Briefkasten (Die Gartenlaube 1873/1)

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Textdaten
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Autor: Unbekannt
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Titel: Briefkasten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 19
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[019] K. L. in L. Ihre Ansichten über Pflichten und Leistungen eines Redacteurs fußen auf Voraussetzungen, die an sich schon irrige sind. Man kann nicht gleichzeitig Wöchnerin und Geburtshelfer sein, mit andern Worten, man kann nicht schaffen, dichten und produciren, wo es gilt das Material eines größern Journals aus allen Theilen der gebildeten Welt herbeizuziehen, zu sichten und in Einklang mit den Anforderungen eines guten Geschmacks und der Tendenzen zu bringen, die das Journal vertritt. In den meisten Fällen hört mit der Uebernahme einer bedeutenden Zeitung oder einer größern Wochenschrift für den schaffenden Schriftsteller die Möglichkeit auf, noch weiter in geschlossenen Productionen vor die Oeffentlichkeit zu treten, oder seine schriftstellerische Thätigkeit beschränkt sich dann lediglich auf redactionelle Kleinigkeiten, auf Notizen, Milderungen, Correcturen etc., die sich meist nicht mehr mit dem Namen literarische Leistungen bezeichnen lassen. Aus der schimmernden beseligenden Welt lebendigen Schaffens und Dichtens tritt er in die enge Kammer der Verwaltung, des Prüfens, der kalten Kritik. Fortan hat er nur eine Aufgabe zu lösen: mit unausgesetzter Aufmerksamkeit die Zeit und deren Bedürfnisse zu erforschen und zeitig zu erfassen, seine mit Verständniß gewählten Mitarbeiter anregend durch Wort und That für seinen Ideengang zu gewinnen und für seine Zwecke zu begeistern und im Verein mit diesen tüchtigen Kräften ein harmonisches Zusammenwirken zu erzielen, das die Massen zu sich heranzieht, aber nicht zu ihnen und ihren zufälligen Wünschen herabsteigt. Wo dieses Zusammenwirken, dieses kalte parteilose Prüfen und die eiserne Disciplin des Leitenden fehlen, wird das Ganze ein Sammelsurium bleiben, ohne Gepräge und Einfluß, das rasch wieder zusammenbricht. – Denn ebenso wenig die Beiträge eines guten Autors – und wenn er Gold schriftete und Silber leitartikelte – den Aufschwung eines Journals bewirken können, so wenig nützen alle Reclamen und Lobposaunen, wenn der Redacteur in seiner fieberhaften Thätigkeit nachläßt oder in der Wahl seiner Mitarbeiter Ungeschicklichkeiten und Fehler begeht, die das einheitliche Wirken seines Organs vernichten.

Ein derartiges Grübeln, Suchen, Sichten und Anregen, diese ewigen, mit jedem Tage neu beginnenden, unausgesetzten und aufreibenden Hetzjagden absorbiren aber mehr noch die geistigen Kräfte als das behagliche, befriedigende Dichten und Schaffen. Des Tages Hitze und Mühen lassen stets eine Erschlaffung zurück, die sich selten noch zu poetischen Stimmungen und zur Lust am Fabuliren und Produciren aufzuraffen vermag. Der denkende Redacteur, der seine Aufgabe begreift und nicht schon in der Correctur zufällig eingegangener Beiträge erfüllt sieht, legt deshalb auch die schaffende Feder, die unmöglich zweien Herren gleich gut dienen kann, aus der Hand und überläßt Erfolge und Lorbeeren seinen Mitarbeitern, deren gedruckt vorliegende Leistungen die Lesewelt entzücken und begeistern. Er selbst hat sich mit dem Bewußtsein zu begnügen, durch seine nie ruhende, ordnende Hand ein Material herbeigeschafft zu haben, das in Wahl und Zusammensetzung überall hin gute Saat auf die Fluren deutschen Culturlebens streut und nach allen Seiten belehrt, anregt, erhebt und bildet. Der Lesewelt gegenüber ist selbstverständlich seine Leistung eine untergeordnete. Denn diese erkennt in der vorliegenden Nummer niemals die Arbeit und die mit großen Mühen beseitigten Schwierigkeiten der Herstellung, sie fühlt es dem glatten eleganten Artikel nicht an, daß hie und da der Rothstift des Leitenden die Ecken und Langweiligkeiten des Beitrags beseitigen mußte, und weiß nicht, daß viele Ideen der gelesensten Artikel zuvor in dem gemarterten Hirn des Redacteurs geboren wurden, der noch sinnt und grübelt, wenn jeder andere Arbeiter sich der Behaglichkeit seiner vier Wände hingiebt.

Vorausgesetzt, daß das Hirn eines solchen Pioniers der Ideenwelt zufällig auf längere Jahre diesen Selbstverbrennungsproceß aushält, und daß wirklich Geist und Körper so viel Elasticität besitzen, diese mit jedem Tage wiederkehrende Herculesarbeit auf lange Zeit zu bewältigen, so kann es nur auf Kosten seiner geistigen Spannkraft geschehen, auf Kosten seines Gemüths- und Familienlebens, seiner innern Ruhe und Behaglichkeit. Der ewige Kampf in der Arena der Oeffentlichkeit zerstört nachhaltig und [020] sicher. Und wenn endlich nach Jahren mühevollen Strebens und Arbeitens der Rast- und Ruhelose – bis zum letzten Augenblick ein guter Soldat auf Posten – die letzte Correctur des Lebens vornimmt – das bischen Sterben, dann ist er, dem heute noch Tausende von Lesern ihre geistige Freude verdanken und den Hunderte wegen seiner Machtstellung beneiden, morgen schon – vergessen, ehe sich noch der Hügel über ihn erhärtet hat.

