller der im nördlichen und östlichen Ortstheile gelegenen Wohnungen; ebenso treten dann, wie auch bei starken Regengüssen und Schneeabgängen die Ammer und der Kochenhardtgraben aus, und verursachen Überschwemmungen, welche jedoch selten bedeutenden Schaden anrichten.Auf der Markung befinden sich der Stüzbrunnen, der Binsenbrunnen und der Ahlenbrunnen, welche übrigens nur sparsam Wasser geben, sowie zwei Seen je von einigen Morgen.
Was die Beschaffenheit der mittelgroßen Markung betrifft, so ist der Boden nordöstlich vom Ort, gegen die Hardt hin, ein starker, hitziger, dem Keupermergel zur Unterlage dient; auf der übrigen Markung, mit Ausnahme der steilen, humusarmen Kalkabhänge der Thäler, besteht derselbe aus einem fruchtbaren leichten Diluviallehm. Die besten Güter liegen zu Röschenhofen, im großen Stützweg und auf den Galgenäckern.
Der vermöglichste Güterbesitzer hat 50 Morgen Feld.
Das Klima ist ziemlich mild, jedoch schaden Frühlingsfröste nicht selten dem Obst und dem Reps, welch letzterer in ziemlicher Ausdehnung gepflanzt wird. Hagelschlag kommt neuerer Zeit nicht mehr so häufig wie früher vor.
Abgesehen von den Steilgehängen gegen die Ammer und den Kochenhardtgraben, ist die Markung ziemlich eben und grenzt gegen Norden an die Markung Altingen, gegen Osten an Entringen und Poltringen, gegen Süden, an Oberndorf und gegen Westen an Hailfingen, im Oberamt Rottenburg, und Thailfingen.
Die im Allgemeinen gesunden und kräftigen Einwohner befinden sich in mittelmäßigen öconomischen Verhältnissen und ernähren sich hauptsächlich durch Feldbau und Viehzucht, indem die Handwerke nur untergeordnet sind. Jedoch arbeiten zwei, von der Ammer getriebene Mühlen, je mit vier Mahlgängen und einem Gerbgang. Die obere Mühle liegt einige hundert Schritte nördlich vom Ort, die untere aber innerhalb desselben; überdieß bestehen zwei Ziegeleien, drei Schildwirthschaften, worunter eine mit Bierbrauerei, und zwei Kramläden.
Gegenstand des Handels sind besonders Pferde, die jung gekauft und aufgezogen werden; auch wird von Unbemittelten Kleinhandel mit Geflügel und Eiern getrieben.
Der Ackerbau, bei dem man sich beinahe allgemein des deutschen Wendepflugs bedient, wird nach der Dreifelder-Eintheilung fleißig betrieben, und zur Erhaltung, wie zur Besserung der Felder,| benützt man, außer den gewöhnlichen Düngungsmitteln, auch Gips, Hallerde und Compost.Von den Cerealien baut man vorzugsweise Dinkel, der in großer Quantität auswärts, besonders nach Tübingen abgesetzt wird; sodann Gerste, Hafer, Wicken, Erbsen, Linsen, Ackerbohnen und in der zu 1/3 angeblümten Brache, Kartoffeln, Futterkräuter, Angersen, Kohlraben, Reps etc., in neuerer Zeit wurden auch Versuche mit dem Anbau von Hopfen gemacht, die einen guten Erfolg hatten. Hanf und Kraut (Spitzkohl) pflanzt man in eigenen Ländern. Auf den Morgen rechnet man Aussaat 1 Scheffel Dinkel, 6 Simri Hafer, 3 Simri Gerste und der Ertrag wird im Durchschnitt 8–10 Scheffel Dinkel, 6 Scheffel Hafer und 5 Scheffel Gerste angegeben.
Der Wiesenbau ist unbedeutend und nur auf die schmalen Thalebenen beschränkt, daher mit Futterkräutern kräftig nachgeholfen werden muß. Die durchgängig zweimähdigen Wiesen sind zwar ohne Wässerung, jedoch sehr gut und ertragen durchschnittlich 30 Centner Heu und 12–15 Centner Öhmd per Morgen. Die Preise eines Morgens Acker bewegen sich von 100–400 fl. und die der Wiesen von 120–400 fl.
Der früher ziemlich stark betriebene Weinbau ging vor dreißig Jahren vollends ab, dagegen hat in neuerer Zeit die Obstzucht, welche sich hauptsächlich mit Mostsorten und ziemlich Zwetschgen beschäftigt, namhaft zugenommen. Die jungen Stämme werden von Tübingen und aus der Baumschule eines Ortsbürgers bezogen.
Die Rindviehzucht kann wegen des geringen Umfangs an Wiesen nicht ausgedehnt betrieben werden; ein guter Landschlag wird durch zwei Gemeindefarren, welche ein Bürger gegen die Nutznießung von sechs Morgen Gemeindegütern hält, gezüchtet. Die Schweinezucht ist unbedeutend, indem die meisten Ferkel von Außen aufgekauft werden.
