Bleiche Thierarten

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Titel: Bleiche Thierarten
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aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 706–707
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1888
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[706] Bleiche Thierarten. Die Naturforscher suchen noch immer eifrig nach neuen Beweisen für die Begründung der Entwicklungstheorie, deren Grundzüge durch Darwin und seine Schule entworfen wurden, und ihre Bemühungen sind vielfach von Erfolg gekrönt worden. Wenn äußere Einflüsse Arten verändern und neue Thierformen hervorrufen sollen, so muß dies am deutlichsten vielleicht bei denjenigen Thieren zum Vorschein treten, welche durch irgend welchen Zufall aus der Erdoberfläche in die unterirdischen Höhlen und Gewässer eingewandert sind. In solchen Fällen sind die äußeren Einflüsse außerordentlich stark; hier waltet der denkbar größte Unterschied zwischen dem lichten Tag und der ewigen Nacht. Wir wußten längst, daß die Grotten und Höhlen eigenartige Thierformen beherbergen. Der Olm, der Grottenmolch der Krainer Kalksteinhöhlen, dürfte unter ihnen die bekannteste Thierart sein. Er ist bleich und blind, und einige Zeit hindurch glaubte man, daß ihm der Gesichtssinn vollständig fehle. Später fand man jedoch, daß unter der Haut desselben ein Auge versteckt ist, welches zwar verkümmert erscheint, aber dennoch die einzelnen Bestandtheile noch genau erkennen läßt; nur die Linse fehlt. Aus diesem Befunde schloß man, daß der Olm einst auf der Oberfläche der Erde gelebt und, nachdem er in die Höhlentiefen hinabgestiegen, die Hautfärbung und das Auge verloren habe. Der Schluß, wie gerechtfertigt er auch scheinen mochte, gab doch zu Zweifeln Anlaß, da keine Verwandten des Grottenmolches unter den lebenden Thieren nachgewiesen werden konnten.

In den letzten Jahren ist es jedoch gelungen, deutlichere Zeichen der Veränderungen von Thierarten unter dem Einfluß des Grottenlebens nachzuweisen, und eine interessante Zusammenstellung der bezüglichen Forschungsergebnisse wurde vor kurzem von der „Naturwissenschaftlichen Wochenschrift“ (Berlin, Verlag von Riemann und Möller) veröffentlicht.

[707] In unserer vaterländischen Höhlenfauna sind zwei Arten bekannt, der bleiche und blinde Grottenflohkrebs und die Höhlenwasserassel, welche eine entschiedene nahe Verwandtschaft mit zwei oberirdischen Arten aufweisen, mit dem gewöhnlichen Bachflohkrebse und der gewöhnlichen Wasserassel. Während die beiden oberirdischen Arten sich durch lebhafte Färbung und wohlentwickelte Augen auszeichnen, fehlen den Dunkelbewohnern der Hautfarbstoff und die Gesichtsorgane. Die Forschung hat nun zweifellos ergeben, daß jene Dunkelbewohner von den überirdischen Verwandten abstammen. Man war in der Lage, Zwischenstufen dieser eigenartigen Umwandlung zu verfolgen, und zwar in den Stollen unserer ältesten Bergwerke. In den alten Stollen von Clausthal im Oberharz wohnen Scharen bleicher Flohkrebse, die hier seit etwa 300 Jahren eingebürgert sein müssen Der ganze Körperbau und die noch vorhandenen Augenflecke deuten darauf hin, daß sie von den gewöhnlichen Flohkrebsen abstammen. Die Bleichheit haben sie dagegen mit den Höhlenthieren gemein und die Untersuchung der Gesichtsorgane zeigt, daß das Auge und namentlich die Linse verkümmert ist. So nehmen diese Thiere eine Mittelstufe zwischen den oberirdischen Flohkrebsen und dem Grottenflohkrebs ein. Dieselben Erscheinungen sind auch bei der bleichen Wasserassel im „Alten tiefen Fürstenstollen“ von Freiberg im Erzgebirge nachgewiesen worden.

Die Wege, welche die Aufklärung nimmt, sind oft wunderbar: so dringt hier aus der ewigen Nacht der unterirdischen Höhlen und Grotten ein heller Lichtstrahl hervor, der uns die Räthsel der Schöpfungsgeschichte zu deuten gestattet.
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