Blut und Eisen

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Titel: Blut und Eisen
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aus: Die Gartenlaube, Heft 43, S. 731
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1894
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Blut und Eisen.

Das Ferratin.

Wie herrlich ist das frische Rot, das die Wangen, die Lippen der Menschen färbt! Es ist die frohe Farbe der Gesundheit und des blühenden Lebens. Kein Wunder, daß das Schwinden derselben ohne sonst erkennbare Ursache schon frühe zur Untersuchung des im Blut enthaltenen Farbstoffs und zu Versuchen geführt hat, wie die krankhafte Abnahme desselben bekämpft werden könne. Die Erkenntnis, daß dieser Farbstoff mit dem Eisengehalt des Blutes identisch sei und die Bleichsucht aus einer fehlerhaften Beschaffenheit des nie rastenden Umwandlungsprozesses von Nahrung in Blut beruhe, hat dann die Erfindung von Eisenpräparaten veranlaßt, die schon seit uralten Zeiten zu dem Zwecke verabreicht werden, den Mangel an ausreichender Eisenzufuhr auf künstlichem Wege zu heben.

Die Zahl dieser Präparate ist ungemein groß. Man hat Bleichsüchtigen reines metallisches Eisen als Pulver im Zustande feinster Verteilung verabreicht, in der Annahme, daß die Magen- und Darmsäfte das Metall zu den für unsern Körper nötigen Verbindungen verarbeiten würden. Man hat zu den verschiedensten Eisenverbindungen, zu Oxyden und Salzen, seine Zuflucht genommen und kohlensaure, phosphorsaure, sowie pflanzensaure Eisenpräparate hergestellt; man hat das Eisen mit anderen Heilmitteln wie Chinin, Jod und Brom gemengt und es selbst unter Genußmittel wie Wein und Chokolade gemischt. Blutarme und Bleichsüchtige pflegen auch Kurorte aufzusuchen und trinken dort „Brunnen“, in welchen kohlensaures Eisenoxydul oder schwefelsaures Eisen, also Eisensalze, aufgelöst sind, und für diejenigen, die nicht reisen können, werden künstliche eisenhaltige Mineralwässer hergestellt, die man zu Hause trinken kann.

Aber wie groß auch die Zahl der Eisenpräparate war, sie genügten nicht den an sie gestellten Anforderungen; stets wiesen sie Schattenseiten auf. Die Eisensalze haben eine ätzende Wirkung, erregen vielfach bei längerem Gebrauch Störungen in der Magenthätigkeit, so daß sie von vielen Kranken nicht vertragen werden. Ferner hat man sich durch genaue Untersuchungen überzeugen müssen, daß die gebräuchlichen Eisensalze vom Körper nicht gut verarbeitet werden und den Leib zum allergrößten Teil verlassen, ohne ins Blut aufgenommen worden zu sein.

Inzwischen war die Chemie fortgeschritten und man ging daran, neue Eisenpräparate herzustellen, welche in ihrer Zusammensetzung denjenigen Eisenverbindungen, die im Körper vorkommen, möglichst ähnlich oder gleich sein würden. Auf diese Weise wollte man dem kranken Organismus die Aufnahme des Eisens leichter machen; man verband also das Eisen mit Eiweißstoffen, bereitete Blutextrakte, in welchen der eisenhaltige Blutfarbstoff des tierischen Blutes enthalten war. Als aber auch diese Neuerungen die Aerzte nicht voll befriedigten, wurde noch ein anderer Weg eingeschlagen.