Die Gemeinde ist im Besitz von 116 Morgen Weiden, welche sie nebst der Brach- und Stoppelweide für die Schäferei benützt, die etwa 300 Bastardschafe nährt; jeder Bürger darf nach dem Betrag seiner zu entrichtenden Steuer eine Anzahl Schafe laufen lassen, wofür er vom Schaf 1 fl., vom Lamm 30 kr. an die Gemeindekasse zu entrichten hat, was derselben mit Einschluß des Pferchgeldes jährlich 500–600 fl. einträgt.
Ferner besitzt die Gemeinde neben einigen Gemeindegütern, welche jährlich 67 fl. Pacht eintragen, 150 Morgen Waldungen, deren Bestockung meist aus Weiß- und Hainbuchen mit Eichenoberholz besteht; unter denselben sind 90 Morgen begriffen, welche die| Gemeinde im Jahr 1820 von dem Staate für eine Schönbuchsberechtigung erhielt. Der jährliche Ertrag der Waldungen wird zu 40 Klafter und 2000 Stück Wellen angegeben; hievon erhält jeder Bürger 1/4 Klafter und 5–10 Stück Wellen.Übrigens siehe über den Gemeinde- und Stiftungshaushalt Tab. III.
Unter dem Vermögen der Stiftungspflege befinden sich 500 fl., deren jährliche Zinse an die Armen ausgetheilt werden.
Die Vicinalstraße von Herrenberg nach Rottenburg geht durch den Ort und überdieß führen noch Vicinalstraßen nach Hailfingen, nach Poltringen und Entringen.
Steinerne Brücken sind zwei innerhalb und zwei außerhalb des Orts vorhanden.
Auf der Markung befinden sich mehrere Muschelkalksteinbrüche und ein Lettenkohlensandsteinbruch, welch letzterer übrigens Eigenthum einiger Bürger von Altingen ist. Lehmgruben sind drei vorhanden.
Bis zur Ablösung bezog der Staat neben bedeutenden Gülten auch den großen und kleinen Zehenten.
In der Nähe des auf dem Kirchberg liegenden Begräbnißplatzes befinden sich Reste einer ehemaligen Befestigung, in Graben und Wall bestehend. Eine ähnliche Verschanzung kommt auch auf dem Brunnberg vor.
Am Fuß des Kirchbergs wurde vor etwa 40 Jahren ein Steingrab aufgedeckt.
Die erstmalige Nennung des, früher zum Klosteramt Bebenhausen gehörenden Dorfes fällt in die Zeit um 1140. Damals, in den Zeiten Kaiser Lothars, war Graf Hugo von Tübingen auf der Dingstätte bei Reusten (in campo juxta Rusten) Vorsitzender eines Gerichts, vor welchem eine Güterschenkung an das Kloster Reichenbach Statt hatte (Cod. Reichenbach. 26 a), wie denn auch Reusten noch später als Gerichtsstätte vorkommt („in daz Dorff ze Rusten an des Kuniges stras, da wir sasen vnd siben Ritter vor vns stunden“ in Urk. Graf Rudolfs des Scheerers von 1336 Apr. 3, bei Schmid Urk. 155).
Am 8. Okt. 1293 verkaufte Graf Eberhard von Tübingen, genannt der Scheerer, den Ort (villa Rusten) mit Höfen, Vogtei, Fischgerechtigkeit, Leuten etc., auch (nochmals) das Kirchenpatronat in Poltringen an das Kloster Bebenhausen (Schmid Urk. 64). Vorher und nachher machte dieses Kloster noch eine Reihe von Erwerbungen (schon vor 1288. Mone Zeitschrift 4, 112); es erhielt geschenkt am 12. Nov. 1302 von Heinrich von Remchingen zwei| Bauernhöfe mit Zustimmung Pfalzgraf Rudolfs von Tübingen (Schmid 274), erkaufte den 10. Juni 1319 von Wolpot von Pfäffingen dessen Hof für 88 Pfund Heller mit Genehmigung Pfalzgraf Wilhelms (Schmid 349) u. a. m.Einzelne Besitzungen hatten hier zu verschiedenen Zeiten außer den genannten Familien die von Hailfingen (Steinhofer 2, 349), die von Ebersberg Crus. Annal. Suev. 3, 227), die von Altingen, die von Ehingen, die Kechler etc.
Nach alten Lagerbüchern (Reyscher, Statutarrechte 204) hatte Württemberg in Reusten die hohe und maleficische Obrigkeit, das Kloster Bebenhausen die niedergerichtliche und Grundgerechtigkeit; „das Dorf ist mit aller Zugehör, Herrlichkeit und Vogtei das Eigenthum des Klosters, welches den Schultheißen, das Gericht, den Hirten und Schützen ein- und absetzt und alle Strafen empfangt.“
In kirchlicher Beziehung war Reusten Filial von Breitenholz bis 1670, von da bis 1814 von Poltringen. Wenigstens kam erst im Jahre 1814 der evangelische Pfarrer hier zu wohnen (siehe Poltringen). Der Pfarrsatz steht der Krone zu.
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