Brief aus Afrika von E. Vogel an Ritter Bunsen in London
[57] Brief aus Afrika von E. Vogel an Ritter Bunsen in London. – Eduard Vogel reiste bekanntlich dem berühmten Forscher im Innern Afrika’s, Barth, durch die große Wüste Sahara zu Hülfe, um mit ihm weiter zu vollenden, was der Engländer Richardson und der Deutsche Overweg (welche beide ihrem Wissenstriebe zum Opfer fielen) und am meisten Barth selbst so wunderbar weit gefördert, daß Herr G. Petermann in London, aus dem gesammelten wissenschaftlichen Stoffe bereits eine brillante Karte von dem bisher völlig unbekannten Innern Afrika’s auf Kosten der englischen Regierung auszuführen im Stande war. Die Karte, welche das Innere Afrika’s etwa vom 5ten bis zum 18ten Grade nördlicher Breite um den großen, romantischen Tsad-See herum – bisher auf den Karten eine leere Stelle – mit seinen vielen dichtbevölkerten und in ihrer Weise blühenden Staaten darstellt, wird in einigen Wochen mit Text erscheinen, unter Anderem auch mit dem Inhalte des Briefes, den wir hier auszugsweise mittheilen, da der Preußische Gesandte in London ihn an Herrn Petermann zu dem Zwecke geschickt hatte, daß für die englische und deutsche Presse beliebiger Gebrauch davon gemacht werden möge. Der Einsender copirte die interessantesten Stellen für die Gartenlaube daraus gerade an dem Tage der Ankunft. Zum Verständnisse derselben gehört noch, daß E. Vogel auf seiner Reise von Tripolis aus durch die Wüste nach dem Tsad-See, in dem muhamedanischen Staate Fezzan mit der Hauptstadt Murzuk, und der nächst größten Tedgerrhi, Monate lang aufgehalten ward, da es ihm Behörden und Privatleute mit muhamedanischer Saumseligkeit so schwer machten, die nöthigen Mittel, Führer und Hülfstruppen, die zu einer Reise durch die wilde Natur voll brennenden Sandes oder wilder Menschen gehören, zu beschaffen. Murzuk liegt etwa 150 geographische Meilen von der Küste des mittelländischen Meeres nach dem Innern hinein, Tedgerrhi 20 Meilen südlicher. Von da bis zum Tsad-See hatte er noch etwa 200 Meilen durch die Wüste zurückzulegen. Die im Briefe noch vorkommenden Orte Bornu und Kano sind Hauptstädte großer muselmännischer Staaten um den Tsad-See herum.
„Excellenz!
„Endlich kann ich Ihnen melden, daß ich, mit allem Zubehör ausgestattet, auf dem Wege meiner Bestimmung flott geworden bin. Nachdem ich unter Protection des Sultans von Fezzan in Tedgerrhi angekommen war, schloß ich mich einer nach dem Tsad-See bestimmten Sklavenkarawane an. Und ich weiß nun schon, was Sklavenhandel ist. Unterwegs stießen wir unzählige Male auf Gebeine, größtentheils vom Fleische entblößt, die alle menschlichen Wesen zugehörten. Es waren Sklaven, die unterwegs liegen geblieben und so in der Sonnenhitze verhungert und verdorrt oder noch lebendig von Schakals aufgefressen worden waren. Eine dieser so [58] benagten Leichen, die uns eines Tages gerade im Wege lag, bestattete ich in ordentlicher muhamedanischer Weise und sprach mit gewiß mehr als priesterlicher Würde einen Segen über sie, denn des Herzens innerste Erregung war dabei. In Tedgerrhi sah ich die Karawane, etwa 500 Personen, größtentheils Knaben und Mädchen von 10–15 Jahren, ankommen. Ich werde den Anblick nie vergessen. Sie waren am Halse in Eisenringe geschmiedet und an diesen Ring noch die rechte Hand gefesselt. Die Ringe und Köpfe laufen zwischen zwei Eisenstangen hin, so daß sich auf diese Weise Linien von 20 und mehrern bilden. Sie gingen fast alle nackt oder nur spärlich mit jämmerlichen Lumpen bedeckt, obgleich der Sultan von Fezzan befohlen hat, daß jedem Sklaven ein Hemd und eine Kopfbedeckung gehalten werden solle. Man hatte ihnen nicht einmal ihre natürliche, das Haar, gelassen, da Jeder (selbst Kinder von 10 Jahren) auf den entsetzlichen Märschen durch brennenden, salzigen Sand noch bis 25 Pfund Gepäck auf dem Kopfe tragen muß, um die Kameele zu schonen. Dadurch war ihnen das Haar bis auf die wunde Haut thatsächlich abgerieben worden. Unter den Sklaven machten besonders eine Gruppe junger Mädchen von 10–15 Jahren durch den Ausdruck einer tiefen Melancholie einen erschütternden Eindruck auf mich, besonders als sie mich