Der gesunde Mensch erhält das Eisen, das er braucht, in verschiedenen Nahrungsmitteln. Eier und Fleisch, pflanzliche Nahrungsmittel sind eisenhaltig und das Eisen ist in ihnen in einer Verbindung vorhanden, welche vom menschlichen Körper leicht aufgenommen wird. Es war aber nicht bekannt, wie reich an Eisen unsere verschiedenen Nahrungsmittel sind und aus welcher Verbindung die tägliche Eisennahrung des Menschen besteht. Dies mußte zuerst ermittelt werden. Professor Bunge fand, daß der Eidotter verhältnismäßig viel Eisen enthält, und es gelang ihm, aus demselben einen Stoff zu gewinnen, der Eisen enthielt und den er „Hämatogen“, d. h. „blutbildenden Stoff“, nannte, da ja aus ihm das Blut des Hühnchens im Ei entsteht. Professor O. Schmiedeberg in Straßburg ging weiter, er untersuchte verschiedene Nahrungsmittel und es gelang ihm, aus der an Eisen besonders reichen Schweinsleber eine Verbindung von Eisen und Eiweiß zu gewinnen, die er „Ferratin“ nannte. Es ist dies eine hellbraune Masse, die bis 7% Eisen enthält, das an einen eiweißartigen Körper organisch gebunden ist. Durch zahlreiche Versuche wurde Professor Schmiedeberg zu der Ueberzeugung geführt, daß dieses Ferratin gerade diejenige Eisenverbindung sei, die wir in unseren Nahrungsmitteln dem Körper zuführen und aus der die eisenhaltigen Bestandteile des Blutes gebildet werden. Anfangs war diese Entdeckung praktisch nicht verwertbar; denn eine Schweinsleber enthält nur 5 bis 6 Gramm Ferratin, es wäre also zu kostspielig gewesen, das Ferratin zum Gebrauch für Kranke aus den tierischen Organen zu nehmen. Im Verein mit Dr. Pio Marfori ging nun Professor Schmiedeberg daran, das Ferratin künstlich herzustellen, und nach jahrelangen Bemühungen erhielt er schließlich ein Präparat, das dem natürlichen Ferratin durchaus gleich ist. Zahlreiche Versuche, die mit ihm angestellt wurden, haben gezeigt, daß es keinerlei störenden oder gar schädlichen Einfluß auf Magen und Darm ausübt und jedenfalls zu den mildesten der bisher bekannten Eisenpräparate zählt. Verschiedene Aerzte bezeugen, daß es sich bei der Behandlung der Bleichsucht nützlich erwiesen und auch den Appetit der Kranken belebt und gesteigert hat. Im Vergleich zu ähnlichen Verbindungen des Eisens mit Eiweißkörpern zeichnet es sich noch durch seinen hohen Eisengehalt aus. Das vorhin genannte Hämatogen enthält nur 0,29% Eisen, das Ferratin dagegen 7%!

Soweit man aus verschiedenen bisherigen Erfahrungen schließen kann, ist das Ferratin eine wesentliche Bereicherung unseres Arzneischatzes, dabei aber auch ein Nahrungsmittel. Wer sich den Zusammenhang der Ernährung und Blutbildung vergegenwärtigt, wird ja zugeben, daß das Eisen für uns ein Nährstoff ist, ebenso unentbehrlich wie Eiweiß oder Fett. Ist nun das Eisen in unseren Nahrungsmitteln immer in genügenden Mengen vorhanden? Man kann auf Grund unseres bisherigen Wissens die Frage wohl verneinen. Es treten an den Körper oft höhere Ansprüche heran, in den Entwicklungsjahren muß z. B. mehr Blut als sonst gebildet werden. In solchen Fällen reicht der natürliche [732] Eisengehalt der Nahrungmittel nicht aus, um dem Körper die nötigen blutbildenden Stoffe zuzuführen. Da kann man die Nahrung durch Zusatz von Ferratin eisenreicher gestalten, und zwar nicht durch Zugabe von Eisensalzen, die nur schwer oder gar nicht dem Blute einverleibt werden, sondern durch ein Mittel, das der natürlichen Eisennahrung des Menschen durchaus gleich ist. Nach der Ansicht verschiedener Aerzte ist die Hoffnung durchaus berechtigt, daß durch das Ferratin in Zukunft die Bleichsucht nicht nur bekämpft, sondern auch im Keime unterdrückt wird, wenn man anscheinend gesunden jungen Leuten, sobald sich die ersten Erscheinungen einer wenig befriedigenden Ernährung und Blutbildung bemerkbar machen, dieses neue Mittel verabreicht. Das Ferratin hat keinen unaugenehmen Geschmack und kann entweder als Pulver oder in Chokoladeplätzchen eingenommen werden.

Wir müssen jedoch hervorheben, daß das Ferratin sich im Augenblick einer allgemeinen Anerkennung in ärztlichen Kreisen noch nicht erfreut. So hat Professor Kobert auf Grund von Versuchen die Meinung ausgesprochen, daß dieses neue Präparat mit dem natürlichen in der Leber vorhandenen Eisen nicht identisch sei und daß es durch die Magenverdauung zersetzt werde. Welche der beiden Ausichten die richtige ist, wird erst die Zukunft lehren. Darum sollte auch das Ferratin wie jedes andere Eisenpräparat nur auf ärztliche Anordnung genommen werden. Es giebt ja eine ganze Reihe von Krankheiten und Schwächezuständen, in welchen das Einnehmen von Eisenpräparaten nicht nützt, sondern schadet.

