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Burney Tagebuch 3/Böhmen

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Vorrede des Uebersetzers Tagebuch einer musikalischen Reise (1773) von Charles Burney
Böhmen
Prag


[1]
Gegenwärtiger Zustand der Musik in Deutschland.
Böhmen.


Ich hatte oftmals sagen hören, daß die Böhmen unter allen Nationen in Deutschland, ja vielleicht in ganz Europa an meisten musikalisch wären; und ein berühmter deutscher Komponist, welcher gegenwärtig in Londen ist, hatte mich versichert, daß sie, wenn man ihnen nur gleiche Vortheile mit den Italiänern verschafte, diese gewiß übertreffen würden.

Wirkungen lassen sich nicht ohne Ursachen gedenken; und die Natur, so partheyisch sie auch bey Austheilung des Genies und der Talente gegen einzelne Personen seyn mag, ist es nie gegen ein ganzes Volk. Das Clima trägt viel dazu bey, Sitten und Gewohnheiten zu bilden; und ich halte es für ausgemacht, daß Völker, welche in heissen Erdstrichen wohnen, mehr Vergnügen an der Musik finden, als die in Kalten; vielleicht weil die Nerven des Gehörs in jenen reitzbarer sind, als in diesen, und weil sich der Schall dort [2] leichter fortpflanzet: allein ich wüßte gar keinen Grund anzugeben, warum das Clima mehr zum Besten der Musik auf die Böhmen, als auf ihre Nachbarn, die Sachsen und Mähren, wirken sollte.[H 1]

Ich durchreisete das ganze Königreich Böhmen von Süden bis Norden; und da ich sorgfältig untersuchte, wie der gemeine Mann Musik lernte, so fand ich zuletzt, daß nicht nur in jeder grossen Stadt, sondern auch in allen Dörfern, wo nur eine Lese und Schreibeschule ist, die Kinder beyderley Geschlechts in der Musik unterrichtet werden.[H 2]

Zu Teutschbrod, Jenitz, Czaslaw, Bömischbrod und an andern Orten besah ich diese Schulen; und zu Czaslau insbesondre betraf ich sie auf der That.

Der Orgenist und Cantor Johann Dulsick, und der erste Violinist an der Pfarrkirche Martin Kruch, welche zugleich Schulmeister sind, machten mich völlig mit ihren Musickschulen bekannt. Ich besuchte eine, welche voll kleiner Kinder von beyderley Geschlechtern, sechs bis eilf Jahre alt war, welche lasen, schrieben, auf der Geige, der Hoboen, dem Basson und andern Instrumenten spielten. Der Orgenist hatte in einem kleinen Zimmer seines Hauses vier Claviere, und auf jeden übte sich ein kleiner Knabe: sein Sohn von neun Jahren war ein tüchtiger Spieler.

[3] Hierauf begleitete er mich zur Kirche, welche nur klein ist, und spielte eine bewundernswürdige Fantasie auf der Orgel, welche gleichfalls nur klein ist, aber einen guten Ton hat; ihr Umfang war von C bis dreygestrichen c; sie hatte kein Rohrwerk, jedoch ein Pedal und ein durchgehends gutes Hauptwerk. Er spielte auch eine Fuge aus dem Stegreife über ein neues gefälliges Subjeckt, und führte sie meisterhaft aus. Meinem Urtheil zufolge ist er einer der besten Orgelspieler, welche ich auf meiner ganzen Reise gehört habe. Er klagte, daß es ihm wegen Mangel der Uebung an Fertigkeit fehlte, und setzte hinzu, daß er zu viel Lehrlinge in den Anfangsgründen unterrichten müßte, und also keine Zeit zum Studiren hätte; dabey wäre sein Haus nicht nur voll von fremden, sondern auch von seinen eigenen Kindern:

„Chill penury repressed his noble rage!“
Mangel löscht sein edles Feuer aus.

welches der Fall vieler Musiker ist, deren Geist und Talente zu gut für solche Sklavenarbeit sind; allein bey solchen Umständen bleibt ihnen nichts anders zu wählen übrig, als Arbeit oder Schulden.

Anmerkungen (H)

  1. [298] Sollte es so ausgemacht seyn, daß sich der Schall in den kalten Zonen schwerer fortpflanzte?
  2. [298] Der Unterricht im Singen wird in Ober- und Niedersachsen auch gegeben. Jede lateinische Schule, und auch Dorfschulen haben ihre Cantores, und in den meisten kleinen Städten ist ein Musikchor. In Thüringen [299] ist es wie in Böhmen. Jedes Dorf hat seine Sänger und Spieler, die sich in den Schulen bildeten, und des Sonntags ihre Kirchenmusiken mit nicht geringer Genauigkeit aufführen. Hiervon hätte Herr Burney doch Nachricht einziehen sollen. Es wäre wohl für einen allgemeinen Geschichtschreiber ein paar Meilen werth gewesen.
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