Der Kranz dem Poeten und seinen einschmeichelnden Schöpfungen – ein paar Schollen kalter Erde für lange Jahre heißen und wirkungsvollen Vorpostendienstes im großen Bildungs- und Humanitätskampfe der Tagespresse.

O. in Roschitz. Das Treiben des Pastors Weber dort, der das bereits in vierter Auflage erschienene Schriftchen „Die Religion der Gartenlaube“ in Massen an seine Schäflein vertheilt, um diese vor der Lectüre des verhaßten Blattes zu warnen, interessirt uns wirklich zu wenig, als daß wir nähere Mittheilungen darüber erbitten möchten. Wir kennen das in dem muckerreichen Eckartshause in Eckartsberge gedruckte Büchlein schon seit Jahren und danken Ihnen für Ihre freundliche Benachrichtigung, bitten aber, dem komischen Gebahren des Herrn Pastors keinen Stein in den Weg zu legen.

L. W. in Hamburg. Für Ihre Zwecke können wir Ihnen nur den in Braunschweig erscheinenden „Globus“, redigirt von Fr. Andrée, empfehlen. Sie finden dann die gewünschten Beiträge von Kirchhoff und Wallis und mancherlei andere Originalschilderungen. An innerer Gediegenheit und äußerer glänzender Ausstattung überragt der „Globus“ weitaus alle ähnlichen Unternehmungen, nur möchten wir dabei unser Bedauern aussprechen, daß eine Zeitschrift von dieser Bedeutung sich so wenig bestrebt, ihren Lesern gute Originalillustrationen zu bieten. Die französischen Clichés, allerdings sehr schön, spielen beim Globus eine allzu große Rolle.

O. M. in A. mit einem unbrauchbaren Gedicht schreibt: „Im zwanzigsten Lebensjahre stehend, scheint es mir an der Zeit zu sein, meinen Namen allmählich ins Publicum einzuführen. Ich halte die weitverbreitete Gartenlaube für das geeignetste Blatt dazu und möchte Sie deshalb bitten etc. etc.“ – Sehen Sie ’mal, das ist hübsch von Ihnen! Aber wollen Sie dazu nicht lieber irgend ein Wochenblättchen benutzen, selbstverständlich gegen Insertionsgebühren? Sie werden dadurch sich und den Buchdruckern einen Gefallen erzeigen.

E. F. in Erfurt. Wir bitten Sie freundlichst um Ihre nähere Adresse, damit der Wunsch Ihres liebenswürdigen Briefes erfüllt werden kann.

M. in Bbg. Gewiß verfolgt Nürnberg in religiöser Beziehung eine rationelle Richtung, aber auch dort sind Elemente vorhanden, die mit der Bibel in der Hand jedem Vorwärts Felsen entgegendämmen möchten. Es ist bezeichnend für diese, daß zwei Tage nach dem Begräbniß von Feuerbach auf dem Grabeshügel des Weisen nur halb verdeckt durch einen Cypressenkranz ein Zettel lag, von frommer Hand geschrieben: „Wahrhaftige Worte Christi. Wer da glaubet und getauft wird, wird selig werden, wer aber nicht glaubet, der wird verdammt werden.“

V. Gr. in Am. Ein Mittel gegen „unverschuldete rothe Nasen“? Wir wissen keins, und die Aerzte, die wir darum befragten, auch nicht. Für den Abend würden wir etwas Mehlstaub vorschlagen.

V. in L. Ihre Klagen über die „Gouvernanten“ mögen zum Theil begründete sein, aber das berechtigt Sie noch nicht, über den ganzen Stand den Stab zu brechen. Gewiß giebt es unter der großen Schaar der Hofmeisterinnen „schnippische“ und „verdrehte Mamsells“, wie Sie sagen, namentlich unter den Halbfranzösinnen, aber die neuere Pädagogik hat auch eine große Zahl von Erzieherinnen gebildet, die an Kenntnissen, sittlichem Werth und wahrer Herzensbildung meist weit über den Herrschaften stehen, die sie mit großen Ansprüchen und für wenig Geld zur Erziehung ihrer Kinder engagiren. Es gehört schon große Freude an dem Beruf dazu, unter wirklichen Entbehrungen und Demüthigungen die lieben oft sehr boshaften Kinderchen zu erziehen, zu unterrichten und womöglich auch zu amüsiren, um wie viel mehr, wenn alle Anstrengungen ohne Anerkennung blieben, ohne Aufmunterung und ohne gebührende Stellung im Hause, nur deshalb, weil das „arme Mädchen sind, die ihr Brod verdienen müssen“. Der Hochmuth dieses vornehmen Pöbels, der sich schon gebildet glaubt, wenn er ein wenig französisch plappern und das Piano maltraitiren kann, überschreitet in dieser Beziehung oft alle Grenzen.

Wir erinnern uns einer sehr fein gebildeten und liebenswürdigen Dame, die als Erzieherin in das Haus der Familie von C. kam. Am ersten Abend beim Essen frug der Herr des Hauses das junge Mädchen sehr ausführlich über das Viel und Wenig ihrer Wäsche, und als dieses ganz unverhohlen seine Verwunderung über diese ungewöhnliche Frage aussprach, wiederholte der gestrenge Herr sein Verhör dringender. In zögernder Weise gab die Dame endlich Aufschluss. „Nun,“ entgegnete Herr v. C., „Sie scheinen ja sehr gut ausgestattet zu sein; mein letzter Bedienter hatte nur drei Hemden.“ – Die junge Dame, obwohl sehr arm, erhob sich sofort vom Tische und verließ andern Morgens das Schloß eines Menschen, der die Erzieherin seiner Kinder seinem Bedienten gleichstellte.

E. K.