Man kann jedoch auch mit vollem Recht die Frage aufwerfen, ob es nicht angezeigt erscheine, dem Mangel an Eisen im Blute durch reichliche Zufuhr solcher Nahrungsmittel abzuhelfen, die besonders reich an Eisenverbindungen sind. Eine derartige Kur gegen die Bleichsucht wird, wie wir beiläufig erwähnen möchten, von den Tataren ausgeführt. Diese Nomaden lassen Bleichsüchtige Früchte der Wassernuß (Trapa natans) verzehren, die nach verschiedenen Untersuchungen besonders reich an Eisenverbindungen sind. Die Wassernuß ist bei uns im Aussterben begriffen; einst diente sie wohl den Urbewohnern Mitteleuropas als Nahrungsmittel, heute aber kommt sie als solches nicht mehr in Betracht.

Was nun unsere gewöhnlichen Nahrungsmittel anbelangt, so ist deren Gehalt an Eisen äußerst verschieden. So enthalten z. B. von pflanzlichen Nahrungsmitteln 100 Gramm Reis etwa 2 Milligramm Eisen; 100 Gramm Weizen 45 bis 55 Milligramm, Kartoffeln 64, Erbsen 66, weiße Bohnen 83, Linsen 95 Milligramm. Von Früchten zeichnen sich die Aepfel durch einen hohen Eisengehalt aus; denn in 100 Gramm getrockneter, wasserfreier Aepfel sind etwa 13 Milligramm Eisen vorhanden, in einer gleichen Menge Spinat sogar 32 bis 39 Milligramm. In einem Liter Weißwein sind 14 Milligramm, in gleicher Menge Rotwein 23 bis 24 und in einem Liter Aepfelwein sogar 206 Milligramm Eisen enthalten.

Vo Nahrungsmitteln, die aus dem Tierreich stammen, sind als besonders eisenhaltig Milch, Eier, Leber und Blut zu erwähnen. Was die Milch anbelangt, so enthalten 1000 Gramm, also etwa 1 Liter Kuhmilch nur 3 Milligramm Eisen, während 1 Liter Pferdemilch 15 Milligramm Eisen bietet. In den Eiern ist, wie oben gesagt, das Eisen im Dotter enthalten.

Es unterliegt wohl keinem Zweifel, daß der gesunde Mensch seinen Bedarf an Eisen aus diesen Nahrungsmitteln bezieht; nur ist es leider bis jetzt noch nicht erwiesen, welches dieser Gerichte die zuträglichsten Eisenverbindungen enthält. Wohl aber dürfte es sich empfehlen, beim Eisenmangel im Blute auch den Speisezettel der Kranken eisenreich zu gestalten. Spinat und Eier, Leberspeiseun, Blutsuppen und Blutwürste würden somit geeignete Gerichte für Bleichsüchtige und Blutarme abgeben.

Wie erfreulich übrigens die neuesten Errungenschaften der Medizin in der Herstellung von Eisenpräparaten sind, wie wertvoll die Enthüllungen über den Eisengehalt der Nahrungsmittel erscheinen, so dürfen wir doch nicht vergessen, daß Arzneien allein nicht ausreichen, um die Bleichsucht und verwandte Leiden zu bekämpfen. Stets werden wir gegen diese auch die allgemeinen Heilkräfte zur Geltung bringen müssen.

Die Bleichsucht ist den Aerzten seit uralten Zeiten bekannt. Sie scheint bei Blondinen häufiger zu sein als bei Brünetten, bei den Völkern des Nordens häufiger als bei denen des Südens, und Wunderlich, der berühmte Leipziger Arzt, meinte, man begegne ihr in Norddeutschland weit öfter als in Süddeutschland. Wird ihre Entstehung durch klimatische Einflüsse begünstigt? Professor Rosenbach in Breslau machte jüngst darauf aufmerksam, daß das Auftreten der Bleichsucht auch an Jahreszeiten gebunden zu sein scheine, indem namentlich im Hochsommer besonders viele Mädchen und junge Frauen bleichsüchtig werden. Er hat aber zugleich darauf hingewiesen daß eine große Zahl der Bleichsüchtigen auch ohne Darreichung von Eisenpräparaten, lediglich durch gesundes Leben geheilt wird.

In der That dürfen wir niemals vergessen, daß der Mangel an Eisen in der Nahrung nicht die einzige Ursache der Bleichsucht bildet. Durch ungeeignete Lebensweise etc. wird vielmehr oft der Körper der Kraft beraubt, das Eisen in der Nahrung zu verarbeiten und in genügendem Maße neues Blut zu bilden. Alsdann gilt es, die Lebensweise zweckmäßig zu verändern, den Kranken den Genuß frischer Luft zu ermöglichen, die Ernährung zu heben und den schwachen Körper zu schonen. Diese Heilmittel sind nicht minder wichtig als das Eisen.