mit herzzerreißendem Flehen baten, ich möchte sie kaufen. Ich machte ihnen deutlich, daß mir meine Religion verböte, Sklaven zu halten, worauf sie mit der Miene rührender Ueberzeugung antworteten, daß meine Religion besser sei, als die Ihrer Tibubs (Sklavenhändler). Ich sah, wie sie vor Hitze und Ermüdung zusammenfallend noch 3 Stunden lang eine Art Getreide zermalmen und sich davon ihr einziges Mahl im Tage bereiten mußten. Das Mehl wird mit Wasser und Salz geknetet und gebacken. Davon müssen sie sich auf je 24 Stunden satt essen. – Ich habe diesen schrecklichen Scenen gegenüber die Erinnerung an eine noch entsetzlichere. Auf unserer Reise hierher stießen wir auf ein menschliches Gerippe, das noch lebte. Ich flößte ihm etwas Fleischbrühe ein und fuhr allmälig mit stärkeren Gaben fort, bis der Mann einigermaßen so weit zu sich kam, daß er erzählen konnte, er liege hier seit langer Zeit, nachdem man ihm im Sklavenzuge (einem andern) schon 3 Tage jede Nahrung vorenthalten habe, um ihn durch Hunger zu tödten, da er als älterer Mann nichts werth sei und die Sklavenpreise in Bornu überhaupt sehr niedrig ständen. Ich brachte ihn hier unter und bezahlte eine hübsche Summe für dessen Verpflegung. Der Sultan von Fezzan nimmt für jeden aus- oder eingeführten oder durchpassirenden Sklaven einen Zoll, so wie er überhaupt das Nehmen versteht. Er hat in Murzuk ein Zollhaus bauen und für 1000 Pfd. Sterling jährlich verpachten lassen. (Folgt ein Verzeichniß verschiedener Landesartikel und Zollsätze.) Sein Land soll 54,000 Einwohner haben. Unter den eingeführten Artikeln ist besonders Zink im Begehr, da sich die Damen der Fezzaner Residenz und die Damen überhaupt gern reichlich mit Zinkschmuck behängen. Der Boden ist reich an mannichfachen Mineralien, besonders Natron. Das ganze Land ist gleichsam auf Salz gebaut, nicht minder auf eine ziemlich alte Cultur, die in Ruinen umherliegt. Ich muß hier den Irrthum in meinem letzten Schreiben berichtigen, in welchem ich die entdeckten Ruinen von Mauern und Schlössern als römische bezeichnete. Nach näherer Untersuchung fand ich deutliche Spuren ehemaliger Gestalt mit dreieckigen Fenstern, lauter Ueberbleibsel des zwischen 800 und 1000 nach Chr. Geb. hochblühenden Staates Fezzan. –
Vor meiner Abreise mit einer gut geschulten und wohlbewaffneten kleinen Armee von 20 Mann und 60–70 Freiwilligen bekam ich noch die angenehme Nachricht, daß mir die Tuariks (ein Räubervolk weiter im Süden) bereits auflauerten, um mir die Geschenke, die Sie für den Sultan von Bornu bestimmt haben, abzunehmen. Die Lust soll ihnen theuer zu stehen kommen, wenn sie sich nicht in ehrerbietiger Entfernung von unsern Läufen halten. Der Sultan von Bornu kann uns nämlich keine Protection entgegenschicken, da er mit dem Sultan von Kano um drei Städte Krieg führt. So lautete die letzte mit dem Courier-Postkameele aus Kuka angekommene Nachricht. Doch wurde mir zugleich die Versicherung gegeben, daß solche Kriege nie lange dauerten, und er wohl noch Zeit und Leute finden werde, uns und seine Geschenke in Schutz zu nehmen, ehe wir in das Bereich der wilden Tuariks kämen.“ (Folgen noch Privatsachen.)
Der Brief giebt besonders ein drastisches Bild des innern Sklavenhandels in wenig starken Zügen. Mögen wir uns deshalb um so mehr freuen, daß die Civilisation durch Engländer und Deutsche jetzt rasch und mit zunehmender Bedeutung auch für den Handel in das Innere Afrika’s eindringt, nachdem 23 große Expeditionen (von 1769 bis 1852) allmälig die ersten Culturstraßen von allen Seiten angelegt haben. Die Hauptbedeutung Afrika’s und die Quelle der Civilisation wird besonders an der Westküste von Senegal und Gambia bis nach dem Golf von Guinea (englische Besitzung) hinlaufen, an dem Chaddaflusse hinauf und von der Republik Liberia aus (dessen Präsident Robert sein Parlament am 19. Decbr. unter guten Aussichten eröffnete) nach dem Tsad-See, von da hinüber nach dem Nil und an diesem herunter durch Aegypten. Der Verkehr im Innern ist jetzt auf „Schiffen der Wüste“, Kameelen, und in großen Handels-Karavanen, die oft ein ganzes Volk enthalten, schon ungemein lebhaft und großartig.